diff --git "a/MarxEngelsGesamtausgabe/(Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA)_ II.10) Karl Marx - Das Kapital_ Kritik der Politischen O_konomie. Erster Band, Hamburg 1890-Dietz Verlag (1991).txt" "b/MarxEngelsGesamtausgabe/(Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA)_ II.10) Karl Marx - Das Kapital_ Kritik der Politischen O_konomie. Erster Band, Hamburg 1890-Dietz Verlag (1991).txt" new file mode 100644--- /dev/null +++ "b/MarxEngelsGesamtausgabe/(Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA)_ II.10) Karl Marx - Das Kapital_ Kritik der Politischen O_konomie. Erster Band, Hamburg 1890-Dietz Verlag (1991).txt" @@ -0,0 +1,45302 @@ +(ME.Gt\) + + KARL MARX +FRIEDRICH ENGELS +GESAMTAUSGABE +(MEGA) + +Z W E I T E A B T E I L U N G + +„ D A S K A P I T A L " U N D V O R A R B E I T E N + +B A N D 1 0 + +H E R A U S G E G E B E N + +V O N D E R I N T E R N A T I O N A L E N + +M A R X - E N G E L S - S T I F T U N G + + KARL MARX +DAS KAPITAL +KRITIK DER +POLITISCHEN ÖKONOMIE +ERSTER BAND +HAMBURG 1890 + +T E X T + +Bearbeitet von einer Forschungsgruppe des +Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung Berlin: +Roland Nietzold (Leiter), +Wolfgang Pocke und Hannes Skambraks + +D I E T Z V E R L A G B E R L I N + +1991 + + Internationale Marx-Engels-Stiftung Amsterdam: +Begründet von dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam, +dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU Moskau, +der Akademie der Wissenschaften Berlin und dem Karl-Marx-Haus Trier + +Der vorliegende Band wurde noch unter der +früheren Redaktionskommission erarbeitet. + +Marx, Karl: Gesamtausgabe : (MEGA) / Karl Marx ; Friedrich Engels. +Hrsg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. - Berlin : Dietz Verl. GmbH +[Sammlung]. +Abt. 2. „Das Kapital" und Vorarbeiten +Bd. 10. Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie : 1.Bd., Hamburg 1890 / Karl Marx. +Text. - 1991. - 40, 694 S. : 1 Abb. +Apparat. - 1991. - S. 695-1288 : 1 Abb. + +II. Abt. ISBN 3-320-00050-0 +Bd. 11/10 ISBN 3-320-00068-3 + +Text und Apparat +Mit 2 Abbildungen +© Dietz Verlag Berlin GmbH 1991 +LSV 0046 +Technische Redaktion: Jutta Knopp und Heinz Ruschinski +Korrektur: Renate Kröhnert, Eva Mendl +und Sigrid Wittenberg +Einband: Albert Kapr +Typografie: Albert Kapr/Horst Kinkel +Schrift: Timeless-Antiqua und Maxima +Printed in Germany + +Satz und Druck: Interdruck Leipzig GmbH +Buchbinderische Verarbeitung: Leipziger Großbuchbinderei GmbH + + Inhalt + +Einleitung + +Editorische Hinweise + +Das Kapital. Kritik der politischen +Ökonomie. Erster Band. Hamburg 1890 + +Vorwort zur ersten Auflage +Zur zweiten Auflage +Zur dritten Auflage (Friedrich Engels) +Zur vierten Auflage (Friedrich Engels) +Inhaltsverzeichnis +Erstes Buch. Der Produktionsprozeß des Kapitals +Erster Abschnitt. W a r e und Geld +Erstes Kapitel. Die W a r e + +1. Die zwei Faktoren der W a r e : Gebrauchswert und Wert (Wert- + +substanz, Wertgröße) + +2. Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit +3. Die Wertform oder der Tauschwert + +A. Einfache, einzelne oder zufällige Wertform + +1. Die beiden Pole des Wertausdrucks: Relative Wertform + +und Äquivalentform +2. Die relative Wertform + +a) Gehalt der relativen Wertform +b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Wertform + +3. Die Äquivalentform +4. Das Ganze der einfachen Wertform + +B. Totale oder entfaltete Wertform + +1. Die entfaltete relative Wertform + +11* + +37* + +1 + +7 +11 +19 +22 +29 +37 +37 +37 + +37 +43 +49 +49 + +50 +51 +51 +54 +56 +61 +63 +63 + +5* + + Inhalt + +2. Die besondre Äquivalentform +3. Mängel der totalen oder entfalteten Wertform + +C Allgemeine Wertform + +1. Veränderter Charakter der Wertform +2. Entwicklungsverhältnis von relativer Wertform und Äqui- + +valentform + +3. Übergang aus der allgemeinen Wertform zur Geldform + +D. Geldform + +4. Der Fetischcharakter der W a r e und sein Geheimnis + +Zweites Kapitel. Der Austauschprozeß +Drittes Kapitel. Das Geld oder die Warenzirkulation + +1. Maß der Werte +2. Zirkulationsmittel + +a) Die Metamorphose der Waren +b) Der Umlauf des Geldes +c) Die Münze. Das Wertzeichen + +3. Geld + +a) Schatzbildung +b) Zahlungsmittel +c) Weltgeld + +Zweiter Abschnitt. Die Verwandlung von Geld in Kapital +Viertes Kapitel. Verwandlung von Geld in Kapital + +1. Die allgemeine Formel des Kapitals +2. Widersprüche der allgemeinen Formel +3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft + +Dritter Abschnitt. Die Produktion des absoluten Mehrwerts +Fünftes Kapitel. Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +1. Arbeitsprozeß +2. Verwertungsprozeß + +S e c h s t e s Kapitel. Konstantes Kapital und variables Kapital +Siebentes Kapitel. Die Rate des Mehrwerts +1. Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft +2. Darstellung des Produktenwerts in proportioneilen Teilen des + +Produkts + +3. Seniors „Letzte Stunde" +4. Das Mehrprodukt + +Achtes Kapitel. Der Arbeitstag + +1. Die Grenzen des Arbeitstags +2. Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar +3. Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploitation +4. Tag- und Nachtarbeit. Das Ablösungssystem +5. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetze zur Ver- +längerung des Arbeitstags von der Mitte des 14. bis zu Ende des +17. Jahrhunderts + +64 +64 +65 +65 + +67 +69 +69 +70 +82 +90 +90 +98 +98 +107 +116 +120 +120 +125 +131 +134 +134 +134 +142 +152 +161 +161 +161 +169 +180 +191 +191 + +198 +201 +206 +207 +207 +211 +218 +230 + +238 + +6* + + Inhalt + +6. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetzliche Be- +schränkung der Arbeitszeit. Die englische Fabrikgesetzgebung +von 1 8 3 3 - 1 8 6 4 + +7. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Rückwirkung der engli- + +schen Fabrikgesetzgebung auf andre Länder +Neuntes Kapitel. Rate und Masse des Mehrwerts +Vierter Abschnitt. Die Produktion des relativen Mehrwerts +Zehntes Kapitel. Begriff des relativen Mehrwerts +Elftes Kapitel. Kooperation +Zwölftes Kapitel. Teilung der Arbeit und Manufaktur + +1. Doppelter Ursprung der Manufaktur +2. Der Teilarbeiter und sein Werkzeug +3. Die beiden Grundformen der Manufaktur - heterogene Manu- + +faktur und organische Manufaktur + +4. Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Teilung der Ar- + +beit innerhalb der Gesellschaft + +5. Der kapitalistische Charakter der Manufaktur +Dreizehntes Kapitel. Maschinerie und große Industrie + +1. Entwicklung der Maschinerie +2. W e r t a b g a b e der Maschinerie an das Produkt +3. Nächste Wirkungen des maschinenmäßigen Betriebs auf den Ar- + +beiter +a) Aneignung zuschüssiger Arbeitskräfte durch das Kapital. Wei- + +ber- und Kinderarbeit + +b) Verlängrung des Arbeitstags +c) Intensifikation der Arbeit + +4. Die Fabrik +5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine +6. Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie ver- + +drängten Arbeiter + +7. Repulsion und Attraktion von Arbeitern mit Entwicklung des Ma- + +schinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie + +8. Revolutionierung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit + +durch die große Industrie +a) Aufhebung der auf Handwerk und Teilung der Arbeit beru- + +henden Kooperation + +b) Rückwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Hausar- + +beit + +c) Die moderne Manufaktur +d) Die moderne Hausarbeit +e) Übergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur gro- +ßen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch An- +wendung der Fabrikgesetze auf j e n e Betriebsweisen + +250 + +268 +273 +281 +281 +290 +302 +302 +305 + +308 + +316 +324 +333 +333 +347 + +354 + +355 +362 +368 +376 +385 + +394 + +402 + +414 + +414 + +415 +417 +4 2 0 + +423 + +7* + + Inhalt + +9. Fabrikgesetzgebung. (Gesundheits- und Erziehungsklauseln.) Ihre + +Verallgemeinerung in England +10. Große Industrie und Agrikultur + +Fünfter Abschnitt. Die Produktion des absoluten und relativen Mehr- +werts +Vierzehntes Kapitel. Absoluter und relativer Mehrwert +Fünfzehntes Kapitel. Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und +Mehrwert + +I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit konstant (gege- + +ben), Produktivkraft der Arbeit variabel + +II. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivkraft der Arbeit Intensi- + +tät der Arbeit variabel + +III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant, Arbeitstag varia- + +bel + +IV. Gleichzeitige Variationen in Dauer, Produktivkraft und Intensität + +der Arbeit + +Sechzehntes Kapitel. Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts +S e c h s t e r Abschnitt. Der Arbeitslohn +Siebzehntes Kapitel. Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft +in Arbeitslohn +Achtzehntes Kapitel. Der Zeitlohn +Neunzehntes Kapitel. Der Stücklohn +Zwanzigstes Kapitel. Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne +Siebenter Abschnitt. Der Akkumulationsprozeß des Kapitals +Einundzwanzigstes Kapitel. Einfache Reproduktion +Zweiundzwanzigstes Kapitel. Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +1. Kapitalistischer Produktionsprozeß auf erweiterter Stufenleiter. +Umschlag der Eigentumsgesetze der Warenproduktion in Gesetze +der kapitalistischen Aneignung + +2. Irrige Auffassung der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter sei- + +tens der politischen Ökonomie + +3. Teilung des Mehrwerts in Kapital und Revenue. - Die Abstinenztheo- + +rie + +4. Umstände, welche unabhängig von der proportioneilen Teilung +des Mehrwerts in Kapital und Revenue den Umfang der Akkumula- +tion bestimmen: Exploitationsgrad der Arbeitskraft. - Produktiv- +kraft der Arbeit. - W a c h s e n d e Differenz zwischen angewandtem +und konsumiertem Kapital. - Größe des vorgeschoßnen Kapitals + +5. Der sogenannte Arbeitsfonds + +Dreiundzwanzigstes Kapitel. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen +Akkumulation + +1. W a c h s e n d e Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkumulation, bei + +gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals + +2. Relative Abnahme des variablen Kapitalteils im Fortgang der Akku- + +mulation und der sie begleitenden Konzentration + +433 +4 5 4 + +456 +456 + +465 + +466 + +4 7 0 + +471 + +473 +475 +479 + +479 +486 +493 +500 +505 +506 +518 + +518 + +527 + +529 + +537 +546 + +549 + +549 + +557 + +8* + + Inhalt + +3. Progressive Produktion einer relativen Übervölkerung oder indu- + +striellen Reservearmee + +4. Verschiedne Existenzformen der relativen Übervölkerung. Das all- + +gemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5. Illustration des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumu- + +lation +a) England von 1 8 4 6 - 1 8 6 6 +b) Die schlechtbezahlten Schichten der britischen industriellen Ar- + +beiterklasse +c) Das Wandervolk +d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Teil der Arbeiter- + +klasse + +e) Das britische Ackerbauproletariat +f) Irland + +Vierundzwanzigstes Kapitel. Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +1. Das Geheimnis der ursprünglichen Akkumulation +2. Expropriation des Landvolks von Grund und Boden +3. Blutgesetzgebung gegen die Expropriierten seit Ende des 15. Jahr- + +hunderts. Gesetze zur Herabdrückung des Arbeitslohns + +4. Genesis der kapitalistischen Pächter +5. Rückwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie. Herstel- + +lung des innern Markts für das industrielle Kapital + +6. Genesis des industriellen Kapitalisten +7. Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation +Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die moderne Kolonisationstheorie + +A P P A R A T + +R E G I S T E R + +Verzeichnis der Abbildungen + +Titelblatt der 4. Auflage + +Fragment eines Entwurfs der Ergänzung zur Fußnote 1 0 8 ) + +564 + +575 + +582 +582 + +588 +597 + +600 +605 +628 +641 +641 +644 + +659 +666 + +669 +672 +683 +685 + +695 + +1175 + +3 + +715 + +9* + + Editorische Hinweise + +d e n S c h r e i b w e i s e n d e s Edierten T e x t e s w e r d e n d e r a u t h e n t i s c h e n + +S c h r e i b w e i s e + +i n + +runden K l a m m e r n b e i g e f ü g t v e r s c h l ü s s e l t e N a m e n + +sind in d e n E r l ä u t e r u n g e n erklärt. + +D a s S a c h r e g i s t e r e r f a ß t die Begriffe, die de n w e s e n t l i c h e n Inhalt d e r + +4 . A u f l a g e d e s e r s t e n B a n d e s d e s „Kapitals" w i d e r s p i e g e l n . Die S c h l a g - + +w o r t e sind u n m i t t e l b a r d e m Edierten T e x t e n t n o m m e n o d e r l e h n e n s i c h + +ihm w e i t g e h e n d an. Das S a c h r e g i s t e r ist in m o d e r n e r O r t h o g r a p h i e a b - + +g e f a ß t . + +D e r v o r l i e g e n d e Band w u r d e b e a r b e i t e t von Roland Nietzold (Leiter), + +W o l f g a n g F o c k e und H a n n e s S k a m b r a k s . U n t e r s t ü t z u n g bei d e r T e x t b e - + +a r b e i t u n g + +leisteten Eike Kopf, Edgar K l a p p e r s t ü c k und Jutta H o s c h e k + +(alle Erfurt). W i s s e n s c h a f t l i c h - t e c h n i s c h e A r b e i t e n w u r d e n von Erika + +R e s c h a u s g e f ü h r t . + +D e r Band w u r d e s e i t e n s d e r R e d a k t i o n s k o m m i s s i o n b e t r e u t und b e - + +g u t a c h t e t von Rolf H e c k e r . G u t a c h t e r d e s Instituts für M a r x i s m u s - L e n i - + +n i s m u s b e i m ZK d e r KPdSU w a r e n Isora K a s m i n a , Larissa M i s k e w i t s c h + +und A l e x a n d e r T s c h e p u r e n k o . + +U n t e r s t ü t z u n g in S p e z i a l f r a g e n + +l e i s t e t e n B e r n h a r d H e n s c h e l , Hansul- + +rich L a b u s k e , J ü r g e n J u n g n i c k e l und Carl-Erich V o l l g r a f (alle Berlin). + +Die H e r a u s g e b e r d a n k e n allen w i s s e n s c h a f t l i c h e n E i n r i c h t u n g e n , die + +bei d e r V o r b e r e i t u n g d e s B a n d e s U n t e r s t ü t z u n g g e w ä h r t e n , d a r u n t e r + +n a m e n t l i c h d e r D e u t s c h e n S t a a t s b i b l i o t h e k Berlin, d e m I n t e r n a t i o n a l e n + +Institut für S o z i a l g e s c h i c h t e A m s t e r d a m und d e m K a r l - M a r x - H a u s T r i e r . + +40* + + D a s Kapital. + +Kritik d e r p o l i t i s c h e n Ö k o n o m i e . + +E r s t e r B a n d . +H a m b u r g 1890 + + ·. + +. + +. + +·. + +- + +. Das Kapital. + +Kritik der politischen Oekonomie. + +Von + +Karl Marx. + +Erster Band. · + +ßuQh ·I: Der Prodnktionsprocess des Knpitnls. + +Viert~, durchgesehene Auflage. + +Heransgegeben von Friedrich Engels. + +Da• llecht dor Uul.>c11>ctzuug wird v or h nhalt~u. + +Hamburg. + +V erlag von Otto 1\Ieissuer. + +1890. + + |III| Gewidmet + +m e i n e m u n v e r g e ß l i c h e n F r e u n d e , + +dem kühnen, treuen, edlen Vorkämpfer des Proletariats, + +Wilhelm Wolff. + +Geb. zu Tarnau, 2 1 . Juni 1809. +Gest. im Exil zu Manchester +9. Mai 1864.1 + + Vorwort zur ersten Auflage + +|V| Vorwort zur ersten Auflage. + +5 + +0 + +Das Werk, dessen ersten Band ich dem Publikum übergebe, bildet die Fort- +setzung meiner 1859 veröffentlichten Schrift: „Zur Kritik der politischen +Oekonomie". Die lange Pause zwischen Anfang und Fortsetzung ist einer +langjährigen Krankheit geschuldet, die meine Arbeit wieder und wieder +unterbrach. + +Der Inhalt jener früheren Schrift ist resümirt im ersten Kapitel dieses +Bandes. Es geschah dies nicht nur des Zusammenhangs und der Vollstän- +digkeit wegen. Die Darstellung ist verbessert. Soweit es der Sachverhalt +irgendwie erlaubte, sind viele früher nur angedeuteten Punkte hier weiter +entwickelt, während umgekehrt dort ausführlich Entwickeltes hier nur an- +gedeutet wird. Die Abschnitte über die Geschichte der Werth- und Geld- +theorie fallen jetzt natürlich ganz weg. Jedoch findet der Leser der früheren +Schrift in den Noten zum ersten Kapitel neue Quellen zur Geschichte j e - + +15 ner Theorie eröffnet. + +Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das Verständniß des +ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts, der die Analyse der Waare ent- +hält, wird daher die meiste Schwierigkeit machen. Was nun näher die Ana- +lyse der Werthsubstanz und der Werthgröße betrifft, so habe ich sie mög- +liehst popularisirt 1). Die Werthform, deren fertige Gestalt die Geldform, ist +sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat ||VI| der Menschengeist sie seit + +*) Es schien dieß um so nöthiger, als selbst der Abschnitt von F. Lassalle's Schrift gegen +Schulze-Delitzsch, worin er „die geistige Quintessenz" meiner Entwicklung über jene The- +mata zu geben erklärt, bedeutende Mißverständnisse enthält. En passant. Wenn F. Lassalle +die sämmtlichen allgemeinen theoretischen Sätze seiner ökonomischen Arbeiten, z.B. über +den historischen Charakter des Kapitals, über den Zusammenhang zwischen Produktionsver- +hältnissen und Produktionsweise u. s.w. u. s.w. fast wörtlich, bis auf die von mir geschaffene +Terminologie hinab, aus meinen Schriften entlehnt hat, und zwar ohne Quellenangabe, so +war dies Verfahren wohl durch Propagandarücksichten bestimmt. Ich spreche natürlich nicht +von seinen Detailausführungen und Nutzanwendungen, mit denen ich nichts zu thun habe. + +20 + +25 + +30 + +7 + + Vorwort zur ersten Auflage + +mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht, während andrer- +seits die Analyse viel inhaltsvollerer und komplicirterer Formen wenigstens +annähernd gelang. Warum? Weil der ausgebildete Körper leichter zu studi- +ren ist als die Körperzelle. Bei der Analyse der ökonomischen Formen +kann außerdem weder das Mikroskop dienen, noch chemische Reagentien. +Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen. Für die bürgerliche Gesellschaft +ist aber die Waarenform des Arbeitsprodukts oder die Werthform der +Waare die ökonomische Zellenform. Dem Ungebildeten scheint sich ihre +Analyse in bloßen Spitzfindigkeiten herumzutreiben. Es handelt sich dabei +in der That um Spitzfindigkeiten, aber nur so, wie es sich in der mikrologi- 10 +sehen Anatomie darum handelt. + +5 + +Mit Ausnahme des Abschnitts über die Werthform wird man daher dies +Buch nicht wegen Schwerverständlichkeit anklagen können. Ich unterstelle +natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen. + +Der Physiker beobachtet Naturprocesse entweder dort, wo sie in der prä- 15 + +gnantesten Form und von störenden Einflüssen mindest getrübt erschei- +nen, oder wo möglich, macht er Experimente unter Bedingungen, welche +den reinen Vorgang des Processes sichern. Was ich in diesem Werk zu er- +forschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entspre- +chenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse. Ihre klassische Stätte ist 20 +bis jetzt England. Dieß der Grund, warum es zur Hauptillustration meiner +theoretischen Entwicklung dient. Sollte jedoch der deutsche Leser pharisä- +isch die Achseln zucken über die Zustände der englischen Industrie- und +Ackerbauarbeiter, oder sich optimistisch dabei beruhigen, daß in Deutsch- +land die Sachen noch lange nicht so schlimm stehn, so muß ich ihm zuru- 25 +fen: De te fabula narratur! + +An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niedrigeren +Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den +Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich +um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Nothwendigkeit wirkenden 30 +und sich durchsetzenden Tendenzen. Das +| +IVIII Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zu- +kunft. + +industriell entwickeltere + +Aber abgesehn hiervon. Wo die kapitalistische Produktion völlig bei uns +eingebürgert ist, z . B . in den eigentlichen Fabriken, sind die Zustände viel 35 +schlechter als in England, weil das Gegengewicht der Fabrikgesetze fehlt. +In allen andren Sphären quält uns, gleich dem ganzen übrigen kontinenta- +len Westeuropa, nicht nur die Entwicklung der kapitalistischen Produk- +tion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung. Neben den modernen +Nothständen drückt uns eine ganze Reihe vererbter Nothstände, entsprin- 40 +gend aus der Fortvegetation alterthümlicher, überlebter Produktionsweisen + +8 + + Vorwort zur ersten Auflage + +mit ihrem Gefolg von zeitwidrigen gesellschaftlichen und politischen Ver- +hältnissen. Wir leiden nicht nur von den Lebenden, sondern auch von den +Todten. Le mort saisit le vif! + +5 + +Im Vergleich zur englischen ist die sociale Statistik Deutschlands und +des übrigen kontinentalen Westeuropa^ elend. Dennoch lüftet sie den +Schleier grade genug, um hinter demselben ein Medusenhaupt ahnen zu +lassen. Wir würden vor unsren eignen Zuständen erschrecken, wenn unsre +Regierungen und Parlamente, wie in England, periodische Untersuchungs- +kommissionen über die ökonomischen Verhältnisse bestallten, wenn diese +10 Kommissionen mit derselben Machtvollkommenheit, wie in England, zur +Erforschung der Wahrheit ausgerüstet würden, wenn es gelänge, zu diesem +Behuf ebenso sachverständige, unparteiische und rücksichtslose Männer +zu finden, wie die Fabrikinspektoren Englands sind, seine ärztlichen Be- +richterstatter über „Public Health" (Oeffentliche Gesundheit), seine Unter- +suchungskommissäre über die Exploitation der Weiber und Kinder, über +Wohnungs- und Nahrungszustände u. s. w. Perseus brauchte eine Nebel- +kappe zur Verfolgung von Ungeheuern. Wir ziehen die Nebelkappe tief +über Aug' und Ohr, um die Existenz der Ungeheuer wegleugnen zu kön- +nen. + +15 + +20 + +25 + +Man muß sich nicht darüber täuschen. Wie der amerikanische Unab- +hängigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts die Sturmglocke für die europäische +Mittelklasse läutete, so der amerika||VIII|nische Bürgerkrieg des 19. Jahr- +hunderts für die europäische Arbeiterklasse. In England ist der Umwäl- +zungsproceß mit Händen greifbar. Auf einem gewissen Höhepunkt muß er +auf den Kontinent rückschlagen. Dort wird er sich in brutaleren oder hu- +maneren Formen bewegen, je nach dem Entwicklungsgrad der Arbeiter- +klasse selbst. Von höheren Motiven abgesehn, gebietet also den jetzt herr- +schenden Klassen ihr eigenstes Interesse die Wegräumung aller gesetzlich +kontrolirbaren Hindernisse, welche die Entwicklung der Arbeiterklasse +30 hemmen. Ich habe deßwegen u. a. der Geschichte, dem Inhalt und den Re- +sultaten der englischen Fabrikgesetzgebung einen so ausführlichen Platz in +diesem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der andern ler- +nen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die +Spur gekommen ist, - und es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das +ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen - +kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen, noch weg- +dekretiren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern. + +35 + +Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten +von Kapitalist und Grundeigenthümer zeichne ich keineswegs in rosigem +40 Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Perso- +nifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassen- + +9 + + Vorwort zur ersten Auflage + +Verhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Stand- +punkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als +einen naturgeschichtlichen Proceß auffaßt, den Einzelnen verantwortlich +machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er social bleibt, so sehr er sich +auch subjektiv über sie erheben mag. + +5 + +A u f dem Gebiete der politischen Oekonomie begegnet die freie wissen- +schaftliche Forschung nicht nur demselben Feinde, wie auf allen anderen +Gebieten. Die eigenthümliche Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft +wider sie die heftigsten, kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der +menschlichen Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. 10 +Die englische Hochkirche z . B . verzeiht eher den Angriff auf 38 von ihren +39 Glaubensartikeln als auf % 9 ||IX| ihres Geldeinkommens. Heutzutage ist +der Atheismus selbst eine culpa levis, verglichen mit der Kritik überliefer- +ter Eigenthumsverhältnisse. Jedoch ist hier ein Fortschritt unverkennbar. +Ich verweise z . B . auf das in den letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: 15 +,,Correspondence with Her Majesty's Missions Abroad, regarding Industrial +Questions and Trade's Unions". Die auswärtigen Vertreter der englischen +Krone sprechen es hier mit dürren Worten aus, daß in Deutschland, Frank- +reich, kurz allen Kulturstaaten des europäischen Kontinents, eine Um- +wandlung der bestehenden Verhältnisse von Kapital und Arbeit ebenso 20 +fühlbar und ebenso unvermeidlich ist als in England. Gleichzeitig erklärte +jenseits des atlantischen Oceans Herr Wade, Vicepräsident der Vereinigten +Staaten von Nordamerika, in öffentlichen Meetings: Nach Beseitigung der +Sklaverei trete die Umwandlung der Kapital- und Grundeigenthumsver- +hältnisse auf die Tagesordnung! Es sind dies Zeichen der Zeit, die sich 25 +nicht verstecken lassen durch Purpurmäntel oder schwarze Kutten. Sie be- +deuten nicht, daß morgen Wunder geschehen werden. Sie zeigen, wie +selbst in den herrschenden Klassen die Ahnung aufdämmert, daß die jet- +zige Gesellschaft kein fester Krystall, sondern ein umwandlungsfähiger +und beständig im Proceß der Umwandlung begriffener Organismus ist. + +30 + +Der zweite Band dieser Schrift wird den Cirkulationsproceß des Kapitals +(Buch II) und die Gestaltungen des Gesammtprocesses (Buch I I I ) , der ab- +schließende dritte (Buch IV) die Geschichte der Theorie behandeln. + +Jedes Urtheil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen. Gegenüber +den Vorurtheilen der s.g. öffentlichen Meinung, der ich nie Koncessionen 35 +gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des großen Florenti- +ners: + +Segui il tuo corso, e lascia dir le genti! + +London, 25. JuIi 1867. + +10 + +K a r l M a r x . | + +40 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +|X| Zur zweiten Auflage. + +Die politische Oekonomie blieb in Deutschland bis zu dieser Stunde eine +ausländische Wissenschaft. Gustav von Gülich hat in „Geschichtliche Dar- +stellung des Handels, der Gewerbe u.s.w.", namentlich in den 1830 heraus- +5 gegebnen zwei ersten Bänden seines Werkes, großentheils schon die histo- +rischen Umstände erörtert, welche die Entwicklung der kapitalistischen +Produktionsweise bei uns hemmten, daher auch den Aufbau der modernen +bürgerlichen Gesellschaft. Es fehlte also der lebendige Boden der politi- +schen Oekonomie. Sie ward als fertige Waare importirt aus England und +10 Frankreich; ihre deutschen Professoren blieben Schüler. Der theoretische +Ausdruck einer fremden Wirklichkeit verwandelte sich unter ihrer Hand in +eine Dogmensammlung, von ihnen gedeutet im Sinn der sie umgebenden +kleinbürgerlichen Welt, also mißdeutet. Das nicht ganz unterdrückbare +Gefühl wissenschaftlicher Ohnmacht und das unheimliche Gewissen, auf +einem in der That fremdartigen Gebiet schulmeistern zu müssen, suchte +man zu verstecken unter dem Prunk literarhistorischer Gelehrsamkeit oder +durch Beimischung fremden Stoffes, entlehnt den sog. Kameralwissen- +schaften, einem Mischmasch von Kenntnissen, deren Fegfeuer der hoff- +nungslose Kandidat deutscher Bureaukratie zu bestehn hat. + +15 + +20 + +Seit 1848 hat sich die kapitalistische Produktion rasch in Deutschland +entwickelt und treibt heutzutage bereits ihre Schwindelblüthe. Aber unsren +Fachleuten blieb das Geschick gleich abhold. So lange sie politische Oeko- +nomie unbefangen treiben konnten, fehlten die modernen ökonomischen +Verhältnisse in der deutschen Wirklichkeit. Sobald diese Verhältnisse ins +25 Leben traten, geschah es unter Umständen, welche ihr unbefangenes Stu- +dium innerhalb des bürgerlichen Gesichtskreises nicht länger zulassen. So +weit sie bürgerlich ist, d. h. die kapitalistische Ordnung statt als geschicht- +lich vorübergehende Entwicklungsstufe, umgekehrt als absolute und letzte + +11 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +Gestalt der gesellschaftlichen Produktion auffaßt, kann die | | X I | politische +Oekonomie nur Wissenschaft bleiben, so lange der Klassenkampf latent +bleibt oder sich in nur vereinzelten Erscheinungen offenbart. + +Nehmen wir England. Seine klassische politische Oekonomie fallt in die +Periode des unentwickelten Klassenkampfs. Ihr letzter großer Repräsen- +tant, Ricardo, macht endlich bewußt den Gegensatz der Klasseninteressen, +des Arbeitslohns und des Profits, des Profits und der Grundrente, zum +Springpunkt seiner Forschungen, indem er diesen Gegensatz naiv als ge- +sellschaftliches Naturgesetz auffaßt. Damit war aber auch die bürgerliche +Wissenschaft der Oekonomie bei ihrer unüberschreitbaren Schranke ange- 10 +langt. Noch bei Lebzeiten Ricardo's und im Gegensatz zu ihm trat ihr in +der Person Sismondi's die Kritik gegenüber 1). + +5 + +Die nachfolgende Zeit von 1 8 2 0 - 3 0 zeichnet sich in England aus durch +wissenschaftliche Lebendigkeit auf dem Gebiet der politischen Oekono- +mie. Es war die Periode wie der Vulgarisirung und Ausbreitung der Ri- 15 +cardo'schen Theorie, so ihres Kampfes mit der alten Schule. Es wurden +glänzende Turniere gefeiert. Was damals geleistet worden, ist dem europä- +ischen Kontinent wenig bekannt, da die Polemik großentheils in Revuear- +tikeln, Gelegenheitsschriften und Pamphlets zerstreut ist. Der unbefangne +Charakter dieser Polemik - obgleich die Ricardo'sche Theorie ausnahms- 20 +weise auch schon als Angriffswaffe wider die bürgerliche Wirthschaft +dient - erklärt sich aus den Zeitumständen. Einerseits trat die große Indu- +strie selbst nur aus ihrem Kindheitsalter heraus, wie schon dadurch bewie- +sen ist; daß sie erst mit der Krise von 1825 den periodischen Kreislauf ihres +modernen Lebens eröffnet. Andrerseits blieb der Klassenkampf zwischen 25 +Kapital und Arbeit in den Hintergrund gedrängt, politisch durch den Zwist +zwischen den um die heilige Allianz geschaarten Regierungen und Feuda- +len und der von der Bourgeoisie geführten Volksmasse, ökonomisch durch +den Hader des industriellen Kapitals mit dem aristokratischen Grundei- +genthum, der sich in Frankreich hinter dem Gegensatz von Parcellenei- 30 +genthum und großen Grundbesitz ver||XII|barg, in England seit den Korn- +gesetzen offen ausbrach. Die Literatur der politischen Oekonomie in +England erinnert während dieser Periode an die ökonomische Sturm- und +Drangperiode in Frankreich nach Dr. Quesnay's Tod, aber nur wie ein Alt- +weibersommer an den Frühling erinnert. Mit dem Jahr 1830 trat die ein für 35 +allemal entscheidende Krise ein. + +Die Bourgeoisie hatte in Frankreich und England politische Macht er- +obert. Von da an gewann der Klassenkampf, praktisch und theoretisch, +mehr und mehr ausgesprochne und drohende Formen. Er läutete die Tod- + +l) Siehe meine Schrift: „Zur Kritik etc." p.39. + +12 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +5 + +tenglocke der wissenschaftlichen bürgerlichen Oekonomie. Es handelte +sich jetzt nicht mehr darum, ob dies oder jenes Theorem wahr sei, sondern +ob es dem Kapital nützlich oder schädlich, bequem oder unbequem, ob +polizeiwidrig oder nicht. An die Stelle uneigennütziger Forschung trat be- +zahlte Klopffechterei, an die Stelle unbefangner wissenschaftlicher Unter- +suchung, das böse Gewissen und die schlechte Absicht der Apologetik. In- +deß selbst die zudringlichen Traktätchen, welche die Anti-Cornlawleague, +mit den Fabrikanten Cobden und Bright an der Spitze, in die Welt schleu- +derte, boten, wenn kein wissenschaftliches, doch ein historisches Interesse +10 durch ihre Polemik gegen die grundeigenthümliche Aristokratie. Auch die- +sen letzten Stachel zog die Freihandelsgesetzgebung seit Sir Robert Peel +der Vulgärökonomie aus. + +15 + +Die kontinentale Revolution von 1848 schlug auch auf England zurück. +Männer, die noch wissenschaftliche Bedeutung beanspruchten, und mehr +sein wollten als bloße Sophisten und Sykophanten der herrschenden Klas- +sen, suchten die politische Oekonomie des Kapitals in Einklang zu setzen +mit den jetzt nicht länger zu ignorirenden Ansprüchen des Proletariats. +Daher ein geistloser Synkretismus, wie ihn John Stuart Mill am besten re- +präsentirt. Es ist eine Bankerotterklärung der „bürgerlichen" Oekonomie, +20 welche der große russische Gelehrte und Kritiker N. Tschernyschewsky in +seinem Werk „Umrisse der politischen Oekonomie nach Mill", bereits mei- +sterhaft beleuchtet hat. + +In Deutschland kam also die kapitalistische Produktionsweise zur Reife, +nachdem ihr antagonistischer Charakter sich in ||XIII| Frankreich und +25 England schon durch geschichtliche Kämpfe geräuschvoll offenbart hatte, +während das deutsche Proletariat bereits ein viel entschiedneres theoreti- +sches Klassenbewußtsein besaß als die deutsche Bourgeoisie. Sobald eine +bürgerliche Wissenschaft der politischen Oekonomie hier möglich zu wer- +den schien, war sie daher wieder unmöglich geworden. + +30 + +35 + +Unter diesen Umständen theilten sich ihre Wortführer in zwei Reihen. +Die einen, kluge, erwerbslustige, praktische Leute, schaarten sich um die +Fahne Bastiat's, des flachsten und daher gelungensten Vertreters vulgär- +ökonomischer Apologetik; die andren, stolz auf die Professoralwürde ihrer +Wissenschaft, folgten J. St. Mill in dem Versuch Unversöhnbares zu ver- +söhnen. Wie zur klassischen Zeit der bürgerlichen Oekonomie blieben die +Deutschen auch zur Zeit ihres Verfalls bloße Schüler, Nachbeter und +Nachtreter, Kleinhausirer des ausländischen Großgeschäfts. + +Die eigenthümliche historische Entwicklung der deutschen Gesellschaft +schloß hier also jede originelle Fortbildung der „bürgerlichen" Oekonomie +aus, aber nicht deren - Kritik. Soweit solche Kritik überhaupt eine Klasse +vertritt, kann sie nur die Klasse vertreten, deren geschichtlicher Beruf die + +40 + +13 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schließliche +Abschaffung der Klassen ist - das Proletariat. + +Die gelehrten und ungelehrten Wortführer der deutschen Bourgeoisie +haben „Das Kapital" zunächst todtzuschweigen versucht, wie ihnen das +mit meinen frühern Schriften gelungen war. Sobald diese Taktik nicht län- +ger den Zeitverhältnissen entsprach, schrieben sie, unter dem Vorwand, +mein Buch zu kritisiren, Anweise „Zur Beruhigung des bürgerlichen B e - +wußtseins", fanden aber in der Arbeiterpresse - sieh z.B. Joseph Dietz- +gen's Aufsätze im Volksstaat - überlegene Kämpen, denen sie die Antwort +bis heute schuldig. 1) | + +5 + +10 + +|XIV| Eine treffliche russische Uebersetzung des „Kapital" erschien im +Frühling 1872 zu Petersburg. Die Auflage von 3000 Exemplaren ist jetzt +schon beinahe vergriffen. Bereits 1871 hatte Herr N. Sieber (3ΗΒΕΡΊ>) Profes- +sor der politischen Oekonomie an der Universität zu Kiew, in seiner +Schrift: „TEOPDI ^ H H O C T H H KAÜHTAJIA JI, ΡΗΚΑΡΑΟ" („D.Ricardo's Theorie des 15 +Werths und des Kapitals etc.") meine Theorie des Werths, des Geldes und +des Kapitals in ihren Grundzügen als nothwendige Fortbildung der Smith- +Ricardo'schen Lehre nachgewiesen. Was den Westeuropäer beim Lesen +seines gediegnen Buchs überrascht, ist das konsequente Festhalten des rein +theoretischen Standpunkts. + +20 + +Die im „Kapital" angewandte Methode ist wenig verstanden worden, wie + +schon die einander widersprechenden Auffassungen derselben beweisen. + +So wirft mir die Pariser Revue Positiviste vor, einerseits, ich behandle +die Oekonomie metaphysisch, andrerseits - man rathe! -, ich beschränke +mich auf bloß kritische Zergliederung des Gegebnen, statt Recepte (comti- 25 +stische?) für die Garküche der Zukunft zu verschreiben. Gegen den Vor- +wurf der Metaphysik bemerkt Prof. Sieber: „So weit es sich um die eigent- +liche Theorie handelt, ist die Methode von Marx die deduktive Methode +der ganzen englischen Schule, deren Mängel und Vorzüge den besten theo- +retischen Oekonomisten gemein sind." Herr M. Block - ,,Les Théoriciens 30 + +Die breimäuligen Faselhänse der deutschen Vulgärökonomie schelten Styl und Darstel- +lung meiner Schrift. Niemand kann die literarischen Mängel des „Kapital" strenger beurthei- +len als ich selbst. Dennoch will ich, zu Nutz und Freud dieser Herren und ihres Publikums, +hier ein englisches und ein russisches Urtheil citiren. Die meinen Ansichten durchaus feindli- +che Saturday Review sagte in ihrer Anzeige der ersten deutschen Ausgabe: Die Darstellung 35 +„verleiht auch den trockensten ökonomischen Fragen einen eignen Reiz (charm)". Die C-IL- +BtflOMOCTH (St. Petersburger Zeitung) bemerkt in ihrer Nummer vom 20. April 1872 u. a.: +„Die Darstellung mit Ausnahme weniger zu specieller Theile zeichnet sich aus durch Allge- +meinverständlichkeit, Klarheit und, trotz der wissenschaftlichen Höhe des Gegenstands, un- +gewöhnliche Lebendigkeit. In dieser Hinsicht gleicht der Verfasser ... auch nicht von fern der 40 +Mehrzahl deutscher Gelehrten, die ... ihre Bücher in so verfinsterter und trockner Sprache +schreiben, daß gewöhnlichen Sterblichen der Kopf davon kracht." Den Lesern der zeitläufigen +deutsch-nationalliberalen Professoralliteratur kracht jedoch etwas ganz andres als der Kopf. + +14 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +du Socialisme en Allemagne. Extrait du Journal des Économistes, juillet et +août 1872" - entdeckt, daß meine Methode analytisch ist und sagt u. a.: +«Par cet ouvrage M. Marx se classe parmi les esprits analytiques les plus +éminents.» Die deutschen Recen||XV|senten schreien natürlich über He- +5 gel'sche Sophistik. Der Petersburger BI>CTHHKI> Ε Β Ρ Ο Π Η (europäischer Bote), +in einem Artikel, der ausschließlich die Methode des „Kapital" behandelt +(Mainummer 1872, p. 4 2 7 - 3 6 ) , findet meine Forschungsmethode streng +realistisch, die Darstellungsmethode aber unglücklicher Weise deutsch- +dialektisch. Er sagt: „Auf den ersten Blick, wenn man nach der äußern +10 Form der Darstellung urtheilt, ist Marx der größte Idealphilosoph und zwar +im deutschen, d.h. schlechten Sinn des Wortes. In der That aber ist er un- +endlich mehr Realist als alle seine Vorgänger im Geschäft der ökonomi- +schen Kritik ... Man kann ihn in keiner Weise einen Idealisten nennen." +Ich kann dem Herrn Verfasser nicht besser antworten, als durch einige +15 Auszüge aus seiner eignen Kritik, die zudem manchen meiner Leser, dem + +das russische Original unzugänglich ist, interessiren mögen. + +Nach einem Citat aus meiner Vorrede zur „Kritik der Pol. Oek." Berlin +1859, p. I V - V I I , wo ich die materialistische Grundlage meiner Methode +erörtert habe, fährt der Herr Verfasser fort: + +25 + +20 + +„Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, +mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Ge- +setz wichtig, das sie beherrscht, so weit sie eine fertige Form haben und in +einem Zusammenhang stehn, wie er in einer gegebnen Zeitperiode beob- +achtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Verände- +rung, ihrer Entwicklung, d. h. der Uebergang aus einer Form in die andre, +aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andre. Sobald er einmal +dieß Gesetz entdeckt hat, untersucht er im Detail die Folgen, worin es sich +im gesellschaftlichen Leben kundgibt .... Demzufolge bemüht sich Marx +nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Nothwen- +30 digkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzu- +weisen und soviel als möglich untadelhaft die Thatsachen zu konstatiren, +die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist vollständig hin- +reichend, wenn er mit der Nothwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zu- +gleich die Nothwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die er- +ste unvermeidlich Übergehn muß, ganz gleichgültig, ob +||XVI| die +Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewußt oder +nicht bewußt sind. Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als +einen naturgeschichtlichen Proceß, den Gesetze lenken, die nicht nur von +dem Willen, dem Bewußtsein und der Absicht der Menschen unabhängig +sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewußtsein und Absich- +ten bestimmen .... Wenn daß bewußte Element in der Kulturgeschichte + +35 + +40 + +15 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +5 + +eine so untergeordnete Rolle spielt, dann verstellt es sich von selbst, daß +die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgend etwas +andres, irgend eine Form oder irgend ein Resultat des Bewußtseins zur +Grundlage haben kann. Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere +Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich be- +schränken auf die Vergleichung und Konfrontirung einer Thatsache, nicht +mit der Idee, sondern mit der andren Thatsache. Für sie ist es nur wichtig, +daß beide Thatsachen möglichst genau untersucht werden und wirklich die +eine gegenüber der andren verschiedne Entwicklungsmomente bilden, vor +allem aber wichtig, daß nicht minder genau die Serie der Ordnungen er- 10 +forscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die Entwick- +lungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze +des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob +man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das läugnet +Marx. Nach ihm existiren solche abstrakte Gesetze nicht ... Nach seiner 15 +Meinung besitzt im Gegentheil jede historische Periode ihre eignen Ge- +setze ... Sobald das Leben eine gegebene Entwicklungsperiode überlebt +hat, aus einem gegebnen Stadium in ein andres übertritt, beginnt es auch +durch andre Gesetze gelenkt zu werden. Mit einem Wort das ökonomische +Leben bietet uns eine der Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der 20 +Biologie analoge Erscheinung. ... Die alten Oekonomen verkannten die +Natur ökonomischer Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Phy- +sik und Chemie verglichen ... Eine tiefere Analyse der Erscheinungen be- +wies, daß sociale Organismen sich von einander ebenso gründlich unter- +scheiden als Pflanzen- und Thierorganismen ... Ja, eine und dieselbe 25 +Erscheinung unterliegt ||XVII| ganz und gar verschiednen Gesetzen in +Folge des verschiednen Gesammtbaus jener Organismen, der Abweichung +ihrer einzelnen Organe, des Unterschieds der Bedingungen worin sie funk- +tioniren u.s.w. Marx läugnet z.B., daß das Bevölkerungsgesetz dasselbe ist +zu allen Zeiten und an allen Orten. Er versichert im Gegentheil, daß jede 30 +Entwicklungsstufe ihr eignes Bevölkerungsgesetz hat ... Mit der verschied- +nen Entwicklung der Produktivkraft ändern sich die Verhältnisse und die +sie regelnden Gesetze. Indem sich Marx das Ziel stellt, von diesem Ge- +sichtspunkt aus die kapitalistische Wirthschaftsordnung zu erforschen und +zu erklären, formulirt er nur streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede 35 +genaue Untersuchung des ökonomischen Lebens haben muß ... Der wis- +senschaftliche Werth solcher Forschung liegt in der Aufklärung der be- +sondren Gesetze welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines ge- +gebenen gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen +andren, höheren regeln. Und diesen Werth hat in der That das Buch von 40 +Marx." + +16 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so +treffend, und soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht +kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die dia- +lektische Methode? + +5 + +10 + +15 + +Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungs- +weise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueig- +nen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysiren und deren inn- +res Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die +wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dieß und +spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wieder, so mag es aussehn, als +habe man es mit einer Konstruktion a priori zu thun. + +Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der He- +gel'schen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegentheil. Für He- +gel ist der Denkproceß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selb- +ständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine +äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres +als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. | + +IXVIIII Die mystifîcirende Seite der Hegel'schen Dialektik habe ich vor +beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisirt, wo sie noch Tagesmode war. Aber +20 grade als ich den ersten Band des „Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das +verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonenthum, welches jetzt +im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behan- +deln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessing's Zeit den Spinoza be- +handelt hat, nämlich als „todten Hund". Ich bekannte mich daher offen als +25 Schüler jenes großen Denkers, und kokettirte sogar hier und da im Kapitel +über die Werththeorie mit der ihm eigenthümlichen Ausdrucksweise. Die +Mystifikation, welche die Dialektik in Hegel's Händen erleidet, verhindert +in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in um- +fassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem +30 Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen + +Hülle zu entdecken. + +In ihrer mystificirten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie +das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem +Bürgerthum und seinen doktrinären Wortführern ein Aergerniß und ein +35 Greuel, weil sie in dem positiven Verständniß des Bestehenden zugleich +auch das Verständniß seiner Negation, seines nothwendigen Untergangs +einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach +ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponiren läßt, ihrem +Wesen nach kritisch und revolutionär ist. + +40 + +Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht +sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechsel- + +17 + + Nachwort zur zweiten Auflage + +fallen des periodischen Cyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und +deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, ob- +gleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit +ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspil- +zen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpau- +ken. + +5 + +London, 24. Januar 1873. + +K a r l M a r x . I + +18 + + Vorwort zur dritten Auflage + +| X I X | Zur dritten Auflage. + +Es war Marx nicht vergönnt, diese dritte Auflage selbst druckfertig zu ma- +chen. Der gewaltige Denker, vor dessen Größe sich jetzt auch die Gegner +neigen, starb am 14. März 1883. + +5 + +Auf mich, der ich in ihm den vierzigjährigen, besten, unverbrüchlichsten +Freund verlor, den Freund, dem ich mehr verdanke als sich mit Worten sa- +gen läßt, auf mich fiel nun die Pflicht, die Herausgabe sowohl dieser drit- +ten Auflage wie des handschriftlich hinterlassenen zweiten Bandes zu be- +sorgen. Wie ich den ersten Teil dieser Pflicht erfüllt, darüber bin ich dem + +10 Leser hier Rechenschaft schuldig. + +Marx hatte Anfangs vor, den Text des ersten Bandes großentheils umzu- +arbeiten, manche theoretischen Punkte schärfer zu fassen, neue einzufü- +gen, das geschichtliche und statistische Material bis auf die neueste Zeit +zu ergänzen. Sein Krankheitszustand und der Drang, zur Schlußredaktion +15 des zweiten Bandes zu kommen, ließen ihn hierauf verzichten. Nur das +Nöthigste sollte geändert, nur die Zusätze eingefügt werden, die die inzwi- +schen erschienene französische Ausgabe (Le Capital. Par Karl Marx. Paris, +Lachâtre 1873) schon enthielt. + +20 + +Im Nachlaß fand sich denn auch ein deutsches Exemplar, das von ihm +stellenweise korrigirt und mit Hinweisen auf die französische Ausgabe ver- +sehen war; ebenso ein französisches, worin er die zu benutzenden Stellen +genau bezeichnet hatte. Diese Aenderungen und Zusätze beschränken +sich, mit wenigen Ausnahmen, auf den letzten Theil des Buchs, den Ab- +schnitt: der Akkumulationsproceß des Kapitals. Hier folgte der bisherige +25 Text mehr als sonst dem ursprünglichen Entwurf, während die früheren +Abschnitte gründlicher überarbeitet waren. Der Styl war daher lebendiger, +mehr aus einem Guß, aber auch nachlässiger, mit Anglicismen versetzt, +stellenweise undeutlich; der Entwicklungsgang bot hier und da Lücken, in- +dem einzelne wichtige Momente nur angedeutet waren. + +19 + + Vorwort zur dritten Auflage + +| +Was den Styl betrifft, so hatte Marx mehrere Unterabschnitte +| X X | selbst gründlich revidirt und mir darin, sowie in häufigen mündlichen +Andeutungen, das Maß gegeben, wie weit ich gehn durfte in der Entfer- +nung englischer technischer Ausdrücke und sonstiger Anglicismen. Die +Zusätze und Ergänzungen hätte Marx jedenfalls noch überarbeitet und das +glatte Französisch durch sein eignes gedrungenes Deutsch ersetzt; ich +mußte mich begnügen, sie unter möglichstem Anschluß an den ursprüngli- +chen Text zu übertragen. + +5 + +Es ist also in dieser dritten Auflage kein Wort geändert, von dem ich +nicht bestimmt weiß, daß der Verfasser selbst es geändert hätte. Es konnte 10 +mir nicht in den Sinn kommen, in das „Kapital" den landläufigen Jargon +einzuführen, in welchem deutsche Oekonomen sich auszudrücken pflegen, +jenes Kauderwälsch, worin z . B . derjenige, der sich für baare Zahlung von +Andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer +derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Fran- 15 +zösischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von „Beschäfti- +gung" gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Oekonomen +für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Ar- +beiter receveur de travail nennen wollte. + +Ebensowenig habe ich mir erlaubt, das im Text durchweg gebrauchte 20 + +englische Geld, Maß und Gewicht auf seine neudeutschen Aequivalente +zu reduziren. Als die erste Auflage erschien, gab es in Deutschland so viel +Arten von Maß und Gewicht wie Tage im Jahr, dazu zweierlei Mark, (die +Reichsmark galt damals nur im Kopf Soetbeers, der sie Ende der 30ger +Jahre erfunden) zweierlei Gulden und mindestens dreierlei Thaler, darun- 25 +ter einer, dessen Einheit das „neue Zweidrittel" war. In der Naturwissen- +schaft herrschte metrisches, auf dem Weltmarkt englisches Maß und Ge- +wicht. Unter solchen Umständen waren englische Maßeinheiten selbstver- +ständlich für ein Buch, das seine thatsächlichen Belege fast ausschließlich +aus englischen industriellen Verhältnissen zu nehmen genöthigt war. Und 30 +dieser letzte Grund bleibt auch noch heute entscheidend, um so mehr als +die bezüglichen Verhältnisse auf dem Weltmarkt sich kaum geändert ha- +ben, und namentlich für die ausschlaggebenden Industrien | | X X I | - Eisen +und Baumwolle - englisches Maß und Gewicht noch heute fast ausschließ- +lich herrscht. + +35 + +Schließlich noch ein Wort über Marx' wenig verstandne Art zu citiren. +Bei rein thatsächlichen Angaben und Schilderungen dienen die Citate, +z . B . aus den englischen Blaubüchern, selbstredend als einfache Belegstel- +len. Anders aber da, wo theoretische Ansichten andrer Oekonomen citirt +werden. Hier soll das Citat nur feststellen, wo, wann, und von wem ein, im 40 +Lauf der Entwicklung sich ergebender ökonomischer Gedanke zuerst klar + +20 + + Vorwort zur dritten Auflage + +5 + +ausgesprochen ist. Wobei es nur darauf ankommt, daß die fragliche ökono- +mische Vorstellung für die Geschichte der Wissenschaft Bedeutung hat, +daß sie der mehr oder weniger adäquate theoretische Ausdruck der ökono- +mischen Lage ihrer Zeit ist. Ob aber diese Vorstellung für den Standpunkt +des Verfassers noch absolute oder relative Geltung hat, oder ob sie bereits +ganz der Geschichte verfallen, darauf kommt es ganz und gar nicht an. +Diese Citate bilden also nur einen, der Geschichte der ökonomischen Wis- +senschaft entlehnten, laufenden Kommentar zum Text, und stellen die ein- +zelnen wichtigeren Fortschritte der ökonomischen Theorie nach Datum +10 und Urheber fest. Und das war sehr nöthig in einer Wissenschaft, deren +Geschichtschreiber bisher nur durch tendenziöse, fast streberhafte Unwis- +senheit sich auszeichnen. - Man wird es nun auch begreiflich finden, wes- +halb Marx, im Einklang mit dem Vorwort zur zweiten Ausgabe, nur ganz +ausnahmsweis deutsche Oekonomen anzuführen in den Fall kommt. + +15 + +Der zweite Band wird hoffentlich im Laufe des Jahres 1884 erscheinen + +können. + +London, 7.Novbr. 1883. + +F r i e d r i c h E n g e l s . | + +21 + + Vorwort zur vierten Auflage + +|XXII| Zur vierten Auflage. + +Die vierte Auflage forderte von mir eine möglichst endgültige Feststellung +des Textes sowohl wie der Anmerkungen. Wie ich dieser Anforderung +nachgekommen, darüber kurz Folgendes. + +Nach nochmaliger Vergleichung der französischen Ausgabe und der +handschriftlichen Notizen von Marx habe ich aus jener noch einige Zu- +sätze in den deutschen Text aufgenommen. Sie finden sich auf S.80 (dritte +Auflage S. 88), S. 4 5 8 - 6 0 (dritte, S. 5 0 9 - 1 0 ) , S. 5 4 7 - 5 1 (dritte, S. 600)), +S. 5 9 1 - 9 3 (dritte, S.644) und S . 5 9 6 (dritte, S.648) in der Note 79. Ebenso +habe ich nach Vorgang der französischen und englischen Ausgabe die +lange Anmerkung über die Bergwerksarbeiter (dritte Aufl. S. 5 0 9 - 5 1 5 ) in +den Text gesetzt (vierte Aufl. S . 4 6 1 - 6 7 ) . Sonstige kleine Änderungen sind +rein technischer Natur. + +Ferner habe ich noch einige erläuternde Zusatznoten gemacht, nament- +lich da, wo veränderte geschichtliche Umstände dieß zu erfordern schie- +nen. Alle diese Zusatznoten sind in eckige Klammern gesetzt und mit mei- +nen Anfangsbuchstaben oder mit „D. H." bezeichnet. + +Eine vollständige Revision der zahlreichen Citate war nothwendig ge- +worden durch die inzwischen erschienene englische Ausgabe. Für diese +hatte Marx' jüngste Tochter Eleanor sich der Mühe unterzogen, sämmtli- +che angeführte Stellen mit den Originalen zu vergleichen, sodaß in den, +bei weitem vorwiegenden, Citaten aus englischen Quellen dort keine Rück- +übersetzung aus dem Deutschen, sondern der englische Originaltext selbst +erscheint. Es lag mir also ob, diesen Text bei der vierten Auflage zu Rathe +zu ziehn. Es fanden sich dabei mancherlei kleine Ungenauigkeiten. Hin- +weise auf unrichtige Seitenzahlen, theils beim Kopiren aus den Heften ver- +schrieben, theils im Verlauf von drei Auflagen gehäufte Druckfehler. Un- +richtig gesetzte Anführungszeichen oder Lückenpunkte, wie dies bei +massenhaftem Citiren aus Auszugsheften unvermeidlich. Hier und da ein + +22 + + Vorwort zur vierten Auflage + +5 + +weniger glücklich gewähltes Übersetzungswort. Einzelne Stellen citirt aus +den alten Pariser Heften 1 8 4 3 - 4 5 , wo Marx noch kein Englisch verstand, +und englische Oekonomen in französischer Uebersetzung | | X X I I I | las; wo +denn der doppelten Uebersetzung eine leichte Aenderung der Klangfarbe +entsprach, z.B. bei Steuart, Ure u. A. — wo jetzt der englische Text zu be- +nutzen war. Und was dergleichen kleine Ungenauigkeiten und Nachlässig- +keiten mehr sind. Wenn man nun die vierte Auflage mit den vorigen ver- +gleicht, so wird man sich überzeugen, daß dieser ganze mühsame +Berichtigungsprozeß an dem Buch aber auch nicht das Geringste geändert +10 hat, das der Rede werth ist. Nur ein einziges Citat hat nicht gefunden wer- +den können, das aus Richard Jones (4. Aufl. S.562, Note 47); Marx hat sich +wahrscheinlich im Titel des Buches verschrieben. Alle andern behalten +ihre volle Beweiskraft oder verstärken sie in der jetzigen exakten Form. + +Hier aber bin ich genöthigt, auf eine alte Geschichte zurückzukom- + +15 men. + +Es ist mir nämlich nur ein Fall bekannt, wo die Richtigkeit eines +Marx'schen Citats in Zweifel gezogen worden. Da dieser aber bis über +Marx' Tod hinausgespielt hat, kann ich ihn hier nicht gut Übergehn. + +In der Berliner ,,Concordia", dem Organ des deutschen Fabrikantenbun- +20 des, erschien am 7. März 1872 ein anonymer Artikel: „Wie Karl Marx ci- +tirt". Hier wurde mit überreichlichem Aufwand von sittlicher Entrüstung +und von unparlamentarischen Ausdrücken behauptet, das Citat aus Glad- +stone's Budgetrede vom 16. April 1863 (in der Inauguraladresse der Inter- +nationalen Arbeiterassociation von 1864, und wiederholt im „Kapital", I, +25 S. 617, vierte Aufl., Seite 671, dritte Aufl.) sei gefälscht. Der Satz: „Diese +berauschende Vermehrung von Reichthum und Macht ... ist ganz und gar +auf die besitzenden Klassen beschränkt", stehe mit keinem Wort im (qua- +siofficiellen) stenographischen Bericht von Hansard. „Dieser Satz befindet +sich aber nirgends in der Gladstone'schen Rede. Gerade das Gegentheil ist +in derselben gesagt. (Mit fetter Schrift) Marx hat den Satz formell und +materiell hinzugelogen!" + +30 + +35 + +Marx, dem diese No. der Concordia im folgenden Mai zugesandt wurde, +antwortete dem Anonymus im „Volksstaat" vom 1. Juni. Da er sich nicht +mehr erinnerte, nach welchem Zeitungsreferat er citirte, beschränkte er +sich darauf, das gleichlautende Citat zunächst in zwei englischen Schriften +nachzuweisen, und sodann das Referat der Times zu citiren, wonach Glad- +stone sagt: "That is the state of the case as regards the wealth of this coun- +try. I must say for one, I should look | | X X I V | almost with apprehension and +with pain upon this intoxicating augmentation of wealth and power, if it +40 were my belief that it was confined to classes who are in easy circum- +stances. This takes no cognizance at all of the condition of the labouring + +23 + + Vorwort zur vierten Auflage + +population. The augmentation I have described and which is founded, I +think, upon accurate returns, is an augmentation entirely confined to +classes of property." + +Also Gladstone sagt hier, es würde ihm leid thun, wenn dem so wäre, +aber es sei so: Diese berauschende Vermehrung von Macht und Reichthum +sei ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschränkt. Und was den +quasiofficiellen Hansard betrifft, so sagt Marx weiter: „In seiner hier nach- +träglich zurechtgestümperten Ausgabe war Herr Gladstone so gescheidt, +die im Munde eines englischen Schatzkanzlers allerdings compromittirli- +che Stelle wegzupfuschen. Es ist dieß übrigens herkömmlicher englischer 10 +Parlamentsbrauch, und keineswegs eine Erfindung des Laskerchen contra +Bebel." + +5 + +Der Anonymus wird immer erboster. Die Quellen zweiter Hand in seiner +Antwort, Concordia 4. Juli, bei Seite schiebend, deutet er schamhaft an, es +sei „Sitte", Parlamentsreden nach dem stenographischen Bericht zu citi- 15 +ren; aber auch der Bericht der Times (worin der „hinzugelogene" Satz +steht) und der von Hansard (worin er fehlt) „stimmen materiell völlig über- +ein", und ebenso enthalte der Timesbericht „das direkte Gegentheil jener +berüchtigten Stelle der Inauguraladresse", wobei der Mann sorgsam ver- +schweigt, daß er neben diesem angeblichen „Gegentheil" gerade J e n e be- 20 +rüchtigte Stelle" ausdrücklich enthält! Trotz alledem fühlt der Anonymus, +daß er festsitzt, und daß nur ein neuer Winkelzug ihn retten kann. Wäh- +rend er also seinen, wie so eben nachgewiesen, von „frecher Verlogenheit" +strotzenden Artikel mit erbaulichen Schimpfereien spickt, als da sind: +„mala fides", „Unehrlichkeit", „lügenhafte Angabe", J e n e s lügenhafte Ci- 25 +tat", „freche Verlogenheit", „ein Citat, das völlig gefälscht war", „diese Fäl- +schung", „einfach infam", u. s. w. findet er es für nöthig, die Streitfrage +auf ein andres Gebiet überzuspielen, und verspricht daher „in einem zwei- +ten Artikel auseinanderzusetzen, welche Bedeutung wir (der nicht „lü- +genhafte" Anonymus) dem Inhalt dem Oladstone'schen Worte beilegen". 30 +Als ob diese seine unmaßgebliche Meinung das Geringste mit der Sache +zu thun habe! Dieser zweite Artikel steht in der Concordia vom 11. Juli. | + +| X X V | Marx antwortete noch einmal im „Volksstaat" vom 7. August, in- +dem er nun auch die Referate der betreffenden Stelle aus dem Morning +Star und dem Morning Advertiser vom 17. April 1863 brachte. Nach beiden 35 +sagt Gladstone, er würde mit Besorgniß u.s.w. auf diese berauschende Ver- +mehrung von Reichthum und Macht blicken, wenn er sie auf die wirklich +wohlhabenden Klassen (classes in easy circumstances) beschränkt glaubte. +Aber diese Vermehrung sei beschränkt auf Klassen, die Eigenthum besit- +zen (entirely confined to classes possessed of property). Also auch diese 40 +Referate bringen den angeblich „hinzugelogenen" Satz wörtlich. Ferner + +24 + + Vorwort zur vierten Auflage + +stellte er nochmals fest, durch Vergleichung der Texte der Times und Han- +sard's, daß der, durch drei am nächsten Morgen erschienene, von einander +unabhängige, gleichlautende Zeitungsreferate als wirklich gesprochen kon- +statirte Satz in dem nach bekannter „Sitte" durchgesehenen Referat von +5 Hansard fehlt, daß Gladstone ihn, in Marx' Worten „nachträglich wegsti- +pitzt hat", und erklärt schließlich, er habe keine Zeit mit dem Anonymus +weiter zu verkehren. Dieser scheint auch genug gehabt zu haben, wenig- +stens erhielt Marx keine ferneren Nummern der +,,Concordia" zuge- +schickt. + +10 + +Damit schien die Sache todt und begraben. Allerdings kamen uns seit- +dem ein oder zweimal von Leuten, die mit der Universität Cambridge in +Verkehr standen, geheimnißvolle Gerüchte zu über ein unsagbares literari- +sches Verbrechen, das Marx im „Kapital" begangen haben sollte; aber trotz +aller Nachforschungen war absolut nichts Bestimmteres zu erfahren. Da, +15 am 29. November 1883, acht Monate nach Marx' Tod, erschien in der +„Times" ein Brief, datirt Trinity College, Cambridge, und unterzeichnet +Sedley Taylor, worin bei einer vom Zaun gebrochnen Gelegenheit dies in +zahmster Genossenschafterei machende Männlein uns endlich Aufklärung +verschaffte, nicht nur über die Munkeleien von Cambridge, sondern auch + +20 über den Anonymus der ,,Concordia". + +„Was äußerst sonderbar erscheint", sagt das Männlein von Trinity Col- +lege, „ist, daß es dem Professor Brentano (damals in Breslau, jetzt in Straß- +burg) vorbehalten war ... die mala fides zu enthüllen, welche augenschein- +lich das Citat aus Gladstones Rede in der (Inaugural) Adresse diktirt hatte. +25 Herr Karl Marx, der ... das Citat zu vertheidigen suchte, hatte die Verwe- +genheit, in den Todeswindungen (deadly shifts) | | X X V I | auf die Brentano's +meisterhaft geführte Angriffe ihn schleunigst herunter brachten, zu be- +haupten, Herr Gladstone habe den Bericht seiner Rede in der Times vom +17. April 1863 zurechtgestümpert ehe er in Hansard erschien, um eine +30 Stelle wegzupfuschen, die allerdings für einen englischen Schatzkanzler +compromittirlich sei. Als Brentano, durch eine ins Einzelne gehende Text- +vergleichung, bewies, daß die Berichte der „Times" und von Hansard über- +einstimmten in absolutem Ausschluß des Sinnes, den pfìffìg-isolirte Citi- +rung den Gladstone'schen Worten untergeschoben hatte, da zog Marx sich +zurück unter dem Vorwand des Zeitmangels!" + +35 + +Das also war des Pudels Kern! Und so glorios reflektirte sich in der pro- +duktivgenossenschaftlichen Phantasie von Cambridge die anonyme Cam- +pagne Herrn Brentano's in der ,,Concordia"! So lag er, und so führt' er +seine Klinge, in „meisterhaft geführtem Angriff, dieser Sankt Georg des +deutschen Fabrikantenbundes, während der Höllendrache Marx zu seinen +Füßen „schleunigst in Todeswindungen" verröchelt! + +40 + +25 + + Vorwort zur vierten Auflage + +Jedennoch dient diese ganze ariostische Kampfschilderung nur dazu, +die Winkelzüge unsres Sankt Georg zu verdecken. Hier ist schon nicht +mehr die Rede von „Hinzulügen", von „Fälschung", sondern von „pfiffig +isolirter Citirung" (craftily isolated quotation). Die ganze Frage war ver- +schoben, und Sankt Georg und sein Cambridger Schildknappe wußten sehr +genau weshalb. + +5 + +Eleanor Marx antwortete, da die „Times" die Aufnahme verweigerte, in +der Monatsschrift „To-Day", Februar 1884, indem sie die Debatte auf den +einzigen Punkt zurückführte, um welchen es sich gehandelt hatte: Hat +Marx jenen Satz „hinzugelogen" oder nicht? Darauf erwidert Herr Sedley 10 +Taylor: „die Frage, ob ein gewisser Satz in Herrn Gladstone's Rede vorge- +kommen sei oder nicht", sei nach seiner Ansicht „von sehr untergeordneter +Bedeutung gewesen", im Streit zwischen Marx und Brentano, „verglichen +mit der Frage, ob das Citat gemacht worden sei in der Absicht, Gladstone's +Sinn wiederzugeben oder zu entstellen". Und dann giebt er zu, daß der 15 +Times-Bericht „in der That einen Widerspruch in den Worten enthält" ; aber, +aber, der übrige Zusammenhang, richtig, d. h. im liberal-gladstone'schen +Sinn erklärt, zeige an, was Herr Gladstone habe sagen wollen. (To-Day, +März 1884.) Das Komischste dabei ist, daß unser Männlein von Cam- +bridge | | X X V I I | nun darauf besteht, die Rede nicht nach Hansard zu citi- 20 +ren, wie es nach dem anonymen Brentano „Sitte" ist, sondern nach dem +von demselben Brentano als „nothwendig stümperhaft" bezeichneten Be- +richt der Times. Natürlich, der fatale Satz fehlt ja im Hansard! + +Eleanor Marx hatte es leicht, diese Argumentation in derselben Num- +mer von To-Day in Dunst aufzulösen. Entweder hatte Herr Taylor die Kon- 25 +troverse von 1872 gelesen. Dann hatte er jetzt „gelogen", nicht nur +„hinzu", sondern auch „hinweg". Oder er hatte sie nicht gelesen. Dann war +er verpflichtet den Mund zu halten. Jedenfalls stand fest, daß er die An- +klage seines Freundes Brentano, Marx habe „hinzugelogen", keinen +Augenblick aufrecht zu erhalten wagte. Im Gegentheil, Marx soll nun 30 +nicht hinzugelogen, sondern einen wichtigen Satz unterschlagen haben. +Aber dieser selbe Satz ist citirt auf S.5 der Inauguraladresse, wenige Zeilen +vor dem angeblich „hinzugelogenen". Und was den „Widerspruch" in +Gladstones Rede angeht, ist es nicht gerade Marx, der im Kapital S. 618 +(3. Aufl. S.672) Note 105, von den „fortlaufenden, schreienden Widersprü- 35 +chen in Gladstone's Budgetreden von 1863 und 1864" spricht! Nur daß er +sich nicht à la Sedley Taylor unterfängt sie in liberalen Wohlgefallen auf- +zulösen. Und das Schlußresume in E. Marx' Antwort lautet dann: „Im Ge- +gentheil, Marx hat weder etwas Anführenswerthes unterdrückt noch das +Geringste hinzugelogen. Aber er hat wiederhergestellt und der Vergessen- 40 +heit entzogen einen gewissen Satz einer Gladstone'schen Rede, der un- + +26 + + Vorwort zur vierten Auflage + +zweifelhaft ausgesprochen worden, der aber, so oder so, seinen Weg gefun- +den hat - aus Hansard hinaus." + +Damit hatte Herr Sedley Taylor denn auch genug, und das Resultat des +ganzen, durch zwei Jahrzehnte und über zwei große Länder fortgesponne- +5 nen Professorenklüngels war, daß man nicht mehr gewagt hat, Marx' litera- +rische Gewissenhaftigkeit anzutasten, daß aber seitdem Herr Sedley Taylor +wohl ebensowenig Vertrauen setzen wird in die literarischen Schlachtbulle- +tins des Herrn Brentano, wie Herr Brentano in die päpstliche Unfehlbarkeit +von Hansard. + +10 London, 25. Juni 1890. + +F . E n g e l s . I + +27 + + Inhaltsverzeichnis + +|XXVIII| Inhaltsverzeichniß. + +Vorwort zur ersten (V.), zweiten (X.), dritten ( X I X . ) +und vierten Auflage. + +5 + +Erstes Buch. +Der Produktionsproceß des Kapitals. +Erster Abschnitt. +Waare und Geld. + +Erstes Kapitel. Die Waare + +10 + +1) Die zwei Faktoren der Waare: Gebrauchswerth und Werth + +(Werthsubstanz, Werthgröße) + +2) Doppelcharakter der in den Waaren dargestellten Arbeit +3) Die Werthform oder der Tauschwerth +A. Einfache oder einzelne Werthform + +. . . + +15 + +1) Die beiden Pole des Werthausdrucks: Relative Werth- + +form und Aequivalentform + +2) Die relative Werthform + +a) Gehalt der relativen Werthform +b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Werthform + +20 + +25 + +3) Die Aequivalentform +4) Das Ganze der einfachen Werthform + +B. Totale oder entfaltete Werthform + +1) Die entfaltete relative Werthform +2) Die besondre Aequivalentform +3) Mängel der totalen oder entfalteten Werthform + +C Allgemeine Werthform . . + +1) Veränderter Charakter der Werthform + +Seite +1 + +1 +7 +14 +15 + +15 +16 +16 +19 +22 +27 +29 +29 +30 +30 +31 +32 + +29 + + Inhaltsverzeichnis + +2) Entwicklungsverhältniß von relativer Werthform und + +Aequivalentform + +3) Uebergang aus der allgemeinen Werthform zur Geld- + +form + +D. Geldform + +4) Der Fetischcharakter der Waare und sein Geheimniß + +Zweites Kapitel. Der Austauschproceß +Drittes Kapitel. Das Geld oder die Waarencirkulation + +1) Maß der Werthe. (Preis. - Maßstab der Preise. - Allgemeines +Steigen oder Fallen der Preise. - Rechennamen des Geldes, +Rechengeld. - Quantitative Inkongruenz von Werthgröße und +Preis. - Qualitative Inkongruenz derselben. - Preis nur ideelle +Werthform der Waare) + +2) Cirkulationsmittel + +a) Die Metamorphose der Waare (Kreislauf W-G-W. - Ver- +kauf: W-G. - Kauf: G-W. - Gesammtmetamorphose einer +Waare. - Waarencirkulation. - Unterschied zwischen Waa- +rencirkulation und Produktenaustausch) + +b) Der Umlauf des Geldes. (Waarenmetamorphose und Geld- +umlauf. - Doppelter Stellenwechsel des Geldes. - Quanti- +tät des umlaufenden Geldes. - Umlaufsgeschwindigkeit. | + +| X X I X | + +Seite + +34 + +35 +36 +37 +50 +59 + +5 + +10 + +59 +68 15 + +68 + +20 + +- Fluß und Stockung des Umlaufs. - Faktoren, welche die +Masse des umlaufenden Geldes bestimmen) + +78 25 + +c) Die Münze, das Werthzeichen. (Münze und Barren, Ver- +schleiß der Münze. - Werthzeichen. - Silber- und Kupfer- +marken. - Papiergeld. - Gesetz der Papiercirkulation mit +Zwangskurs) + +3) Geld + +a) Schatzbildung +b) Zahlungsmittel +c) Weltgeld + +Zweiter Abschnitt. +Die Verwandlung von Geld in Kapital. + +Viertes Kapitel. Die Verwandlung von Geld in Kapital + +1) Die allgemeine Formel des Kapitals +2) Widersprüche der allgemeinen Formel +3) Kauf und Verkauf der Arbeitskraft + +88 +93 30 +93 +98 +105 + +35 + +109 +109 +118 +129 + +30 + + Inhaltsverzeichnis + +(Der „freie Arbeiter". - Werth der Arbeitskraft. - Eigenthüm- +liche Natur der Waare „Arbeitskraft"). + +Seite + +Dritter Abschnitt. +Die Produktion des absoluten Mehrwerths. + +Fünftes Kapitel. Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß + +139 + +(Arbeitsproceß. - Arbeitsgegenstand, Rohmaterial, Arbeits- +mittel. - Produktionsmittel. - Produktive Konsumtion. - Der +Arbeitsproceß als Konsumtionsproceß der Arbeitskraft durch +den Kapitalisten. - Werthbildungsproceß. - Werth der Ar- +beitskraft und ihre Verwerthung im Arbeitsproceß verschiedne +Größen. - Verwerthungsproceß, Genesis des Kapitals). + +Sechstes Kapitel. Konstantes Kapital und variables Kapital +Siebentes Kapitel. Die Rate des Mehrwerths +1) Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft +2) Darstellung des Produktenwerths in proportionellen Theilen + +. + +des Produkts + +3) Seniors „Letzte Stunde" +4) Das Mehrprodukt +20 Achtes Kapitel. Der Arbeitstag + +1) Die Grenzen des Arbeitstags +2) Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar . . . . +3) Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploita- + +tion +(Spitzenindustrie. - Töpferei. - Zündhölzer. - Tapeten. - +Bäckerei. - Eisenbahnbetrieb. - Putzmacherei. - Schmiede.) + +4) Tag- und Nachtarbeit. Das Ablösungssystem + +(Metallurgie und Metallindustrie.) + +5) Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetze zur Ver- +längerung des Arbeitstags von der Mitte des 14. bis Ende des +17.Jahrhunderts + +226 | + +| X X X | + +(Rücksichtslosigkeit des Kapitals gegen Gesundheit und Le- +bensdauer des Arbeiters. - Englische Arbeiterstatuten. - +Schranken des Arbeitstags im 17. Jahrhundert bis zur Epoche +der großen Industrie.) + +6) Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetzliche Be- +schränkung der Arbeitszeit. Englische Fabrikgesetzgebung +1 8 3 3 - 6 4 +(Akt von 1833. - Von 1844. - Von 1847. - Von 1850. - Sei- +denfabrik. - Druckereien. - Färbereien und Bleichereien.) + +240 + +31 + +5 + +10 + +15 + +25 + +30 + +35 + +40 + +161 +173 +173 + +182 +185 +191 +192 +192 +196 + +204 + +218 + + Inhaltsverzeichnis + +7) Der Kampf um den Normalarbeitstag. Rückwirkung der engli- + +schen Fabrikgesetzgebung auf andre Länder +Neuntes Kapitel. Rate und Masse des Mehrwerths + +Vierter Abschnitt. +Die Produktion des relativen Mehrwerths. + +Zehntes Kapitel. Begriff des relativen Mehrwerths +Elftes Kapitel. Kooperation + +(Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion, ihr quantita- +tiver Unterschied von der zünftigen Industrie. - Gesellschaft- +liehe Durchschnittsarbeit. - Oekonomie der Produktionsmit- +tel. - Gesellschaftliche Produktivkräfte der kooperativen +Arbeit. - Frühere Formen der Kooperation. - Ihre kapitalisti- +sche Form.) + +Zwölftes Kapitel. Theilung der Arbeit und Manufaktur + +1) Doppelter Ursprung der Manufaktur +2) Der Theilarbeiter und sein Werkzeug +3) Die beiden Grundformen der Manufaktur. Heterogene Ma- + +nufaktur und organische Manufaktur + +4) Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Theilung + +der Arbeit innerhalb der Gesellschaft + +5) Der kapitalistische Charakter der Manufaktur +Dreizehntes Kapitel. Maschinerie und große Industrie + +1) Entwicklung der Maschinerie +2) Werthabgabe der Maschinerie an das Produkt +3) Nächste Wirkungen des maschinenmäßigen Betriebs auf den + +Seite + +261 +266 + +276 +285 + +5 + +10 + +300 15 +300 +303 + +306 + +20 + +315 +324 +334 +334 +350 25 + +Arbeiter +a) Aneignung zuschüssiger Arbeitskräfte durch das Kapital. + +358 + +Weiber- und Kinderarbeit +b) Verlängerung des Arbeitstags +c) Intensifikation der Arbeit + +4) Die Fabrik +5) Kampf zwischen Arbeiter und Maschine +6) Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie + +. + +verdrängten Arbeiter + +7) Repulsion und Attraktion von Arbeitern mit Entwicklung des + +Maschinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie + +8) Revolutionirung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit + +durch die große Industrie + +358 +367 30 +373 +384 +392 + +403 35 + +412 + +425 + +32 + + Inhaltsverzeichnis + +a) Aufhebung der auf Handwerk und Theilung der Arbeit be- + +ruhenden Kooperation + +b) Rückwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Haus- + +5 + +arbeit + +| X X X I | + +10 + +c) Die moderne Manufaktur +d) Die moderne Hausarbeit (Spitzenfabrik, Strohflechterei) +. +e) Uebergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur +großen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch +Anwendung der Fabrikgesetze auf jene Betriebsweisen (die +Nähmaschine) + +9) Fabrikgesetzgebung. (Gesundheits- und Erziehungsklauseln.) + +Ihre Verallgemeinerung in England (Minenindustrie) + +15 + +10) Große Industrie und Agrikultur + +Fünfter Abschnitt. +Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerths. + +Vierzehntes Kapitel. Absoluter und Relativer Mehrwerth +Fünfzehntes Kapitel. Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und + +20 + +Mehrwerth + +. . + +I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit konstant, + +Produktivkraft der Arbeit variabel + +II. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivkraft der Arbeit, + +Intensität der Arbeit variabel + +25 + +III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant, Arbeitstag + +variabel + +IV. Gleichzeitige Variationen in Dauer, Produktivkraft und In- + +tensität der Arbeit + +Sechzehntes Kapitel. Verschiedene Formeln für die Rate des Mehr- + +30 + +werths + +Sechster Abschnitt. +Der Arbeitslohn. + +Siebzehntes Kapitel. Verwandlung von Werth, resp. Preis der Ar- + +beitskraft, in Arbeitslohn +35 Achtzehntes Kapitel. Der Zeitlohn + +Neunzehntes Kapitel. Der Stücklohn +Zwanzigstes Kapitel. Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne + +. + +Seite + +425 + +426 | + +428 +431 + +435 + +446 +469 + +472 + +482 + +483 + +487 + +489 + +490 + +493 + +497 +505 +513 +521 + +33 + + Inhaltsverzeichnis + +Siebenter Abschnitt. + +Der Akkumulationsproceß. +Einundzwanzigstes Kapitel. Einfache Reproduktion + +(Arbeiterklasse als Zubehör des Kapitals. Das Verhältniß zwi- +sehen Kapitalist und Arbeiter reproducirt durch den kapitali- +stischen Produktionsproceß.) + +Zweiundzwanzigstes Kapitel. Verwandlung von Mehrwerth in Kapi- + +tal +1) Kapitalistischer Produktionsproceß auf erweiterter Stufenlei- +ter. Umschlag der Eigenthumsgesetze der Warenproduktion +in Gesetze der kapitalistischen Aneignung + +2) Irrige Auffassung der Reproduktion auf erweiterter Stufenlei- + +ter seitens der politischen Oekonomie + +3) Theilung des Mehrwerths in Kapital und Revenue. Die Absti- + +nenztheorie + +4) Umstände, welche unabhängig von der proportioneilen Thei- +lung des Mehrwerths in Kapital und Revenue den Umfang der +Akkumu-1 + +| X X X I I | + +lation bestimmen: Exploitationsgrad der Arbeit. - Produktiv- +kraft der Arbeit. - Wachsende Differenz zwischen angewand- +tem und konsumirtem Kapital. - Größe des vorgeschoßnen +Kapitals + +5) Der sogenannte Arbeitsfonds + +Dreiundzwanzigstes Kapitel. Das allgemeine Gesetz der kapitalisti- + +schen Akkumulation +1) Wachsende Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkumula- +. . +tion, bei gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals +2) Relative Abnahme des variablen Kapitalteils im Fortgang +der Akkumulation und der sie begleitenden Koncentration . . +3) Progressive Produktion einer relativen Uebervölkerung oder + +industriellen Reservearmee + +4) Verschiedne Existenzformen der relativen Uebervölkerung. +. . +Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation +5) Illustrationen des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen + +Akkumulation +a) England von 1 8 4 6 - 6 6 +b) Die schlecht bezahlten Schichten der britischen industriel- +len Arbeiterklasse (Nahrungsverhältnisse. - Wohnungszu- + +Seite + +527 + +5 + +542 + +542 + +551 + +554 + +10 + +15 + +20 + +562 +573 25 + +576 + +576 + +585 + +593 + +30 + +606 35 + +613 +613 + +40 + +34 + + Inhaltsverzeichnis + +stand. - London. - Newcastle upon Tyne. - Bradford. - +Bristol) + +c) Das Wandervolk (Wohnungsverhältnisse. - Eisenbahnar- + +5 + +beiter. - Kohlen- und andere Bergwerksarbeiter) + +terklasse (Eisenschiffsbauer i m Osten von London) + +d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Theil der Arbei- +. . . . +e) Das britische Ackerbauproletariat (Die Wandergänge) . . . +f) Irland + +15 + +10 Vierundzwanzigstes Kapitel. Die sog. ursprüngliche Akkumulation +1) Das Geheimniß der sog. ursprünglichen Akkumulation +. . . . +2) Expropriation des englischen Landvolks von Grund und Bo- +den. (Verwandlung von Ackerland in Viehweide im letzten +Drittel des 15. und den ersten Decennien des 16. Jahrhun- +derts. - Die Reformation und der Diebstahl an den Kirchen- +gütern. - Verwandlung von feudalem in bürgerliches Eigen- +thum. - Die Restauration und die ,,Glorious Revolution". - +Diebstahl an Staatsdomänen. - Gemeindeeigenthum und der +Raub desselben. - Clearing of Estates, Verwandlung von Ak- +kerland in Schaftriften und von Schaftriften in Jagdrevier im +schottischen Hochland.) + +20 + +25 + +30 + +3) Blutgesetzgebung gegen die Expropriirten seit Ende des +15. Jahrhunderts. Gesetze zur Herabdrückung des Arbeits- +lohns + +stellung des innern Markts für das industrielle Kapital + +4) Genesis der kapitalistischen Pächter +5) Rückwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie. Her- +. . . . +(Kolonialsystem. +Staatsschuldensystem. - Modernes Steuersystem und Protek- +tionssystem. - Der Kinderraub beim Beginn der großen Indu- + +industriellen Kapitalisten. + +6) Genesis der + +strie) + +7) Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation + +. + +Fünfundzwanzigstes Kapitel. Das moderne Kolonialsystem + +Seite + +620 + +629 + +634 +639 +664 +679 +679 + +699 +708 + +710 + +714 +726 +729 | + +35 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +|1| E R S T E S BUCH. + +Der Produktionsproceß des Kapitals. + +E R S T E R A B S C H N I T T . + +Waare und Geld. + +5 + +E R S T E S K A P I T E L . + +Die Waare. + +1) Die zwei Factoren der Waare: +Gebrauchswerth und Werth (Werthsubstanz, Werthgröße). + +Der Reichthum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktions- +10 weise herrscht, erscheint als eine „ungeheure Waarensammlung" 1), die ein- +zelne Waare als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher +mit der Analyse der Waare. + +Die Waare ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch +seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgend einer Art befriedigt. +15 Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z . B . dem Magen oder der Phantasie +entspringen, ändert nichts an der Sache 2). Es handelt sich hier auch nicht + +*) Karl Marx: „Zur Kritik der Politischen Oekonomie. Berlin 1859", pag. 3. +2) "Desire implies want; it is the appetite of the mind, and as natural as hunger to the body ... +the greatest number (of things) have their value from supplying the wants of the mind." Nicho- + +37 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +darum, wie die Sache das menschliche Bedürfniß befriedigt, ob unmittel- +bar als Lebensmittel, d. h. als Gegenstand des Genusses, oder auf einem +Umweg, als Produktionsmittel. + +Jedes nützliche Ding, wie Eisen, Papier u.s.w., ist unter doppeltem Ge- +sichtspunkt zu betrachten, nach Qualität und Quantität. Jedes solches +Ding ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach verschiede- +nen Seiten nützlich sein. Diese verschiedenen Seiten und daher die man- +nigfachen Gebrauchsweisen der Dinge ||2| zu entdecken, ist geschichtliche +T h a t 3 ) . So die Findung gesellschaftlicher Maße für die Quantität der nütz- +lichen Dinge. Die Verschiedenheit der Waarenmaße entspringt theils aus 10 +der verschiedenen Natur der zu messenden Gegenstände, theils aus Kon- +vention. + +5 + +Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswerth 4). Aber +diese Nützlichkeit schwebt nicht in der Luft. Durch die Eigenschaften des +Waarenkörpers bedingt, existirt sie nicht ohne denselben. Der Waarenkör- 15 +per selbst, wie Eisen, Weizen, Diamant u. s. w. ist daher ein Gebrauchs- +werth oder Gut. Dieser sein Charakter hängt nicht davon ab, ob die Aneig- +nung seiner Gebrauchseigenschaften dem Menschen viel oder wenig +Arbeit kostet. Bei Betrachtung der Gebrauchswerte wird stets ihre quanti- +tative Bestimmtheit vorausgesetzt, wie Dutzend Uhren, Elle Leinwand, 20 +Tonne Eisen u. s.w. Die Gebrauchswerthe der Waaren liefern das Material +einer eignen Disciplin, der Waarenkunde 5). Der Gebrauchswerth verwirk- +licht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerthe bilden +den stofflichen Inhalt des Reichthums, welches immer seine gesellschaftli- +che Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden 25 +sie zugleich die stofflichen Träger des - Tauschwerths. + +Der Tauschwerth erscheint zunächst als das quantitative Verhältniß, die +Proportion, worin sich Gebrauchswerthe einer Art gegen Gebrauchswerthe +anderer Art austauschen 6), ein Verhältniß, das beständig mit Zeit und Ort + +las Barbon: „A Discourse on coining the new money lighter, in answer to Mr. Locke's Consid- 30 +erations etc. London 1696", p. 2, 3. +3) "Things have an intrinsick vertue (dieß bei Barbon die specifische Bezeichnung für Ge- +brauchswerth), which in all places have the same vertue; as the loadstone to attract iron" (1. c. +p. 6). Die Eigenschaft des Magnets, Eisen anzuziehn, wurde erst nützlich, sobald man vermit- +telst derselben die magnetische Polarität entdeckt hatte. +4) "The natural worth of anything consists in its fitness to supply the necessities, or serve the +conveniences of human life." {John Locke: ,,Some Considerations of the Consequences of the +Lowering of Interest. 1691" in „Works edit. Lond. 1777". V.U. p.28.) Im 17. Jahrhundert fin- +den wir noch häufig bei englischen Schriftstellern „Worth" für Gebrauchswerth und ,,Value" +für Tauschwerth, ganz im Geist einer Sprache, die es liebt, die unmittelbare Sache germa- 40 +nisch und die reflektirte Sache romanisch auszudrücken. +5) In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht die fictio juris, daß jeder Mensch als Waarenkäu- +fer eine encyklopädische Waarenkenntniß besitzt. +6) «La valeur consiste dans le rapport d'échange qui se trouve entre telle chose et telle autre, + +35 + +38 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +wechselt. Der Tauschwerth scheint daher etwas Zufälliges und rein Relati- +ves, ein der Waare inner||3|licher, immanenter Tauschwerth (valeur intrin- +sèque) also eine contradictio in adjecto 7). Betrachten wir die Sache nä- +her. + +5 + +Eine gewisse Waare, ein Quarter Weizen z . B . tauscht sich mit χ Stiefel- +wichse, oder mit y Seide, oder mit ζ Gold u.s.w., kurz mit andern Waaren +in den verschiedensten Proportionen. Mannigfache Tauschwerthe also hat +der Weizen statt eines einzigen. Aber da χ Stiefelwichse, ebenso y Seide, +ebenso ζ Gold u.s.w. der Tauschwerth von einem Quarter Weizen ist, müs- +10 sen χ Stiefelwichse, y Seide, ζ Gold u.s.w. durcheinander ersetzbare oder +einander gleich große Tauschwerthe sein. Es folgt daher erstens: Die gülti- +gen Tauschwerthe derselben Waare drücken ein Gleiches aus. Zweitens +aber: Der Tauschwerth kann überhaupt nur die Ausdrucksweise, die „Er- +scheinungsform" eines von ihm unterscheidbaren Gehalts sein. + +15 + +Nehmen wir ferner zwei Waaren, z . B . Weizen und Eisen. Welches im- +mer ihr Austauschverhältniß, es ist stets darstellbar in einer Gleichung, +worin ein gegebenes Quantum Weizen irgend einem Quantum Eisen +gleichgesetzt wird, z . B . 1 Quarter Weizen = a Ctr. Eisen. Was besagt diese +Gleichung? Daß ein Gemeinsames von derselben Größe in zwei verschied- +20 nen Dingen existirt, in 1 Quarter Weizen und ebenfalls in a Ctr. Eisen. +Beide sind also gleich einem Dritten, das an und für sich weder das eine, +noch das andere ist. Jedes der beiden, soweit es Tauschwerth, muß also auf +dieß Dritte reducirbar sein. + +25 + +Ein einfaches geometrisches Beispiel veranschauliche dieß. Um den Flä- +cheninhalt aller gradlinigen Figuren zu bestimmen und zu vergleichen, +löst man sie in Dreiecke auf. Das Dreieck selbst reducirt man auf einen +von seiner sichtbaren Figur ganz verschiednen Ausdruck - das halbe Pro- +dukt seiner Grundlinie mit seiner Höhe. Ebenso sind die Tauschwerthe der +Waaren zu reduciren auf ein Gemeinsames, wovon sie ein Mehr oder Min- + +30 der darstellen. + +Dieß Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische, chemi- +sche oder sonstige natürliche Eigenschaft der Waaren sein. Ihre körperli- +chen Eigenschaften kommen überhaupt nur in Betracht, soweit selbe sie +nutzbar machen, also zu Gebrauchswerthen. Andererseits aber ist es grade +35 die Abstraktion von ihren Gebrauchs1141werthen, was das Austauschverhält- +niß der Waaren augenscheinlich charakterisirt. Innerhalb desselben gilt ein + +entre telle mesure d'une production et telle mesure d'une autre.» (Le Trosne: „De l'Intérêt So- +cial". Physiocrates, éd. Daire. Paris 1846. p. 889.) +7) "Nothing can have an intrinsick value" (N. Barbon 1. c. p. 6), oder wie Butler sagt: + +40 + +"The value of a thing +Is just as much as it will bring." + +39 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +Gebrauchswerth grade so viel wie jeder andre, wenn er nur in gehöriger +Proportion vorhanden ist. Oder, wie der alte Barbon sagt: „Die eine Waa- +rensorte ist so gut wie die andre, wenn ihr Tauschwerth gleich groß ist. Da +existirt keine Verschiedenheit oder Unterscheidbarkeit zwischen Dingen +von gleich großem Tauschwerth" 8). Als Gebrauchswerthe sind die Waaren +vor allem verschiedner Qualität, als Tauschwerthe können sie nur ver- +schiedner Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswerth. + +Sieht man nun vom Gebrauchswerth der Waarenkörper ab, so bleibt +ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten. Jedoch ist uns +auch das Arbeitsprodukt bereits in der Hand verwandelt. Ab s trahir en wir +von seinem Gebrauchswerth, so abstrahiren wir auch von den körperlichen +Bestandtheilen und Formen, die es zum Gebrauchswerth machen. Es ist +nicht länger Tisch oder Haus oder Garn oder sonst ein nützlich Ding. Alle +seine sinnlichen Beschaffenheiten sind ausgelöscht. Es ist auch nicht län- +ger das Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit +oder sonst einer bestimmten produktiven Arbeit. Mit dem nützlichen Cha- +rakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützliche Charakter der in +ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die veschiednen +konkreten Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden sich nicht länger, +sondern sind allzusammt reducirt auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt +menschliche Arbeit. + +Betrachten wir nun das Residuum der Arbeitsprodukte. Es ist nichts von +ihnen übrig geblieben als dieselbe gespenstige Gegenständlichkeit, eine +bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, d. h. der Verausga- +bung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Veraus- +gabung. Diese Dinge stellen nur noch dar, daß in ihrer Produktion mensch- +liche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist. Als +Krystalle dieser ihnen gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind +sie Werthe - Waarenwerthe. + +Im Austauschverhältniß der Waaren selbst erschien uns ihr Tauschwerth +als etwas von ihren Gebrauchswerthen durchaus unab||5|hängiges. Abstra- +hirt man nun wirklich vom Gebrauchswerth der Arbeitsprodukte, so erhält +man ihren Werth wie er eben bestimmt ward. Das Gemeinsame, was sich +im Austauschverhältniß oder Tauschwerth der Waare darstellt, ist also ihr +Werth. Der Fortgang der Untersuchung wird uns zurückführen zum +Tauschwerth als der nothwendigen Ausdrucksweise oder Erscheinungsform +des Werths, welcher zunächst jedoch unabhängig von dieser Form zu be- +trachten ist. + +8) "One sort of wares are as good as another, if the value be equal. There is no difference or +distinction in things of equal value ... One hundred pounds worth of lead or iron, is of as +great a value as one hundred pounds worth of silver and gold." (JV. Barbon 1. c. p. 53 u. 7.) + +40 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +Ein Gebrauchswerth oder Gut hat also nur einen Werth, weil abstrakt +menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisirt ist. Wie +nun die Größe seines Werths messen? Durch das Quantum der in ihm ent- +haltenen „werthbildenden Substanz", der Arbeit. Die Quantität der Arbeit +selbst mißt sich an ihrer Zeitdauer und die Arbeitszeit besitzt wieder ihren +Maßstab an bestimmten Zeittheilen, wie Stunde, Tag u.s.w. + +5 + +15 + +Es könnte scheinen, daß, wenn der Werth einer Waare durch das wäh- +rend ihrer Produktion verausgabte Arbeitsquantum bestimmt ist, je fauler +oder ungeschickter ein Mann, desto werthvoller seine Waare, weil er desto +10 mehr Zeit zu ihrer Verfertigung braucht. Die Arbeit jedoch, welche die +Substanz der Werthe bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Verausgabung +derselben menschlichen Arbeitskraft. Die gesammte Arbeitskraft der Ge- +sellschaft, die sich in den Werthen der Waarenwelt darstellt, gilt hier als +eine und dieselbe menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen in- +dividuellen Arbeitskräften besteht. Jede dieser individuellen Arbeitskräfte +ist dieselbe menschliche Arbeitskraft wie die andere, soweit sie den Cha- +rakter einer gesellschaftlichen Durchschnitts-Arbeitskraft besitzt und als +solche gesellschaftliche Durchschnitts-Arbeitskraft wirkt, also in der Pro- +duktion einer Waare auch nur die im Durchschnitt nothwendige oder ge- +sellschaftlich nothwendige Arbeitszeit braucht. Gesellschaftlich nothwen- +dige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt um irgend einen Gebrauchswerth +mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen +und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität +der Arbeit darzustellen. Nach der Einführung des Dampfwebstuhls in Eng- +land z . B . genügte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein gegebe- +nes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber +brauchte zu dieser Verwandlung in der That nach wie vor dieselbe Arbeits- +zeit, aber das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur +noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die + +20 + +25 + +30 Hälfte seines frühern Werths. | + +35 + +|6| Es ist also nur das Quantum gesellschaftlich nothwendiger Arbeit +oder die zur Herstellung eines Gebrauchswerths gesellschaftlich nothwen- +dige Arbeitszeit, welche seine Werthgröße bestimmt 9). Die einzelne Waare +gilt hier überhaupt als Durchschnittsexemplar ihrer A r t 1 0 ) . Waaren, worin +9) Note zur 2. Ausg. "The value of them (the necessaries of life) when they are exchanged the +one for another, is regulated by the quantity of labour necessarily required, and commonly +taken in producing them". „Der Werth von Gebrauchsgegenständen, sobald sie gegen einan- +der umgetauscht werden, ist bestimmt durch das Quantum der zu ihrer Production nothwen- +dig erheischten und gewöhnlich angewandten Arbeit." (,,Some Thoughts on the Interest of +40 Money in general, and particularly in the Public Funds etc.". London, p. 36, 37). Diese merk- +würdige anonyme Schrift des vorigen Jahrhunderts trägt kein Datum. Es geht jedoch aus +ihrem Inhalt hervor, daß sie unter Georg II., etwa 1739 oder 1740, erschienen ist. +1 0 ) «Toutes les productions d'un même genre ne forment proprement qu'une masse, dont le + +41 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +gleich große Arbeitsquanta enthalten sind, oder die in derselben Arbeits- +zeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Werthgröße. Der +Werth einer Waare verhält sich zum Werth jeder andren Waare, wie die zur +Produktion der einen nothwendige Arbeitszeit zu der für die Produktion +der andren nothwendigen Arbeitszeit. „Als Werthe sind alle Waaren nur +bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit" 1 1). + +5 + +10 + +Die Werthgröße einer Waare bliebe daher konstant, wäre die zu ihrer +Produktion erheischte Arbeitszeit konstant. Letztere wechselt aber mit j e - +dem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit. Die Produktivkraft der Ar- +beit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den +Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der +Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftli- +che Kombination des Produktionsprocesses, den Umfang und die Wir- +kungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse. Das- +selbe Quantum Arbeit stellt sich z . B . mit günstiger Jahreszeit in 8 Bushel 15 +Weizen dar, mit ungünstiger in nur 4. Dasselbe Quantum Arbeit liefert +mehr Metalle in reichhaltigen, als in armen Minen u.s.w. Diamanten kom- +men selten in der Erdrinde vor und ihre Findung kostet daher im Durch- +schnitt viel Arbeitszeit. Folglich stellen sie in wenig Volumen viel Arbeit +dar. Jacob bezweifelt, daß Gold jemals seinen vollen Werth bezahlt hat. 20 +Noch mehr gilt dies vom Diamant. Nach Eschwege hatte 1823 die achtzig- +jährige Gesammtausbeute der brasilischen Diamantgruben noch nicht den +Preis des l^jährigen Durchschnittsprodukts der ||7| brasilischen Zucker- +oder Kaffeepflanzungen erreicht, obgleich sie viel mehr Arbeit darstellte, +also mehr Werth. Mit reichhaltigeren Gruben würde dasselbe Arbeitsquan- 25 +tum sich in mehr Diamanten darstellen und ihr Werth sinken. Gelingt es +mit wenig Arbeit Kohle in Diamant zu verwandeln, so kann sein Werth un- +ter den von Ziegelsteinen fallen. Allgemein: Je größer die Produktivkraft +der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Ar- +beitszeit, desto kleiner die in ihm krystallisirte Arbeitsmasse, desto kleiner 30 +sein Werth. Umgekehrt, je kleiner die Produktivkraft der Arbeit, desto grö- +ßer die zur Herstellung eines Artikels nothwendige Arbeitszeit, desto grö- +ßer sein Werth. Die Werthgröße einer Waare wechselt also direkt wie das +Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr verwirkli- +chenden Arbeit. + +35 + +Ein Ding kann Gebrauchswerth sein, ohne Werth zu sein. Es ist dieß der +Fall, wenn sein Nutzen für den Menschen nicht durch Arbeit vermittelt ist. +So Luft, jungfräulicher Boden, natürliche Wiesen, wildwachsendes Holz + +prix se détermine en général et sans égard aux circonstances particulières.» (Le Trosne 1. c. +p. 893.) +n) K. Marxl. c. p. 6. + +40 + +42 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +5 + +u.s.w. Ein Ding kann nützlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne +Waare zu sein. Wer durch sein Produkt sein eigenes Bedürfniß befriedigt, +schafft zwar Gebrauchswerth, aber nicht Waare. Um Waare zu produciren, +muß er nicht nur Gebrauchswerth produciren, sondern Gebrauchswerth für +andre, gesellschaftlichen Gebrauchswerth. +(Und nicht nur für andre +schlechthin. Der mittelalterliche Bauer producirte das Zinskorn für den +Feudalherrn, das Zehntkorn für den Pfaffen. Aber weder Zinskorn noch +Zehntkorn wurden dadurch Waare, daß sie für andre producirt waren. Um +Waare zu werden, muß das Produkt dem andern, dem es als Gebrauchs- +10 werth dient, durch den Austausch übertragen werden.) 1 1*) Endlich kann +kein Ding Werth sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein. Ist es nutzlos, +so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit und +bildet daher keinen Werth. + +2) Doppelcharakter der in den Waaren dargestellten Arbeit. + +15 Ursprünglich erschien uns die Waare als ein Zwieschlächtiges, Gebrauchs- +werth und Tauschwerth. Später zeigte sich, daß auch ||8| die Arbeit, soweit +sie im Werth ausgedrückt ist, nicht mehr dieselben Merkmale besitzt, die +ihr als Erzeugerin von Gebrauchswerthen zukommen. Diese zwieschläch- +tige Natur der in der Waare enthaltenen Arbeit ist zuerst von mir kritisch +nachgewiesen worden 1 2). Da dieser Punkt der Springpunkt ist, um den sich +das Verständniß der politischen Oekonomie dreht, soll er hier näher be- +leuchtet werden. + +20 + +Nehmen wir zwei Waaren, etwa einen Rock und 10 Ellen Leinwand. Der +erstere habe den zweifachen Werth der letzteren, so daß, wenn 10 Ellen + +25 Leinwand = W, der Rock .= 2 W. + +Der Rock ist ein Gebrauchswerth, der ein besonderes Bedürfniß befrie- +digt. Um ihn hervorzubringen, bedarf es einer bestimmten Art produktiver +Thätigkeit. Sie ist bestimmt durch ihren Zweck, Operationsweise, Gegen- +stand, Mittel und Resultat. Die Arbeit, deren Nützlichkeit sich so im Ge- +30 brauchswerth ihres Produkts oder darin darstellt, daß ihr Produkt ein Ge- +brauchswerth ist, nennen wir kurzweg nützliche Arbeit. Unter diesem +Gesichtspunkt wird sie stets betrachtet mit Bezug auf ihren Nutzeffekt. + +Wie Rock und Leinwand qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe, so +ihr Dasein vermittelnden Arbeiten qualitativ verschieden - +35 Schneiderei und Weberei. Wären jene Dinge nicht qualitativ verschiedne + +sind die + +11 a) Note zur 4. Aufl. - Ich schiebe das Eingeklammerte ein, weil durch dessen Weglassung +sehr häufig das Mißverständniß entstanden, jedes Produkt, das von einem andern als dem +Producenten konsumirt wird, gelte bei Marx als Waare. - F. E. +1 2 ) 1. c. p. 12, 13 und passim. + +43 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +Gebrauchswerthe und daher Produkte qualitativ verschiedner nützlicher +Arbeiten, so könnten sie sich überhaupt nicht als Waaren gegenübertreten. +Rock tauscht sich nicht aus gegen Rock, derselbe Gebrauchswerth nicht +gegen denselben Gebrauchswerth. + +5 + +In der Gesammtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerthe oder Waa- +renkörper erscheint eine Gesammtheit ebenso mannigfaltiger, nach Gattung, +Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten - eine +gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der Waa- +renproduktion, obgleich Waarenproduktion nicht umgekehrt die Existenz- +bedingung gesellschaftlicher Arbeitstheilung. In der altindischen Ge- 10 +meinde ist die Arbeit gesellschaftlich getheilt, ohne daß die Produkte zu +Waaren werden. Oder, ein näher liegendes Beispiel, in jeder Fabrik ist die +Arbeit systematisch getheilt, aber diese Theilung nicht dadurch vermittelt, +daß die Arbeiter ihre individuellen Produkte austauschen. Nur Produkte +selbständiger und von einander unabhängiger Privatarbeiten treten einan- 15 +der als Waaren gegenüber. | + +|9| Man hat also gesehn: in dem Gebrauchswerth jeder Waare steckt eine +bestimmte zweckmäßig produktive Thätigkeit oder nützliche Arbeit. Ge- +brauchswerthe können sich nicht als Waaren gegenübertreten, wenn nicht +qualitativ verschiedne nützliche Arbeiten in ihnen stecken. In einer Ge- 20 +Seilschaft, deren Produkte allgemein die Form der Waare annehmen, d. h. +in einer Gesellschaft von Waarenproducenten, entwickelt sich dieser quali- +tative Unterschied der nützlichen Arbeiten, welche unabhängig von einan- +der als Privatgeschäfte selbstständiger Producenten betrieben werden, zu +einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschaftlichen Theilung der Ar- 25 +beit. + +Dem Rock ist es übrigens gleichgültig, ob er vom Schneider oder vom +Kunden des Schneiders getragen wird. In beiden Fällen wirkt er als Ge- +brauchswerth. Ebensowenig ist das Verhältniß zwischen dem Rock und der +ihn producirenden Arbeit an und für sich dadurch verändert, daß die 30 +Schneiderei besondre Profession wird, selbstständiges Glied der gesell- +schaftlichen Theilung der Arbeit. Wo ihn das Kleidungsbedürfniß zwang, +hat der Mensch Jahrtausende lang geschneidert, bevor aus einem Men- +schen ein Schneider ward. Aber das Dasein von Rock, Leinwand, jedem +nicht von Natur vorhandnen Element des stofflichen Reichthums, mußte 35 +immer vermittelt sein durch eine specielle, zweckmäßig produktive Thätig- +keit, die besondere Naturstoffe besondren menschlichen Bedürfnissen assi- +milirt. Als Bildnerin von Gebrauchswerthen, als nützliche Arbeit, ist die +Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbe- +dingung des Menschen, ewige Naturnothwendigkeit, um den Stoffwechsel 40 +zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln. + +44 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +5 + +Die Gebrauchswerthe Rock, Leinwand u. s. w., kurz die Waarenkörper, +sind Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit. Zieht man +die Gesammtsumme aller verschiednen nützlichen Arbeiten ab, die in +Rock, Leinwand u.s.w. stecken, so bleibt stets ein materielles Substrat zu- +rück, das ohne Zuthun des Menschen von Natur vorhanden ist. Der +Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d.h. +nur die Formen der Stoffe ändern 1 3). Noch mehr. In dieser Arbeit der | +1101 Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit +ist also nicht die einzige Quelle der von ihr producirten Gebrauchswerthe, +10 des stofflichen Reichthums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty + +sagt, und die Erde seine Mutter. + +Gehn wir nun von der Waare, so weit sie Gebrauchsgegenstand, über + +zum Waaren-Werth. + +Nach unsrer Unterstellung hat der Rock den doppelten Werth der Lein- +15 wand. Dieß ist aber nur ein quantitativer Unterschied, der uns zunächst +noch nicht interessirt. Wir erinnern daher, daß, wenn der Werth eines Rok- +kes doppelt so groß als der von 10 Ellen Leinwand, 20 Ellen Leinwand die- +selbe Werthgröße haben wie ein Rock. Als Werthe sind Rock und Lein- +wand Dinge von gleicher Substanz, objektive Ausdrücke gleichartiger +20 Arbeit. Aber Schneiderei und Weberei sind qualitativ verschiedne Arbei- +ten. Es giebt jedoch Gesellschaftszustände, worin derselbe Mensch ab- +wechselnd schneidert und webt, diese beiden verschiednen Arbeitsweisen +daher nur Modifikationen der Arbeit desselben Individuums und noch +nicht besondre feste Funktionen verschiedner Individuen sind, ganz wie +25 der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er morgen +macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit voraussetzen. Der +Augenschein lehrt ferner, daß in unsrer kapitalistischen Gesellschaft, je +nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine gegebene Por- +tion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von Schneiderei oder +in der Form von Weberei zugeführt wird. Dieser Formwechsel der Arbeit +mag nicht ohne Friction abgehn, aber er muß gehn. Sieht man ab von der +Bestimmtheit der produktiven Thätigkeit und daher vom nützlichen Cha- +rakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, daß sie eine Verausgabung menschli- + +30 + +1 3 ) «Tutti i fenomeni dell' universo, sieno essi prodotti dalla mano dell' nomo, ovvero dalle +35 universali leggi della fìsica, non ci danno idea di attuale creazione, ma unicamente di una +modificazione della materia. Accostare e separare sono gli unici elementi che l'ingegno +umano ritrova analizzando l'idea della riproduzione; e tanto è riproduzione di valore (Ge- +brauchswerth, obgleich Verri hier in seiner Polemik gegen die Physiokraten selbst nicht recht +weiß, von welcher Sorte Werth er spricht) e 4i ricchezza se la terra, l'aria e l'acqua ne' campi +si trasmutino in grano, come se colla mano dell' uomo il glutine di un insetto si trasmuti in +velluto ovvero alcuni pezzetti di metallo si organizzino a formare una ripetizione.» (Pietro +Verri: ,,Meditazioni sulla Economia Politica" (zuerst gedruckt 1771) in der Ausgabe der italie- +nischen Oekonomen von Custodi, Parte Moderna, t.XV ρ ..21, 22.) + +40 + +45 + + Erstes Abschnitt · Ware und Geld + +5 + +eher Arbeitskraft ist. Schneiderei und Weberei, obgleich qualitativ ver- +schiedne produktive Thätigkeiten, sind beide produktive Verausgabung +von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand u.s.w., und in diesem Sinn +beide menschliche Arbeit. Es sind nur zwei verschiedne Formen, mensch- +liche Arbeitskraft zu verausgaben. Allerdings muß die menschliche Ar- +beitskraft selbst mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener +Form verausgabt zu werden. Der Werth der Waare ||11| aber stellt mensch- +liche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeit über- +haupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Ban- +quier eine große, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige Rolle 10 +spielt 1 4), so steht es auch hier mit der menschlichen Arbeit. Sie ist Veraus- +gabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche +Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus +besitzt. Die einfache Durchschnittsarbeit selbst wechselt zwar in verschiednen +Ländern und Kulturepochen ihren Charakter, ist aber in einer vorhandnen 15 +Gesellschaft gegeben. Komplicirtere Arbeit gilt nur als potenzine oder viel- +mehr multiplicirte einfache Arbeit, so daß ein kleineres Quantum kompli- +cirter Arbeit gleich einem größeren Quantum einfacher Arbeit. Daß diese +Reduktion beständig vorgeht, zeigt die Erfahrung. Eine Waare mag das +Produkt der komplicirtesten Arbeit sein, ihr Werth setzt sie dem Produkt 20 +einfacher Arbeit gleich und stellt daher selbst nur ein bestimmtes Quan- +tum einfacher Arbeit dar 1 5). Die verschiednen Proportionen, worin ver- +schiedne Arbeitsarten auf einfache Arbeit als ihre Maßeinheit reducirt +sind, werden durch einen gesellschaftlichen Proceß hinter dem Rücken der +Producenten festgesetzt und scheinen ihnen daher durch das Herkommen 25 +gegeben. Der Vereinfachung halber gilt uns im Folgenden jede Art Arbeits- +kraft unmittelbar für einfache Arbeitskraft, wodurch nur die Mühe der Re- +duktion erspart wird. + +Wie also in den Werthen Rock und Leinwand von dem Unterschied +ihrer Gebrauchswerthe abstrahirt ist, so in den Arbeiten, die sich in diesen 30 +Werthen darstellen, von dem Unterschied ihrer nützlichen Formen, der +Schneiderei und Weberei. Wie die Gebrauchswerthe Rock und Leinwand +Verbindungen zweckbestimmter, produktiver Thätigkeiten mit Tuch und +Garn sind, die Werthe Rock und Leinwand dagegen bloße gleichartige Ar- +beitsgallerten, so gelten auch die in diesen Werthen enthaltenen Arbeiten 35 +nicht durch ihr produktives Verhalten zu Tuch und Garn, sondern nur als + +1 4 ) Vgl. „Hegel, Philosophie des Rechts". Berlin 1840, p.250, § 190. +1 5 ) Der Leser muß aufmerken, daß hier nicht vom Lohn oder Werth die Rede ist, den der Ar- +beiter für etwa einen Arbeitstag erhält, sondern vom Waarenwerth, worin sich sein Arbeitstag +vergegenständlicht. Die Kategorie des Arbeitslohns existirt überhaupt noch nicht auf dieser 40 +Stufe unsrer Darstellung. + +46 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft. Bildungselemente der Ge- +brauchswerthe Rock und Leinwand sind Schneiderei und Weberei eben +durch ihre verschiednen Qualitäten; Substanz des ||12| Rockwerths und +Leinwandwerths sind sie nur, soweit von ihrer besondren Qualität abstra- +5 hirt wird und beide gleiche Qualität besitzen, die Qualität menschlicher + +Arbeit. + +Rock und Leinwand sind aber nicht nur Werthe überhaupt, sondern +Werthe von bestimmter Größe und nach unsrer Unterstellung ist der Rock +doppelt so viel werth, als 10 Ellen Leinwand. Woher diese Verschiedenheit +ihrer Werthgrößen? Daher daß die Leinwand nur halb so viel Arbeit ent- +hält, als der Rock, so daß zur Produktion des letzteren die Arbeitskraft +während doppelt soviel Zeit verausgabt werden muß als zur Produktion der +erstem. + +Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswerth die in der Waare enthal- +tene Arbeit nur qualitativ gilt, gilt sie mit Bezug auf die Werthgröße nur +quantitativ, nachdem sie bereits auf menschliche Arbeit ohne weitere Qua- +lität reducirt ist. Dort handelt es sich um das Wie und Was der Arbeit, hier +um ihr Wie Viel, ihre Zeitdauer. Da die Werthgröße einer Waare nur das +Quantum der in ihr enthaltenen Arbeit darstellt, müssen Waaren in gewis- +ser Proportion stets gleich große Werthe sein. + +10 + +15 + +20 + +Bleibt die Produktivkraft, sage aller zur Produktion eines Rocks er- +heischten nützlichen Arbeiten unverändert, so steigt die Werthgröße der +Röcke mit ihrer eignen Quantität. Wenn 1 Rock x, stellen 2 Röcke 2 χ Ar- +beitstage dar u. s. w. Nimm aber an, die zur Produktion eines Rocks noth(cid:5) +25 wendige Arbeit steige auf das Doppelte oder falle um die Hälfte. Im ersten +Fall hat ein Rock so viel Werth, als vorher zwei Röcke, im letztern Fall ha- +ben zwei Röcke nur so viel Werth, als vorher einer, obgleich in beiden Fäl- +len ein Rock nach wie vor dieselben Dienste leistet und die in ihm enthal- +tene nützliche Arbeit nach wie vor von derselben Güte bleibt. Aber das in +seiner Produktion verausgabte Arbeitsquantum hat sich verändert. + +30 + +Ein größres Quantum Gebrauchswerth bildet an und für sich größren +stofflichen Reichthum, zwei Röcke mehr als einer. Mit zwei Röcken kann +man zwei Menschen kleiden, mit einem Rock nur einen Menschen u. s. w. +Dennoch kann der steigenden Masse des stofflichen Reichthums ein +35 gleichzeitiger Fall seiner Werthgröße entsprechen. Diese gegensätzliche +Bewegung entspringt aus dem zwieschlächtigen Charakter der Arbeit. Pro- +duktivkraft ist natürlich stets Produktivkraft nützlicher, konkreter Arbeit, +und bestimmt in der That nur den Wirkungsgrad zweckmäßiger produkti- +ver Thätigkeit in gegebnem Zeitraum. Die nützliche Arbeit ||13| wird daher +reichere oder dürftigere Produktenquelle im direkten Verhältniß zum Stei- +gen oder Fallen ihrer Produktivkraft. Dagegen trifft ein Wechsel der Pro- + +40 + +47 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +duktivkraft die im Werth dargestellte Arbeit an und für sich gar nicht. Da + +die Produktivkraft der konkreten nützlichen Form der Arbeit angehört, + +kann sie natürlich die Arbeit nicht mehr berühren, sobald von ihrer kon- + +kreten nützlichen Form abstrahirt wird. Dieselbe Arbeit ergiebt daher in + +denselben Zeiträumen stets dieselbe Werthgröße, wie immer die Produktiv- + +5 + +kraft wechsle. Aber sie liefert in demselben Zeitraum verschiedene Quanta + +Gebrauchswerthe, mehr, wenn die Produktivkraft steigt, weniger, wenn sie + +sinkt. Derselbe Wechsel der Produktivkraft, der die Fruchtbarkeit der Ar- + +beit und daher die Masse der von ihr gelieferten Gebrauchswerthe ver- + +mehrt, vermindert also die Werthgröße dieser vermehrten Gesammtmasse, 10 + +wenn er die Summe der zu ihrer Produktion nothwendigen Arbeitszeit ab- + +kürzt. Ebenso umgekehrt. + +Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im + +physiologischen Sinn und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder + +abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Waarenwerth. Alle Arbeit ist 15 + +andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer zweckbe- + +stimmter Form und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit pro- + +ducirt sie Gebrauchswerthe 1 6). | + +1 6 ) Note zur 2. Ausg. Um zu beweisen, „daß die Arbeit allein das endgültige und reale Maß +ist, woran der Werth aller Waaren zu allen Zeiten geschätzt und verglichen werden kann", 20 +sagt A. Smith: „Gleiche Quantitäten Arbeit müssen zu allen Zeiten und an allen Orten für den +Arbeiter selbst denselben Werth haben. In seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft +und Thätigkeit, und mit dem Durchschnittsgrad von Geschicklichkeit, die er besitzen mag, +muß er immer die nämliche Portion seiner Ruhe, seiner Freiheit und seines Glücks hinge- +ben." (Wealth of Nations, b.I. ch. V.) Einerseits verwechselt Α. Smith hier (nicht überall) die 25 +Bestimmung des Werths durch das in der Produktion der Waare verausgabte Arbeitsquantum +mit der Bestimmung der Waarenwerthe durch den Werth der Arbeit und sucht daher nachzu- +weisen, daß gleiche Quantitäten Arbeit stets denselben Werth haben. Andrerseits ahnt er, daß +die Arbeit, soweit sie sich im Werth der Waaren darstellt, nur als Verausgabung von Arbeits- +kraft gilt, faßt diese Verausgabung aber wieder bloß als Opfer von Ruhe, Freiheit und Glück, 30 +nicht auch als normale Lebensbethätigung. Allerdings hat er den modernen Lohnarbeiter vor +Augen. - Viel treffender sagt der Note 9 citirte anonyme Vorgänger von A. Smith: "One man +has employed himself a week in providing this necessary of life ... and he that gives him some +other in exchange, cannot make a better estimate of what is a proper equivalent, than by com- +puting what cost him just as much labour and time: which in effect is no more than exchang- 35 +ing one man's labour in one thing for a time certain for another man's labour in another thing +for the same time." (I.e. p.39.) - (Zur 4.Auflage: Die englische Sprache hat den Vorzug, zwei +verschiedne Worte für diese zwei verschiednen Aspekte der Arbeit zu haben. Die Arbeit, die +Gebrauchswerthe schafft und qualitativ bestimmt ist, heißt Work, im Gegensatz zu Labour; +die Arbeit, die Werth schafft und nur quantitativ gemessen wird, heißt Labour, im Gegensatz 40 +zu Work. Siehe Note zur engl. Übersetzung p. 14. - F. E.) + +48 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +1141 3) Die Werthform oder der Tauschwerth. + +Waaren kommen zur Welt in der Form von Gebrauchswerthen oder Waa- +renkörpern, als Eisen, Leinwand, Weizen u. s. w. Es ist dieß ihre hausbak- +kene Naturalform. Sie sind jedoch nur Waaren, weil Doppeltes, Ge- +5 brauchsgegenstände und zugleich Werthträger. Sie erscheinen daher nur +als Waaren oder besitzen nur die Form von Waaren, sofern sie Doppelform +besitzen, Naturalform und Werthform. + +Die Werthgegenständlichkeit der Waaren unterscheidet sich dadurch +von der Wittib Hurtig, daß man nicht weiß, wo sie zu haben ist. Im graden +10 Gegentheil zur sinnlich groben Gegenständlichkeit der Waarenkörper geht +kein Atom Naturstoff in ihre Werthgegenständlichkeit ein. Man mag daher +eine einzelne Waare drehen und wenden wie man will, sie bleibt unfaßbar +als Werthding. Erinnern wir uns jedoch, daß die Waaren nur Werthgegen- +ständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdrücke derselben gesellschaftlichen +15 Einheit, menschlicher Arbeit, sind, daß ihre Werthgegenständlichkeit also +rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch von selbst, daß sie nur im ge- +sellschaftlichen Verhältniß von Waare zu Waare erscheinen kann. Wir gin- +gen in der That vom Tauschwerth oder Austauschverhältniß der Waaren +aus, um ihrem darin versteckten Werth auf die Spur zu kommen. Wir müs- +sen jetzt zu dieser Erscheinungsform des Werthes zurückkehren. + +20 + +Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, daß die Waaren eine +mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerthe höchst frappant +kontrastirende, gemeinsame Werthform besitzen - die Geldform. Hier gilt +es jedoch zu leisten, was von der bürgerlichen Oekonomie nicht einmal +25 versucht ward, nämlich die Genesis dieser Geldform nachzuweisen, also +die Entwicklung des im Werthverhältniß der Waaren enthaltenen Werth- +ausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blenden- +den Geldform zu verfolgen. Damit verschwindet zugleich das Geldräthsel. +Das einfachste Werthverhältniß ist offenbar das Werthverhältniß einer +30 Waare zu einer einzigen verschiedenartigen Waare, gleichgültig welcher. +Das Werthverhältniß zweier Waaren liefert daher den einfachsten Werth- +ausdruck für eine Waare. | + +|15| A. Einfache, einzelne oder zufällige Werthform. + +35 + +χ Waare A = y Waare B oder: χ Waare A ist y Waare B werth. +(20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock +werth.) + +49 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +1) Die beiden Pole des Werthausdrucks: +Relative Werthform und Aequivalentform. +Das Geheimniß aller Werthform steckt in dieser einfachen Werthform. +Ihre Analyse bietet daher die eigentliche Schwierigkeit. + +Es spielen hier zwei verschiedenartige Waaren A und B, in unsrem Bei- +spiel Leinwand und Rock, offenbar zwei verschiedene Rollen. Die Lein- +wand drückt ihren Werth aus im Rock, der Rock dient zum Material dieses +Werthausdrucks. Die erste Waare spielt eine aktive, die zweite eine passive +Rolle. Der Werth der ersten Waare ist als relativer Werth dargestellt oder +sie befindet sich in relativer Werthform. Die zweite Waare funktionirt als 10 +Aequivalent oder befindet sich in Aequivalentform. + +5 + +Relative Werthform und Aequivalentform sind zu einander gehörige, +sich wechselseitig bedingende, unzertrennliche Momente, aber zugleich +einander ausschließende oder entgegengesetzte Extreme, d. h. Pole dessel- +ben Werthausdrucks; sie vertheilen sich stets auf die verschiedenen Waa- 15 +ren, die der Werthausdruck auf einander bezieht. Ich kann z.B. den Werth +der Leinwand nicht in Leinwand ausdrücken. 20 Ellen Leinwand = 20 El- +len Leinwand ist kein Werthausdruck. Die Gleichung sagt vielmehr umge- +kehrt: 20 Ellen Leinwand sind nichts andres als 20 Ellen Leinwand, ein be- +stimmtes Quantum des Gebrauchsgegenstandes Leinwand. Der Werth der 20 +Leinwand kann also nur relativ ausgedrückt werden, d. h. in andrer Waare. +Die relative Werthform der Leinwand unterstellt daher, daß irgend eine +andre Waare sich ihr gegenüber in der Aequivalentform befindet. Andrer- +seits, diese andre Waare, die als Aequivalent figurirt, kann sich nicht +gleichzeitig in relativer Werthform befinden. Nicht sie drückt ihren Werth 25 +aus. Sie liefert nur dem Werthausdruck andrer Waare das Material. + +Allerdings schließt der Ausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder +20 Ellen Leinwand sind 1 Rock werth, auch die Rückbeziehungen ein: +1 Rock = 20 Ellen Leinwand oder 1 Rock ist 20 Ellen Leinwand werth. +Aber so muß ich doch die Gleichung umkehren, um den Werth des Rocks 30 +relativ auszudrücken, und sobald ich das thue, wird die Leinwand Aequiva- +lent statt des Rockes. Dieselbe ||16| Waare kann also in demselben Werth- +ausdruck nicht gleichzeitig in beiden Formen auftreten. Diese schließen +sich vielmehr polarisch aus. + +Ob eine Waare sich nun in relativer Werthform befindet oder in der ent- 35 + +gegengesetzten Aequivalentform, hängt ausschließlich ab von ihrer jedes- +maligen Stelle im Werthausdruck, d. h. davon, ob sie die Waare ist, deren +Werth, oder aber die Waare, worin Werth ausgedrückt wird. + +50 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +2) Die relative Werthform. + +a) Gehalt der relativen Werthform. +Um herauszufinden, wie der einfache Werthausdruck einer Waare im +Werthverhältniß zweier Waaren steckt, muß man letzteres zunächst ganz +5 unabhängig von seiner quantitativen Seite betrachten. Man verfährt meist +grade umgekehrt und sieht im Werthverhältniß nur die Proportion, worin +bestimmte Quanta zweier Waarensorten einander gleichgelten. Man über- +sieht, daß die Größen verschiedner Dinge erst quantitativ vergleichbar wer- +den nach ihrer Reduktion auf dieselbe Einheit. Nur als Ausdrücke dersel- + +10 ben Einheit sind sie gleichnamige, daher kommensurable Größen 1 7). + +Ob 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 20 oder = χ Röcke, d.h., ob ein +gegebenes Quantum Leinwand viele oder wenige Röcke werth ist, jede sol- +che Proportion schließt stets ein, daß Leinwand und Röcke als Werthgrö- +ßen Ausdrücke derselben Einheit, Dinge von derselben Natur sind. Lein- + +15 wand = Rock ist die Grundlage der Gleichung. + +Aber die zwei qualitativ gleichgesetzten Waaren spielen nicht dieselbe +Rolle. Nur der Werth der Leinwand wird ausgedrückt. Und wie? Durch ihre +Beziehung auf den Rock als ihr „Aequivalent" oder mit ihr „Austauschba- +res". In diesem Verhältniß gilt der Rock als Existenzform von Werth, als +20 Werthding, denn nur als solches ist er dasselbe wie die Leinwand. Andrer- +seits kommt das eigne Werthsein der Leinwand zum Vorschein oder erhält +einen selbstständigen Ausdruck, denn nur als Werth ist sie auf ||17| den +Rock als Gleichwerthiges oder mit ihr Austauschbares bezüglich. So ist die +Buttersäure ein vom Propylformat verschiedner Körper. Beide bestehn j e - +25 doch aus denselben chemischen Substanzen - Kohlenstoff (C) Wasserstoff +(H) und Sauerstoff (O) und zwar in gleicher procentiger Zusammenset- +zung, nämlich C 4 H 8 O 2 . Würde nun der Buttersäure das Propylformat +gleichgesetzt, so gälte in diesem Verhältniß erstens das Propylformat bloß +als Existenzform von C 4 H 8 O 2 und zweitens wäre gesagt, daß auch die But- +tersäure aus C 4 H 8 O 2 besteht. Durch die Gleichsetzung des Propylformats +mit der Buttersäure wäre also ihre chemische Substanz im Unterschied von +ihrer Körperform ausgedrückt. + +30 + +Sagen wir: Als Werthe sind die Waaren bloße Gallerten menschlicher + +35 + +1 7 ) Die wenigen Oekonomen, die sich, wie S. Bailey, mit der Analyse der Werthform beschäf- +tigt haben, konnten zu keinem Resultat kommen, einmal, weil sie Werthform und Werth ver- +wechseln, zweitens, weil sie, unter dem rohen Einfluß des praktischen Bürgers, von vorn her- +ein ausschließlich die quantitative Bestimmtheit ins Auge fassen. "The command of +quantity ... constitutes value." (,,Money and its Vicissitudes". Lond. 1837, p. 11). Verfasser +S.Bailey. + +51 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Arbeit, so reducirt unsre Analyse dieselben auf die Werthabstraktion, giebt +ihnen aber keine von ihren Naturalformen verschiedne Werthform. Anders +im Werthverhältniß einer Waare zur andern. Ihr Werthcharakter tritt hier +hervor durch ihre eigne Beziehung zu der andern Waare. + +5 + +Indem z.B. der Rock als Werthding der Leinwand gleichgesetzt wird, +wird die in ihm steckende Arbeit der in ihr steckenden Arbeit gleichge- +setzt. Nun ist zwar die Schneiderei, die den Rock macht, eine von der We- +berei, die die Leinwand macht, verschiedenartige konkrete Arbeit. Aber die +Gleichsetzung mit der Weberei reducirt die Schneiderei thatsächlich auf +das in beiden Arbeiten wirklich Gleiche, auf ihren gemeinsamen Charakter 10 +menschlicher Arbeit. Auf diesem Umweg ist dann gesagt, daß auch die +Weberei, sofern sie Werth webt, keine Unterscheidungsmerkmale von der +Schneiderei besitzt, also abstrakt menschliche Arbeit ist. Nur der Aequiva- +lenzausdruck verschiedenartiger Waaren bringt den specifîschen Charak- +ter der werthbildenden Arbeit zum Vorschein, indem er die in den ver- 15 +schiedenartigen Waaren steckenden, verschiedenartigen Arbeiten +sächlich auf +überhaupt.1 7* 1). | + +that- +auf menschliche Arbeit + +ihr Gemeinsames + +reducirt, + +|18| Es genügt indeß nicht, den specifîschen Charakter der Arbeit auszu- +drücken, woraus der Werth der Leinwand besteht. Menschliche Arbeits- 20 +kraft im flüssigen Zustand oder menschliche Arbeit bildet Werth, aber ist +nicht Werth. Sie wird Werth in geronnenem Zustand, in gegenständlicher +Form. Um den Leinwandwerth als Gallerte menschlicher Arbeit auszu- +drücken, muß er als eine „Gegenständlichkeit" ausgedrückt werden, wel- +che von der Leinwand selbst dinglich verschieden und ihr zugleich mit 25 +andrer Waare gemeinsam ist. Die Aufgabe ist bereits gelöst. + +Im Werthverhältniß der Leinwand gilt der Rock als ihr qualitativ Glei- +ches, als Ding von derselben Natur, weil er ein Werth ist. Er gilt hier daher +als ein Ding, worin Werth erscheint, oder welches in seiner handgreiflichen +Naturalform Werth darstellt. Nun ist zwar der Rock, der Körper der Rock- 30 +waare, ein bloßer Gebrauchswerth. Ein Rock drückt eben so wenig Werth +aus als das erste beste Stück Leinwand. Dieß beweist nur, daß er innerhalb +des Werthverhältnisses zur Leinwand mehr bedeutet als außerhalb dessel- + +1 7 a ) Note zur 2. Ausgabe. Einer der ersten Oekonomen, der nach William Petty die Natur des +Werths durchschaut hat, der berühmte Franklin, sagt: „Da der Handel überhaupt nichts ist als 35 +der Austausch einer Arbeit gegen andre Arbeit, wird der Werth aller Dinge am richtigsten ge- +schätzt in Arbeit." („The Works of Β. Franklin etc., edited by Sparks", Boston 1836, v. II, +p. 267.) Franklin ist sich nicht bewußt, daß, indem er den Werth aller Dinge „in Arbeit" +schätzt, er von der Verschiedenheit der ausgetauschten Arbeiten abstrahirt - und sie so auf +gleiche menschliche Arbeit reducirt. Was er nicht weiß, sagt er jedoch. Er spricht erst von „der +einen Arbeit", dann „von der andren Arbeit", schließlich von „Arbeit" ohne weitere Bezeich- +nung als Substanz des Werths aller Dinge. + +40 + +52 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +ben, wie so mancher Mensch innerhalb eines galonirten Rockes mehr be- +deutet als außerhalb desselben. + +In der Produktion des Rockes ist thatsächlich, unter der Form der +Schneiderei, menschliche Arbeitskraft verausgabt worden. Es ist also +5 menschliche Arbeit in ihm aufgehäuft. Nach dieser Seite hin ist der Rock +„Träger von Werth", obgleich diese seine Eigenschaft selbst durch seine +größte Fadenscheinigkeit nicht durchblickt. Und im Werthverhältniß der +Leinwand gilt er nur nach dieser Seite, daher als verkörperter Werth, als +Werthkörper. Trotz seiner zugeknöpften Erscheinung hat die Leinwand in +ihm die stammverwandte schöne Werthseele erkannt. Der Rock kann ihr +gegenüber jedoch nicht Werth darstellen, ohne daß für sie gleichzeitig der +Werth die Form eines Rockes annimmt. So kann sich das Individuum A +nicht zum Individuum B als einer Majestät verhalten, ohne daß für A die +Majestät zugleich die Leibesgestalt von B annnimmt und daher Gesichts- +15 züge, Haare und manches andre noch mit dem jedesmaligen Landesvater + +10 + +wechselt. + +20 + +Im Werthverhältniß, worin der Rock das Aequivalent der Leinwand bil- +det, gilt also die Rockform als Werthform. Der Werth der Waare Leinwand +wird daher ausgedrückt im Körper der Waare Rock, der Werth einer Waare +im Gebrauchswerth der andren. Als Gebrauchswerth ist die Leinwand ein +vom Rock sinnlich verschiednes Ding, als Werth ist sie „Rockgleiches" +und sieht daher aus wie ein Rock. So erhält sie eine von ihrer Naturalform +ver||19|schiedne Werthform. Ihr Werthsein erscheint in ihrer Gleichheit +mit dem Rock, wie die Schafsnatur des Christen in seiner Gleichheit mit + +25 dem Lamm Gottes. + +Man sieht, alles was uns die Analyse des Waarenwerths vorher sagte, +sagt die Leinwand selbst, sobald sie in Umgang mit andrer Waare, dem +Rock, tritt. Nur verräth sie ihre Gedanken in der ihr allein geläufigen Spra- +che, der Waarensprache. Um zu sagen, daß die Arbeit in der abstrakten Ei- +30 genschaft menschlicher Arbeit ihren eignen Werth bildet, sagt sie, daß der +Rock, so weit er ihr gleichgilt, also Werth ist, aus derselben Arbeit besteht +wie die Leinwand. Um zu sagen, daß ihre sublime Werthgegenständlich- +keit von ihrem steifleinenen Körper verschieden ist, sagt sie, daß Werth +aussieht wie ein Rock und daher sie selbst als Werthding dem Rock gleicht +35 wie ein Ei dem andern. Nebenbei bemerkt hat auch die Waarensprache, +außer dem Hebräischen, noch viele andre mehr oder minder korrekte +Mundarten. Das deutsche „Werthsein" drückt z. B. minder schlagend aus +als das romanische Zeitwort valere, valer, valoir, daß die Gleichsetzung der +Waare B mit der Waare A, der eigne Werthausdruck der Waare A ist. Paris + +40 vaut bien une messe! + +Vermittelst des Werthverhältnisses wird also die Naturalform der + +53 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Waare B zur Werthform der Waare A oder der Körper der Waare B zum +Werthspiegel der Waare A 1 8 ) . Indem sich die Waare A auf die Waare B als +Werthkörper bezieht, als Materiatur menschlicher Arbeit, macht sie den +Gebrauchswerth B zum Material ihres eignen Werthausdrucks. Der Werth +der Waare A, so ausgedrückt im Gebrauchswerth der Waare B, besitzt die +Form des relativen Werths. + +5 + +b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Werthform. +Jede Waare, deren Werth ausgedrückt werden soll, ist ein Gebrauchsgegen- +stand von gegebnem Quantum, 15 Scheffel Weizen, 100 Pfd. Kaffee u.s.w. +Dieses gegebne Waarenquantum enthält ein bestimmtes Quantum 10 +menschlicher Arbeit. Die Werthform hat also nicht nur Werth überhaupt, +sondern quantitativ be||20|stimmten Werth oder Werthgröße auszudrük- +ken. Im Werthverhältniß der Waare A zur Waare B, der Leinwand zum +Rocke, wird daher die Waarenart Rock nicht nur als Werthkörper über- +haupt der Leinwand qualitativ gleich gesetzt, sondern einem bestimmten 15 +Leinwandquantum, z . B . 20 Ellen Leinwand, ein bestimmtes Quantum des +Werthkörpers oder Aequivalents, z . B . 1 Rock. + +Die Gleichung: „20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand +sind 1 Rock werth" setzt voraus, daß in 1 Rock gerade so viel Werthsub- +stanz steckt als in 20 Ellen Leinwand, daß beide Waarenquanta also gleich 20 +viel Arbeit kosten oder gleich große Arbeitszeit. Die zur Produktion von +20 Ellen Leinwand oder 1 Rock nothwendige Arbeitszeit wechselt aber mit +jedem Wechsel in der Produktivkraft der Weberei oder der Schneiderei. +Der Einfluß solcher Wechsel auf den relativen Ausdruck der Werthgröße +soll nun näher untersucht werden. + +25 + +I. Der Werth der Leinwand wechsle 1 9), während der Rockwerth konstant +bleibt. Verdoppelt sich die zur Produktion der Leinwand nothwendige Ar- +beitszeit, etwa in Folge zunehmender Unfruchtbarkeit des flachstragenden +Bodens, so verdoppelt sich ihr Werth. Statt 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, +hätten wir 20 Ellen Leinwand = 2 Röcke, da 1 Rock jetzt nur halb so viel 30 +Arbeitszeit enthält als 20 Ellen Leinwand. Nimmt dagegen die zur Produk- + +1 8 ) In gewisser Art geht's dem Menschen wie der Waare. Da er weder mit einem Spiegel auf +die Welt kommt, noch als Fichtescher Philosoph: Ich bin ich, bespiegelt sich der Mensch zu- +erst in einem andren Menschen. Erst durch die Beziehung auf den Menschen Paul als seines- +gleichen, bezieht sich der Mensch Peter auf sich selbst als Mensch. Damit gilt ihm aber auch 35 +der Paul mit Haut und Haaren, in seiner paulinischen Leiblichkeit, als Erscheinungsform des +genus Mensch. +1 9 ) Der Ausdruck „Werth" wird hier, wie beiläufig schon früher stellenweis geschah, für quan- +titativ bestimmten Werth, also für Werthgröße gebraucht. + +54 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +tion der Leinwand nothwendige Arbeitszeit um die Hälfte ab, etwa in +Folge verbesserter Webstühle, so sinkt der Leinwandwerth um die Hälfte. +Demgemäß jetzt: 20 Ellen Leinwand = % Rock. Der relative Werth der +Waare A, d.h. ihr Werth ausgedrückt in der Waare B, steigt und fällt also +5 direkt wie der Werth der Waare A, bei gleichbleibendem Werth der + +Waare B. + +IL Der Werth der Leinwand bleibe konstant, während der Rockwerth +wechsle. Verdoppelt sich unter diesen Umständen die zur Produktion des +Rockes nothwendige Arbeitszeit, etwa in Folge ungünstiger Wollschur, so +10 haben wir statt 20 Ellen Leinwand = 1 Rock jetzt: 20 Ellen Leinwand += Y 2 Rock. Fällt dagegen der Werth des Rockes um die Hälfte, so 20 Ellen +Leinwand = 2 Röcke. Bei gleichbleibendem Werth der Waare A, fällt oder +steigt daher ihr relativer, in der Waare B ausgedrückter Werth im umge- +kehrten Verhältnis zum Werthwechsel von B. + +15 + +20 + +25 + +30 + +35 + +Vergleicht man die verschiednen Fälle sub I und II, so er||21|giebt sich, +daß derselbe Größenwechsel des relativen Werths aus ganz entgegengesetz- +ten Ursachen entspringen kann. So wird aus: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock: +1) die Gleichung 20 Ellen Leinwand = 2 Röcke, entweder, weil der Werth +der Leinwand sich verdoppelt oder der Werth der Röcke um die Hälfte +fällt, und 2) die Gleichung 20 Ellen Leinwand = % Rock, entweder weil der +Werth der Leinwand um die Hälfte sinkt oder der Werth des Rockes auf +das Doppelte steigt. + +III. Die zur Produktion von Leinwand und Rock nothwendigen Arbeits- +quanta mögen gleichzeitig, in derselben Richtung und derselben Propor- +tion wechseln. In diesem Falle nach wie vor 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, +wie immer ihre Werthe verändert seien. Man entdeckt ihren Werthwechsel +sobald man sie mit einer dritten Waare vergleicht, deren Werth konstant +blieb. Stiegen oder fielen die Werthe aller Waaren gleichzeitig und in der- +selben Proportion, so würden ihre relativen Werthe unverändert bleiben. +Ihren wirklichen Werthwechsel ersähe man daraus, daß in derselben Ar- +beitszeit nun allgemein ein größeres oder kleineres Waarenquantum als +vorher geliefert würde. + +IV. Die zur Produktion von Leinwand und Rock resp. nothwendigen Ar- +beitszeiten, und daher ihre Werthe, mögen gleichzeitig in derselben Rich- +tung wechseln, aber in ungleichem Grad, oder in entgegengesetzter Rich- +tung u.s.w. Der Einfluß aller möglichen derartigen Kombinationen auf den +relativen Werth einer Waare ergiebt sich einfach durch Anwendung der +Fälle I , I L und III. + +40 + +Wirkliche Wechsel der Werthgröße spiegeln sich also weder unzweideu- +tig noch erschöpfend wieder in ihrem relativen Ausdruck oder in der Größe +des relativen Werths. Der relative Werth einer Waare kann wechseln, ob- + +55 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +gleich ihr Werth konstant bleibt. Ihr relativer Werth kann konstant bleiben, +obgleich ihr Werth wechselt, und endlich brauchen gleichzeitige Wechsel +in ihrer Werthgröße und im relativen Ausdruck dieser Werthgröße sich kei- +neswegs zu decken 2 0). | + +|22| 3) Die Aequivalentform. +Man hat gesehn: Indem eine Waare A (die Leinwand) ihren Werth im Ge- +brauchswerth einer verschiedenartigen Waare B (dem Rock) ausdrückt, +drückt sie letzterer selbst eine eigenthümliche Werthform auf, die des +Aequivalents. Die Leinwandwaare bringt ihr eignes Werthsein dadurch +zum Vorschein, daß ihr der Rock, ohne Annahme einer von seiner Körper- 10 +form verschiednen Werthform, gleichgilt. Die Leinwand drückt also in der +That ihr eignes Werthsein dadurch aus, daß der Rock unmittelbar mit ihr +austauschbar ist. Die Aequivalentform einer Waare ist folglich die Form +ihrer unmittelbaren Austauschbarkeit mit anderer Waare. + +5 + +Wenn eine Waarenart, wie Röcke, einer andren Waarenart, wie Lein- 15 + +wand, zum Aequivalent dient, Röcke daher die charakteristische Eigen- +schaft erhalten, sich in inmittelbar austauschbarer Form mit Leinwand zu +befinden, so ist damit in keiner Weise die Proportion gegeben, worin +Röcke und Leinwand austauschbar sind. Sie hängt, da die Werthgröße der +Leinwand gegeben ist, von der Werthgröße der Röcke ab. Ob der Rock als 20 +Aequivalent und die Leinwand als relativer Werth, oder umgekehrt die +Leinwand als Aequivalent und der Rock als relativer Werth ausgedrückt +sei, seine Werthgröße bleibt nach wie vor durch die zu seiner Produktion +nothwendige Arbeitszeit, also unabhängig von seiner Werthform bestimmt. + +2 0 ) Note zur 2. Ausg. Diese Inkongruenz zwischen der Werthgröße und ihrem relativen Aus- 25 +druck ist von der Vulgärökonomie mit gewohntem Scharfsinn ausgebeutet worden. Z. B.: +„Gebt einmal zu, daß A fällt, weil B, womit es ausgetauscht wird, steigt, obgleich unterdessen +nicht weniger Arbeit auf A verausgabt wird, und euer allgemeines Werthprincip fällt zu Bo- +den. ... Wenn zugegeben wird, daß, weil der Werth von A relativ zu B steigt, der Werth von B +relativ zu A fällt, ist der Grund unter den Füßen weggeschnitten, worauf Ricardo seinen gro- +ßen Satz aufstellt, daß der Werth einer Waare stets bestimmt ist durch das Quantum der ihr +einverleibten Arbeit, denn wenn ein Wechsel in den Kosten von A nicht nur seinen eignen +Werth im Verhältniß zu B, womit es ausgetauscht wird, verändert, sondern auch den Werth +von B relativ zu dem von A, obgleich kein Wechsel stattgefunden hat in dem zur Produktion +von B erheischten Arbeitsquantum, dann fällt nicht nur die Doktrin zu Boden, die versichert, +daß die auf einen Artikel verausgabte Quantität Arbeit seinen Werth regulirt, sondern auch +die Doktrin, daß die Produktionskosten eines Artikels seinen Werth reguliren." (J.Broadhurst: +,,Political Economy", London 1842, p. 11, 14.) + +35 + +30 + +Herr Broadhurst konnte eben so gut sagen: man sehe sich einmal die Zahlenverhältnisse +1%o> 1 Z ^ o , 1%oo u - s - w - a n - Die Zahl 10 bleibt unverändert, und dennoch nimmt ihre proportio- 40 +nelle Größe, ihre Größe relativ zu den Nennern 20, 50, 100, beständig ab. Also fällt das große +Princip zu Boden, daß die Größe einer ganzen Zahl wie 10 z. B. durch die Anzahl der in ihr +enthaltenen Einer „regulirt" ist. + +56 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +Aber sobald die Waarenart Rock im Werthausdruck die Stelle des Aequi- +valents einnimmt, erhält ihre Werthgröße keinen Ausdruck als Werth- +größe. Sie figurirt in der Werthgleichung vielmehr nur als bestimmtes +Quantum einer Sache. + +5 + +Z . B . : 40 Ellen Leinwand sind „werth" - was? 2 Röcke. Weil die Waaren- +art Rock hier die Rolle des Aequivalents spielt, der Gebrauchswerth Rock +der Leinwand gegenüber als Werthkörper gilt, genügt auch ein bestimmtes +Quantum Röcke, um ein be||23|stimmtes Werthquantum Leinwand auszu- +drücken. Zwei Röcke können daher die Werthgröße von 40 Ellen Lein- +10 wand, aber sie können nie ihre eigne Werthgröße, die Werthgröße von Rök- +ken, ausdrücken. Die oberflächliche Auffassung dieser Thatsache, daß das +Aequivalent in der Werthgleichung stets nur die Form eines einfachen +Quantums einer Sache, eines Gebrauchswerthes, besitzt, hat Bailey, wie +viele seiner Vorgänger und Nachfolger, verleitet, im Werthausdruck ein +15 nur quantitatives Verhältniß zu sehn. Die Aequivalentform einer Waare + +enthält vielmehr keine quantitative Werthb e Stimmung. + +Die erste Eigenthümlichkeit, die bei Betrachtung der Aequivalentform +auffällt, ist diese: Gebrauchswerth wird zur Erscheinungsform seines Ge- +gentheils, des Werths. + +20 + +25 + +Die Naturalform der Waare wird zur Werthform. Aber, notabene, dieß +quid pro quo ereignet sich für eine Waare B (Rock oder Weizen oder Eisen +u. s. w.) nur innerhalb des Werthverhältnisses, worin eine beliebige andre +Waare A (Leinwand etc.) zu ihr tritt, nur innerhalb dieser Beziehung. Da +keine Waare sich auf sich selbst als Aequivalent beziehn, also auch nicht +ihre eigne Naturalhaut zum Ausdruck ihres eignen Werths machen kann, +muß sie sich auf andre Waare als Aequivalent beziehn oder die Natural- +haut einer andren Waare zu ihrer eignen Werthform machen. + +Dieß veranschauliche uns das Beispiel eines Maßes, welches den Waa- +renkörpern als Waarenkörpern zukommt, d. h. als Gebrauchswerthen. Ein +30 Zuckerhut, weil Körper, ist schwer, und hat daher Gewicht, aber man kann +keinem Zuckerhut sein Gewicht ansehn oder anfühlen. Wir nehmen nun +verschiedne Stücke Eisen, deren Gewicht vorher bestimmt ist. Die Körper- +form des Eisens, für sich betrachtet, ist eben so wenig Erscheinungsform +der Schwere als die des Zuckerhuts. Dennoch, um den Zuckerhut als +35 Schwere auszudrücken, setzen wir ihn in ein Gewichtsverhältniß zum +Eisen. In diesem Verhältniß gilt das Eisen als ein Körper, der nichts dar- +stellt außer Schwere. Eisenquanta dienen daher zum Gewichtsmaß des +Zuckers und repräsentiren dem Zuckerkörper gegenüber bloße Schwerge- +stalt, Erscheinungsform von Schwere. Diese Rolle spielt das Eisen nur in- +40 nerhalb dieses Verhältnisses, worin der Zucker, oder irgend ein anderer +Körper, dessen Gewicht gefunden werden soll, zu ihm tritt. Wären beide + +57 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +Dinge nicht schwer, so könnten sie nicht in dieses Verhältniß treten und +das Eine daher nicht zum Ausdruck der Schwere des Andren dienen. Wer- +fen wir ||24| beide auf die Wagschale, so sehn wir in der That, daß sie als +Schwere dasselbe, und daher in bestimmter Proportion auch von demsel- +ben Gewicht sind. Wie der Eisenkörper, als Gewichtsmaß dem Zuckerhut +gegenüber nur Schwere, so vertritt in unsrem Werthausdruck der Rockkör- +per der Leinwand gegenüber nur Werth. + +5 + +Hier hört jedoch die Analogie auf. Das Eisen vertritt im Gewichtsaus- +druck des Zuckerhuts eine beiden Körpern gemeinsame Natureigenschaft, +ihre Schwere -, während der Rock im Werthausdruck der Leinwand eine 10 +übernatürliche Eigenschaft beider Dinge vertritt: ihren Werth, etwas rein +Gesellschaftliches. + +Indem die relative Werthform einer Waare, z.B. der Leinwand, ihr +Werthsein als etwas von ihrem Körper und seinen Eigenschaften durchaus +Unterschiedenes ausdrückt, z . B . als Rockgleiches, deutet dieser Ausdruck 15 +selbst an, daß er ein gesellschaftliches Verhältniß verbirgt. Umgekehrt mit +der Aequivalentform. Sie besteht ja gerade darin, daß ein Waarenkörper, +wie der Rock, dieß Ding wie es geht und steht, Werth ausdrückt, also von +Natur Werthform besitzt. Zwar gilt dieß nur innerhalb des Werthverhält- +nisses, worin die Leinwandwaare auf die Rockwaare als Aequivalent bezo- 20 +gen i s t 2 1 ) . Da aber Eigenschaften eines Dings nicht aus seinem Verhältniß +zu andern Dingen entspringen, sich vielmehr in solchem Verhältniß nur +bethätigen, scheint auch der Rock seine Aequivalentform, seine Eigen- +schaft unmittelbarer Austauschbarkeit, ebenso sehr von Natur zu besitzen +wie seine Eigenschaft schwer zu sein oder warm zu halten. Daher das Rath- 25 +seihafte der Aequivalentform, das den bürgerlich rohen Blick des politi- +schen Oekonomen erst schlägt, sobald diese Form ihm fertig gegenübertritt +im Geld. Dann sucht er den mystischen Charakter von Gold und Silber +wegzuklären, indem er ihnen minder blendende Waaren unterschiebt und +mit stets erneutem Vergnügen den Katalog all des Waarenpöbels ableiert, 30 +der seiner Zeit die Rolle des Waarenaequivalents gespielt hat. Er ahnt +nicht, daß schon der einfachste Werthausdruck, wie 20 Ellen Leinwand += 1 Rock, das Räthsel der Aequivalentform zu lösen giebt. + +Der Körper der Waare, die zum Aequivalent dient, gilt stets als Verkör- +perung abstrakt menschlicher Arbeit und ist stets das Produkt einer be- 35 +stimmten nützlichen, konkreten Arbeit. Diese ||25| konkrete Arbeit wird +also zum Ausdruck abstrakt menschlicher Arbeit. Gilt der Rock z.B. als +bloße Verwirklichung, so die Schneiderei, die sich thatsächlich in ihm ver- + +2 1 ) Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eigenes Ding. Dieser Mensch +ist z.B. nur König, weil sich andre Menschen als Unterthanen zu ihm verhalten. Sie glauben 40 +umgekehrt Unterthanen zu sein, weil er König ist. + +58 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +wirklicht, als bloße Verwirklichungsform abstrakt menschlicher Arbeit. Im +Werthausdruck der Leinwand besteht die Nützlichkeit der Schneiderei +nicht darin, daß sie Kleider, also auch Leute, sondern daß sie einen Körper +macht, dem man es ansieht, daß er Werth ist, also Gallerte von Arbeit, die +sich durchaus nicht unterscheidet von der im Leinwandwerth vergegen- +ständlichten Arbeit. Um solch einen Werthspiegel zu machen, muß die +Schneiderei selbst nichts wiederspiegeln außer ihrer abstrakten Eigen- +schaft, menschliche Arbeit zu sein. + +5 + +10 + +In der Form der Schneiderei wie in der Form der Weberei wird mensch- +liehe Arbeitskraft verausgabt. Beide besitzen daher die allgemeine Eigen- +schaft menschlicher Arbeit und mögen daher in bestimmten Fällen, z.B. +bei der Werthproduktion, nur unter diesem Gesichtspunkt in Betracht +kommen. All das ist nicht mysteriös. Aber im Werthausdruck der Waare +wird die Sache verdreht. Um z . B . auszudrücken, daß das Weben nicht in +15 seiner konkreten Form als Weben, sondern in seiner allgemeinen Eigen- +schaft als menschliche Arbeit den Leinwandwerth bildet, wird ihm die +Schneiderei, die konkrete Arbeit, die das Leinwand-Aequivalent producirt, +gegenübergestellt als die handgreifliche Verwirklichungsform abstrakt +menschlicher Arbeit. + +20 + +Es ist also eine zweite Eigenthümlichkeit der Aequivalentform, daß kon- +krete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegentheils, abstrakt menschli- +cher Arbeit wird. + +Indem aber diese konkrete Arbeit, die Schneiderei, als bloßer Ausdruck +unterschiedsloser menschlicher Arbeit gilt, besitzt sie die Form der Gleich- +25 heit mit andrer Arbeit, der in der Leinwand steckenden Arbeit, und ist da- +her, obgleich Privatarbeit, wie alle andre, Waaren producirende Arbeit, +dennoch Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Eben deßhalb stellt +sie sich dar in einem Produkt, das unmittelbar austauschbar mit andrer +Waare ist. Es ist also eine dritte Eigenthümlichkeit der Aequivalentform, +30 daß Privatarbeit zur Form ihres Gegentheils wird, zu Arbeit in unmittelbar + +gesellschaftlicher Form. + +Die beiden zuletzt entwickelten Eigenthümlichkeiten der Aequivalent- +form werden noch faßbarer, wenn wir zu dem großen Forscher zurückgehn, +der die Werthform, wie so viele Denkformen, Gesellschaftsformen und Na- +turformen zuerst analysirt hat. Es ist dieß Aristoteles. | + +35 + +|26| Zunächst spricht Aristoteles klar aus, daß die Geldform der Waare +nur die weiter entwickelte Gestalt der einfachen Werthform ist, d. h. des +Ausdrucks des Werths einer Waare in irgend einer beliebigen andren +Waare, denn er sagt: + +40 + +„5 Polster = 1 Haus" (,,Κλΐναι πέντε αντί οικίας") + +„unterscheidet sich nicht" von: + +59 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +„5 Polster = so und so viel Geld" +(,,Κλϊναι πέντε αντί ... δ σου ai πέντε κλιναι"). + +Er sieht ferner ein, daß das Werthverhältniß, worin dieser Werthausdruck +steckt, seinerseits bedingt, daß das Haus dem Polster qualitativ gleichge- +setzt wird, und daß diese sinnlich verschiednen Dinge ohne solche We- +sensgleichheit nicht als kommensurable Größen auf einander beziehbar +wären. „Der Austausch", sagt er, „kann nicht sein ohne die Gleichheit, die +Gleichheit aber nicht ohne die Kommensurabilität" („οΰτ ίσότης μή +ούσης συμμετρίας"). Hier aber stutzt er und giebt die weitere Analyse der +Werthform auf. „Es ist aber in Wahrheit unmöglich (,,τη μεν ούν άλη(cid:5) 10 +θεία αδύνατον"), daß so verschiedenartige Dinge kommensurabel", d. h. +qualitativ gleich seien. Diese Gleichsetzung kann nur etwas der wahren +Natur der Dinge Fremdes sein, also nur „Nothbehelf für das praktische B e - +dürfniß". + +5 + +Aristoteles sagt uns also selbst, woran seine weitere Analyse scheitert, 15 + +nämlich am Mangel des Werthbegriffs. Was ist das Gleiche, d. h. die ge- +meinschaftliche Substanz, die das Haus für den Polster im Werthausdruck +des Polsters vorstellt? So etwas kann „in Wahrheit nicht existiren", sagt +Aristoteles. Warum? Das Haus stellt dem Polster gegenüber ein Gleiches +vor, soweit es das in Beiden, dem Polster und dem Haus, wirklich Gleiche 20 +vorstellt. Und das ist - menschliche Arbeit. + +Daß aber in der Form der Waarenwerthe alle Arbeiten als gleiche +menschliche Arbeit und daher als gleichgeltend ausgedrückt sind, konnte +Aristoteles nicht aus der Werthform selbst herauslesen, weil die griechi- +sche Gesellschaft auf der Sklavenarbeit beruhte, daher die Ungleichheit 25 +der Menschen und ihrer Arbeitskräfte zur Naturbasis hatte. Das Geheim- +niß des Werthausdrucks, die Gleicheit und gleiche Gültigkeit aller Arbei- +ten, weil und insofern sie menschliche Arbeit überhaupt sind, kann nur +entziffert werden, sobald der Begriff der menschlichen Gleichheit bereits +die Festigkeit eines Volksvorurtheils besitzt. Das ist aber erst möglich in 30 +einer Gesellschaft, worin die Waarenform die allgemeine Form des Ar- +beitsprodukts, also auch das Verhältniß der Menschen zu einander als | +|27| Waarenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältniß ist. Das +Genie des Aristoteles glänzt grade darin, daß er im Werthausdruck der +Waaren ein Gleichheitsverhältniß entdeckt. Nur die historische Schranke 35 +der Gesellschaft, worin er lebte, verhindert ihn herauszufinden, worin denn +„in Wahrheit" dies Gleichheitsverhältniß besteht. + +60 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +4. Das Ganze der einfachen Werthform. +Die einfache Werthform einer Waare ist enthalten in ihrem Werthverhält- +niß zu einer verschiedenartigen Waare oder im Austauschverhältniß mit +derselben. Der Werth der Waare A wird qualitativ ausgedrückt durch die +5 unmittelbare Austauschbarkeit der Waare B mit der Waare A. Er wird +quantitativ ausgedrückt durch die Austauschbarkeit eines bestimmten +Quantums der Waare B mit dem gegebenen Quantum der Waare A. In and- +ren Worten: Der Werth einer Waare ist selbständig ausgedrückt durch +seine Darstellung als „Tauschwerth". Wenn es im Eingang dieses Kapitels +in der gäng und gäben Manier hieß: Die Waare ist Gebrauchswerth und +Tauschwerth, so war dieß, genau gesprochen, falsch. Die Waare ist Ge- +brauchswerth oder Gebrauchsgegenstand und „Werth". Sie stellt sich dar +als dieß Doppelte was sie ist, sobald ihr Werth eine eigne, von ihrer Natu- +ralform verschiedene Erscheinungsform besitzt, die des Tauschwerths, und +sie besitzt diese Form niemals isolirt betrachtet, sondern stets nur im +Werth- oder Austauschverhältniß zu einer zweiten, verschiedenartigen +Waare. Weiß man das jedoch einmal, so thut jene Sprechweise keinen +Harm, sondern dient zur Abkürzung. + +10 + +15 + +25 + +Unsere Analyse bewies, daß die Werthform oder der Werthausdruck der +20 Waare aus der Natur des Waarenwerths entspringt, nicht umgekehrt Werth +und Werthgröße aus ihrer Ausdrucksweise als Tauschwerth. Dieß ist jedoch +der Wahn sowohl der Merkantilisten und ihrer modernen Aufwärmer wie +Ferrier, Ganilh u.s.w. 2 2), als auch ihrer Antipoden, der modernen Freihan- +dels-Commis-Voyageurs, wie Bastiat und Konsorten. Die Merkantilisten +legen das Hauptgewicht auf die qualitative Seite des Werthausdrucks, da- +her auf die Aequivalentform der Waare, die im Geld ihre fertige Gestalt +besitzt, - die modernen Freihandelshausirer dagegen, die ihre ||28| Waare +um jeden Preis losschlagen müssen, auf die quantitative Seite der relativen +Werthform. Für sie existirt folglich weder Werth noch Werthgröße der +30 Waare außer in dem Ausdruck durch das Austauschverhältniß, daher nur +im Zettel des täglichen Preiskurants. Der Schotte MacLeod, in seiner +Funktion die kreuzverwirrten Vorstellungen von Lombardstreet möglichst +gelehrt heraus zu putzen, bildet die gelungene Synthese zwischen den +abergläubigen Merkantilisten und den aufgeklärten Freihandelshausi- +rem. + +35 + +Die nähere Betrachtung des im Werthverhältniß zur Waare B enthalte- +nen Werthausdrucks der Waare A hat gezeigt, daß innerhalb desselben die + +2 2 ) Note zur 2. Ausg. F.L. A.Ferrier (sous-inspecteur des douanes): „Du Gouvernement consi- +déré dans ses rapports avec le commerce. Paris 1805" und Charles Ganilh: „Des Systèmes de +l'Économie Politique. 2ème éd. Paris 1821". + +40 + +61 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Naturalform der Waare A nur als Gestalt von Gebrauchswerth, die Natural- +form der Waare B nur als Werthform oder Werthgestalt gilt. Der in der +Waare eingehüllte innere Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth wird +also dargestellt durch einen äußeren Gegensatz, d.h. durch das Verhältniß +zweier Waaren, worin die eine Waare, deren Werth ausgedrückt werden +soll, unmittelbar nur als Gebrauchswerth, die andre Waare hingegen, worin +Werth ausgedrückt wird, unmittelbar nur als Tauschwerth gilt. Die einfa- +che Werthform einer Waare ist also die einfache Erscheinungsform des in +ihr enthaltenen Gegensatzes von Gebrauchswerth und Werth. + +5 + +Das Arbeitsprodukt ist in allen gesellschaftlichen Zuständen Gebrauchs- 10 + +gegenständ, aber nur eine historisch bestimmte Entwicklungsepoche, wel- +che die in der Produktion eines Gebrauchsdings verausgabte Arbeit als +seine „gegenständliche" Eigenschaft darstellt, d. h. als seinen Werth, ver- +wandelt das Arbeitsprodukt in Waare. Es folgt daher, daß die einfache +Werthform der Waare zugleich die einfache Waarenform des Arbeitspro- 15 +dukts ist, daß also auch die Entwicklung der Waarenform mit der Entwick- +lung der Werthform zusammenfällt. + +Der erste Blick zeigt das Unzulängliche der einfachen Werthform, dieser +Keimform, die erst durch eine Reihe von Metamorphosen zur Preisform +heranreift. + +20 + +Der Ausdruck in irgend welcher Waare B unterscheidet den Werth der +Waare A nur von ihrem eignen Gebrauchswerth und setzt sie daher auch +nur in ein Austauschverhältniß zu irgend einer einzelnen von ihr selbst +verschiednen Waarenart, statt ihre qualitative Gleichheit und quantitative +Proportionalität mit allen andren Waaren darzustellen. Der einfachen rela- 25 +tiven Werthform einer Waare entspricht die einzelne Aequivalentform +einer andren Waare. So besitzt der Rock, im relativen Werthausdruck der | +|29| Leinwand, nur Aequivalentform oder Form unmittelbarer Austausch- +barkeit mit Bezug auf diese einzelne Waarenart Leinwand. + +Indeß geht die einzelne Werthform von selbst in eine vollständigere 30 + +Form über. Vermittelst derselben wird der Werth einer Waare A zwar in +nur einer Waare von andrer Art ausgedrückt. Welcher Art aber diese zweite +Waare, ob Rock, ob Eisen, ob Weizen u.s.w., ist durchaus gleichgültig. Je +nachdem sie also zu dieser oder jener andren Waarenart in ein Werthver- +hältniß tritt, entstehn verschiedne einfache Werthausdrücke einer und der- 35 +selben W a a r e 2 2 a ) . Die Anzahl ihrer möglichen Werthausdrücke ist nur be- +schränkt durch die Anzahl von +Ihr +vereinzelter Werthausdruck verwandelt sich daher in die stets verlänger- +bare Reihe ihrer verschiednen einfachen Werthausdrücke. + +ihr verschiedner Waarenarten. + +22 a) Note zur 2. Aufl. Z.B. bei Homer wird der Werth eines Dings in einer Reihe verschiedner 40 +Dinge ausgedrückt. + +62 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +B. Totale oder entfaltete Werthform. + +ζ Waare A = u Waare B oder = ν Waare C oder = w Waare D +oder = χ Waare E oder = etc. +(20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Thee oder = 40 Pfd. Kaffee +5 oder = 1 Quarter Weizen oder = 2 Unzen Gold oder = % Tonnen Eisen + +oder = etc.) + +1. Die entfaltete relative Werthform. +Der Werth einer Waare, der Leinwand z.B., ist jetzt ausgedrückt in zahllo- +sen andren Elementen der Waarenwelt. Jeder andre Waarenkörper wird +10 zum Spiegel des Leinwandwerths 2 3). So erscheint dieser Werth selbst erst +wahrhaft als Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit. Denn die ihn +bildende Arbeit ||30| ist nun ausdrücklich als Arbeit dargestellt, der jede +andre menschliche Arbeit gleichgilt, welche Naturalform sie immer be- +sitze, und ob sie sich daher in Rock oder Weizen oder Eisen oder Gold + +15 u.s.w. vergegenständliche. Durch ihre Werthform steht die Leinwand daher +jetzt auch in gesellschaftlichem Verhältniß nicht mehr zu nur einer einzel- +nen andren Waarenart, sondern zur Waarenwelt. Als Waare ist sie Bürger +dieser Welt. Zugleich liegt in der endlosen Reihe seiner Ausdrücke, daß +der Waarenwerth gleichgültig ist gegen die besondre Form des Gebrauchs- + +20 werths, worin er erscheint. + +In der ersten Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock kann es zufällige That- +sache sein, daß diese zwei Waaren in einem bestimmten quantitativen Ver- +hältnisse austauschbar sind. In der zweiten Form leuchtet dagegen sofort +ein von der zufälligen Erscheinung wesentlich unterschiedner und sie be- +stimmender Hintergrund durch. Der Werth der Leinwand bleibt gleich +groß, ob in R o c k oder Kaffee oder Eisen etc. dargestellt, in zahllos ver- + +25 + +2 3 ) Man spricht deßhalb vom Rockwerth der Leinwand, wenn man ihren Werth in Röcken, +von ihrem Kornwerth, wenn man ihn in Korn darstellt etc. Jeder solche Ausdruck besagt, daß +es ihr Werth ist, der in den Gebrauchswerthen Rock, Korn u.s.w. erscheint. "The value of any +30 commodity denoting its relation in exchange, we may speak of it as ... corn-value, cloth-value +according to the commodity with which it is compared; and then there are a thousand differ- +ent kinds of value, as many kinds of value as there are commodities in existence, and all are +equally real and equally nominal." („A Critical Dissertation on the Nature, Measures and +Causes of Value: chiefly in reference to the writings of Mr. Ricardo and his followers. By the +35 Author of Essays on the Formation etc. of Opinions. London 1825", p. 39.) S.Bailey, der Ver- +fasser dieser anonymen Schrift, die ihrer Zeit viel Lärm in England machte, wähnt durch die- +sen Hinweis auf die kunterbunten relativen Ausdrücke desselben Waaren-Werths alle Be- +griffsbestimmung des Werths vernichtet zu haben. Daß er übrigens, trotz eigner Bornirtheit, +wunde Flecken der Ricardo'schen Theorie sondirt hatte, bewies die Gereiztheit, womit die Ri- + +40 cardo'sche Schule ihn angriff, z.B. in der Westminster Review. + +63 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +schiednen Waaren, den verschiedensten Besitzern angehörig. Das zufällige +Verhältniß zweier individueller Waarenbesitzer fällt fort. Es wird offenbar, +daß nicht der Austausch die Werthgröße der Waare, sondern umgekehrt +die Werthgröße der Waare ihre Austauschverhältnisse regulirt. + +2. Die besondre Aequivalentform. +Jede Waare, Rock, Thee, Weizen, Eisen u. s. w. gilt im Werthausdruck der +Leinwand als Aequivalent und daher als Werthkörper. Die bestimmte Na- +turalform jeder dieser Waaren ist jetzt eine besondre Aequivalentform ne- +ben vielen andren. Ebenso gelten die mannigfaltigen in den verschiedenen +Waarenkörpern enthaltenen bestimmten, konkreten, nützlichen Arbeitsar- +ten jetzt als eben so viele besondre Verwirklichungs- oder Erscheinungsfor- +men menschlicher Arbeit schlechthin. + +3. Mängel der totalen oder entfalteten Werthform. +Erstens ist der relative Werthausdruck der Waare unfertig, weil seine Dar- +stellungsreihe nie abschließt. Die Kette, worin eine Werthgleichung sich +zur andern fügt, bleibt fortwährend verlängerbar durch jede neu auftre- +tende Waarenart, welche das Material eines neuen Werthausdrucks liefert. +Zweitens bildet sie eine bunte Mosaik auseinanderfallender und verschie- +denartiger Werthausdrücke. Wird endlich, wie dies geschehn muß, der rela- +tive Werth jeder Waare in dieser entfalteten Form ausgedrückt, so ist die +relative Werthform jeder Waare eine von der relativen Werthform jeder | +1311 andren Waare verschiedne endlose Reihe von Werthausdrücken. - Die +Mängel der entfalteten relativen Werthform spiegeln sich wieder in der ihr +entsprechenden Aequivalentform. Da die Naturalform jeder einzelnen +Waarenart hier eine besondre Aequivalentform neben unzähligen andren +besondren Aequivalentformen ist, existiren überhaupt nur beschränkte +Aequivalentformen, von denen jede die andre ausschließt. Ebenso ist die +in jedem besondren Waarenäquivalent enthaltene bestimmte, konkrete, +nützliche Arbeitsart nur besondre, also nicht erschöpfende Erscheinungs- +form der menschlichen Arbeit. Diese besitzt ihre vollständige oder totale +Erscheinungsform zwar in dem Gesammtumkreis jener besondren Erschei- +nungsformen. Aber so besitzt sie keine einheitliche Erscheinungsform. + +Die entfaltete relative Werthform besteht jedoch nur aus einer Summe +einfacher relativer Werthausdrücke oder Gleichungen der ersten Form, +wie: + +20 Ellen Leinwand = 1 Rock +20 Ellen Leinwand = 10Pfd. Thee u.s.w. + +64 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +Jede dieser Gleichungen enthält aber rückbezüglich auch die identische + +Gleichung: + +1 Rock = 20 Ellen Leinwand +10 Pfd. Thee = 20 Ellen Leinwand u.s.w. +In der That: Wenn ein Mann seine Leinwand mit vielen andren Waaren +austauscht und daher ihren Werth in einer Reihe von andren Waaren aus- +drückt, so müssen nothwendig auch die vielen andren Waarenbesitzer ihre +Waaren mit Leinwand austauschen und daher die Werthe ihrer verschied- +nen Waaren in derselben dritten Waare ausdrücken, in Leinwand. - Keh- +ren wir also die Reihe: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Thee +oder = u.s.w. um, d.h. drücken wir die der Sache nach schon in der Reihe +enthaltene Rückbeziehung aus, so erhalten wir: + +C Allgemeine Werthform. + +1 Rock +10 Pfd. Thee +40 Pfd. Kaffee +1 Qrtr. Weizen +2 Unzen Gold +Y 2 Tonne Eisen +χ Waare A +u.s.w. Waare + +20 Ellen Leinwand. + +5 + +10 + +15 + +20 + +1321 1. Veränderter Charakter der Werthform. +Die Waaren stellen ihre Werthe jetzt 1) einfach dar, weil in einer einzigen +25 Waare und 2) einheitlich, weil in derselben Waare. Ihre Werthform ist ein- + +fach und gemeinschaftlich, daher allgemein. + +Die Formen I und II kamen beide nur dazu, den Werth einer Waare als +etwas von ihrem eignen Gebrauchswerth oder ihrem Waarenkörper Unter- +schiedenes auszudrücken. + +30 + +35 + +Die erste Form ergab Werthgleichungen wie: 1 Rock = 20 Ellen Lein- +wand, 10 Pfd. Thee = % Tonne Eisen u.s.w. Der Rockwerth wird als Lein- +wandgleiches, der Theewerth als Eisengleiches u. s. w. ausgedrückt, aber +Leinwandgleiches und Eisengleiches, diese Werthausdrücke von Rock und +Thee, sind ebenso verschieden wie Leinwand und Eisen. Diese Form +kommt offenbar praktisch nur vor in den ersten Anfängen, wo Arbeitspro- +dukte durch zufälligen und gelegentlichen Austausch in Waaren verwan- +delt werden. + +65 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Die zweite Form unterscheidet vollständiger als die erste den Werth +einer Waare von ihrem eignen Gebrauchswerth, denn der Werth des Rocks +z.B. tritt jetzt seiner Naturalform in allen möglichen Formen gegenüber, +als Leinwandgleiches, Eisengleiches, Theegleiches u.s.w., alles andre, nur +nicht Rockgleiches. Andrerseits ist hier jeder gemeinsame Werthausdruck +der Waaren direkt ausgeschlossen, denn im Werthausdruck je einer Waare +erscheinen jetzt alle andren Waaren nur in der Form von Aequivalenten. +Die entfaltete Werthform kommt zuerst thatsächlich vor, sobald ein Ar- +beitsprodukt, Vieh z . B . , nicht mehr ausnahmsweise, sondern schon ge- +wohnheitsmäßig mit verschiednen andren Waaren ausgetauscht wird. + +5 + +10 + +Die neu gewonnene Form drückt die Werthe der Waarenwelt in einer +und derselben von ihr abgesonderten Waarenart aus, z.B. in Leinwand, +und stellt so die Werthe aller Waaren dar durch ihre Gleichheit mit Lein- +wand. Als Leinwandgleiches ist der Werth jeder Waare jetzt nicht nur von +ihrem eignen Gebrauchswerth unterschieden, sondern von allem Ge- 15 +brauchswerth, und eben dadurch als das ihr mit allen Waaren Gemeinsame +ausgedrückt. Erst diese Form bezieht daher wirklich die Waaren auf einan- +der als Werthe oder läßt sie einander als Tauschwerthe erscheinen. + +Die beiden früheren Formen drücken den Werth je einer Waare, sei es +in einer einzigen verschiedenartigen Waare, sei es in einer Reihe vieler von 20 +ihr verschiednen Waaren aus. Beidemal ist es so zu sagen das Privatge- +schäft der einzelnen Waare sich eine ||33| Werthform zu geben, und sie +vollbringt es ohne Zuthun der andren Waaren. Diese spielen ihr gegenüber +die bloß passive Rolle des Aequivalents. Die allgemeine Werthform ent- +steht dagegen nur als gemeinsames Werk der Waarenwelt. Eine Waare ge- 25 +winnt nur allgemeinen Werthausdruck, weil gleichzeitig alle andren Waa- +ren ihren Werth in demselben Aequivalent ausdrücken und jede neu +auftretende Waarenart muß das nachmachen. Es kommt damit zum Vor- +schein, daß die Werthgegenständlichkeit der Waaren, weil sie das bloß „ge- +sellschaftliche Dasein" dieser Dinge ist, auch nur durch ihre allseitige ge- 30 +seilschaftliche Beziehung ausgedrückt werden kann, ihre Werthform daher +gesellschaftlich gültige Form sein muß. + +In der Form von Leinwandgleichen erscheinen jetzt alle Waaren nicht +nur als qualitativ Gleiche, Werthe überhaupt, sondern zugleich als quanti- +tativ vergleichbare Werthgrößen. Weil sie ihre Werthgrößen in einem und 35 +demselben Material, in Leinwand bespiegeln, spiegeln sich diese Werthgrö- +ßen wechselseitig wieder. z.B. 10 Pfd. Thee = 20 Ellen Leinwand, und +40 Pfd. Kaffee = 20 Ellen Leinwand. Also 10 Pfd. Thee = 40 Pfd. Kaffee. +Oder in 1 Pfd. Kaffee steckt nur % so viel Werthsubstanz, Arbeit, als in +1 Pfd. Thee. + +40 + +Die allgemeine relative Werthform der Waarenwelt drückt der von ihr + +66 + + Erstes Kapitel · Die Ware + +ausgeschlossenen Aequivalentwaare, der Leinwand, den Charakter des all- +gemeinen Aequivalents auf. Ihre eigne Naturalform ist die gemeinsame +Werthgestalt dieser Welt, die Leinwand daher mit allen andren Waaren un- +mittelbar austauschbar. Ihre Körperform gilt als die sichtbare Inkarnation, +5 die allgemeine gesellschaftliche Verpuppung aller menschlichen Arbeit. +Die Weberei, die Privatarbeit, welche Leinwand producirt, befindet sich +zugleich in allgemein gesellschaftlicher Form, der Form der Gleichheit mit +allen andren Arbeiten. Die zahllosen Gleichungen, woraus die allgemeine +Werthform besteht, setzen der Reihe nach die in der Leinwand verwirk- +lichte Arbeit jeder in andrer Waare enthaltenen Arbeit gleich und machen +dadurch die Weberei zur allgemeinen Erscheinungsform menschlicher Ar- +beit überhaupt. So ist die im Waarenwerth vergegenständlichte Arbeit +nicht nur negativ dargestellt als Arbeit, worin von allen konkreten Formen +und nützlichen Eigenschaften der wirklichen Arbeiten abstrahirt wird. Ihre +15 eigne positive Natur tritt ausdrücklich hervor. Sie ist die Reduktion aller +wirklichen Arbeiten auf den ihnen gemeinsamen Charakter menschlicher +Arbeit, auf die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft. | + +10 + +|34| Die allgemeine Werthform, welche die Arbeitsprodukte als bloße +Gallerten unterschiedsloser menschlicher Arbeit darstellt, zeigt durch ihr +20 eignes Gerüste, daß sie der gesellschaftliche Ausdruck der Waarenwelt ist. +So offenbart sie, daß innerhalb dieser Welt der allgemein menschliche +Charakter der Arbeit ihren specifisch gesellschaftlichen Charakter bildet. + +2. Entwicklungsverhältniß +von relativer Werthform und Aequivalentform. + +25 Dem Entwicklungsgrad der relativen Werthform entspricht der Entwick- +lungsgrad der Aequivalentform. Aber, und dieß ist wohl zu merken, die +Entwicklung der Aequivalentform ist nur Ausdruck und Resultat der Ent- +wicklung der relativen Werthform. + +Die einfache oder vereinzelte relative Werthform einer Waare macht +30 eine andre Waare zum einzelnen Aequivalent. Die entfaltete Form des re- +lativen Werths, dieser Ausdruck des Werths einer Waare in allen andren +Waaren, prägt ihnen die Form verschiedenartiger besonderer Aequivalente +auf. Endlich erhält eine besondre Waarenart die allgemeine Aequivalent- +form, weil alle andren Waaren sie zum Material ihrer einheitlichen, allge- + +35 meinen Werthform machen. + +In demselben Grad aber, worin sich die Werthform überhaupt entwik- +kelt, entwickelt sich auch der Gegensatz zwischen ihren beiden Polen, der +relativen Werthform und Aequivalentform. + +Schon die erste Form - 20 Ellen Leinwand = 1 Rock - enthält diesen + +67 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Gegensatz, fixirt ihn aber nicht. Je nachdem dieselbe Gleichung vorwärts +oder rückwärts gelesen wird, befindet sich jedes der beiden Waarenex- +treme, wie Leinwand und Rock, gleichmäßig bald in der relativen Werth- +form, bald in der Aequivalentform. Es kostet hier noch Mühe, den polari- +schen Gegensatz festzuhalten. + +5 + +In der Form II kann immer nur je eine Waarenart ihren relativen Werth +total entfalten oder besitzt sie selbst nur entfaltete relative Werthform, weil +und sofern alle andren Waaren sich ihr gegenüber in der Aequivalentform +befinden. Hier kann man nicht mehr die zwei Seiten der Werthgleichung - +wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Thee oder = 1 Qrtr. Wei- 10 +zen etc. - umsetzen, ohne ihren Gesammtcharakter zu verändern und sie +aus der totalen in die allgemeine Werthform zu verwandeln. + +Die letztere Form, Form III, endlich giebt der Waarenwelt allgemein-ge- +sellschaftliche relative Werthform, weil und sofern, mit einer einzigen Aus- +nahme, alle ihr angehörigen Waaren von der ||35| allgemeinen Aequiva- 15 +lentform ausgeschlossen sind. Eine Waare, die Leinwand, befindet sich +daher in der Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit allen andren Waa- +ren oder in unmittelbar gesellschaftlicher Form, weil und sofern alle and- +ren Waaren sich nicht darin befinden. 2 4) + +Umgekehrt ist die Waare, die als allgemeines Aequivalent figurirt, von 20 + +der einheitlichen und daher allgemeinen relativen Werthform der Waaren- +welt ausgeschlossen. Sollte die Leinwand, d. h. irgend eine in allgemeiner +Aequivalentform befindliche Waare, auch zugleich an der allgemeinen re- +lativen Werthform theilnehmen, so müßte sie sich selbst zum Aequivalent +dienen. Wir erhielten dann: 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand, eine 25 +Tautologie, worin weder Werth, noch Werthgröße ausgedrückt ist. Um den +relativen Werth des allgemeinen Aequivalents auszudrücken, müssen wir +vielmehr die Form III umkehren. Es besitzt keine mit den andren Waaren + +2 4 ) Man sieht es der Form allgemeiner unmittelbarer Austauschbarkeit in der That keines- +wegs an, daß sie eine gegensätzliche Waarenform ist, von der Form nicht unmittelbarer Aus- 30 +tauschbarkeit ebenso unzertrennlich wie die Positivität eines Magnetpols von der Negativität +des andren. Man mag sich daher einbilden, man könne allen Waaren zugleich den Stempel +unmittelbarer Austauschbarkeit aufdrücken, wie man sich einbilden mag, man könne alle Ka- +tholiken zu Päbsten machen. Für den Kleinbürger, der in der Waarenproduktion das nec plus +ultra menschlicher Freiheit und individueller Unabhängigkeit erblickt, wäre es natürlich sehr +wünschenswerth, der mit dieser Form verbundnen Mißstände überhoben zu sein, namentlich +auch der nicht unmittelbaren Austauschbarkeit der Waaren. Die Ausmalung dieser Philister- +utopie bildet Proudhon's Socialismus, der, wie ich anderswo gezeigt, nicht einmal das Ver- +dienst der Originalität besitzt, vielmehr lange vor ihm von Gray, Bray und Andern, weit besser +entwickelt wurde. Dieß verhindert solche Weisheit nicht, heutzutage, in gewissen Kreisen, un- 40 +ter dem Namen der ,,science" zu grassiren. Nie hat eine Schule mehr als die Proudhon'sche +mit dem Wort ,,science" um sich geworfen, denn +„wo Begriffe fehlen, +Da stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein". + +35 + +68 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +gemeinschaftliche relative Werthform, sondern sein Werth drückt sich rela- +tiv aus in der endlosen Reihe aller andren Waarenkörper. So erscheint jetzt +die entfaltete relative Werthform oder Form II als die specifische relative +Werthform der Aequivalentwaare. + +5 + +3. Uebergang aus der allgemeinen Werthform zur Geldform. +Die allgemeine Aequivalentform ist eine Form des Werths überhaupt. Sie +kann also jeder Waare zukommen. Andrerseits befindet sich eine Waare +nur in allgemeiner Aequivalentform (Form I I I ) , ||36| weil und sofern sie +durch alle andren Waaren als Aequivalent ausgeschlossen wird. Und erst +10 vom Augenblick, wo diese Ausschließung sich endgültig auf eine specifi- +sche Waarenart beschränkt, hat die einheitliche relative Werthform der +Waarenwelt objective Festigkeit und allgemein gesellschaftliche Gültigkeit +gewonnen. + +15 + +20 + +Die specifische Waarenart nun, mit deren Naturalform die Aequivalent- +form gesellschaftlich verwächst, wird zur Geldwaare oder funktionirt als +Geld. Es wird ihre specifisch gesellschaftliche Funktion, und daher ihr ge- +sellschaftliches Monopol, innerhalb der Waarenwelt die Rolle des allge- +meinen Aequivalents zu spielen. Diesen bevorzugten Platz hat unter den +Waaren, welche in Form II als besondre Aequivalente der Leinwand figuri- +ren, und in Form III ihren relativen Werth gemeinsam in Leinwand aus- +drücken, eine bestimmte Waare historisch erobert, das Gold. Setzen wir +daher in Form III die Waare Gold an die Stelle der Waare Leinwand, so er- +halten wir: + +25 + +30 + +35 + +D. Geldform. + +20 Ellen Leinwand = +1 Rock +10 Pfd. Thee +40 Pfd. Kaffee +1 Qrtr. Weizen +Y2 Tonne Eisen +χ Waare A + += += += += + +\ 2 Unzen Gold. + +Es finden wesentliche Veränderungen statt beim Uebergang von Form I zu +Form II, von Form II zu Form III. Dagegen unterscheidet Form IV sich +durch nichts von Form III, außer daß jetzt statt Leinwand Gold die allge- +meine Aequivalentform besitzt. Gold bleibt in Form IV, was die Leinwand +in Form III war - allgemeines Aequivalent. Der Fortschritt besteht nur + +69 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +darin, daß die Form unmittelbarer allgemeiner Austauschbarkeit oder die +allgemeine Aequivalentform jetzt durch gesellschaftliche Gewohnheit end- +gültig mit der specifischen Naturalform der Waare Gold verwachsen ist. + +Gold tritt den andren Waaren nur als Geld gegenüber, weil es ihnen be- +reits zuvor als Waare gegenüberstand. Gleich allen andren Waaren funktio- +nirte es auch als Aequivalent, sei es als einzelnes Aequivalent in vereinzel- +ten Austauschakten, sei es als besondres Aequivalent neben andren +Waarenäquivalenten. Nach und nach funktionirte es in engeren oder weite- +ren Kreisen als allgemeines ||37| Aequivalent. Sobald es das Monopol die- +ser Stelle im Werthausdruck der Waarenwelt erobert hat, wird es GeId- +waare, und erst von dem Augenblick, wo es bereits Geldwaare geworden +ist, unterscheidet sich Form IV von Form III, oder ist die allgemeine +Werthform verwandelt in die Geldform. + +Der einfache relative Werthausdruck einer Waare, z.B. der Leinwand, in +der bereits als Geldwaare funktionirenden Waare, z.B. dem Gold, ist Preis- +form. Die „Preisform" der Leinwand daher: + +20 Ellen Leinwand = 2 Unzen Gold, +oder, wenn 2 Pfd. St. der Münzname von 2 Unzen Gold, + +20 Ellen Leinwand = 2 Pfd. St. + +Die Schwierigkeit im Begriff der Geldform beschränkt sich auf das B e - +greifen der allgemeinen Aequivalentform, also der allgemeinen Werthform +überhaupt, der Form III. Form III löst sich rückbezüglich auf in Form II, +die entfaltete Werthform, und ihr konstituirendes Element ist Form I: +20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder χ Waare A = y Waare B. Die einfache +Waarenform ist daher der Keim der Geldform. + +4. Der Fetischcharakter der Waare und sein Geheimniß. + +Eine Waare scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales +Ding. Ihre Analyse ergiebt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll meta- +physischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Ge- +brauchswerth, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Ge- +sichtspunkt betrachte, daß sie durch ihre Eigenschaften menschliche +Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschli- +cher Arbeit erhält. Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Thätig- +keit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. +Die Form des Holzes z . B . wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch +macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches +Ding. Aber sobald er als Waare auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich +übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, + +70 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +sondern er stellt sich allen andren Waaren gegenüber auf den Kopf, und +entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus +freien Stücken zu tanzen begänne 2 5). + +Der mystische Charakter der Waare entspringt also nicht aus ||38| ihrem +5 Gebrauchswerth. Er entspringt ebensowenig aus dem Inhalt der Werthbe- +stimmungen. Denn erstens, wie verschieden die nützlichen Arbeiten oder +produktiven Thätigkeiten sein mögen, es ist eine physiologische Wahrheit, +daß sie Funktionen des menschlichen Organismus sind, und daß jede sol- +che Funktion, welches immer ihr Inhalt und ihre Form, wesentlich Veraus- +10 gabung von menschlichem Hirn, Nerv, Muskel, Sinnesorgan u. s. w. ist. +Was zweitens der Bestimmung der Werthgröße zu Grunde liegt, die Zeit- +dauer jener Verausgabung, oder die Quantität der Arbeit, so ist die Quanti- +tät sogar sinnfällig von der Qualität der Arbeit unterscheidbar. In allen Zu- +ständen mußte die Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel +15 kostet, den Menschen interessiren, obgleich nicht gleichmäßig auf ver- +schiedenen Entwicklungsstufen 2 6). Endlich, sobald die Menschen in irgend +einer Weise für einander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaft- +liche Form. + +Woher entspringt also der räthselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, +20 sobald es Waarenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die +Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der glei- +chen Werthgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, daß Maß der Veraus- +gabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der +Werthgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Producen- +ten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten bethätigt +werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Ar- +beitsprodukte. + +25 + +Das Geheimnißvolle der Waarenform besteht also einfach darin, daß sie +den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als ge- +30 genständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche +Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesell- +schaftliche Verhältniß der Producenten zur Gesammtarbeit als ein außer +ihnen existirendes gesellschaftliches Verhältniß von Gegenständen. Durch +dies quid pro quo werden die Arbeitsprodukte Waaren, sinnlich übersinnli- +35 che oder gesellschaftliche Dinge. So stellt sich der Lichteindruck eines + +2 5 ) Man erinnert sich, daß China und die Tische zu tanzen anfingen, als alle übrige Welt still +zu stehn schien - pour encourager les autres. +2 6 ) Note zur 2. Ausg. Bei den alten Germanen wurde die Größe eines Morgens Land nach der +Arbeit eines Tages berechnet und daher der Morgen Tagwerk (auch Tagwanne) Qumale oder +jurnalis, terra jurnalis, jornalis oder diurnalis), Mannwerk, Mannskraft, Mannsmaad, Manns- +hauet u.s. f. benannt. Sieh Georg Ludwig von Maurer: „Einleitung zur Geschichte der Mark-, +Hof-, u.s.w. Verfassung". München 1854, p. 129 sq. + +40 + +71 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, son- +dern als gegenständliche Form eines Dings außerhalb ||39| des Auges dar. +Aber beim Sehen wird wirklich Licht von einem Ding, dem äußeren Ge- +genstand, auf ein andres Ding, das Auge, gev/orfen. Es ist ein physisches +Verhältniß zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Waarenform und +das Werthverhältniß der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer +physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen +absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Ver- +hältniß der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische +Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie 10 +zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. +Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben +begabte, unter einander und mit den Menschen in Verhältniß stehende +selbstständige Gestalten. So in der Waarenwelt die Produkte der menschli- +chen Hand. Dieß nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten 15 +anklebt, sobald sie als Waaren producirt werden, und der daher von der +Waarenproduktion unzertrennlich ist. + +5 + +Dieser Fetischcharakter der Waarenwelt entspringt, wie die vorherge- +hende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigenthümlichen gesellschaftli- +chen Charakter der Arbeit, welche Waaren producirt. + +20 + +Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waaren, weil sie Produkte +von einander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex die- +ser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesammtarbeit. Da die Pro- +ducenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch +ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die speciflsch gesellschaftlichen 25 +Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die +Privatarbeiten bethätigen sich in der That erst als Glieder der gesellschaft- +lichen Gesammtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die +Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Producenten versetzt. Den +letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privat- 30 +arbeiten als das was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche +Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als +sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der +Sachen. + +Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von 35 + +ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesell- +schaftlich gleiche Werthgegenständlichkeit. Diese Spaltung des Arbeitspro- +dukts in nützliches Ding und Werthding bethätigt sich nur praktisch, so- +bald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit +gewonnen hat, damit nütz||40|liche Dinge für den Austausch producirt wer- 40 +den, der Werthcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst + +72 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +5 + +in Betracht kommt. Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der +Producenten thatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter. +Sie müssen einerseits als bestimmte nützliche Arbeiten ein bestimmtes ge- +sellschaftliches Bedürfniß befriedigen und sich so als Glieder der Ge- +sammtarbeit, des naturwüchsigen Systems der gesellschaftlichen Theilung +der Arbeit, bewähren. Sie befriedigen andrerseits nur die mannigfachen +Bedürfnisse ihrer eignen Producenten, sofern jede besondre nützliche Pri- +vatarbeit mit jeder andren nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, +also ihr gleichgilt. Die Gleichheit toto coelo verschiedner Arbeiten kann +10 nur in einer Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehn, in der +Reduktion auf den gemeinsamen Charakter, den sie als Verausgabung +menschlicher Arbeitskraft, abstrakt menschliche Arbeit, besitzen. Das Ge- +hirn der Privatproducenten spiegelt diesen doppelten gesellschaftlichen +Charakter ihrer Privatarbeiten nur wieder in den Formen, welche im prakti- +sehen Verkehr, im Produktenaustausch erscheinen - den gesellschaftlich +nützlichen Charakter ihrer Privatarbeiten also in der Form, daß das Ar- +beitsprodukt nützlich sein muß, und zwar für andre - den gesellschaftli- +chen Charakter der Gleichheit der verschiedenartigen Arbeiten in der +Form des gemeinsamen Werthcharakters dieser materiell verschiednen + +15 + +20 Dinge, der Arbeitsprodukte. + +Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht auf einander als +Werthe, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig +menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen +Produkte einander im Austausch als Werthe gleichsetzen, setzen sie ihre +25 verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen +das nicht, aber sie thun es. 2 7) Es steht daher dem Werthe nicht auf der +Stirn geschrieben, was er ist. Der Werth verwandelt vielmehr jedes Arbeits- +produkt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Später suchen die Menschen +den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimniß ihres eignen +30 gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung der Ge- +brauchsgegenstände als Werthe ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie +die Sprache. Die späte ||41| wissenschaftliche Entdeckung, daß die Arbeits- +produkte, so weit sie Werthe, bloß sachliche Ausdrücke der in ihrer Pro- +duktion verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Ent- +35 Wicklungsgeschichte der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den +gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit. Was + +2 7 ) Note zur 2. Ausg. Wenn daher Galiani sagt: Der Werth ist ein Verhältniß zwischen Perso- +nen - «La Riechezza è una ragione tra due persone» -, so hätte er hinzusetzen müssen: un- +ter dinglicher Hülle verstecktes Verhältniß. (Galiani: Della Moneta, p.221, ν. III von Custodi's +40 Sammlung der ,,Scrittori Classici Italiani di Economia Politica". Parte Moderna. Milano + +1803.) + +73 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +nur für diese besondre Produktionsform, die Waarenproduktion, gültig ist, +daß nämlich der specifisch gesellschaftliche Charakter der von einander +unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit +besteht und die Form des Werthcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, +erscheint, vor wie nach jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der +Waarenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß die wissenschaft- +liche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikali- +sche Körperform fortbestehn läßt. + +5 + +15 + +Was die Produktenaustauscher zunächst praktisch interessirt, ist die +Frage, wie viel fremde Produkte sie für das eigne Produkt erhalten, in wel- 10 +chen Proportionen sich also die Produkte austauschen. Sobald diese Pro- +portionen zu einer gewissen gewohnheitsmäßigen Festigkeit herangereift +sind, scheinen sie aus der Natur der Arbeitsprodukte zu entspringen, so +daß z.B. eine Tonne Eisen und 2 Unzen Gold gleichwerthig, wie ein Pfund +Gold und ein Pfund Eisen trotz ihrer verschiednen physikalischen und +chemischen Eigenschaften gleich schwer sind. In der That befestigt sich +der Werthcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre Bethätigung als +Werthgrößen. Die letzteren wechseln beständig, unabhängig vom Willen, +Vorwissen und Thun der Austauschenden. Ihre eigne gesellschaftliche Be- +wegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren 20 +Kontrole sie stehen, statt sie zu kontroliren. Es bedarf vollständig entwik- +kelter Waarenproduktion, bevor aus der Erfahrung selbst die wissenschaft- +liche Einsicht herauswächst, daß die unabhängig von einander betriebe- +nen, aber als naturwüchsige Glieder der gesellschaftlichen Theilung der +Arbeit allseitig von einander abhängigen Privatarbeiten fortwährend auf ihr 25 +gesellschaftlich proportionelles Maß reducirt werden, weil sich in den zu- +fälligen und stets schwankenden Austauschverhältnissen ihrer Produkte +die zu deren Produktion gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit als re- +gelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der +Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt 2 8). D i e 30 +Bestimmung der Werthgröße 11421 durch die Arbeitszeit ist daher ein unter +den erscheinenden Bewegungen der relativen Waarenwerthe verstecktes +Geheimniß. Seine Entdeckung hebt den Schein der bloß zufälligen B e - +stimmung der Werthgrößen der Arbeitsprodukte auf, aber keineswegs ihre +sachliche Form. + +35 + +Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, also auch +ihre wissenschaftliche Analyse, schlägt überhaupt einen der wirklichen + +2 8 ) „Was soll man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen +durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosigkeit der Betheiligten +beruht." (Friedrich Engels: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" in Deutsch-fran- 40 +zösische Jahrbücher, herausg. von Arnold Rüge und Karl Marx. Paris 1844.) + +74 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +Entwicklung entgegengesetzten Weg ein. Es beginnt post festum und daher +mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprocesses. Die Formen, wel- +che Arbeitsprodukte zu Waaren stempeln und daher der Waarencirkula- +tion vorausgesetzt sind, besitzen bereits die Festigkeit von Naturformen +5 des gesellschaftlichen Lebens, bevor die Menschen sich Rechenschaft zu +geben suchen, nicht über den historischen Charakter dieser Formen, die +ihnen vielmehr bereits als unwandelbar gelten, sondern über deren Gehalt. +So war es nur die Analyse der Waarenpreise, die zur Bestimmung der +Werthgröße, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der Waaren, der zur +10 Fixirung ihres Werthcharakters führte. Es ist aber eben diese fertige +Form - die Geldform - der Waarenwelt, welche den gesellschaftlichen +Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnisse +der Privatarbeiter, sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich +sage, Rock, Stiefel u. s. w. beziehen sich auf Leinwand als die allgemeine +15 Verkörperung abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die Verrücktheit +dieses Ausdrucks in's Auge. Aber wenn die Producenten von Rock, Stiefel +u.s.w. diese Waaren auf Leinwand - oder auf Gold und Silber, was nichts +an der Sache ändert - als allgemeines Aequivalent beziehn, erscheint +ihnen die Beziehung ihrer Privatarbeiten zu der gesellschaftlichen Ge- + +20 sammtarbeit genau in dieser verrückten Form. + +Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Oekono- +mie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objective Gedankenformen für +die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftli- +chen Produktionsweise, der Waarenproduktion. Aller Mysticismus der +25 Waarenwelt, all der Zauber und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grund- +lage der Waarenproduktion umnebelt, verschwindet daher sofort, sobald +wir zu andren Produktionsformen flüchten. | + +|43| Da die politische Oekonomie Robinsonaden l i e b t 2 9 ) , erscheine zu- +erst Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er +30 doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher nützli- +che Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fa- +briciren, Lama zähmen, fischen, jagen u.s.w. Vom Beten u. dgl. sprechen +wir hier nicht, da unser Robinson daran sein Vergnügen findet und derar- +tige Thätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit seiner + +35 2 9 ) Note zur 2. Ausgabe. Auch Ricardo ist nicht ohne seine Robinsonade. „Den Urfîscher und +den Urjäger läßt er sofort als Waarenbesitzer Fisch und Wild austauschen, im Verhältniß der +in diesen Tauschwerthen vergegenständlichten Arbeitszeit. Bei dieser Gelegenheit fällt er in +den Anachronismus, daß Urfîscher und Urjäger zur Berechnung ihrer Arbeitsinstrumente die +1817 auf der Londoner Börse gangbaren Annuitätentabellen zu Rathe ziehn. Die ,Parallelo- +40 gramme des Herrn Owen' scheinen die einzige Gesellschaftsform, die er außer der bürgerli- + +chen kannte." (Karl Marx: Zur Kritik etc. p. 38, 39.) + +75 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +ist. Die Erfahrung + +produktiven Funktionen weiß er, daß sie nur verschiedne Bethätigungsfor- +men desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen menschlicher Ar- +beit sind. Die Noth selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen +verschiednen Funktionen zu vertheilen. Ob die eine mehr, die andre weni- +ger Raum in seiner Gesammtthätigkeit einnimmt, hängt ab von der große- +ren oder geringeren Schwierigkeit, die zur Erzielung des bezweckten Nutz- +effects zu überwinden +ihn das, und unser +Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem Schiffbruch ge- +rettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über sich selbst zu führen. +Sein Inventarium enthält ein Verzeichniß der Gebrauchsgegenstände, die 10 +er besitzt, der verschiednen Verrichtungen, die zu ihrer Produktion er- +heischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm bestimmte Quanta dieser ver- +schiednen Produkte im Durchschnitt kosten. Alle Beziehungen zwischen +Robinson und den Dingen, die seinen selbstgeschaffnen Reichthum bil- +den, sind hier so einfach und durchsichtig, daß selbst Herr M. Wirth sie 15 +ohne besondre Geistesanstrengung verstehn dürfte. Und dennoch sind dar- +in alle wesentlichen Bestimmungen des Werths enthalten. + +lehrt + +5 + +20 + +Versetzen wir uns nun von Robinson's lichter Insel in das finstre europä- +ische Mittelalter. Statt des unabhängigen Mannes finden wir hier Jeder- +mann abhängig - Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und Lehnsgeber, +Laien und Pfaffen. Persönliche Abhängigkeit charakterisirt ebensosehr die +gesellschaftlichen Verhältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr +aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönliche Abhängigkeitsver- +hältnisse die gegebne ||44| gesellschaftliche Grundlage bilden, brauchen +Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne phantasti- 25 +sehe Gestalt anzunehmen. Sie gehn als Naturaldienste und Naturalleistun- +gen in das gesellschaftliche Getriebe ein. Die Naturalform der Arbeit, ihre +Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Waarenproduktion, ihre +Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar gesellschaftliche Form. Die Frohn- +arbeit ist ebenso gut durch die Zeit gemessen wie die Waaren producirende 30 +Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner +persönlichen Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines Herrn verausgabt. Der +dem Pfaffen zu leistende Zehnten ist klarer als der Segen des Pfaffen. Wie +man daher immer die Charaktermasken beurtheilen mag, worin sich die +Menschen hier gegenübertreten, die gesellschaftlichen Verhältnisse der 35 +Personen in ihren Arbeiten erscheinen jedenfalls als ihre eignen persönli- +chen Verhältnisse, und sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhält- +nisse der Sachen, der Arbeitsprodukte. + +Für die Betrachtung gemeinsamer, d.h. unmittelbar vergesellschafteter +Arbeit brauchen wir nicht zurückzugehn zu der naturwüchsigen Form der- 40 +selben, welche uns an der Geschichtsschwelle aller Kulturvölker begeg- + +76 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +n e t 3 0 ) . Ein näher liegendes Beispiel bildet die ländlich patriarchalische In- +dustrie einer Bauernfamilie, die für den eignen Bedarf Korn, Vieh, Garn, +Leinwand, Kleidungstücke u.s.w. producirt. Diese verschiednen Dinge tre- +ten der Familie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, +5 aber nicht sich selbst wechselseitig als Waaren. Die verschiednen Arbeiten, +welche diese Produkte erzeugen, Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben, +Schneiderei u.s.w. sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche Funktionen, +weil Funktionen der Familie, die ihre eigne, naturwüchsige Theilung der +Arbeit besitzt, so gut wie die Waarenproduktion. Geschlechts- und Alters- +10 unterschiede, wie die mit dem ||45| Wechsel der Jahreszeit wechselnden +Naturbedingungen der Arbeit, regeln ihre Vertheilung unter die Familie +und die Arbeitszeit der einzelnen Familienglieder. Die durch die Zeit- +dauer gemeßne Verausgabung der individuellen Arbeitskräfte erscheint +hier aber von Haus aus als gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten +selbst, weil die individuellen Arbeitskräfte von Haus aus nur als Organe +der gemeinsamen Arbeitskraft der Familie wirken. + +15 + +Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen +vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vie- +len individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Ar- +20 beitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinson's Arbeit wieder- +holen sich hier, nur gesellschaftlich, statt individuell. Alle Produkte +Robinson's waren sein ausschließlich persönliches Produkt und daher un- +mittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn. Das Gesammtprodukt des Ver- +eins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Theil dieses Produkts dient wie- +25 der als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Theil +wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muß daher un- +ter sie vertheilt werden. Die Art dieser Vertheilung wird wechseln mit der +besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und +der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Producenten. +30 Nur zur Parallele mit der Waarenproduktion setzen wir voraus, der Antheil +jedes Producenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeits- +zeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesell- + +3 0 ) Note zur 2. Ausgabe. „Es ist ein lächerliches Vorurtheil in neuester Zeit verbreitet, daß die +Form des naturwüchsigen Gemeineigenthums specifisch slavische, sogar ausschließlich russi- +35 sehe Form sei. Sie ist die Urform, die wir bei Römern, Germanen, Celten nachweisen können, +von der aber eine ganze Musterkarte mit mannigfachen Proben sich noch immer, wenn auch +zum Theil ruinenweise, bei den Indiern vorfindet. Ein genaueres Studium der asiatischen, +speciell der indischen Gemeineigenthumsformen würde nachweisen, wie aus den verschied- +nen Formen des naturwüchsigen Gemeineigenthums sich verschiedne Formen seiner Auflö- +sung ergeben. So lassen sich z.B. die verschiednen Originaltypen von römischem und germa- +nischem Privateigenthum aus verschiednen Formen des indischen Gemeineigenthums +ableiten." (Karl Marx: Zur Kritik etc. p. 10.) + +40 + +77 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +schaftlich planmäßige Vertheilung regelt die richtige Proportion der ver- +schiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrer- +seits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Antheils des +Producenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell ver- +zehrbaren Theil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehun- +gen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten blei- +ben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribu- +tion. + +5 + +10 + +Für eine Gesellschaft von Waarenproducenten, deren allgemein gesell- +schaftliches Produktionsverhältniß darin besteht, sich zu ihren Produkten +als Waaren, also als Werthen zu verhalten, und in dieser sachlichen Form +ihre Privatarbeiten auf einander zu beziehn als gleiche menschliche Ar- +beit, ist das Christenthum, mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, +namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, +Deismus u.s.w., die entsprechendste Religionsform. In den altasiatischen, 15 +antiken u.s.w.||46| Produktionsweisen spielt die Verwandlung des Produkts +in Waare, und daher das Dasein der Menschen als Waarenproducenten, +eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so bedeutender wird, je mehr die +Gemeinwesen in das Stadium ihres Untergangs treten. Eigentliche Han- +delsvölker existiren nur in den Intermundien der alten Welt, wie Epikurs 20 +Götter, oder wie Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft. Jene al- +ten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind außerordentlich viel +einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen entwe- +der auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Na- +belschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit Andren noch 25 +nicht losgerissen hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knecht- +schaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungs- +stufe der Produktivkräfte der Arbeit und entsprechend befangene Verhält- +nisse der Menschen innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsproces- +ses, daher zu einander und zur Natur. Diese wirkliche Befangenheit 30 +spiegelt sich ideell wieder in den alten Natur- und Volksreligionen. Der re- +ligiöse Wiederschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwin- +den, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Men- +schen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zu einander und +zur Natur darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprocesses, 35 +d.h. des materiellen Produktionsprocesses, streift nur ihren mystischen Ne- +belschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen un- +ter deren bewußter planmäßiger Kontrole steht. Dazu ist jedoch eine mate- +rielle Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller +Existenzbedingungen, welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt 40 +einer langen und qualvollen Entwicklungsgeschichte sind. + +78 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +Die politische Oekonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen 3 1), +Werth und Werthgröße analysirt und den in diesen ||47| Formen versteck- +ten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum +dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Werth +5 und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Werthgröße des Ar- +beitsprodukts darstellt 3 2)? ||48| Formeln, denen es auf der Stirn geschrieben + +15 + +20 + +3 1 ) Das Unzulängliche in Ricardo's Analyse der Werthgröße - und es ist die beste - wird +man aus dem dritten und vierten Buch dieser Schrift ersehn. Was aber den Werth überhaupt +betrifft, so unterscheidet die klassische politische Oekonomie nirgendwo ausdrücklich und +10 mit klarem Bewußtsein die Arbeit, wie sie sich im Werth, von derselben Arbeit, soweit sie sich +im Gebrauchswerth ihres Produkts darstellt. Sie macht natürlich den Unterschied thatsäch- +lich, da sie die Arbeit das einemal quantitativ, das andremal qualitativ betrachtet. Aber es +fällt ihr nicht ein, daß bloß quantitativer Unterschied der Arbeiten ihre qualitative Einheit +oder Gleichheit voraussetzt, also ihre Reduktion auf abstrakt menschliche Arbeit. Ricardo +z.B. erklärt sich einverstanden mit Destutt de Tracy, wenn dieser sagt: "As it is certain that +our physical and moral faculties are alóne our original riches, the employment of those facul- +ties, labour of some kind, is our original treasure, and that it is always from this employ- +ment - that all those things are created which we call riches ... It is certain too, that all those +things only represent the labour which has created them, and if they have a value, or even two +distinct values, they can only derive them from that (the value) of the labour from which they +emanate." (Ricardo: „The principles of Pol. Econ.3. ed. Lond. 1821", p. 334.) Wir deuten nur +an, daß Ricardo dem Destutt seinen eignen tieferen Sinn unterschiebt. Destutt sagt in der +That zwar einerseits, daß alle Dinge, die den Reichthum bilden, „die Arbeit repräsentiren, die +sie geschaffen hat", aber andrerseits, daß sie ihre „zwei verschiedenen Werthe" (Gebrauchs- +25 werth und Tauschwerth) vom „Werth der Arbeit " erhalten. Er fällt damit in die Flachheit der +Vulgärökonomie, die den Werth einer Waare (hier der Arbeit) voraussetzt, um dadurch hin- +terher den Werth der andren Waaren zu bestimmen. Ricardo liest ihn so, daß sowohl im Ge- +brauchswerth als Tauschwerth sich Arbeit (nicht Werth der Arbeit) darstellt. Er selbst aber +scheidet so wenig den zwieschlächtigen Charakter der Arbeit, die doppelt dargestellt ist, daß +30 er in dem ganzen Kapitel: ,,Value and Riehes, Their Distinctive Properties" sich mühselig mit +den Trivialitäten eines J. B. Say herumschlagen muß. Am Ende ist er daher auch ganz er- +staunt, daß Destutt zwar mit ihm selbst über Arbeit als Werthquelle und dennoch* andrerseits +mit Say über den Werthbegriff harmonire. +3 2 ) Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Oekonomie, daß es ihr nie ge- +lang, aus der Analyse der Waare und specieller des Waarenwerths die Form des Werths, die +ihn eben zum Tauschwerth macht, herauszufinden. Grade in ihren besten Repräsentanten, +wie A. Smith und Ricardo, behandelt sie die Werthform als etwas ganz Gleichgültiges oder +der Natur der Waare selbst Aeußerliches. Der Grund ist nicht allein, daß die Analyse der +Werthgröße ihre Aufmerksamkeit ganz absorbirt. Er liegt tiefer. Die Werthform des Arbeits- +40 produkts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, +die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich histo- +risch charakterisirt wird. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher +Produktion, so übersieht man nothwendig auch das Specifische der Werthform, also der Waa- +renform, weiter entwickelt der Geldform, Kapitalform u. s. w. Man findet daher bei Oekono- +45 men, welche über das Maß der Werthgröße durch Arbeitszeit durchaus übereinstimmen, die +kunterbuntesten und widersprechendsten Vorstellungen von Geld, d. h. der fertigen Gestalt +des allgemeinen Aequivalents. Dieß tritt schlagend hervor z.B. bei der Behandlung des Bank- +wesens, wo mit den gemeinplätzlichen Definitionen des Geldes nicht mehr ausgereicht wird. +Im Gegensatz entsprang daher ein restaurirtes Merkantilsystem (Ganilh u. s. w.), welches im +50 Werth nur die gesellschaftliche Form sieht oder vielmehr nur ihren substanzlosen Schein. - +Um es ein für allemal zu bemerken, verstehe ich unter klassischer politischer Oekonomie alle +Oekonomie seit W. Petty, die den innern Zusammenhang der bürgerlichen Produktionsver- + +35 + +79 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +steht, daß sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produk- +tionsproceß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsproceß +bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Bewußtsein für eben so selbstver- +ständliche Naturnothwendigkeit als die produktive Arbeit selbst. Vorbür- +gerliche Formen des gesellschaftlichen Produktionsorganismus werden da- +her von ihr behandelt, wie etwa von den Kirchenvätern vorchristliche +Religionen 3 3). | + +|49| Wie sehr ein Theil der Oekonomen von dem der Waarenwelt ankle- +benden Fetischismus oder dem gegenständlichen Schein der gesellschaftli- + +5 + +hältnisse erforscht im Gegensatz zur Vulgärökonomie, die sich nur innerhalb des scheinbaren 10 +Zusammenhangs herumtreibt, für eine plausible Verständlichmachung der so zu sagen gröb- +sten Phänomene und den bürgerlichen Hausbedarf das von der wissenschaftlichen Oekono- +mie längst gelieferte Material stets von neuem wiederkaut, im Uebrigen aber sich darauf be- +schränkt, die banalen und selbstgefälligen Vorstellungen der bürgerlichen Produktionsagen- +ten von ihrer eignen besten Welt zu systematisiren, pedantisiren und als ewige Wahrheiten zu 15 +proklamiren. +3 3 ) «Les économistes ont une singulière manière de procéder. Il n'y a pour eux que deux +sortes d'institution, celles de l'art et celles de la nature. Les institutions de la féodalité sont +des institutions artificielles, celles de la bourgeoisie sont des institutions naturelles. Ils res- +semblent en ceci aux théologiens, qui eux aussi établissent deux sortes de religion. Toute reli- 20 +gion qui n'est pas la leur est une invention des hommes, tandis que leur propre religion est +une émanation de dieu. - Ainsi il y a eu de l'histoire, mais il n'y en a plus.» (Karl Marx: ,,Mi- +sère de la Philosophie. Réponse à la Philosophie de la Misère de M.Proudhon. 1847", p. 113.) +Wahrhaft drollig ist Herr Bastiat, der sich einbildet, die alten Griechen und Römer hätten nur +von Raub gelebt. Wenn man aber viele Jahrhunderte durch von Raub lebt, muß doch bestän- 25 +dig etwas zu rauben da sein oder der Gegenstand des Raubes sich fortwährend reproduciren. +Es scheint daher, daß auch Griechen und Römer einen Productionsproceß hatten, also eine +Oekonomie, welche ganz so die materielle Grundlage ihrer Welt bildete, wie die bürgerliche +Oekonomie die der heutigen Welt. Oder meint Bastiat etwa, daß eine Produktionsweise, die +auf der Sklavenarbeit beruht, auf einem Raubsystem ruht? Er stellt sich dann auf gefährlichen 30 +Boden. Wenn ein Denkriese wie Aristoteles in seiner Würdigung der Sklavenarbeit irrte, +warum sollte ein Zwergökonom, wie Bastiat, in seiner Würdigung der Lohnarbeit richtig +gehn? - Ich ergreife diese Gelegenheit, um einen Einwand, der mir beim Erscheinen meiner +Schrift „Zur Kritik der Pol. Oekonomie 1859" von einem deutsch-amerikanischen Blatte ge- +macht wurde, kurz abzuweisen. Es sagte, meine Ansicht, daß die bestimmte Produktionsweise 35 +und die ihr jedesmal entsprechenden Produktionsverhältnisse, kurz „die ökonomische Struk- +tur der Gesellschaft die reale Basis sei, worauf sich ein juristischer und politischer Ueberbau +erhebe, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprächen", daß „die +Produktionsweise des materiellen Lebens den socialen, politischen und geistigen Lebenspro- +ceß überhaupt bedinge", - alles dieß sei zwar richtig für die heutige Welt, wo die materiellen 40 +Interessen, aber weder für das Mittelalter, wo der Katholicismus, noch für Athen und Rom, +wo die Politik herrschte. Zunächst ist es befremdlich, daß Jemand vorauszusetzen beliebt, +diese weltbekannten Redensarten über Mittelalter und antike Welt seien irgend Jemand un- +bekannt geblieben. So viel ist klar, daß das Mittelalter nicht vom Katholicismus und die an- +tike Welt nicht von der Politik leben konnte. Die Art und Weise, wie sie ihr Leben gewannen, 45 +erklärt umgekehrt, warum dort die Politik, hier der Katholicismus die Hauptrolle spielte. Es +gehört übrigens wenig Bekanntschaft z.B. mit der Geschichte der römischen Republik dazu, +um zu wissen, daß die Geschichte des Grundeigenthums ihre Geheimgeschichte bildet. And- +rerseits hat schon Don Quixote den Irrthum gebüßt, daß er die fahrende Ritterschaft mit allen +ökonomischen Formen der Gesellschaft gleich verträglich wähnte. + +50 + +80 + + Erstes Kapitel • Die Ware + +chen Arbeitsbestimmungen getäuscht wird, beweist u. a. der langweilig +abgeschmackte Zank über die Rolle der Natur in der Bildung des Tausch- +werths. Da Tauschwerth eine bestimmte gesellschaftliche Manier ist, die +auf ein Ding verwandte Arbeit auszudrücken, kann er nicht mehr Natur- +stoff enthalten als etwa der Wechselkurs. + +5 + +Da die Waarenform die allgemeinste und unentwickeltste Form der bür- +gerlichen Produktion ist, weßwegen sie früh auftritt, obgleich nicht in der- +selben herrschenden, also charakteristischen Weise wie heut zu Tag, +scheint ihr Fetischcharakter noch relativ leicht zu durchschauen. Bei kon- +10 kreieren Formen verschwindet selbst dieser Schein der Einfachheit. Woher +die Illusionen des Monetarsystems? Es sah dem Gold und Silber nicht an, +daß sie als Geld ein gesellschaftliches Produktionsverhältniß darstellen, +aber in der Form von Naturdingen mit sonderbar gesellschaftlichen Eigen- +schaften. Und die moderne Oekonomie, die vornehm auf das Monetarsy- +stem herabgrinst, wird ihr Fetischismus nicht handgreiflich, sobald sie das +Kapital behandelt? Seit wie lange ist die physiokratische Illusion ver- +schwunden, daß die Grundrente aus der Erde wächst, nicht aus der Gesell- +schaft? + +15 + +25 + +Um jedoch nicht vorzugreifen, genüge hier noch ein Beispiel bezüglich +20 der Waarenform selbst. Könnten die Waaren sprechen, so würden sie sa- +gen, unser Gebrauchswerth mag den Menschen interessiren. Er kömmt uns +nicht als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukömmt, ist unser Werth. Un- +ser eigner Verkehr als Waarendinge beweist das. Wir beziehn uns nur als +Tauschwerthe auf einander. Man höre nun, wie der Oekonom aus der Waa- +renseele heraus spricht: „Werth (Tauschwerth) ist Eigenschaft der Dinge, +Reichthum (Gebrauchswerth) des Menschen. Werth in diesem Sinn +schließt nothwendig Austausch ein, Reichthum n i c h t " 3 4 ) . „Reichthum +(Gebrauchswerth) ist ein Attribut des Menschen, Werth ein Attribut der +Waaren. Ein Mensch oder ein Gemeinwesen ist reich; eine Perle oder ein +30 Diamant ist werthvoll ..." Eine Perle oder ein Diamant hat Werth als +Perle oder D i a m a n t 3 5 ) . Bisher hat noch ||50| kein Chemiker Tauschwerth in +Perle oder Diamant entdeckt. Die ökonomischen Entdecker dieser chemi- +schen Substanz, die besondren Anspruch auf kritische Tiefe machen, fin- +den aber, daß der Gebrauchswerth der Sachen unabhängig von ihren sach- +liehen Eigenschaften, dagegen ihr Werth ihnen als Sachen zukömmt. Was +sie hierin bestätigt, ist der sonderbare Umstand, daß der Gebrauchswerth + +35 + +3 4 ) "Value is a property of things, riches of man. Value, in this sense, necessarily implies ex- +changes, riches do not." ,,Observations on some verbal disputes in Pol. Econ., particularly re- +lating to value and to supply and demand. Lond. 1821", p. 16. +3 5 ) "Riches are the attribute of man, value is the attribute of commodities. A man or a com- +munity is rich, a pearl or a diamond is valuable ..." A pearl or a diamond is valuable as a +pearl or diamond. S. Bailey 1. c. p. 165. + +40 + +81 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +der Dinge sich für den Menschen ohne Austausch realisirt, also im unmit- +telbaren Verhältniß zwischen Ding und Mensch, ihr Werth umgekehrt nur +im Austausch, d. h. in einem gesellschaftlichen Proceß. Wer erinnert sich +hier nicht des guten Dogberry, der den Nachtwächter Seacoal belehrt: „Ein +gut aussehender Mann zu sein, ist eine Gabe der Umstände, aber Lesen +und Schreiben zu können, kömmt von Natur" 3 6). + +5 + +Z W E I T E S K A P I T E L . + +Der Austauschproceß. + +Die Waaren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst aus- +tauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Waarenbe- 10 +sitzern. Die Waaren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Men- +schen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren Worten +sie nehmen 3 7). Um diese Dinge als Waaren auf einander zu beziehn, müs- +sen die Waarenhüter sich zu einander als Personen verhalten, deren Willen +in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, +also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die +fremde Waare aneignet, indem er die eigne ||51| veräußert. Sie müssen sich +daher wechselseitig als Privateigenthümer anerkennen. Dieß Rechtsver- +hältniß, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist +ein Willensverhältniß, worin sich das ökonomische Verhältniß wiederspie- 20 +gelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das öko- +nomische Verhältniß selbst gegeben 3 8). Die Personen existiren hier nur für + +15 + +3 6 ) Der Verfasser der ,,Observations" und S.Bailey beschuldigen Ricardo, er habe den Tausch- +werth aus einem nur Relativen in etwas Absolutes verwandelt. Umgekehrt. Er hat die Schein- +relativität, die diese Dinge, Diamant und Perlen z.B., als Tauschwerthe besitzen, auf das hin- 25 +ter dem Schein verborgene wahre Verhältniß reducirt, auf ihre Relativität als bloße Ausdrücke +menschlicher Arbeit. Wenn die Ricardianer dem Bailey grob, aber nicht schlagend antworten, +so nur, weil sie bei Ricardo selbst keinen Aufschluß über den inneren Zusammenhang zwi- +schen Werth und Werthform oder Tauschwerth fanden. +3 7 ) Im 12., durch seine Frömmigkeit so berufenen Jahrhundert kommen unter diesen Waaren 30 +oft sehr zarte Dinge vor. So zählt ein französischer Dichter jener Zeit unter den Waaren, die +sich auf dem Markt von Landit einfanden, neben Kleidungsstoffen, Schuhen, Leder, Ackerge- +räthen, Häuten u. s. w. auch ,,femmes folles de leur corps" auf. +3 8 ) Proudhon schöpft erst sein Ideal der Gerechtigkeit, der justice éternelle, aus den der Waa- +renproduktion entsprechenden Rechtsverhältnissen, wodurch, nebenbei bemerkt, auch der für +alle Spießbürger so tröstliche Beweis geliefert wird, daß die Form der Waarenproduktion +ebenso ewig ist wie die Gerechtigkeit. Dann umgekehrt will er die wirkliche Waarenproduk- +tion und das ihr entsprechende wirkliche Recht diesem Ideal gemäß ummodeln. Was würde +man von einem Chemiker denken, der, statt die wirklichen Gesetze des Stoffwechsels zu stu- +diren, und auf Basis derselben bestimmte Aufgaben zu lösen, den Stoffwechsel durch die +„ewigen Ideen" der „naturalite" und der ,,affinité" ummodeln wollte? Weiß man etwa mehr + +35 + +40 + +82 + + Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß + +einander als Repräsentanten von Waare und daher als Waarenbesitzer. Wir +werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomi- +schen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökono- +mischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten. +5 Was den Waarenbesitzer namentlich von der Waare unterscheidet, ist +der Umstand, daß ihr jeder andre Waarenkörper nur als Erscheinungsform +ihres eignen Werths gilt. Geborner Leveller und Cyniker steht sie daher +stets auf dem Sprung, mit jeder andren Waare, sei selbe auch ausgestattet +mit mehr Unannehmlichkeiten als Maritorne, nicht nur die Seele, sondern +10 den Leib zu wechseln. Diesen der Waare mangelnden Sinn für das Kon- +krete des Waarenkörpers ergänzt der Waarenbesitzer durch seine eignen +fünf und mehr Sinne. Seine Waare hat für ihn keinen unmittelbaren Ge- +brauchswerth. Sonst führte er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswerth +für andre. Für ihn hat sie unmittelbar nur den Gebrauchswerth Träger von +15 Tauschwerth und so Tauschmittel zu sein 3 9). Darum will er sie veräußern +für Waare, deren Gebrauchswerth ihm Genüge thut. Alle Waaren sind +Nicht-Gebrauchswerthe ||52| für ihre Besitzer, Gebrauchswerthe für ihre +Nicht-Besitzer. Sie müsen also allseitig die Hände wechseln. Aber dieser +Händewechsel bildet ihren Austausch, und ihr Austausch bezieht sie als +20 Werthe auf einander und realisirt sie als Werthe. Die Waaren müssen sich +daher als Werthe realisiren, bevor sie sich als Gebrauchswerthe realisiren +können. + +25 + +Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerthe bewähren, bevor sie +sich als Werthe realisiren können. Denn die auf sie verausgabte menschli- +che Arbeit zählt nur, soweit sie in einer für Andre nützlichen Form veraus- +gabt ist. Ob sie Andren nützlich, ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse be- +friedigt, kann aber nur ihr Austausch beweisen. + +Jeder Waarenbesitzer will seine Waare nur veräußern gegen andre +Waare, deren Gebrauchswerth sein Bedürfniß befriedigt. Sofern ist der +30 Austausch für ihn nur individueller Proceß. Andrerseits will er seine Waare +als Werth realisiren, also in jeder ihm beliebigen andren Waare von dem- +selben Werth, ob seine eigne Waare nun für den Besitzer der andren Waare +Gebrauchswerth habe oder nicht. Sofern ist der Austausch für ihn allge- + +35 + +über den „Wucher", wenn man sagt, er widerspreche der „justice éternelle" und der ,,équité +éternelle" und der ,,mutualité éternelle" und andren ,,vérités éternelles", als die Kirchenväter +wußten, wenn sie sagten, er widerspreche der ,,grâce éternelle", der ,,foi éternelle", der „vo- +lonte éternelle de dieu"? +3 9 ) „Denn zweifach ist der Gebrauch jedes Guts. - Der eine ist dem Ding als solchem eigen, +der andre nicht, wie einer Sandale zur Beschuhung zu dienen und austauschbar zu sein. Bei- +40 des sind Gebrauchswerthe der Sandale, denn auch wer die Sandale mit dem ihm Mangeln- +den, z.B. der Nahrung austauscht, benutzt die Sandale als Sandale. Aber nicht in ihrer natür- +lichen Gebrauchsweise. Denn sie ist nicht da des Austausches wegen." (Aristoteles, de Rep. +1.1. c. 9.) + +83 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +mein gesellschaftlicher Proceß. Aber derselbe Proceß kann nicht gleichzei- +tig für alle Waarenbesitzer nur individuell und zugleich nur allgemein ge- +sellschaftlich sein. + +Sehn wir näher zu, so gilt jedem Waarenbesitzer jede fremde Waare als +besondres Aequivalent seiner Waare, seine Waare daher als allgemeines +Aequivalent aller andren Waaren. Da aber alle Waarenbesitzer dasselbe +thun, ist keine Waare allgemeines Aequivalent und besitzen die Waaren +daher auch keine allgemeine relative Werthform, worin sie sich als Werthe +gleichsetzen und als Werthgrößen vergleichen. Sie stehn sich daher über- +haupt nicht gegenüber als Waaren, sondern nur als Produkte oder Ge- +brauchs werthe. + +5 + +10 + +15 + +In ihrer Verlegenheit denken unsre Waarenbesitzer wie Faust. Im An- +fang war die That. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht ha- +ben. Die Gesetze der Waarennatur bethätigten sich im Naturinstinkt der +Waarenbesitzer. Sie können ihre Waaren nur als Werthe und darum nur +als Waaren auf einander beziehn, indem sie dieselben gegensätzlich auf +irgend eine andre Waare als allgemeines Aequivalent beziehn. Das ergab +die Analyse der Waare. Aber nur die gesellschaftliche That kann eine be- +stimmte Waare zum allgemeinen Aequivalent machen. Die gesellschaftli- +che Aktion aller andren Waaren schließt daher eine bestimmte ||53| Waare 20 +aus, worin sie allseitig ihre Werthe darstellen. Dadurch wird die Natural- +form dieser Waare gesellschaftlich gültige Aequivalentform. Allgemeines +Aequivalent zu sein wird durch den gesellschaftlichen Proceß zur speci- +fisch gesellschaftlichen Funktion der ausgeschlossenen Waare. So wird +sie - Geld. „Uli unum consilium habent et virtutem et potestatem suam 25 +bestiae tradunt. Et ne quis possit emere aut vendere, nisi qui habet charac- +terem aut nomen bestiae, aut numerum nominis ejus." (Apocalypse.) + +Der Geldkrystall ist ein nothwendiges Produkt des Austauschprocesses, +worin verschiedenartige Arbeitsprodukte einander thatsächlich gleichge- +setzt und daher thatsächlich in Waaren verwandelt werden. Die historische +Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der Waa- +rennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth. Das +Bedürfniß diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt +zu einer selbständigen Form des Waarenwerths und ruht und rastet nicht +bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdopplung der Waare in Waare und 35 +Geld. In demselben Maße daher, worin sich die Verwandlung der Arbeits- +produkte +in +G e l d 4 0 ) . + +in Waaren, vollzieht sich die Verwandlung von Waare + +30 + +4 0 ) Danach beurtheile man die Pfiffigkeit des kleinbürgerlichen Socialismus, der die Waren- +produktion verewigen und zugleich den „Gegensatz von Geld und Waare", also das Geld 40 +selbst, denn es ist nur in diesem Gegensatze, abschaffen will. Ebensowohl könnte man den + +84 + + Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß + +Der unmittelbare Produktenaustausch hat einerseits die Form des einfa- +chen Werthausdrucks und hat sie andrerseits noch nicht. Jene Form war χ +Waare A = y Waare B. Die Form des unmittelbaren Produktenaustausches +ist: χ Gebrauchsgegenstand A = y Gebrauchsgegenstand B 4 1 ) . Die Dinge A +5 und B sind hier nicht Waaren vor dem Austausch, sondern werden es erst +durch denselben. Die erste Weise, worin ein Gebrauchsgegenstand der +Möglichkeit nach Tauschwerth ist, ist sein Dasein als Nicht-Gebrauchs- +werth, als die unmittelbaren Bedürfnisse seines Besitzers überschießendes +Quantum von Gebrauchswerth. Dinge sind an und für sich dem Menschen +10 äußerlich und daher veräußerlich. Damit diese Veräußerung wechselseitig, +brauchen Menschen nur stillschweigend sich als Privateigenthümer jener +veräußerlichen Dinge ||54| und eben dadurch als von einander unabhän- +gige Personen gegenüberzutreten. Solch ein Verhältniß wechselseitiger +Fremdheit existirt jedoch nicht für die Glieder eines naturwüchsigen Ge- +15 meinwesens, habe es nun die Form einer patriarchalischen Familie, einer +altindischen Gemeinde, eines Inkastaates u.s.w. Der Waarenaustausch be- +ginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Kontakts mit +fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald +Dinge aber einmal im auswärtigen, werden sie auch rückschlagend im in- +20 nern Gemeinleben zu Waaren. Ihr quantitatives Austauschverhältniß ist +zunächst ganz zufällig. Austauschbar sind sie durch den Willensakt ihrer +Besitzer sie wechselseitig zu veräußern. Indeß setzt sich das Bedürfniß für +fremde Gebrauchsgegenstände allmälig fest. Die beständige Wiederholung +des Austausches macht ihn zu einem regelmäßigen gesellschaftlichen Pro- +25 ceß. Im Laufe der Zeit muß daher wenigstens ein Theil der Arbeitspro- +dukte absichtlich zum Behuf des Austausches producirt werden. Von die- +sem Augenblick befestigt sich einerseits die Scheidung zwischen der +Nützlichkeit der Dinge für den unmittelbaren Bedarf und ihrer Nützlich- +keit zum Austausch. Ihr Gebrauchswerth scheidet sich von ihrem Tausch- +30 werthe. Andrerseits wird das quantitative Verhältniß, worin sie sich austau- +schen, von ihrer Produktion selbst abhängig. Die Gewohnheit fixirt sie als +Werthgrößen. + +Im unmittelbaren Produktenaustausch + +ist jede Waare unmittelbar + +Tauschmittel für ihren Besitzer, Aequivalent für ihren Nichtbesitzer, j e - + +35 doch nur so weit sie Gebrauchswerth für ihn. Der Tauschartikel erhält also + +noch keine von seinem eignen Gebrauchswerth oder dem individuellen Be- + +Papst abschaffen und den Katholicismus bestehen lassen. Das Nähere hierüber sieh in meiner + +Schrift: „Zur Kritik der Pol. Oekonomie" p. 61 sq. +4 1 ) So lange noch nicht zwei verschiedne Gebrauchsgegenstände ausgetauscht, sondern, wie +40 wir das bei Wilden oft finden, eine chaotische Masse von Dingen als Aequivalent für ein Drit- + +tes angeboten wird, steht der unmittelbare Produktenaustausch selbst erst in seiner Vorhalle. + +85 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +5 + +dürfniß der Austauscher unabhängige Werthform. Die Nothwendigkeit die- +ser Form entwickelt sich mit der wachsenden Anzahl und Mannigfaltigkeit +der in den Austauschproceß eintretenden Waaren. Die Aufgabe entspringt +gleichzeitig mit den Mitteln ihrer Lösung. Ein Verkehr, worin Waarenbe- +sitzer ihre eignen Artikel mit verschiednen andren Artikeln austauschen +und vergleichen, findet niemals statt, ohne daß verschiedne Waaren von +verschiednen Waarenbesitzern innerhalb ihres Verkehrs mit einer und der- +selben dritten Waarenart ausgetauscht und als Werthe verglichen werden. +Solche dritte Waare, indem sie Aequivalent für verschiedne andre Waaren +wird, erhält unmittelbar, wenn auch in engen Grenzen, allgemeine oder ge- 10 +sellschaftliche Aequivalentform. Diese allgemeine Aequivalentform ent- +steht und vergeht mit dem augenblicklichen gesellschaftlichen Kontakt, +der sie ins Leben rief. Abwechselnd und flüchtig kommt sie dieser oder j e - +ner Waare ||55| zu. Mit der Entwicklung des Waarenaustausches heftet sie +sich aber ausschließlich fest an besondere Waarenarten, oder krystallisirt 15 +zur Geldform. An welcher Waarenart sie kleben bleibt, ist zunächst zufäl- +lig. Jedoch entscheiden im Großen und Ganzen zwei Umstände. Geldform +heftet sich entweder an die wichtigsten Eintauschartikel aus der Fremde, +welche in der That naturwüchsige Erscheinungsformen des Tauschwerths +der einheimischen Produkte sind. Oder an den Gebrauchsgegenstand, wel- 20 +eher das Hauptelement des einheimischen veräußerlichen Besitzthums bil- +det, wie z.B. Vieh. Nomadenvölker entwickeln zuerst die Geldform, weil +all ihr Hab und Gut sich in beweglicher, daher unmittelbar veräußerlicher +Form befindet, und weil ihre Lebensweise sie beständig mit fremden Ge- +meinwesen in Kontakt bringt, daher zum Produktenaustausch sollicitirt. +Die Menschen haben oft den Menschen selbst in der Gestalt des Sklaven +zum ursprünglichen Geldmaterial gemacht, aber niemals den Grund und +Boden. Solche Idee konnte nur in bereits ausgebildeter bürgerlicher Ge- +sellschaft aufkommen. Sie datirt vom letzten Drittheil des 17. Jahrhunderts +und ihre Ausführung, auf nationalem Maßstab, wurde erst ein Jahrhundert +später in der bürgerlichen Revolution der Franzosen versucht. + +25 + +30 + +In demselben Verhältniß, worin der Waarenaustausch seine nur lokalen +Bande sprengt, der Waarenwerth sich daher zur Materiatur menschlicher +Arbeit überhaupt ausweitet, geht die Geldform auf Waaren über, die von +Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines allgemeinen Aequivalents tau- 35 +gen, auf die edlen Metalle. + +Daß nun, „obgleich Gold und Silber nicht von Natur Geld, Geld von +Natur Gold und Silber i s t " 4 2 ) , zeigt die Kongruenz ihrer Natureigenschaf- + +4 2 ) Karl Marx I.e. p. 135. «I metalli +Custodi's Sammlung Parte Moderna, t.III, p. 137.) + +naturalmente moneta.» (Galiani: „Deila Moneta" in + +40 + +86 + + Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß + +5 + +ten mit seinen Funktionen 4 3). Bisher kennen wir aber nur die eine Funk- +tion des Geldes, als Erscheinungsform des Waarenwerths zu dienen oder +als das Material, worin die Werthgrößen der Waaren sich gesellschaftlich +ausdrücken. Adäquate Erscheinungsform von Werth oder Materiatur ab- +strakter und daher gleicher menschlicher Arbeit kann nur eine Materie +sein, deren sämmtliche Exemplare dieselbe gleichförmige Qualität besit- +zen. Andrerseits, da der Unterschied der Werthgrößen rein quantitativ ist, +muß die Geldwaare rein quantitativer Unterschiede fähig, also nach Will- +kür theilbar und aus ihren Theilen wieder zusammen| 1561setzbar sein. Gold + +10 und Silber besitzen aber diese Eigenschaften von Natur. + +Der Gebrauchswerth der Geldwaare verdoppelt sich. Neben ihrem be- +sondren Gebrauchswerth als Waare, wie Gold z . B . zum Ausstopfen hohler +Zähne, Rohmaterial von Luxusartikeln u.s.w. dient, erhält sie einen forma- +len Gebrauchswerth, der aus ihren specifîschen gesellschaftlichen Funktio- + +15 nen entspringt. + +Da alle andren Waaren nur besondre Aequivalente des Geldes, das Geld +ihr allgemeines Aequivalent, verhalten sie sich als besondre Waaren zum +Geld als der allgemeinen Waare 4 4). + +Man hat gesehn, daß die Geldform nur der an einer Waare festhaftende +20 Reflex der Beziehungen aller andren Waaren. Daß Geld Waare i s t 4 5 ) , ist +also nur eine Entdeckung für den, der von seiner fertigen Gestalt ausgeht, +um sie hinterher zu analysiren. Der Austauschproceß giebt der Waare, die +er in Geld verwandelt, nicht ihren Werth, sondern ihre specifische Werth- +form. Die Verwechslung beider Bestimmungen verleitete dazu, den Werth +25 von Gold und Silber für imaginär zu halten 4 6). Weil Geld in bestimmten + +4 3 ) Das Nähere darüber in meiner eben citirten Schrift, Abschnitt: „Die edlen Metalle". +4 4 ) «Il danaro è la merce universale.» (Verri 1. c. p. 16.) +4 5 ) "Silver and gold themselves, which we may call by the general name of Bullion, are ... +commodities ... raising and falling in ... value ... Bullion then may be reckoned to be of +30 higher value, where the smaller weight will purchase the greater quantity of the product or +manufacture of the country etc." („A Discourse of the General Notions of Money, Trade, and +Exchange, as they stand in relations to each other. By a Merchant. Lond. 1695", p. 7.) "Silver +and gold, coined or uncoined, tho' they are used for a measure of all other things, are no less a +commodity than wine, oyl, tobacco, cloth or stuffs." („A Discourse concerning Trade, and that +in particular of the East-Indies etc., London 1689", p. 2.) "The stock and riches of the king- +dom cannot properly be confined to money, nor ought gold and silver to be excluded from be- +ing merchandize." (,,The East India Trade a most Profitable Trade. London 1677", p. 4.) +4 6 ) «L'oro e l'argento hanno valore come metalli anteriore all' essere moneta.» (Galiani I.e.) +Locke sagt: „Die allgemeine Uebereinstimmung der Menschen legte dem Silber, wegen seiner +40 Qualitäten, die es zum Geld geeignet machten, einen imaginären Werth bei." Dagegen Law: +„Wie könnten verschiedne Nationen irgend einer Sache einen imaginären Werth geben ... +oder wie hätte sich dieser imaginäre Werth erhalten können?" Wie wenig er selbst aber von +der Sache verstand: „Das Silber tauschte sich aus nach dem Gebrauchswerth, den es hatte, +also nach seinem wirklichen Werth; durch seine Bestimmung als Geld erhielt es einen zu- + +35 + +87 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Funktionen durch bloße Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann, ent- +sprang der andre Irrthum, es sei ein bloßes Zeichen. Andrerseits lag darin +die Ahnung, daß die Geldform des Dings ihm selbst ||57| äußerlich und +bloße Erscheinungsform dahinter versteckter menschlicher Verhältnisse. +In diesem Sinn wäre jede Waare ein Zeichen, weil als Werth nur sachliche +Hülle der auf sie verausgabten menschlichen Arbeit 4 7). Indem man aber +die gesellschaftlichen Charaktere, welche Sachen oder die sachlichen Cha- +raktere, welche gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit auf Grundlage +einer bestimmten Produktionsweise erhalten, für bloße Zeichen, erklärt +man sie zugleich für willkürliches Reflexionsprodukt der Menschen. Es 10 +war dieß beliebte Aufklärungsmanier des 18. Jahrhunderts, um den räthsel- +haften Gestalten menschlicher Verhältnisse, deren Entstehungsproceß man +noch nicht entziffern konnte, wenigstens vorläufig den Schein der Fremd- +heit abzustreifen. + +5 + +Es ward vorhin bemerkt, daß die Aequivalentform einer Waare die quan- 15 + +titative Bestimmung ihrer Werthgröße nicht einschließt. Weiß man, daß +Gold Geld, daher mit allen andren Waaren unmittelbar austauschbar ist, +so weiß man deßwegen nicht, wie viel z . B . 10 Pfund Gold werth sind. Wie +jede Waare kann das Geld seine eigne Werthgröße nur relativ in andren +Waaren ausdrücken. Sein eigner Werth ist bestimmt durch die zu seiner 20 +Produktion erheischte Arbeitszeit und drückt sich in dem Quantum jeder +andren Waare aus, worin gleichviel Arbeitszeit geronnen i s t 4 8 ) . ||58| Diese + +schüssigen Werth (une valeur additionnelle)." (Jean Law: ,,Considérations sur le numéraire et +le commerce" in E.Daire's Edit, der ,,Économistes Financiers du XVIII. siècle" p. 469, 470.) +4 7 ) «L'argent en (des denrées) est le signe.» (V. de Forbonnais: ,,Eléments du Commerce. 25 +Nouv. Edit. Leyde 1766", t. II, p. 143.) « Comme signe il est attiré par les denrées.» (I.e. p. 155.) +«L'argent est un signe d'une chose et la représente.» (Montesquieu: „Esprit des Lois" Œuvres +Lond. 1767, t.II, p. 3.) «L'argent n'est pas simple signe, car il est lui-même richesse; il ne re- +présente pas les valeurs, il les équivaut.» (Le Trosne 1. c. p. 910.) „Betrachtet man den Begriff +des Werths, so wird die Sache selbst nur als ein Zeichen angesehn und sie gilt nicht als sie sei- 30 +ber, sondern als was sie werth ist." (Hegel i.e. p.100.) Lange vor den Oekonomen brachten die +Juristen die Vorstellung von Gold als bloßem Zeichen und dem nur imaginären Werth der ed- +len Metalle in Schwung, im Sykophantendienst der königlichen Gewalt, deren Münzverfäl- +schungsrecht sie das ganze Mittelalter hindurch auf die Traditionen des römischen Kaiser- +reichs und die Geldbegriffe der Pandekten stützten. «Qu'aucun puisse ni doive faire doute», +sagt ihr gelehriger Schüler, Philipp von Valois, in einem Dekret von 1346, «que à nous et à +notre majesté royale n'appartienne seulement... le mestier, le fait, l'état, la provision et toute +l'ordonnance des monnaies, de donner tel cours, et pour tel prix comme il nous plaît et bon +nous semble.» Es war römisches Rechtsdogma, daß der Kaiser den Geldwerth dekretirt. Es +war ausdrücklich verboten, das Geld als Waare zu behandeln. „Pecunias vero nulli emere fas 40 +erit, nam in usu publico constitutas oportet non esse mercem." Gute Auseinandersetzung +hierüber von G.F.Pagnini: ,,Saggio sopra il giusto pregio delle cose. 1751", bei Custodi Parte +Moderna, t. IL Namentlich im zweiten Theil der Schrift polemisirt Pagnini gegen die Herren +Juristen. +4 8 ) "If a man can bring to London an ounce of silver out of the earth in Peru, in the same time 45 + +35 + +88 + + Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß + +Festsetzung seiner relativen Werthgröße findet statt an seiner Produktions- +quelle in unmittelbarem Tauschhandel. Sobald es als Geld in die Cirkula- +tion eintritt, ist sein Werth bereits gegeben. Wenn es schon in den letzten +Decennien des 17. Jahrhunderts weit überschrittner Anfang der Geldana- +lyse, zu wissen, daß Geld Waare ist, so aber auch nur der Anfang. Die +Schwierigkeit liegt nicht darin zu begreifen, daß Geld Waare, sondern wie, +warum, wodurch Waare Geld i s t 4 9 ) . + +5 + +15 + +Wir sahen, wie schon in dem einfachsten Werthausdruck, χ Waare A = y +Waare B, das Ding, worin die Werthgröße eines andren Dings dargestellt +10 wird, seine Aequivalentform unabhängig von dieser Beziehung als gesell- +schaftliche Natureigenschaft zu besitzen scheint. Wir verfolgten die Befe- +stigung dieses falschen Scheins. Er ist vollendet, sobald die allgemeine +Aequivalentform mit der Naturalform einer besondren Waarenart verwach- +sen oder zur Geldform krystallisirt ist. Eine Waare scheint nicht erst Geld +zu werden, weil die andren Waaren allseitig ihre Werthe in ihr darstellen, +sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werthe in ihr darzustellen, +weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen +Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zuthun finden die Waaren +ihre eigne Werthgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existi- +renden Waarenkörper. Diese Dinge, Gold und Silber, wie sie aus den Ein- +geweiden der Erde herauskommen, sind zugleich die unmittelbare Inkar- +nation aller menschlichen Arbeit. Daher die Magie des Geldes. +Das ||59| bloß atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaft- +lichen Produktionsproceß und daher die von ihrer Kontrole und ihrem be- +25 wußten individuellen Thun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eignen +Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, daß ihre Arbeitspro- + +20 + +that he can produce a bushel of corn, then one is the natural price of the other; now if by rea- +son of new and more easier mines a man can procure two ounces of silver as easily as he for- +merly did one, the corn will be as cheap at 10 shillings the bushel, as it was before at 5 shil- +30 lings, caeteris paribus." William Petty: „A Treatise of Taxes and Contributions. Lond. 1667", + +p. 31. +4 9 ) Nachdem Herr Professor Roscher uns belehrt: „Die falschen Definitionen von Geld lassen +sich in zwei Hauptgruppen theilen: solche, die es für mehr, und solche, die es für weniger hal- +ten als eine Waare", folgt ein kunterbunter Katalog von Schriften über das Geldwesen, wo- +35 durch auch nicht die entfernteste Einsicht in die wirkliche Geschichte der Theorie durch- +schimmert, und dann die Moral: „Zu leugnen ist übrigens nicht, daß die meisten neueren +Nationalökonomen die Eigenthümlichkeiten, welche das Geld von andren Waaren unter- +scheiden (also doch mehr oder weniger als Waare?) nicht genug im Auge behalten haben ... +Insofern ist die halbmerkantilistische Reaktion von Ganilh etc. nicht ganz unbegründet." +(Wilhelm Roscher: „Die Grundlagen der Nationalökonomie. 3. Aufl. 1858", p. 207-10.) +Mehr - weniger - nicht genug - insofern - nicht ganz! Welche Begriffsbestimmungen! Und +dergleichen eklektische Professoralfaselei tauft Herr Roscher bescheiden „die anatomisch- +physiologische Methode" der politischen Oekonomie! Eine Entdeckung ist ihm jedoch ge- +schuldet, nämlich, daß Geld „eine angenehme Waare" ist. + +40 + +89 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +dukte allgemein die Waarenform annehmen. Das Räthsel des Geldfetischs +ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende Räthsel des +Waarenfetischs. + +DRITTES K A P I T E L . + +Das Geld oder die Waarencirkulation. + +5 + +1) Maß der Werthe. + +Ich setze überall in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold als die +Geldwaare voraus. + +Die erste Funktion des Goldes besteht darin, der Waarenwelt das Mate- +rial ihres Werthausdrucks zu liefern oder die Waarenwerthe als gleichna- 10 +mige Größen, qualitativ gleiche und quantitativ vergleichbare, darzustel- +len. So funktionirt es als allgemeines Maß der Werthe und nur durch diese +Funktion wird Gold, die specifische Aequivalentwaare, zunächst Geld. + +Die Waaren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. +Weil alle Waaren als Werthe vergegenständlichte menschliche Arbeit, da- 15 +her an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werthe gemein- +schaftlich in derselben specifîschen Waare messen und diese dadurch in +ihr gemeinschaftliches Werthmaß oder Geld verwandeln. Geld als Werth- +maß ist nothwendige Erscheinungsform des immanenten Werthmaßes der +Waaren, der Arbeitszeit 5 0). | + +20 + +|60| Der Werthausdruck einer Waare in Gold - χ Waare A = y Geld- +waare (cid:5) ist ihre Geldform oder ihr Preis. Eine vereinzelte Gleichung, wie +1 Tonne Eisen = 2 Unzen Gold, genügt jetzt um den Eisenwerth gesell- +schaftlich gültig darzustellen. Die Gleichung braucht nicht länger in Reih +und Glied mit den Werthgleichungen der andren Waaren aufzumarschi- 25 + +5 0 ) Die Frage, warum das Geld nicht unmittelbar die Arbeitszeit selbst repräsentirt, so daß +z.B. eine Papiernote χ Arbeitsstunden vorstellt, kommt ganz einfach auf die Frage heraus, +warum auf Grundlage der Waarenproduktion die Arbeitsprodukte sich als Waaren darstellen +müssen, denn die Darstellung der Waare schließt ihre Verdopplung in Waare und Geldwaare +ein. Oder warum Privatarbeit nicht als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, als ihr Gegen- +theil, behandelt werden kann. Ich habe den seichten Utopismus eines „Arbeitsgelds" auf +Grundlage der Waarenproduktion anderswo ausführlich erörtert (I.e. p.61 sqq.). Hier sei noch +bemerkt, daß z.B. das Owen'sche „Arbeitsgeld" ebensowenig „Geld" ist, wie etwa eine Thea- +termarke. Owen setzt unmittelbar vergesellschaftete Arbeit voraus, eine der Waarenproduk- +tion diametral entgegengesetzte Produktionsform. Das Arbeitscertifikat konstatirt nur den in- +dividuellen Antheil des Producenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch +auf den zur Konsumtion bestimmten Theil des Gemeinprodukts. Aber es fallt Owen nicht +ein, die Waarenproduktion vorauszusetzen und dennoch ihre nothwendigen Bedingungen +durch Geldpfuschereien umgehn zu wollen. + +30 + +35 + +90 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +ren, weil die Aequivalentwaare, das Gold, bereits den Charakter von Geld +besitzt. Die allgemeine relative Werthform der Waaren hat daher jetzt wie- +der die Gestalt ihrer ursprünglichen, einfachen oder einzelnen relativen +Werthform. Andrerseits wird der entfaltete relative Werthausdruck oder die +5 endlose Reihe relativer Werthausdrücke zur specifisch relativen Werth- +form der Geldwaare. Diese Reihe ist aber jetzt schon gesellschaftlich gege- +ben in den Waarenpreisen. Man lese die Quotationen eines Preiskurants +rückwärts und man findet die Werthgröße des Geldes in allen möglichen +Waaren dargestellt. Geld hat dagegen keinen Preis. Um an dieser einheitli- +10 chen relativen Werthform der andren Waaren theilzunehmen, müßte es + +auf sich selbst als sein eignes Aequivalent bezogen werden. + +20 + +Der Preis oder die Geldform der Waaren ist, wie ihre Werthform über- +haupt, eine von ihrer handgreiflich reellen Körperform unterschiedne, also +nur ideelle oder vorgestellte Form. Der Werth von Eisen, Leinwand, Wei- +15 zen u. s. w. existirt, obgleich unsichtbar, in diesen Dingen selbst; er wird +vorgestellt durch ihre Gleichheit mit Gold, eine Beziehung zum Gold, die +so zu sagen nur in ihren Köpfen spukt. Der Waarenhüter muß daher seine +Zunge in ihren Kopf stecken oder ihnen Papierzettel umhängen, um ihre +Preise der Außenwelt mitzutheilen 5 1). Da der Ausdruck der Waarenwerthe +in Gold ideell ist, ist zu dieser Operation auch nur vorge11611stelltes oder +ideelles Gold anwendbar. Jeder Waarenhüter weiß, daß er seine Waaren +noch lange nicht vergoldet, wenn er ihrem Werth die Form des Preises oder +vorgestellte Goldform giebt, und daß er kein Quentchen wirkliches Gold +braucht um Millionen Waarenwerthe in Gold zu schätzen. In seiner Funk- +tion des Werthmaßes dient das Geld daher - als nur vorgestelltes oder ide- +elles Geld. Dieser Umstand hat die tollsten Theorien veranlaßt 5 2). Ob- +gleich nur vorgestelltes Geld zur Funktion des Werthmaßes dient, hängt +der Preis ganz vom reellen Geldmaterial ab. Der Werth, d.h. das Quantum +menschlicher Arbeit, das z.B. in einer Tonne Eisen enthalten ist, wird aus- +30 gedrückt in einem vorgestellten Quantum der Geldwaare, welches gleich- + +25 + +5 1 ) Der Wilde oder Halbwilde braucht die Zunge anders. Kapitain Parry bemerkt z.B. von den +Bewohnern an der Westküste der Baffînsbay: "In this case (beim Produktenaustausch) ... they +licked it (the thing represented to them) twice with their tongues, after which they seemed to +consider the bargain satisfactorily concluded." Ebenso beleckte bei den östlichen Eskimos der +35 Eintauscher jedesmal den Artikel beim Empfang desselben. Wenn die Zunge so im Norden +als Organ der Aneignung, ist es kein Wunder, daß der Bauch im Süden als Organ des akku- +mulirten Eigenthums gilt und der Kaffer den Reichthum eines Mannes nach seinem Fett- +wanst schätzt. Die Kaffern sind grundgescheute Kerle, denn während der officielle britische +Gesundheits-Bericht von 1864 den Mangel eines großen Theils der Arbeiterklasse an fettbil- +40 denden Substanzen beklagt, machte ein Dr. Harvey, der jedoch nicht die Blutcirkulation er- +funden hat, in demselben Jahre sein Glück durch Puff-Recepte, die der Bourgeoisie und Ari- +stokratie Fettüberflusseslast abzutreiben versprachen. +5 2 ) Siehe Karl Marx: Zur Kritik etc. „Theorien von der Maßeinheit des Geldes" p. 53 sq. + +91 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +viel Arbeit enthält. Je nachdem also Gold, Silber oder Kupfer zum Werth- + +maß dienen, erhält der Werth der Tonne Eisen ganz verschiedne + +Preisausdrücke, oder wird in ganz verschiednen Quantitäten Gold, Silber + +oder Kupfer vorgestellt. + +Dienen daher zwei verschiedne Waaren, z . B . Gold und Silber, gleichzei- + +5 + +tig als Werthmaße, so besitzen alle Waaren zweierlei verschiedne Preisaus- + +drücke, Goldpreise und Silberpreise, die ruhig neben einander laufen, so + +lange das Werthverhältniß von Silber zu Gold unverändert bleibt, z.B. + += 1:15. Jede Veränderung dieses Werthverhältnisses stört aber das Verhält- + +niß zwischen den Goldpreisen und den Silberpreisen der Waaren, und be- 10 + +weist so thatsächlich, daß die Verdopplung des Werthmaßes seiner Funk- + +tion widerspricht 5 3). | + +|62| Die preisbestimmten Waaren stellen sich alle dar in der Form: + +a Waare A = χ Gold; b Waare B = ζ Gold, c Waare C = y Gold u. s. w., wo + +a, b, c bestimmte Massen der Waarenarten A, B, C vorstellen, x, z, y be(cid:5) 15 + +stimmte Massen des Goldes. Die Waarenwerthe sind daher verwandelt in + +vorgestellte Goldquanta von verschiedner Größe, also, trotz der wirren + +Buntheit der Waarenkörper, in gleichnamige Größen, Goldgrößen. Als sol- + +che verschiedne Goldquanta vergleichen und messen sie sich unter einan- + +der, und es entwickelt sich technisch die Nothwendigkeit sie auf ein fixir- 20 + +tes Quantum Gold als ihre Maßeinheit zu beziehn. Diese Maßeinheit + +5 3 ) Note zur 2. Ausg. „Wo Gold und Silber gesetzlich als Geld, d.h. als Werthmaß neben ein- +ander bestehen, ist stets der vergebliche Versuch gemacht worden, sie als eine und dieselbe +Materie zu behandeln. Unterstellt man, daß dieselbe Arbeitszeit sich unveränderlich in der- +selben Proportion von Silber und Gold vergegenständlichen muß, so unterstellt man in der 25 +That, daß Silber und Gold dieselbe Materie sind, und daß eine bestimmte Masse des minder +werthvollen Metalls, des Silbers, den unveränderlichen Bruchtheil einer bestimmten Gold- +masse bildet. Von der Regierung Edward's III. bis zur Zeit von Georg II. verläuft sich die Ge- +schichte des englischen Geldwesens in eine fortlaufende Reihe von Störungen, hervorgehend +aus der Kollision zwischen der gesetzlichen Festsetzung des Werthverhältnisses von Gold und 30 +Silber und ihren wirklichen Werthschwankungen. Bald war Gold zu hoch geschätzt, bald Sil- +ber. Das zu niedrig geschätzte Metall wurde der Cirkulation entzogen, umgeschmolzen und +exportirt. Das Werthverhältniß beider Metalle wurde dann wieder gesetzlich verändert, aber +der neue Nominalwerth trat bald mit dem wirklichen Werthverhältniß in denselben Konflikt +wie der alte. - In unserer eigenen Zeit hat der sehr schwache und vorübergehende Fall im +Werth von Gold gegen Silber, in Folge der indisch-chinesischen Silbernachfrage dasselbe +Phänomen auf der größten Stufenleiter in Frankreich erzeugt, Ausfuhr von Silber und seine +Vertreibung aus der Cirkulation durch Gold. Während der Jahre 1855, 1856, 1857 betrug der +Ueberschuß der Goldeinfuhr +in Frankreich über die Goldausfuhr aus Frankreich +41580 000 £., während der Ueberschuß der Silberausfuhr über die Silbereinfuhr 34 704 000 £. 40 +betrug. In der That in Ländern, wo beide Metalle gesetzliche Werthmaße sind, daher beide in +Zahlung angenommen werden müssen, jeder aber beliebig in Silber oder Gold zahlen kann, +trägt das im Werth steigende Metall ein Agio und mißt wie jede andere Waare seinen Preis in +dem überschätzten Metall, während letzteres allein als Werthmaß dient. Alle geschichtliche +Erfahrung in diesem Gebiet reducirt sich einfach darauf, daß, wo gesetzlich zwei Waaren die 45 +Funktion des Werthmaßes versehen, faktisch immer nur eine als solches den Platz behaup- +tet." (Karl Marx, I.e. p.52, 53.) + +35 + +92 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +selbst wird durch weitere Eintheilung in aliquote Theile zum Maßstab fort- +entwickelt. Vor ihrer Geldwerdung besitzen Gold, Silber, Kupfer bereits +solche Maßstäbe in ihren Metallgewichten, so daß z . B . ein Pfund als Maß- +einheit dient, und nach der einen Seite wieder in Unzen u.s.w. abgetheilt, +5 nach der andren in Centner u.s.w. zusammenaddirt wird 5 4). Bei aller me- +tallischen Cirkulation bilden daher die vorgefundenen Namen des Ge- +wichtsmaßstabs auch die ursprünglichen Namen des Geldmaßstabs oder +Maßstabs der Preise. + +Als Maß der Werthe und als Maßstab der Preise verrichtet das Geld zwei +10 ganz verschiedne Funktionen. Maß der Werthe ist es als die gesellschaftli- +che Inkarnation der menschlichen Arbeit, Maßstab der Preise als ein fest- +gesetztes Metallgewicht. Als Werthmaß dient ||63| es dazu, die Werthe der +bunt verschiednen Waaren in Preise zu verwandeln, in vorgestellte Gold- +quanta; als Maßstab der Preise mißt es diese Goldquanta. Am Maß der +15 Werthe messen sich die Waaren als Werthe, der Maßstab der Preise mißt +dagegen Goldquanta an einem Goldquantum, nicht den Werth eines Gold- +quantums am Gewicht des andren. Für den Maßstab der Preise muß ein +bestimmtes Goldgewicht als Maßeinheit fixirt werden. Hier, wie in allen +andren Maßbestimmungen gleichnamiger Größen, wird die Festigkeit der +20 Maßverhältnisse entscheidend. Der Maßstab der Preise erfüllt daher seine +Funktion um so besser, je unveränderlicher ein und dasselbe Quantum +Gold als Maßeinheit dient. Als Maß der Werthe kann Gold nur dienen, +weil es selbst Arbeitsprodukt, also der Möglichkeit nach ein veränderlicher +Werth ist. 5 5) + +25 + +Es ist zunächst klar, daß ein Werthwechsel des Goldes seine Funktion +als Maßstab der Preise in keiner Weise beeinträchtigt. Wie auch der Gold- +werth wechsle, verschiedne Goldquanta bleiben stets in selbem Werthver- +hältniß zu einander. Fiele der Goldwerth um 1000 %, so würden nach wie +vor 12 Unzen Gold 12mal mehr Werth besitzen als eine Unze Gold, und in +30 den Preisen handelt es sich nur um das Verhältniß verschiedner Gold- +quanta zu einander. Da andrerseits eine Unze Gold mit dem Fallen oder +Steigen ihres Werths keineswegs ihr Gewicht verändert, verändert sich +ebenso wenig das ihrer aliquoten Theile, und so thut das Gold als fixer + +5 4 ) Note zur 2. Ausg. Die Sonderbarkeit, daß die Unze Gold in England als Einheit des GeId- +35 maßstabs nicht in aliquote Theile abgetheilt ist, erklärt sich wie folgt: "Our coinage was origi- +nally adapted to the employment of silver only - hence an ounce of silver can always be di- +vided into a certain adequate number of pieces of coin; but as gold was introduced at a later +period into a coinage adapted only to silver, an ounce of gold cannot be coined into an ade- +quate number of pieces." Maclaren: ,,History of the Currency." London 1858. p. 16. + +40 5 5 ) N. z. 2. Ausg. In englischen Schriften ist die Konfusion über Maß der Werthe (measure of +value) und Maßstab der Preise (standard of value) unsäglich. Die Funktionen und daher ihre +Namen werden beständig verwechselt. + +93 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Maßstab der Preise stets denselben Dienst, wie +wechsle. + +immer sein Werth + +Der Werthwechsel des Goldes verhindert auch nicht seine Funktion als +Werthmaß. Er trifft alle Waaren gleichzeitig, läßt also, caeteris paribus, +ihre wechselseitigen relativen Werthe unverändert, obgleich sie sich nun +alle in höheren oder niedrigeren Goldpreisen als zuvor ausdrücken. + +5 + +Wie bei der Darstellung des Werths einer Waare im Gebrauchswerth +irgend einer andren Waare, ist auch bei der Schätzung der Waaren in Gold +nur vorausgesetzt, daß zur gegebnen Zeit die Produktion eines bestimmten +Goldquantums ein gegebnes Quantum Arbeit kostet. In Bezug auf die B e - 10 +wegung der Waarenpreise überhaupt gelten die früher entwickelten Ge- +setze des einfachen relativen Werthausdrucks. + +Die Waarenpreise können nur allgemein steigen, bei gleichblei||64|ben- +dem Geldwerth, wenn die Waarenwerthe steigen; bei gleichbleibenden +Waarenwerthen, wenn der Geldwerth fällt. Umgekehrt. Die Waarenpreise 15 +können nur allgemein fallen, bei gleichbleibendem Geldwerth, wenn die +Waarenwerthe fallen; bei gleichbleibenden Waarenwerthen, wenn der +Geldwerth steigt. Es folgt daher keineswegs, daß steigender Geldwerth pro- +portionelles Sinken der Waarenpreise und fallender Geldwerth proportio- +nelles Steigen der Waarenpreise bedingt. Dieses gilt nur für Waaren von 20 +unverändertem Werth. Solche Waaren z.B., deren Werth gleichmäßig und +gleichzeitig steigt mit dem Geldwerth, behalten dieselben Preise. Steigt ihr +Werth langsamer oder rascher als der Geldwerth, so wird der Fall oder das +Steigen ihrer Preise bestimmt durch die Differenz zwischen ihrer Werthbe- +wegung und der des Geldes u. s. w. + +25 + +Kehren wir nun zur Betrachtung der Preisform zurück. +Die Geldnamen der Metallgewichte trennen sich nach und nach von +ihren ursprünglichen Gewichtnamen aus verschiednen Gründen, darunter +historisch entscheidend: 1) Einführung fremden Geldes bei minder entwik- +kelten Völkern, wie z . B . im alten Rom Silber- und Goldmünzen zuerst als 30 +ausländische Waaren cirkulirten. Die Namen dieses fremden Geldes sind +von den einheimischen Gewichtnamen verschieden. 2) Mit der Entwick- +lung des Reichthums wird das minder edle Metall durch das edlere aus der +Funktion des Werthmaßes verdrängt, Kupfer durch Silber, Silber durch +Gold, so sehr diese Reihenfolge aller poetischen Chronologie widerspre- 35 +chen mag 5 6). Pfund war nun z.B. Geldname für ein wirkliches Pfund Sil- +ber. Sobald Gold das Silber als Werthmaß verdrängt, hängt sich derselbe +Name vielleicht an +l / l 5 u. s. w. Pfund Gold, je nach dem Werthverhältniß +von Gold und Silber. Pfund als Geldname und als gewöhnlicher Gewicht- + +5 6 ) Sie ist übrigens auch nicht von allgemein historischer Gültigkeit. + +40 + +94 + + Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation + +name des Goldes sind jetzt getrennt 5 7). 3) Die Jahrhunderte fortgesetzte +Geldfälschung der Fürsten, welche vom ursprünglichen Gewicht der Geld- +münzen in der That nur den Namen zurückließ 5 8). + +Diese historischen Processe machen die Trennung des Geldnamens der +5 Metallgewichte von ihrem gewöhnlichen Gewichtsnamen zur ||65| Volks- +gewohnheit. Da der Geldmaßstab einerseits rein konventionell ist, andrer- +seits allgemeiner Gültigkeit bedarf, wird er zuletzt gesetzlich regulirt. Ein +bestimmter Gewichtstheil des edlen Metalls, z .B. eine Unze Gold, wird of- +fîciell abgetheilt in aliquote Theile, die legale Taufnamen erhalten, wie +Pfund, Thaler u. s.w. Solcher aliquote Theil, der dann als die eigentliche +Maßeinheit des Geldes gilt, wird untergetheilt in andre aliquote Theile mit +gesetzlichen Taufnamen wie Shilling, Penny etc. 5 9). Nach wie vor bleiben +bestimmte Metallgewichte Maßstab des Metallgeldes. Was sich geändert, +ist Eintheilung und Namengebung. + +1 0 + +1 5 + +Die Preise, oder die Goldquanta, worin die Werthe der Waaren ideell +verwandelt sind, werden jetzt also ausgedrückt in den Geldnamen oder ge- +setzlich gültigen Rechennamen des Goldmaßstabs. Statt also zu sagen, der +Quarter Weizen ist gleich einer Unze Gold, würde man in England sagen, +er ist gleich 3 £ 17 sh. 10¾ d. Die Waaren sagen sich so in ihren Geldna- +2 0 men was sie werth sind, und das Geld dient als Rechengeld, so oft es gilt + +eine Sache als Werth und daher in Geldform zu fixiren 6 0). + +Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz äußerlich. Ich weiß nichts +vom Menschen, wenn ich weiß, daß ein Mensch Jacobus heißt. Ebenso ver- +schwindet in den Geldnamen Pfund, Thaler, Franc, Dukat u.s.w. jede Spur +25 des Werthverhältnisses. Die Wirre über den Geheimsinn dieser kabbalisti- +schen Zeichen ist um so größer, als die Geldnamen den Werth der Waaren +und zugleich aliquote Theile eines Metallgewichts, des Geldmaßstabs, aus- +drücken 6 1). Andrerseits ist es nothwendig, daß der Werth im Unterschied + +30 + +5 7 ) Note zur 2. Ausg. So bezeichnet das englische Pfund weniger als ein Drittel seines ur- +sprünglichen Gewichts, das schottische Pfund vor der Union nur noch % 6, der französische +Livre Y74, der spanische Maravedi weniger als +1 X 0 O O , der portugiesische Rei eine noch viel klei- +nere Proportion. +5 8 ) Note zur 2. Ausg. «Le monete le quali oggi sono ideali sono le più antiche d'ogni nazione, +e tutte furono un tempo reali, e perchè erano reali con esse si contava.» (Galiani: Della Mo- + +35 neta, I.e. p.153.) + +40 + +5 9 ) Note zur 2. Ausg. Herr David Urquhart bemerkt in seinen ,,Familiar Words" über das Un- +geheuerliche (!), daß heut zu Tage ein Pfund (£ St.), die Einheit des englischen Geldmaß- +stabs, gleich ungefähr % Unze Gold ist: "This is falsifying a measure, not establishing a stand- +ard." Er findet in dieser „falschen Benennung" des Goldgewichts wie überall sonst die +fälschende Hand der Civilisation. +6 0 ) Note zur 2. Ausg. „Als man den Anacharsis fragte, wozu die Hellenen das Geld brauchen, +antwortet er: zum Rechnen." (Athen. Deipn. l.IV, 49, v. 2. ed. Schweighäuser, 1802.) +6 1 ) Note z. 2. Ausg. „Weil das Gold als Maßstab der Preise in denselben Rechennamen er- +scheint, wie die Waarenpreise, also z. B. eine Unze Gold eben sowohl wie der Werth einer + +95 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +von den bunten Körpern der Waarenwelt sich zu ||66| dieser begriffslos +sachlichen, aber auch einfach gesellschaftlichen Form fortentwickle 6 2). + +5 + +Der Preis ist der Geldname der in der Waare vergegenständlichten Ar- +beit. Die Aequivalenz der Waare und des Geldquantums, dessen Name ihr +Preis ist, ist daher eine Tautologie 6 3), wie ja überhaupt der relative Werth- +ausdruck einer Waare stets der Ausdruck der Aequivalenz zweier Waaren +ist. Wenn aber der Preis als Exponent der Werthgröße der Waare Exponent +ihres Austauschverhältnisses mit Geld, so folgt nicht umgekehrt, daß der +Exponent ihres Austauschverhältnisses mit Geld nothwendig der Exponent +ihrer Werthgröße ist. Gesellschaftlich nothwendige Arbeit von gleicher 10 +Größe stelle sich in 1 Quarter Weizen und in 2 Pfund St. (ungefähr ]/ 2 Unze +Gold) dar. Die 2 Pfund St. sind Geldausdruck der Werthgröße des Quarter +Weizens, oder sein Preis. Erlauben nun die Umstände, ihn zu 3 Pfund St., +oder zwingen sie ihn zu 1 Pfd. St. zu notiren, so sind 1 Pfd. St. und 3 Pfd. +St. als Ausdrücke der Werthgröße des Weizens zu klein oder zu groß, aber 15 +sie sind dennoch Preise desselben, denn erstens sind sie seine Werthform, +Geld, und zweitens Exponenten seines Austauschverhältnisses mit Geld. +Bei gleichbleibenden Produktionsbedingungen oder gleichbleibender Pro- +duktivkraft der Arbeit muß nach wie vor zur Reproduktion des Quarter +Weizen gleich viel gesellschaftliche Arbeitszeit verausgabt werden. Dieser 20 +Umstand hängt vom Willen weder des Weizenproducenten noch der and- +ren Waarenbesitzer ab. Die Werthgröße der Waare drückt also ein n o t - +wendiges, ihrem Bildungsproceß immanentes Verhältniß zur gesellschaftli- +chen Arbeitszeit aus. Mit der Verwandlung der Werthgröße in Preis +erscheint dieß nothwendige Verhältniß als Aus11671tauschverhältniß einer 25 +Waare mit der außer ihr existirenden Geldwaare. In diesem Verhältniß + +Tonne Eisen in 3 £ 17 sh. 10½ d. ausgedrückt wird, hat man diese seine Rechennamen seinen +Münzpreis genannt. Die wunderliche Vorstellung entstand daher, als ob das Gold (resp. Sil- +ber) in seinem eignen Material geschätzt werde, und im Unterschied von allen Waaren von +Staatswegen einen fixen Preis erhalte. Man versah die Fixirung von Rechennamen bestimm- 30 +ter Goldgewichte für Fixirung des Werths dieser Gewichte." (Karl Marx, 1. c. p. 52.) +6 2 ) Vergi. „Theorien von der Maßeinheit des Geldes" in „Zur Kritik der pol. Oekon. etc.", +p.53 sqq. Die Phantasien über Erhöhung oder Erniedrigung des „Münzpreises", die darin be- +steht, die gesetzlichen Geldnamen für gesetzlich fixirte Gewichttheile Gold oder Silber auf +größere oder kleinere Gewichttheile von Staatswegen zu übertragen und demgemäß auch etwa +Y4 Unze Gold statt in 20 künftig in 40 sh. zu prägen - diese Phantasien, soweit sie nicht unge- +schickte Finanzoperationen gegen Staats- und Privatgläubiger, sondern ökonomische „Wun- +derkuren" bezwecken, hat Petty so erschöpfend behandelt in „Quantulumcumque concerning +Money. To the Lord Marquis of Halifax. 1682", daß schon seine unmittelbaren Nachfolger, +Sir Dudley North und John Locke, von Späteren gar nicht zu reden, ihn nur verflachen konn- 40 +ten. "If the wealth of a nation", sagt er U.A., "could be decupled by a Proclamation, it were +strange that such proclamations have not long since been made by our Governors." (I.e. p.36.) +6 3 ) «Ou bien, il faut consentir à dire-qu'une valeur d'un million en argent vaut plus qu'une +valeur égale en marchandises.» (Le Trosne I.e. p.919), also ,,qu'une valeur vaut plus qu'une +valeur égale". + +35 + +45 + +96 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +kann sich aber ebensowohl die Werthgröße der Waare ausdrücken, als das +Mehr oder Minder, worin sie unter gegebnen Umständen veräußerlich ist. +Die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und Werth- +größe, oder der Abweichung des Preises von der Werthgröße, liegt also in +5 der Preisform selbst. Es ist dies kein Mangel dieser Form, sondern macht +sie umgekehrt zur adäquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die +Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit +durchsetzen kann. + +Die Preisform läßt jedoch nicht nur die Möglichkeit quantitativer Inkon- +10 gruenz zwischen Werthgröße und Preis, d.h. zwischen der Werthgröße und +ihrem eignen Geldausdruck zu, sondern kann einen qualitativen Wider- +spruch beherbergen, so daß der Preis überhaupt aufhört, Werthausdruck zu +sein, obgleich Geld nur die Werthform der Waaren ist. Dinge, die an und +für sich keine Waaren sind, z . B . Gewissen, Ehre u.s.w., können ihren Be- +sitzern für Geld feil sein und so durch ihren Preis die Waarenform erhal- +ten. Ein Ding kann daher formell einen Preis haben, ohne einen Werth zu +haben. Der Preisausdruck wird hier imaginär, wie gewisse Größen der Ma- +thematik. Andrerseits kann auch die imaginäre Preisform, wie z.B. der +Preis des unkultivirten Bodens, der keinen Werth hat, weil keine menschli- +20 che Arbeit in ihm vergegenständlicht ist, ein wirkliches Werthverhältniß + +15 + +oder von ihm abgeleitete Beziehung verbergen. + +Wie die relative Werthform überhaupt, drückt der Preis den Werth einer +Waare, z.B. einer Tonne Eisen, dadurch aus, daß ein bestimmtes Quantum +Aequivalent, z.B. eine Unze Gold, unmittelbar austauschbar mit Eisen, +25 aber keineswegs umgekehrt, daß seinerseits das Eisen unmittelbar aus- +tauschbar mit Gold ist. Um also praktisch die Wirkung eines Tauschwerths +auszuüben, muß die Waare ihren natürlichen Leib abstreifen, sich aus nur +vorgestelltem Gold in wirkliches Gold verwandeln, obgleich diese Trans- +substantiation ihr „saurer" ankommen mag als dem Hegel'schen „Begriff +30 der Uebergang aus der Nothwendigkeit in die Freiheit oder einem Hum- +mer das Sprengen seiner Schale, oder dem Kirchenvater Hieronymus das +Abstreifen des alten Adam 6 4). Neben ihrer reellen ||68| Gestalt, Eisen z.B., +kann die Waare im Preise ideelle Werthgestalt oder vorgestellte Goldge- +stalt besitzen, aber sie kann nicht zugleich wirklich Eisen und wirklich +35 Gold sein. Für ihre Preisgebung genügt es, vorgestelltes Gold ihr gleichzu- +setzen. Durch Gold ist sie zu ersetzen, damit sie ihrem Besitzer den Dienst + +6 4 ) Wenn Hieronymus in seiner Jugend viel mit dem materiellen Fleisch zu ringen hatte, wie +sein Wüstenkampf mit schönen Frauenbildern zeigt, so im Alter mit dem geistigen Fleisch. +„Ich glaubte mich", sagt er z.B., „im Geist vor dem Weltrichter." „Wer bist du?" fragte eine +40 Stimme. „Ich bin ein Christ." „Du lügst", donnerte der Weltrichter. „Du bist nur ein Cicero- + +nianer!" + +97 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +eines allgemeinen Aequivalents leiste. Träte der Besitzer des Eisens z.B. +dem Besitzer einer weltlustigen Waare gegenüber, und verwiese ihn auf +den Eisenpreis, der Geldform sei, so würde der Weltlustige antworten, wie +im Himmel der heilige Petrus dem Dante, der ihm die Glaubensformeln +hergesagt: + +5 + +«Assai bene è trascorsa +D'està moneta già la lega e'I peso, +Ma dimmi se tu l'hai nella tua borsa.» + +Die Preisform schließt die Veräußerlichkeit der Waaren gegen Geld und +die Nothwendigkeit dieser Veräußerung ein. Andrerseits funktionirt Gold 10 +nur als ideelles Werthmaß, weil es sich bereits im Austauschproceß als +Geldwaare umtreibt. Im ideellen Maß der Werthe lauert daher das harte +Geld. + +2. Cirkula tionsm Ittel. + +a) Die Metamorphose der Waaren. + +15 + +Man sah, daß der Austauschproceß der Waaren widersprechende und ein- +ander ausschließende Beziehungen einschließt. Die Entwicklung der +Waare hebt diese Widersprüche nicht auf, schafft aber die Form, worin sie +sich bewegen können. Dieß ist überhaupt die Methode, wodurch sich wirk- +liche Widersprüche lösen. Es ist z . B . ein Widerspruch, daß ein Körper be- 20 +ständig in einen andren fällt und eben so beständig von ihm weg flieht. Die +Ellipse ist eine der Bewegungsformen, worin dieser Widerspruch sich eben +so sehr verwirklicht als löst. + +Soweit der Austauschproceß Waaren aus der Hand, worin sie Nicht-Ge- +brauchswerthe, in die Hand überträgt, worin sie Gebrauchswerthe, ist er ge- 25 +sellschaftlicher Stoffwechsel. Das Produkt einer nützlichen Arbeitsweise +ersetzt das der andren. Einmal angelangt zur Stelle, wo sie als Gebrauchs- +werth dient, fällt die Waare in die Sphäre der Konsumtion aus der Sphäre +des Waarenaustauschs. Letztre allein interessirt uns hier. Wir haben also +den ganzen Proceß nach der Formseite zu betrachten, also nur den Form-| 30 +|69|wechsel oder die Metamorphose der Waaren, welche den gesellschaftli- +chen Stoffwechsel vermittelt. + +Die durchaus mangelhafte Auffassung dieses Formwechsels ist, abge- +sehn von Unklarheit über den Werthbegriff selbst, dem Umstand geschul- +det, daß jeder Formwechsel einer Waare sich vollzieht im Austausch 35 +zweier Waaren, einer gemeinen Waare und der Geldwaare. Hält man an + +98 + + Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation + +diesem stofflichen Moment, dem Austausch von Waare mit Gold, allein +fest, so übersieht man grade, was man sehn soll, nämlich was sich mit der +Form zuträgt. Man übersieht, daß Gold als bloße Waare nicht Geld ist, +und daß die andren Waaren sich selbst in ihren Preisen auf Gold als ihre +eigne Geldgestalt beziehn. + +Die Waaren gehn zunächst unvergoldet, unverzuckert, wie der Kamm +ihnen gewachsen ist, in den Austauschproceß ein. Er producirt eine Ver- +dopplung der Waare in Waare und Geld, einen äußeren Gegensatz, worin +sie ihren immanenten Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth darstel- +len. In diesem Gegensatz treten die Waaren als Gebrauchswerthe dem +Geld als Tauschwerth gegenüber. Andrerseits sind beide Seiten des Gegen- +satzes Waaren, also Einheiten von Gebrauchswerth und Werth. Aber diese +Einheit von Unterschieden stellt sich auf jedem der beiden Pole umgekehrt +dar und stellt dadurch zugleich deren Wechselbeziehung dar. Die Waare +ist reell Gebrauchswerth, ihr Werthsein erscheint nur ideell im Preis, der +sie auf das gegenüberstehende Gold als ihre reelle Werthgestalt bezieht. +Umgekehrt gilt das Goldmaterial nur als Werthmateriatur, Geld. Es ist re- +ell daher Tauschwerth. Sein Gebrauchswerth erscheint nur noch ideell in +der Reihe der relativen Werthausdrücke, worin es sich auf die gegenüber- +stehenden Waaren als den Umkreis seiner reellen Gebrauchsgestalten be- +zieht. Diese gegensätzlichen Formen der Waaren sind die wirklichen Be- +wegungsformen ihres Austauschprocesses. + +5 + +10 + +15 + +20 + +Begleiten wir nun irgend einen Waarenbesitzer, unsren altbekannten +Leinweber z. B., zur Scene des Austauschprocesses, dem Waarenmarkt. +25 Seine Waare, 20 Ellen Leinwand, ist preisbestimmt. Ihr Preis ist 2 Pfd. St. +Er tauscht sie aus gegen 2Pfd. St., und, Mann vom altem Schrot und Korn, +tauscht die 2 Pfd. St. wieder aus gegen eine Familienbibel vom selben +Preis. Die Leinwand, für ihn nur Waare, Werthträger, wird entäußert gegen +Gold, ihre Werthgestalt, und aus dieser Gestalt rückveräußert gegen eine +30 andre Waare, die Bibel, die aber als Gebrauchsgegenstand in's Weberhaus +wandern und dort Erbauungsbedürfnisse befriedigen ||70| soll. Der Aus- +tauschproceß der Waare vollzieht sich also in zwei entgegengesetzten und +einander ergänzenden Metamorphosen - Verwandlung der Waare in Geld +und ihre Rückverwandlung aus Geld in Waare 6 5). Die Momente der Waa- +renmetamorphose sind zugleich Händel des Waarenbesitzers - Verkauf, +Austausch der Waare mit Geld; Kauf, Austausch des Gelds mit Waare, +und Einheit beider Akte: Verkaufen um zu kaufen. + +35 + +6 5 ) „Έκ δε του .... πυρός τ'άνταμείβεσθαι πάντα, φησίν ό Ηράκλειτος, και πυρ +απάντων, ώσπερ χρυσού χρήματα και χρημάτων χρνσός." (F. Lassalle: „Die Philosophie He(cid:5) +rakleitos des Dunkeln. Berlin 1858", Bd.l, p.222.) Lassalle's Note zu dieser Stelle, p.224, n.3, +erklärt das Geld unrichtig für bloßes Werthzeichen. + +40 + +99 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Besieht sich der Leinweber nun das Endresultat des Handels, so besitzt +er Bibel statt Leinwand, statt seiner ursprünglichen Waare eine andre vom +selben Werth, aber verschiedner Nützlichkeit. In gleicher Weise eignet er +sich seine andren Lebens- und Produktionsmittel an. Von seinem Stand- +punkt vermittelt der ganze Proceß nur den Austausch seines Arbeitspro- +dukts mit fremdem Arbeitsprodukt, den Produktenaustausch. + +Der Austauschproceß der Waare vollzieht sich also in folgendem Form- + +wechsel: + +Waare-Geld-Waare. +W-G-W. +Nach ihrem stofflichen Inhalt ist die Bewegung W-W, Austausch von +Waare gegen Waare, Stoffwechsel der gesellschaftlichen Arbeit, in dessen +Resultat der Proceß selbst erlischt. + +W-G. Erste Metamorphose der Waare oder Verkauf. Das Ueberspringen + +5 + +10 + +des Waarenwerths aus dem Waarenleib in den Goldleib ist, wie ich es an- 15 +derswo bezeichnet, der salto mortale der Waare. Mißlingt er, so ist zwar +nicht die Waare geprellt, wohl aber der Waarenbesitzer. Die gesellschaftli- +che Theilung der Arbeit macht seine Arbeit ebenso einseitig als seine B e - +dürfnisse vielseitig. Eben deßwegen dient ihm sein Produkt nur als Tausch- +werth. Allgemeine gesellschaftlich gültige Aequivalentform erhält es aber 20 +nur im Geld, und das Geld befindet sich in fremder Tasche. Um es heraus- +zuziehn, muß die Waare vor allem Gebrauchswerth für den Geldbesitzer +sein, die auf sie verausgabte Arbeit also in gesellschaftlich nützlicher Form +verausgabt sein oder sich als Glied der gesellschaftlichen Theilung der Ar- +beit bewähren. Aber die Theilung der Arbeit ist ein naturwüchsiger Pro- 25 +duktionsorganismus, dessen Fäden hinter dem Rücken der Waarenprodu- +centen ||71| gewebt wurden und sich fortweben. Vielleicht ist die Waare +Produkt einer neuen Arbeitsweise, die ein neu aufgekommenes Bedürfniß +zu befriedigen vorgiebt oder auf eigne Faust ein Bedürfniß erst hervorrufen +will. Gestern noch eine Funktion unter den vielen Funktionen eines und 30 +desselben Waarenproducenten, reißt sich eine besondre Arbeits Verrichtung +heute vielleicht los von diesem Zusammenhang, verselbständigt sich und +schickt eben deßwegen ihr Theilprodukt als selbständige Waare zu Markt. +Die Umstände mögen reif oder unreif sein für diesen Scheidungsproceß. +Das Produkt befriedigt heute ein gesellschaftliches Bedürfniß. Morgen wird 35 +es vielleicht ganz oder theilweise von einer ähnlichen Produktenart aus sei- +nem Platze verdrängt. Ist auch die Arbeit, wie die unsres Leinwebers, pa- +tentirtes Glied der gesellschaftlichen Arbeitstheilung, so ist damit noch +keineswegs der Gebrauchswerth grade seiner 20 Ellen Leinwand garantirt. +Wenn das gesellschaftliche Bedürfniß für Leinwand, und es hat sein Maß, 40 +wie alles andre, bereits durch nebenbuhlerische Leinweber gesättigt ist, + +100 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +wird das Produkt unsres Freundes überschüssig, überflüssig und damit +nutzlos. Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul, aber er be- +schreitet nicht den Markt, um Präsente zu machen. Gesetzt aber der Ge- +brauchswerth seines Produkts bewähre sich und Geld werde daher angezo- +5 gen von der Waare. Aber nun fragt sich's, wie viel Geld? Die Antwort ist +allerdings schon anticipirt im Preis der Waare, dem Exponenten ihrer +Werthgröße. Wir sehn ab von etwaigen rein subjektiven Rechenfehlern des +Waarenbesitzers, die auf dem Markt sofort objektiv korrigirt werden. Er +soll auf sein Produkt nur den gesellschaftlich nothwendigen Durchschnitt +10 von Arbeitszeit verausgabt haben. Der Preis der Waare ist also nur Geld- +name des in ihr vergegenständlichten Quantums gesellschaftlicher Arbeit. +Aber ohne Erlaubniß und hinter dem Rücken unsres Leinwebers geriethen +die altverbürgten Produktionsbedingungen der Leinweberei in Gährung. +Was gestern zweifelsohne gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Pro- +15 duktion einer Elle Leinwand war, hört heute auf es zu sein, wie der Geld- +besitzer eifrigst demonstrirt aus den Preisquotationen verschiedner Neben- +buhler unsres Freundes. Zu seinem Unglück giebt's viele Weber auf der +Welt. Gesetzt endlich jedes auf dem Markt vorhandne Stück Leinwand +enthalte nur gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Trotzdem kann die +20 Gesammtsumme dieser Stücke überflüssig verausgabte Arbeitszeit enthal- +ten. Vermag der Marktmagen das Gesammtquantum Leinwand, zum | +|72| Normalpreis von 2 Sh. per Elle, nicht zu absorbiren, so beweist das, daß +ein zu großer Theil der gesellschaftlichen Gesammtarbeitszeit in der Form +der Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe als hätte jeder +25 einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit +auf sein individuelles Produkt verwandt. Hier heißt's: Mitgefangen, mitge- +hangen. Alle Leinwand auf dem Markt gilt nur als Ein Handelsartikel, j e - +des Stück nur als aliquoter Theil. Und in der That ist der Werth jeder indi- +viduellen Elle ja auch nur die Materiatur desselben gesellschaftlich + +30 bestimmten Quantums gleichartiger menschlicher Arbeit. + +Man sieht, die Waare liebt das Geld, aber ,,the course of true love never +does run smooth". Ebenso naturwüchsig zufällig, wie die qualitative, ist die +quantitative Gliederung des gesellschaftlichen Produktionsorganismus, der +seine membra disjecta im System der Theilung der Arbeit darstellt. Unsre +35 Waarenbesitzer entdecken daher, daß dieselbe Theilung der Arbeit, die sie +zu unabhängigen Privatproducenten, den gesellschaftlichen Produktions- +proceß und ihre Verhältnisse in diesem Proceß von ihnen selbst unabhän- +gig macht, daß die Unabhängigkeit der Personen von einander sich in +einem System allseitiger sachlicher Abhängigkeit ergänzt. + +40 + +Die Theilung der Arbeit verwandelt das Arbeitsprodukt in Waare und +macht dadurch seine Verwandlung in Geld nothwendig. Sie macht es zu- + +101 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +5 + +gleich zufällig, ob diese Transsubstantiation gelingt. Hier ist jedoch das +Phänomen rein zu betrachten, sein normaler Vorgang also vorauszusetzen. +Wenn es übrigens überhaupt vorgeht, die Waare also nicht unverkäuflich +ist, findet stets ihr Formwechsel statt, obgleich abnormal in diesem Form- +wechsel Substanz - Werthgröße - eingebüßt oder zugesetzt werden mag. +Dem einen Waarenbesitzer ersetzt Gold seine Waare und dem andren +Waare sein Gold. Das sinnfällige Phänomen ist der Hände- oder Stellen- +wechsel von Waare und Gold, von 20 Ellen Leinwand und 2Pfd. St., d.h. +ihr Austausch. Aber womit tauscht sich die Waare aus? Mit ihrer eignen +allgemeinen Werthgestalt. Und womit das Gold? Mit einer besondren Ge- 10 +stalt seines Gebrauchswerths. Warum tritt Gold der Leinwand als Geld ge- +genüber? Weil ihr Preis von 2 Pfd. St. oder ihr Geldname sie bereits auf +Gold als Geld bezieht. Die Entäußerung der ursprünglichen Waarenform +vollzieht sich durch die Veräußerung der Waare, d.h. in dem Augenblicke, +wo ihr Gebrauchswerth das in ihrem Preis nur vorgestellte Gold wirklich +anzieht. Die Realisirung des ||73| Preises oder der nur ideellen Werthform +der Waare ist daher zugleich umgekehrt Realisirung des nur ideellen Ge- +brauchswerths des Geldes, die Verwandlung von Waare in Geld zugleich +Verwandlung von Geld in Waare. Der eine Proceß ist zweiseitiger Proceß, +vom Pol des Waarenbesitzers Verkauf, vom Gegenpol des Geldbesitzers 20 +Kauf. Oder Verkauf ist Kauf, W-G zugleich G - W 6 6 ) . + +15 + +Wir kennen bisher kein ökonomisches Verhältniß der Menschen außer +dem von Waarenbesitzern, ein Verhältniß, worin sie fremdes Arbeitspro- +dukt nur aneignen, indem sie eignes entfremden. Einem Waarenbesitzer +kann der andre daher nur als Geldbesitzer gegenübertreten, entweder weil +sein Arbeitsprodukt von Natur die Geldform besitzt, also Geldmaterial ist, +Gold u.s.w., oder weil seine eigne Waare sich bereits gehäutet und ihre ur- +sprüngliche Gebrauchsform abgestreift hat. Um als Geld zu funktioniren, +muß das Gold natürlich an irgend einem Punkt in den Waarenmarkt ein- +treten. Dieser Punkt liegt an seiner Produktionsquelle, wo es sich als un- 30 +mittelbares Arbeitsprodukt mit andrem Arbeitsprodukt von demselben +Werth austauscht. Aber von diesem Augenblick stellt es beständig reali- +sirte Waarenpreise vor 6 7). Abgesehn vom Austausch des Golds mit Waare +an seiner Produktionsquelle, ist das Gold in der Hand jedes Waarenbesit- +zers die entäußerte Gestalt seiner veräußerten Waare, Produkt des Ver- 35 + +25 + +6 6 ) «Toute vente est achat» (Dr. Quesnay: ,,Dialogues sur le Commerce et les Travaux des Ar- +tisans." Physiocrates, éd. Daire, I. Partie, Paris 1846, p. 170), oder, wie Quesnay in seinen +,,Maximes Générales" sagt: «Vendre est acheter.» +6 7 ) «Le prix d'une marchandise ne pouvant être payé que par le prix d'une autre marchan- +dise.» (Mercier de la Rivière: ,,L'Ordre naturel et essentiel des sociétés politiques." Physio- 40 +crates, éd. Daire, IL Partie, p. 554.) + +102 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +le) + +kaufs oder der ersten Waarenmetamorphose W - G 6 8 ) . Ideelles Geld oder +Werthmaß wurde das Gold, weil alle Waaren ihre Werthe in ihm maßen +und es so zum vorgestellten Gegentheil ihrer Gebrauchsgestalt, zu ihrer +Werthgestalt machten. Reelles Geld wird es, weil die Waaren durch ihre +5 allseitige Veräußerung es zu ihrer wirklich entäußerten oder verwandelten +Gebrauchsgestalt und daher zu ihrer wirklichen Werthgestalt machen. In +ihrer Werthgestalt streift die Waare jede Spur ihres naturwüchsigen Ge- +brauchswerths und der besondren nützlichen Arbeit ab, welcher sie den +Ursprung verdankt, um sich in die gleichförmige gesellschaftliche Materia- +tur unterschiedsloser menschlicher Arbeit zu verpuppen. ||74| Man sieht +dem Geld daher nicht an, welchen Schlags die in es verwandelte Waare. +Eine sieht in ihrer Geldform grade aus wie die andre. Geld mag daher +Dreck sein, obgleich Dreck nicht Geld ist. Wir wollen annehmen, daß die +zwei Goldfüchse, wogegen unser Leinweber seine Waare veräußert, die ver- +15 wandelte Gestalt eines Quarters Weizen sind. Der Verkauf der Leinwand, +W-G, ist zugleich ihr Kauf, G-W. Aber als Verkauf der Leinwand beginnt +dieser Proceß eine Bewegung, die mit seinem Gegentheil endet, mit dem +Kauf der Bibel; als Kauf der Leinwand endet er eine Bewegung, die mit sei- +nem Gegentheil begann, mit dem Verkauf des Weizens. W-G (Leinwand - +20 Geld), diese erste Phase von W-G-W (Leinwand - Geld - Bibel), ist zu- +gleich G-W (Geld - Leinwand), die letzte Phase einer andren Bewegung +W-G-W (Weizen - Geld - Leinwand). Die erste Metamorphose einer +Waare, ihre Verwandlung aus der Waarenform in Geld, ist stets zugleich +zweite entgegengesetzte Metamorphose einer andren Waare, ihre Rückver- + +25 Wandlung aus der Geldform in Waare 6 9). + +G-W. Zweite oder Schlußmetamorphose der Waare: Kauf. - Weil die +entäußerte Gestalt aller andren Waaren oder das Produkt ihrer allgemeinen +Veräußerung, ist Geld die absolut veräußerliche Waare. Es liest alle Preise +rückwärts und spiegelt sich so in allen Waarenleibern als dem hingebenden +30 Material seiner eignen Waarenwerdung. Zugleich zeigen die Preise, die +Liebesaugen, womit ihm die Waaren winken, die Schranke seiner Ver- +wandlungsfähigkeit, nämlich seine eigne Quantität. Da die Waare in ihrer +Geldwerdung verschwindet, sieht man dem Geld nicht an, wie es in die +Hände seines Besitzers gelangt oder was in es verwandelt ist. Non olet, wes- +sen Ursprungs auch immer. Wenn es einerseits verkaufte Waare repräsen- +tirt, so andrerseits kaufbare Waaren 7 0). + +35 + +6 8 ) «Pour avoir cet argent, il faut avoir vendu.» (1. c. p. 543.) +6 9 ) Ausnahme, wie vorher bemerkt, bildet der Gold- resp. Silberproducent, der sein Produkt +austauscht, ohne es vorher verkauft zu haben. +7 0 ) « Si l'argent représente, dans nos mains, les choses que nous pouvons désirer d'acheter, il y +représente aussi les choses que nous avons vendues pour cet argent.» (Mercier de la Rivière +1. c. p. 586.) + +40 + +103 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +G-W, der Kauf ist zugleich Verkauf, W-G; die letzte Metamorphose +einer Waare daher zugleich die erste Metamorphose einer andren Waare. +Für unsren Leinweber schließt der Lebenslauf seiner Waare mit der Bibel, +worin er die 2 Pfd. St. rückverwandelt hat. Aber der Bibelverkäufer setzt die +vom Leinweber ||75| gelösten 2 Pfd. St. in Kornbranntwein um. G-W, die +Schlußphase von W-G-W (Leinwand - Geld - Bibel) ist zugleich W-G, die +erste Phase von W-G-W (Bibel - Geld - Kornbranntwein). Da der Waa- +renproducent nur ein einseitiges Produkt liefert, verkauft er es oft in größe- +ren Massen, während seine vielseitigen Bedürfnisse ihn zwingen, den reali- +sirten Preis oder die gelöste Geldsumme beständig in zahlreiche Käufe zu 10 +zersplittern. Ein Verkauf mündet daher in viele Käufe verschiedner Waa- +ren. Die Schlußmetamorphose einer Waare bildet so eine Summe von er- +sten Metamorphosen andrer Waaren. + +5 + +Betrachten wir nun die Gesammtmetamorphose einer Waare, z.B. der +Leinwand, so sehn wir zunächst, daß sie aus zwei entgegengesetzten und 15 +einander ergänzenden Bewegungen besteht, W-G und G-W. Diese zwei +entgegengesetzten Wandlungen der Waare vollziehn sich in zwei entgegen- +gesetzten gesellschaftlichen Processen des Waarenbesitzers und reflektiren +sich in zwei entgegengesetzten ökonomischen Charakteren desselben. Als +Agent des Verkaufs wird er Verkäufer, als Agent des Kaufs Käufer. Wie 20 +aber in jeder Wandlung der Waare ihre beiden Formen, Waarenform und +Geldform, gleichzeitig existiren, nur auf entgegengesetzten Polen, so steht +demselben Waarenbesitzer als Verkäufer ein andrer Käufer und als Käufer +ein andrer Verkäufer gegenüber. Wie dieselbe Waare die zwei umgekehr- +ten Wandlungen successiv durchläuft, aus Waare Geld und aus Geld 25 +Waare wird, so wechselt derselbe Waarenbesitzer die Rollen von Verkäufer +und Käufer. Es sind dies also keine festen, sondern innerhalb der Waaren- +cirkulation beständig die Person wechselnden Charaktere. + +Die Gesammtmetamorphose einer Waare unterstellt, in ihrer einfach- +sten Form, vier Extreme und drei Personae dramatis. Erst tritt der Waare 30 +das Geld als ihre Werth-Gestalt gegenüber, die jenseits, in fremder Tasche, +sachlich harte Realität besitzt. So tritt dem Waarenbesitzer ein Geldbe- +sitzer gegenüber. Sobald die Waare nun in Geld verwandelt, wird letztres zu +ihrer verschwindenden Aequivalentform, deren Gebrauchswerth oder In- +halt diesseits in andren Waarenkörpern existirt. Als Endpunkt der ersten 35 +Waarenwandlung ist das Geld zugleich Ausgangspunkt der zweiten. So +wird der Verkäufer des ersten Akts Käufer im zweiten, wo ihm ein dritter +Waarenbesitzer als Verkäufer gegenübertritt 7 1).| + +|76| Die beiden umgekehrten Bewegungsphasen der Waarenmetamor- +phose bilden einen Kreislauf: Waarenform, Abstreifung der Waarenform, 40 + +7 1 ) «Il y a donc quatre termes et trois contractants, dont l'un intervient deux fois.» (Le Trosne +I.e. p.909.) + +104 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +Rückkehr zur Waarenform. Allerdings ist die Waare selbst hier gegensätz- +lich bestimmt. Am Ausgangspunkt ist sie Nicht-Gebrauchswerth, am End- +punkt Gebrauchswerth für ihren Besitzer. So erscheint das Geld erst als der +feste Werthkrystall, worin sich die Waare verwandelt, um hinterher als ihre + +5 bloße Aequivalentform zu zerrinnen. + +Die zwei Metamorphosen, die den Kreislauf einer Waare, bilden zu- +gleich die umgekehrten Theilmetamorphosen zweier andren Waaren. Die- +selbe Waare (Leinwand) eröffnet die Reihe ihrer eignen Metamorphosen +und schließt die Gesammtmetamorphose einer andren Waare (des Wei- +10 zens). Während ihrer ersten Wandlung, dem Verkauf, spielt sie diese zwei +Rollen in eigner Person. Als Goldchrysalide dagegen, worin sie selbst den +Weg alles Fleisches wandert, endet sie zugleich die erste Metamorphose +einer dritten Waare. Der Kreislauf, den die Metamorphosenreihe jeder +Waare beschreibt, verschlingt sich also unentwirrbar mit den Kreisläufen +15 andrer Waaren. Der Gesammmtproceß stellt sich dar als Waarencirkula- + +tion. + +Die Waarencirkulation ist nicht nur formell, sondern wesentlich vom +unmittelbaren Produktenaustausch unterschieden. Man werfe nur einen +Rückblick auf den Vorgang. Der Leinweber hat unbedingt Leinwand mit +20 Bibel vertauscht, eigne Waare mit fremder. Aber dies Phänomen ist nur +wahr für ihn. Der Bibelagent, der dem Kühlen Heißes vorzieht, dachte +nicht daran, Leinwand für Bibel einzutauschen, wie der Leinweber nicht +davon weiß, daß Weizen gegen seine Leinwand eingetauscht worden ist +u. s.w. Die Waare des B ersetzt die Waare des A, aber A und B tauschen +25 nicht wechselseitig ihre Waaren aus. Es kann in der That vorkommen, daß +A und B wechselweis von einander kaufen, aber solche besondre Bezie- +hung ist keineswegs durch die allgemeinen Verhältnisse der Waarencirku- +lation bedingt. Einerseits sieht man hier, wie der Waarenaustausch die in- +dividuellen und lokalen Schranken des unmittelbaren Produktenaustau- +sches durchbricht und den Stoffwechsel der menschlichen Arbeit +entwickelt. Andrerseits entwickelt sich ein ganzer Kreis von den handeln- +den Personen unkontrolirbarer, gesellschaftlicher Naturzusammenhänge. +Der Weber kann nur Leinwand verkaufen, weil der Bauer Weizen, Heiß- +sporn nur die Bibel, weil der Weber Leinwand, der Destillateur nur ge- +35 branntes Wasser, weil der andre das Wasser des ewigen Lebens bereits ver- + +30 + +kauft hat u. s. w. I + +|77| Der Cirkulationsproceß erlischt deßwegen auch nicht, wie der un- +mittelbare Produktenaustausch, in dem Stellen- oder Händewechsel der +Gebrauchswerthe. Das Geld verschwindet nicht, weil es schließlich aus der +40 Metamorphosenreihe einer Waare herausfällt. Es schlägt immer nieder auf +eine durch die Waaren geräumte Cirkulationsstelle. Z . B . in der Gesammt- + +105 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +metamorphose der Leinwand: Leinwand - Geld - Bibel fällt erst die Lein- +wand aus der Cirkulation, Geld tritt an ihre Stelle, fällt dann die Bibel aus +der Cirkulation, Geld tritt an ihre Stelle. Der Ersatz von Waare durch +Waare läßt zugleich an dritter Hand die Geldwaare hängen 7 2). Die Cirkula- +tion schwitzt beständig Geld aus. + +5 + +Nichts kann alberner sein als das Dogma, die Waarencirkulation be- +dinge ein nothwendiges Gleichgewicht der Verkäufe und Käufe, weil jeder +Verkauf Kauf und vice versa. Meint dies, daß die Zahl der wirklich vollzo- +genen Verkäufe gleich derselben Zahl von Käufen, so ist es platte Tautolo- +gie. Aber es soll beweisen, daß der Verkäufer seinen eignen Käufer zu 10 +Markt führt. Verkauf und Kauf sind ein identischer Akt als Wechselbezie- +hung zwischen zwei polarisch entgegengesetzten Personen, dem Waarenbe- +sitzer und dem Geldbesitzer. Sie bilden zwei polarisch entgegengesetzte +Akte als Handlungen derselben Person. Die Identität von Verkauf und +Kauf schließt daher ein, daß die Waare nutzlos wird, wenn sie, in die al- 15 +chymistische Retorte der Cirkulation geworfen, nicht als Geld heraus- +kommt, nicht vom Waarenbesitzer verkauft, also vom Geldbesitzer gekauft +wird. Jene Identität enthält ferner, daß der Proceß, wenn er gelingt, einen +Ruhepunkt, einen Lebensabschnitt der Waare bildet, der länger oder kür- +zer währen kann. Da die erste Metamorphose der Waare zugleich Verkauf 20 +und Kauf, ist dieser Theilproceß zugleich selbstständiger Proceß. Der Käu- +fer hat die Waare, der Verkäufer hat das Geld, d.h. eine Waare, die cirkula- +tionsfähige Form bewahrt, ob sie früher oder später wieder auf dem Markt +erscheine. Keiner kann verkaufen, ohne daß ein Andrer kauft. Aber keiner +braucht unmittelbar zu kaufen, weil er selbst verkauft hat. Die Cirkulation 25 +sprengt die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schranken des Produk- +tenaustausches eben dadurch, daß sie die hier vorhandne unmittelbare +Identität zwischen dem Austausch des eignen und dem Eintausch des +fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von ||78| Verkauf und Kauf +spaltet. Daß die selbständig einander gegenübertretenden Processe eine in- 30 +nere Einheit bilden, heißt eben so sehr, daß ihre innere Einheit sich in äu- +ßeren Gegensätzen bewegt. Geht die äußerliche Verselbständigung der in- +nerlich Unselbständigen, weil einander ergänzenden, bis zu einem +gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch +eine - Krise. Der der Waare immanente Gegensatz von Gebrauchswerth 35 +und Werth, von Privatarbeit, die sich zugleich als unmittelbar gesellschaft- +liche Arbeit darstellen muß, von besondrer konkreter Arbeit, die zugleich +nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt, von Personificirung der Sache und +Versachlichung der Personen - dieser immanente Widerspruch erhält in + +7 2 ) Note zur 2. Ausg. So handgreiflich dies Phänomen ist, wird es dennoch von politischen 40 +Oekonomen meist übersehen, namentlich vom Freihändler vulgaris. + +106 + + Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation + +den Gegensätzen der Waarenmetamorphose seine entwickelten Bewe- +gungsformen. Diese Formen schließen daher die Möglichkeit, aber auch +nur die Möglichkeit der Krisen ein. Die Entwicklung dieser Möglichkeit +zur Wirklichkeit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die +5 vom Standpunkt der einfachen Waarencirkulation noch gar nicht existi- + +ren 7 3). + +Als Vermittler der Waarencirkulation erhält das Geld die Funktion des + +Cirkulationsmittels. + +b) Der Umlauf des Geldes. + +10 Der Formwechsel, worin sich der Stoffwechsel der Arbeitsprodukte voll- +zieht, W-G-W, bedingt, daß derselbe Werth als Waare den Ausgangspunkt +des Processes bildet und zu demselben Punkt zurückkehrt als Waare. Diese +Bewegung der Waaren ist daher Kreislauf. Andrerseits schließt dieselbe +Form den Kreislauf des Geldes aus. Ihr Resultat ist beständige Entfernung +15 des Geldes von seinem Ausgangspunkt, nicht Rückkehr zu demselben. | +|79| So lange der Verkäufer die verwandelte Gestalt seiner Waare festhält, +das Geld, befindet sich die Waare im Stadium der ersten Metamorphose +oder hat nur ihre erste Cirkulationshälfte zurückgelegt. Ist der Proceß, Ver- +kaufen um zu kaufen, vervollständigt, so ist auch das Geld wieder aus der +20 Hand seines ursprünglichen Besitzers entfernt. Allerdings, wenn der Lein- +weber, nachdem er die Bibel gekauft, von neuem Leinwand verkauft, kehrt +auch das Geld in seine Hand zurück. Aber es kehrt nicht zurück durch die +Cirkulation der ersten 20 Ellen Leinwand, wodurch es vielmehr aus den +Händen des Leinwebers in die des Bibelverkäufers entfernt ist. Es kehrt +25 nur zurück durch die Erneuerung oder Wiederholung desselben Cirkula- +tionsprocesses für neue Waare, und endet hier wie dort mit demselben R e - +sultat. Die dem Geld durch die Waarencirkulation unmittelbar ertheilte + +30 + +7 3 ) Vergleiche meine Bemerkungen über James Mill: „Zur Kritik etc." p. 74-76. Zwei Punkte +sind hier charakteristisch für die Methode der ökonomistischen Apologetik. Erstens die Iden- +tificirung von Waarencirkulation und unmittelbarem Produktenaustausch durch einfache Ab- +straktion von ihren Unterschieden. Zweitens der Versuch, die Widersprüche des kapitalisti- +schen Produktionsprocesses wegzuleugnen, indem man die Verhältnisse seiner Produktions- +agenten in die einfachen Beziehungen auflöst, die aus der Waarencirkulation entspringen. +Waarenproduktion und Waarencirkulation sind aber Phänomene, die den verschiedensten +35 Produktionsweisen angehören, wenn auch in verschiednem Umfang und Tragweite. Man weiß +also noch nichts von der differentia specifica dieser Produktionsweisen und kann sie daher +nicht beurtheilen, wenn man nur die ihnen gemeinschaftlichen, abstrakten Kategorien der +Waarencirkulation kennt. In keiner Wissenschaft außer der politischen Oekonomie herrscht +so große Wichtigthuerei mit elementarischer Gemeinplätzlichkeit. Z.B. J . B . Say nimmt sich + +40 heraus, über die Krisen abzuurtheilen, weil er weiß, daß die Waare Produkt ist. + +107 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Bewegungsform ist daher seine beständige Entfernung vom Ausgangs- +punkt, sein Lauf aus der Hand eines Waarenbesitzers in die eines andren, +oder sein Umlauf (currency, cours de la monnaie). + +5 + +Der Umlauf des Geldes zeigt beständige, eintönige Wiederholung des- +selben Processes. Die Waare steht stets auf Seite des Verkäufers, das Geld +stets auf Seite des Käufers, als Kaufmittel. Es funktionirt als Kaufmittel, +indem es den Preis der Waare realisirt. Indem es ihn realisirt, überträgt es +die Waare aus der Hand des Verkäufers in die Hand des Käufers, während +es sich gleichzeitig aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers ent- +fernt, um denselben Proceß mit einer andren Waare zu wiederholen. Daß 10 +diese einseitige Form der Geldbewegung aus der doppelseitigen Formbe- +wegung der Waare entspringt, ist verhüllt. Die Natur der Waarencirkula- +tion selbst erzeugt den entgegengesetzten Schein. Die erste Metamorphose +der Waare ist nicht nur als Bewegung des Geldes, sondern als ihre eigne +Bewegung sichtbar, aber ihre zweite Metamorphose ist nur als Bewegung 15 +des Geldes sichtbar. In ihrer ersten Cirkulationshälfte wechselt die Waare +den Platz mit dem Geld. Damit fällt zugleich ihre Gebrauchsgestalt aus +der Cirkulation heraus, in die Konsumtion 7 4). Ihre Werthgestalt oder Geld- +larve tritt an ihre Stelle. Die zweite Cirkulationshälfte durchläuft sie nicht +mehr in ihrer eignen Naturalhaut, sondern in ihrer Goldhaut. Die Conti- 20 +nuität der Be||80|wegung fällt damit ganz auf die Seite des Geldes und die- +selbe Bewegung, die für die Waare zwei entgegengesetzte Processe ein- +schließt, schließt als eigne Bewegung des Geldes stets denselben Proceß +ein, seinen Stellenwechsel mit stets andrer Waare. Das Resultat der Waa- +rencirkulation, Ersatz von Waare durch andre Waare, erscheint daher nicht 25 +durch ihren eignen Formwechsel vermittelt, sondern durch die Funktion +des Geldes als Cirkulationsmittel, welches die an und für sich bewegungs- +losen Waaren cirkulirt, sie aus der Hand, worin sie Nicht-Gebrauchs- +werthe, in die Hand überträgt, worin sie Gebrauchswerthe, stets in entge- +gengesetzter Richtung zu seinem eignen Lauf. Es entfernt die Waaren 30 +beständig aus der Cirkulationssphäre, indem es beständig an ihre Cirkula- +tionsstelle tritt und sich damit von seinem eignen Ausgangspunkt entfernt. +Obgleich daher die Geldbewegung nur Ausdruck der Waarencirkulation, +erscheint umgekehrt die Waarencirkulation nur als Resultat der Geldbewe- +gung 7 5). + +35 + +Andrerseits kommt dem Geld nur die Funktion des Cirkulationsmittels + +7 4 ) Selbst wenn die Waare wieder und wieder verkauft wird, ein Phänomen, das hier noch +nicht für uns existirt, fällt sie mit dem letzten definitiven Verkauf aus der Sphäre der Cirkula- +tion in die der Konsumtion, um hier als Lebensmittel oder als Produktionsmittel zu dienen. + +7 5 ) «Il (l'argent) n'a d'autre mouvement que celui qui est imprimé par les productions.» (Le 40 +Trosne 1. c. p. 885.) + +108 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +5 + +10 + +zu, weil es der verselbständigte Werth der Waaren ist. Seine Bewegung als +Cirkulationsmittel ist daher in der That nur ihre eigne Formbewegung. +Diese muß sich daher auch sinnlich im Umlauf des Geldes wiederspiegeln. +So verwandelt z.B. die Leinwand zuerst ihre Waarenform in ihre GeId- +form. Das letzte Extrem ihrer ersten Metamorphose W-G, die Geldform, +wird dann das erste Extrem ihrer letzten Metamorphose G-W, ihrer Rück- +verwandlung in die Bibel. Aber jeder dieser zwei Formwechsel vollzieht +sich durch einen Austausch zwischen Waare und Geld, durch ihren gegen- +seitigen Stellenwechsel. Dieselben Geldstücke kommen als entäußerte Ge- +stalt der Waare in die Hand des Verkäufers, und verlassen sie als absolut +veräußerliche Gestalt der Waare. Sie wechseln zweimal die Stelle. Die er- +ste Metamorphose der Leinwand bringt diese Geldstücke in die Tasche des +Webers, die zweite holt sie wieder heraus. Die beiden entgegengesetzten +Formwechsel derselben Waare spiegeln sich also wieder im zweimaligen + +15 Stellenwechsel des Geldes in entgegengesetzter Richtung. + +20 + +25 + +Finden dagegen nur einseitige Waarenmetamorphosen statt, bloße Ver- +käufe oder bloße Käufe, wie man will, so wechselt dasselbe Geld auch nur +einmal den Platz. Sein zweiter Stellenwechsel drückt stets die zweite Meta- +morphose der Waare aus, ihre Rück| 1811Verwandlung aus Geld. In der häu- +figen Wiederholung des Stellenwechsels derselben Geldstücke spiegelt sich +wieder, nicht nur die Metamorphosenreihe einer einzigen Waare, sondern +auch die Verschlingung der zahllosen Metamorphosen der Waarenwelt +überhaupt. Es versteht sich übrigens ganz von selbst, daß alles dies nur für +die hier betrachtete Form der einfachen Waarencirkulation gilt. + +Jede Waare, bei ihrem ersten Schritt in die Cirkulation, bei ihrem ersten +Formwechsel, fällt aus der Cirkulation heraus, in welche stets neue Waare +eintritt. Das Geld dagegen als Cirkulationsmittel haust beständig in der +Cirkulationssphäre und treibt sich beständig in ihr um. Es entsteht also die +Frage, wie viel Geld diese Sphäre beständig absorbirt. + +30 + +In einem Lande gehn jeden Tag zahlreiche, gleichzeitige, und daher +räumlich neben einander laufende einseitige Waarenmetamorphosen vor, +oder in andren Worten, bloße Verkäufe von der einen Seite, bloße Käufe +von der andren. In ihren Preisen sind die Waaren bereits bestimmten vor- +gestellten Geldquantis gleichgesetzt. Da nun die hier betrachtete, unmittel- +35 bare Cirkulationsform Waare und Geld einander stets leiblich gegenüber- +stellt, die eine auf den Pol des Verkaufs, das andre auf den Gegenpol des +Kaufs, ist die für den Cirkulationsproceß der Waarenwelt erheischte Masse +von Cirkulationsmitteln bereits durch die Preissumme der Waaren be- +stimmt. In der That stellt das Geld nur reell die in der Preissumme der +40 Waaren bereits ideell ausgedrückte Goldsumme dar. Die Gleichheit dieser +Summen versteht sich daher von selbst. Wir wissen jedoch, daß bei gleich- + +109 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +5 + +bleibenden Werthen der Waaren ihre Preise mit dem Werthe des Goldes +(des Geldmaterials) selbst wechseln, verhältnißmäßig steigen, wenn er fällt, +und fallen, wenn er steigt. Ob die Preissumme der Waaren so steige oder +falle, die Masse des cirkulirenden Geldes muß gleichmäßig steigen oder +fallen. Der Wechsel in der Masse der Cirkulationsmittel entspringt hier +allerdings aus dem Geld selbst, aber nicht aus seiner Funktion als Cirkula- +tionsmittel, sondern aus seiner Funktion als Werthmaß. Der Preis der Waa- +ren wechselt erst umgekehrt wie der Werth des Geldes und dann wechselt +die Masse der Cirkulationsmittel direkt wie der Preis der Waaren. Ganz +dasselbe Phänomen würde sich ereignen, wenn z.B. nicht der Werth des 10 +Goldes sänke, sondern Silber es als Werthmaß ersetzte, oder nicht der +Werth des Silbers stiege, sondern Gold es aus der Funktion des Werthma- +ßes verdrängte. In ||82| dem einen Fall müßte mehr Silber cirkuliren als +vorher Gold, in dem andren weniger Gold als vorher Silber. In beiden Fäl- +len hätte sich der Werth des Geldmaterials verändert, d.h. der Waare, die 15 +als Maß der Werthe funktionirt, daher der Preisausdruck der Waaren- +werthe, daher die Masse des cirkulirenden Geldes, das zur Realisirung die- +ser Preise dient. Man hat gesehn, daß die Cirkulationssphäre der Waaren +ein Loch hat, wodurch Gold (Silber, kurz das Geldmaterial) in sie eintritt +als Waare von gegebnem Werth. Dieser Werth ist vorausgesetzt bei der 20 +Funktion des Geldes als Werthmaß, also bei der Preisbestimmung. Sinkt +nun z . B . der Werth des Werthmaßes selbst, so erscheint dies zunächst im +Preiswechsel der Waaren, die unmittelbar an den Produktionsquellen der +edlen Metalle mit ihnen als Waaren ausgetauscht werden. Namentlich in +minder entwickelten Zuständen der bürgerlichen Gesellschaft wird ein gro- 25 +ßer Theil der andren Waaren noch längere Zeit in dem nun illusorisch ge- +wordnen, veralteten Werth des Werthmaßes geschätzt werden. Indeß steckt +die eine Waare die andre an durch ihr Werthverhältniß zu derselben, die +Gold- oder Silberpreise der Waaren gleichen sich allmählig aus in den +durch ihre Werthe selbst bestimmten Proportionen, bis schließlich alle 30 +Waarenwerthe dem neuen Werth des Geldmetalls entsprechend geschätzt +werden. Dieser Ausgleichungsproceß ist begleitet von dem fortwährenden +Wachsthum der edlen Metalle, welche im Ersatz für die direkt mit ihnen +ausgetauschten Waaren einströmen. In demselben Maß daher, worin die +berichtigte Preisgebung der Waaren sich verallgemeinert, oder ihre Werthe 35 +dem neuen, gesunkenen und bis zu einem gewissen Punkt fortsinkenden +Werth des Metalls gemäß geschätzt werden, ist auch bereits seine zu ihrer +Realisirung nothwendige Mehrmasse vorhanden. Einseitige Beobachtung +der Thatsachen, welche der Entdeckung der neuen Gold- und Silberquel- +len folgten, verleitete im 17. und namentlich im 18. Jahrhundert zum Trug- 40 +Schluß, die Waarenpreise seien gestiegen, weil mehr Gold und Silber als + +110 + + Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation + +Cirkulationsmittel funktionirten. Im Folgenden wird der Werth des Goldes +als gegeben vorausgesetzt, wie er in der That im Augenblick der Preisschät- +zung gegeben ist. + +Unter dieser Voraussetzung also ist die Masse der Cirkulationsmittel +5 durch die zu realisirende Preissumme der Waaren bestimmt. Setzen wir +nun ferner den Preis jeder Waarenart als gegeben voraus, so hängt die +Preissumme der Waaren offenbar von der in Cirkulation befindlichen Waa- +renmasse ab. Es gehört wenig Kopf||83|brechens dazu, um zu begreifen, +daß wenn 1 Quarter Weizen 2Pfd. St., 100 Quarter 200Pfd. St., 200 Quarter +10 400Pfd. St. u.s.w. kosten, mit der Masse des Weizens daher die Geldmasse + +wachsen muß, die beim Verkauf den Platz mit ihm wechselt. + +15 + +Die Waarenmasse als gegeben vorausgesetzt, fluthet die Masse des cir- +kulirenden Geldes auf und ab mit den Preisschwankungen der Waaren. Sie +steigt und fällt, weil die Preissumme der Waaren in Folge ihres Preiswech- +sels zu- oder abnimmt. Dazu ist keineswegs nöthig, daß die Preise aller +Waaren gleichzeitig steigen oder fallen. Die Preissteigerung einer gewissen +Anzahl leitender Artikel in dem einen, oder ihre Preissenkung in dem and- +ren Fall, reicht hin, um die zu realisirende Preissumme aller cirkulirenden +Waaren zu erhöhn oder zu senken, also auch mehr oder weniger Geld in +20 Cirkulation zu setzen. Ob der Preiswechsel der Waaren wirkliche Werth- +wechsel wiederspiegelt oder bloße Schwankungen der Marktpreise, die +Wirkung auf die Masse der Cirkulationsmittel bleibt dieselbe. + +25 + +Es sei gegeben eine Anzahl zusammenhangsloser, gleichzeitiger und da- +her räumlich neben einander laufender Verkäufe oder Theilmetamorpho- +sen, ζ. Β. von 1 Quarter Weizen, 20 Ellen Leinwand, 1 Bibel, 4 Gallons +Kornbranntwein. Wenn der Preis jedes Artikels 2 Pfd. St., die zu realisi- +rende Preissumme daher 8Pfd. St., so muß eine Geldmasse von 8Pfd. St. in +die Cirkulation eingehn. Bilden dieselben Waaren dagegen Glieder der uns +bekannten Metamorphosenreihe: 1 Quarter Weizen - 2 Pfd. St. - 20 Ellen +30 Leinwand - 2 Pfd. St. - 1 Bibel - 2 Pfd. St. - 4 Gallons Kornbranntwein - +2 Pfd. St., so machen 2 Pfd. St. die verschiednen Waaren der Reihe nach +cirkuliren, indem sie deren Preise der Reihe nach, also auch die Preis- +summe von 8 Pfd. St., realisiren, um schließlich in der Hand des Destilla- +teurs auszuruhn. Sie vollbringen vier Umläufe. Dieser wiederholte Stellen- +35 Wechsel derselben Geldstücke stellt den doppelten Formwechsel der Waare +dar, ihre Bewegung durch zwei entgegengesetzte Cirkulationsstadien und +die Verschlingung der Metamorphosen verschiedner Waaren 7 6). Die gegen- +sätzlichen und einander ergänzenden Phasen, wodurch dieser Proceß ver- + +7 6 ) «Ce sont les productions qui le (l'argent) mettent en mouvement et le font circuler ... La +40 célérité de son mouvement (se. de l'argent) supplée à sa quantité. Lorsqu'il en est besoin, il ne + +fait que glisser d'une main dans l'autre sans s'arrêter un instant.» (Le Trosne I.e. p.915, 916.) + +111 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +läuft, können nicht räumlich neben einander fallen, sondern nur zeitlich +auf einander folgen. Zeitabschnitte bilden ||84| daher das Maß seiner +Dauer, oder die Anzahl der Umläufe derselben Geldstücke in gegebner +Zeit mißt die Geschwindigkeit des Geldumlaufs. Der Cirkulationsproceß +jener vier Waaren dauere z.B. einen Tag. So beträgt die zu realisirende +Preissumme: 8 Pfd. St., die Anzahl der Umläufe derselben Geldstücke wäh- +rend des Tags: 4 und die Masse des cirkulirenden Geldes: 2 Pfd. St., oder +für einen gegebnen Zeitabschnitt des Cirkulationsprocesses: + +5 + +Preissumme der Waaren + +^ r + +Λ + +Λ + +Λ + +. + +: + +t + +^ + +. 1 + +x.. 1 — = Masse des als Circulations(cid:5) + +— — : — (cid:5) Ϊ t +Umlaufsanzahl gleichnamiger Geldstucke +mittel funktionirenden Geldes. Dies Gesetz gilt allgemein. Der Cirkula(cid:5) 10 +tionsproceß eines Landes in einem gegebnen Zeitabschnitt umfaßt zwar +einerseits viele zersplitterte, gleichzeitig und räumlich neben einander fal- +lende Verkäufe (resp. Käufe) oder Theilmetamorphosen, worin dieselben +Geldstücke nur einmal die Stelle wechseln oder nur einen Umlauf voll- +ziehn, andrerseits viele theils neben einander herlaufende, theils sich in 15 +einander verschlingende mehr oder minder gliederreiche Metamorphosen- +reihen, worin dieselben Geldstücke mehr oder minder zahlreiche Umläufe +zurücklegen. Die Gesammtzahl der Umläufe aller in Cirkulation befindli- +chen gleichnamigen Geldstücke ergiebt jedoch die Durchschnittsanzahl +der Umläufe des einzelnen Geldstücks oder die Durchschnittsgeschwindig- 20 +keit des Geldumlaufs. Die Geldmasse, die bei Beginn z.B. des täglichen +Cirkulationsprocesses in ihn hineingeworfen wird, ist natürlich bestimmt +durch die Preissumme der gleichzeitig und räumlich neben einander cirku- +lirenden Waaren. Aber innerhalb des Processes wird ein Geldstück so zu +sagen für das andre verantwortlich gemacht. Beschleunigt das eine seine 25 +Umlaufsgeschwindigkeit, so erlahmt die des andren, oder es fliegt ganz aus +der Cirkulatiohssphäre heraus, da diese nur eine Goldmasse absorbiren +kann, welche multiplicirt mit der mittlem Umlaufsanzahl ihres einzelnen +Elements, gleich der zu realisirenden Preissumme ist. Wächst daher die +Anzahl der Umläufe der Geldstücke, so nimmt ihre cirkulirende Masse ab. 30 +Nimmt die Anzahl ihrer Umläufe ab, so wächst ihre Masse. Weil die Masse +des Geldes, die als Cirkulationsmittel funktioniren kann, bei gegebner +Durchschnittsgeschwindigkeit gegeben ist, hat man daher z.B. nur eine be- +stimmte Quantität von Ein-Pfund-Noten in die Cirkulation hinein zu wer- +fen, um eben so viele Sovereigns hinaus zu werfen, ein allen Banken wohl- 35 +bekanntes Kunststück. + +Wie im Geldumlauf überhaupt nur der Cirkulationsproceß der Waaren, +d.h. ihr Kreislauf durch entgegengesetzte Metamorphosen ||85| erscheint, +so in der Geschwindigkeit des Geldumlaufs die Geschwindigkeit ihres +Formwechsels, das continuirliche Ineinandergreifen der Metamorphosen- 40 + +112 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +reihen, die Hast des Stoffwechsels, das rasche Verschwinden der Waaren +aus der Cirkulationssphäre und ihr ebenso rascher Ersatz durch neue Waa- +ren. In der Geschwindigkeit des Geldumlaufs erscheint also die flüssige +Einheit der entgegengesetzten und sich ergänzenden Phasen, Verwandlung +5 der Gebrauchsgestalt in Werthgestalt und Rückverwandlung der Werthge- +stalt in Gebrauchsgestalt, oder der beiden Processe des Verkaufs und +Kaufs. Umgekehrt erscheint in der Verlangsamung des Geldumlaufs die +Trennung und gegensätzliche Verselbständigung dieser Processe, die Stok- +kung des Formwechsels und daher des Stoffwechsels. Woher diese Stok- +10 kung entspringt, ist natürlich der Cirkulation selbst nicht anzusehn. Sie +zeigt nur das Phänomen selbst. Der populären Anschauung, welche mit +verlangsamtem Geldumlauf das Geld minder häufig auf allen Punkten der +Cirkulationsperipherie erscheinen und verschwinden sieht, liegt es nah, +das Phänomen aus mangelnder Quantität der Cirkulationsmittel zu deu- +ten 7 7). + +15 + +Das Gesammtquantum des in jedem Zeitabschnitt als Cirkulations-| +186|mittel funktionirenden Geldes ist also bestimmt einerseits durch die +Preissumme der cirkulirenden Waarenwelt, andrerseits durch den langsa- +meren oder rascheren Fluß ihrer gegensätzlichen Cirkulationsprocesse, von +20 dem es abhängt, der wievielte Theil jener Preissumme durch dieselben +Geldstücke realisirt werden kann. Die Preissumme der Waaren hängt aber +ab sowohl von der Masse als den Preisen jeder Waarenart. Die drei Fakto- +ren: die Preisbewegung, die cirkulirende Waarenmasse, und endlich die +Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, können aber in verschiedner Rich- +tung und verschiednen Verhältnissen wechseln, die zu realisirende Preis- + +25 + +7 7 ) "Money being ... the common measure of buying and selling, every body who has any- +thing to sell, and cannot procure chapmen for it, is presently apt to think, that want of money +in the kingdom, or country, is the cause why his goods do not go off; and so, want of money is +the common cry; which is a great mistake ... What do these people want, who cry out for mon- +30 ey? ... The Farmer complains ... he thinks that were more money in the country, he should +have a price for his goods. Then it seems money is not his want, but a Price for his corn and +cattle, which he would sell, but cannot... why cannot he get a price? ... 1) Either there is too +much corn and cattle in the country, so that most who come to market have need of selling, as +he has, and few of buying: or, 2) There wants the usual vent abroad by Transportation ... Or, +35 3) The consumption fails, as when men, by reason of poverty, do not spend so much in their +houses as formerly they did, wherefore it is not the increase of specifick money, which would +at all advance the farmer's goods, but the removal of any of these three causes, which do truly +keep down the market. The merchant and shopkeeper want money in the same manner, that +is, they want a vent for the goods they deal in, by reason that the markets fail ... a nation +40 never thrives better, than when riches are tost from hand to hand." (Sir Dudley North: „Dis- +courses upon Trade. Lond. 1691", p. 11-15 passim.) Herrenschwands Schwindeleien kom- +men alle darauf hinaus, daß die aus der Natur der Waare entspringenden und daher in der +Waarencirkulation erscheinenden Widersprüche durch Vermehrung der Cirkulationsmittel +beseitigt werden können. Aus der Volksillusion, welche Stockungen des Produktions- und Cir- +45 kulationsprocesses einem Mangel an Cirkulationsmitteln zuschreibt, folgt übrigens keines- +wegs umgekehrt, daß wirklicher Mangel an Cirkulationsmitteln, z.B. in Folge officieller Pfu- +schereien mit der ,,regulation of currency", nicht seinerseits Stockungen hervorrufen kann. + +113 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +summe, daher die durch sie bedingte Masse der Cirkulationsmittel, also +sehr zahlreiche Kombinationen durchmachen. Wir zählen hier nur die in +der Geschichte der Waarenpreise wichtigsten auf. + +Bei gleichbleibenden Waarenpreisen kann die Masse der Cirkulations- +mittel wachsen, weil die Masse der cirkulirenden Waaren zunimmt oder +die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes abnimmt, oder beides zusammen- +wirkt. Die Masse der Cirkulationsmittel kann umgekehrt abnehmen mit +abnehmender Waarenmasse oder zunehmender Cirkulationsgeschwindig- +keit. + +5 + +Bei allgemein steigenden Waarenpreisen kann die Masse der Cirkula- 10 + +tionsmittel gleichbleiben, wenn die Masse der cirkulirenden Waaren in +demselben Verhältniß abnimmt, worin ihr Preis zunimmt, oder die Um- +laufsgeschwindigkeit des Geldes eben so rasch zunimmt als die Preiserhö- +hung, während die cirkulirende Waarenmasse konstant bleibt. Die Masse +der Cirkulationsmittel kann fallen, weil die Waarenmasse rascher ab- oder 15 +die Umlaufsgeschwindigkeit rascher zunimmt als die Preise. + +Bei allgemein fallenden Waarenpreisen kann die Masse der Cirkula- +tionsmittel gleichbleiben, wenn die Waarenmasse in demselben Verhältniß +wächst, worin ihr Preis fällt, oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes +in demselben Verhältniß abnimmt wie die Preise. Sie kann wachsen, wenn 20 +die Waarenmasse rascher wächst oder die Cirkulationsgeschwindigkeit ra- +scher abnimmt als die Waarenpreise fallen. + +Die Variationen der verschiednen Faktoren können sich wechselseitig +kompensiren, so daß ihrer beständigen Unstätigkeit zum Trotz die zu reali- +sirende Gesammtsumme der Waarenpreise konstant bleibt, also auch die 25 +cirkulirende Geldmasse. Man findet daher, namentlich bei Betrachtung et- +was längerer Perioden, ein viel konstanteres Durchschnittsniveau der in j e - +dem Lande cirkulirenden Geldmasse, und, mit Ausnahme starker Pertur- +bationen, die periodisch aus den ||87| Produktions- und Handelskrisen, +seltner aus einem Wechsel im Geldwerth selbst entspringen, viel geringere 30 +Abweichungen von diesem Durchschnittsniveau als man nach dem Augen- +schein erwarten sollte. + +Das Gesetz, daß die Quantität der Cirkulationsmittel bestimmt ist durch +die Preissumme der cirkulirenden Waaren und die Durchschnittsgeschwin- +digkeit des Geldumlaufs 7 8), kann auch so ausgedrückt werden, daß bei ge- 35 + +7 8 ) "There is a certain measure, and proportion of money requisite to drive the trade of a na- +tion, more or less than which would prejudice the same. Just as there is a certain proportion of +farthings necessary in a small retail Trade, to change silver money, and to even such reckon- +ings as cannot be adjusted with the smallest silver pieces ... Now as the proportion of the +number of farthings requisite in commerce is to be taken from the number of people, the fre- 40 +quency of their exchanges, as also, and principally, from the value of the smallest silver pieces +of money; so in like manner, the proportion of money (gold and silver specie) requisite to our + +114 + + Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation + +gebner Werthsumme der Waaren und gegebner Durchschnittsgeschwindig- +keit ihrer Metamorphosen, die Quantität des umlaufenden Geldes oder des +Geldmaterials von seinem eignen Werth abhängt. Die Illusion, daß umge- +kehrt die Waarenpreise durch die Masse der Cirkulationsmittel und letztre +5 ihrerseits durch die Masse des in einem Lande befindlichen Geldmaterials +bestimmt werden 7 9), wurzelt bei ihren ursprünglichen ||88| Vertretern in +der abgeschmackten Hypothese, daß Waaren ohne Preis und Geld ohne +Werth in den Cirkulationsproceß eingehn, wo sich dann ein aliquoter Theil +des Waarenbreis mit einem aliquoten Theil des Metallbergs austau- + +10 sehe 8 0). + +20 + +30 + +25 + +trade, is to be likewise taken from the frequency of commutations, and from the bigness of +payments." (William Petty: „A Treatise of Taxes and Contributions. Lond. 1667", p. 17, 18.) +Die Hume'sche Theorie ward gegen J. Steuart u.A. vertheidigt von A.Young in seiner ,,Politi- +cal Arithmetic. Lond. 1774", wo ein eignes Kapitel: ,,Prices depend on quantity of money", +15 p. 112 sqq. Ich bemerke „Zur Kritik etc. p. 149": „Die Frage über die Quantität der cirkuliren- +den Münze beseitigt er (A. Smith) stillschweigend, indem er das Geld ganz falsch als bloße +Waare behandelt." Dies gilt nur, soweit A. Smith ex officio das Geld behandelt. Gelegentlich +jedoch, z.B. in der Kritik der früheren Systeme der Pol. Oekon., spricht er das Richtige aus: +"The quantity of coin in every country is regulated by the value of the commodities which are +to be circulated by it ... The value of goods annually bought and sold in any country requires +a certain quantity of money to circulate and distribute them to their proper consumers, and +can give employment to no more. The channel of circulation necessarily draws to itself a sum +sufficient to fill it, and never admits any more." (Wealth of Nations, l.IV. ch. I.) Aehnlich er- +öffnet A. Smith sein Werk ex officio mit einer Apotheose der Theilung der Arbeit. Hinterher, +im letzten Buch über die Quellen des Staatseinkommens, reproducirt er gelegentlich A.Fergu- +son's, seines Lehrers, Denunciation der Theilung der Arbeit. +7 9 ) "The prices of things will certainly rise in every nation, as the gold and silver increase +amongst the people; and, consequently, where the gold and silver decrease in any nation, the +prices of all things must fall proportionably to such decrease of money." (Jacob Vanderlint: +,,Money answers all Things". Lond. 1734, p. 5.) Nähere Vergleichung zwischen Vanderlint und +Hume's „Essays" läßt mir nicht den geringsten Zweifel, daß Hume V.'s übrigens bedeutende +Schrift kannte und benutzte. Die Ansicht, daß die Masse der Cirkulationsmittel die Preise be- +stimmt, auch bei Barbon und noch viel älteren Schriftstellern. "No inconvenience", sagt Van- +derlint, "can arise by an unrestrained trade, but very great advantage; since, if the cash of the +35 nation be decreased by it, which prohibitions are designed to prevent, those nations that get +the cash will certainly find every thing advance in price, as the cash increases amongst them. +And ... our manufactures and every thing else, will soon become so moderate as to turn the +balance of trade in our favour, and thereby fetch the money back again." (1. c. p. 43, 44.) +8 0 ) Daß jede einzelne Waarenart durch ihren Preis ein Element der Preissumme aller cirkuli- +renden Waaren bildet, ist selbstverständlich. Wie aber unter einander inkommensurable Ge- +brauchswerthe sich en masse mit der in einem Land befindlichen Gold- oder Silbermasse aus- +tauschen sollen, ist völlig unbegreiflich. Verschwindelt man die Waarenwelt in eine einzige +Gesammtwaare, wovon jede Waare nur einen aliquoten Theil bildet, so kommt das schöne +Rechenexempel heraus: Gesammtwaare = χ Ctr. Gold, Waare A = aliquoter Theil der Ge(cid:5) +sammtwaare = derselbe aliquote Theil von χ Ctr. Gold. Dies ehrlich heraus bei Montesquieu: +«Si l'on compare la masse de l'or et de l'argent qui est dans le monde, avec la somme des +marchandises qui y sont, il est certain que chaque denrée ou marchandise, en particulier, +pourra être comparée à une certaine portion de l'autre. Supposons qu'il n'y ait qu'une seule +denrée ou marchandise dans le monde, ou qu'il n'y ait qu'une seule qui s'achète, et qu'elle se +50 divise comme l'argent: cette partie de cette marchandise répondra à une partie de la masse de + +40 + +45 + +115 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +c) Die Münze. Das Werthzeichen. + +Aus der Funktion des Geldes als Cirkulationsmittel entspringt seine Münz- + +gestalt. Der in dem Preise oder Geldnamen der Waaren vorgestellte Ge- + +wichtstheil Gold muß ihnen in der Cirkulation als ||89| gleichnamiges + +Goldstück oder Münze gegenübertreten. Wie die Feststellung des Maß- + +5 + +stabs der Preise, fällt das Geschäft der Münzung dem Staat anheim. In den + +verschiednen Nationaluniformen, die Gold und Silber als Münzen tragen, + +auf dem Weltmarkt aber wieder ausziehn, erscheint die Scheidung zwi- + +schen den innern oder nationalen Sphären der Waarencirkulation und + +ihrer allgemeinen Weltmarktssphäre. + +10 + +Goldmünze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus aus nur + +durch die Figur, und das Gold ist beständig aus einer Form in die andre + +verwandelbar 8 1). Der Weg aus der Münze ist aber zugleich der Gang zum + +Schmelztiegel. Im Umlauf verschleißen nämlich die Goldmünzen, die eine + +mehr, die andre weniger. Goldtitel und Goldsubstanz, Nominalgehalt und 15 + +Realgehalt beginnen ihren Scheidungsproceß. Gleichnamige Goldmünzen + +l'argent; la moitié du total de l'une à la moitié du total de l'autre etc. ... l'établissement du +prix des choses dépend toujours fondamentalement de la raison du total des choses au total +des signes.» (Montesquieu, I.e. t.Ill, p. 12, 13.) Ueber die Weiterentwicklung dieser Theorie +durch Ricardo, seinen Schüler James Mill, Lord Overstone u. s. w. vgl. „Zur Kritik u. s. w." 20 +p. 140-146 u. p. 150 seqq. Herr J. St. Mill versteht es, mit der ihm geläufigen eklektischen Lo- +gik, der Ansicht seines Vaters J. Mill und zugleich der entgegengesetzten zu sein. Vergleicht +man den Text seines Compendiums: „Princ. of Pol. Econ." mit der Vorrede (erste Ausgabe), +worin er sich selbst als Adam Smith der Gegenwart ankündet, so weiß man nicht, was mehr +bewundern, die Naivetät des Mannes oder die des Publikums, das ihn auf Treu und Glauben 25 +in den Kauf nahm als Adam Smith, zu dem er sich etwa verhält wie General Williams Kars +von Kars zum Herzog von Wellington. Die weder umfangreichen noch gehaltreichen Original- +forschungen des Herrn J. St. Mill im Gebiet der Pol. Oek. findet man alle in Reih' und Glied +aufmarschirt in seinem 1844 erschienenen Schriftchen: ,,Some Unsettled Questions of Politi- +cal Economy". Locke spricht direkt den Zusammenhang zwischen der Werthlosigkeit von 30 +Gold und Silber und der Bestimmung ihres Werths durch Quantität aus. "Mankind having +consented to put an imaginary value upon gold and silver ... the intrinsic value, regarded in +these metals, is nothing but the quantity." ,,Some Considerations etc. 1691", Works, ed. 1777, +vol.11, p. 15. +8 1 ) Es liegt natürlich ganz jenseits meines Zwecks, Details wie Schlagschatz u. dgl. zu behan- 35 +dein. Gegenüber dem romantischen Sykophanten Adam Müller jedoch, der „die großartige +Liberalität" bewundert, womit die „englische Regierung unentgeldlich münzt", folgendes +Urtheil Sir Dudley North's: "Silver and gold, like other commodities, have their ebbings and +flowings. Upon the arrival of quantities from Spain ... it is carried into the Tower, and coined. +Not long after there will come a demand for bullion, to be exported again. If there is none, but 40 +all happens to be in coin, what then? Melt it down again; there's no loss in it, for the coining +costs the owner nothing. Thus the nation has been abused, and made to pay for the twisting of +straw, for asses to eat. If the merchant (North war selbst einer der größten Kaufleute zu +Charles II. Zeit) had to pay the price of the coinage, he would not have sent his silver to the +Tower without consideration; and coined money would always keep a value above uncoined 45 +silver." (North I.e. p. 18.) + +116 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +5 + +werden von ungleichem Werth, weil verschiednem Gewicht. Das Gold als +Cirkulationsmittel weicht ab vom Gold als Maßstab der Preise, und hört +damit auch auf, wirkliches Aequivalent der Waaren zu sein, deren Preise es +realisirt. Die Geschichte dieser Wirren bildet die Münzgeschichte des Mit- +telalters und der Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert. Die naturwüchsige Ten- +denz des Cirkulationsprocesses, das Goldsein der Münze in Goldschein +oder die Münze in ein Symbol ihres officiellen Metallgehalts zu verwan- +deln, ist selbst anerkannt durch die modernsten Gesetze über den Grad des +Metallverlustes, der ein Goldstück kursunfähig macht oder demonetisirt. +10 Wenn der Geldumlauf selbst den Realgehalt vom Nominalgehalt der +Münze scheidet, ihr Metalldasein von ihrem funktionellen Dasein, so ent- +hält er die Möglichkeit latent, das Metallgeld in seiner ||90| Münzfunktion +durch Marken aus andrem Material oder Symbole zu ersetzen. Die techni- +schen Hindernisse der Münzung ganz diminutiver Gewichtstheile des GoI- +15 des, resp. Silbers, und der Umstand, daß niedrigere Metalle ursprünglich +statt der edleren, Silber statt des Goldes, Kupfer statt des Silbers, zum +Werthmaß dienen und daher als Geld cirkuliren im Augenblick, wo das ed- +lere Metall sie entthront, erklären historisch die Rolle von Silber- und +Kupfermarken als Substituten der Goldmünze. Sie ersetzen das Gold in +20 den Kreisen der Waarencirkulation, worin die Münze am schnellsten cir- +kulirt und sich daher am schnellsten abnutzt, d. h. wo Käufe und Verkäufe +unaufhörlich im kleinsten Maßstab erneuert werden. Um die Festsetzung +dieser Trabanten an der Stelle des Goldes selbst zu verhindern, werden ge- +setzlich die sehr niedrigen Proportionen bestimmt, worin sie allein an Zah- +lungsstatt für Gold angenommen werden müssen. Die besondren Kreise, +worin die verschiednen Münzsorten umlaufen, laufen natürlich in einan- +der. Die Scheidemünze erscheint neben dem Gold zur Zahlung von Bruch- +theilen der kleinsten Goldmünze; das Gold tritt beständig in die Detailcir- +kulation ein, wird aber durch Abwechslung mit Scheidemünze ebenso + +25 + +30 beständig herausgeworfen 8 2). + +Der Metallgehalt der Silber- oder Kupfermarken ist willkürlich durch +das Gesetz bestimmt. Im Umlauf verschleißen sie noch rascher als die +Goldmünze. Ihre Münzfunktion wird daher faktisch durchaus unabhängig + +35 + +40 + +8 2 ) "If silver never exceed what is wanted for the smaller payments, it cannot be collected in +sufficient quantities for the larger payments .... the use of gold in the main payments neces- +sarily implies also its use in the retail trade: those who have gold coins offering them for small +purchases, and receiving with the commodity purchased a balance of silver in return; by +which means the surplus of silver that would otherwise encumber the retail dealer, is drawn +off and dispersed into general circulation. But if there is as much silver as will transact the +small payments independent of gold, the retail dealer must then receive silver for small pur- +chases; and it must of necessity accumulate in his hands." (David Buchanan: ,,Inquiry into +the Taxation and Commercial Policy of Great Britain. Edinburgh 1844", p. 248, 249.) + +117 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +von ihrem Gewicht, d. h. von allem Werth. Das Münzdasein des Goldes +scheidet sich völlig von seiner Werthsubstanz. Relativ werthlose Dinge, Pa- +pierzettel, können also an seiner Statt als Münze funktioniren. In den me- +tallischen Geldmarken ist der rein symbolische Charakter noch einigerma- +ßen versteckt. Im Papiergeld tritt er augenscheinlich hervor. Man sieht: ce +n'est que le premier pas qui coûte. + +5 + +Es handelt sich hier nur von Staatspapiergeld mit Zwangskurs. ||91| Es +wächst unmittelbar aus der metallischen Cirkulation heraus. Kreditgeld +unterstellt dagegen Verhältnisse, die uns vom Standpunkt der einfachen +Waarencirkulation noch durchaus unbekannt sind. Im Vorbeigehn sei j e - 10 +doch bemerkt, daß, wie eigentliches Papiergeld aus der Funktion des Gel- +des als Cirkulationsmittel entspringt, das Kreditgeld in der Funktion des +Geldes als Zahlungsmittel seine naturwüchsige Wurzel besitzt 8 3). + +15 + +Papierzettel, denen Geldnamen, wie 1 Pfd. St., 5 Pfd. St. u. s.w. aufge- +druckt sind, werden vom Staat äußerlich in den Cirkulationsproceß hinein- +geworfen. Soweit sie wirklich an der Stelle der gleichnamigen Goldsumme +cirkuliren, spiegeln sich in ihrer Bewegung nur die Gesetze des Geldum- +laufs selbst wieder. Ein specifisches Gesetz der Papiercirkulation kann nur +aus ihrem Repräsentationsverhältniß zum Gold entspringen. Und dieß Ge- +setz ist einfach dies, daß die Ausgabe des Papiergelds auf die Quantität zu 20 +beschränken ist, worin das von ihm symbolisch dargestellte Gold (resp. Sil- +ber) wirklich cirkuliren müßte. Nun schwankt zwar das Goldquantum, wel- +ches die Cirkulationssphäre absorbiren kann, beständig über oder unter ein +gewisses Durchschnittsniveau. Jedoch sinkt die Masse des cirkulirenden +Mediums in einem gegebnen Land nie unter ein gewisses Minimum, das +sich erfahrungsmäßig feststellt. Daß diese Minimalmasse fortwährend ihre +Bestandtheile wechselt, d. h. aus stets andren Goldstücken besteht, ändert +natürlich nichts an ihrem Umfang und ihrem konstanten Umtrieb in der +Cirkulationssphäre. Sie kann daher durch Papiersymbole ersetzt werden. +Werden dagegen heute alle Cirkulationskanäle zum vollen Grad ihrer 30 + +25 + +8 3 ) Der Finanzmandarin Wan-mao-in ließ sich beigehn, dem Sohn des Himmels ein Projekt +zu unterbreiten, welches versteckt auf Verwandlung der chinesischen Reichsassignaten in +konvertible Banknoten hinzielte. Im Bericht des Assignaten-Komités vom April 1854 erhält er +gehörig den Kopf gewaschen. Ob er auch die obligate Tracht Bambushiebe erhielt, wird nicht +gemeldet. „Das Komité", lautet es am Schluß des Berichts, „hat sein Projekt aufmerksam er- 35 +wogen und findet, daß alles in ihm auf den Vortheil der Kaufleute ausgeht und nichts für die +Krone vortheilhaft ist." („Arbeiten der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft zu Peking über +China. Aus dem Russischen von Dr. C Abel und F. A. Mecklenburg. Erster Band. Berlin +1858", p. 47 sqq.) Ueber die beständige Entmetallung der Goldmünzen durch ihren Umlauf +sagt ein ,,Governor" der Bank of England als Zeuge vor dem ,,House of Lords' Committee" +(über „Bankacts"): „Jedes Jahr wird eine frische Klasse von Souverainen (dies nicht politisch, +sondern der Sovereign ist Name des Pfd. St.) zu leicht. Die Klasse, welche das eine Jahr als +vollwichtig passirt, verliert durch den Verschleiß hinreichend, um das nächste Jahr die Wag- +schale gegen sich zu drehn." (H. o. Lords' Committee 1848, η. 429.) + +40 + +118 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +Geldabsorptionsfâhigkeit mit Papier||92|geld gefüllt, so können sie in Folge +der Schwankungen der Waarencirkulation morgen übervoll sein. Alles Maß +geht verloren. Ueberschreitet aber das Papier sein Maß, d. h. die Quantität +von Goldmünze gleicher Denomination, welche cirkuliren könnte, so stellt +5 es, von der Gefahr allgemeiner Diskreditirung abgesehn, innerhalb der +Waarenwelt dennoch nur die durch ihre immanenten Gesetze bestimmte, +also auch allein repräsentirbare Goldquantität vor. Stellt die Papierzettel- +masse z . B . je 2 Unzen Gold statt je 1 Unze dar, so wird faktisch 1 Pfd. St. +z.B. zum Geldnamen sage etwa von % Unze statt von % Unze. Die Wirkung +ist dieselbe, als wäre das Gold in seiner Funktion als Maß der Preise verän- +dert worden. Dieselben Werthe, die sich daher vorher im Preise von 1 Pfd. +St., drücken sich jetzt im Preise von 2 Pfd. St. aus. + +10 + +Das Papiergeld ist Goldzeichen oder Geldzeichen. Sein Verhältniß zu +den Waarenwerthen besteht nur darin, daß sie ideell in denselben GoId- +15 quantis ausgedrückt sind, welche vom Papier symbolisch sinnlich darge- +stellt werden. Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsentirt, die, wie +alle andren Waarenquanta, auch Werthquanta, ist es Werthzeichen 8 4). + +Es fragt sich schließlich, warum das Gold durch bloße werthlose Zeichen +seiner selbst ersetzt werden kann? Es ist aber, wie man gesehn, nur so er- +20 setzbar, soweit es in seiner Funktion als Münze oder Cirkulationsmittel +isolirt oder verselbständigt wird. Nun findet die Verselbständigung dieser +Funktion zwar nicht für die einzelnen Goldmünzen statt, obgleich sie in +dem Fortcirkuliren verschlissener Goldstücke erscheint. Bloße Münze oder +Cirkulationsmittel sind die Goldstücke grade nur so lang sie sich wirklich +im Umlauf befinden. Was aber nicht für die einzelne Goldmünze, gilt für +die vom Papiergeld ersetzbare Minimalmasse Gold. Sie haust beständig in +der CirkulationsSphäre, funktionirt fortwährend als Cirkulationsmittel und +existirt daher ausschließlich als Träger ||93| dieser Funktion. Ihre Bewe- +gung stellt also nur das fortwährende Ineinanderumschlagen der entgegen- +30 gesetzten Processe der Waarenmetamorphose W-G-W dar, worin der +Waare ihre Werthgestalt nur gegenübertritt, um sofort wieder zu verschwin- + +25 + +35 + +8 4 ) Note zur 2. Ausgabe. Wie unklar selbst die besten Schriftsteller über Geldwesen die ver- +schiednen Funktionen des Geldes auffassen, zeigt z. B. folgende Stelle aus Fullarton: "That, +as far as concerns our domestic exchanges, all the monetary functions which are usually per- +formed by gold and silver coins, may be performed as effectually by a circulation of inconvert- +ible notes, having no value but that factitious and conventional value they derive from the +law, is a fact, which admits, I conceive, of no denial. Value of this description may be made to +answer all the purposes of intrinsic value, and supersede even the necessity for a standard, +provided only the quantity of issues be kept under due limitation." (Fullarton: „Regulation of +40 Currencies, 2. ed. London 1845", p.21.) Also weil die Geldwaare durch bloße Werthzeichen in +der Cirkulation ersetzt werden kann, ist sie als Maß der Werthe und Maßstab der Preise über- +flüssig! + +119 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +den. Die selbständige Darstellung des Tauschwerts der Waare ist hier nur +flüchtiges Moment. Sofort wird sie wieder durch andre Waare ersetzt. Da- +her genügt auch die bloß symbolische Existenz des Geldes in einem Pro- +ceß, der es beständig aus einer Hand in die andre entfernt. Sein funktionel- +les Dasein absorbirt so zu sagen sein materielles. Verschwindend +objektivirter Reflex der Waarenpreise funktionirt es nur noch als Zeichen +seiner selbst und kann daher auch durch Zeichen ersetzt werden 8 5). Nur +bedarf das Zeichen des Geldes seiner eignen objektiv gesellschaftlichen +Gültigkeit und diese erhält das Papiersymbol durch den Zwangskurs. Nur +innerhalb der von den Grenzen eines Gemeinwesens umschriebnen oder 10 +innern Cirkulationssphäre gilt dieser Staatszwang, aber auch nur hier geht +das Geld völlig auf in seine Funktion als Cirkulationsmittel oder Münze, +und kann daher im Papiergeld eine von seiner Metallsubstanz äußerlich +getrennte und bloß funktionelle Existenzweise erhalten. + +5 + +3. Geld. + +15 + +Die Waare, welche als Werthmaß und daher auch, leiblich oder durch +Stellvertreter, als Cirkulationsmittel funktionirt, ist Geld. Gold (resp. Sil- +ber) ist daher Geld. Als Geld funktionirt es, einerseits wo es in seiner gold- +nen (resp. silbernen) Leiblichkeit erscheinen muß, daher als Geldwaare, +also weder bloß ideell, wie im Werthmaß, noch repräsentationsfähig, wie 20 +im Cirkulationsmittel; andrerseits wo seine Funktion, ob es selbe nun in +eigner Person oder durch Stellvertreter vollziehe, es als alleinige Werthge- +stalt oder allein adäquates Dasein des Tauschwerths allen andren Waaren +als bloßen Gebrauchswerthen gegenüber fixirt. + +a) Schatzbildung. + +25 + +Der kontinuirliche Kreislauf der zwei entgegengesetzten Waarenmeta- +morphosen oder der flüssige Umschlag von Verkauf und Kauf ||94| er- +scheint im rastlosen Umlauf des Geldes oder seiner Funktion als perpe- + +8 5 ) Daraus, daß Gold und Silber als Münze oder in der ausschließlichen Funktion als Cirkula- +tionsmittel zu Zeichen ihrer selbst werden, leitet Nicholas Barbon das Recht der Regierungen +her ,,to raise money", d.h., z.B. einem Quantum Silber, das Groschen hieß, den Namen eines +größeren Silberquantums wie Thaler zu geben, und so den Gläubigern Groschen statt Thaler +zurückzuzahlen. "Money does wear and grow lighter by often telling over ... It is the denomi- +nation and currency of the money that men regard in bargaining, and not the quantity of sil- +ver ... 'Tis the publick authority upon the metal that makes it money." (N.Barbon 1.c. p.29, 35 +30, 25.) + +30 + +120 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +tuum mobile der Cirkulation. Es wird immobilisirt, oder verwandelt sich, +wie Boisguillebert sagt, aus meuble in immeuble, aus Münze in Geld, so- +bald die Metamorphosenreihe unterbrochen, der Verkauf nicht durch +nachfolgenden Kauf ergänzt wird. + +5 + +Mit der ersten Entwicklung der Waarencirkulation selbst entwickelt sich +die Nothwendigkeit und die Leidenschaft, das Produkt der ersten Meta- +morphose, die verwandelte Gestalt der Waare oder ihre Goldpuppe festzu- +halten 8 6). Waare wird verkauft, nicht um Waare zu kaufen, sondern um +Waarenform durch Geldform zu ersetzen. Aus bloßer Vermittlung des +10 Stoffwechsels wird dieser Formwechsel zum Selbstzweck. Die entäußerte +Gestalt der Waare wird verhindert als ihre absolut veräußerliche Gestalt +oder nur verschwindende Geldform zu funktioniren. Das Geld versteinert +damit zum Schatz, und der Waarenverkäufer wird Schatzbildner. + +Grade in den Anfängen der Waarencirkulation verwandelt sich nur der +15 Ueberschuß an Gebrauchswerthen in Geld. Gold und Silber werden so von +selbst zu gesellschaftlichen Ausdrücken des Ueberflusses oder des Reich- +thums. Diese naive Form der Schatzbildung verewigt sich bei Völkern, wo +der traditionellen und auf Selbstbedarf gerichteten Produktionsweise ein +fest abgeschloßner Kreis von Bedürfnissen entspricht. So bei den Asiaten, +20 namentlich den Indern. Vanderlint, der die Waarenpreise durch die Masse +des in einem Land befindlichen Goldes und Silbers bestimmt wähnt, fragt +sich, warum die indischen Waaren so wohlfeil? Antwort: Weil die Inder +das Geld vergraben. Von 1 6 0 2 - 1 7 3 4 , bemerkt er, vergruben sie 150 Millio- +nen Pfd. St. Silber, die ursprünglich von Amerika nach Europa kamen 8 7). +25 Von 1 8 5 6 - 1 8 6 6 , also in 10 Jahren, exportirte England nach Indien und +China (das nach China exportirte Metall fließt großentheils wieder nach +Indien) 120 Millionen Pfd. St. in Silber, welches vorher gegen australisches +Gold eingewechselt wurde. + +Mit mehr entwickelter Waarenproduktion muß jeder Waarenproducent +sich den nexus rerum, das „gesellschaftliche Faustpfand" ||95| sichern 8 8). +Seine Bedürfnisse erneuern sich unaufhörlich und gebieten unaufhörli- +chen Kauf fremder Waare, während Produktion und Verkauf seiner eignen +Waare Zeit kosten und von Zufällen abhängen. Um zu kaufen, ohne zu +verkaufen, muß er vorher verkauft haben, ohne zu kaufen. Diese Opera- +tion, auf allgemeiner Stufenleiter ausgeführt, scheint sich selbst zu wider- + +30 + +35 + +8 6 ) «Une richesse en argent n'est que ... richesse en productions, converties en argent.» (Mer- +cier de la Rivière 1. c. p. 573.) «Une valeur en productions n'a fait que changer de forme.» (ib. +p. 486.) +8 7 ) "'Tis by this practice they keep all their goods and manufactures at such low rates." (Van- + +40 derlint 1. c. p. 95, 96.) + +8 8 ) "Money is a pledge." (John Beilers: „Essays about the Poor, Manufactures, Trade, Planta- +tions, and Immorality. Lond. 1699", p. 13.) + +121 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +5 + +sprechen. An ihren Produktionsquellen jedoch tauschen sich die edlen Me- +talle direkt mit andren Waaren aus. Es findet hier Verkauf (auf Seite der +Waarenbesitzer) ohne Kauf (auf Seite der Gold- und Silberbesitzer) +statt 8 9). Und spätere Verkäufe ohne nachfolgende Käufe vermitteln bloß +die weitere Vertheilung der edlen Metalle unter alle Waarenbesitzer. So +entstehn auf allen Punkten des Verkehrs Gold- und Silberschätze vom ver- +schiedensten Umfang. Mit der Möglichkeit, die Waare als Tauschwerth +oder den Tauschwerth als Waare festzuhalten, erwacht die Goldgier. Mit +der Ausdehnung der Waarencirkulation wächst die Macht des Geldes, der +stets schlagfertigen, absolut gesellschaftlichen Form des Reichthums. 10 +„Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von allem, +was er wünscht. Durch Gold kann man sogar Seelen in das Paradies gelan- +gen lassen." (Columbus, im Brief aus Jamaica, 1503.) Da dem Geld nicht +anzusehn, was in es verwandelt ist, verwandelt sich alles, Waare oder nicht, +in Geld. Alles wird verkäuflich und kaufbar. Die Cirkulation wird die große 15 +gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkrystall wie- +der herauszukommen. Dieser Alchymie widerstehn nicht einmal Heiligen- +knochen und noch viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra com- +mercium hominum 9 0). Wie im Geld aller qualitative Unterschied der +Waaren ausgelöscht ist, löscht es seinerseits als radikaler Leveller alle Un- 20 +terschiede aus 9 1). Das ||96| Geld ist aber selbst Waare, ein äußerlich Ding, +das Privateigenthum eines Jeden werden kann. Die gesellschaftliche Macht + +8 9 ) Kauf im kategorischen Sinn unterstellt nämlich Gold oder Silber schon als verwandelte +Gestalt der Waare, oder als Produkt des Verkaufs. +9 0 ) Heinrich III., allerchristlichster König von Frankreich, raubt Klöstern u. s. w. ihre ReIi- 25 +quien, um sie zu versilbern. Man weiß, welche Rolle der Raub der delphischen Tempelschätze +durch die Phokäer in der griechischen Geschichte spielt. Dem Gott der Waaren dienten bei +den Alten bekanntlich die Tempel zum Wohnsitz. Sie waren „heilige Banken". Den Phöni- +ziern, einem Handelsvolke par excellence, galt Geld als die entäußerte Gestalt aller Dinge. Es +war daher in der Ordnung, daß die Jungfrauen, die sich an den Festen der Liebesgöttin den 30 +Fremden hingaben, das zum Lohn empfangene Geldstück der Göttin opferten. +9 1 ) "Gold! yellow, glittering precious gold! + +Thus much of this, will make black white; foul, fair; +Wrong, right; base, noble; old, young; coward, valiant. + +What this, you gods! Why this + +Will lug your priests and servants from your sides; +Pluck stout men's pillows from below their heads. +This yellow slave +Will knit and break religions; bless the accurs'd; +Make the hoar leprosy ador'd; place thieves +And give them title, knee and approbation +With senators of the bench; this is it, +That makes the wappen'd widow wed again + +Come damned earth, +Thou common whore of mankind." + +(Shakespeare, Timon of Athens.) + +35 + +40 + +45 + +122 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +wird so zur Privatmacht der Privatperson. Die antike Gesellschaft denun- +cirt es daher als die Scheidemünze ihrer ökonomischen und sittlichen Ord- +nung 9 2). Die moderne Gesellschaft, die schon in ihren Kinderjahren den +Plutus an den Haaren aus den Eingeweiden der Erde herauszieht 9 3), be- +5 grüßt im Goldgral die glänzende Inkarnation ihres eigensten Lebensprin- + +cips. + +Die Waare als Gebrauchswerth befriedigt ein besondres Bedürfniß und +bildet ein besondres Element des stofflichen Reichthums. Aber der Werth +der Waare mißt den Grad ihrer Attraktionskraft auf alle Elemente des +10 stofflichen Reichthums, daher den gesellschaftlichen Reichthum ihres Be- +sitzers. Dem barbarisch einfachen Waarenbesitzer, selbst einem westeuro- +päischen Bauer, ist der Werth unzertrennlich von der Werthform, Vermeh- +rung des Gold- und Silberschatzes daher Werthvermehrung. Allerdings +wechselt der Werth des Geldes, sei es in Folge seines eignen Werthwech- +15 sels, sei es des Werthwechsels der Waaren. Dies verhindert aber einerseits +nicht, daß 200 Unzen Gold nach wie vor mehr Werth enthalten als 100, +300 mehr als 200 u. s. w., noch andrerseits daß die metallne Naturalform +dieses Dings die allgemeine Aequivalentform aller Waaren bleibt, die un- +mittelbar gesellschaftliche Inkarnation aller menschlichen Arbeit. Der +20 Trieb der Schatzbildung ist von Natur maßlos. Qualitativ oder seiner Form +nach ist das Geld schrankenlos, d. h. allgemeiner Reprä||971sentant des +stofflichen Reichthums, weil in jede Waare unmittelbar umsetzbar. Aber +zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch +nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen +25 der quantitativen Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des +Geldes treibt den Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akku- +mulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit jedem neuen Land +nur eine neue Grenze erobert. + +Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatzbil- +30 dung, muß es verhindert werden zu cirkuliren oder als Kaufmittel sich in +Genußmittel aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch +seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung. +Andrerseits kann er der Cirkulation nur in Geld entziehn, was er ihr in + +35 + +40 + +9 2 ) ,,Ουδέν γαρ άνθρώποισιν oiov άργυρος + +Κακόν νόμισμα εβλαστε' τούτο και πόλεις +Πορθεί, τόδ' άνδρας έξανίστησιν δόμων. +Τόδ' έκδιδάσκει και παραλλάσσει φρένας +Χρηστας προς αισχρά πφάγμαθ' ϊστασθαι βροτών. +Πανουργίας δ' εδειξεν άνθρώποις εχειν, +Και παντός έργου δυσσέβειαν είδέναι." + +9 3 ) ,,Έλπιζούσης της πλεονεξίας άνάξειν εκ των μυχών της γης αυτόν τον Πλούτωνα." +(Athen. Deipnos.) + +(Sophokles, Antigone.) + +123 + + Erster Abschnitt · Ware und Geld + +Waare gibt. Je mehr er producirt, desto mehr kann er verkaufen. Arbeit- +samkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kardinaltugenden, viel +verkaufen, wenig kaufen, die Summe seiner politischen Oekonomie 9 4). + +Neben der unmittelbaren Form des Schatzes läuft seine ästhetische +Form, der Besitz von Gold- und Silberwaaren. Er wächst mit dem Reich- +thum der bürgerlichen Gesellschaft. «Soyons riches ou paraissons riches.» +(Diderot.) Es bildet sich so theils ein stets ausgedehnterer Markt für Gold +und Silber, unabhängig von ihren Geldfunktionen, theils eine latente Zu- +fuhrquelle des Geldes, die namentlich in gesellschaftlichen Sturmperioden +fließt. + +5 + +10 + +Die Schatzbildung erfüllt verschiedne Funktionen in der Oekonomie der +metallischen Cirkulation. Die nächste Funktion entspringt aus den Um- +laufsbedingungen der Gold- oder Silbermünze. Man hat gesehn, wie mit +den beständigen Schwankungen der Waarencirkulation in Umfang, Preisen +und Geschwindigkeit die Umlaufsmasse des Geldes rastlos ebbt und flu- 15 +thet. Sie muß also der Kontraktion und Expansion fähig sein. Bald muß +Geld als Münze attrahirt, bald Münze als Geld repellirt werden. Damit die +wirklich umlaufende Geldmasse dem Sättigungsgrad der Cirkulations- +sphäre stets entspreche, muß das in einem Lande befindliche Gold- oder +Silberquantum größer sein als das in Münzfunktion begriffene. Diese Be- 20 +dingung wird erfüllt durch die Schatzform des Geldes. Die Schatzreser- +voirs dienen zugleich als ||98| Abfuhr- und Zufuhrkanäle des cirkulirenden +Geldes, welches seine Umlaufskanäle daher nie überfüllt 9 5). + +9 4 ) «Accrescere quanto più si può il numero de' venditori d'ogni merce, diminuire quanto più +si può il numero dei compratori, questi sono i cardini sui quali si raggirano tutte le operazioni 25 +di economia politica.» (Verri I.e. p.52, 53.) +9 5 ) "There is required for carrying on the trade of the nation, a determinate sum of specifick +Money, which varies, and is sometimes more, sometimes less, as the circumstances we are in +require .... This ebbing and flowing of money, supplies and accommodates itself, without any +aid of Politicians .... The buckets work alternately; when money is scarce, bullion is coined; 30 +when bullion is scarce, money is melted." (Sir D.North I.e. [Postscript] p.III.) John Stuart +Mill, lange Zeit Beamter der ostindischen Kompagnie, bestätigt, daß in Indien immer noch +der Silberschmuck unmittelbar als Schatz funktionirt. Die ,,silver ornaments are brought out +and coined when there is a high rate of interest, and go back again when the rate of interest +falls". (J. St. Mill's Evidence. Repts. on Bankacts 1857, n.2084, 2101.) Nach einem parlamen- 35 +tarischen Dokument von 1864 über Gold- und Silber-Import und Export in Indien, überstieg +1863 der Import von Gold und Silber den Export um 19 367 764 Pfd. St. In den letzten 8 Jah- +ren vor 1864 betrug der Excess des Imports über den Export der edlen Metalle +109 652 917 Pfd. St. Während dieses Jahrhunderts wurden weit über 200 000 000 Pfd. St. in In- +dien gemünzt. + +40 + +124 + + Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation + +b) Zahlungsmittel. + +In der bisher betrachteten unmittelbaren Form der Waarencirkulation war +dieselbe Werthgröße stets doppelt vorhanden, Waare auf dem einen Pol, +Geld auf dem Gegenpol. Die Waarenbesitzer traten daher nur in Kontakt +5 als Repräsentanten wechselseitig vorhandner Aequivalente. Mit der Ent- +wicklung der Waarencirkulation entwickeln sich jedoch Verhältnisse, wo- +durch die Veräußerung der Waare von der Realisirung ihres Preises zeit- +lich getrennt wird. Es genügt die einfachsten dieser Verhältnisse hier +anzudeuten. Die eine Waarenart erheischt längere, die andere kürzere +10 Zeitdauer zu ihrer Produktion. Die Produktion verschiedner Waaren ist an +verschiedne Jahreszeiten geknüpft. Die eine Waare wird auf ihrem Markt- +platz geboren, die andre muß zu entferntem Markt reisen. Der eine Waa- +renbesitzer kann daher als Verkäufer auftreten, bevor der andre als Käufer. +Bei steter Wiederkehr derselben Transaktionen unter denselben Personen +regeln sich die Verkaufsbedingungen der Waaren nach ihren Produktions- +bedingungen. Andrerseits wird die Benutzung gewisser Waarenarten, z . B . +eines Hauses, für einen bestimmten Zeitraum verkauft. Erst nach Ablauf +des Termins hat der Käufer den Gebrauchswerth der Waare wirklich erhal- +ten. Er kauft sie daher, bevor er sie zahlt. Der eine Waarenbesitzer verkauft +20 vorhandne Waare, der andre kauft als bloßer Repräsentant von Geld oder +als Repräsentant von künftigem Gelde. Der Verkäufer wird Gläubiger, der +Käufer Schuldner. Da die Metamorphose der Waare oder die Entwick-| +|99|lung ihrer Werthform sich hier verändert, erhält auch das Geld eine +andre Funktion. Es wird Zahlungsmittel 9 6). + +15 + +25 + +30 + +35 + +Der Charakter von Gläubiger oder Schuldner entspringt hier aus der ein- +fachen Waarencirkulation. Ihre Formveränderung drückt dem Verkäufer +und Käufer diese neuen Stempel auf. Zunächst also sind es ebenso ver- +schwindende und wechselweis von denselben Cirkulationsagenten ge- +spielte Rollen wie die von Verkäufer und Käufer. Jedoch sieht der Gegen- +satz +ist größerer +!Crystallisation fähig 9 7). Dieselben Charaktere können aber auch von der +Waarencirkulation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der antiken +Welt z . B . bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes zwischen + +jetzt von Haus aus minder gemüthlich aus und + +9 6 ) Luther unterscheidet zwischen Geld als Kaufmittel und Zahlungsmittel. „Machest mir +einen Zwilling aus dem Schadewacht, das ich hie nicht bezalen und dort nicht kauffen kann." +(Martin Luther: „An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen. Wittemberg 1540".) +9 7 ) Ueber die Schuldner- und Gläubigerverhältnisse unter den englischen Handelsleuten An- +fang des 18. Jahrhunderts: "Such a spirit of cruelty reigns here in England among the men of +trade, that is not to be met with in any other society of men, nor in any other kingdom of the + +40 world." („An Essay on Credit and the Bankrupt Act, Lond. 1707", p. 2.) + +125 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Gläubiger und Schuldner, und endet in Rom mit dem Untergang des ple- +bejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im Mittelalter +endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine +politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüßt. Indeß spiegelt die +Geldform - und das Verhältniß von Gläubiger und Schuldner besitzt die +Form eines Geldverhältnisses - hier nur den Antagonismus tiefer liegen- +der ökonomischer Lebensbedingungen wieder. + +5 + +Kehren wir zur Sphäre der Waarencirkulation zurück. Die gleichzeitige +Erscheinung der Aequivalente Waare und Geld auf den beiden Polen des +Verkaufsprocesses hat aufgehört. Das Geld funktionirt jetzt erstens als 10 +Werthmaß in der Preisbestimmung der verkauften Waare. Ihr kontraktlich +festgesetzter Preis mißt die Obligation des Käufers, d. h. die Geldsumme, +die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktionirt zweitens als ide- +elles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geldversprechen des Käufers existirt, +bewirkt es den Händewechsel der Waare. Erst am fälligen Zahlungstermin +tritt das Zahlungsmittel wirklich in Cirkulation, d.h. geht aus der Hand des +Käufers in die des Verkäufers über. Das Cirkulationsmittel verwandelte +sich in Schatz, weil der Cirkulationsproceß mit der ersten Phase abbrach +oder die verwandelte Gestalt der Waare der Cirkulation entzogen wurde. +Das ||100| Zahlungsmittel tritt in die Cirkulation hinein, aber nachdem die 20 +Waare bereits aus ihr ausgetreten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den +Proceß. Es schließt ihn selbständig ab, als absolutes Dasein des Tausch- +werths oder allgemeine Waare. Der Verkäufer verwandelte Waare in Geld, +um ein Bedürfniß durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um +die Waare in Geldform zu präserviren, der schuldige Käufer, um zahlen zu 25 +können. Zahlt er nicht, so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die +Werthgestalt der Waare, Geld, wird also jetzt zum Selbstzweck des Ver- +kaufs durch eine den Verhältnissen des Cirkulationsprocesses selbst ent- +springende, gesellschaftliche Nothwendigkeit. + +15 + +Der Käufer verwandelt Geld zurück in Waare, bevor er Waare in Geld 30 + +verwandelt hat, oder vollzieht die zweite Waarenmetamorphose vor der er- +sten. Die Waare des Verkäufers cirkulirt, realisirt ihren Preis aber nur in +einem privatrechtlichen Titel auf Geld. Sie verwandelt sich in Gebrauchs- +werth, bevor sie sich in Geld verwandelt hat. Die Vollziehung ihrer ersten +Metamorphose folgt erst nachträglich 9 8). + +35 + +9 8 ) Note zur 2. Ausg. Aus folgendem, meiner 1859 erschienenen Schrift entlehnten Citat wird +man sehn, warum ich im Text keine Rücksicht nehme auf eine entgegengesetzte Form: „Um- +gekehrt kann im Proceß G-W das Geld als wirkliches Kaufmittel entäußert und der Preis der +Waare so realisirt werden, ehe der Gebrauchswerth des Geldes realisirt oder die. Waare veräu- +ßert wird. Dieß findet z. B. statt in der alltäglichen Form der Pränumeration. Oder in der 40 +Form, worin die englische Regierung das Opium der Ryots in Indien kauft. So wirkt jedoch +das Geld nur in der schon bekannten Form des Kaufmittels .... Kapital wird natürlich auch in + +126 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +In jedem bestimmten Zeitabschnitt des Cirkulationsprocesses repräsenti- +ren die fälligen Obligationen die Preissumme der Waaren, deren Verkauf +sie hervorrief. Die zur Realisirung dieser Preissumme nöthige Geldmasse +hängt zunächst ab von der Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel. +5 Sie ist bedingt durch zwei Umstände: die Verkettung der Verhältnisse von +Gläubiger und Schuldner, so daß A, der Geld von seinem Schuldner B er- +hält, es an seinen Gläubiger C fortzahlt u. s. w. - und die Zeitlänge zwi- +schen den verschiednen Zahlungsterminen. Die processirende Kette von +Zahlungen oder nachträglichen ersten Metamorphosen unterscheidet sich +10 wesentlich von der früher betrachteten Verschlingung der Metamorphosen- +reihen. Im Umlauf des Cirkulationsmittels wird der Zusammenhang zwi- +schen Verkäufern und Käufern nicht nur ausgedrückt. Der Zusammenhang +selbst entsteht erst ||101| in und mit dem Geldumlauf. Dagegen drückt die +Bewegung des Zahlungsmittels einen schon vor ihr fertig vorhandnen ge- + +15 sellschaftlichen Zusammenhang aus. + +Gleichzeitigkeit und Nebeneinander der Verkäufe beschränken den Er- +satz der Münzmasse durch Umlaufsgeschwindigkeit. Sie bilden umgekehrt +einen neuen Hebel in der Oekonomie der Zahlungsmittel. Mit der Koncen- +tration der Zahlungen an demselben Platz entwickeln sich naturwüchsig +20 eigne Anstalten und Methoden ihrer Ausgleichung. So z . B . die virements +im mittelaltrigen Lyon. Die Schuldforderungen von A an Β, B an C, C an A +u. s. w. brauchen bloß konfrontirt zu werden, um sich wechselseitig bis zu +einem gewissen Belauf als positive und negative Größen aufzuheben. So +bleibt nur eine Schuldbilanz zu saldiren. Je massenhafter die Koncentra- +tion der Zahlungen, desto kleiner relativ die Bilanz, also die Masse der cir- +kulirenden Zahlungsmittel. + +25 + +30 + +Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt einen unvermittel- +ten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen ausgleichen, funktionirt +es nur ideell als Rechengeld oder Maß der Werthe. Soweit wirkliche Zah- +lung zu verrichten, tritt es nicht als Cirkulationsmittel auf, als nur ver- +schwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die in- +dividuelle Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbständiges Dasein +des Tauschwerths, absolute Waare. Dieser Widerspruch eklatirt in dem +Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise h e i ß t " ) . Sie +35 ereignet sich nur, wo die processirende Kette der Zahlungen und ein künst- + +der Form des Geldes avancirt ... Dieser Gesichtspunkt fällt aber nicht in den Horizont der +einfachen Cirkulation." (Zur Kritik etc. p. 119, 120.) +") Die Geldkrise, wie im Text bestimmt als besondre Phase jeder allgemeinen Produktions- +und Handelskrise, ist wohl zu unterscheiden von der speciellen Sorte der Krise, die man auch +40 Geldkrise nennt, die aber selbständig auftreten kann, sodaß sie auf Industrie und Handel nur +rückschlagend wirkt. Es sind dieß Krisen, deren Bewegungscentrum das Geld-Kapital ist, und +daher Bank, Börse, Finanz ihre unmittelbare Sphäre. (Note von M. zur 3. Aufl.) + +127 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +liches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind. Mit allgemeineren +Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer entspringen mögen, +schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen Ge- +stalt des Rechengeldes in hartes Geld. Es wird unersetzlich durch profane +Waaren. Der Gebrauchswerth der Waare wird werthlos und ihr Werth ver- +schwindet vor seiner eignen Werthform. Eben noch erklärte der Bürger in +prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur +die Waare ist Geld. Nur das Geld ist Waare! gellt's jetzt über den | +11021 Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit +seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichthum 1 0 0). In der Krise wird der 10 +Gegensatz zwischen der Waare und ihrer Werthgestalt, dem Geld, bis zum +absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungsform des Geldes ist +hier daher auch gleichgültig. Die Geldhungersnoth bleibt dieselbe, ob in +Gold oder Kreditgeld, Banknoten etwa, zu zahlen i s t 1 0 1 ) . + +5 + +Betrachten wir nun die Gesammtsumme des in einem gegebnen Zeitab- 15 + +schnitt umlaufenden Geldes, so ist sie, bei gegebner Umlaufsgeschwindig- +keit der Cirkulations- und Zahlungsmittel, gleich der Summe der zu reali- +sirenden Waarenpreise plus der Summe der fälligen Zahlungen, minus der +sich ausgleichenden Zahlungen, minus endlich der Anzahl Umläufe, worin +dasselbe Geldstück abwechselnd bald als Cirkulations-, bald als Zahlungs- 20 +mittel funktionirt. Z . B . der Bauer verkauft sein Getreide für 2 Pfd. St., die +so als Cirkulationsmittel dienen. Am Verfalltag zahlt er damit Leinwand, +die ihm der Weber geliefert hat. Dieselben 2 Pfd. St. funktioniren jetzt als +Zahlungsmittel. Der Weber kauft nun eine Bibel gegen baar, - sie funktio- +niren von Neuem als Cirkulationsmittel - u.s.w. Selbst Preise, Geschwin- 25 +digkeit des Geldumlaufs, und Oekonomie der Zahlungen gegeben, decken +sich daher nicht länger die während einer Periode, eines Tags z.B., umlau- +fende Geldmasse und cirkulirende Waarenmasse. Es läuft Geld um, das + +1 0°) „Dieses plötzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetarsystem fügt den +theoretischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Cirkulationsagenten schaudern vor 30 +dem undurchdringlichen Geheimniß ihrer eignen Verhältnisse." (Karl Marx I.e. p. 126.) "The +Poor stand still, because the Rich have no Money to employ them, though they have the same +land and hands to provide victuals and cloaths, as ever they had; which is the true Riches of a +Nation, and not the Money." (John Bellers: ,,Proposals for raising a Colledge of Industry. +Lond. 1696", p. 3, 4.) +1 0 1 ) Wie solche Momente von den ,,amis du commerce" ausgebeutet werden: "On one occa- +sion (1839) an old grasping banker (der City) in his private room raised the lid of the desk he +sat over, and displayed to a friend rolls of banknotes, saying with intense glee there were +600 000 £ of them, they were held to make money tight, and would all be let out after three +o'clock on the same day." (,,The Theory of the Exchanges. The Bank Charter Act of 1844. 40 +Lond. 1864", p. 81.) Das halboffîcielle Organ, ,,The Observer", bemerkt am 24. April 1864: +"Some very curious rumours are current of the means which have been resorted to in order to +create a scarcity of Banknotes ... Questionable as it would seem, to suppose that any trick of +the kind would be adopted, the report has been so universal that it really deserves mention." + +35 + +128 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +der Cirkulation längst entzogne Waaren repräsentirt. Es laufen Waaren + +um, deren Geldäquivalent erst in der Zukunft erscheint. Andrer]1103 |seits + +sind die jeden Tag kontrahirten und die denselben Tag fälligen Zahlungen + +durchaus inkommensurable G r ö ß e n 1 0 2 ) . + +5 + +Das Kreditgeld entspringt unmittelbar aus der Funktion des Geldes als + +Zahlungsmittel, indem Schuldcertifikate für die verkauften Waaren selbst + +wieder zur Uebertragung der Schuldforderungen cirkuliren. Andrerseits, + +wie sich das Kreditwesen ausdehnt, so die Funktion des Geldes als Zah- + +lungsmittel. Als solches erhält es eigne Existenzformen, worin es die + +10 Sphäre der großen Handelstransaktionen behaust, während die Gold- oder + +Silbermünze hauptsächlich in die Sphäre des Kleinhandels zurückgedrängt + +wird 1 0 3). + +B e i gewissem Höhegrad und Umfang der Waarenproduktion greift die + +Funktion des Geldes als Zahlungsmittel über die Sphäre der Waarencirku- + +15 + +lation hinaus. Es wird die allgemeine Waare der Kontrakte 1 0 4). Renten, + +20 + +1 0 2 ) "The amount of sales or contracts entered upon during the course of any given day, will +not affect the quantity of money afloat on that particular day, but, in the vast majority of +cases, will resolve themselves into multifarious drafts upon the quantity of money which may +be afloat at subsequent dates more or less distant ... The bills granted or credits opened, to +day, need have no resemblance whatever, either in quantity, amount or duration, to those +granted or entered upon to-morrow or next day; nay, many of to-day's bills and credits, when +due, fall in with a mass of liabilities whose origins traverse a range of antecedent dates alto- +gether indefinite, bills at 12, 6, 3 months or 1 often aggregating together to swell the common +liabilities of one particular day." (,,The Currency Theory Reviewed; a letter to the Scotch peo- + +25 pie. By a Banker in England. Edinburgh 1845", p. 29, 30 passim.) + +1 0 3 ) Als Beispiel wie wenig reelles Geld in die eigentlichen Handelsoperationen eingeht, folgt +hier das Schema eines der größten Londoner Handelshäuser (Morrison, Dillon & Co.) über +seine jährlichen Geldeinnahmen und Zahlungen. Seine Transaktionen im Jahr 1856, die viele +Millionen Pf. St. umfassen, sind auf den Maßstab einer Million verkürzt. + +30 + +Einnahmen. + +Ausgaben. + +Wechsel von Banquiers +und Kaufleuten +nach Datum zahlbar: +Cheques von Banquiers +etc. bei Sicht zahlbar: +Landbank-Noten: +Noten der Bank +von England: +Gold: +Silber und Kupfer: +Post Office Orders: +Totalsumme: + +Wechsel nach Datum +zahlbar: + +Pf. St. + +302 674 + +Pf. St. + +533 596 + +357715 + +Cheques auf Londoner +Banquiers: + +9627 Noten der Bank + +von England: + +» + +55 + +55 + +55 +Pf. St. + +68 554 Gold: +28089 +1486 +933 +1000000 + +Totalsumme: + +Silber und Kupfer: + +» + +» + +» + +663 672 + +22 743 +9 427 +1484 + +Pf. St. + +1000 000 + +(Report from the Select Committee on the Bankacts. July 1858, p. LXXL) + +45 + +1 0 4 ) "The Course of Trade being thus turned, from exchanging of goods for goods, or deliver- +ing and taking, to selling and paying, all the bargains .... are now stated upon the foot of a +Price in Money." („An Essay upon Publick Credit. 3. ed. Lond. 1710", p. 8.) + +129 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +Steuern u.s.w. verwandeln sich aus ||104| Naturallieferungen in Geldzah- +lungen. Wie sehr diese Umwandlung durch die Gesammtgestalt des Pro- +duktionsprocesses bedingt wird, beweist z . B . der zweimal gescheiterte Ver- +such des römischen Kaiserreichs alle Abgaben in Geld zu erheben. Das +ungeheure Elend des französischen Landvolks unter Ludwig X I V . , das +Boisguillebert, Marschall Vauban u. s. w. so beredt denunciren, war nicht +nur der Steuerhöhe geschuldet, sondern auch der Verwandlung von Natu- +ralsteuer in Geldsteuer 1 0 5)- Wenn andrerseits die Naturalform der Grund- +rente, in Asien zugleich das Hauptelement der Staatssteuer, dort auf Pro- +duktionsverhältnissen beruht, welche sich mit der Unwandelbarkeit von 10 +Naturverhältnissen reproduciren, erhält jene Zahlungsform rückwirkend +die alte Produktionsform. Sie bildet eines der Selbsterhaltungsgeheimnisse +des türkischen Reichs. Zieht der durch Europa aufoctroyirte auswärtige +Handel in Japan die Verwandlung von Naturairente in Geldrente nach +sich, so ist es um seine musterhafte Agrikultur geschehn. Ihre engen öko- 15 +nomischen Existenzbedingungen werden sich auflösen. + +5 + +In jedem Land setzen sich gewisse allgemeine Zahlungstermine fest. Sie +beruhn theilweis, von andren Cirkelläufen der Reproduktion abgesehn, auf +den an Wechsel der Jahreszeit gebundnen Naturbedingungen der Produk- +tion. Sie regeln ebenso Zahlungen, die nicht direkt der Waarencirkulation 20 +entspringen, wie Steuern, Renten u.s.w. Die Geldmasse, die zu diesen über +die ganze Oberfläche der Gesellschaft zersplitterten Zahlungen an gewis- +sen Tagen des Jahres erheischt ist, verursacht periodische, aber ganz ober- +flächliche Perturbationen in der Oekonomie der Zahlungsmittel 1 0 6). Aus +dem Gesetz über die Umlaufsgeschwindigkeit der ||105| Zahlungsmittel 25 + +1 0 5 ) «L'argent est devenu le bourreau de toutes les choses.» Die Finanzkunst ist das ,,alambic +qui a fait évaporer une quantité effroyable de biens et de denrées pour faire ce fatal précis". +«L'argent déclare la guerre à tout le genre humain.» (Boisguillebert: „Dissertation sur la na- +ture des richesses, de l'argent et des tributs", édit. Daire, ,,Économistes financiers". Paris +1843, 1.1, p. 413, 419, 417, 418.) +1 0 6 ) „Pfingstmontag 1824", erzählt Herr Craig dem parlamentarischen Untersuchungscomité +von 1826, „war eine solche ungeheure Nachfrage für Banknoten in Edinburg, daß wir um +11 Uhr keine einzige Note mehr in unsrem Verwahrsam hatten. Wir sandten der Reihe nach +zu den verschiednen Banken um welche zu borgen, konnten aber keine erhalten, und viele +Transaktionen konnten nur durch slips of paper berichtigt werden. Um 3 Uhr Nachmittags je- 35 +doch waren bereits sämmtliche Noten returnirt zu den Banken, von denen sie ausliefen. Sie +hatten nur die Hände gewechselt." „Obgleich die effektive Durchschnittscirkulation der Bank- +noten in Schottland weniger als 3 Mill. Pf. St. beträgt, wird dennoch, an verschiednen Zah- +lungsterminen im Jahr, jede im Besitz der Banquiers befindliche Note,.alles in allem ungefähr +7 Mill. Pf. St., in Aktivität gerufen. Bei diesen Gelegenheiten haben die Noten eine einzige 40 +und specifische Funktion zu vollziehen und sobald sie vollzogen, fließen sie zu den respekti- +ven Banken zurück, von denen sie ausliefen." (John Fullarton: „Regulation of Currencies. +2nd ed. Lond. 1845" p.86, 87 Nte.) Zum Verständniß ist hinzuzufügen, daß in Schottland zur +Zeit von Fullarton's Schrift nicht cheques, sondern nur Noten für die Deposits ausgegeben +wurden. + +45 + +30 + +130 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +folgt, daß für alle periodischen Zahlungen, welches immer ihre Quelle, die +nothwendige Masse der Zahlungsmittel in umgekehrtem Verhältniß zur +Länge der Zahlungsperioden steht 1 0 7). + +5 + +Die Entwicklung des Geldes als Zahlungsmittel ernöthigt Geldakkumu- +lationen für die Verfalltermine der geschuldeten Summen. Während die +Schatzbildung als selbständige Bereicherungsform verschwindet mit dem +Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft, wächst sie umgekehrt mit dem- +selben in der Form von Reservefonds der Zahlungsmittel. + +c) Weltgeld. + +10 Mit dem Austritt aus der innern Cirkulationssphäre streift das Geld die +dort aufschießenden Lokalformen von Maßstab der Preise, Münze, Schei- +demünze und Werthzeichen wieder ab und fällt in die ursprüngliche Bar- +renform der edlen Metalle zurück. Im Welthandel entfalten die Waaren +ihren Werth universell. Ihre selbständige Werthgestalt tritt ihnen daher +15 hier auch gegenüber als Weltgeld. Erst auf dem Weltmarkt funktionirt das +Geld in vollem Umfang als die Waare, deren Naturalform zugleich unmit- +telbar gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit in +abstracto ist. Seine Daseinsweise wird seinem Begriff adäquat. + +In der innern Cirkulationssphäre kann nur eine Waare zum Werthmaß +20 und daher als Geld dienen. Auf dem Weltmarkt herrscht doppeltes Werth- + +maß, Gold und Silber 1 0 8). | + +1 0 7 ) Auf die Frage „if there were occasion to raise 40 millions p. a., whether the same 6 mil- +lions (Gold) would suffice for such revolutions and circulations thereof as trade requires?", +antwortet Petty mit seiner gewohnten Meisterschaft: "I answer yes: for the expense being +25 40 millions, if the revolutions were in such short circles, viz. weekly, as happens among poor +artizans and labourers, who receive and pay every Saturday, then 4% 2 parts of 1 million of mon- +ey would answer these ends; but if the circles be quarterly, according to our custom of paying +rent, and gathering taxes, then 10 millions were requisite. Wherefore supposing payments in +general to be of a mixed circle between one week and 13, then add 10 millions to 4% 2, the half +30 of the which will be 5½, so as if we have 5% mill., we have enough." (William Petty: ,,Political + +Anatomy of Ireland. 1672", edit. Lond. 1691, p. 13, 14.) +1 0 8 ) Daher die Abgeschmacktheit jeder Gesetzgebung, die den Nationalbanken vorschreibt, +nur das edle Metall aufzuschatzen, das im Innern des Landes als Geld funktionirt. Die so +selbstgeschaffnen „holden Hindernisse" der Bank von England z.B. sind bekannt. Ueber die +35 großen historischen Epochen des relativen Werthwechsels von Gold und Silber sieh Karl +Marx I.e. p. 136 sq. Zusatz zur 2.Ausgabe: Sir Robert Peel suchte in seinem Bankact von 1844 +dem Mißstand dadurch abzuhelfen, daß er der Bank von England erlaubte, Noten auf Silber- +bullion auszugeben, so daß jedoch der Silbervorrath nie mehr als ein Viertel des Goldvor- +raths. Der Silberwerth wird dabei geschätzt nach seinem Marktpreis (in Gold) auf dem Londo- +40 ner Markt. (Zur 4. Auflage. - Wir befinden uns wieder in einer Epoche starken relativen +Werthwechsels von Gold und Silber. Vor etwa 25 Jahren war das Werthverhältniß des Goldes +zum Silber = 15½ : 1, jetzt ist es ungefähr = 22 : 1 , und Silber fällt noch fortwährend gegen +Gold. Dieß ist wesentlich Folge einer Umwälzung in der Produktionsweise beider Metalle. + +131 + + Erster Abschnitt • Ware und Geld + +11061 Das Weltgeld funktionirt als allgemeines Zahlungsmittel, allgemei- +nes Kaufmittel und absolut gesellschaftliche Materiatur des Reichthums +überhaupt (universal wealth). Die Funktion als Zahlungsmittel, zur Aus- +gleichung internationaler Bilanzen, herrscht vor. Daher das Losungswort +des Merkantilsystems - Handelsbilanz 1 0 9)! Zum internationalen Kaufmit- +tel dienen Gold und Silber ||107| wesentlich, so oft das herkömmliche +Gleichgewicht des Stoffwechsels zwischen verschiednen Nationen plötz- +lich gestört wird. Endlich als absolut gesellschaftliche Materiatur des + +5 + +15 + +Früher wurde Gold fast nur durch Auswaschen goldhaltiger Alluvialschichten, der Verwitte- +rungsprodukte goldhaltiger Gesteine, gewonnen. Jetzt reicht diese Methode nicht mehr aus 10 +und ist in den Hintergrund gedrängt durch die früher nur in zweiter Linie betriebne, obwohl +schon den Alten (Diodor III, 12-14) wohlbekannte Bearbeitung der goldhaltigen Quarzgänge +selbst. Andrerseits wurden nicht nur im Westen der amerikanischen Felsengebirge ungeheure +neue Silberlager entdeckt, sondern diese und die mexikanischen Silbergruben durch Eisen- +bahnen erschlossen, die Zufuhr von moderner Maschinerie und von Brennstoff, und dadurch +Silbergewinnung auf größtem Maßstab und mit geringeren Kosten ermöglicht. Es besteht aber +ein großer Unterschied in der Art, wie beide Metalle in den Erzgängen vorkommen. Das Gold +ist meist gediegen, aber dafür in winzig kleinen Mengen im Quarz zerstreut; die ganze Gang- +art muß daher zerstampft und das Gold ausgewaschen, resp. durch Quecksilber ausgezogen +werden. Auf 1000 000 Gramm Quarz kommt dann oft kaum 1-3, sehr selten 30-60 Gramm 20 +Gold. Silber kommt selten gediegen, dafür aber in eignen, verhältnißmäßig leicht von der +Gangart zu trennenden Erzen vor, die meist von 40-90 Procent Silber enthalten; oder aber es +ist in geringeren Mengen enthalten in den, an sich schon Bearbeitung lohnenden Erzen von +Kupfer, Blei etc. Schon hieraus geht hervor, daß, während die Produktionsarbeit des Goldes +sich eher vermehrt, die des Silbers sich entschieden vermindert hat, der Werthfall des letztren 25 +sich also ganz natürlich erklärt. Dieser Werthfall würde sich in noch größrem Preisfall aus- +drücken, würde nicht der Silberpreis auch jetzt noch durch künstliche Mittel hoch gehalten. +Die Silberschätze von Amerika sind aber erst zum kleinen Theil zugänglich gemacht, und so +ist alle Aussicht vorhanden, daß der Silberwerth noch längere Zeit am Sinken bleibt. Hierzu +muß noch mehr beitragen die relative Abnahme des Silberbedarfs für Gebrauchs- und Luxus- 30 +artikel, sein Ersatz durch plättirte Waaren, Aluminium etc. Danach ermesse man den Utopis- +mus der bimetallistischen Vorstellung, ein internationaler Zwangskurs werde das Silber auf +das alte Werthverhältniß von 1:15½ wieder hinaufschrauben. Eher dürfte das Silber auch auf +dem Weltmarkt seine Geldqualität mehr und mehr einbüßen. - F. E.) +1 0 9 ) Die Gegner des Merkantilsystems, welches die Saldirung überschüssiger Handelsbilanz 35 +durch Gold und Silber als Zweck des Welthandels behandelte, verkannten ihrerseits durchaus +die Funktion des Weltgeldes. Wie die falsche Auffassung der Gesetze, welche die Masse der +Cirkulationsmittel regeln, sich in der falschen Auffassung der internationalen Bewegung der +edlen Metalle nur wiederspiegelt, habe ich ausführlich an Ricardo nachgewiesen (1. c. p. 150 +sqq.) Sein falsches Dogma: "An unfavourable balance of trade never arises but from a redun- 40 +dant currency ... The exportation of the coin is caused by its cheapness, and is not the effect, +but the cause of an unfavourable balance" findet man daher schon bei Barbon: "The Balance +of Trade, if there be one, is not the cause of sending away the money out of a nation: but that +proceeds from the difference of the value of Bullion in every country." (N. Barbon I.e. p. 59.) +MacCulloch in ,,The Literature of Political Economy, a classified catalogue. Lond. 1845" be- 45 +lobt Barbon für diese Anticipation, vermeidet aber wohlweislich die naiven Formen, worin bei +B. die absurden Voraussetzungen des „currency principle" noch erscheinen, auch nur zu er- +wähnen. Die Kritiklosigkeit und selbst Unehrlichkeit jenes Katalogs gipfeln in den Abschnit- +ten über die Geschichte der Geldtheorie, weil MacCulloch hier als Sykophant des Lord Over- +stone (ex-banker Loyd), den er ,,facile prineeps argentariorum" nennt, schwanzwedelt. + +50 + +132 + + Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation + +Reichthums, wo es sich weder um Kauf noch Zahlung handelt, sondern um +Uebertragung des Reichthums von einem Land zum andren, und wo diese +Uebertragung in Waarenform entweder durch die Konjunkturen des Waa- +renmarkts oder den zu erfüllenden Zweck selbst ausgeschlossen wird 1 1 0). +5 Wie für seine innere Cirkulation, braucht jedes Land für die Weltmarkts- +cirkulation einen Reservefonds. Die Funktionen der Schätze entspringen +also theils aus der Funktion des Geldes als inneres Cirkulations- und Zah- +lungsmittel, theils aus seiner Funktion als W e l t g e l d 1 1 0 a ) . In der letzteren +Rolle ist stets die wirkliche Geldwaare, leibhaftes Gold und Silber, er- +10 heischt, weßwegen James Steuart Gold und Silber, im Unterschied von +ihren nur lokalen Stellvertretern, ausdrücklich als money of the world cha- +rakterisirt. + +Die Bewegung des Gold- und S üb er Stroms ist eine doppelte. Einerseits +wälzt er sich von seinen Quellen über den ganzen Weltmarkt, wo er von +15 den verschiednen nationalen Cirkulationssphären in verschiednem Um- +fang abgefangen wird, um in ihre inneren Umlaufskanäle einzugehn, ver- +schlissene Gold- und Silbermünzen zu ersetzen, das Material von Luxus- +waaren zu liefern und zu Schätzen ||108| zu erstarren 1 1 1). Diese erste +Bewegung ist vermittelt durch direkten Austausch der in Waaren realisir- +ten Nationalarbeiten mit der in edlen Metallen realisirten Arbeit der Gold +und Silber producirenden Länder. Andrerseits laufen Gold und Silber fort- +während hin und her zwischen den verschiednen nationalen Cirkulations- +sphären, eine Bewegung, die den unaufhörlichen Oscillationen des Wech- +selkurses folgt 1 1 2). + +20 + +25 + +Länder entwickelter bürgerlicher Produktion beschränken die in Bankre- +servoirs massenhaft koncentrirten Schätze auf das zu ihren specifîschen + +35 + +n o ) Z.B. bei Subsidien, Geldanleihen zur Kriegführung oder zur Wiederaufnahme der Baar- +zahlungen von Banken u. s. w. kann Werth grade in der Geldform erheischt sein. +1 1 0 a ) Note zur 2. Ausgabe. "I would desire, indeed, no more convincing evidence of the com- +30 petency of the machinery of the hoards in specie-paying countries to perform every necessary +office of international adjustment, without any sensible aid from the general circulation, than +the facility with which France, when but just recovering from the shock of a destructive for- +eign invasion, completed within the space of 27 months the payment of her forced contribu- +tion of nearly 20 millions to the allied powers, and a considerable proportion of that sum in +specie, without perceptible contraction or derangement of her domestic currency, or even any +alarming fluctuation of her exchange." (Fullarton 1. c. p. 141.) (Zur 4. Auflage. - Ein noch +schlagenderes Beispiel haben wir in der Leichtigkeit, womit dasselbe Frankreich 1871-73 in +30 Monaten eine mehr als zehnfach größere Kriegsentschädigung, ebenfalls zum bedeuten- +den Theil in Metallgeld, abzutragen im Stande war. - F. E.) +m) «L'argent se partage entre les nations relativement au besoin qu'elles en ont ... étant tou- +jours attiré par les productions.» (Le Trosne I.e. p.916.) "The mines which are continually giv- +ing gold and silver, do give sufficient to supply such a needful balance to every nation." +(J. Vanderlint 1. c. p. 40.) +1 1 2 ) "Exchanges rise and fall every week, and at some particular times in the year run high + +40 + +45 against a nation, and at other times run as high on the contrary." (N. Barbon 1. c. p. 39.) + +133 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +Funktionen erheischte Minimum 1 1 3). Mit gewisser Ausnahme zeigt auffal- +lendes Ueberfüllen der Schatzreservoirs über ihr Durchschnittsniveau +Stockung der Waarencirkulation an oder unterbrochenen Fluß der Waa- +renmetamorphose 1 1 4). | + +|109| Z W E I T E R A B S C H N I T T . + +5 + +Die Vejwandlung von Geld in Kapital + +V I E R T E S K A P I T E L . + +Verwandlung von Geld in Kapital. + +1. Die allgemeine Formel des Kapitals. + +Die Waarencirkulation ist der Ausgangspunkt des Kapitals. Waarenpro- 10 +duktion und entwickelte Waarencirkulation, Handel, bilden die histori- +schen Voraussetzungen, unter denen es entsteht. Welthandel und Welt- +markt eröffnen im 16. Jahrhundert die moderne Lebensgeschichte des +Kapitals. + +Sehn wir ab vom stofflichen Inhalt der Waarencirkulation, vom Aus- 15 + +tausch der verschiednen Gebrauchswerthe, und betrachten wir nur die öko- +nomischen Formen, die dieser Proceß erzeugt, so finden wir als sein letztes +Produkt das Geld. Dies letzte Produkt der Waarencirkulation ist die erste +Erscheinungsform des Kapitals. + +Historisch tritt das Kapital dem Grundeigenthum überall zunächst in 20 + +der Form von Geld gegenüber, als Geldvermögen, Kaufmannskapital und + +1 1 3 ) Diese verschiednen Funktionen können in gefährlichen Konflikt gerathen, sobald die +Funktion eines Konversionsfonds für Banknoten hinzutritt. +1 1 4 ) "What money is more than of absolute necessity for a Home Trade, is dead stock, and +brings no profit to that country it's kept in, but as it is transported in Trade, as well as im- 25 +ported." (John Bellers 1. c. p. 13.) "What if we have too much coin? We may melt down the +heaviest and turn it into the splendour of plate, vessels or utensils of gold and silver; or send it +out as a commodity, where the same is wanted or desired; or let it out at interest, where inter- +est is high." (W.Petty: „Quantulumcunque", p. 39.) "Money is but the fat of the Body Politick, +whereof too much does as often hinder its agility, as too little makes it sick ... as fat lubricates 30 +the motion of the muscles, feeds in want of victuals, fills up uneven cavities, and beautifies +the body; so doth money in the state quicken its action, feeds from abroad in time of dearth at +home; evens accounts ... and beautifies the whole; although", ironisch abschließend, "more +especially the particular persons that have it in plenty." (W. Petty: ,,Political anatomy of Ire- +land" p. 14, 15.) + +35 + +134 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +Wucherkapital 1). Jedoch bedarf es nicht des Rückblicks auf die Entste- +hungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine erste Erscheinungs- +form zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt täglich vor unsren Augen. J e - +des neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d. h. den Markt, +5 Waarenmarkt, Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, + +das sich durch bestimmte Processe in Kapital verwandeln soll. + +Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunächst nur + +durch ihre verschiedne Cirkulationsform. + +Die unmittelbare Form der Waarencirkulation ist W-G-W, Verwandlung +10 von Waare in Geld und Rückverwandlung von Geld in Waare, verkaufen +um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, specifisch +unterschiedne vor, die Form G-W-G, Verwandlung von Geld in Waare und +Rückver| 11101Wandlung von Waare in Geld, kaufen um zu verkaufen. Geld, +das in seiner Bewegung diese letztre Cirkulation beschreibt, verwandelt +sich in Kapital, wird Kapital und ist schon seiner Bestimmung nach Kapi- +tal. + +15 + +Sehn wir uns die Cirkulation G-W-G näher an. Sie durchläuft, gleich der +einfachen Waarencirkulation, zwei entgegengesetzte Phasen. In der ersten +Phase, G-W, Kauf, wird das Geld in Waare verwandelt. In der zweiten +20 Phase, W-G 5 Verkauf, wird die Waare in Geld rückverwandelt. Die Einheit +beider Phasen aber ist die Gesammtbewegung, welche Geld gegen Waare +und dieselbe Waare wieder gegen Geld austauscht, Waare kauft um sie zu +verkaufen, oder wenn man die formellen Unterschiede von Kauf und Ver- +kauf vernachlässigt, mit dem Geld Waare und mit der Waare Geld kauft 2). +25 Das Resultat, worin der ganze Proceß erlischt, ist Austausch von Geld ge- +gen Geld, G-G. Wenn ich für 100 Pfd. St. 2000 Pfd. Baumwolle kaufe und +die 2000 Pfd. Baumwolle wieder für 110 Pfd. St. verkaufe, so habe ich +schließlich 100 Pfd. St. gegen 110 Pfd. St. ausgetauscht, Geld gegen Geld. +Es ist nun zwar augenscheinlich, daß der Cirkulationsproceß G-W-G ab- +30 geschmackt und inhaltlos wäre, wollte man vermittelst seines Umwegs den- +selben Geldwerth gegen denselben Geldwerth, also z . B . 100 Pfd. St. gegen +100 Pfd. St. austauschen. Ungleich einfacher und sichrer bliebe die Me- +thode des Schatzbildners, der seine 100 Pfd. St. festhält, statt sie der Cirku- +lationsgefahr preiszugeben. Andrerseits, ob der Kaufmann die mit 100 Pfd. +35 St. gekaufte Baumwolle wieder verkauft zu 110 Pfd. St., oder ob er sie zu +100 Pfd. St. und selbst zu 50 Pfd. St. losschlagen muß, unter allen Umstän- + +1J Der Gegensatz zwischen der auf persönlichen Knechtschafts- und Herrschaftsverhältnissen +beruhenden Macht des Grundeigenthums und der unpersönlichen Macht des Geldes ist klar +gefaßt in den zwei französischen Sprichworten: «Nulle terre sans seigneur.» «L'argent n'a pas + +40 de maître.» + +2) «Avec de l'argent on achète des marchandises, et avec des marchandises on achète de l'ar- +gent.» (Mercier de la Rivière: ,,L'ordre naturel et essentiel des sociétés politiques", p. 543.) + +135 + + Zweiter Abschnitt · Die Verwandlung von Geld in Kapital + +den hat sein Geld eine eigentümliche und originelle Bewegung beschrie- +ben, durchaus andrer Art als in der einfachen Waarencirkulation, z.B. in +der Hand des Bauern, der Korn verkauft und mit dem so gelösten Geld +Kleider kauft. Es gilt also zunächst die Charakteristik der Formunter- +schiede zwischen den Kreisläufen G-W-G und W-G-W. Damit wird sich +zugleich der inhaltliche Unterschied ergeben, der hinter diesen Formunter- +schieden lauert. + +Sehn wir zunächst, was beiden Formen gemeinsam. +Beide Kreisläufe zerfallen in dieselben zwei entgegengesetzten Phasen, +W-G, Verkauf, und G-W, Kauf. In jeder der b e i | | l l l | d e n Phasen stehn sich +dieselben zwei sachlichen Elemente gegenüber, Waare und Geld, - und +zwei Personen in denselben ökonomischen Charaktermasken, ein Käufer +und ein Verkäufer. Jeder der beiden Kreisläufe ist die Einheit derselben +entgegengesetzten Phasen und beidemal wird diese Einheit vermittelt +durch das Auftreten von drei Kontrahenten, wovon der eine nur verkauft, +der andre nur kauft, der dritte aber abwechselnd kauft und verkauft. + +Was jedoch die beiden Kreisläufe W-G-W und G-W-G von vornherein +scheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge derselben entgegengesetzten Cir- +kulationsphasen. Die einfache Waarencirkulation beginnt mit dem Ver- +kauf und endet mit dem Kauf, die Cirkulation des Geldes als Kapital be- +ginnt mit dem Kauf und endet mit dem Verkauf. Dort bildet die Waare, +hier das Geld den Ausgangspunkt und Schlußpunkt der Bewegung. In der +ersten Form vermittelt das Geld, in der andren umgekehrt die Waare den +Gesammtverlauf. + +In der Cirkulation W-G-W wird das Geld schließlich in Waare verwan- +delt, die als Gebrauchswerth dient. Das Geld ist also definitiv ausgegeben. +In der umgekehrten Form G-W-G giebt der Käufer dagegen Geld aus, um +als Verkäufer Geld einzunehmen. Er wirft, beim Kauf der Waare, Geld in +die Cirkulation, um es ihr wieder zu entziehn durch den Verkauf derselben +Waare. Er entläßt das Geld nur mit der hinterlistigen Absicht, seiner wie- +der habhaft zu werden. Es wird daher nur vorgeschossen 3). + +In der Form W-G-W wechselt dasselbe Geldstück zweimal die Stelle. +Der Verkäufer erhält es vom Käufer und zahlt es weg an einen andren Ver- +käufer. Der Gesammtproceß, der mit der Einnahme von Geld für Waare +beginnt, schließt ab mit der Weggabe von Geld für Waare. Umgekehrt in +der Form G-W-G. Nicht dasselbe Geldstück wechselt hier zweimal die +Stelle, sondern dieselbe Waare. Der Käufer erhält sie aus der Hand des +Verkäufers und giebt sie weg in die Hand eines andren Käufers. Wie in der + +3) "When a thing is bought, in order to be sold again, the sum employed is called money ad- +vanced; when it is bought not to be sold, it may be said to be expended." (James Steuart: +„Works etc. edited by General Sir James Steuart, his son". Lond. 1805, v. I, p. 274.) + +136 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +einfachen Waarencirkulation der zweimalige Stellenwechsel desselben +Geldstücks sein definitives Uebergehn aus einer Hand in die andre be- +wirkt, so hier der zweimalige ||112| Stellenwechsel derselben Waare den +Rückfluß des Geldes zu seinem ersten Ausgangspunkt. + +5 + +Der Rückfluß des Geldes zu seinem Ausgangspunkt hängt nicht davon +ab, ob die Waare theurer verkauft wird als sie gekauft war. Dieser Umstand +beeinflußt nur die Größe der rückfließenden Geldsumme. Das Phänomen +des Rückflusses selbst findet statt, sobald die gekaufte Waare wieder ver- +kauft, also der Kreislauf G-W-G vollständig beschrieben wird. Es ist dieß +10 also ein sinnlich wahrnehmbarer Unterschied zwischen der Cirkulation des + +Geldes als Kapital und seiner Cirkulation als bloßem Geld. + +Der Kreislauf W-G-W ist vollständig zurückgelegt, sobald der Verkauf +einer Waare Geld bringt, welches der Kauf andrer Waare wieder entzieht. +Erfolgt dennoch Rückfluß des Geldes zu seinem Ausgangspunkt, so nur +15 durch die Erneuerung oder Wiederholung des ganzen Kursus. Wenn ich +ein Quarter Korn verkaufe für 3 Pfd. St. und mit diesen 3 Pfd. St. Kleider +kaufe, sind die 3 Pfd. St. für mich definitiv verausgabt. Ich habe nichts +mehr mit ihnen zu schaffen. Sie sind des Kleiderhändlers. Verkaufe ich +nun ein zweites Quarter Korn, so fließt Geld zu mir zurück, aber nicht in +20 Folge der ersten Transaktion, sondern nur in Folge ihrer Wiederholung. Es +entfernt sich wieder von mir, sobald ich die zweite Transaktion zu Ende +führe und von neuem kaufe. In der Cirkulation W-G-W hat also die Ver- +ausgabung des Geldes nichts mit seinem Rückfluß zu schaffen. In G-W-G +dagegen ist der Rückfluß des Geldes durch die Art seiner Verausgabung +selbst bedingt. Ohne diesen Rückfluß ist die Operation mißglückt oder der +Proceß unterbrochen und noch nicht fertig, weil seine zweite Phase, der +den Kauf ergänzende und abschließende Verkauf fehlt. + +25 + +Der Kreislauf W-G-W geht aus von dem Extrem einer Waare und +schließt ab mit dem Extrem einer andren Waare, die aus der Cirkulation +30 heraus und der Konsumtion anheimfällt. Konsumtion, Befriedigung von +Bedürfnissen, mit einem Wort, Gebrauchswerth ist daher sein Endzweck. +Der Kreislauf G-W-G geht dagegen aus von dem Extrem des Geldes und +kehrt schließlich zurück zu demselben Extrem. Sein treibendes Motiv und +bestimmender Zweck ist daher der Tauschwerth selbst. + +35 + +In der einfachen Waarencirkulation haben beide Extreme dieselbe öko- +nomische Form. Sie sind beide Waare. Sie sind auch Waaren von dersel- +ben Werthgröße. Aber sie sind qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe, +z.B. Korn und Kleider. Der Pro111131duktenaustausch, der Wechsel der ver- +schiednen Stoffe, worin sich die gesellschaftliche Arbeit darstellt, bildet +40 hier den Inhalt der Bewegung. Anders in der Cirkulation G-W-G. Sie +scheint auf den ersten Blick inhaltslos, weil tautologisch. Beide Extreme + +137 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +5 + +haben dieselbe ökonomische Form. Sie sind beide Geld, also keine quali- +tativ unterschiedne Gebrauchswerthe, denn Geld ist eben die verwandelte +Gestalt der Waaren, worin ihre besondren Gebrauchswerthe ausgelöscht +sind. Erst 100 Pfd. St. gegen Baumwolle und dann wieder dieselbe Baum- +wolle gegen 100 Pfd. St. austauschen, also auf einem Umweg Geld gegen +Geld, dasselbe gegen dasselbe, scheint eine ebenso zwecklose als abge- +schmackte Operation 4). Eine Geldsumme kann sich von der andren Geld- +summe überhaupt nur durch ihre Größe unterscheiden. Der Proceß G- +W - G schuldet seinen Inhalt daher keinem qualitativen Unterschied seiner +Extreme, denn sie sind beide Geld, sondern nur ihrer quantitativen Ver- 10 +schiedenheit. Schließlich wird der Cirkulation mehr Geld entzogen als An- +fangs hineingeworfen ward. Die zu 100 Pfd. St. gekaufte Baumwolle wird +z . B . wieder verkauft zu 100 + 10 Pfd. St. oder 110 Pfd. St. Die vollständige +Form dieses Processes ist daher G-W-G', wo G' = G + AG, d. h. gleich der +ursprünglich vorgeschossenen Geldsumme plus einem Inkrement. Dieses 15 +Inkrement oder den Ueberschuß über den ursprünglichen Werth nenne +ich - Mehrwerth (surplus value). Der ursprünglich vor||114|geschoßne +Werth erhält sich daher nicht nur in der Cirkulation, sondern in ihr verän- +dert er seine Werthgröße, setzt einen Mehrwerth zu, oder verwerthet sich. +Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital. + +20 + +Es ist zwar auch möglich, daß in W-G-W die beiden Extreme, W, W, +z. B. Korn und Kleider, quantitativ verschiedne Werthgrößen sind. Der +Bauer kann sein Korn über dem Werth verkaufen oder die Kleider unter +ihrem Werth kaufen. Er kann seinerseits vom Kleiderhändler geprellt wer- +den. Solche Werthverschiedenheit bleibt jedoch für diese Cirkulationsform 25 +selbst rein zufällig. Sinn und Verstand verliert sie nicht schier, wie der Pro- + +4) «On n'échange pas de l'argent contre de l'argent,» ruft Mercier de la Rivière den Merkanti- +listen zu. (I.e. p.486.) In einem Werke, welches ex professo vom „Handel" und der „Spekula- +tion" handelt, liest man: „Aller Handel besteht im Austausch von Dingen verschiedner Art; +und der Vortheil (für den Kaufmann?) entspringt eben aus dieser Verschiedenheit. Ein Pfund 30 +Brod gegen ein Pfund Brod austauschen, wäre ohne allen Vortheil ... daher der vorteilhafte +Kontrast zwischen Handel und Spiel, welches nur Austausch von Geld gegen Geld ist." +(Th. Corbet: „An Inquiry into the Causes and Modes of the Wealth of Individuals; or the +Principles of Trade and Speculation explained. London, 1841", p. 5.) Obgleich Cobet nicht +sieht, daß G-G, Geld gegen Geld austauschen, die charakteristische Cirkulationsform, nicht 35 +nur des Handelskapitals, sondern alles Kapitals ist, giebt er wenigstens zu, daß diese Form +einer Art des Handels, der Spekulation, mit dem Spiel gemein sei, aber dann kommt MacCul- +loch und findet, daß Kaufen um zu verkaufen Spekuliren ist, und der Unterschied zwischen +Spekulation und Handel also wegfällt. "Every transaction in which an individual buys pro- +duce in order to sell it again, is, in fact, a speculation." (Mac Culloch: A Dictionary practical 40 +etc. of Commerce. London 1847, p. 1058.) Ungleich naiver Pinto, der Pindar der Amsterdamer +Börse: «Le commerce est un jeu (dieser Satz entlehnt aus Locke), et ce n'est pas avec des +gueux qu'on peut gagner. Si l'on gagnait long-temps en tout avec tous, il faudrait rendre de +bon accord les plus grandes parties du profit, pour recommencer le jeu.» (Pinto: Traité de la +Circulation et du Crédit. Amsterdam, 1771, p. 231.) + +45 + +138 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +ceß G-W-G 5 wenn die beiden Extreme, Korn und Kleider z. B . , Aequiva- +lente sind. Ihr Gleichwerth ist hier vielmehr Bedingung des normalen Ver- +laufs. + +10 + +15 + +Die Wiederholung oder Erneuerung des Verkaufs um zu kaufen findet, +5 wie dieser Proceß selbst, Maß und Ziel an einem außer ihm liegenden End- +zwecke, der Konsumtion, der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. Im +Kauf für den Verkauf dagegen sind Anfang und Ende dasselbe, Geld, +Tauschwerth, und schon dadurch ist die Bewegung endlos. Allerdings ist +aus G, G + AG geworden, aus den 100 Pfd. St., 100 + 10. Aber bloß quali- +tativ betrachtet, sind 110 Pfd. St. dasselbe wie 100 Pfd. St., nämlich Geld. +Und quantitativ betrachtet, sind 110 Pfd. St. eine beschränkte Werth- +summe wie 100 Pfd. St. Würden die 110 Pfd. St. als Geld verausgabt, so fie- +len sie aus ihrer Rolle. Sie hörten auf Kapital zu sein. Der Cirkulation ent- +zogen, versteinern sie zum Schatz und kein Farthing wächst ihnen an, ob +sie bis zum jüngsten Tage fortlagern. Handelt es sich also einmal um Ver- +werthung des Werths, so besteht dasselbe Bedürfniß für die Verwerthung +von 110 Pfd. St. wie für die von 100 Pfd. St., da beide beschränkte Aus- +drücke des Tauschwerths sind, beide also denselben Beruf haben sich dem +Reichthum schlechthin durch Größenausdehnung anzunähern. Zwar un- +terscheidet sich für einen Augenblick der ursprünglich vorgeschossene +Werth 100 Pfd. St. von dem in der Cirkulation ihm zuwachsenden Mehr- +werth von 10 Pfd. St., aber dieser Unterschied zerfließt sofort wieder. Es +kommt am Ende des Processes nicht auf der einen Seite der Originalwerth +von 100 Pfd. St. und auf der andren Seite der Mehrwerth von 10 Pfd. St. +25 heraus. Was herauskommt ist Ein Werth von 110 Pfd. St., der sich ganz in +derselben entsprechenden Form befindet, um den Verwerthungsproceß zu +beginnen, wie die ursprünglichen 100 Pfd. St. ||115| Geld kommt am Ende +der Bewegung wieder als ihr Anfang heraus 5). Das Ende jedes einzelnen +Kreislaufs, worin sich der Kauf für den Verkauf vollzieht, bildet daher von +selbst den Anfang eines neuen Kreislaufs. Die einfache Waarencirkula- +tion - der Verkauf für den Kauf - dient zum Mittel für einen außerhalb +der Cirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswer- +then, die Befriedigung von Bedürfnissen. Die Cirkulation des Geldes als +Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwerthung des Werths existirt +35 nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapi- + +30 + +20 + +tals ist daher maßlos 6). + +5) „Das Kapital theilt sich ... in das ursprüngliche Kapital und den Gewinn, den Zuwachs des +Kapitals ... obwohl die Praxis selbst diesen Gewinn sogleich wieder zum Kapital schlägt und +mit diesem in Fluß setzt." (F. Engels: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" in +40 „Deutsch-Französische Jahrbücher, herausgegeben von Arnold Rüge und Karl Marx." Paris + +1844, p.99.) +6) Aristoteles stellt der Chrematistik die Oekonomik entgegen. Er geht von der Oekonomik + +139 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +Als bewußter Träger dieser Bewegung wird der Geldbesitzer ||116| Kapi- + +talist. Seine Person, oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt + +und der Rückkehrpunkt des Geldes. Der objektive Inhalt jener Cirkula- + +tion - die Verwerthung des Werths - ist sein subjektiver Zweck, und nur + +soweit wachsende Aneignung des abstrakten Reichthums das allein trei- + +5 + +bende Motiv seiner Operationen, funktionirt er als Kapitalist oder personi- + +fîcirtes, mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapital. Der Gebrauchswerth + +ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln 7). Auch + +nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewin- + +nens 8). Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese leidenschaftliche Jagd 10 + +auf den Werth 9) ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner gemein, aber + +20 + +25 + +aus. Soweit sie Erwerbskunst, beschränkt sie sich auf die Verschaffung der zum Leben n o t - +wendigen und für das Haus oder den Staat nützlichen Güter. „Der wahre Reichthum (ο αλη- +θινός πλούτος) besteht aus solchen Gebrauchswerthen; denn das zum guten Leben genü- +gende Maß dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es giebt aber eine zweite Art der 15 +Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heißt, in Folge deren keine +Grenze des Reichthums und Besitzes zu existiren scheint. Der Waarenhandel (ή καπηλική +heißt wörtlich Kramhandel und Aristoteles nimmt diese Form, weil in ihr der Gebrauchs- +werth vorherrscht) gehört von Natur nicht zur Chrematistik, denn hier bezieht sich der Aus- +tausch nur auf das für sie selbst (Käufer und Verkäufer) Nöthige." Daher, entwickelt er weiter, +war auch die ursprüngliche Form des Waarenhandels der Tauschhandel, aber mit seiner Aus- +dehnung entstand nothwendig das Geld. Mit der Erfindung des Geldes mußte sich der +Tauschhandel nothwendig zur καπηλική, zum Waarenhandel entwickeln, und dieser, im Wi- +derspruch zu seiner ursprünglichen Tendenz, bildete sich zur Chrematistik aus, zur Kunst +Geld zu machen. Die Chrematistik nun unterscheidet sich von der Oekonomik dadurch, daß, +„für sie die Cirkulation die Quelle des Reichthums ist (ποιητική χρημάτων ... δια χρημάτων +μεταβολής). Und um das Geld scheint sie sich zu drehen, denn das Geld ist der Anfang und +das Ende dieser Art von Austausch (το γαρ νόμισμα στοιχεΐον και πέρας της αλλαγής +εστίν). Daher ist auch der Reichthum, wie ihn die Chrematistik anstrebt, unbegrenzt. Wie +nämlich jede Kunst, der ihr Ziel nicht als Mittel, sondern als letzter Endzweck gilt, unbe- 30 +grenzt in ihrem Streben ist, denn sie sucht sich ihm stets mehr zu nähern, während die Kün- +ste, die nur Mittel zum Zwecke verfolgen, nicht unbegrenzt sind, da der Zweck selbst ihnen +die Grenze setzt, so giebt es auch für diese Chrematistik keine Schranke ihres Ziels, sondern +ihr Ziel ist absolute Bereicherung. Die Oekonomik, nicht die Chrematistik, hat eine +Grenze ... die erstere bezweckt ein vom Gelde selbst Verschiednes, die andere seine Vermeh- 35 +rung .... Die Verwechslung beider Formen, die in einander überspielen, veranlaßt Einige die +Erhaltung und Vermehrung des Geldes ins Unendliche als Endziel der Oekonomik zu be- +trachten". (Aristoteles: De Rep. edit. Bekker, lib. I, c. 8 und 9 passim.) +7) "Commodities (hier im Sinn von Gebrauchswerthen) are not the terminating object of the +trading capitalist ... money is his terminating object." (Th. Chalmers: On Politic. Econ. etc. 40 +2nd edit. Glasgow 1832, p. 165, 166.) +8) «Il mercante non conta quasi per niente il lucro fatto, ma mira sempre al futuro.» (A. Ge- +novesi: Lezioni di Economia Civile (1765). Ausgabe der italienischen Oekonomen von Cus- +todi, Parte Moderna, t. Vili, p. 139). +9) „Die unauslöschliche Leidenschaft für den Gewinn, die auri sacra fames bestimmt stets 45 +den Kapitalisten." (MacCulloch: The Principles of Polit. Econ. London 1830, p. 179.) Diese +Einsicht verhindert denselben MacCulloch und Consorten natürlich nicht, in theoretischen +Verlegenheiten, z. B. bei Behandlung der Ueberproduktion, denselben Kapitalisten in einen +guten Bürger zu verwandeln, dem es sich nur um den Gebrauchswerth handelt und der sogar +einen wahren Wehrwolfsheißhunger entwickelt für Stiefel, Hüte, Eier, Kattune und andere +höchst familiäre Sorten von Gebrauchswerth. + +50 + +140 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist, ist der Kapitalist +der rationelle Schatzbildner. Die rastlose Vermehrung des Werths, die der +Schatzbildner anstrebt, indem er das Geld vor der Cirkulation zu retten +sucht 1 0), erreicht der klügere Kapitalist, indem er es stets von neuem der + +5 Cirkulation preisgiebt 1 0 a). + +Die selbständigen Formen, die Geldformen, welche der Werth der Waa- +ren in der einfachen Cirkulation annimmt, vermitteln nur den Waarenaus- +tausch und verschwinden im Endresultat der Bewegung. In der Cirkulation +G-W-G funktioniren dagegen beide, Waare und Geld, nur als verschiedne +10 Existenzweisen des Werths selbst, das Geld seine allgemeine, die Waare +seine besondre, so zu sagen nur verkleidete Existenzweise 1 1). Er geht be- +ständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Be-| +|117|wegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Sub- +jekt. Fixirt man die besondren Erscheinungsformen, welche der sich +15 verwerthende Werth im Kreislauf seines Lebens abwechselnd annimmt, so +erhält man die Erklärungen: Kapital ist Geld, Kapital ist Waare 1 2). In der +That aber wird der Werth hier das Subjekt eines Processes, worin er unter +dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Waare, seine Größe +selbst verändert, sich als Mehrwerth von sich selbst als ursprünglichem +20 Werth abstößt, sich selbst verwerthet. Denn die Bewegung, worin er Mehr- +werth zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwerthung also Selbstver- +werthung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Werth zu setzen, weil er +Werth ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier. + +25 + +Als das übergreifende Subjekt eines solchen Processes, worin er GeId- +form und Waarenform bald annimmt, bald abstreift, sich aber in diesem +Wechsel erhält und ausreckt, bedarf der Werth vor allem einer selbständi- +gen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konstatirt wird. Und +diese Form besitzt er nur im Gelde. Dieß bildet daher Ausgangspunkt und +Schlußpunkt jedes Verwerthungsprocesses. Er war 100 Pfd. St., er ist jetzt +30 110 Pfd. St. u. s.w. Aber das Geld selbst gilt hier nur als eine Form des +Werths, denn er hat deren zwei. Ohne die Annahme der Waarenform wird +das Geld nicht Kapital. Das Geld tritt hier also nicht polemisch gegen die +Waare auf, wie in der Schatzbildung. Der Kapitalist weiß, daß alle Waaren, +wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen, im + +35 + +40 + +1 0 ) ,,Σώζεχν" ist einer der charakteristischen Ausdrücke der Griechen für das Schatzbilden. +Ebenso bedeutet „to save" zugleich retten und sparen. +1 0 a ) «Questo infinito che le cose non hanno in progresso, hanno in giro.» (Galiani.) +n) «Ce n'est pas la matière qui fait le capital, mais la valeur de ces matières.» (J. Β. Say: +Traité d'Econ. Polit. 3ème éd. Paris 1817, t. II, p. 429.) +1 2 ) "Currency (!) employed to productive purposes is capital." (MacLeod: ,,The Theory and +Practice of Banking. London 1855", v. I, c. I.) "Capital is commodities." (James Mill: „Ele- +ments of Pol. Econ. Lond. 1821", p. 74.) + +141 + + Zweiter Abschnitt · Die Verwandlung von Geld in Kapital + +Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittne Juden sind, und +zudem wunderthätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen. + +Wenn in der einfachen Cirkulation der Werth der Waaren ihrem Ge- +brauchswerth gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes er- +hält, so stellt er sich hier plötzlich dar als eine processirende, sich selbst be- +wegende Substanz, für welche Waare und Geld beide bloße Formen. Aber +noch mehr. Statt Waarenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt so zu sagen +in ein Privatverhältniß zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprüngli- +cher Werth von sich selbst als Mehrwerth, als Gott Vater von sich selbst als +Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter, und bilden in der That nur 10 +eine Person, denn nur durch den Mehrwerth von 10 Pfd. St. ||118| werden +die vorgeschossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie dieß geworden, so- +bald der Sohn, und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr +Unterschied wieder und sind beide Eins, 110 Pfd. St. + +5 + +Der Werth wird also processirender Werth, processirendes Geld und als 15 + +solches Kapital. Er kommt aus der Cirkulation her, geht wieder in sie ein, +erhält und vervielfältigt sich in ihr, kehrt vergrößert aus ihr zurück und be- +ginnt denselben Kreislauf stets wieder von neuem 1 3). G-G', geldheckendes +Geld - money which begets money - lautet die Beschreibung des Kapitals +im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Merkantilisten. + +20 + +Kaufen um zu verkaufen, oder vollständiger, kaufen um theurer zu ver- +kaufen, G-W-G', scheint zwar nur einer Art des Kapitals, dem Kaufmanns- +kapital, eigenthümliche Form. Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, +das sich in Waare verwandelt und durch den Verkauf der Waare in mehr +Geld rückverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Ver- 25 +kaufe, außerhalb der Cirkulationssphäre, vorgehn, ändern nichts an dieser +Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die +Cirkulation G-W-G' abgekürzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermitt- +lung, so zu sagen im Lapidarstil, als G-G', Geld, das gleich mehr Geld, +Werth, der größer als er selbst ist. + +30 + +In der That also ist G-W-G' die allgemeine Formel des Kapitals, wie es + +unmittelbar in der Cirkulationssphäre erscheint. + +2. Widersprüche der allgemeinen Formel. + +Die Cirkulationsform, worin sich das Geld zum Kapital entpuppt, wider- +spricht allen früher entwickelten Gesetzen über die Natur der Waare, des 35 +Werths, des Geldes und der Cirkulation selbst. Was sie von der einfachen + +1 3 ) „Kapital ... permanenter sich vervielfältigender Werth." (Sismondi: Nouveaux Principes +d'Econ. Polit, 1.1, p. 88, 89.) + +142 + + Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital + +Waarencirkulation unterscheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge dersel- +ben zwei entgegengesetzten Processe, Verkauf und Kauf. Und wie sollte +solcher rein formelle Unterschied die Natur dieser Processe umzaubern? + +5 + +Noch mehr. Diese Umkehrung existirt nur für einen der drei Geschäfts- +freunde, die mit einander handeln. Als Kapitalist kaufe ich Waare von A +und verkaufe sie wieder an B, während ich als einfacher Waarenbesitzer +Waare an B verkaufe und dann Waare von A kaufe. Für die Geschäfts- +freunde A und B existirt dieser Unterschied nicht. Sie treten nur als Käufer +oder Ver||119|käufer von Waaren auf. Ich selbst stehe ihnen jedesmal ge- +10 genüber als einfacher Geldbesitzer oder Waarenbesitzer, Käufer oder Ver- +käufer, und zwar trete ich in beiden Reihenfolgen der einen Person nur als +Käufer und der andren nur als Verkäufer gegenüber, der einen als nur +Geld, der andren als nur Waare, keiner von beiden als Kapital oder Kapita- +list oder Repräsentant von irgend etwas, das mehr als Geld oder Waare +15 wäre, oder eine andre Wirkung außer der des Geldes oder der Waare aus- +üben könnte. Für mich bilden Kauf von A und Verkauf an B eine Reihen- +folge. Aber der Zusammenhang zwischen diesen beiden Akten existirt nur +für mich. A scheert sich nicht um meine Transaktion mit B, und B nicht +um meine Transaktion mit A. Wollte ich ihnen etwa das besondre Ver- +20 dienst klar machen, das ich mir durch die Umkehrung der Reihenfolge er- +werbe, so würden sie mir beweisen, daß ich mich in der Reihenfolge selbst +irre und daß die Gesammttransaktion nicht mit einem Kauf begann und +einem Verkauf endete, sondern umgekehrt mit einem Verkauf begann und +mit einem Kauf abschloß. In der That, mein erster Akt, der Kauf, war von +25 A's Standpunkt ein Verkauf, und mein zweiter Akt, der Verkauf, war von +B's Standpunkt ein Kauf. Nicht zufrieden damit, werden A und B erklären, +daß die ganze Reihenfolge überflüssig und Hokus Pokus war. A wird die +Waare direkt an B verkaufen und B sie direkt von A kaufen. Damit ver- +schrumpft die ganze Transaktion in einen einseitigen Akt der gewöhnli- +30 chen Waarencirkulation, vom Standpunkt A's bloßer Verkauf und vom +Standpunkt B's bloßer Kauf. Wir sind also durch die Umkehrung der Rei- +henfolge nicht über die Sphäre der einfachen Waarencirkulation hinausge- +kommen und müssen vielmehr zusehn, ob sie ihrer Natur nach Verwer- +thung der in sie eingehenden Werthe und daher Bildung von Mehrwerth + +35 gestattet. + +Nehmen wir den Cirkulationsproceß in einer Form, worin er sich als blo- +ßer Waarenaustausch darstellt. Dieß ist stets der Fall, wenn beide Waaren- +besitzer Waaren von einander kaufen und die Bilanz ihrer wechselseitigen +Geldforderungen sich am Zahlungstag ausgleicht. Das Geld dient hier als +40 Rechengeld, um die Werthe der Waaren in ihren Preisen auszudrücken, +tritt aber nicht den Waaren selbst dinglich gegenüber. Soweit es sich um + +143 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +5 + +den Gebrauchswerth handelt, ist es klar, daß beide Austauscher gewinnen +können. Beide veräußern Waaren, die ihnen als Gebrauchswerth nutzlos, +und erhalten Waaren, deren sie zum Gebrauch bedürfen. Und dieser Nut- +zen mag nicht der einzige sein. A, der Wein ver||120|kauft und Getreide +kauft, producirt vielleicht mehr Wein als Getreidebauer B in derselben Ar- +beitszeit produciren könnte, und Getreidebauer B in derselben Arbeitszeit +mehr Getreide als Weinbauer A produciren könnte. A erhält also für den- +selben Tauschwerth mehr Getreide und B mehr Wein als wenn jeder von +den beiden, ohne Austausch, Wein und Getreide für sich selbst produciren +müßte. Mit Bezug auf den Gebrauchswerth also kann gesagt werden, daß 10 +„der Austausch eine Transaktion ist, worin beide Seiten gewinnen" 1 4). An- +ders mit dem Tauschwerth. „Ein Mann, der viel Wein und kein Getreide +besitzt, handelt mit einem Mann, der viel Getreide und keinen Wein be- +sitzt und zwischen ihnen wird ausgetauscht Weizen zum Werth von 50 ge- +gen einen Werth von 50 in Wein. Dieser Austausch ist keine Vermehrung 15 +des Tauschwerths weder für den einen, noch für den andren; denn bereits +vor dem Austausch besaß jeder von ihnen einen Werth gleich dem, den er +sich vermittelst dieser Operation verschafft h a t 1 5 ) . " Es ändert nichts an der +Sache, wenn das Geld als Cirkulationsmittel zwischen die Waaren tritt und +die Akte des Kaufs und Verkaufs sinnlich auseinanderfallen 1 6). Der Werth 20 +der Waaren ist in ihren Preisen dargestellt, bevor sie in die Cirkulation tre- +ten, also Voraussetzung und nicht Resultat derselben 1 7). + +Abstrakt betrachtet, d. h. abgesehn von Umständen, die nicht aus den +immanenten Gesetzen der einfachen Waarencirkulation hervorfließen, +geht außer dem Ersatz eines Gebrauchswerths durch einen andren nichts 25 +in ihr vor als eine Metamorphose, ein bloßer Formwechsel der Waare. Der- +selbe Werth, d. h. dasselbe Quantum vergegenständlichter gesellschaftli- +cher Arbeit, bleibt in der Hand desselben Waarenbesitzers in Gestalt erst +seiner Waare, dann des Geldes, worin sie sich verwandelt, endlich der +Waare, worin sich dies Geld rückverwandelt. Dieser Formwechsel schließt 30 +keine Aenderung der Werthgröße ein. Der Wechsel aber, den der Werth +der Waare selbst in diesem Proceß durchläuft, beschränkt sich auf einen +Wechsel seiner Geldform. Sie existirt erst als Preis ||121| der zum Verkauf +angebotenen Waare, dann als eine Geldsumme, die aber schon im Preise + +1 4 ) «L'échange est une transaction admirable dans laquelle les deux contractants gagnent - +toujours (!).» (Destutt de Tracy: Traité de la Volonté et de ses effets. Paris 1826, p. 68.) Das- +selbe Buch erschien 1823 als ,,Traité d'Ec. Pol." +1 5 ) Mercier de la Rivière 1. c. p. 544. +1 6 ) « Que l'une de ces deux valeurs soit argent, ou qu'elles soient toutes deux marchandises +usuelles, rien de plus indifférent en soi.» (Mercier de la Rivière 1.c. p. 543.) +1 7 ) «Ce ne sont pas les contractants qui prononcent sur la valeur; elle est décidée avant la +convention.» (Le Trosne p. 906.) + +35 + +40 + +144 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +ausgedrückt war, endlich als der Preis einer äquivalenten Waare. Dieser +Formwechsel schließt an und für sich eben so wenig eine Aenderung der +Werthgröße ein, wie das Auswechseln einer Fünfpfundnote gegen Sover- +eigns, halbe Sovereigns und Schillinge. Sofern also die Cirkulation der +5 Waare nur einen Formwechsel ihres Werths bedingt, bedingt sie, wenn das +Phänomen rein vorgeht, Austausch von Aequivalenten. Die Vulgärökono- +mie selbst, so wenig sie ahnt, was der Werth ist, unterstellt daher, so oft sie +in ihrer Art das Phänomen rein betrachten will, daß Nachfrage und Zufuhr +sich decken, d.h. daß ihre Wirkung überhaupt aufhört. Wenn also mit B e - +10 zug auf den Gebrauchswerth beide Austauscher gewinnen können, können +sie nicht beide gewinnen an Tauschwerth. Hier heißt es vielmehr: „Wo +Gleichheit ist, ist kein Gewinn" 1 8). Waaren können zwar zu Preisen ver- +kauft werden, die von ihren Werthen abweichen, aber diese Abweichung +erscheint als Verletzung des Gesetzes des Waarenaustausches 1 9). In seiner +reinen Gestalt ist er ein Austausch von Aequivalenten, also kein Mittel, +sich an Werth zu bereichern 2 0). + +15 + +Hinter den Versuchen, die Waarencirkulation als Quelle von Mehrwerth +darzustellen, lauert daher meist ein quid pro quo, eine Verwechslung von +Gebrauchswerth und Tauschwerth. So z.B. bei Condillac: „Es ist falsch, +20 daß man im Waarenaustausch gleichen Werth gegen gleichen Werth aus- +tauscht. Umgekehrt. Jeder der beiden Kontrahenten giebt immer einen +kleineren für einen größeren Werth ... Tauschte man in der That immer +gleiche Werthe aus, so wäre kein Gewinn zu machen für irgend einen Kon- +trahenten. Aber alle beide gewinnen oder sollten doch gewinnen. Warum? +25 Der Werth der Dinge besteht bloß in ihrer Beziehung auf unsre Bedürf- +nisse. Was für den einen mehr, ist für den andren weniger, und umge- +kehrt ... Man setzt nicht voraus, daß wir für unsre Konsumtion unentbehr- +liche Dinge zum Verkauf ausbieten .... Wir wollen eine uns nutzlose +Sache weggeben, um eine uns noth|| 1221wendige zu erhalten; wir wollen +30 weniger für mehr geben . . . E s war natürlich zu urtheilen, daß man im Aus- +tausch gleichen Werth für gleichen Werth gebe, so oft jedes der ausge- +tauschten Dinge an Werth demselben Quantum Geld gleich war ... Aber +eine andre Betrachtung muß noch in die Rechnung eingehn; es fragt sich, + +35 + +1 8 ) «Dove è egualità, non è lucro.» (Galiani: ,,Della Moneta", in Custodi: Parte Moderna, +t.IV, p.244.) +1 9 ) «L'échange devient désavantageux pour l'une des parties, lorsque quelque chose étrangère +vient diminuer ou exagérer le prix: alors l'égalité est blessée, mais la lésion procède de cette +cause et non de l'échange.» (Le Trosne 1.c. p. 904.) +2 0 ) «L'échange est de sa nature un contrat d'égalité qui se fait de valeur pour valeur égale. Il +40 n'est donc pas un moyen de s'enrichir, puisque l'on donne autant que l'on reçoit. » (Le Trosne + +I.e. p. 903, 904.) + +145 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +5 + +ob wir beide einen Ueberfluß gegen etwas Nothwendiges austauschen 2 1)." +Man sieht, wie Condillac nicht nur Gebrauchswerth und Tauschwerth +durcheinander wirft, sondern wahrhaft kindlich einer Gesellschaft mit ent- +wickelter Warenproduktion einen Zustand unterschiebt, worin der Produ- +cent seine Subsistenzmittel selbst producirt und nur den Ueberschuß über +den eignen Bedarf, den Ueberfluß, in die Cirkulation wirft 2 2). Dennoch +wird Condillac's Argument häufig bei modernen Oekonomen wiederholt, +namentlich wenn es gilt, die entwickelte Gestalt des Waarenaustausches, +den Handel, als produktiv von Mehrwerth darzustellen. „Der Handel", +heißt es z . B . „fügt den Produkten Werth zu, denn dieselben Produkte ha- 10 +ben mehr Werth in den Händen des Konsumenten als in den Händen des +Producenten und er muß daher wörtlich (strictly) als Produktionsakt be- +trachtet werden 2 3)." Aber man zahlt die Waaren nicht doppelt, das einemal +ihren Gebrauchswerth und das andremal ihren Werth. Und wenn der Ge- +brauchswerth der Waare dem Käufer nützlicher als dem Verkäufer, ist ihre 15 +Geldform dem Verkäufer nützlicher als dem Käufer. Würde er sie sonst +verkaufen? Und so könnte ebensowohl gesagt werden, daß der Käufer wört- +lich (strictly) einen „Produktionsakt" vollbringt, indem er z. B. die +Strümpfe des Kaufmanns in Geld verwandelt. + +Werden Waaren oder Waaren und Geld von gleichem Tauschwerth, also 20 + +Aequivalente ausgetauscht, so zieht offenbar keiner mehr Werth aus der +Cirkulation heraus als er in sie hineinwirft. Es findet dann keine Bildung +von Mehrwerth statt. In seiner ||123| reinen Form aber bedingt der Cirkula- +tionsproceß der Waaren Austausch von Aequivalenten. Jedoch gehn die +Dinge in der Wirklichkeit nicht rein zu. Unterstellen wir daher Austausch 25 +von Nicht-Aequivalenten. + +Jedenfalls steht auf dem Waarenmarkt nur Waarenbesitzer dem Waaren- +besitzer gegenüber, und die Macht, die diese Personen über einander aus- +üben, ist nur die Macht ihrer Waaren. Die stoffliche Verschiedenheit der +Waaren ist das stoffliche Motiv des Austausches und macht die Waarenbe- 30 +sitzer wechselseitig von einander abhängig, indem keiner von ihnen den +Gegenstand seines eignen Bedürfnisses und jeder von ihnen den Gegen- +stand des Bedürfnisses des Andren in seiner Hand hält. Außer dieser stoff- + +2 1 ) Condillac: „Le Commerce et Ie Gouvernement" (1776). Edit. Daire et Molinari in den +,,Mélanges d'Économie Politique. Paris 1847", p. 267, 291. +2 2 ) Le Trosne antwortet daher seinem Freunde Condillac sehr richtig: «Dans la société for- +mée il n'y a pas de surabondant en aucun genre.» Zugleich neckt er ihn mit der Glosse, daß +„wenn beide Austauscher gleich viel mehr für gleich viel weniger erhalten, sie beide gleich +viel erhalten". Weil Condillac noch nicht die geringste Ahnung von der Natur des Tausch- +werths besitzt, ist er der passende Gewährsmann des Herrn Prof. Wilhelm Roscher für seine 40 +eignen Kinderbegriffe. Sieh dessen: „Die Grundlagen der Nationalökonomie. Dritte Auflage. +1858". +2 3 ) S.P. Newman: „Elements of Polit. Econ. Andover and New-York 1835", p. 175. + +35 + +146 + + Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital + +liehen Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerthe besteht nur noch ein Unter- +schied unter den Waaren, der Unterschied zwischen ihrer Naturalform und +ihrer verwandelten Form, zwischen Waare und Geld. Und so unterschei- +den sich die Waarenbesitzer nur als Verkäufer, Besitzer von Waare, und als + +5 Käufer, Besitzer von Geld. + +Gesetzt nun, es sei durch irgend ein unerklärliches Privilegium dem Ver- +käufer gegeben, die Waare über ihrem Werthe zu verkaufen, zu 110, wenn +sie 100 werth ist, also mit einem nominellen Preisaufschlage von 10 %. Der +Verkäufer kassirt also einen Mehrwerth von 10 ein. Aber nachdem er Ver- +10 käufer war, wird er Käufer. Ein dritter Waarenbesitzer begegnet ihm jetzt +als Verkäufer und genießt seinerseits das Privilegium, die Waare 10 % zu +theuer zu verkaufen. Unser Mann hat als Verkäufer 10 gewonnen, um als +Käufer 10 zu verlieren 2 4). Das Ganze kommt in der That darauf hinaus, +daß alle Waarenbesitzer ihre Waaren einander 10 % über dem Werth ver- +15 kaufen, was durchaus dasselbe ist, als ob sie die Waaren zu ihren Werthen +verkauften. Ein solcher allgemeiner nomineller Preisaufschlag der Waaren +bringt dieselbe Wirkung hervor, als ob die Waarenwerthe z.B. in Silber +statt in Gold geschätzt würden. Die Geldnamen, d. h. die Preise der Waa- +ren würden anschwellen, aber ihre Werthverhältnisse unverändert bleiben. +Unterstellen wir umgekehrt, es sei das Privilegium des Käufers, die Waa- +ren unter ihrem Werth zu kaufen. Hier ist es nicht einmal nöthig zu erin- +nern, daß der Käufer wieder Verkäufer wird. ||124| Er war Verkäufer, bevor +er Käufer ward. Er hat bereits 10 % als Verkäufer verloren, bevor er 10 % als +Käufer gewinnt 2 5). Alles bleibt wieder beim Alten. + +20 + +25 + +Die Bildung von Mehrwerth und daher die Verwandlung von Geld in +Kapital, kann also weder dadurch erklärt werden, daß die Verkäufer die +Waaren über ihrem Werthe verkaufen, noch dadurch, daß die Käufer sie +unter ihrem Werthe kaufen 2 6). + +Das Problem wird in keiner Weise dadurch vereinfacht, daß man fremde +30 Beziehungen einschmuggelt, also etwa mit Oberst Torrens sagt: „Die effek- +tive Nachfrage besteht in dem Vermögen und der Neigung (!) der Konsu- +menten, sei es durch unmittelbaren oder vermittelten Austausch, für Waa- + +2 4 ) "By the augmentation of the nominal value of the produce ... sellers not enriched ... since +what they gain as sellers, they precisely expend in the quality of buyers." (,,The Essential + +35 Principles of the Wealth of Nations etc. London 1797", p. 66.) + +2 5 ) «Si l'on est forcé de donner pour 18 livres une quantité de telle production qui en valait +24, lorsqu'on employera ce même argent à acheter, on aura également pour 18 1. ce que l'on +payait 24.» (Le Trosne 1. c. p. 897.) +2 6 ) «Chaque vendeur ne peut donc parvenir à renchérir habituellement ses marchandises, +40 qu'en se soumettant aussi à payer habituellement plus cher les marchandises des autres ven- +deurs; et par la même raison, chaque consommateur ne peut payer habituellement moins cher +ce qu'il achète, qu'en se soumettant aussi à une diminution semblable sur le prix des choses +qu'il vend. » (Mercier de la Rivière 1. c. p. 555.) + +147 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +ren eine gewisse größere Portion von allen Ingredienzien des Kapitals zu +geben, als ihre Produktion kostet 2 7)." In der Cirkulation stehn sich Produ- +centen und Konsumenten nur als Verkäufer und Käufer gegenüber. Be- +haupten, der Mehrwerth für den Producenten entspringe daraus, daß die +Konsumenten die Waare über den Werth zahlen, heißt nur den einfachen +Satz maskiren: Der Waarenbesitzer besitzt als Verkäufer das Privilegium +zu theuer zu verkaufen. Der Verkäufer hat die Waare selbst producirt oder +vertritt ihren Producenten, aber der Käufer hat nicht minder die in seinem +Gelde dargestellte Waare selbst producirt oder vertritt ihren Producenten. +Es steht also Producent dem Producenten gegenüber. Was sie unterschei- 10 +det, ist daß der eine kauft und der andre verkauft. Es bringt uns keinen +Schritt weiter, daß der Waarenbesitzer unter dem Namen Producent die +Waare über ihrem Werthe verkauft und unter dem Namen Konsument sie +zu theuer zahlt 2 8). + +5 + +Die konsequenten Vertreter der Illusion, daß der Mehrwerth aus einem 15 + +nominellen Preiszuschlag entspringt, oder aus dem Privilegium des Ver- +käufers die Waare zu theuer zu verkaufen, unter||125|stellen daher eine +Klasse, die nur kauft ohne zu verkaufen, also auch nur konsumirt ohne zu +produciren. Die Existenz einer solchen Klasse ist von unsrem bisher er- +reichten Standpunkt, dem der einfachen Cirkulation noch unerklärlich. 20 +Aber greifen wir vor. Das Geld, womit eine solche Klasse beständig kauft, +muß ihr beständig, ohne Austausch, umsonst, auf beliebige Rechts- und +Gewaltstitel hin, von den Waarenbesitzern selbst zufließen. Dieser Klasse +die Waaren über dem Werth verkaufen, heißt nur, umsonst weggegebenes +Geld sich zum Theil wieder zurückschwindeln 2 9). So zahlten die kleinasia- 25 +tischen Städte jährlichen Geldtribut an das alte Rom. Mit diesem Geld +kaufte Rom Waaren von ihnen und kaufte sie zu theuer. Die Kleinasiaten +prellten die Römer, indem, sie den Eroberern einen Theil des Tributs wie- +der abluchsten auf dem Wege des Handels. Aber dennoch blieben die +Kleinasiaten die Geprellten. Ihre Waaren wurden ihnen nach wie vor mit 30 +ihrem eignen Gelde gezahlt. Es ist dieß keine Methode der Bereicherung +oder der Bildung von Mehrwerth. + +Halten wir uns also innerhalb der Schranken des Waarenaustausches, wo + +2 7 ) R. Torrens: „An Essay on the Production of Wealth". London 1821, p. 349. +2 8 ) "The idea of profits being paid by the consumers, is, assuredly, very absurd. Who are the 35 +consumers?" (G. Ramsay: „An Essay on the Distribution of Wealth. Edinburgh 1836", +p. 183.) +2 9 ) "When a man is in want of demand, does Mr. Malthus recommend him to pay some other +person to take off his goods?", fragt ein entrüsteter Ricardianer den Malthus, der wie sein +Schüler, der Pfaffe Chalmers, die Klasse von bloßen Käufern oder Konsumenten ökonomisch 40 +verherrlicht. Sieh: „An Inquiry into those principles respecting the Nature of Demand and the +Necessity of Consumption, lately advocated by Mr. Malthus" etc. London 1821, p. 55. + +148 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +Verkäufer Käufer und Käufer Verkäufer sind. Unsre Verlegenheit stammt +vielleicht daher, daß wir die Personen nur als personificirte Kategorien, +nicht individuell, gefaßt haben. + +Waarenbesitzer A mag so pfiffig sein seine Collegen B oder C übers Ohr +5 zu hauen, während sie trotz des besten Willens die Revanche schuldig blei- +ben. A verkauft Wein zum Werth von 40 Pfd. St. an B und erwirbt im Aus- +tausch Getreide zum Werth von 50 Pfd. St. A hat eine 40 Pfd. St. in 50 Pfd. +St. verwandelt, mehr Geld aus weniger Geld gemacht und seine Waare in +Kapital verwandelt. Sehn wir näher zu. Vor dem Austausch hatten wir für +10 40 Pfd. St. Wein in der Hand von A und für 50 Pfd. St. Getreide in der +Hand von B, Gesammtwerth von 90 Pfd. St. Nach dem Austausch haben +wir denselben Gesammtwerth von 90 Pfd. St. Der cirkulirende Werth hat +sich um kein Atom vergrößert, seine Vertheilung zwischen A und B hat +sich verändert. Auf der einen Seite erscheint als Mehrwerth, was auf der +15 andren Minderwerth ist, auf der einen Seite als Plus, was auf der andren | +11261 als Minus. Derselbe Wechsel hätte sich ereignet, wenn A, ohne die +verhüllende Form des Austausches, dem B 10 Pfd. direkt gestohlen hätte. +Die Summe der cirkulirenden Werthe kann offenbar durch keinen Wech- +sel in ihrer Vertheilung vermehrt werden, so wenig wie ein Jude die Masse +20 der edlen Metalle in einem Lande dadurch vermehrt, daß er einen Farthing +aus der Zeit der Königin Anna für eine Guinee verkauft. Die Gesammtheit +der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst übervorthei- +len 3 0). + +Man mag sich also drehen und wenden wie man will, das Facit bleibt +25 dasselbe. Werden Aequivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwerth, +und werden Nicht-Aequivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehr- +werth 3 1). Die Cirkulation oder der Waarenaustausch schafft keinen +Werth 3 2). + +Man versteht daher, warum in unsrer Analyse der Grundform des Kapi- + +30 + +35 + +3 0 ) Destutt de Tracy, obgleich - vielleicht weil - Membre de l'Institut, war umgekehrter An- +sicht. Die industriellen Kapitalisten, sagt er, machen dadurch ihre Profite, daß „sie alles theu- +rer verkaufen als es gekostet hat zu produciren. Und an wen verkaufen sie? Erstens an einan- +der". (I.e. p.239.) +3 1 ) «L'échange qui se fait de deux valeurs égales n'augmente ni ne diminue la masse des va- +leurs subsistantes dans la société. L'échange de deux valeurs inégales ... ne change rien non +plus à la somme des valeurs sociales, bien qu'il ajoute à la fortune de l'un ce qu'il ôte de la +fortune de l'autre.» (J.B.Say I.e. t.II, p.443, 444.) Say, natürlich unbekümmert um die Conse- +quenzen dieses Satzes, entlehnt ihn ziemlich wörtlich den Physiokraten. Die Art, wie er ihre +zu seiner Zeit verschollenen Schriften zur Vermehrung seines eigenen „Werthes" ausgebeutet +40 hat, zeige folgendes Beispiel. Der „berühmteste" Satz des Monsieur Say: «On n'achète des +produits qu'avec des produits» (I.e. t.I, p.438) lautet im physiokratischen Original: «Les pro- +ductions ne se paient qu'avec des productions.» (Le Trosne I.e. p. 899.) +3 2 ) "Exchange confers no value at all upon products." (F. Wayland: „The Elements of Pol. +Econ. Boston 1843", p. 169.) + +149 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +tals, der Form, worin es die ökonomische Organisation der modernen Ge- +sellschaft bestimmt, seine populären und so zu sagen antediluvianischen +Gestalten, Handelskapital und Wucherkapital, zunächst gänzlich unbe- +rücksichtigt bleiben. + +Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G-W-G', kaufen um +theurer zu verkaufen, am reinsten. Andrerseits geht seine ganze Bewegung +innerhalb der Cirkulationssphäre vor. Da es aber unmöglich ist aus der Cir- +kulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital, die Bildung von +Mehrwerth zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald +Aequivalente ausgetauscht werden 3 3), daher nur ableitbar aus der doppel- +seitigen 111271 Uebervortheilung der kaufenden und verkaufenden Waaren- +producenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kauf- +mann. In diesem Sinn sagt Franklin: „Krieg +ist Raub, Handel ist +Prellerei 3 4)." Soll die Verwerthung des Handelskapitals nicht aus bloßer +Prellerei der Waarenproducenten erklärt werden, so gehört dazu eine lange +Reihe von Mittelgliedern, die hier, wo die Waarencirkulation und ihre ein- +fachen Momente unsre einzige Voraussetzung bilden, noch gänzlich fehlt. +Was vom Handelskapital, gilt noch mehr vom Wucherkapital. Im Han- +delskapital sind die Extreme, das Geld, das auf den Markt geworfen und +das vermehrte Geld, das dem Markt entzogen wird, wenigstens vermittelt +durch Kauf und Verkauf, durch die Bewegung der Cirkulation. Im Wucher- +kapital ist die Form G-W-G' abgekürzt auf die unvermittelten Extreme +G-G', Geld, das sich gegen mehr Geld austauscht, eine der Natur des Gel- +des widersprechende und daher vom Standpunkt des Waarenaustausches +unerklärliche Form. Daher Aristoteles: „da die Chrematistik eine doppelte +ist, die eine zum Handel, die andre zur Oekonomik gehörig, die letztere +nothwendig und lob ens werth, die erstere auf die Cirkulation gegründet und +mit Recht getadelt (denn sie beruht nicht auf der Natur, sondern auf wech- +selseitiger Prellerei), so ist der Wucher mit vollstem Recht verhaßt, weil das +Geld selbst hier die Quelle des Erwerbs und nicht dazu gebraucht wird, +wozu es erfunden ward. Denn für den Waarenaustausch entstand es, der +Zins aber macht aus Geld mehr Geld. Daher auch sein Name (τόκος Zins +und Geborenes). Denn die Geborenen sind den Erzeugern ähnlich. Der +Zins aber ist Geld von Geld, so daß von allen Erwerbszweigen dieser der +naturwidrigste 3 5). " + +3 3 ) "Under the rule of invariable equivalents commerce would be impossible." (G.Opdyke: „A +Treatise on polit. Economy. New-York 1851", p. 67.) „Dem Unterschiede zwischen Realwerth +und Tauschwerth liegt eine Thatsache zum Grunde - nämlich daß der Werth einer Sache ver- +schieden ist von dem im Handel für sie gegebenen sogenannten Aequivalent, d. h. daß dieß +Aequivalent kein Aequivalent ist."(F.-Engels Lc p. 95, 96.) +3 4 ) Benjamin Franklin: Works, vol. II, edit. Sparks in: ,,Positions to be examined concerning +National Wealth". +3 5 ) Arist. 1. c. c. 10. + +150 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +Wie das Handelskapital werden wir das zinstragende Kapital im Verlauf +unsrer Untersuchung als abgeleitete Formen vorfinden und zugleich sehn, +warum sie historisch vor der modernen Grundform des Kapitals erschei- +nen. + +5 + +Es hat sich gezeigt, daß der Mehrwerth nicht aus der Cirkulation ent- +springen kann, bei seiner Bildung also etwas hinter ihrem ||128| Rücken +vorgehn muß, das in ihr selbst unsichtbar i s t 3 6 ) . Kann aber der Mehrwerth +anders woher entspringen als aus der Cirkulation? Die Cirkulation ist die +Summe aller Waarenbeziehungen der Waarenbesitzer. Außerhalb dersel- +10 ben steht der Waarenbesitzer nur noch in Beziehung zu seiner eignen +Waare. Was ihren Werth angeht, beschränkt sich das Verhältniß darauf, +daß sie ein nach bestimmten gesellschaftlichen Gesetzen gemessenes +Quantum seiner eignen Arbeit enthält. Dieß Quantum Arbeit drückt sich +aus in der Werthgröße seiner Waare und da sich Werthgröße in Rechen- +15 geld darstellt, in einem Preise von z . B . 10 Pfd. St. Aber seine Arbeit stellt +sich nicht dar im Werthe der Waare und einem Ueberschuß über ihrem +eignen Werth, nicht in einem Preise von 10, der zugleich ein Preis von 11, +nicht in einem Werth, der größer als er selbst ist. Der Waarenbesitzer kann +durch seine Arbeit Werthe bilden, aber keine sich verwerthenden Werthe. +20 Er kann den Werth einer Waare erhöhn, indem er vorhandnem Werth +neuen Werth durch neue Arbeit zusetzt, z.B. aus Leder Stiefel macht. Der- +selbe Stoff hat jetzt mehr Werth, weil er ein größeres Arbeitsquantum ent- +hält. Der Stiefel hat daher mehr Werth als das Leder, aber der Werth des +Leders ist geblieben, was er war. Er hat sich nicht verwerthet, nicht wäh- +rend der Stiefelfabrikation einen Mehrwerth angesetzt. Es ist also unmög- +lich, daß der Waarenproducent außerhalb der Cirkulationssphäre, ohne mit +andren Waarenbesitzern in Berührung zu treten, Werth verwerthe und da- +her Geld oder Waare in Kapital verwandle. + +25 + +Kapital kann also nicht aus der Cirkulation entspringen und es kann +30 eben so wenig aus der Cirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in + +ihr und nicht in ihr entspringen. + +Ein doppeltes Resultat hat sich also ergeben. +Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Waaren- +austausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so daß der Austausch von +35 Aequivalenten als Ausgangspunkt gilt 3 7). Unser ||129| nur noch als Kapita- + +3 6 ) "Profit, in the usual condition of the market, is not made by exchanging. Had it not ex- +isted before, neither could it after that transaction." (Ramsay 1. c. p. 184.) +3 7 ) Nach der gegebenen Auseinandersetzung versteht der Leser, daß dieß nur heißt: Die Kapi- +talbildung muß möglich sein, auch wenn der Waarenpreis gleich dem Waarenwerth. Sie kann +40 nicht aus der Abweichung der Waarenpreise von den Waarenwerthen erklärt werden. Weichen +die Preise von den Werthen wirklich ab, so muß man sie erst auf die letzteren reduciren, d.h. +von diesem Umstände als einem zufälligen absehn, um das Phänomen der Kapitalbildung auf + +151 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +listenraupe vorhandner Geldbesitzer muß die Waaren zu ihrem Werth kau- +fen, zu ihrem Werth verkaufen, und dennoch am Ende des Processes mehr +Werth herausziehn als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muß +in der Cirkulationssphäre und muß nicht in der Cirkulationssphäre vor- +gehn. Dies sind die Bedingungen des Problems. Hic Rhodus, hic salta! + +5 + +3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft. + +Die Werthveränderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll, +kann nicht an diesem Geld selbst vorgehn, denn als Kaufmittel und als +Zahlungsmittel realisirt es nur den Preis der Waare, die es kauft oder zahlt, +während es, in seiner eignen Form verharrend, zum Petrefakt von gleich- 10 +bleibender Werthgröße erstarrt 3 8). Eben so wenig kann die Veränderung +aus dem zweiten Cirkulationsakt, dem Wiederverkauf der Waare, entsprin- +gen, denn dieser Akt verwandelt die Waare bloß aus der Naturalform zu- +rück in die Geldform. Die Veränderung muß sich also zutragen mit der +Waare, die im ersten Akt G-W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Werth, 15 +denn es werden Aequivalente ausgetauscht, die Waare wird zu ihrem +Werthe bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Ge- +brauchswerth als solchem, d. h. aus ihrem Verbrauch. Um aus dem Ver- +brauch einer Waare Werth herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so +glücklich sein innerhalb der CirkulationsSphäre, auf dem Markt, eine 20 +Waare zu entdecken, deren Gebrauchswerth selbst die eigenthümliche Be- +schaffenheit besäße, Quelle von Werth zu sein, deren wirklicher Verbrauch +also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Werthschöpfung. +Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche ||130| specifische +Waare vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft. + +25 + +Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der + +Grundlage des Waarenaustauschs rein vor sich zu haben und in seiner Beobachtung nicht +durch störende und dem eigentlichen Verlauf fremde Nebenumstände verwirrt zu werden. +Man weiß übrigens, daß diese Reduktion keineswegs eine bloß wissenschaftliche Procedur ist. +Die beständigen Oscillationen der Marktpreise, ihr Steigen und Sinken, kompensiren sich, +heben sich wechselseitig auf und reduciren sich selbst zum Durchschnittspreis als ihrer inne- +ren Regel. Diese bildet den Leitstern z.B. des Kaufmanns oder des Industriellen in jeder Un- +ternehmung, die längeren Zeitraum umfaßt. Er weiß also daß, eine längere Periode im +Ganzen betrachtet, die Waaren wirklich weder unter, noch über, sondern zu ihrem Durch- +schnittspreis verkauft werden. Wäre interesseloses Denken also überhaupt sein Interesse, so +müßte er sich das Problem der Kapitalbildung so stellen: Wie kann Kapital entstehn bei der +Reglung der Preise durch den Durchschnittspreis, d.h. in letzter Instanz durch den Werth der +Waare? Ich sage „in letzter Instanz", weil die Durchschnittspreise nicht direkt mit den Werth- +größen der Waaren zusammenfallen, wie A. Smith, Ricardo u. s. w. glauben. +3 8 ) "In the form of money ... capital is productive of no profit." (Ricardo: Princ. of Pol. Econ. 40 +p. 267.) + +30 + +35 + +152 + + Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital + +physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendi- +gen Persönlichkeit eines Menschen existiren und die er in Bewegung setzt, +so oft er Gebrauchswerthe irgend einer Art producirt. + +20 + +Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Waare auf dem +5 Markt vorfinde, müssen verschiedne Bedingungen erfüllt sein. Der Waa- +renaustausch schließt an und für sich keine andren Abhängigkeitsverhält- +nisse ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter dieser Vor- +aussetzung kann die Arbeitskraft als Waare nur auf dem Markt erscheinen, +sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren Arbeits- +10 kraft sie ist, als Waare feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer +sie als Waare verkaufe, muß er über sie verfügen können, also freier Ei- +genthümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein 3 9). Er und der +Geldbesitzer begegnen sich auf dem Markt und treten in Verhältniß zu +einander als ebenbürtige Waarenbesitzer, nur dadurch unterschieden, daß +15 der eine Käufer, der andre Verkäufer, beide also juristisch gleiche Perso- +nen sind. Die Fortdauer dieses Verhältnisses erheischt, daß der Eigenthü- +mer der Arbeitskraft sie stets nur für bestimmte Zeit verkaufe, denn ver- +kauft er sie in Bausch und Bogen, ein für allemal, so verkauft er sich selbst, +verwandelt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Waarenbe- +sitzet in eine Waare. Er als Person muß sich beständig zu seiner Arbeits- +kraft als seinem Eigenthum und daher seiner eignen Waare verhalten und +das kann er nur, so weit er sie dem Käufer stets nur vorübergehend, für +einen bestimmten Zeittermin, zur Verfügung stellt, zum Verbrauch über- +läßt, also durch ihre Veräußerung nicht auf sein Eigenthum an ihr verzich- +t e t 4 0 ) . I +3 9 ) In Realencyklopädien des klassischen Alterthums kann man den Unsinn lesen, daß in der +antiken Welt das Kapital völlig entwickelt war, „außer daß der freie Arbeiter und das Kredit- +wesen fehlten". Auch Herr Mommsen in seiner „Römischen Geschichte" begeht ein quid pro +quo über das andre. +4 0 ) Verschiedne Gesetzgebungen setzen daher ein Maximum für den Arbeitskontrakt fest. +Alle Gesetzbücher bei Völkern freier Arbeit regeln Kündigungsbedingungen des Kontrakts. +In verschiednen Ländern, namentlich in Mexiko, (vor dem amerikanischen Bürgerkrieg auch +in den von Mexiko losgerissenen Territorien, und der Sache nach bis zu Kusa's Umwälzung +in den Donauprovinzen) ist die Sklaverei unter der Form von Peonage versteckt. Durch Vor- +schüsse, die in Arbeit abzutragen, und sich von Generation zu Generation fortwälzen, wird +nicht nur der einzelne Arbeiter, sondern seine Familie, thatsächlich das Eigenthum andrer +Personen und ihrer Familien. Juarez hatte die Peonage abgeschafft. Der sogenannte Kaiser +Maximilian führte sie wieder ein durch ein Dekret, das im Repräsentantenhaus zu Washing- +ton treffend als Dekret zur Wiedereinführung der Sklaverei in Mexiko denuncirt ward. „Von +40 meinen besondren körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der +Thätigkeit kann ich ... einen in der Zeit beschränkten Gebrauch an einen Andren veräußern, +weil sie nach dieser Beschränkung ein äußerliches Verhältniß zu meiner Totalität und Allge- +meinheit erhalten. Durch die Veräußerung meiner ganzen durch die Arbeit konkreten Zeit +und der Totalität meiner Produktion würde ich das Substantielle derselben, meine allgemeine +45 Thätigkeit und Wirklichkeit, meine Persönlichkeit zum Eigenthum eines Andren machen." + +35 + +30 + +25 + +Hegel: „Philosophie des Rechts. Berlin 1840", p. 104, §.67. + +153 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +11311 Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Ar- +beitskraft auf dem Markt als Waare vorfinde, ist die, daß ihr Besitzer, statt +Waaren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht +hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leib- +lichkeit existirt, als Waare feilbieten muß. + +Damit Jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waaren verkaufe, +muß er natürlich Produktionsmittel besitzen, z.B. Rohstoffe, Arbeitsinstru- +mente u. s. w. Er kann keine Stiefel machen ohne Leder. Er bedarf außer- +dem Lebensmittel. Niemand, selbst kein Zukunftsmusikant, kann von Pro- +dukten der Zukunft zehren, also auch nicht von Gebrauchswerthen, deren +Produktion noch unfertig, und wie am ersten Tag seiner Erscheinung auf +der Erdbühne, muß der Mensch noch jeden Tag konsumiren, bevor und +während er producirt. Werden die Produkte als Waaren producirt, so müs- +sen sie verkauft werden, nachdem sie producirt sind und können die Be- +dürfnisse des Producenten erst nach dem Verkauf befriedigen. Zur Produk- +tionszeit kömmt die für den Verkauf nöthige Zeit hinzu. + +Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den +freien Arbeiter auf dem Waarenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, +daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Waare verfügt, daß +er andrerseits andre Waaren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist +von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nöthigen Sachen. + +5 + +10 + +15 + +20 + +Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Cirkulationssphäre ge- +genübertritt, interessirt den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als +eine besondre Abtheilung des Waarenmarkts vorfindet. Und einstweilen +interessirt sie uns eben so wenig. Wir halten theoretisch an der Thatsache 25 +fest, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die Natur produ- +cirt nicht auf ||132| der einen Seite Geld- oder Waarenbesitzer und auf der +andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dieß Verhältniß ist kein +naturgeschichtliches und eben so wenig ein gesellschaftliches, das allen +Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer 30 +vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomi- +scher Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formatio- +nen der gesellschaftlichen Produktion. + +Auch die ökonomischen Kategorien, die wir früher betrachtet, tragen + +ihre geschichtliche Spur. Im Dasein des Produkts als Waare sind be- 35 +stimmte historische Bedingungen eingehüllt. Um Waare zu werden, darf +das Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel für den Producenten +selbst producirt werden. Hätten wir weiter geforscht: Unter welchen Um- +ständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte die +Form der Waare an, so hätte sich gefunden, daß dieß nur auf Grundlage +einer ganz spezifischen, der kapitalistischen Produktionsweise, geschieht. + +40 + +154 + + Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital + +Eine solche Untersuchung lag jedoch der Analyse der Waare fern. Waaren- +produktion und Waarencirkulation können stattfinden, obgleich die weit +überwiegende Produktenmasse, unmittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, +sich nicht in Waare verwandelt, der gesellschaftliche Produktionsproceß +5 also noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwerth +beherrscht ist. Die Darstellung des Produkts als Waare bedingt eine so weit +entwickelte Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, daß die Schei- +dung zwischen Gebrauchswerth und Tauschwerth, die im unmittelbaren +Tauschhandel erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine solche Entwicklungs- +10 stufe ist aber den geschichtlich verschiedensten ökonomischen Gesell- + +schaftsformationen gemein. + +15 + +Oder betrachten wir das Geld, so setzt es eine gewisse Höhe des Waaren- +austausches voraus. Die besondren Geldformen, bloßes Waarenäquivalent, +oder Cirkulationsmittel, oder Zahlungsmittel, Schatz und Weltgeld, deu- +ten, je nach dem verschiednen Umfang und dem relativen Vorwiegen einer +oder der andren Funktion, auf sehr verschiedne Stufen des gesellschaftli- +chen Produktionsprocesses. Dennoch genügt erfahrungsmäßig eine relativ +schwach entwickelte Waarencirkulation zur Bildung aller dieser Formen. +Anders mit dem Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen sind +20 durchaus nicht da mit der Waaren- und Geldcirkulation. Es entsteht nur, +wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien Arbeiter +als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt ||133| vorfindet, und diese +eine historische Bedingung umschließt eine Weltgeschichte. Das Kapital +kündigt daher von vorn herein eine Epoche des gesellschaftlichen Produk- + +25 tionsprocesses a n 4 1 ) . + +Diese eigenthümliche Waare, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrach- +ten. Gleich allen andren Waaren besitzt sie einen Werth 4 2). Wie wird er be- +stimmt? + +30 + +Der Werth der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Waare, ist be- +stimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses specifi- +schen Artikels nothwendige Arbeitszeit. Soweit sie Werth, repräsentirt die +Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlich- +ter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existirt nur als +Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Exi- +35 Stenz voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produk- + +4 1 ) Was also die kapitalistische Epoche charakterisirt, ist daß die Arbeitskraft für den Arbeiter +selbst die Form einer ihm gehörigen Waare, seine Arbeit daher die Form der Lohnarbeit er- +hält. Andrerseits verallgemeinert sich erst von diesem Augenblick die Waarenform der Ar- +beitsprodukte. +4 2 ) "The Value or Worth of a man, is as of all other things, his price: that is to say, so much as +would be given for the use of his power." Th. Hobbes: ,,Leviathan" in „Works edit. Moles- +worth. London 1839-44", v. Ill, p. 76. + +40 + +155 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +5 + +tion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu sei- +ner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von +Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft nothwendige Arbeits- +zeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel nothwen- +dige Arbeitszeit, oder der Werth der Arbeitskraft ist der Werth der zur Er- +ihres Besitzers nothwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft +haltung +verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Aeußerung, bethätigt sich nur in +der Arbeit. Durch ihre Bethätigung, die Arbeit, wird aber ein bestimmtes +Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn u. s. w. verausgabt, das +wieder ersetzt werden muß. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine ver- 10 +mehrte Einnahme 4 3). Wenn der Eigenthümer der Arbeitskraft heute gear- +beitet hat, muß er denselben Proceß morgen unter denselben Bedingungen +von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebens- +mittel muß also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes In- +dividuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen 15 +Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung u.s.w. sind +verschieden je ||134| nach den klimatischen und andren natürlichen Ei- +genthümlichkeiten eines Landes. Andrerseits ist der Umfang s.g. n o t w e n - +diger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches +Produkt und hängt daher großentheils von der Kulturstufe eines Landes, 20 +unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und +daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der +freien Arbeiter sich gebildet h a t 4 4 ) . Im Gegensatz zu den andren Waaren +enthält also die Werthbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und +moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Pe- 25 +riode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der nothwendigen Lebensmit- +tel gegeben. + +Der Eigenthümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erschei- +nung auf dem Markt eine kontinuirliche sein, wie die kontinuirliche Ver- +wandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muß der Verkäufer der Ar- 30 +beitskraft sich verewigen, „wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, +durch Fortpflanzung 4 5)". Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzo- +genen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl +neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produk- +tion der Arbeitskraft nothwendigen Lebensmittel schließt also die Lebens- 35 +mittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich + +4 3 ) Der altrömische villicus, als Wirthschafter an der Spitze der Ackerbausklaven, empfing da- +her, „weil er leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Maß als diese". (Th.Mommsen: +„Rom. Geschichte 1856", p. 810.)~ +4 4 ) Vgl. ,,Over-population and its Remedy. London 1846" von W. Th. Thornton. +4 5 ) Petty. + +40 + +156 + + Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital + +diese Race eigentümlicher Waarenbesitzer auf dem Waarenmarkte ver- +ewigt 4 6). + +Um die allgemein menschliche Natur so zu modificiren, daß sie Ge- +schick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwik- +5 kelte und specifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bil- +dung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe +von Waarenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittel- +ten Charakter der Arbeitskraft, sind ihre Bildungskosten verschieden. +Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhnliche Arbeits- +10 kraft, gehn also ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten + +Werthe. + +Der Werth der Arbeitskraft löst sich auf in den Werth einer ||135| be- +stimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem +Werth dieser Lebensmittel, d. h. der Größe der zu ihrer Produktion er- + +15 heischten Arbeitszeit. + +Ein Theil der Lebensmittel, z.B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel u.s.w., +werden täglich neu verzehrt, und müssen täglich neu ersetzt werden. Andre +Lebensmittel, wie Kleider, Möbel u.s.w. verbrauchen sich in längeren Zeit- +räumen, und sind daher nur in längeren Zeiträumen zu ersetzen. Waaren +20 einer Art müssen täglich, andre wöchentlich, vierteljährlich u. s. f. gekauft +oder gezahlt werden. Wie sich die Summe dieser Ausgaben aber immer +während eines Jahres z.B. vertheilen möge, sie muß gedeckt sein durch die +Durchschnittseinnahme Tag ein, Tag aus. Wäre die Masse der täglich zur +Produktion der Arbeitskraft erheischten Waaren = A, die der wöchentlich +25 erheischten = B, die der vierteljährlich erheischten = C u.s.w., so wäre der + +• • • r u n +tagliche Durchschnitt dieser Waaren = + +u u + +A - + +w + +3 6 5 A + 5 2 B + 4 C + U.S.W. +— +365 + +. Ge- + +setzt in dieser für den Durchschnitts-Tag nöthigen Waarenmasse steckten +6 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Ar- +beitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, +30 oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft er- +heischt. Dieß zu ihrer täglichen Produktion erheischte Arbeitsquantum bil- +det den Tageswerth der Arbeitskraft, oder den Werth der täglich reprodu- +cirten Arbeitskraft. Wenn +sich ein halber Tag gesellschaftlicher +Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem +35 Thaler darstellt, so ist Ein Thaler der dem Tageswerth der Arbeitskraft ent- +4 6 ) "Its (labour's) natural price ... consists in such a quantity of necessaries, and comforts of +life, as, from the nature of the climate, and the habits of the country, are necessary to support +the labourer, and to enable him to rear such a family as may preserve, in the market, an undi- +minished supply of labour." R.Torrens: „An Essay on the external Corn Trade. London 1815" + +40 P· 62. Das Wort Arbeit steht hier fälschlich für Arbeitskraft. + +157 + + Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital + +sprechende Preis. Bietet der Besitzer der Arbeitskraft sie feil für Einen +Thaler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Werth und, nach uns- +rer Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Thaler in Kapital er- +pichte Geldbesitzer diesen Werth. + +Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werths der Arbeitskraft wird +gebildet durch den Werth einer Waarenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr +der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensproceß nicht erneu- +ern kann, also durch den Werth der physisch unentbehrlichen Lebensmit- +tel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so sinkt er unter +ihren Werth, denn sie kann sich so nur in verkümmerter Form erhalten 10 +und entwickeln. Der Werth jeder Waare ist aber bestimmt durch die Ar- +beitszeit, erfordert um sie in normaler Güte zu liefern. + +5 + +Es ist eine außerordentlich wohlfeile Sentimentalität, diese aus ||136| der +Natur der Sache fließende Werthbestimmung der Arbeitskraft grob zu fin- +den und etwa mit Rossi zu jammern: „Das Arbeitsvermögen (puissance de 15 +travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln der Arbeit wäh- +rend des Produktionsprocesses abstrahirt, heißt ein Hirngespinnst (être de +raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen sagt, sagt zugleich +Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeitslohn 4 7)." Wer Arbeits- +vermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als wer Verdauungsvermögen 20 +sagt, Verdauen sagt. Zum letztren Proceß ist bekanntlich mehr als ein guter +Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen sagt, abstrahirt nicht von den zu +seiner Subsistenz nothwendigen Lebensmitteln. Ihr Werth ist vielmehr +ausgedrückt in seinem Werth. Wird es nicht verkauft, so nützt es dem Ar- +beiter nichts, so empfindet er es vielmehr als eine grausame Naturnoth- 25 +wendigkeit, daß sein Arbeitsvermögen ein bestimmtes Quantum Subsi- +stenzmittel zu seiner Produktion erheischt hat und stets wieder von neuem +zu seiner Reproduktion erheischt. Er entdeckt dann mit Sismondi: „das +Arbeitsvermögen .... ist Nichts, wenn es nicht verkauft wird 4 8)." + +Die eigenthümliche Natur dieser specifischen Waare, der Arbeitskraft, 30 + +bringt es mit sich, daß mit der Abschließung des Kontrakts zwischen Käu- +fer und Verkäufer ihr Gebrauchswerth noch nicht wirklich in die Hand des +Käufers übergegangen ist. Ihr Werth, gleich dem jeder andren Waare, war +bestimmt, bevor sie in die Cirkulation trat, denn ein bestimmtes Quantum +gesellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der Arbeitskraft verausgabt, 35 +aber ihr Gebrauchswerth besteht erst in der nachträglichen Kraftäußerung. +Die Veräußerung der Kraft und ihre wirkliche Aeußerung, d. h. ihr Dasein +als Gebrauchswerth, fallen daher der Zeit nach aus einander. Bei solchen + +4 7 ) Rossi: ,,Cours d'Écon. Polit. Bruxelles 1843", p. 370, 371. +4 8 ) Sismondi: „Nouv. Princ. etc.", t.I, p. 114. + +40 + +158 + + Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital + +Waaren a b e r 4 9 ) , wo die formelle Veräußerung des Gebrauchswerts durch + +den Verkauf und seine wirkliche Ueberlassung an den Käufer der Zeit + +nach auseinander fallen, funktionirt das Geld des Käufers meist als Zah- + +lungsmittel. In ||137| allen Ländern kapitalistischer Produktionsweise wird + +5 die Arbeitskraft erst gezahlt, nachdem sie bereits während des im Kaufkon- + +trakt festgesetzten Termins funktionirt hat, z.B. am Ende jeder Woche. + +Ueberau schießt daher der Arbeiter dem Kapitalisten den Gebrauchswerth + +der Arbeitskraft vor; er läßt sie vom Käufer konsumiren, bevor er ihren + +Preis bezahlt erhält, überall kreditirt daher der Arbeiter dem Kapitalisten. + +10 Daß dies Kreditiren kein leerer Wahn ist, zeigt nicht nur der gelegentliche + +Verlust des kreditirten Lohns beim Bankerott des Kapitalisten 5 0), sondern + +auch eine Reihe mehr nachhaltiger Wirkungen 5 1). Indeß ändert es an | + +20 + +15 + +4 9 ) "All labour is paid, after it has ceased." („An Inquiry into those Principles respecting the +Nature of Demand etc.", p. 104). «Le crédit commercial a dû commencer au moment où +l'ouvrier, premier artisan de la production, a pu, au moyen de ses économies, attendre le sa- +laire de son travail jusqu'à la fin de la semaine, de la quinzaine, du mois, du trimestre etc.» +(Ch.Ganilh: „Des Systèmes de l'Écon. Polit. 2ème édit. Paris 1821", t. II, p. 150.) +5 0 ) ,,L'ouvrier prête son industrie", aber setzt Storch schlau hinzu: er „riskirt nichts" außer +„de perdre son salaire ... l'ouvrier ne transmet rien de matériel". (Storch: ,,Cours d'Écon. Po- +lit. Pétersbourg 1815", t. IL p. 36, 37.) +5 1 ) Ein Beispiel. In London existiren zweierlei Sorten von Bäckern, die ,,full priced", die das +Brod zu seinem vollen Werthe verkaufen, und die „undersellers", die es unter diesem Werthe +verkaufen. Letztere Klasse bildet über % der Gesammtzahl der Bäcker, (p. X X X I I - X X X I V im +„Report" des Regierungskommissairs H. S.Tremenheere über die ,,Grievances complained of +25 by the journeymen bakers etc. London 1862.") Diese undersellers verkaufen, fast ausnahms- +los, Brod, das verfälscht ist durch Beimischung von Alaun, Seife, Perlasche, Kalk, Derbyshire +Steinmehl und ähnlichen angenehmen, nahrhaften und gesunden Ingredienzien. (Sieh das +oben citirte Blaubuch, ebenso den Bericht des ,,Committee of 1855 on the Adulteration of +Bread" und Dr.Hassall's: ,,Adulterations Detected". 2nd edit. London 1861.) Sir John Gordon +30 erklärte vor dem Comité von 1855, daß, „in Folge dieser Fälschungen der Arme, der von zwei +Pfund Brod täglich lebt, jetzt nicht den vierten Theil des Nahrungsstoffes wirklich erhält, ab- +gesehn von den schädlichen Wirkungen auf seine Gesundheit." Als Grund, warum „ein sehr +großer Theil der Arbeiterklasse", obgleich wohlunterrichtet über die Fälschungen, dennoch +Alaun, Steinmehl etc. mit in den Kauf nimmt, führt Tremenheere (I.e. p. XLVIII) an, daß es +für sie „ein Ding der Notwendigkeit ist, von ihrem Bäcker oder dem chandler's shop das +Brod zu nehmen, wie man es ihnen zu geben beliebt." Da sie erst Ende der Arbeitswoche be- +zahlt werden, können sie auch „das während der Woche von ihren Familien verzehrte Brod +erst Ende der Woche zahlen"; und, fügt Tremenheere mit Anführung der Zeugenaussagen +hinzu: „es ist notorisch, daß mit solchen Mixturen bereitetes Brod expreß für diese Art Kun- +40 den gemacht wird." ("It is notorious that bread composed of those mixtures, is made expressly +for sale in this manner.") „In vielen englischen Agrikulturdistrikten (aber noch mehr in schot- +tischen) wird der Arbeitslohn vierzehntägig und selbst monatlich gezahlt. Mit diesen langen +Zahlungsfristen muß der Agrikulturarbeiter seine Waaren auf Kredit kaufen . . . E r hat höhere +Preise zu zahlen und ist thatsächlich an die Boutique gebunden, die ihm pumpt. So kostet +ihm z.B. zu Horningsham in Wilts, wo die Löhnung monatlich, dasselbe Mehl 2 sh. 4 d. per +stone, das er sonstwo mit 1 sh. 10 d. zahlt." (,,Sixth Report" on „Public Health" by „The Medi- +cal Officer of the Privy Council etc. 1864", p. 264.) „Die Kattun-Handdrucker von Paisley und +Kilmarnock (Westschottland) erzwangen 1853 durch einen Strike die Herabsetzung des Zah- +lungstermins von einem Monat auf 14 Tage." („Reports of the Inspectors of Factories for 31st +50 Oct. 1853", p. 34.) Als eine weitere artige Entwicklung des Kredits, den der Arbeiter dem Ka- + +45 + +35 + +159 + + Zweiter Abschnitt · Die Verwandlung von Geld in Kapital + +113 81 der Natur des Waarenaustausches selbst nichts, ob das Geld als Kauf- +mittel oder als Zahlungsmittel funktionirt. Der Preis der Arbeitskraft ist +kontraktlich festgesetzt, obgleich er erst hinterher realisirt wird, wie der +Miethpreis eines Hauses. Die Arbeitskraft ist verkauft, obgleich sie erst +hinterher bezahlt wird. Für die reine Auffassung des Verhältnisses ist es j e - +doch nützlich, einstweilen vorauszusetzen, daß der Besitzer der Arbeits- +kraft mit ihrem Verkauf jedesmal auch sogleich den kontraktlich stipulir- +ten Preis erhält. + +5 + +Wir kennen nun die Art und Weise der Bestimmung des Werths, wel- +cher dem Besitzer dieser eigenthümlichen Waare, der Arbeitskraft, vom 10 +Geldbesitzer gezahlt wird. Der Gebrauchswerth, den letztrer seinerseits im +Austausch erhält, zeigt sich erst im wirklichen Verbrauch, im Konsum- +tionsproceß der Arbeitskraft. Alle zu diesem Proceß nöthigen Dinge, wie +Rohmaterial u. s. w., kauft der Geldbesitzer auf dem Waarenmarkt und +zahlt sie zum vollen Preis. Der Konsumtionsproceß der Arbeitskraft ist zu- 15 +gleich der Produktionsproceß von Waare und von Mehrwerth. Die Kon- +sumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder andren Waare, voll- +zieht sich außerhalb des Markts oder der Cirkulationssphäre. Diese +geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und Aller Augen zugängliche +Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit Geldbesitzer und Arbeitskraft- 20 +besitzer, um beiden nachzufolgen in die verborgne Stätte der Produktion, +an deren Schwelle zu lesen steht: No admittance except on business. Hier +wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital producirt, sondern auch wie +man es selbst producirt, das Kapital. Das Geheimniß der Plusmacherei +muß sich endlich enthüllen. + +25 + +Die Sphäre der Cirkulation oder des Waarenaustausches, innerhalb de- +ren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der +That ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier +herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigenthum, und Bentham. Freiheit! denn +Käufer und Verkäufer einer Waare, z . B . der Arbeitskraft, sind nur durch 30 +ihren freien Willen ||139| bestimmt. Sie kontrahiren als freie, rechtlich +ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre +Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie +beziehen sich nur als Waarenbesitzer auf einander und tauschen Aequiva- + +pitalisten gibt, kann man die Methode vieler englischer Kohlenbergwerksbesitzer betrachten, 35 +wonach der Arbeiter erst Ende des Monats bezahlt wird, und in der Zwischenzeit Vorschüsse +vom Kapitalisten erhält, oft in Waaren, die er über ihren Marktpreis zahlen muß (Trucksy- +stem). „It is a common practice with the coal masters to pay once a month, and advance cash +to their workmen at the end of each intermediate week. The cash is given in the shop (näm- +lich dem tommy shop oder dem Meister selbst gehörigen Kramladen); the men take it on one 40 +side and lay it out on the other." (,,Children's Employment Commission, III. Report. Lond. +1864", p. 38. n.192.) + +160 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +lent für Aequivalent. Eigenthum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. +Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu thun. Die ein- +zige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältniß bringt, ist die ihres +Eigennutzes, ihres Sondervortheiis, ihrer Privatinteressen. Und eben weil +so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, in +Folge einer prästabilirten Harmonie der Dinge, oder unter den Auspicien +einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vortheils, +des Gemeinnutzens, des Gesammtinteresses. + +5 + +Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Cirkulation oder des +10 Waarenaustausches, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Be- +griffe und Maßstab für sein Urtheil über die Gesellschaft des Kapitals und +der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die +Physiognomie unsrer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer +schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als +sein Arbeiter; der Eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, +der Andre scheu, widerstrebsam, wie Jemand, der seine eigne Haut zu +Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die - Gerberei. + +15 + +D R I T T E R A B S C H N I T T . + +Die Produktion des absoluten Mehrwerths. + +20 + +F Ü N F T E S K A P I T E L . + +Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß. + +I) Arbeitsproceß. + +Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Ar- +beitskraft konsumirt sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten läßt. Letztrer +25 wird hierdurch actu sich bethätigende Arbeitskraft, Arbeiter, was er früher +nur potentia war. Um seine Arbeit in Waaren darzustellen, muß er sie vor +allem in Gebrauchswerthen darstellen, Sachen, die zur Befriedigung von +Bedürfnissen irgend ||140| einer Art dienen. Es ist also ein besondrer Ge- +brauchswerth, ein bestimmter Artikel, den der Kapitalist vom Arbeiter an- +fertigen läßt. Die Produktion von Gebrauchswerthen, oder Gütern, ändert +ihre allgemeine Natur nicht dadurch, daß sie für den Kapitalisten und un- +ter seiner Kontrole vorgeht. Der Arbeitsproceß ist daher zunächst unabhän- +gig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form zu betrachten. + +30 + +161 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +Die Arbeit ist zunächst ein Proceß zwischen Mensch und Natur, ein Pro- +ceß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine +eigne That vermittelt, regelt und kontrolirt. Er tritt dem Naturstoff selbst +als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Na- +turkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich +den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueig- +nen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und +sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in +ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner +eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten thierartig in- 10 +stinktmäßigen Formen der Arbeit zu thun. Dem Zustand, worin der Arbei- +ter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Waarenmarkt auftritt, +ist in urzeitlichen Hintergrund der Zustand entrückt, worin die menschli- +che Arbeit ihre erste instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir +unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließ- 15 +lieh angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers +ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen man- +chen menschlichen Baumeister. Was aber von vorn herein den schlechte- +sten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in +seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeits- 20 +processes kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in +der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß +er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im +Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise +seines Thuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen 25 +muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der An- +strengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als +Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um +so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise +ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, ||141| je weniger er sie da- 30 +her als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt. + +Die einfachen Momente des Arbeitsprocesses sind die zweckmäßige + +Thätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel. + +Die Erde (worunter ökonomisch auch das Wasser einbegriffen), wie sie +den Menschen ursprünglich mit Proviant, fertigen Lebensmitteln ausrü- 35 +stet 1), findet sich ohne sein Zuthun als der allgemeine Gegenstand der +menschlichen Arbeit vor. Alle Dinge, welche die Arbeit nur von ihrem un- + +1J "The earth's spontaneous productions being in small quantity, and quite independent of +man, appear, as it were, to be furnished by nature, in the same way as a small sum is given to a +young man, in order to put him in a way of industry, and of making his fortune." (James Steu- 40 +art: ,,Principles of Polit. Econ. edit. Dublin 1770", v. I, p. 116.) + +162 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +mittelbaren Zusammenhang mit dem Erdganzen loslöst, sind von Natur +vorgefundne Arbeitsgegenstände. So der Fisch, der von seinem Lebensele- +ment, dem Wasser, getrennt, gefangen wird, das Holz, das im Urwald ge- +fällt, das Erz, das aus seiner Ader losgebrochen wird. Ist der Arbeitsgegen- +stand dagegen selbst schon sozusagen durch frühere Arbeit filtrirt, so +nennen wir ihn Rohmaterial. Z . B . das bereits losgebrochene Erz, das nun +ausgewaschen wird. Alles Rohmaterial ist Arbeitsgegenstand, aber nicht j e - +der Arbeitsgegenstand ist Rohmaterial. Rohmaterial ist der Arbeitsgegen- +stand nur, sobald er bereits eine durch Arbeit vermittelte Veränderung er- +fahren hat. + +5 + +10 + +20 + +Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Ar- +beiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand schiebt, und die ihm als +Leiter seiner Thätigkeit auf diesen Gegenstand dienen. Er benutzt die me- +chanischen, physikalischen, chemischen Eigenschaften der Dinge, um sie +15 als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäß, wirken zu lassen 2). +Der Gegenstand, dessen sich der Arbeiter unmittelbar bemächtigt - abge- +sehn von der Ergreifung fertiger Lebensmittel, der Früchte z. B . , wobei +seine eignen Leibesorgane allein als Arbeitsmittel dienen - ist nicht der +Arbeitsgegenstand, sondern das Arbeitsmittel. So wird das Natürliche +selbst zum Organ seiner Thätigkeit, ein Organ, das er seinen eignen Lei- +besorganen hinzufügt, seine natürliche Gestalt ||142| verlängernd, trotz der +Bibel. Wie die Erde seine ursprüngliche Proviantkammer, ist sie sein ur- +sprüngliches Arsenal von Arbeitsmitteln. Sie liefert ihm z.B. den Stein, +womit er wirft, reibt, drückt, schneidet u. s. w. Die Erde selbst ist ein Ar- +25 beitsmittel, setzt jedoch zu ihrem Dienst als Arbeitsmittel in der Agrikul- +tur wieder eine ganze Reihe andrer Arbeitsmittel und eine schon relativ +hohe Entwicklung der Arbeitskraft voraus 3). Sobald überhaupt der Arbeits- +proceß nur einigermaßen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Ar- +beitsmittel. In den ältesten Menschenhöhlen finden wir Steinwerkzeuge +30 und Steinwaffen. Neben bearbeitetem Stein, Holz, Knochen und Mu- +scheln spielt im Anfang der Menschengeschichte das gezähmte, also selbst +schon durch Arbeit veränderte, gezüchtete Thier die Hauptrolle als Ar- +beitsmittel 4). Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln, ob- + +35 + +40 + +2) „Die Vernunft ist eben so listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermitteln- +den Thätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß auf einander einwir- +ken und sich zu einander abarbeiten läßt, ohne sich unmittelbar in diesen Proceß einzumi- +schen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt." (Hegel: „Encyklopädie. Erster +Theil. Die Logik. Berlin 1840", p.382.) +3) In der sonst elenden Schrift: „Theorie de l'Écon. Polit. Paris 1815", zählt Ganilh den Phy- +siokraten gegenüber treffend die große Reihe von Arbeitsprocessen auf, welche die Vorausset- +zung der eigentlichen Agrikultur bilden. +4) In den ,,Réflexions sur la Formation et Ia Distribution des Richesses" (1766) entwickelt +Turgot gut die Wichtigkeit des gezähmten Thiers für die Anfänge der Kultur. + +163 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +gleich im Keim schon gewissen Thierarten eigen, charakterisiren den spe- +cifisch menschlichen Arbeitsproceß und Franklin definirt daher den +Menschen als „a toolmaking animal", ein Werkzeuge fabricirendes Thier. +Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Er- +kenntniß der Organisation untergegangner Thiergeschlechter, haben ReIi- +quien von Arbeitsmitteln für die Beurtheilung untergegangner ökonomi- +scher Gesellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit +welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen +Epochen 5)- Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung +der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftli- 10 +chen Verhältnisse, worin gearbeitet wird. Unter den Arbeitsmitteln selbst +bieten die mechanischen Arbeitsmittel, deren Gesammtheit man das Kno- +chen- und Muskelsystem der Produktion nennen kann, viel entscheiden- +dere Charaktermerkmale einer gesellschaftlichen Produktionsepoche, als +solche Arbeitsmittel, die nur zu Behältern des Arbeitsgegenstandes dienen, 15 +und deren Gesammtheit ganz allgemein als das Gefäßsystem der Produk- +tion bezeichnet werden kann, wie z.B. Röhren, Fässer, Körbe, Krüge u.s.w. +Erst in 111431 der chemischen Fabrikation spielen sie eine bedeutungsvolle +R o l l e 5 a ) . + +Im weitren Sinn zählt der Arbeitsproceß unter seine Mittel außer den 20 + +Dingen, welche die Wirkung der Arbeit auf ihren Gegenstand vermitteln, +und daher in einer oder der andren Weise als Leiter der Thätigkeit dienen, +alle gegenständlichen Bedingungen, die überhaupt erheischt sind, damit +der Proceß stattfinde. Sie gehn nicht direkt in ihn ein, aber er kann ohne +sie gar nicht oder nur unvollkommen vorgehn. Das allgemeine Arbeitsmit- 25 +tel dieser Art ist wieder die Erde selbst, denn sie giebt dem Arbeiter den lo- +cus standi und seinem Proceß den Wirkungsraum (field of employment). +Durch die Arbeit schon vermittelte Arbeitsmittel dieser Art sind z.B. Ar- +beitsgebäude, Kanäle, Straßen u. s. w. + +Im Arbeitsproceß bewirkt also die Thätigkeit des Menschen durch das 30 + +Arbeitsmittel eine von vorn herein bezweckte Veränderung des Arbeitsge- +genstandes. Der Proceß erlischt im Produkt. Sein Produkt ist ein Ge- +brauchswerth, ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnissen an- +ihrem Gegenstand +geeigneter Naturstoff. Die Arbeit hat sich mit +verbunden. Sie ist vergegenständlicht und der Gegenstand ist verarbeitet. 35 +Was auf Seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint + +5) Von allen Waaren sind eigentliche Luxuswaaren die unbedeutendsten für die technologi- +sche Vergleichung verschiedner Produktionsepochen. +5 a ) Note zur 2. Ausg. So wenig die bisherige Geschichtsschreibung die Entwicklung der mate- +riellen Produktion, also die Grundläge alles gesellschaftlichen Levens und daher aller wirkli- 40 +chen Geschichte kennt, hat man wenigstens die vorhistorische Zeit auf Grundlage naturwis- +senschaftlicher, nicht sog. historischer Forschungen, nach dem Material der Werkzeuge und +Waffen in Steinalter, Bronzealter und Eisenalter abgetheilt. + +164 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf Seiten des Pro- +dukts. Es hat gesponnen und das Produkt ist ein Gespinst. + +Betrachtet man den ganzen Proceß vom Standpunkt seines Resultats, +des Produkts, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, + +5 als Produktionsmittel 6) und die Arbeit selbst als produktive Arbeit 7). + +Wenn ein Gebrauchswerth als Produkt aus dem Arbeitsproceß heraus- +kommt, gehn andre Gebrauchswerthe, Produkte frührer Arbeitsprocesse, +als Produktionsmittel in ihn ein. Derselbe Ge11144|brauchswerth, der das +Produkt dieser, bildet das Produktionsmittel jener Arbeit. Produkte sind +10 daher nicht nur Resultat, sondern zugleich Bedingung des Arbeitsproces- + +ses. + +Mit Ausnahme der extraktiven Industrie, die ihren Arbeitsgegenstand +von Natur vorfindet, wie Bergbau, Jagd, Fischfang u. s. w., (der Ackerbau +nur, soweit er in erster Instanz die jungfräuliche Erde selbst aufbricht), be- +15 handeln alle Industriezweige einen Gegenstand, der Rohmaterial, d.h. be- +reits durch die Arbeit filtrirter Arbeitsgegenstand, selbst schon Arbeitspro- +dukt ist. So z.B. der Samen in der Agrikultur. Thiere und Pflanzen, die +man als Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte viel- +leicht der Arbeit vom vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen, Pro- +20 dukte einer durch viele Generationen, unter menschlicher Kontrole, ver- +mittelst menschlicher Arbeit, fortgesetzten Umwandlung. Was aber die +Arbeitsmittel insbesondre betrifft, so zeigt ihre ungeheure Mehrzahl dem +oberflächlichsten Blick die Spur vergangner Arbeit. + +Das Rohmaterial kann die Hauptsubstanz eines Produkts bilden, oder +25 nur als Hülfsstoff in seine Bildung eingehn. Der Hülfsstoff wird vom Ar- +beitsmittel konsumirt, wie Kohle von der Dampfmaschine, OeI vom Rade, +Heu vom Zugpferd, oder dem Rohmaterial zugesetzt, um darin eine stoffli- +che Veränderung zu bewirken, wie Chlor zur ungebleichten Leinwand, +Kohle zum Eisen, Farbe zur Wolle, oder er unterstützt die Verrichtung der +30 Arbeit selbst, wie z . B . zur Beleuchtung und Heizung des Arbeitslokals ver- +wandte Stoffe. Der Unterschied zwischen Hauptstoff und Hülfsstoff ver- +schwimmt in der eigentlich chemischen Fabrikation, weil keines der ange- +wandten Rohmaterialien als die Substanz des Produkts wieder erscheint. 8). +Da jedes Ding vielerlei Eigenschaften besitzt und daher verschiedner +35 Nutzanwendung fähig ist, kann dasselbe Produkt das Rohmaterial sehr ver- + +6) Es scheint paradox z.B. den Fisch, der noch nicht gefangen ist, ein Produktionsmittel für +den Fischfang zu nennen. Bisher ist aber noch nicht die Kunst erfunden, Fische in Gewässern +zu fangen, in denen sie sich nicht vorfinden. +7) Diese Bestimmung produktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen Arbeits- +processes ergibt, reicht keineswegs hin für den kapitalistischen Produktionsproceß. +8) Storch unterscheidet das eigentliche Rohmaterial als ,,matière" von den Hülfsstoffen als +,,matériaux"; Cherbuliez bezeichnet die Hülfsstoffe als ,,matières instrumentales". + +40 + +165 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +schiedner Arbeitsprocesse bilden. Korn z.B. ist Rohmaterial für Müller, +Stärkefabrikant, Destillateur, Viehzüchter u. s. w. Es wird Rohmaterial sei- +ner eignen Produktion als Samen. So geht die Kohle als Produkt aus der +Minenindustrie hervor und als Produktionsmittel in sie ein. + +Dasselbe Produkt mag in demselben Arbeitsproceß als Arbeitsmittel und +Rohmaterial dienen. Bei der Viehmast z.B. wo das ||145| Vieh, das bearbei- +tete Rohmaterial, zugleich Mittel der Düngerbereitung ist. + +5 + +Ein Produkt, das in einer für die Konsumtion fertigen Form existirt, +kann von neuem zum Rohmaterial eines andren Produkts werden, wie die +Traube zum Rohmaterial des Weins. Oder die Arbeit entläßt ihr Produkt in 10 +Formen, worin es nur wieder als Rohmaterial brauchbar ist. Rohmaterial in +diesem Zustand heißt Halbfabrikat und hieße besser Stufenfabrikat, wie +z . B . Baumwolle, Faden, Garn u.s.w. Obgleich selbst schon Produkt, mag +das ursprüngliche Rohmaterial eine ganze Staffel verschiedner Processe zu +durchlaufen haben, worin es in stets veränderter Gestalt stets von neuem 15 +als Rohmaterial funktionirt bis zum letzten Arbeitsproceß, der es als ferti- +ges Lebensmittel oder fertiges Arbeitsmittel von sich abstößt. + +Man sieht: ob ein Gebrauchswerth als Rohmaterial, Arbeitsmittel oder +Produkt erscheint, hängt ganz und gar ab von seiner bestimmten Funktion +im Arbeitsprocesse, von der Stelle, die er in ihm einnimmt, und mit dem 20 +Wechsel dieser Stelle wechseln jene Bestimmungen. + +Durch ihren Eintritt als Produktionsmittel in neue Arbeitsprocesse ver- +lieren Produkte daher den Charakter des Produkts. Sie funktioniren nur +noch als gegenständliche Faktoren der lebendigen Arbeit. Der Spinner be- +handelt die Spindel nur als Mittel womit, den Flachs nur als Gegenstand, 25 +den er spinnt. Allerdings kann man nicht spinnen ohne Spinnmaterial und +Spindel. Das Vorhandensein dieser Produkte ist daher vorausgesetzt beim +Beginn des Spinnens. In diesem Proceß selbst aber ist es eben so gleichgül- +tig, daß Flachs und Spindel Produkte vergangner Arbeit sind, wie es im +Akt der Ernährung gleichgültig ist, daß Brod das Produkt der vergangnen 30 +Arbeiten von Bauer, Müller, Bäcker u. s. w. Umgekehrt. Machen Produk- +tionsmittel im Arbeitsproceß ihren Charakter als Produkte vergangner Ar- +beit geltend, so durch ihre Mängel. Ein Messer, das nicht schneidet, Garn, +das beständig zerreißt u. s. w., erinnern lebhaft an Messerschmied A und +Garnwichser E. Im gelungnen Produkt ist die Vermittlung seiner Ge- 35 +brauchseigenschaften durch vergangne Arbeit ausgelöscht. + +Eine Maschine, die nicht im Arbeitsproceß dient, ist nutzlos. Außerdem +verfällt sie der zerstörenden Gewalt des natürlichen Stoffwechsels. Das +Eisen verrostet, das Holz verfault. Garn, das nicht verwebt oder verstrickt +wird, ist verdorbne Baumwolle. Die lebendige Arbeit muß diese Dinge er- 40 +greifen, sie von den Todten ||146| erwecken, sie aus nur möglichen in wirk- + +166 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +liehe und wirkende Gebrauchswerthe verwandeln. Vom Feuer der Arbeit +beleckt, als Leiber derselben angeeignet, zu ihren begriffs- und berufsmäßi- +gen Funktionen im Proceß begeistet, werden sie zwar auch verzehrt, aber +zweckvoll, als Bildungselemente neuer Gebrauchswerthe, neuer Produkte, +5 die fähig sind als Lebensmittel in die individuelle Konsumtion oder als + +Produktionsmittel in neuen Arbeitsproceß einzugehn. + +Wenn also vorhandne Produkte nicht nur Resultate, sondern auch Exi- +stenzbedingungen des Arbeitsprocesses sind, ist andrerseits ihr Hineinwer- +fen in ihn, also ihr Kontakt mit lebendiger Arbeit, das einzige Mittel um +10 diese Produkte vergangner Arbeit als Gebrauchswerthe zu erhalten und zu + +verwirklichen. + +Die Arbeit verbraucht ihre stofflichen Elemente, ihren Gegenstand und +ihr Mittel, verspeist dieselben, und ist also Konsumtionsproceß. Diese pro- +duktive Konsumtion unterscheidet sich dadurch von der individuellen +15 Konsumtion, daß letztere die Produkte als Lebensmittel des lebendigen In- +dividuums, erstere sie als Lebensmittel der Arbeit, seiner sich bethätigen- +den Arbeitskraft, verzehrt. Das Produkt der individuellen Konsumtion ist +daher der Konsument selbst, das Resultat der produktiven Konsumtion ein +vom Konsumenten unterschiednes Produkt. + +20 + +25 + +Sofern ihr Mittel und ihr Gegenstand selbst schon Produkte sind, ver- +zehrt die Arbeit Produkte um Produkte zu schaffen oder vernutzt Produkte +als Produktionsmittel von Produkten. Wie der Arbeitsproceß aber ur- +sprünglich nur zwischen dem Menschen und der ohne sein Zuthun vor- +handnen Erde vorgeht, dienen in ihm immer noch auch solche Produk- +tionsmittel, die von Natur vorhanden, keine Verbindung von Naturstoff +und menschlicher Arbeit darstellen. + +Der Arbeitsproceß, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Mo- +menten dargestellt haben, ist zweckmäßige Thätigkeit zur Herstellung von +Gebrauchswerthen, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürf- +30 nisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Na- +tur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhän- +gig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsfor- +men gleich gemeinsam. Wir hatten daher nicht nöthig, den Arbeiter im +Verhältniß zu andren Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit +35 auf der einen, die Natur und ihre Stoffe auf der andren Seite, genügten. So +wenig man dem Weizen anschmeckt, wer ihn gebaut hat, so wenig sieht | +11471 man diesem Proceß an, unter welchen Bedingungen er vorgeht, ob +unter der brutalen Peitsche des Sklavenaufsehers oder unter dem ängstli- +chen Auge des Kapitalisten, ob Cincinnatus ihn verrichtet in der Bestel- +lung seiner paar jugera, oder der Wilde, der mit einem Stein eine Bestie er- +legt 9). +9) Aus diesem höchst logischen Grund entdeckt wohl Oberst Torrens in dem Stein des WiI- + +40 + +167 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Kehren wir zu unsrem Kapitalisten in spe zurück. Wir verließen ihn, +nachdem er auf dem Waarenmarkt alle zu einem Arbeitsproceß nothwen- +digen Faktoren gekauft hatte, die gegenständlichen Faktoren oder die Pro- +duktionsmittel, den persönlichen Faktor oder die Arbeitskraft. Er hat mit +schlauem Kennerblick die für sein besondres Geschäft, Spinnerei, Stiefel- +fabrikation u. s. w. passenden Produktionsmittel und Arbeitskräfte ausge- +wählt. Unser Kapitalist setzt sich also daran, die von ihm gekaufte Waare, +die Arbeitskraft, zu konsumiren, d. h. er läßt den Träger der Arbeitskraft, +den Arbeiter, die Produktionsmittel durch seine Arbeit konsumiren. Die +allgemeine Natur des Arbeitsprocesses ändert sich natürlich nicht dadurch, +daß der Arbeiter ihn für den Kapitalisten, statt für sich selbst verrichtet. +Aber auch die bestimmte Art und Weise wie man Stiefel macht oder Garn +spinnt, kann sich zunächst nicht ändern durch die Dazwischenkunft des +Kapitalisten. Er muß die Arbeitskraft zunächst nehmen, wie er sie auf dem +Markt vorfindet, also auch ihre Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, 15 +wo es noch keine Kapitalisten gab. Die Verwandlung der Produktionsweise +selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital kann sich erst +später ereignen und ist daher erst später zu betrachten. + +10 + +5 + +Der Arbeitsproceß, wie er als Konsumtionsproceß der Arbeitskraft durch + +den Kapitalisten vorgeht, zeigt nun zwei eigenthümliche Phänomene. + +20 + +Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrole des Kapitalisten, dem seine Ar- +beit gehört. Der Kapitalist paßt auf, daß die Arbeit ordentlich von statten +geht und die Produktionsmittel zweckmäßig verwandt werden, also kein +Rohmaterial vergeudet und das Arbeits111481instrument geschont, d.h. nur +so weit zerstört wird, als sein Gebrauch in der Arbeit ernöthigt. + +25 + +Zweitens aber: das Produkt ist Eigenthum des Kapitalisten, nicht des un- +mittelbaren Producenten, des Arbeiters. Der Kapitalist zahlt z.B. den Ta- +geswerth der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder andren Waare, z . B . +eines Pferdes, das er für einen Tag gemiethet, gehört ihm also für den Tag. +Dem Käufer der Waare gehört der Gebrauch der Waare, und der Besitzer 30 +der Arbeitskraft gibt in der That nur den von ihm verkauften Gebrauchs- +werth, indem er seine Arbeit gibt. Von dem Augenblicke, wo er in die +Werkstätte des Kapitalisten trat, gehörte der Gebrauchswerth seiner Ar- +beitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Kapitalisten. Der Kapitalist +hat durch den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als lebendigen Gäh- 35 +rungsstoff den todten ihm gleichfalls gehörigen Bildungselementen des + +den - den Ursprung des Kapitals. „In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die +er verfolgt, in dem ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit +den Händen fassen kann, sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung +eines andren und entdecken so - den Ursprung des Kapitals." (R. Torrens: „An Essay on the 40 +Production of Wealth etc." p. 70, 71.) Aus jenem ersten Stock ist wahrscheinlich auch zu er- +klären, warum stock im Englischen synonym mit Kapital ist. + +168 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +Produkts einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der Arbeitsproceß nur die +Konsumtion der von ihm gekauften Waare Arbeitskraft, die er jedoch nur +konsumiren kann, indem er ihr Produktionsmittel zusetzt. Der Arbeitspro- +ceß ist ein Proceß zwischen Dingen, die der Kapitalist gekauft hat, zwi- +sehen ihm gehörigen Dingen. Das Produkt dieses Processes gehört ihm da- +her ganz eben so sehr als das Produkt des Gährungsprocesses in seinem +Weinkeller 1 0). + +5 + +2) Verwerth ungsproeeß. + +Das Produkt - das Eigenthum des Kapitalisten - ist ein Gebrauchswerth, +10 Garn, Stiefel u.s.w. Aber obgleich Stiefel z.B. gewissermaßen die Basis des +gesellschaftlichen Fortschritts bilden ||149| und unser Kapitalist ein ent- +schiedner Fortschrittsmann ist, fabricirt er die Stiefel nicht ihrer selbst we- +gen. Der Gebrauchswerth ist überhaupt nicht das Ding ,,qu'on aime pour +lui-même" in der Waarenproduktion. Gebrauchswerthe werden hier über- +15 haupt nur producirt, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des +Tauschwerths sind. Und unsrem Kapitalisten handelt es sich um zweierlei. +Erstens will er einen Gebrauchswerth produciren, der einen Tauschwerth +hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Waare. Und zweitens will +er eine Waare produciren, deren Werth höher als die Werthsumme der zu +ihrer Produktion erheischten Waaren, der Produktionsmittel und der Ar- +beitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Waarenmarkt vorschoß. Er +will nicht nur einen Gebrauchswerth produciren, sondern eine Waare, +nicht nur Gebrauchswerth, sondern Werth, und nicht nur Werth, sondern +auch Mehrwerth. + +20 + +25 + +In der That, da es sich hier um Waarenproduktion handelt, haben wir +bisher offenbar nur eine Seite des Processes betrachtet. Wie die Waare +selbst Einheit von Gebrauchswerth und Werth, muß ihr Produktionsproceß +Einheit von Arbeitsproceß und Werthbildungsproceß sein. + +30 + +35 + +40 + +1 0 ) „Die Produkte sind appropriirt, bevor sie in Kapital verwandelt werden; diese Verwand- +lung entzieht sie nicht jener Appropriation." (Cherbuliez: „Riehe ou Pauvre, edit. Paris 1841", +p. 54.) ��Indem der Proletarier seine Arbeit gegen ein bestimmtes Quantum Lebensmittel (ap- +provisionnement) verkauft, verzichtet er vollständig auf jeden Antheil am Produkt. Die Ap- +propriation der Produkte bleibt dieselbe wie vorher; sie ist in keiner Weise durch die erwähnte +Konvention verändert. Das Produkt gehört ausschließlich dem Kapitalisten, der die Rohstoffe +und das Approvisionnement geliefert hat. Es ist dies eine strenge Konsequenz des Gesetzes +der Appropriation, dessen Fundamentalprincip umgekehrt das ausschließliche Eigenthums- +recht jedes Arbeiters an seinem Produkte war." (ibid. p. 58.) James Mill: „Elements of Pol. +Econ. etc." p.70, 71: „Wenn die Arbeiter für Arbeitslohn arbeiten, ist der Kapitalist Eigenthü- +mer nicht nur des Kapitals (meint hier die Produktionsmittel), sondern auch der Arbeit (of +the labour also). Wenn man das, was für Arbeitslohn gezahlt wird, wie dies gebräuchlich, in +den Begriff Kapital einschließt, ist es abgeschmackt, von der Arbeit getrennt vom Kapital zu +sprechen. Das Wort Kapital in diesem Sinn schließt beides ein, Kapital und Arbeit." + +169 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Betrachten wir den Produktionsproceß nun auch als Werthbildungspro + +ceß. + +Wir wissen, daß der Werth jeder Waare bestimmt ist durch das Quantum +der in ihrem Gebrauchswerth materialisirten Arbeit, durch die zu ihrer +Produktion gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Dieß gilt auch für das +Produkt, das sich unsrem Kapitalisten als Resultat des Arbeitsprocesses er- +gab. Es ist also zunächst die in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit +zu berechnen. + +5 + +Es sei z . B . Garn. +Zur Herstellung des Garns war zuerst sein Rohmaterial nöthig, z.B. 10 + +10 Pfund Baumwolle. Was der Werth der Baumwolle, ist nicht erst zu un- +tersuchen, denn der Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem Werth, z.B. +zu 10 sh. gekauft. In dem Preise der Baumwolle ist die zu ihrer Produktion +erheischte Arbeit schon als allgemein gesellschaftliche Arbeit dargestellt. +Wir wollen ferner annehmen, daß die in der Verarbeitung der Baumwolle +verzehrte Spindelmasse, die uns alle andren aufgewandten Arbeitsmittel +repräsentirt, einen Werth von 2 sh. besitzt. Ist eine Goldmasse von 12 sh. +das Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen, so folgt zu- +nächst, daß im Garn zwei Arbeitstage vergegenständlicht sind. | + +15 + +|150| Der Umstand, daß die Baumwolle ihre Form verändert hat und die 20 + +aufgezehrte Spindelmasse ganz verschwunden ist, darf nicht beirren. Nach +dem allgemeinen Werthgesetz sind z.B. 10 tì>Garn ein Aequivalent für +10 U Baumwolle und +l/ A Spindel, wenn der Werth von 40 U Garn = dem +Werth von 40 U Baumwolle + dem Werth einer ganzen Spindel, d.h. wenn +dieselbe Arbeitszeit erfordert ist um beide Seiten dieser Gleichung zu pro- 25 +duciren. In diesem Fall stellt sich dieselbe Arbeitszeit, das einemal in dem +Gebrauchswerth Garn, das andremal in den Gebrauchswerthen Baumwolle +und Spindel dar. Der Werth ist also gleichgültig dagegen, ob er in Garn, +Spindel oder Baumwolle erscheint. Daß Spindel und Baumwolle, statt ru- +hig neben einander zu liegen, im Spinnprocesse eine Verbindung eingehn, 30 +welche ihre Gebrauchsformen verändert, sie in Garn verwandelt, berührt +ihren Werth eben so wenig, als wenn sie durch einfachen Austausch gegen +ein Aequivalent von Garn umgesetzt worden wären. + +Die zur Produktion der Baumwolle erheischte Arbeitszeit ist Theil der +zur Produktion des Garns, dessen Rohmaterial sie bildet, erheischten Ar- 35 +beitszeit und deßhalb im Garn enthalten. Ebenso verhält es sich mit der +Arbeitszeit, die zur Produktion der Spindelmasse erheischt ist, ohne deren +Verschleiß oder Konsum die Baumwolle nicht versponnen werden kann 1 1). + +n) "Not only the labour applied immediately to commodities affect their value, but the labour +also which is bestowed on the implements, tools, and buildings with which such labour is as- 40 +sisted." Ricardo 1. c. p. 16. + +170 + + Fünftes Kapitel · Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +5 + +So weit also der Werth des Garns, die zu seiner Herstellung erheischte +Arbeitszeit, in Betrachtung kommt, können die verschiednen besondren, +der Zeit und dem Raum nach getrennten Arbeitsprocesse, die durchlaufen +werden müssen, um die Baumwolle selbst und die vernutzte Spindelmasse +zu produciren, endlich aus Baumwolle und Spindel Garn zu machen, als +verschiedne auf einander folgende Phasen eines und desselben Arbeitspro- +cesses betrachtet werden. Alle im Garn enthaltne Arbeit ist vergangne Ar- +beit. Daß die zur Produktion seiner Bildungselemente erheischte Arbeits- +zeit früher vergangen ist, im Plusquamperfectum steht, dagegen die zum +10 Schlußproceß, dem Spinnen, unmittelbar verwandte Arbeit dem Präsens +näher, im Perfectum steht, ist ein durchaus gleichgültiger Umstand. Ist +eine bestimmte Masse Arbeit, z.B. von 30 Arbeitstagen, zum Bau eines +Hauses nöthig, so ändert es nichts am Gesammtquantum der dem HauSe +einverleibten Arbeitszeit, daß der 30. Arbeitstag 29 Tage später in die Pro- +15 duktion 111511 einging als der erste Arbeitstag. Und so kann die im Arbeits- +material und Arbeitsmittel enthaltne Arbeitszeit ganz so betrachtet wer- +den, als wäre sie nur in einem früheren Stadium des Spinnprocesses +verausgabt worden, vor der zuletzt unter der Form des Spinnens zugesetz- +ten Arbeit. + +20 + +Die Werthe der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel, aus- +gedrückt in dem Preise von 12 sh., bilden also Bestandtheile des Garn- +werths, oder des Werths des Produkts. + +Nur sind zwei Bedingungen zu erfüllen. Einmal müssen Baumwolle und +Spindel wirklich zur Produktion eines Gebrauchswerths gedient haben. Es +25 muß in unsrem Fall Garn aus ihnen geworden sein. Welcher Gebrauchs- +werth ihn trägt, ist dem Werth gleichgültig, aber ein Gebrauchswerth muß +ihn tragen. Zweitens ist vorausgesetzt, daß nur die unter den gegebnen ge- +sellschaftlichen Produktionsbedingungen nothwendige Arbeitszeit ver- +wandt wurde. Wäre also nur 1 Pfund Baumwolle nöthig, um 1 Pfund Garn +30 zu spinnen, so darf nur 1 Pfund Baumwolle verzehrt sein in der Bildung +von 1 Pfund Garn. Ebenso verhält es sich mit der Spindel. Hat der Kapita- +list die Phantasie goldne statt eiserner Spindeln anzuwenden, so zählt im +Garnwerth dennoch nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeit, d. h. die +zur Produktion eiserner Spindeln nothwendige Arbeitszeit. + +35 Wir wissen jetzt, welchen Theil des Garnwerths die Produktionsmittel, +Baumwolle und Spindel, bilden. Er ist gleich 12 sh., oder die Materiatur +von zwei Arbeitstagen. Es handelt sich also nun um den Werththeil, wel- +chen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle zusetzt. + +Wir haben diese Arbeit jetzt von einem ganz andren Gesichtspunkte zu +40 betrachten, als während des Arbeitsprocesses. Dort handelte es sich um die +zweckmäßige Thätigkeit, Baumwolle in Garn zu verwandeln. Je zweckmä- + +171 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +ßiger die Arbeit, desto besser das Garn, alle andren Umstände als gleich- +bleibend vorausgesetzt. Die Arbeit des Spinners war specifisch verschieden +von andren produktiven Arbeiten, und die Verschiedenheit offenbarte sich +subjektiv und objektiv, im besondren Zweck des Spinnens, seiner besond- +ren Operationsweise, der besondren Natur seiner Produktionsmittel, dem +besondren Gebrauchswerth seines Produkts. Baumwolle und Spindel die- +nen als Lebensmittel der Spinnarbeit, aber man kann mit ihnen keine ge- +zogenen Kanonen machen. Sofern die Arbeit des Spinners dagegen werth- +bildend ist, d. h. Werthquelle, ist sie durchaus nicht verschieden von der +Arbeit des Kanonenbohrers, oder, was uns hier näher liegt, von den in den | +11521 Produktionsmitteln des Garns verwirklichten Arbeiten des Baumwoll- +pflanzers und des Spindelmachers. Nur wegen dieser Identität können +Baumwollpflanzen, Spindelmachen und Spinnen bloß quantitativ ver- +schiedne Theile desselben Gesammtwerths, des Garnwerths, bilden. Es +handelt sich hier nicht mehr um die Qualität, die Beschaffenheit und den +Inhalt der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantität. Diese ist einfach +zu zählen. Wir nehmen an, daß die Spinnarbeit einfache Arbeit, gesell- +schaftliche Durchschnittsarbeit ist. Man wird später sehn, daß die gegen- +t e i l i g e Annahme nichts an der Sache ändert. + +5 + +10 + +15 + +Während des Arbeitsprocesses setzt sich die Arbeit beständig aus der 20 + +Form der Unruhe in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der +Gegenständlichkeit um. Am Ende einer Stunde ist die Spinnbewegung in +einem gewissen Quantum Garn dargestellt, also ein bestimmtes Quantum +Arbeit, eine Arbeitsstunde, in der Baumwolle vergegenständlicht. Wir sa- +gen Arbeitsstunde, d. h. die Verausgabung der Lebenskraft des Spinners 25 +während einer Stunde, denn die Spinnarbeit gilt hier nur, so weit sie Ver- +ausgabung von Arbeitskraft, nicht so weit sie die specifische Arbeit des +Spinnens ist. + +Es ist nun entscheidend wichtig, daß während der Dauer des Processes, +d. h. der Verwandlung von Baumwolle in Garn, nur die gesellschaftlich 30 +nothwendige Arbeitszeit verzehrt wird. Müssen unter normalen, d. h. +durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, a Pfund +Baumwolle während einer Arbeitsstunde in b Pfund Garn verwandelt sein, +so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag von 12 Stunden, der 12 x a Pfund +Baumwolle in 12 x b Pfund Garn verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich 35 +nothwendige Arbeitszeit zählt als werthbildend. + +Wie die Arbeit selbst, so erscheint hier auch Rohmaterial und Produkt +in einem ganz andren Licht als vom Standpunkt des eigentlichen Arbeits- +processes. Das Rohmaterial gilt hier nur als Aufsauger eines bestimmten +Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung verwandelt es sich in der That 40 +in Garn, weil die Arbeitskraft in der Form der Spinnerei verausgabt und + +172 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +ihm zugesetzt wurde. Aber das Produkt, das Garn, ist jetzt nur noch Grad- +messer der von der Baumwolle eingesaugten Arbeit. Wird in einer Stunde +1¾ U Baumwolle versponnen oder in 1% U Garn verwandelt, so zeigen +10 U Garn 6 eingesaugte Arbeitsstunden an. Bestimmte und erfahrungsmä- +5 ßig festgestellte Quanta Produkt stellen jetzt nichts dar als bestimmte +Quanta Arbeit, be||153|stimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind +nur noch Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden, einem Tag gesell- +schaftlicher Arbeit. + +Daß die Arbeit grade Spinnarbeit, ihr Material Baumwolle und ihr Pro- +10 dukt Garn, wird hier eben so gleichgültig, als daß der Arbeitsgegenstand +selbst schon Produkt, also Rohmaterial ist. Wäre der Arbeiter, statt in der +Spinnerei, in der Kohlengrube beschäftigt, so wäre der Arbeitsgegenstand, +die Kohle, von Natur vorhanden. Dennoch stellte ein bestimmtes Quan- +tum aus dem Bett losgebrochener Kohle, z . B . ein Centner, ein bestimmtes + +15 Quantum aufgesaugter Arbeit dar. + +Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, daß ihr Tageswerth += 3 sh., und in den letztren 6 Arbeitsstunden verkörpert sind, dieß Arbeits- +quantum also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der täglichen Le- +bensmittel des Arbeiters zu produciren. Verwandelt unser Spinner nun +20 während einer Arbeitsstunde 1 ¾ ¾ Baumwolle in 1¾ U G a r n 1 2 ) , so in +6 Stunden 10 U Baumwolle in 10 U Garn. Während der Dauer des Spinn- +processes saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeits- +zeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar. Der Baumwolle wird +also durch das Spinnen selbst ein Werth von 3 sh. zugesetzt. + +25 + +Sehn wir uns nun den Gesammtwerth des Produkts, der 10 U Garn, an. +In ihnen sind 2% Arbeitstage vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in +Baumwolle und Spindelmasse, Y2 Tag Arbeit eingesaugt während des +Spinnprocesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von +15 sh. dar. Der dem Werth der 10 U Garn adäquate Preis beträgt also + +30 15 sh., der Preis eines U Garn 1 sh. 6 d. + +35 + +Unser Kapitalist stutzt. Der Werth des Produkts ist gleich dem Werth +des vorgeschossenen Kapitals. Der vorgeschossene Werth hat sich nicht +verwerthet, keinen Mehrwerth erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital ver- +wandelt. Der Preis der 10 U Garn ist 15 sh. und 15 sh. wurden verausgabt +auf dem Waarenmarkt für die Bildungselemente des Produkts oder, was +dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprocesses: 10 sh. für Baumwolle, 2 sh. für +die verzehrte Spindelmasse, und 3 sh. für Arbeitskraft. Der aufgeschwollne +Werth des Garns hilft nichts, denn sein Werth ist nur die Summe der frü- +her auf Baumwolle, Spindel und Arb e its 1115 41 kr aft vertheilten Werthe, und + +40 + +1 2 ) Die Zahlen hier sind ganz willkürlich. + +173 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +aus einer solchen bloßen Addition vorhandner Werthe kann nun und nim- +mermehr ein Mehrwerth entspringen 1 3). Diese Werthe sind jetzt alle auf +ein Ding koncentrirt, aber so waren sie in der Geldsumme von 15 sh., bevor +diese sich durch drei Waarenkäufe zersplitterte. + +An und für sich ist dieß Resultat nicht befremdlich. Der Werth eines +U Garn ist 1 sh. 6 d. und für 10 U Garn müßte unser Kapitalist daher auf +dem Waarenmarkt 15 sh. zahlen. Ob er sein Privathaus fertig auf dem +Markt kauft, oder es selbst bauen läßt, keine dieser Operationen wird das +im Erwerb des Hauses ausgelegte Geld vermehren. + +5 + +Der Kapitalist, der in der Vulgärökonomie Bescheid weiß, sagt vielleicht, 10 + +er habe sein Geld mit der Absicht vorgeschossen, mehr Geld daraus zu ma- +chen. Der Weg zur Hölle ist jedoch mit guten Absichten gepflastert und er +konnte eben so gut der Absicht sein, Geld zu machen, ohne zu produci- +r e n 1 4 ) . Er droht. Man werde ihn nicht wieder ertappen. Künftig werde er +die Waare fertig auf dem Markt kaufen, statt sie selbst zu fabriciren. Wenn 15 +aber alle seine Brüder Kapitalisten deßgleichen thun, wo soll er Waare auf +dem Markt finden? Und Geld kann er nicht essen. Er katechisirt. Man soll +seine Abstinenz bedenken. Er konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen +hat er sie produktiv konsumirt und Garn daraus gemacht. Aber dafür ist er +ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. Er muß bei Leibe nicht 20 +in die Rolle des Schatzbildners zurückfallen, der uns zeigte, was bei der +Ascetik herauskommt. Außerdem, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht +verloren. Welches immer das Verdienst seiner Entsagung, es ist nichts da, +um sie extra zu zahlen, da der Werth des Produkts, der aus dem Proceß +herauskommt, nur gleich der Summe der hineingeworfenen Waarenwerthe. +Er beruhige sich ||155| also dabei, daß Tugend der Tugend Lohn. Statt des- +sen wird er zudringlich. Das Garn ist ihm unnütz. Er hat es für den Ver- +kauf producirt. So verkaufe er es, oder, noch einfacher, producire in Zu- +kunft nur Dinge für seinen eignen Bedarf, ein Recept, das ihm bereits sein +Hausarzt MacCulloch als probates Mittel gegen die Epidemie der Ueber- 30 +Produktion verschrieben hat. Er stellt sich trutzig auf die Hinterbeine. + +25 + +1 3 ) Dieß ist der Fundamentalsatz, worauf die Lehre der Physiokraten von der Unproduktivität +aller nicht agrikolen Arbeit beruht, und er ist unumstößlich für den Oekonomen - von Fach. +« Cette façon d'imputer à une seule chose la valeur de plusieurs autres (par exemple au lin la +consommation du tisserand), d'appliguer, pour ainsi dire, couche sur couche, plusieurs va- 35 +leurs sur une seule, fait que celle-ci grossit d'autant .... Le terme d'addition peint très-bien la +manière dont se forme le prix des ouvrages de main d'œuvre; ce prix n'est qu'un total de plu- +sieurs valeurs consommées et additionnées ensemble; or, additionner n'est pas multiplier.» +(Mercier de la Rivière 1. c. p. 599.) +1 4 ) So z. B. entzog er 1844-47 Theil seines Kapitals dem produktiven Geschäft, um es in 40 +Eisenbahnaktien zu verspekuliren. So, zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, schloß er +die Fabrik und warf den Fabrikarbeiter aufs Pflaster, um auf der Liverpooler Baumwollbörse +zu spielen. + +174 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +10 + +Sollte der Arbeiter mit seinen eignen Gliedmaßen in der blauen Luft Ar- +beitsgebilde schaffen, Waaren produciren? Gab er ihm nicht den Stoff, wo- +mit und worin er allein seine Arbeit verleiblichen kann? Da nun der größte +Theil der Gesellschaft aus solchen Habenichtsen besteht, hat er nicht der +5 Gesellschaft durch seine Produktionsmittel, seine Baumwolle und seine +Spindel, einen unermeßlichen Dienst erwiesen, nicht dem Arbeiter selbst, +den er obendrein noch mit Lebensmitteln versah? Und soll er den Dienst +nicht berechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst erwie- +sen, Baumwolle und Spindel in Garn zu verwandeln? Außerdem handelt es +sich hier nicht um Dienste 1 5). Ein Dienst ist nichts als die nützliche Wir- +kung eines Gebrauchswerths, sei es der Waare, sei es der Arbeit 1 6). Hier +aber gilt's den Tauschwerth. Er zahlte dem Arbeiter den Werth von 3 sh. +Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Aequivalent zurück in dem der Baum- +wolle zugesetzten Werth von 3 sh., Werth für Werth. Unser Freund, eben +15 noch so kapitalübermüthig, nimmt plötzlich die anspruchslose Haltung +seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht selbst gearbeitet? nicht die Arbeit +der Ueberwachung, der Oberaufsicht über den Spinner verrichtet? Bildet +diese seine Arbeit nicht auch Werth? Sein eigner over||156|looker und sein +manager zucken die Achseln. Unterdeß hat er aber bereits mit heitrem Lä- +cheln seine alte Physiognomie wieder angenommen. Er foppte uns mit der +ganzen Litanei. Er giebt keinen Deut darum. Er überläßt diese und ähnli- +che faule Ausflüchte und hohle Flausen den dafür eigens bezahlten Profes- +soren der politischen Oekonomie. Er selbst ist ein praktischer Mann, der +zwar nicht immer bedenkt, was er außerhalb des Geschäfts sagt, aber stets + +20 + +25 weiß, was er im Geschäft thut. + +Sehn wir näher zu. Der Tageswerth der Arbeitskraft betrug 3 sh., weil in +ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist, d.h. weil die täglich +zur Produktion der Arbeitskraft nöthigen Lebensmittel einen halben Ar- +beitstag kosten. Aber die vergangne Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, +30 und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungsko- + +35 + +40 + +1 5 ) „Las du rhümen, schmücken und putzen ... Wer aber mehr oder besseres nimpt (als er +gibt), das ist Wucher, und heisst, nicht Dienst, sondern Schaden gethan seinem Nehesten, als +mit Stelen und rauben geschieht. Es ist nicht alles Dienst und wolgethan dem Nehesten, was +man heisst, Dienst und wolgethan. Denn eine Ehebrecherin und Ehebrecher thun einander +grossen Dienst und wolgefallen. Ein Reuter thut einem Mordbrenner grossen reuterdienst, das +er im hilfft auff der Strassen rauben, Land und Leute bevehden. Die Papisten thun den unsern +grossen Dienst, das sie nicht alle ertrenken, verbrennen, ermorden, im Gefengniss verfaulen +lassen, sondern lassen doch etliche leben, und verjagen sie, oder nemen jenen was sie haben. +Der Teuffei thut selber seinen Dienern grossen, unermesslichen Dienst ... Summa, die Welt +ist voll grosser, trefflicher, teglicher Dienst und wolthaten." (Martin Luther: „An die Pfarr- +herm, wider den Wucher zu predigen etc. Wittemberg 1540".) +1 6 ) Ich bemerke darüber in „Zur Kritik der Pol. Oek." p. 14. u. a.: „Man begreift, welchen +,Dienst' die Kategorie ,Dienst' (service) einer Sorte Oekonomen wie J. B. Say und F. Bastiat +leisten muß." + +175 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +sten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne Größen. +Die erstere bestimmt ihren Tauschwerth, die andre bildet ihren Gebrauchs- +werth. Daß ein halber Arbeitstag nöthig, um ihn während 24 Stunden am +Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs einen ganzen Tag zu +arbeiten. Der Werth der Arbeitskraft und ihre Verwerthung im Arbeitspro- +ceß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Werthdifferenz hatte der Ka- +pitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, +Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua non, weil Ar- +beit in nützlicher Form verausgabt werden muß, um Werth zu bilden. Was +aber entschied, war der specifische Gebrauchswerth dieser Waare, Quelle 10 +von Werth zu sein und von mehr Werth als sie selbst hat. Dieß ist der spe- +cifische Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei +den ewigen Gesetzen des Waarenaustausches gemäß. In der That, der Ver- +käufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder andren Waare, realisirt +ihren Tauschwerth und veräußert ihren Gebrauchswerth. Er kann den 15 +einen nicht erhalten, ohne den andren wegzugeben. Der Gebrauchswerth +der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört ebensowenig ihrem Verkäufer, +wie der Gebrauchswerth des verkauften OeIs dem Oelhändler. Der Geldbe- +sitzer hat den Tageswerth der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr +Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, daß die 20 +tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, ob- +gleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher +der Werth, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so groß +ist als ihr eigner Tageswerth, ist ein be||157|sondres Glück für den Käufer, +aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer. + +25 + +Unser Kapitalist hat den Casus, der ihn lachen macht, vorgesehn. Der +Arbeiter findet daher in der Werkstätte die nöthigen Produktionsmittel +nicht nur für einen sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Ar- +beitsproceß. Saugten 10 U Baumwolle 6 Arbeitsstunden ein und verwan- +delten sich in 10 U Garn, so werden 20 U Baumwolle 12 Arbeitsstunden 30 +einsaugen und in 20 U Garn verwandelt. Betrachten wir das Produkt des +verlängerten Arbeitsprocesses. In den 20 U Garn sind jetzt 5 Arbeitstage +vergegenständlicht, 4 in der verzehrten Baumwoll- und Spindelmasse, 1 +von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprocesses. Der Goldaus- +druck von 5 Arbeitstagen ist aber 30 sh. oder 1 Pfd. St. 10 sh. Dieß also der 35 +Preis der 20 U Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie vor 1 sh. 6 d. Aber +die Werthsumme der in den Proceß geworfenen Waaren betrug 27 sh. Der +Werth des Garns beträgt 30 sh. Der Werth des Produkts ist um l/ 9 gewach- +sen über den zu seiner Produktion vorgeschoßnen Werth. So haben sich +27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie haben einen Mehrwerth von 3 sh. gesetzt. 40 +Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt. + +176 + + Fünftes Kapitel · Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Wa- +renaustausches in keiner Weise verletzt. Aequivalent wurde gegen Aequi- +valent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Waare zu ihrem +Werth, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er that dann, was jeder +5 andre Käufer von Waaren thut. Er konsumirte ihren Gebrauchswerth. Der +Konsumtionsproceß der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsproceß der +Waare, ergab ein Produkt von 20 U Garn mit einem Werth von 30 sh. Der +Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Waare, nachdem er +Waare gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu 1 sh. 6 d., keinen Deut +10 über oder unter seinem Werth. Und doch zieht er 3 sh. mehr aus der Cirku- +lation heraus als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, +die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Cirkulationssphäre +vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Cirkulation, weil +bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Waarenmarkt. Nicht in +15 der Cirkulation, denn sie leitet nur den Verwerthungsproceß ein, der sich +in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist ,,tout pour le mieux dans le +meilleur des mondes possibles". | + +20 + +25 + +115 81 Indem der Kapitalist Geld in Waaren verwandelt, die als Stoffbild- +ner eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprocesses dienen, +indem er ihrer todten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einver- +leibt, verwandelt er Werth, vergangne, vergegenständlichte, todte Arbeit in +Kapital, sich selbst verwerthenden Werth, ein beseeltes Ungeheuer, das zu +„arbeiten" beginnt, als hätt' es Lieb' im Leibe. + +Vergleichen wir nun Werthbildungsproceß und Verwerthungsproceß, so +ist der Verwerthungsproceß nichts als ein über einen gewissen Punkt hin- +aus verlängerter Werthbildungsproceß. Dauert der letztre nur bis zu dem +Punkt, wo der vom Kapital gezahlte Werth der Arbeitskraft durch ein +neues Aequivalent ersetzt ist, so ist er einfacher Werthbildungsproceß. +Dauert der Werthbildungsproceß über diesen Punkt hinaus, so wird er Ver- + +30 werthungsproceß. + +35 + +Vergleichen wir ferner den Werthbildungsproceß mit dem Arbeitspro- +ceß, so besteht der letztre in der nützlichen Arbeit, die Gebrauchswerthe +producirt. Die Bewegung wird hier qualitativ betrachtet, in ihrer besondren +Art und Weise, nach Zweck und Inhalt. Derselbe Arbeitsproceß stellt sich +im Werthbildungsproceß nur von seiner quantitativen Seite dar. Es handelt +sich nur noch um die Zeit, welche die Arbeit zu ihrer Operation braucht, +oder um die Dauer, während deren die Arbeitskraft nützlich verausgabt +wird. Hier gelten auch die Waaren, die in den Arbeitsproceß eingehn, nicht +mehr als funktionell bestimmte, stoffliche Faktoren der zweckmäßig wir- +40 kenden Arbeitskraft. Sie zählen nur noch als bestimmte Quanta vergegen- +ständlichter Arbeit. Ob in den Produktionsmitteln enthalten oder durch + +177 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +die Arbeitskraft zugesetzt, die Arbeit zählt nur noch nach ihrem Zeitmaß. +Sie beträgt so viel Stunden, Tage u. s. w. + +5 + +Sie zählt jedoch nur, so weit die zur Produktion des Gebrauchswerths +verbrauchte Zeit gesellschaftlich nothwendig ist. Es umfaßt dieß Ver- +schiednes. Die Arbeitskraft muß unter normalen Bedingungen funktioni- +ren. Ist die Spinnmaschine das gesellschaftlich herrschende Arbeitsmittel +für die Spinnerei, so darf dem Arbeiter nicht ein Spinnrad in die Hand ge- +geben werden. Statt Baumwolle von normaler Güte muß er nicht Schund +erhalten, der jeden Augenblick reißt. In beiden Fällen würde er mehr als +die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Pfundes 10 +Garn verbrauchen, diese überschüssige Zeit aber nicht Werth oder Geld +bilden. Der normale Charakter der gegenständ11159|lichen Arbeitsfaktoren +hängt jedoch nicht vom Arbeiter, sondern vom Kapitalisten ab. Fernere Be- +dingung ist der normale Charakter der Arbeitskraft selbst. In dem Fach, +worin sie verwandt wird, muß sie das herrschende Durchschnittsmaß von 15 +Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen. Aber unser Kapitalist kaufte +auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft von normaler Güte. Diese Kraft muß in +dem gewöhnlichen Durchschnittsmaß der Anstrengung, mit dem gesell- +schaftlich üblichen Grad von Intensität verausgabt werden. Darüber wacht +der Kapitalist eben so ängstlich, als daß keine Zeit ohne Arbeit vergeudet 20 +wird. Er hat die Arbeitskraft für bestimmte Zeitfrist gekauft. Er hält darauf +das Seine zu haben. Er will nicht bestohlen sein. Endlich - und hierfür hat +derselbe Herr einen eignen code pénal - darf kein zweckwidriger Konsum +von Rohmaterial und Arbeitsmitteln stattfinden, weil vergeudetes Material +oder Arbeitsmittel überflüssig verausgabte Quanta vergegenständlichter 25 +Arbeit darstellen, also nicht zählen und nicht in das Produkt der Werthbil- +dung eingehn 1 7). | + +1 7 ) Dieß ist einer der Umstände, die auf Sklaverei gegründete Produktion vertheuern. Der Ar- +beiter soll sich hier, nach dem treffenden Ausdruck der Alten, nur als instrumentum vocale +von dem Thier als instrumentum semivocale und dem todten Arbeitszeug als instrumentum 30 +mutum unterscheiden. Er selbst aber läßt Thier und Arbeitszeug fühlen, daß er nicht +Ihresgleichen, sondern ein Mensch ist. Er verschafft sich das Selbstgefühl seines Unterschieds +von ihnen, in dem er sie mißhandelt und con amore verwüstet. Es gilt daher als ökonomisches +Princip in dieser Produktionsweise, nur die rohesten, schwerfälligsten, aber grade wegen ihrer +unbehülflichen Plumpheit schwer zu ruinirenden Arbeitsinstrumente anzuwenden. Bis zum 35 +Ausbruch des Bürgerkrieges fand man daher in den am Meerbusen von Mexiko liegenden +Sklavenstaaten Pflüge altchinesischer Konstruktion, die den Boden aufwühlen wie ein +Schwein oder Maulwurf, aber ihn nicht spalten und wenden. Vgl. J. E. Cairnes: „The Slave +Power. London 1862", p.46 sqq. In seinem „Sea Bord Slave States" erzählt Olmsted U.A.: "I +am here shewn tools that no man in his senses, with us, would allow a labourer, for whom he 40 +was paying wages, to be encumbered with; and the excessive weight and clumsiness of which, +I would judge, would make work at least ten per cent greater than with those ordinarily used +with us. And I am assured that, in the careless and clumsy way they must be used by the +slaves, anything lighter or less rude could not be furnished them with good economy, and that +such tools as we constantly give our labourers, and find our profit in giving them, would not 45 + +178 + + Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß + +|160| Man sieht: der früher aus der Analyse der Waare gewonnene Unter- +schied zwischen der Arbeit, soweit sie Gebrauchswerth, und derselben Ar- +beit, soweit sie Werth schafft, hat sich jetzt als Unterscheidung der ver- +schiednen Seiten des Produktionsprocesses dargestellt. + +5 + +Als Einheit von Arbeitsproceß und Wertbildungsproceß ist der Produk- +tionsproceß Produktionsproceß von Waaren; als Einheit von Arbeitsproceß +und Verwerthungsproceß ist er kapitalistischer Produktionsproceß, kapita- +listische Form der Waarenproduktion. + +Es wurde früher bemerkt, daß es für den Verwerthungsproceß durchaus +10 gleichgültig, ob die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit einfache, gesell- +schaftliche Durchschnittsarbeit, oder komplicirtere Arbeit, Arbeit von hö- +herem specifischen Gewicht ist. Die Arbeit, die als höhere, komplicirtere +Arbeit gegenüber der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt, ist die +Aeußerung einer Arbeitskraft, worin höhere Bildungskosten eingehn, deren +15 Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Werth +hat als die einfache Arbeitskraft. Ist der Werth dieser Kraft höher, so äu- +ßert sie sich daher auch in höherer Arbeit und vergegenständlicht sich da- +her, in denselben Zeiträumen, in verhältnißmäßig höheren Werthen. Wel- +immer der Gradunterschied zwischen Spinnarbeit und +ches +20 Juwelierarbeit, die Portion Arbeit, wodurch der Juwelenarbeiter nur den +Werth seiner eignen Arbeitskraft ersetzt, unterscheidet sich qualitativ in +keiner Weise von der zusätzlichen Portion Arbeit, wodurch er Mehrwerth +schafft. Nach wie vor kommt der Mehrwerth nur heraus durch einen quan- +titativen Ueberschuß von Arbeit, durch die verlängerte Dauer desselben +25 Arbeitsprocesses, in dem einen Fall Proceß der Garnproduktion, in dem + +jedoch + +andren Fall Proceß der Juwelenproduktion 1 8). | + +30 + +last out a day in a Virginia cornfield - much lighter and more free from stones though it be +than ours. So, too, when I ask why mules are so universally substituted for horses on the farm, +the first reason given, and confessedly the most conclusive one, is that horses cannot bear the +treatment that they always must get from the negroes; horses are always soon foundered or +crippled by them, while mules will bear cudgelling, or lose a meal or two now and then, and +not be materially injured, and they do not take cold or get sick, if neglected or overworked. +But I do not need to go further than to the window of the room in which I am writing, to see at +almost any time, treatment of cattle that would insure the immediate discharge of the driver + +35 by almost any farmer owning them in the North." + +1 8 ) Der Unterschied zwischen höherer und einfacher Arbeit, ,,skilled" und ,,unskilled labour", +beruht zum Theil auf bloßen Illusionen, oder wenigstens Unterschieden, die längst aufgehört +haben reell zu sein und nur noch in traditioneller Konvention fortleben; zum Theil auf der +hülfloseren Lage gewisser Schichten der Arbeiterklasse, die ihnen minder als andren erlaubt, +40 den Werth ihrer Arbeitskraft zu ertrotzen. Zufällige Umstände spielen dabei so große Rolle, +daß dieselben Arbeitsarten den Platz wechseln. Wo z.B. die physische Substanz der Arbeiter- +klasse abgeschwächt und relativ erschöpft ist, wie in allen Ländern entwickelter kapitalisti- +scher Produktion, verkehren sich im Allgemeinen brutale Arbeiten, die viel Muskelkraft erfor- +dern, in höhere gegenüber viel feineren Arbeiten, die auf die Stufe einfacher Arbeit +45 herabsinken, wie z.B. die Arbeit eines bricklayer (Maurer) in England eine viel höhere Stufe + +179 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +|161| Andrerseits muß in jedem Werthbildungsproceß die höhere Arbeit +stets auf gesellschaftliche Durchschnittsarbeit reducirt werden, z.B. ein +Tag höherer Arbeit auf χ Tage einfacher Arbeit 1 9). Man erspart also eine +überflüssige Operation und vereinfacht die Analyse durch die Annahme, +daß der vom Kapital verwandte Arbeiter einfache gesellschaftliche Durch- +schnittsarbeit verrichtet. + +5 + +SECHSTES KAPITEL. + +Konstantes Kapital und variables Kapital. + +Die verschiednen Faktoren des Arbeitsprocesses nehmen verschiednen An- +theil an der Bildung des Produkten-Werths. + +10 + +Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen Werth zu durch Zusatz +eines bestimmten Quantums von Arbeit, abgesehn vom bestimmten Inhalt, +Zweck und technischen Charakter seiner Arbeit. Andrerseits finden wir die +Werthe der verzehrten Produktionsmittel wieder als Bestandtheile des Pro- +dukten-Werths, z.B. die Werthe von Baumwolle und Spindel im Garn- +werth. Der Werth der Produktionsmittel wird also erhalten durch seine +Uebertragung auf das Produkt. Dieß Uebertragen geschieht während der +Verwand||162|lung der Produktionsmittel in Produkt, im Arbeitsproceß. Es +ist vermittelt durch die Arbeit. Aber wie? + +Der Arbeiter arbeitet nicht doppelt in derselben Zeit, nicht einmal um +der Baumwolle durch seine Arbeit einen Werth zuzusetzen, und das andre- +mal um ihren alten Werth zu erhalten, oder, was dasselbe, um den Werth +der Baumwolle, die er verarbeitet, und der Spindel, womit er arbeitet, auf +das Produkt, das Garn, zu übertragen. Sondern durch bloßes Zusetzen von + +15 + +20 + +einnimmt, als die eines Damastwirkers. Auf der andren Seite fìgurirt die Arbeit eines fustian 25 +cutter (Baumwollsammtscheerers), obgleich sie viel körperliche Anstrengung kostet und oben- +drein sehr ungesund ist, als „einfache" Arbeit. Uebrigens muß man sich nicht einbilden, daß +die sogenannte ,,skilled labour" einen quantitativ bedeutenden Umfang in der Nationalarbeit +einnimmt. Laing rechnet, daß in England (und Wales) die Existenz von über 11 Millionen auf +einfacher Arbeit beruht. Nach Abzug einer Million von Aristokraten und anderthalb Millio- 30 +nen Paupers, Vagabunden, Verbrecher, Prostituirte u.s.w. von den 18 Millionen der Bevölke- +rungszahl, zur Zeit seiner Schrift, bleiben 4 650 000 Mittelklasse mit Einschluß kleinerer +Rentner, Beamten, Schriftsteller, Künstler, Schulmeister u. s. w. Um diese 4¾ Millionen her- +auszubekommen, zählt er zum arbeitenden Theil der Mittelklasse, außer Banquiers u.s.w. alle +besser bezahlten „Fabrikarbeiter"! Auch die bricklayers fehlen nicht unter den „potenzirten 35 +Arbeitern". Bleiben ihm dann die besagten 11 Millionen. (S. Laing: „National Distress etc. +London 1844.") "The great class, who have nothing to give for food but ordinary labour, are +the great bulk of the people." (James Mill in Art. ,,Colony". Supplement to the Encyclop. Brit. +1824.) +i 9 ) "Where reference is made to labour as a measure of value, it necessarily implies labour of 40 +one particular kind ... the proportion which the other kinds bear to it being easily ascer- +tained." (,,Outlines of Polit. Economy. London 1832", p. 22, 23.) + +180 + + Sechstes Kapitel · Konstantes Kapital und variables Kapital + +neuem Werth erhält er den alten Werth. Da aber der Zusatz von neuem +Werth zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werthe im Pro- +dukt zwei ganz verschiedne Resultate sind, die der Arbeiter in derselben +Zeit hervorbringt, obgleich er nur einmal in derselben Zeit arbeitet, kann +5 diese Doppelseitigkeit des Resultats offenbar nur aus der Doppelseitigkeit +seiner Arbeit selbst erklärt werden. In demselben Zeitpunkt muß sie in +einer Eigenschaft Werth schaffen und in einer andren Eigenschaft Werth +erhalten oder übertragen. + +Wie setzt jeder Arbeiter Arbeitszeit und daher Werth zu? Immer nur in +10 der Form seiner eigenthümlich produktiven Arbeitsweise. Der Spinner +setzt nur Arbeitszeit zu, indem er spinnt, der Weber, indem er webt, der +Schmied, indem er schmiedet. Durch die zweckbestimmte Form aber, wor- +in sie Arbeit überhaupt zusetzen und daher Neuwerth, durch das Spinnen, +Weben, Schmieden werden die Produktionsmittel, Baumwolle und Spin- +15 del, Garn und Webstuhl, Eisen und Amboß, zu Bildungselementen eines +Produkts, eines neuen Gebrauchswerths 2 0). Die alte Form ihres Gebrauchs- +werths vergeht, aber nur um in einer neuen Form von Gebrauchswerth auf- +zugehn. Bei Betrachtung des Werthbildungsprocesses ergab sich aber, daß +so weit ein Gebrauchswerth zweckgemäß vernutzt wird zur Produktion +20 eines neuen Gebrauchswerths, die zur Herstellung des vernutzten Ge- +brauchswerths nothwendige Arbeitszeit einen Theil der zur Herstellung des +neuen Gebrauchswerths notwendigen Arbeitszeit bildet, also Arbeitszeit +ist, die vom vernutzten Produktionsmittel auf das neue Produkt übertragen +wird. Der Arbeiter erhält also die Werthe der vernutzten Produktionsmittel +25 oder überträgt sie als Werthbestandtheile auf das Produkt, nicht durch sein +Zusetzen von Arbeit überhaupt, sondern durch den besondren nützlichen +Charakter, durch die specifisch produktive Form dieser zusätzlichen Ar- +beit. Als solche zweck||163|gemäße produktive Thätigkeit, Spinnen, We- +ben, Schmieden, erweckt die Arbeit durch ihren bloßen Kontakt die +30 Produktionsmittel von den Todten, begeistet sie zu Faktoren des Arbeits- + +processes und verbindet sich mit ihnen zu Produkten. + +Wäre die specifische produktive Arbeit des Arbeiters nicht Spinnen, so +würde er die Baumwolle nicht in Garn verwandeln, also auch die Werthe +von Baumwolle und Spindel nicht auf das Garn übertragen. Wechselt dage- +35 gen derselbe Arbeiter das Metier und wird Tischler, so wird er nach wie vor +durch einen Arbeitstag seinem Material Werth zusetzen. Er setzt ihn also +zu durch seine Arbeit, nicht soweit sie Spinnarbeit oder Tischlerarbeit, +sondern soweit sie abstrakte, gesellschaftliche Arbeit überhaupt, und er +setzt eine bestimmte Werthgröße zu, nicht weil seine Arbeit einen besond- + +40 + +2 0 ) "Labour gives a new creation for one extinguished." („An Essay on the Polit. Econ. of Na- +tions. London 1821", p. 13.) + +181 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +ren nützlichen Inhalt hat, sondern weil sie eine bestimmte Zeit dauert. In +ihrer abstrakten allgemeinen Eigenschaft also, als Verausgabung menschli- +cher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinners den Werthen von Baum- +wolle und Spindel Neuwerth zu, und in ihrer konkreten, besondren, nützli- +chen Eigenschaft als Spinnproceß, überträgt sie den Werth dieser +Produktionsmittel auf das Produkt und erhält so ihren Werth im Produkt. +Daher die Doppelseitigkeit ihres Resultats in demselben Zeitpunkt. + +5 + +Durch das bloß quantitative Zusetzen von Arbeit wird neuer Werth zu- +gesetzt, durch die Qualität der zugesetzten Arbeit werden die alten Werthe +der Produktionsmittel im Produkt erhalten. Diese doppelseitige Wirkung 10 +derselben Arbeit in Folge ihres doppelseitigen Charakters zeigt sich hand- +greiflich an verschiednen Erscheinungen. + +Nimm an, irgend eine Erfindung befähige den Spinner in 6 Stunden so +viel Baumwolle zu verspinnen wie früher in 36 Stunden. Als zweckmäßig +nützliche, produktive Thätigkeit hat seine Arbeit ihre Kraft versechsfacht. 15 +Ihr Produkt ist ein sechsfaches, 36 statt 6 lbs. Garn. Aber die 36 Pfund +Baumwolle saugen jetzt nur so viel Arbeitszeit ein als früher 6 Pfund. +Sechsmal weniger neuer Arbeit wird ihnen zugesetzt als mit der alten Me- +thode, daher nur noch ein Sechstel des früheren Werths. Andrerseits exi- +stirt jetzt der sechsfache Werth von Baumwolle im Produkt, den 36 Pfund 20 +Garn. In den 6 Spinnstunden wird ein sechsmal größerer Werth von Roh- +material erhalten und auf das Produkt übertragen, obgleich demselben +Rohmaterial ein sechsmal kleinerer Neuwerth zugesetzt wird. Dieß zeigt, +wie die Eigenschaft, worin die Arbeit während desselben untheilbaren Pro- +cesses ||164| Werthe erhält, wesentlich unterschieden ist von der Eigen- 25 +schaft, worin sie Werth schafft. Je mehr nothwendige Arbeitszeit während +der Spinnoperation auf dasselbe Quantum Baumwolle geht, desto größer +der Neuwerth, der der Baumwolle zugesetzt wird, aber je mehr Pfunde +Baumwolle in derselben Arbeitszeit versponnen werden, desto größer der +alte Werth, der im Produkt erhalten wird. + +30 + +Nimm umgekehrt an, die Produktivität der Spinnarbeit bleibe unverän- +dert, der Spinner brauche also nach wie vor gleich viel Zeit, um ein Pfund +Baumwolle in Garn zu verwandeln. Aber der Tauschwerth der Baumwolle +selbst wechsle, ein Pfund Baumwolle steige oder falle um das Sechsfache +seines Preises. In beiden Fällen fährt der Spinner fort demselben Quantum 35 +Baumwolle dieselbe Arbeitszeit zuzusetzen, also denselben Werth, und in +beiden Fällen producirt er in gleicher Zeit gleich viel Garn. Dennoch ist +der Werth, den er von der Baumwolle auf das Garn, das Produkt, überträgt, +das einemal sechsmal kleiner, das andremal sechsmal größer als zuvor. +Ebenso wenn die Arbeitsmittel sich vertheuern oder verwohlfeilern, aber 40 +stets denselben Dienst im Arbeitsproceß leisten. + +182 + + Sechstes Kapitel • Konstantes Kapital und variables Kapital + +Bleiben die technischen Bedingungen des Spinnprocesses unverändert +und geht gleichfalls kein Werthwechsel mit seinen Produktionsmitteln vor, +so verbraucht der Spinner nach wie vor in gleichen Arbeitszeiten gleiche +Quanta Rohmaterial und Maschinerie von gleichbleibenden Werthen. Der +5 Werth, den er im Produkt erhält, steht dann in direktem Verhältniß zu dem +Neuwerth, den er zusetzt. In zwei Wochen setzt er zweimal mehr Arbeit zu +als in einer Woche, also zweimal mehr Werth, und zugleich vernutzt er +zweimal mehr Material von zweimal mehr Werth, und verschleißt zweimal +mehr Maschinerie von zweimal mehr Werth, erhält also im Produkt von +10 zwei Wochen zweimal mehr Werth als im Produkt einer Woche. Unter ge- +gebnen gleichbleibenden Produktionsbedingungen erhält der Arbeiter um +so mehr Werth, je mehr Werth er zusetzt, aber er erhält nicht mehr Werth, +weil er mehr Werth zusetzt, sondern weil er ihn unter gleichbleibenden +und von seiner eignen Arbeit unabhängigen Bedingungen zusetzt. + +15 + +Allerdings kann in einem relativen Sinn gesagt werden, daß der Arbeiter +stets in derselben Proportion alte Werthe erhält, worin er Neuwerth zusetzt. +Ob die Baumwolle von 1 sh. auf 2 sh. steige oder auf 6 d. falle, er erhält in +dem Produkt einer ||165| Stunde stets nur halb so viel Baumwollwerth, wie +der auch wechsle, als in dem Produkt von zwei Stunden. Wechselt ferner +20 die Produktivität seiner eignen Arbeit, sie steige oder falle, so wird er z . B . +in einer Arbeitsstunde mehr oder weniger Baumwolle verspinnen als frü- +her, und dem entsprechend mehr oder weniger Baumwollwerth im Produkt +einer Arbeitsstunde erhalten. Mit alle dem wird er in zwei Arbeitsstunden +zweimal mehr Werth erhalten als in einer Arbeitsstunde. + +25 Werth, von seiner nur symbolischen Darstellung im Werthzeichen abge- +sehn, existirt nur in einem Gebrauchswerth, einem Ding. (Der Mensch +selbst, als bloßes Dasein von Arbeitskraft betrachtet, ist ein Naturgegen- +stand, ein Ding, wenn auch lebendiges, selbstbewußtes Ding, und die Ar- +beit selbst ist dingliche Aeußerung jener Kraft.) Geht daher der Gebrauchs- +30 werth verloren, so geht auch der Werth verloren. Die Produktionsmittel +verlieren mit ihrem Gebrauchswerth nicht zugleich ihren Werth, weil sie +durch den Arbeitsproceß die ursprüngliche Gestalt ihres Gebrauchswerths +in der That nur verlieren, um im Produkt die Gestalt eines andren Ge- +brauchswerths zu gewinnen. So wichtig es aber für den Werth ist in irgend +35 einem Gebrauchswerth zu existiren, so gleichgültig ist es, in welchem er +existirt, wie die Metamorphose der Waaren zeigt. Es folgt hieraus, daß im +Arbeitsproceß Werth vom Produktionsmittel auf das Produkt nur übergeht, +so weit das Produktionsmittel mit seinem selbständigen Gebrauchswerth +auch seinen Tauschwerth verliert. Es gibt nur den Werth an das Produkt +40 ab, den es als Produktionsmittel verliert. Die gegenständlichen Faktoren +des Arbeitsprocesses verhalten sich aber in dieser Hinsicht verschieden. + +183 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +Die Kohle, womit die Maschine geheizt wird, verschwindet spurlos, +ebenso das Oel, womit man die Axe des Rades schmiert u.s.w. Farbe und +andre Hülfsstoffe verschwinden, zeigen sich aber in den Eigenschaften des +Produkts. Das Rohmaterial bildet die Substanz des Produkts, hat aber +seine Form verändert. Rohmaterial und Hülfsstoffe verlieren also die selb- +ständige Gestalt, womit sie in den Arbeitsproceß als Gebrauchswerthe ein- +traten. Anders mit den eigentlichen Arbeitsmitteln. Ein Instrument, eine +Maschine, ein Fabrikgebäude, ein Gefäß u. s. w. dienen im Arbeitsproceß +nur, so lange sie ihre ursprüngliche Gestalt bewahren und morgen wieder +in eben derselben Form in den Arbeitsproceß eingehn, wie gestern. Wie sie 10 +während ihres Lebens, des Arbeitsprocesses, ihre selbständige Gestalt dem +Produkt gegenüber bewahren, so auch nach ||166| ihrem Tode. Die Leichen +von Maschinen, Werkzeugen, Arbeitsgebäuden u. s. w. existiren immer +noch getrennt von den Produkten, die sie bilden halfen. Betrachten wir +nun die ganze Periode, während deren ein solches Arbeitsmittel dient, von 15 +dem Tag seines Eintritts in die Werkstätte bis zum Tage seiner Verban- +nung in die Rumpelkammer, so ist während dieser Periode sein Ge- +brauchswerth von der Arbeit vollständig verzehrt worden, und sein Tausch- +werth daher vollständig auf das Produkt übergegangen. Hat eine +Spinnmaschine z . B . in 10 Jahren ausgelebt, so ist während des zehnjähri- 20 +gen Arbeitsprocesses ihr Gesammtwerth auf das zehnjährige Produkt über- +gegangen. Die Lebensperiode eines Arbeitsmittels umfängt also eine grö- +ßere oder kleinere Anzahl stets von neuem mit +ihm wiederholter +Arbeitsprocesse. Und es geht dem Arbeitsmittel wie dem Menschen. Jeder +Mensch stirbt täglich um 24 Stunden ab. Man sieht aber keinem Men- 25 +sehen genau an, wie viel Tage er bereits verstorben ist. Dieß verhindert Le- +bensversicherungsgesellschaften jedoch nicht, aus dem Durchschnittsleben +der Menschen sehr sichre, und was noch viel mehr ist, sehr profitliche +Schlüsse zu ziehn. So mit dem Arbeitsmittel. Man weiß aus der Erfahrung, +wie lang ein Arbeitsmittel, z.B. eine Maschine von gewisser Art, durch- 30 +schnittlich vorhält. Gesetzt, sein Gebrauchswerth im Arbeitsproceß daure +nur 6 Tage. So verliert es im Durchschnitt jeden Arbeitstag % seines Ge- +brauchswerths und giebt daher % seines Werths an das tägliche Produkt ab. +In dieser Art wird der Verschleiß aller Arbeitsmittel berechnet, also z.B. +ihr täglicher Verlust an Gebrauchswerth, und ihre entsprechende tägliche 35 +Werthabgabe an das Produkt. + +Es zeigt sich so schlagend, daß ein Produktionsmittel nie mehr Werth an +das Produkt abgiebt, als es im Arbeitsproceß durch Vernichtung seines +eignen Gebrauchswerths verliert. Hätte es keinen Werth zu verlieren, d. h. +wäre es nicht selbst Produkt menschlicher Arbeit, so würde es keinen 40 +Werth an das Produkt abgeben. Es diente als Bildner von Gebrauchswerth, + +184 + + Sechstes Kapitel · Konstantes Kapital und variables Kapital + +ohne als Bildner von Tauschwerth zu dienen. Dieß ist daher der Fall mit +allen Produktionsmitteln, die von Natur, ohne menschliches Zuthun, vor- +handen sind, mit Erde, Wind, Wasser, dem Eisen in der Erzader, dem +Holze des Urwaldes u.s.w. + +5 + +Ein andres interessantes Phänomen tritt uns hier entgegen. Eine Ma- +schine sei z . B . 1000 Pfd. St. werth und schleiße sich in 1000 Tagen ab. In +diesem Fall geht täglich ^ 0 0 0 des Werths der Maschine von ihr selbst auf +ihr tägliches Produkt über. Zugleich, ||167| wenn auch mit abnehmender +Lebenskraft, wirkt stets die Gesammtmaschine im Arbeitsproceß. Es zeigt +10 sich also, daß ein Faktor des Arbeitsprocesses, ein Produktionsmittel, ganz +in den Arbeitsproceß, aber nur zum Theil in den Verwerthungsproceß ein- +geht. Der Unterschied von Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß reflek- +tirt sich hier an ihren gegenständlichen Faktoren, indem dasselbe Produk- +tionsmittel als Element des Arbeitsprocesses ganz und als Element der + +15 Werthbildung nur stückweis in demselben Produktionsproceß zählt 2 1). + +Andrerseits kann umgekehrt ein Produktionsmittel ganz in den Verwer- +thungsproceß eingehn, obgleich nur stückweis in den Arbeitsproceß. +Nimm an, beim Verspinnen der Baumwolle fielen täglich auf 115 Pfund +15 Pfund ab, die kein Garn, sondern nur devil's dust bilden. Dennoch, +20 wenn dieser Abfall von 15 % normal, von der Durchschnitts-Verarbeitung +der Baumwolle unzertrennlich ist, geht der Werth der 15 % Baumwolle, die +kein Element des Garns, ganz eben so sehr in den Garnwerth ein, wie der +Werth der 100 U, die seine Substanz bilden. Der Gebrauchswerth von 15 U +Baumwolle muß verstauben, um 100 U Garn zu machen. Der Untergang +25 dieser Baumwolle ist also eine Produktionsbedingung des Garns. Eben des- + +35 + +2 1 ) Es handelt sich hier nicht um Reparaturen der Arbeitsmittel, Maschinen, Baulichkeiten +u. s. w. Eine Maschine, die reparirt wird, funktionirt nicht als Arbeitsmittel, sondern als Ar- +beitsmaterial. Es wird nicht mit ihr gearbeitet, sondern sie selbst wird bearbeitet, um ihren +Gebrauchswerth zu flicken. Solche Reparaturarbeiten kann man für unsren Zweck immer ein- +30 geschlossen denken in die zur Produktion des Arbeitsmittels erheischte Arbeit. Im Text han- +delt es sich um den Verschleiß, den kein Doctor kuriren kann und der allmählig den Tod her- +beiführt, um ,,that kind of wear which cannot be repaired from time to time, and which, in the +case of a knife, would ultimately reduce it to a state in which the cutler would say of it, it is +not worth a new blade". Man hat im Text gesehn, daß eine Maschine z.B. ganz in jeden ein- +zelnen Arbeitsproceß, aber nur stückweis in den gleichzeitigen Verwerthungsproceß eingeht. +Danach zu beurtheilen die folgende Begriffsverwechslung: „Mr. Ricardo speaks of the portion +of the labour of the engineer in making stocking machines" als z.B. enthalten in dem Werth +von ein paar Strümpfen. "Yet the total labour that produced each single pair of stockings ... +includes the whole labour of the engineer, not a portion; for one machine makes many pairs, +and none of those pairs could have been done without any part of the machine." (,,Observa- +tions on certain verbal disputes in Pol. Econ., particularly relating to Value, and to Demand +and Supply. London 1821", p. 54.) Der Verfasser, ein ungemein selbstgefälliger ,,wiseacre", hat +mit seiner Konfusion und daher mit seiner Polemik nur so weit Recht, als weder Ricardo +noch irgend ein andrer Oekonom, vor oder nach ihm, die beiden Seiten der Arbeit genau ge- +schieden, daher noch weniger ihre verschiedne Rolle in der Werthbildung analysirt hat. + +40 + +45 + +185 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +wegen gibt sie ihren Werth an das Garn ab. Dieß gilt von allen Exkremen- +ten des Arbeitsprocesses, in dem ||168| Grad wenigstens, worin diese Exkre- +mente nicht wieder neue Produktionsmittel und daher neue selbständige +Gebrauchswerthe bilden. So sieht man in den großen Maschinenfabriken +zu Manchester Berge von Eisenabfällen, durch cyklopische Maschinen +gleich Hobelspänen abgeschält, am Abend auf großen Wagen aus der Fa- +brik in die Eisengießerei wandern, um den andren Tag wieder als massives +Eisen aus der Eisengießerei in die Fabrik zurückzuwandern. + +5 + +Nur soweit Produktionsmittel während des Arbeitsprocesses Werth in +der Gestalt ihrer alten Gebrauchswerthe verlieren, übertragen sie Werth 10 +auf die neue Gestalt des Produkts. Das Maximum des Werthverlustes, den +sie im Arbeitsproceß erleiden können, ist offenbar beschränkt durch die ur- +sprüngliche Werthgröße, womit sie in den Arbeitsproceß eintreten, oder +durch die zu ihrer eignen Produktion erheischte Arbeitszeit. Produktions- +mittel können dem Produkt daher nie mehr Werth zusetzen, als sie unab- +hängig vom Arbeitsproceß, dem sie dienen, besitzen. Wie nützlich auch +ein Arbeitsmaterial, eine Maschine, ein Produktionsmittel: wenn es +150 Pfd. St., sage 500 Arbeitstage, kostet, setzt es dem Gesammtprodukt, +zu dessen Bildung es dient, nie mehr als 150 Pfd. St. zu. Sein Werth ist be- +stimmt nicht durch den Arbeitsproceß, worin es als Produktionsmittel ein- 20 +geht, sondern durch den Arbeitsproceß, woraus es als Produkt heraus- +kommt. In dem Arbeitsproceß dient es nur als Gebrauchswerth, als Ding +mit nützlichen Eigenschaften, und gäbe daher keinen Werth an das Pro- +dukt ab, hätte es nicht Werth besessen vor seinem Eintritt in den Pro- +c e ß 2 2 ) . | + +15 + +25 + +2 2 ) Man begreift daher die Abgeschmacktheit des faden J. B. Say, der den Mehrwerth (Zins, +Profit, Rente) aus den ,,services productifs" ableiten will, welche die Produktionsmittel, Erde, +Instrumente, Leder u. s. w. durch ihre Gebrauchswerthe im Arbeitsprocesse leisten. Herr Wil- +helm Roscher, der es nicht leicht läßt, artige apologetische Einfälle schwarz auf weiß zu regi- +striren, ruft aus: „Sehr richtig bemerkt J. B. Say, Traité, 1.1, ch. 4, der durch eine Oelmühle 30 +nach Abzug aller Kosten hervorgebrachte Werth sei doch etwas Neues, von der Arbeit, wo- +durch die Oelmühle selbst geschaffen worden, wesentlich verschiednes." (I.e. p.82 Note.) Sehr +richtig! Das von der Oelmühle hervorgebrachte „Oel" ist etwas sehr Verschiednes von der Ar- +beit, welche der Bau der Mühle kostet. Und unter „Werth" versteht Herr Roscher solches +Zeug wie „Oel", da „Oel" Werth hat, „in der Natur" aber sich Steinöl vorfindet, wenn auch re- 35 +lativ nicht „sehr viel", worauf wohl seine andre Bemerkung abzielt: „Tauschwerthe bringt sie +(die Natur!) fast gar nicht hervor." Es geht der Roscher'schen Natur mit dem Tauschwerth, +wie der thörichten Jungfrau mit dem Kind, das nur „ganz klein war". Derselbe „Gelehrte" +(,,savant sérieux") bemerkt noch bei oben erwähnter Gelegenheit: „Die Schule Ricardo's +pflegt auch das Kapital unter den Begriff Arbeit zu subsumiren als ,aufgesparte Arbeit'. Dieß 40 +ist ungeschickt (!), weil (!) ja (!) der Kapitalbesitzer (!) doch (!) mehr (!) gethan hat als die +bloße (?!) Hervorbringung (?) und (??) Erhaltung desselben (wesselbigen?): eben (?!?) die Ent- +haltung vom eignen Genüsse, wofür er z.B. (!!!) Zinsen verlangt." (I.e.) Wie „geschickt"! diese +„anatomisch-physiologische Methode" der politischen Oekonomie, die aus bloßem „Verlan- +gen" ja doch eben „Werth" entwickelt. + +45 + +186 + + Sechstes Kapitel • Konstantes Kapital und variables Kapital + +|169| Indem die produktive Arbeit Produktionsmittel in Bildungsele- +mente eines neuen Produkts verwandelt, geht mit deren Werth eine Seelen- +wandrung vor. Er geht aus dem verzehrten Leib in den neu gestalteten Leib +über. Aber diese Seelenwandrung ereignet sich gleichsam hinter dem Rük- +5 ken der wirklichen Arbeit. Der Arbeiter kann neue Arbeit nicht zusetzen, +also nicht neuen Werth schaffen, ohne alte Werthe zu erhalten, denn er +muß die Arbeit immer in bestimmter nützlicher Form zusetzen, und er +kann sie nicht in nützlicher Form zusetzen, ohne Produkte zu Produk- +tionsmitteln eines neuen Produkts zu machen, und dadurch ihren Werth +10 auf das neue Produkt zu übertragen. Es ist also eine Naturgabe der sich +bethätigenden Arbeitskraft, der lebendigen Arbeit, Werth zu erhalten, in- +dem sie Werth zusetzt, eine Naturgabe, die dem Arbeiter nichts kostet, +aber dem Kapitalisten viel einbringt, die Erhaltung des vorhandnen Kapi- +talwerths 2 2 a ) . So lange das Geschäft flott geht, ist der Kapitalist zu sehr in +15 die Plusmacherei vertieft, um diese Gratisgabe der Arbeit zu sehn. Ge- +waltsame Unterbrechungen des Arbeitsprocesses, Krisen, machen sie ihm +empfindlich bemerksam 2 3). + +20 + +Was überhaupt an den Produktionsmitteln verzehrt wird, ist ihr Ge- +brauchswerth, durch dessen Konsumtion die Arbeit Produkte ||170| bildet. +Ihr Werth wird in der That nicht konsumirt 2 4), kann also auch nicht repro- +ducirt werden. Er wird erhalten, aber nicht weil eine Operation mit ihm +selbst im Arbeitsproceß vorgeht, sondern weil der Gebrauchswerth, worin +er ursprünglich existirt, zwar verschwindet, aber nur in einen andren Ge- +brauchswerth verschwindet. Der Werth der Produktionsmittel erscheint da- + +30 + +25 22 a) "Of all the instruments of the farmer's trade, the labour of man ... in that on which he is +most to rely for the re-payment of his capital. The other two—the working stock of the cattle, +and the ... carts, ploughs, spades, and so forth—without a given portion of the first, are noth- +ing at all." (Edmund Burke: ,,Thoughts and Details on Scarcity, originally presented to the Rt. +Hon. W.Pitt in the Month of November 1795, edit. London 1800", p. 10.) +2 3 ) In der Times vom 26.Nov. 1862 jammert ein Fabrikant, dessen Spinnerei 800 Arbeiter be- +schäftigt, und wöchentlich im Durchschnitt 150 Ballen ostindischer oder ungefähr 130 Ballen +amerikanischer Baumwolle verzehrt, dem Publikum die jährlichen Stillstandskosten seiner +Fabrik vor. Er schlägt sie auf 6000 Pfd. St. an. Unter diesen Unkosten befinden sich viele Po- +sten, die uns hier nichts angehn, wie Grundrente, Steuern, Versichrungsprämien, Salaire für +jährlich engagirte Arbeiter, manager, Buchhalter, Ingenieur u.s.w. Dann aber berechnet er für +150 Pfd. St. Kohlen, um die Fabrik von Zeit zu Zeit zu wärmen und die Dampfmaschine gele- +gentlich in Gang zu setzen, außerdem Löhne für Arbeiter, die durch gelegentliche Arbeit die +Maschinerie „flüssig" erhalten. Endlich 1200 Pfd. St. für Verschlechterung der Maschinerie, +da ,,the weather and the natural principle of decay do not suspend their operations because +the steam-engine ceases to revolve". Er bemerkt ausdrücklich, diese Summe von 1200 Pfd. St. +sei so gering angeschlagen, weil sich die Maschinerie bereits in sehr abgenutztem Zustande +befmde. +2 4 ) "Productive Consumption: where the consumption of a commodity is a part of the process +of production ... In these instances there is no consumption of value." S.P.Newman 1. c. + +35 + +40 + +45 p. 296. + +187 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +her wieder im Werth des Produkts, aber er wird, genau gesprochen, nicht +reproducirt. Was producirt wird, ist der neue Gebrauchswerth, worin der +alte Tauschwerth wieder erscheint 2 5). + +5 + +Anders mit dem subjektiven Faktor des Arbeitsprocesses, der sich bethä- +tigenden Arbeitskraft. Während die Arbeit durch ihre zweckmäßige Form +den Werth der Produktionsmittel auf das Produkt überträgt und erhält, bil- +det jedes Moment ihrer Bewegung zusätzlichen Werth, Neuwerth. Gesetzt +der Produktionsproceß breche ab beim Punkt, wo der Arbeiter ein Aequi- +valent für den Werth seiner eignen Arbeitskraft producirt, durch sechsstün- +dige Arbeit z.B. einen Werth von 3 sh. zugesetzt hat. Dieser Werth bildet 10 +den Ueberschuß des Produktenwerths über seine dem Werth der Produk- +tionsmittel geschuldeten Bestandtheile. Er ist der einzige Originalwerth, +der innerhalb dieses Processes entstand, der einzige Werththeil des Pro- +dukts, der durch den Proceß selbst producirt ist. Allerdings ersetzt er nur +das vom Kapitalisten beim Kauf der Arbeitskraft vorgeschoßne, vom Arbei- 15 +ter selbst in Lebensmitteln verausgabte Geld. Mit Bezug auf die verausgab- +ten 3 sh. erscheint der Neuwerth von 3 sh. nur als Reproduktion. Aber er | +|171| ist wirklich reproducirt, nicht nur scheinbar, wie der Werth der +Produktionsmittel. Der Ersatz eines Werths durch den andren ist hier ver- +mittelt durch neue Werthschöpfung. + +20 + +Wir wissen jedoch bereits, daß der Arbeitsproceß über den Punkt hinaus +fortdauert, wo ein bloßes Aequivalent für den Werth der Arbeitskraft repro- +ducirt und dem Arbeitsgegenstand zugesetzt wäre. Statt der 6 Stunden, die +hierzu genügen, währt der Proceß z . B . 12 Stunden. Durch die Bethätigung +der Arbeitskraft wird also nicht nur ihr eigner Werth reproducirt, sondern 25 +ein überschüssiger Werth producirt. Dieser Mehrwerth bildet den Ueber- +schuß des Produktenwerths über den Werth der verzehrten Produktbildner, +d. h. der Produktionsmittel und der Arbeitskraft. + +Indem wir die verschiednen Rollen dargestellt, welche die verschiednen + +2 5 ) In einem nordamerikanischen Kompendium, das vielleicht 20 Auflagen erlebt hat, liest 30 +man: "It matters not in what form capital reappears." Nach einer redseligen Aufzählung aller +möglichen Produktionsingredienzien, deren Werth im Produkt wieder erscheint, heißt's +schließlich: "The various kinds of food, clothing, and shelter, necessary for the existence and +comfort of the human being, are also changed. They are consumed from time to time, and +their value re-appears, in that new vigour imparted to his body and mind, forming fresh capi- 35 +tal, to be employed again in the work of production." (F.Wayland I.e. p. 32.) Von allen andren +Wunderlichkeiten abgesehn, ist es z.B. nicht der Preis des Brodes, der in der erneuten Kraft +wieder erscheint, sondern seine blutbildenden Substanzen. Was dagegen als Werth der Kraft +wiedererscheint, sind nicht die Lebensmittel, sondern ihr Werth. Dieselben Lebensmittel, +wenn sie nur die Hälfte kosten, produciren ganz eben so viel Muskel, Knochen u.s.w., kurz 40 +dieselbe Kraft, aber nicht Kraft vom selben Werth. Dieß Umsetzen von „Werth" in „Kraft" +und die ganze pharisäische Unbestimmtheit verstecken den allerdings vergeblichen Versuch, +aus bloßem Wiedererscheinen vorgeschoßner Werthe einen Mehrwerth heraus zu drech- +seln. + +188 + + Sechstes Kapitel • Konstantes Kapital und variables Kapital + +Faktoren des Arbeitsprocesses in der Bildung des Produktenwerths spielen, +haben wir in der That die Funktionen der verschiednen Bestandtheile des +Kapitals in seinem eignen Verwerthungsproceß charakterisirt. Der Ueber- +schuß des Gesammtwerths des Produkts über die Werthsumme seiner BiI- +5 dungselemente ist der Ueberschuß des verwerteten Kapitals über den ur- +sprünglich vorgeschoßnen Kapitalwerth. Produktionsmittel auf der einen +Seite, Arbeitskraft auf der andren, sind nur die verschiednen Existenzfor- +men, die der ursprüngliche Kapitalwerth annahm bei Abstreifung seiner +Geldform und seiner Verwandlung in die Faktoren des Arbeitsprocesses. + +10 + +Der Theil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d.h. in Roh- +material, Hülfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verändert seine Werth- +größe nicht im Produktionsproceß. Ich nenne ihn daher konstanten Kapi- +t a l t e i l , oder kürzer: konstantes Kapital. + +Der in Arbeitskraft umgesetzte Theil des Kapitals verändert dagegen sei- +15 nen Werth im Produktionsproceß. Er reproducirt sein eignes Aequivalent +und einen Ueberschuß darüber, Mehrwerth, der selbst wechseln, größer +oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten Größe verwandelt sich dieser +Theil des Kapitals fortwährend in eine variable. Ich nenne ihn daher varia- +blen Kapitaltheil, oder kürzer: variables Kapital. Dieselben Kapitalbe- +standtheile, die sich vom Standpunkt des Arbeitsprocesses als objektive +und subjektive Faktoren, als Produktionsmittel und Arbeitskraft unter- +scheiden, unterscheiden sich vom Standpunkt des Verwerthungsprocesses +als konstantes Kapital und variables Kapital. + +20 + +Der Begriff des konstanten Kapitals schließt eine Werthrevolution seiner +25 Bestandtheile in keiner Weise aus. Nimm an, das ||172| Pfund Baumwolle +koste heute 6 d. und steige morgen, in Folge eines Ausfalls der Baumwoll- +ernte, auf 1 sh. Die alte Baumwolle, die fortfährt verarbeitet zu werden, ist +zum Werth von 6 d. gekauft, fügt aber jetzt dem Produkt einen Werththeil +von 1 sh. zu. Und die bereits versponnene, vielleicht schon als Garn auf +30 dem Markt cirkulirende Baumwolle, fügt dem Produkt ebenfalls das Dop- +pelte ihres ursprünglichen Werths zu. Man sieht jedoch, daß diese Werth- +wechsel unabhängig sind von der Verwerthung der Baumwolle im Spinn- +proceß selbst. Wäre die alte Baumwolle noch gar nicht +in den +Arbeitsproceß eingegangen, so könnte sie jetzt zu 1 sh. statt zu 6 d. wieder +35 verkauft werden. Umgekehrt: Je weniger Arbeitsprocesse sie noch durch- +laufen hat, desto sichrer ist dieß Resultat. Es ist daher Gesetz der Spekula- +tion bei solchen Werthrevolutionen auf das Rohmaterial in seiner mindest +verarbeiteten Form zu spekuliren, also eher auf Garn als auf Gewebe und +eher auf die Baumwolle selbst als auf das Garn. Die Werthänderung ent- +springt hier in dem Proceß, der Baumwolle producirt, nicht in dem Proceß, +worin sie als Produktionsmittel und daher als konstantes Kapital funktio- + +40 + +189 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +nirt. Der Werth einer Waare ist zwar bestimmt durch das Quantum der in +ihr enthaltnen Arbeit, aber dieß Quantum selbst ist gesellschaftlich be- +stimmt. Hat sich die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte Ar- +beitszeit verändert - und dasselbe Quantum Baumwolle z . B . stellt in un- +günstigen Ernten größeres Quantum Arbeit dar, als in günstigen - so +findet eine Rückwirkung auf die alte Waare statt, die immer nur als einzel- +nes Exemplar ihrer Gattung gilt 2 6), deren Werth stets durch gesellschaft- +lich nothwendige, also auch stets unter gegenwärtigen gesellschaftlichen +Bedingungen nothwendige Arbeit gemessen wird. + +5 + +Wie der Werth des Rohmaterials, mag der Werth bereits im Produktions- 10 + +proceß dienender Arbeitsmittel, der Maschinerie u. s. w. wechseln, also +auch der Werththeil, den sie dem Produkt abgeben. Wird z.B. in Folge +einer neuen Erfindung Maschinerie derselben Art mit verminderter Aus- +gabe von Arbeit reproducirt, so entwerthet die alte Maschinerie mehr oder +minder und überträgt daher auch verhältnißmäßig weniger Werth auf das +Produkt. Aber auch hier entspringt der Werthwechsel außerhalb des Pro- +duktionsprocesses, worin die Maschine als Produktionsmittel funktionirt. +In diesem ||173| Proceß gibt sie nie mehr Werth ab als sie unabhängig von +diesem Proceß besitzt. + +15 + +Wie ein Wechsel im Werth der Produktionsmittel, ob auch rückwirkend 20 + +nach ihrem bereits erfolgten Eintritt in den Proceß, ihren Charakter als +konstantes Kapital nicht verändert, ebenso wenig berührt ein Wechsel in +der Proportion zwischen konstantem und variablem Kapital ihren funktio- +nellen Unterschied. Die technischen Bedingungen des Arbeitsprocesses +mögen z.B. so umgestaltet werden, daß wo früher 10 Arbeiter mit 10 Werk- 25 +zeugen von geringem Werth eine verhältnißmäßig kleine Masse von Roh- +material verarbeiteten, jetzt 1 Arbeiter mit einer theuren Maschine das +hundertfache Rohmaterial verarbeitet. In diesem Fall wäre das konstante +Kapital, d.h. die Werthmasse der angewandten Produktionsmittel, sehr ge- +wachsen, und der variable Theil des Kapitals, der in Arbeitskraft vorge- 30 +schoßne, sehr gefallen. Dieser Wechsel ändert jedoch nur das Größenver- +hältniß zwischen konstantem und variablem Kapital, oder die Proportion, +worin das Gesammtkapital in konstante und variable Bestandtheile zer- +fällt, berührt dagegen nicht den Unterschied von konstant und variabel. + +2 6 ) «Toutes les productions d'un même genre ne forment proprement qu'une masse, dont le 35 +prix se détermine en général et sans égard aux circonstances particulières.» (Le Trosne 1. c. +p. 893.) + +190 + + Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts + +S I E B E N T E S K A P I T E L . + +Die Rate des Mehrwerths. + +1. Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft. + +Der Mehrwerth, den das vorgeschoßne Kapital C im Produktionsproceß er- +5 zeugt hat, oder die Verwerthung des vorgeschoßnen Kapitalwerths C stellt +sich zunächst dar als Ueberschuß des Werths des Produkts über die Werth- +summe seiner Produktionselemente. + +Das Kapital C zerfallt in zwei Theile, eine Geldsumme c, die für Produk- +tionsmittel, und eine andre Geldsumme v, die für Arbeitskraft verausgabt +10 wird; c stellt den in konstantes, ν den in variables Kapital verwandelten +Werththeil vor. Ursprünglich ist also C = c + v, z . B . das vorgeschoßne Ka- + +c + +ν + +pital von 500 Pfd. St. = 410 Pfd. St. + 90 Pfd. St. Am Ende des Produk(cid:5) + +tionsprocesses kommt Waare heraus, deren Werth = c + ν + m, wo m der +m + +c ^ ^ v + +Mehrwerth, z.B. 410 1. + 901. 4(cid:5) 901. Das ursprüng||174|liche Kapital C +15 hat sich in C verwandelt, aus 500 Pfd. St. in 590 Pfd. St. Die Differenz zwi- +schen beiden ist = m, einem Mehrwerth von 90. Da der Werth der Produk- +tionselemente gleich dem Werth des vorgeschoßnen Kapitals, so ist es in +der That eine Tautologie, daß der Ueberschuß des Produktenwerths über +den Werth seiner Produktionselemente gleich der Verwerthung des vorge- +schoßnen Kapitals oder gleich dem producirten Mehrwerth. + +20 + +Indeß erfordert diese Tautologie eine nähere Bestimmung. Was mit dem +Produktenwerth verglichen wird, ist der Werth der in seiner Bildung aufge- +zehrten Produktionselemente. Nun haben wir aber gesehn, daß der aus Ar- +beitsmitteln bestehende Theil des angewandten konstanten Kapitals nur +25 ein Stück seines Werths an das Produkt abgibt, während ein andres Stück +in seiner alten Existenzform fortdauert. Da das letztre keine Rolle in der +Werthbildung spielt, ist hier davon zu abstrahiren. Sein Hineinziehen in +die Rechnung würde nichts ändern. Nimm an, c = 4101. bestehe aus Roh- +material zu 312 1., Hülfsstoffen zu 441. und im Proceß verschleißender Ma- +30 schinerie von 541., der Werth der wirklich angewandten Maschinerie be- +trage aber 10541. Als vorgeschossen zur Erzeugung des Produktenwerths +berechnen wir nur den Werth von 541., den die Maschinerie durch ihre +Funktion verliert und daher dem Produkt abgibt. Rechneten wir die +1000 Pfd. St. mit, die in ihrer alten Form fortexistiren als Dampfmaschine + +191 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +u.s.w., so müßten wir sie auf beiden Seiten mitrechnen, auf Seite des vor- +geschoßnen Werths und auf Seite des Produktenwerths 2 6 a), und erhielten +so resp. 1500 Pfd. St. und 1590 Pfd. St. Die Differenz oder der Mehrwerth +wäre nach wie vor 90 Pfd. St. Unter dem zur Werthproduktion vorgeschoß- +nen konstanten Kapital verstehn wir daher, wo das Gegentheil nicht aus +dem Zusammenhang erhellt, stets nur den Werth der in der Produktion +verzehrten Produktionsmittel. + +Dieß vorausgesetzt, kehren wir zurück zur Formel C = c + v, die sich in + +5 + +C = c + ν + m und eben dadurch C in C verwandelt. Man weiß, daß der +Werth des konstanten Kapitals im Produkt nur wieder erscheint. Das im 10 +Proceß wirklich neu er||175|zeugte Werthprodukt ist also verschieden von +dem aus dem Proceß erhaltnen Produktenwerth, daher nicht, wie es auf + +c ^ + +v ν + +m + +den ersten Blick scheint, c + ν + m oder 410 1. + 901. + 90 , sondern + +ν ^ + +v m + +ν + m oder 90 1. + 901. , nicht 5901., sondern 1801. Wäre c, das konstante +Kapital, = 0, in andren Worten, gäbe es Industriezweige, worin der Kapita- 15 +list keine producirten Produktionsmittel, weder Rohmaterial, noch Hülfs- +stoffe, noch Arbeitsinstrumente, sondern nur von Natur vorhandne Stoffe +und Arbeitskraft anzuwenden hätte, so wäre kein konstanter Werththeil auf +das Produkt zu übertragen. Dieß Element des Produktenwerths, in unsrem +Beispiel 410 Pfd. St., fiele fort, aber das Werthprodukt von 180 Pfd. St., 20 +welches 90 Pfd. St. Mehrwerth enthält, bliebe ganz ebenso groß als ob c die + +größte Werthsumme darstellte. Wir hätten C = 0 + ν = ν, und C, das ver- +w e r t e t e Kapital, = ν + m, C (cid:5) C nach wie vor = m. Wäre umgekehrt +m = 0, in andren Worten, hätte die Arbeitskraft, deren Werth im variablen +Kapital vorgeschossen wird, nur ein Aequivalent producirt, so C = c + ν + +25 + +und C (der Produktenwerth) = c + ν + 0, daher C = C. Das vorgeschoßne +Kapital hätte sich nicht verwerthet. + +Wir wissen in der That bereits, daß der Mehrwerth bloß Folge der Werth- +veränderung ist, die mit v, dem in Arbeitskraft umgesetzten Kapitaltheil +vorgeht, daß also ν + m = ν + Δν (ν plus Inkrement von ν) ist. Aber die 30 +wirkliche Werthveränderung und das Verhältniß, worin sich der Werth än- +dert, werden dadurch verdunkelt, daß in Folge des Wachsthums seines va- +riirenden Bestandtheils auch das vorgeschoßne Gesammtkapital wächst. Es +war 500 und es wird 590. Die reine Analyse des Processes erheischt also + +2 6 a ) "If we reckon the value of the fixed capital employed as a part of the advances, we must 35 +reckon the remaining value of such capital at the end of the year as a part of the annual re- +turns." (Malthus: „Princ. of Pol. Econ. 2nd ed. London 1836", p. 269.) + +192 + + Siebentes Kapitel · Die Rate des Mehrwerts + +von dem Theil des Produktenwerths, worin nur konstanter Kapitalwerth +wieder erscheint, ganz zu abstrahiren, also das konstante Kapital c = 0 zu +setzen, und damit ein Gesetz der Mathematik anzuwenden, wo sie mit va- +riablen und konstanten Größen operirt, und die konstante Größe nur + +5 durch Addition oder Substraktion mit der variablen verbunden ist. + +Eine andre Schwierigkeit entspringt aus der ursprünglichen Form des va- +riablen Kapitals. So im obigen Beispiel ist C = 410 £ konstantes Kapital ++ 90 £ variables Kapital + 90 £ Mehrwerth. Neunzig Pfd. St. sind aber eine +gegebne, also konstante Größe und ||176| es scheint daher ungereimt sie als + +ν + +15 + +10 variable Größe zu behandeln. Aber 90 £ oder 90 £ variables Kapital ist +hier in der That nur Symbol für den Proceß, den dieser Werth durchläuft. +Der im Ankauf der Arbeitskraft vorgeschoßne Kapitaltheil ist ein bestimm- +tes Quantum vergegenständlichter Arbeit, also konstante Werthgröße, wie +der Werth der gekauften Arbeitskraft. Im Produktionsproceß selbst aber +tritt an die Stelle der vorgeschoßnen 90 Pfd. St. die sich bethätigende Ar- +beitskraft, an die Stelle todter, lebendige Arbeit, an die Stelle einer ruhen- +den eine fließende Größe, an die Stelle einer konstanten eine variable. Das +Resultat ist die Reproduktion von ν plus Inkrement von v. Vom Stand- +punkt der kapitalistischen Produktion ist dieser ganze Verlauf Selbstbewe(cid:5) +20 gung des in Arbeitskraft umgesetzten, ursprünglich konstanten Werths. +Ihm wird der Proceß und sein Resultat zu gut geschrieben. Erscheint die +Formel 90 £ variables Kapital oder sich verwerthender Werth daher wider- +spruchsvoll, so drückt sie nur einen der kapitalistischen Produktion imma- +nenten Widerspruch aus. + +25 + +Die Gleichsetzung des konstanten Kapitals mit 0 befremdet auf den er- +sten Blick. Indeß vollzieht man sie beständig im Alltagsleben. Will Jemand +z.B. Englands Gewinn an der Baumwollindustrie berechnen, so zieht er vor +allem den an die Vereinigten Staaten, Indien, Aegypten u. s. w. gezahlten +Baumwollpreis ab; d.h. er setzt im Produktenwerth nur wiedererscheinen- + +30 den Kapitalwerth = 0 . + +35 + +Allerdings hat das Verhältniß des Mehrwerths, nicht nur zum Kapital- +theil, woraus er unmittelbar entspringt und dessen Werthverändrung er +darstellt, sondern auch zum vorgeschoßnen Gesammtkapital seine große +ökonomische Bedeutung. Wir behandeln dieß Verhältniß daher ausführ- +lieh im dritten Buch. Um einen Theil des Kapitals durch seinen Umsatz in +Arbeitskraft zu verwerthen, muß ein andrer Theil des Kapitals in Produk- +tionsmittel verwandelt werden. Damit das variable Kapital funktionire, +muß konstantes Kapital in entsprechenden Proportionen, je nach dem be- +stimmten technischen Charakter des Arbeitsprocesses, vorgeschossen wer- +40 den. Der Umstand jedoch, daß man zu einem chemischen Proceß Retorten + +193 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +und andre Gefäße braucht, verhindert nicht bei der Analyse von der R e - +torte selbst zu abstrahiren. Sofern Werthschöpfung und Werthverändrung +für sich selbst, d. h. rein betrachtet werden, liefern die Produktionsmittel, +diese stofflichen Gestalten ||177| des konstanten Kapitals, nur den Stoff, +worin sich die flüssige, werthbildende Kraft fixiren soll. Die Natur dieses +Stoffes ist daher auch gleichgültig, ob Baumwolle oder Eisen. Auch der +Werth dieses Stoffes ist gleichgültig. Er muß nur in hinreichender Masse +vorhanden sein, um das während des Produktionsprocesses zu verausga- +bende Arbeitsquantum einsaugen zu können. Diese Masse gegeben, mag +ihr Werth steigen, oder fallen, oder sie mag werthlos sein, wie Erde und 10 +Meer, der Proceß der Werthschöpfung und Werthverändrung wird nicht da- +von berührt 2 7). + +5 + +Wir setzen also zunächst den konstanten Kapitaltheil gleich Null. Das +vorgeschoßne Kapital reducirt sich daher von c + ν auf v, und der Produk- + +tenwerth c + ν + m auf das Werthprodukt ν + m. Gegeben das Werthpro(cid:5) 15 +dukt = 180 Pfd. St., worin sich die während der ganzen Dauer des Produk- +tionsprocesses fließende Arbeit darstellt, so haben wir den Werth des +variablen Kapitals = 90 Pfd. St. abzuziehn, um den Mehrwerth = 90 Pfd. +St. zu erhalten. Die Zahl 90 Pfd. St. = m drückt hier die absolute Größe +des producirten Mehrwerths aus. Seine proportionelle Größe aber, also das 20 +Verhältniß, worin das variable Kapital sich verwertet hat, ist offenbar be- +stimmt durch das Verhältniß des Mehrwerths zum variablen Kapital, oder + +ist ausgedrückt in -^-. Im obigen Beispiel also in 9 % 0 = 100%. Diese ver- + +hältnißmäßige Verwertung des variablen Kapitals, oder die verhältnißmä- +ßige Größe des Mehrwerths, nenne ich Rate des Mehrwerths 2 8). + +25 + +Wir haben gesehn, daß der Arbeiter während eines Abschnitts des Ar- +beitsprocesses nur den Werth seiner Arbeitskraft producirt, d.h. den Werth +seiner nothwendigen Lebensmittel. Da er in einem auf gesellschaftlicher +Theilung der Arbeit beruhenden Zustand producirt, producirt er seine Le- +bensmittel nicht direkt, sondern, in Form einer besondren Waare, des 30 +Garns z.B., einen Werth gleich dem Werth seiner Lebensmittel, oder dem +Geld, womit er sie kauft. Der Theil seines Arbeitstags, den er hierzu ver-| +1178|braucht, ist größer oder kleiner, je nach dem Werth seiner durch- +schnittlichen täglichen Lebensmittel, also je nach der zu ihrer Produktion + +2 7 ) Note zur 2. Ausg. Es versteht sich von selbst mit Lucretius „nil posse creari de nihilo". 35 +Aus nichts wird nichts. „Werthschöpfung" ist Umsatz von Arbeitskraft in Arbeit. Ihrerseits ist +die Arbeitskraft vor allem in menschlichen Organismus umgesetzter Naturstoff. +2 8 ) In derselben Weise, wie der Engländer „rate of profits", „rate of interest", u. s. w. braucht. +Man wird aus Buch III sehen, daß die Profitrate leicht zu begreifen, sobald man die Gesetze +des Mehrwerths kennt. Auf dem umgekehrten Weg begreift man ni l'un, ni l'autre. + +40 + +194 + + Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts + +5 + +erheischten durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit. Wenn der Werth sei- +ner täglichen Lebensmittel im Durchschnitt 6 vergegenständlichte Arbeits- +stunden darstellt, so muß der Arbeiter im Durchschnitt täglich 6 Stunden +arbeiten, um ihn zu produciren. Arbeitete er nicht für den Kapitalisten, +sondern für sich selbst, unabhängig, so müßte er, unter sonst gleichbleiben- +den Umständen, nach wie vor im Durchschnitt denselben aliquoten Theil +des Tags arbeiten, um den Werth seiner Arbeitskraft zu produciren, und +dadurch die zu seiner eignen Erhaltung oder beständigen Reproduktion +nöthigen Lebensmittel zu gewinnen. Da er aber in dem Theil des Arbeits- +tags, worin er den Tageswerth der Arbeitskraft, sage 3 sh., producirt, nur +ein Aequivalent für ihren vom Kapitalisten bereits gezahlten 2 8 a) Werth pro- +ducirt, also durch den neu geschaffnen Werth nur den vorgeschoßnen va- +riablen Kapitalwerth ersetzt, erscheint diese Produktion von Werth als +bloße Reproduktion. Den Theil des Arbeitstags also, worin diese Repro- +15 duktion vorgeht, nenne ich nothwendige Arbeitszeit, die während dersel- +ben verausgabten Arbeit nothwendige Arbeit 2 9). Nothwendig für den Ar- +beiter, weil unabhängig von der gesellschaftlichen Form seiner Arbeit. +Nothwendig für das Kapital und seine Welt, weil das beständige Dasein +des Arbeiters ihre Basis. + +10 + +20 + +Die zweite Periode des Arbeitsprocesses, die der Arbeiter über die Gren- +zen der nothwendigen Arbeit hinausschanzt, kostet ihm zwar Arbeit, Ver- +ausgabung von Arbeitskraft, bildet aber keinen Werth für ihn. Sie bildet +Mehrwerth, der den Kapitalisten mit allem Reiz einer Schöpfung aus +Nichts anlacht. Diesen Theil des Arbeitstags nenne ich Surplusarbeitszeit, +25 und die in ihr verausgabte Arbeit: Mehrarbeit (surplus labour). So ent- +scheidend es für die Erkenntniß des Werths überhaupt, ihn als bloße Ge- +rinnung ||179| von Arbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Arbeit, so ent- +scheidend ist es für die Erkenntniß des Mehrwerths, +ihn als bloße +Gerinnung von Surplusarbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Mehrarbeit +zu begreifen. Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren +Producenten, dem Arbeiter, abgepreßt wird, unterscheidet die ökonomi- +schen Gesellschaftsformationen, z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von +der der Lohnarbeit 3 0). + +30 + +2 8 a ) (Note zur 3. Aufl. Der Verfasser gebraucht hier die landläufige ökonomische Sprache. +35 Man erinnert sich, daß auf S. 137 nachgewiesen, wie in Wirklichkeit nicht der Kapitalist dem + +Arbeiter, sondern der Arbeiter dem Kapitalisten „vorschießt". - F. E.) +2 9 ) Wir haben bisher in dieser Schrift das Wort „nothwendige Arbeitszeit" angewandt für die +zur Produktion einer Waare überhaupt gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Wir brau- +chen es von jetzt ab auch für die zur Produktion der specifischen Waare Arbeitskraft noth- +40 wendige Arbeitszeit. Der Gebrauch derselben termini technici in verschiednem Sinn ist miß- +lich, aber in keiner Wissenschaft ganz zu vermeiden. Man vergleiche z. B. die höheren und +niedren Theile der Mathematik. +3 0 ) Mit wahrhaft Gottsched'scher Genialität entdeckt Herr Wilhelm Thucydides Roscher, daß + +195 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Da der Werth des variablen Kapitals = Werth der von ihm gekauften Ar- +beitskraft, da der Werth dieser Arbeitskraft den nothwendigen Theil des +Arbeitstags bestimmt, der Mehrwerth seinerseits aber bestimmt ist durch +den überschüssigen Theil des Arbeitstags, so folgt: Der Mehrwerth verhält +sich zum variablen Kapital, wie die Mehrarbeit zur nothwendigen, oder die + +Rate des Mehrwerths — = -77— + +m + +Mehrarbeit + +., +— ———. Beide Proportionen + +^ + +^ + +ν + +Nothwendige Arbeit + +drücken dasselbe Verhältniß in verschiedner Form aus, das einemal in der +Form vergegenständlichter, das andremal in der Form flüssiger Arbeit. + +Die Rate des Mehrwerths ist daher der exakte Ausdruck für den Exploi- +tationsgrad der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch +den Kapitalisten 3 0 a). + +10 + +Nach +c + +\ + +unsrer Annahme war + +der Werth + +des + +Produkts + += + +m + +410 1. + 90 1. + 9 0 , das vorgeschoßne Kapital = 500 1. Da der Mehrwerth | +|180| = 90 und das vorgeschoßne Kapital = 500, würde man nach der ge- +wöhnlichen Art der Berechnung herausbekommen, daß die Rate des Mehr- +werths (die man mit der Profitrate verwechselt) = 18 %, eine Verhältniß- +zahl, deren Niedrigkeit Herrn Carey und andre Harmoniker rühren + +15 + +möchte. In der That aber ist die Rate des Mehrwerths nicht = + +oder + +m +c + ν + +sondern = — , also nicht -7^77, sondern -7^- = 1 0 0 %, mehr als das + +500 + +90 + +ν + +Fünffache des scheinbaren Exploitationsgrads. Obgleich wir nun im gegeb- 20 + +nen Fall die absolute Größe des Arbeitstags nicht kennen, auch nicht die + +Periode des Arbeitsprocesses (Tag, Woche u. s. w.), endlich nicht die An- + +zahl der Arbeiter, die das variable Kapital von 901. gleichzeitig in Bewe- + +gung setzt, zeigt uns die Rate des Mehrwerths - ^ - durch ihre Konvertibili- + +wenn die Bildung von Mehrwerth oder Mehrprodukt, und die damit verbundne Akkumula- 25 +tion, heurigen Tags der „Sparsamkeit" des Kapitalisten geschuldet, der dafür „z.B. Zins ver- +langt", dagegen „auf den niedrigsten Kulturstufen ... die Schwächeren von den Stärkeren zur +Sparsamkeit gezwungen werden". (1. c. p. 82, 78.) Zur Ersparung von Arbeit? oder nicht vor- +handner überschüssiger Produkte? Neben wirklicher Ignoranz ist es apologetische Scheu vor +gewissenhafter Analyse des Werths und Mehrwerths, und etwa verfänglich-polizeiwidrigem 30 +Resultat, die einen Roscher und Cons, zwingt, die mehr oder minder plausiblen Rechtferti- +gungsgründe des Kapitalisten für seine Aneignung vorhandner Mehrwerthe in Entstehungs- +gründe des Mehrwerths zu verdrehen. +3 0 a ) Note zur 2. Ausg. Obgleich exakter Ausdruck für den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, +ist die Rate des Mehrwerths kein Ausdruck für die absolute Größe der Exploitation. z.B. 35 +wenn die nothwendige Arbeit = 5 Stunden und die Mehrarbeit = 5 Stunden, ist der Exploita- +tionsgrad = 100 %. Die Größe derExploitation ist hier gemessen durch 5 Stunden. Ist dagegen +die nothwendige Arbeit = 6 Stunden und die Mehrarbeit = 6 Stunden, so bleibt der Exploita- +tionsgrad von 100 % unverändert, während die Größe der Exploitation um 20 % wächst, von 5 +auf 6 Stunden. + +40 + +196 + + Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts + +.. +. +tat m (cid:2)ZT—z + +Mehrarbeit + +Λ + +xr + +Λ ..Λ + +1 + +. ^ + +. + +ΛαΛ + +.Λ + +��� — — — genau das Verhältniß der zwei Bestandtheile + +Nothwendige Arbeit + +des Arbeitstags zu einander. Es ist 100%. Also arbeitete der Arbeiter die +eine Hälfte des Tags für sich und die andre für den Kapitalisten. + +5 + +Die Methode zur Berechnung der Rate des Mehrwerths ist also kurzge- +faßt diese: Wir nehmen den ganzen Produktenwerth und setzen den darin +nur wiedererscheinenden konstanten Kapitalwerth gleich Null. Die übrig- +bleibende Werthsumme ist das einzige im Bildungsproceß der Waare wirk- +lich erzeugte Werthprodukt. Ist der Mehrwerth gegeben, so ziehn wir ihn +von diesem Werthprodukt ab, um das variable Kapital zu finden. Umge- +10 kehrt, wenn letztres gegeben und wir den Mehrwerth suchen. Sind beide +gegeben, so ist nur noch die Schlußoperation zu verrichten, das Verhältniß +des Mehrwerths zum variablen Kapital, + +zu berechnen. + +So einfach die Methode, scheint es doch passend, den Leser in die ihr zu +Grunde liegende und ihm ungewohnte Anschauungsweise durch einige + +15 Beispiele einzuexerciren. + +20 + +Zunächst das Beispiel einer Spinnerei von 10,000 Mule-Spindeln, die +No. 32 Garn aus amerikanischer Baumwolle spinnt und 1 U Garn wöchent- +lich per Spindel producirt. Der Abfall ist 6 %. ||181| Also werden 10,600 U +Baumwolle wöchentlich in 10,000 U Garn und 600 U Abfall verarbeitet. +Im April 1871 kostet diese Baumwolle 1% d. per %, also für 10,600 U rund +342 Pfd. St. Die 10,000 Spindeln, inklusive Vorspinnmaschinerie und +Dampfmaschine kosten 1 Pfd. St. per Spindel, also 10,000 Pfd. St. Ihr Ver- +schleiß beträgt 10% = 1000 Pfd. St., oder wöchentlich 20 Pfd. St. Die +Miethe des Fabrikgebäudes ist 300 Pfd. St. oder 6 Pfd. St. per Woche. Koh- +len (4 Pfd. per Stunde und Pferdekraft, auf 100 Pferdekraft (Indikator), und +60 Stunden per Woche inklusive Heizung des Gebäudes) 11 Tons per Wo- +che, zu 8 sh. 6 d. die Tonne, kosten rund 4½ Pfd. St. per Woche; Gas 1 Pfd. +St. per Woche, OeI 4½ Pfd. St. per Woche, also alle Hülfsstoffe 10 Pfd. St. +per Woche. Also ist der konstante Werththeil 378 Pfd. St. per Woche. Der +30 Arbeitslohn beträgt 52 Pfd. St. per Woche. Der Garnpreis ist 12¼ d. per U +oder 10,000 U = 510 Pfd. S t , der Mehrwerth also 510 - 430 = 80 Pfd. St. +Wir setzen den konstanten Werththeil von 378 Pfd. St. = 0, da er in der +wöchentlichen Werthbildung nicht mitspielt. Bleibt das wöchentliche + +25 + +ν + +m + +Werthprodukt von 132 = 52 + 80 Pfd. St. Die Rate des Mehrwerths also +35 = % = 153 n/ 1 3 %. Bei zehnstündigem durchschnittlichem Arbeitstag er- +giebt dieß: Nothwendige Arbeit = 3¾ Stunden und Mehrarbeit += 6 2/ 3 3 Stunden 3 1). + +3 1 ) Note zur 2. Ausg. Das in der ersten Ausgabe gegebne Beispiel einer Spinnerei für das Jahr +1860 enthielt einige faktische Irrthümer. Die im Text gegebnen durchaus genauen Daten sind + +197 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Jacob gibt für das Jahr 1815, bei Annahme eines Weizenpreises von +80 sh. per Quarter, und eines Durchschnittsertrags von 22 Bushels per acre, +so daß der acre 11 Pfd. St. einbringt, folgende durch vorherige Kompensa- +tion verschiedner Posten sehr mangelhafte, aber für unsren Zweck genü- +gende Rechnung. + +Werthproduktion per acre. + +Samen (Weizen) +Dünger +Arbeitslohn +Summa: + +1 Pfd. St. 9 sh. +2 Pfd. St. 10 sh. +3 Pfd. St. 10 sh. +7 Pfd. St. 9sh. + +Zehnten, Rates, Taxes +Rente +Pächter's Profit u. Zins +Summa: + +1 Pfd. St. 1 sh. +1 Pfd. St. 8 sh. +1 Pfd. St. 2 sh. +3 Pfd. St. 11 sh. + +Der Mehrwerth, stets unter der Voraussetzung, daß Preis des Produkts = +seinem Werth, wird hier unter die verschiednen ||182| Rubriken Profit, +Zins, Zehnten u. s. w. vertheilt. Diese Rubriken sind uns gleichgültig. Wir +addiren sie zusammen und erhalten einen Mehrwerth von 3 Pfd. 11 sh. Die +3 Pfd. 19 sh. für Samen und Dünger setzen wir als konstanten Kapitaltheil +gleich Null. Bleibt vorgeschoßnes variables Kapital von 3 Pfd. 10 sh., an +dessen Stelle ein Neuwerth von 3 Pfd. 10 sh. + 3 Pfd. 11 sh. producirt wor- + +den ist. Also beträgt — = + +m +V + +3 l?fd 11 sh. +0 ^ +3 Pfd. 10 sh. + +' + +in Λ ' mehr als 100 %. Der Arbeiter ver(cid:5) + +wendet mehr als die Hälfte seines Arbeitstags zur Produktion eines Mehr- +werths, den verschiedne Personen auf verschiedne Vorwände hin unter sich +vertheilen 3 + +l a ) - + +2. Darstellung des Produktenwerths +in proportionellen Theilen des Produkts. + +Kehren wir nun zum Beispiel zurück, das uns zeigte, wie der Kapitalist aus +Geld Kapital macht. Die nothwendige Arbeit seines Spinners betrug +6 Stunden, die Mehrarbeit desgleichen, der Exploitationsgrad der Arbeits- +kraft daher 100%. + +Das Produkt des zwölfstündigen Arbeitstags sind 20 Pfd. Garn zum +Werth von 30 sh. Nicht weniger als 8/ 1 0 dieses Garnwerths (24 sh.) sind ge- +bildet durch den nur wieder erscheinenden Werth der verzehrten Produk- + +mir von einem Manchester Fabrikanten geliefert. - Es ist zu bemerken, daß in England die +alte Pferdekraft nach dem Durchschnitt des Cylinders berechnet wurde, die neue nach der +wirklichen Kraft zählt, die der Indikator anzeigt. +31 a) Die gegebnen Rechnungen gelten nur als Illustration. Es wird nämlich unterstellt, daß +die Preise = den Werthen. Man wird in Buch III sehn, daß diese Gleichsetzung, selbst für die +Durchschnittspreise, sich nicht in dieser einfachen Weise macht. + +198 + + Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts + +tionsmittel (20 Pfd. Baumwolle zu 20 sh., Spindel u.s.w. zu 4 sh.) oder be- +2 / 1 0 sind der während des +stehn aus konstantem Kapital. Die übrigen +Spinnprocesses entstandne Neuwerth von 6 sh., wovon eine Hälfte den vor- +geschoßnen Tageswerth der Arbeitskraft ersetzt oder das variable Kapital, +5 und die andre Hälfte einen Mehrwerth von 3 sh. bildet. Der Gesammtwerth + +der 20 Pfd. Garn ist also folgendermaßen zusammengesetzt: + +Garnwerth von 30 sh. = 24 sh. + 3 sh. +3 sh. + +c + +ν + +m + +Da dieser Gesammtwerth sich in dem Gesammtprodukt von 20 Pfd. + +Garn darstellt, müssen auch die verschiednen Werthelemente in proportio- + +10 neuen Theilen des Produkts darstellbar sein. + +Existirt ein Garnwerth von 30 sh. in 20 Pfd. Garn, so 8 / 1 0 dieses Werths, +oder sein konstanter Theil von 24 sh., in 8X 0 des ||183| Produkts, oder in +16 Pfd. Garn. Davon stellen 1 3 1 / Pfd. den Werth des Rohmaterials dar, der +versponnenen Baumwolle zu 20 sh., und 2% Pfd. den Werth der verzehrten + +15 Hilfsstoffe und Arbeitsmittel, Spindel u. s. w. zu 4 sh. + +13¾ Pfund Garn stellen also alle im Gesammtprodukt von 20 Pfd. Garn +versponnene Baumwolle vor, das Rohmaterial des Gesammtprodukts, aber +auch weiter nichts. In ihnen stecken zwar nur 13¾ Pfd. Baumwolle zum +Werth von 13½ sh., aber ihr zusätzlicher Werth von 6% sh. bildet ein Ae- +20 quivalent für die in den andren 6% Pfd. Garn versponnene Baumwolle. Es +ist als ob letztren die Wolle ausgerupft und alle Wolle des Gesammtpro- +dukts in 13½ Pfd. Garn zusammengestopft wäre. Sie enthalten dagegen +jetzt kein Atom des Werths der verbrauchten Hülfsstoffe und Arbeitsmit- +tel, noch des im Spinnproceß geschaffnen Neuwerths. + +25 + +Ebenso stellen weitre 2% Pfd. Garn, worin der Rest des konstanten Kapi- +tals ( = 4 sh.) steckt, nichts dar außer dem Werth der im Gesammtprodukt +von 20 Pfd. Garn vernutzten Hülfsstoffe und Arbeitsmittel. + +Acht Zehntel des Produkts, oder 16 Pfd. Garn, obgleich leiblich, als Ge- +brauchswerth betrachtet, als Garn, eben so sehr Gebilde der Spinnarbeit +30 wie die restirenden Produkttheile, enthalten daher in diesem Zusammen- +hang keine Spinnarbeit, keine während des Spinnprocesses selbst einge- +saugte Arbeit. Es ist als ob sie sich ohne Spinnen in Garn verwandelt hät- +ten, und als wäre ihre Garngestalt reiner Lug und Trug. In der That, wenn +der Kapitalist sie verkauft zu 24 sh. und damit seine Produktionsmittel zu- +rückkauft, zeigt sich, daß 16 Pfd. Garn - nur verkleidete Baumwolle, Spin- +del, Kohle u. s. w. sind. + +35 + +Umgekehrt stellen die übrig bleibenden 2 / 1 0 des Produkts oder 4 Pfd. +Garn jetzt nichts dar außer dem im zwölf stündigen Spinnproceß producir- +ten Neuwerth von 6 sh. Was vom Werth der vernutzten Rohmaterialien + +199 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +und Arbeitsmittel in ihnen steckte, ward bereits ausgeweidet und den er- +sten 16 Pfd. Garn einverleibt. Die in 20 Pfd. Garn verkörperte Spinnarbeit +ist koncentrirt auf 2/ 1 0 des Produkts. Es ist als ob der Spinner 4 Pfd. Garn in +der Luft gewirkt oder in Baumwolle und mit Spindeln, die ohne Zuthat +menschlicher Arbeit, von Natur vorhanden, dem Produkt keinen Werth zu- +setzen. + +Von den 4 Pfd. Garn, worin so das ganze Werthprodukt des täglichen +Spinnprocesses existirt, stellt die eine Hälfte nur den ||184| Ersatzwerth der +vernutzten Arbeitskraft dar, also das variable Kapital von 3 s h , die andren +2 Pfd. Garn nur den Mehrwerth von 3 sh. + +5 + +10 + +Da 12 Arbeitsstunden des Spinners sich in 6 sh. vergegenständlichen, +sind im Garnwerth von 30 sh. 60 Arbeitsstunden vergegenständlicht. Sie +existiren in 20 Pfd. Garn, wovon % 0 oder 16 Pfd. die M a t e r i a t o von 48 vor +dem Spinnproceß vergangnen Arbeitsstunden sind, nämlich der in den +Produktionsmitteln des Garns vergegenständlichten Arbeit, 2Z10 oder 4 Pfd. 15 +dagegen die Materiatur der im Spinnproceß selbst verausgabten 12 Arbeits- +stunden. + +Früher sahen wir, daß der Garnwerth gleich der Summe des in seiner +Produktion erzeugten Neuwerths plus der bereits in seinen Produktions- +mitteln präexistirenden Werthe ist. Jetzt hat sich gezeigt, wie die funktio- 20 +nell oder begrifflich verschiednen Bestandtheile des Produktenwerths in +proportioneilen Theilen des Produkts selbst darstellbar sind. + +Diese Zerfällung des Produkts - des Resultats des Produktionsproces- +ses - in ein Quantum Produkt, das nur die in den Produktionsmitteln ent- +haltne Arbeit oder den konstanten Kapitaltheil, ein andres Quantum, das 25 +nur die im Produktionsproceß zugesetzte nothwendige Arbeit oder den va- +riablen Kapitaltheil, und ein letztes Quantum Produkt, das nur die im sel- +ben Proceß zugesetzte Mehrarbeit oder den Mehrwerth darstellt, ist ebenso +einfach als wichtig, wie ihre spätre Anwendung auf verwickelte und noch +ungelöste Probleme zeigen wird. + +30 + +Wir betrachteten eben das Gesammtprodukt als fertiges Resultat des +zwölfstündigen Arbeitstags. Wir können es aber auch in seinem Entste- +hungsproceß begleiten, und dennoch die Theilprodukte als funktionell un- +terschiedne Produktentheile darstellen. + +Der Spinner producirt in 12 Stunden 20 Pfd. Garn, daher in einer 35 + +Stunde 1% und in 8 Stunden 13¾ Pfd., also ein Theilprodukt vom Ge- +sammtwerth der Baumwolle, die während des ganzen Arbeitstags verspon- +nen wird. In derselben Art und Weise ist das Theilprodukt der folgenden +Stunde und 36 Minuten = 2 % Pfd. Garn und stellt daher den Werth der +während der 12 Arbeitsstunden vernutzten Arbeitsmittel dar. Ebenso pro- 40 +ducirt der Spinner in der folgenden Stunde und 12 Minuten 2 Pfd. Garn + +200 + + Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts + += 3 sh., ein Produktenwerth gleich dem ganzen Werthprodukt, das er in +6 Stunden nothwendiger Arbeit schafft. Endlich producirt er in den letzten +% Stunden ebenfalls 2 Pfd. Garn, deren Werth gleich dem durch seine +halbtägige Mehrarbeit erzeugten Mehrwerth. ||185| Diese Art Berechnung +5 dient dem englischen Fabrikanten zum Hausgebrauch, und er wird z.B. sa- +gen, daß er in den ersten 8 Stunden oder % des Arbeitstags seine Baum- +wolle herausschlägt u. s. w. Man sieht, die Formel ist richtig, in der That +nur die erste Formel, übersetzt aus dem Raum, wo die Theile des Produkts +fertig neben einander liegen, in die Zeit, wo sie auf einander folgen. Die +10 Formel kann aber auch von sehr barbarischen Vorstellungen begleitet sein, +namentlich in Köpfen, die eben so praktisch im Verwerthungsproceß inter- +essirt sind, als sie ein Interesse haben, ihn theoretisch mißzuverstehn. So +kann sich eingebildet werden, daß unser Spinner z.B. in den ersten 8 Stun- +den seines Arbeitstags den Werth der Baumwolle, in der folgenden Stunde +15 und 36 Minuten den Werth der verzehrten Arbeitsmittel, in der folgenden +Stunde und 12 Minuten den Werth des Arbeitslohns producirt oder ersetzt, +und nur die vielberühmte „letzte Stunde" dem Fabrikherrn, der Produk- +tion von Mehrwerth widmet. Dem Spinner wird so das doppelte Wunder +aufgebürdet, Baumwolle, Spindel, Dampfmaschine, Kohle, OeI u. s. w. in +20 demselben Augenblick zu produciren, wo er mit ihnen spinnt, und aus +Einem Arbeitstag von gegebnem Intensitätsgrad fünf solcher Tage zu ma- +chen. In unsrem Fall nämlich erfordert die Produktion des Rohmaterials +und der Arbeitsmittel 2% = 4 zwölfstündige Arbeitstage und ihre Verwand- +lung in Garn einen andren zwölfstündigen Arbeitstag. Daß die Raubgier +solche Wunder glaubt und nie den doktrinären Sykophanten mißt, der sie +beweist, zeige nun ein Beispiel von historischer Berühmtheit. + +25 + +3. Senior's „Letzte Stunde". + +An einem schönen Morgen des Jahres 1836 wurde der wegen seiner ökono- +mischen Wissenschaft und seines schönen Styls berufene Nassau W. Se- +30 nior, gewissermaßen der Clauren unter den englischen Oekonomen, von +Oxford nach Manchester citirt, um hier politische Oekonomie zu lernen, +statt sie in Oxford zu lehren. Die Fabrikanten erkoren ihn zum Preisfechter +gegen den neulich erlaßnen Factory Act und die darüber noch hinausstre- +bende Zehnstundenagitation. Mit gewohntem praktischen Scharfsinn hat- +ten sie erkannt, daß der Herr Professor ,,wanted a good deal of finishing". +Sie verschrieben ihn daher nach Manchester. Der Herr Professor seiner- +seits hat die zu Manchester von den Fabrikanten erhaltne Lektion stylisirt +in dem Pamphlet: „Letters on ||186| the Factory Act, as it affects the cotton + +35 + +201 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +manufacture. London 1837". Hier kann man u.a. folgendes Erbauliche le- +sen: + +5 + +ist. Ein Fabrikant + +letzten Stunde abgeleitet + +„Unter dem gegenwärtigen Gesetz kann keine Fabrik, die Personen un- +ter 18 Jahren beschäftigt, länger als 11½ Stunden täglich arbeiten, d. h. +12 Stunden während der ersten 5 Tage und 9 Stunden am Sonnabend. Die +folgende Analyse (!) zeigt nun, daß in einer solchen Fabrik der ganze Rein- +gewinn von der +legt +100 000 Pfd. St. aus - 8 0 0 0 0 Pfd. St. in Fabrikgebäude und Maschinen, +20 000 in Rohmaterial und Arbeitslohn. Der jährliche Umsatz der Fabrik, +vorausgesetzt, das Kapital schlage jährlich einmal um und der Bruttoge- 10 +winn betrage 15%, muß sich auf Waaren zum Werth von 115 000 Pfd. St. +belaufen ... Von diesen 115 000 Pfd. St. producirt jede der 23 halben Ar- +beitsstunden täglich +2% 3, die das Ganze der +115 000 Pfd. St. bilden (constituting the whole 115 000 Pfd. St.), ersetzen +2 % , d.h. 1 0 0 0 0 0 von den 115 000, nur das Kapital; Y23 oder 5000 Pfd. St. +von den 15 000 Brutto-Gewinn (!) ersetzen die Abnutzung der Fabrik und + 2Y23, d.h. die beiden letzten halben Stun- +Maschinerie. Die übrigbleibenden +den jedes Tags produciren den Reingewinn von 10 %. Wenn daher bei +gleichbleibenden Preisen die Fabrik 13 Stunden statt 11½ arbeiten dürfte, +so würde, mit einer Zulage von ungeführ 2600 Pfd. St. zum cirkulirenden 20 +Kapital, der Reingewinn mehr als verdoppelt werden. Andrerseits wenn die +Arbeitsstunden täglich um 1 Stunde reducirt würden, würde der Reinge- +winn verschwinden, wenn um 1½ Stunden, auch der Bruttogewinn 3 2)." | + +5 / 1 5 oder Y23. Von diesen + +15 + +3 2 ) Senior I.e. p. 12, 13. Wir gehn auf die für unsren Zweck gleichgültigen Curiosa nicht ein, +z.B. die Behauptung, daß die Fabrikanten den Ersatz der verschlißnen Maschinerie u.s.w., 25 +also eines Kapitalbestandtheils, zum Gewinn, Brutto oder Netto, schmutzig oder rein, rech- +nen. Auch nicht auf die Richtigkeit oder Falschheit der Zahlenangaben. Daß sie nicht mehr +werth sind als die sogenannte „Analyse", bewies Leonard Horner in: „A Letter to Mr. Senior +etc. Lond. 1837." Leonard Horner, einer der Factory Inquiry Commissioners von 1833, und +Fabrikinspektor, in der That Fabrikcensor, bis 1859, hat unsterbliche Verdienste um die engli- 30 +sehe Arbeiterklasse gewonnen. Außer mit den erbitterten Fabrikanten führte er einen lebens- +langen Kampf mit den Ministern, für die es ungleich wichtiger war, die „Stimmen" der Fa- +brikherrn im Unterhaus als die Arbeitsstunden der „Hände" in der Fabrik zu zählen. + +Zusatz zur Note 32. Senior's Darstellung ist konfus, ganz abgesehn von der Falschheit ihres + +Inhalts. Was er eigentlich sagen wollte, war dieß: Der Fabrikant beschäftigt die Arbeiter tag- 35 +lieh 11½ oder 23X Stunden. Wie der einzelne Arbeitstag, so besteht die Jahresarbeit aus 11½ +oder 23X Stunden (multiplicirt mit der Anzahl der Arbeitstage während des Jahrs). Dieß vor- +ausgesetzt, produciren die 23X Arbeitsstunden das Jahresprodukt von 115 000 Pfd. St.; l/ 2 Ar- +beitsstunde producirt % x 115 000 Pfd. St.; 2% Arbeitsstunden produciren 2% 3 x 115 000 Pfd. +St. = 100000 Pfd. St., d.h. sie ersetzen nur das vorgeschoßne Kapital. Bleiben % Arbeitsstun- 40 +den, die 3/ 2 3 x 115000 Pfd. St. = 15 000 produciren, d.h. den Bruttogewinn. Von diesen % Ar- +beitsstunden producirt l/ 2 Arbeitsstunde % x 115 000 Pfd. St. = 5000 Pfd. St., d.h. sie produ- +cirt nur den Ersatz für den Verschleiß der Fabrik und der Maschinerie. Die letzten zwei +halben Arbeitsstunden, d. h. die letzte Arbeitsstunde, producirt %3 x 115 000 Pfd. St. += 10 000 Pfd. St., d.h. den Nettoprofit. Im Text verwandelt Senior die letzten 2/ 2 3 des Produkts 45 +in Theile des Arbeitstags selbst. + +202 + + Siebentes Kapitel · Die Rate des Mehrwerts + +5 + +io + +11871 Und das nennt der Herr Professor eine „Analyse"! Glaubte er den +Fabrikantenjammer, daß die Arbeiter die beste Zeit des Tags in der Pro- +duktion, daher der Reproduktion oder dem Ersatz des Werths von Baulich- +keiten, Maschinen, Baumwolle, Kohle u. s. w. vergeuden, so war jede Ana- +lyse überflüssig. Er hatte einfach zu antworten: Meine Herren! Wenn Ihr +10 Stunden arbeiten laßt statt 11½, wird, unter sonst gleichbleibenden Um- +ständen, der tägliche Verzehr von Baumwolle, Maschinerie u. s. w. um +ll/2 Stunden abnehmen. Ihr gewinnt also grade so viel als Ihr verliert. Eure +Arbeiter werden in Zukunft ll/2 Stunden weniger für Reproduktion oder Er- +satz des vorgeschoßnen Kapitalwerths vergeuden. Glaubte er ihnen nicht +aufs Wort, sondern hielt als Sachverständiger eine Analyse für nöthig, so +mußte er vor allem, in einer Frage, die sich ausschließlich um das Verhält- +niß des Reingewinns zur Größe des Arbeitstags dreht, die Herren Fabri- +kanten ersuchen, Maschinerie und Fabrikgebäude, Rohmaterial und Ar- +15 beit nicht kunterbunt durcheinander zu wirren, sondern gefälligst das in +Fabrikgebäude, Maschinerie, Rohmaterial u. s. w. enthaltne konstante Ka- +pital auf die eine, das in Arbeitslohn vorgeschoßne Kapital auf die andre +Seite zu stellen. Ergab sich dann etwa, daß nach der Fabrikantenrechnung +der Arbeiter in % Arbeitsstunden, oder in einer Stunde, den Arbeitslohn re- + +20 producirt oder ersetzt, so hatte der Analytiker fortzufahren: + +Nach Eurer Angabe producirt der Arbeiter in der vorletzten Stunde sei- +nen Arbeitslohn und in der letzten Euren Mehrwerth oder den Reinge- +winn. Da er in gleichen Zeiträumen gleiche Werthe producirt, hat das Pro- +dukt der vorletzten Stunde denselben Werth wie das der letzten. Er +25 producirt ferner nur Werth, so weit er Arbeit verausgabt und das Quantum +seiner Arbeit ist gemessen durch eine Arbeitszeit. Diese beträgt nach Eurer +Angabe 11¾ Stunden per Tag. Einen Theil dieser 11½ Stunden verbraucht +er zur Produktion oder zum Ersatz seines Arbeitslohns, den andren zur +Produktion Eures Reingewinns. Weiter thut er nichts wäh||188|rend des Ar- +30 beitstags. Da aber, nach Angabe, sein Lohn und der von ihm gelieferte +Mehrwerth gleich große Werthe sind, producirt er offenbar seinen Arbeits- +lohn in 5% Stunden und Euren Reingewinn in andren 5% Stunden. Da fer- +ner der Werth des zweistündigen Garnprodukts gleich der Werthsumme +seines Arbeitslohns plus Eures Reingewinns ist, muß dieser Garnwerth +35 durch 11½ Arbeitsstunden gemessen sein, das Produkt der vorletzten +Stunde durch 5% Arbeitsstunden, das der letzten ditto. Wir kommen jetzt +zu einem häklichen Punkt. Also aufgepaßt! Die vorletzte Arbeitsstunde ist +eine gewöhnliche Arbeitsstunde wie die erste. Ni plus, ni moins. Wie kann +der Spinner daher in Einer Arbeitsstunde einen Garnwerth produciren, der +40 5¾ Arbeitsstunden darstellt? Er verrichtet in der That kein solches Wun- +der. Was er in Einer Arbeitsstunde an Gebrauchswerth producirt, ist ein + +203 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +bestimmtes Quantum Garn. Der Werth dieses Garns ist gemessen durch +5% Arbeitsstunden, wovon A% ohne sein Zuthun in den stündlich verzehr- +ten Produktionsmitteln stecken, in Baumwolle, Maschinerie u.s.w, % oder +eine Stunde von ihm selbst zugesetzt ist. Da also sein Arbeitslohn in +5¾ Stunden producirt wird und das Garnprodukt Einer Spinnstunde eben- +falls 5% Arbeitsstunden enthält, ist es durchaus keine Hexerei, daß das +Werthprodukt seiner 5% Spinnstunden gleich dem Produktenwerth Einer +Spinnstunde. Ihr seid aber durchaus auf dem Holzweg, wenn Ihr meint, er +verliere ein einziges Zeitatom seines Arbeitstags mit der Reproduktion +oder dem „Ersatz" der Werthe von Baumwolle, Maschinerie u. s. w. Da- 10 +durch daß seine Arbeit aus Baumwolle und Spindel Garn macht, dadurch +daß er spinnt, geht der Werth von Baumwolle und Spindel von selbst auf +das Garn über. Es ist dieß der Qualität seiner Arbeit geschuldet, nicht ihrer +Quantität. Allerdings wird er in einer Stunde mehr Baumwollwerth u. s. w. +auf Garn übertragen als in ]/ 2 Stunde, aber nur weil er in 1 Stunde mehr 15 +Baumwolle verspinnt als in l/ 2. Ihr begreift also: Euer Ausdruck, der Arbei- +ter producirt in der vorletzten Stunde den Werth seines Arbeitslohns und +in der letzten den Reingewinn, heißt weiter nichts, als daß in dem Garn- +produkt von zwei Stunden seines Arbeitstags, ob sie vorn oder hinten ste- +hen, 11½ Arbeitsstunden verkörpert sind, grade so viel Stunden als sein 20 +ganzer Arbeitstag zählt. Und der Ausdruck, daß er in den ersten 5¾ Stun- +den seinen Arbeitslohn und in den letzten 5¾ Stunden Euren Reingewinn +producirt, heißt wieder nichts, als daß Ihr die ersten 5% Stunden zahlt und +die letzten 5% Stunden nicht ||189| zahlt. Ich spreche von Zahlung der Ar- +beit, statt der Arbeitskraft, um Euren slang zu reden. Vergleicht Ihr Herren 25 +nun das Verhältniß der Arbeitszeit, die Ihr zahlt, zur Arbeitszeit, die Ihr +nicht zahlt, so werdet Ihr finden, daß es halber Tag zu halbem Tag ist, also +100 %, was allerdings ein artiger Procentsatz. Es unterliegt auch nicht dem +geringsten Zweifel, daß wenn Ihr Eure „Hände" statt 11¾ Stunden 13 ab- +schanzt und, was Euch so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andren, die über- 30 +schüssigen \ l / 2 Stunden zur bloßen Mehrarbeit schlagt, letztre von 5% Stun- +den auf 1% Stunden wachsen wird, die Rate des Mehrwerths daher von +100 % auf 126%3 %. Dagegen seid Ihr gar zu tolle Sanguiniker, wenn Ihr +hofft, sie werde durch den Zusatz von 1% Stunden von 100 auf 200 % und +gar mehr als 200 % steigen, d.h. sich „mehr als verdoppeln". Andrerseits - 35 +des Menschen Herz ist ein wunderlich Ding, namentlich wenn der Mensch +sein Herz im Beutel trägt, - seid Ihr gar zu verrückte Pessimisten, wenn +Ihr fürchtet, mit der Reduktion des Arbeitstags von 11½ auf 10½ Stunden +werde Euer ganzer Reingewinn in die Brüche gehn. Bei Leibe nicht. Alle +andren Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt, wird die Mehrarbeit 40 +von 5¾ auf 4¾ Stunden fallen, was immer noch eine ganz erkleckliche Rate + +204 + + Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts + +des Mehrwerths giebt, nämlich +S214/23%. Die verhängnißvolle „letzte +Stunde" aber, von der Ihr mehr gefabelt habt als die Chiliasten vom Welt- +untergang, ist „all bosh". Ihr Verlust wird weder Euch den „Reingewinn" +noch den von Euch verarbeiteten Kindern beiderlei Geschlechts die „See- +lenreinheit" kosten 3 2 3). | + +5 + +15 + +3 2 a ) Wenn Senior bewies, daß an „der letzten Arbeitsstunde" der Reingewinn der Fabrikan- +ten, die Existenz der englischen Baumwollindustrie, Englands Weltmarktgröße hängen, be- +wies dahin wiederum Dr. Andrew Ure in den Kauf, daß Fabrikkinder und junge Personen un- +ter 18 Jahren, welche man nicht volle 12 Stunden in die warme und reine Moralluft der +10 Fabrikstube bannt, sondern „eine Stunde" früher in die gemüthskalte und frivole Außenwelt +verstößt, von Müßiggang und Laster um ihr Seelenheil geprellt werden. Seit 1848 werden die +Fabrikinspektoren nicht müde, in ihren halbjährlichen „Reports" die Fabrikanten mit „der +letzten", der „verhängnißvollen Stunde" zu necken. So sagt Herr Howell, in seinem Fabrikbe- +richt vom 31. Mai 1855: „Wäre die folgende scharfsinnige Berechnung (er citirt Senior) rich- +tig, so hätte jede Baumwollfabrik im Vereinigten Königreich seit 1850 mit Verlust gearbeitet." +(„Reports of the Insp. of Fact, for the half year ending 30th April 1855" p. 19.) Als im Jahr +1848 die Zehnstundenbill durchs Parlament ging, oktroyirten die Fabrikanten einigen Nor- +malarbeitern in den ländlichen, zwischen den Grafschaften Dorset und Somerset zerstreut lie- +genden Flachsspinnereien eine Gegenpetition, worin es u. A. heißt: „Eure Bittsteller, Eltern, +20 glauben, daß eine zusätzliche Mußestunde weiter keinen Erfolg haben kann, als die Demora- +lisation ihrer Kinder, denn Müßiggang ist alles Lasters Anfang." Hierzu bemerkt der Fabrik- +bericht vom 31. Oktober 1848: „Die Atmosphäre der Flachsspinnereien, worin die Kinder die- +ser tugendhaft-zärtlichen Eltern arbeiten, ist geschwängert mit so unzähligen Staub- und +Faserpartikelchen des Rohmaterials, daß es außerordentlich unangenehm ist, auch nur 10 Mi- +25 nuten in den Spinnstuben zuzubringen, denn ihr könnt das nicht ohne die peinlichste Emp- +findung, indem Auge, Ohr, Nasenlöcher und Mund sich sofort füllen mit Flachsstaubwolken, +vor denen kein Entrinnen ist. Die Arbeit selbst erheischt, wegen der Fieberhast der Maschine- +rie, rastlosen Aufwand von Geschick und Bewegung, unter der Kontrole nie ermüdender Auf- +merksamkeit, und es scheint etwas hart, Eltern den Ausdruck ,Faullenzerei' auf die eignen +30 Kinder anwenden zu lassen, die, nach Abzug der Essenszeit, 10 volle Stunden an solche Be- +schäftigung, in einer solchen Atmosphäre, geschmiedet sind ... Diese Kinder arbeiten länger +als die Ackerknechte in den Nachbardörfern ... Solch liebloses Gekohl über ,Müßiggang und +Laster' muß als der reinste cant und die schamloseste Heuchelei gebranntmarkt werden ... +Der Theil des Publikums, der vor ungefähr zwölf Jahren auffuhr über die Zuversicht, womit +35 man öffentlich und ganz ernsthaft proklamirte, unter der Sanktion hoher Autorität, daß der +ganze ,Reingewinn' des Fabrikanten aus ,der letzten Stunde' Arbeit fließt, und daher die Re- +duktion des Arbeitstags um eine Stunde den Reingewinn vernichtet; dieser Theil des Publi- +kums, sagen wir, wird kaum seinen Augen trauen, wenn er nun findet, daß die Original-Ent- +deckung über die Tugenden der ,letzten Stunde' seitdem soweit verbessert worden ist ,Moral' +40 und ,Profit' gleichmäßig einzuschließen; so daß wenn die Dauer der Kinderarbeit auf volle +10 Stunden reducirt wird, die Moral der Kinder zugleich mit dem Nettogewinn ihrer Anwen- +der flöten geht, beide abhängig von dieser letzten, dieser fatalen Stunde." („Repts. of Insp. of +Fact, for 31st Oct. 1848", p. 101.) Derselbe Fabrikbericht gibt dann Proben von der „Moral" +und „Tugend" dieser Herrn Fabrikanten, von den Schlichen, Pfiffen, Lockungen, Drohmit- +teln, Fälschungen u.s.w., die sie anwandten, um von wenigen ganz verwahrlosten Arbeitern +dergleichen Petitionen unterzeichnen zu machen, um sie dann als Petitionen eines ganzen +Industriezweigs, ganzer Grafschaften dem Parlament aufzubinden. - Höchst charakteristisch +bleibt es für den heutigen Stand der sogenannten ökonomischen „Wissenschaft", daß weder +Senior selbst, der später zu seiner Ehre energisch für die Fabrikgesetzgebung auftrat, noch +seine ursprünglichen und spätren Widersacher, die Trugschlüsse der „Originalentdeckung" +aufzulösen wußten. Sie appellirten an die thatsächliche Erfahrung. Das why und wherefore +blieb Mysterium. + +45 + +50 + +205 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +11901 Wenn einmal Euer „letztes Stündlein" wirklich schlägt, denkt an + +den Professor von Oxford. Und nun: In einer beßren Welt wünsch' ich mir + +mehr von Eurem werthen Umgang. Addio 3 3)!.. Das Signal der von Senior + +1836 entdeckten „letzten Stunde" ward ||191| am 15. April 1848, polemisch + +gegen das Zehnstundengesetz, von James Wilson, einem der ökonomi- + +5 + +sehen Hauptmandarine, im „London Economist" von neuem geblasen. + +4. Das Mehrprodukt. + +Den Theil des Produkts ( / 1 0 von 20 Pfd. Garn oder 2 Pfd. Garn in dem Bei- + +spiel sub 2 ) , worin sich der Mehrwerth darstellt, nennen wir Mehrprodukt + +(surplus produce, produit net). Wie die Rate des Mehrwerths durch sein 10 + +Verhältniß nicht zur Gesammtsumme, sondern zum variablen Bestand- + +t e i l des Kapitals bestimmt wird, so die Höhe des Mehrprodukts durch + +sein Verhältniß nicht zum Rest des Gesammtprodukts, sondern zum Pro- + +dukttheil, worin sich die nothwendige Arbeit darstellt. Wie die Produktion + +von Mehrwerth der bestimmende Zweck der kapitalistischen Produktion, 15 + +so mißt nicht die absolute Größe des Produkts, sondern die relative Größe + +des Mehrprodukts, den Höhegrad des R e i c h t h u m s 3 4 ) . + +20 + +3 3 ) Indeß hatte der Herr Professor doch etwas bei seinem Manchester Ausflug profitirt! In den +„Letters on the Factory Act" hängt der ganze Reingewinn, „Profit" und „Zins" und sogar +,,something more" an einer unbezahlten Arbeitsstunde des Arbeiters ! Ein Jahr zuvor, in seinen +zum Gemeinbesten Oxforder Studenten und gebildeter Philister verfaßten „Outlines of Politi- +cal Economy" hatte er noch gegenüber Ricardo's Werthbestimmung durch die Arbeitszeit +„entdeckt", daß der Profit aus der Arbeit des Kapitalisten und der Zins aus seiner Ascetik, sei- +ner „Abstinenz" herstamme. Die Flause selbst war alt, aber das Wort „Abstinenz" neu. Herr +Roscher verdeutscht es richtig durch „Enthaltung". Seine minder mit Latein beschlagnen 25 +Kompatrioten, Wirthe, Schulzen und andre Michels, haben es in „Entsagung" vermöncht. +3 4 ) „Für ein Individuum mit einem Kapital von 20000 Pfd. St., dessen Profite 2000 Pfd. St. +jährlich betragen, wäre es ein durchaus gleichgültig Ding, ob sein Kapital 100 oder 1000 Ar- +beiter beschäftigt, ob die producirten Waaren sich zu 10 000 oder 20 000 Pfd. St. verkaufen, +immer vorausgesetzt, daß seine Profite in allen Fällen nicht unter 2000 Pfd. St. fallen. Ist das 30 +reale Interesse einer Nation nicht dasselbe? Vorausgesetzt ihr reales Nettoeinkommen, ihre +Renten und Profite bleiben dieselben, so ist es nicht von der geringsten Wichtigkeit, ob die +Nation aus 10 oder 12 Millionen Einwohnern besteht." (Ric. 1. c. p. 416.) Lange vor Ricardo +sagte der Fanatiker des Mehrprodukts, Arthur Young, ein übrigens schwatzschweifiger, kritik- +loser Schriftsteller, dessen Ruf in umgekehrtem Verhältniß zu seinem Verdienst steht, U.A.: 35 +„Von welchem Nutzen würde in einem modernen Königreich eine ganze Provinz sein, deren +Boden in altrömischer Manier, von kleinen, unabhängigen Bauern, meinetwegen noch so gut +bebaut würde? Von welchem Zwecke, außer dem einzigen, Menschen zu erzeugen (,,the mere +purpose of breeding men"), was an und für sich gar keinen Zweck hat" (,,is a most useless pur- +pose"). Arthur Young: ,,Political Arithmetic etc. London 1774", p. 47. + +40 + +Zusatz zu Note 34. Sonderbar 1st „the strong inclination to represent net wealth as benefi- +cial to the labouring class ... though it is evidently not on account of being net". (Th. Hop- +kins: „On Rent of Land etc. London 1828", p. 126.) + +206 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +Die Summe der nothwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, der Zeitab- +schnitte, worin der Arbeiter den Ersatzwerth seiner Arbeitskraft und den +Mehrwerth producirt, bildet die absolute Größe seiner Arbeitszeit - den Ar- +beitstag (working day). | + +5 + +|192| A C H T E S K A P I T E L . + +Der Arbeitstag. + +1. Die Grenzen des Arbeitstags. + +Wir gingen von der Voraussetzung aus, daß die Arbeitskraft zu ihrem +Werthe gekauft und verkauft wird. Ihr Werth, wie der jeder andren Waare, +10 wird bestimmt durch die zu ihrer Produktion nöthige Arbeitszeit. Er- +heischt also die Produktion der durchschnittlichen täglichen Lebensmittel +des Arbeiters 6 Stunden, so muß er im Durchschnitt 6 Stunden per Tag ar- +beiten, um seine Arbeitskraft täglich zu produciren oder den in ihrem Ver- +kauf erhaltnen Werth zu reproduciren. Der nothwendige Theil seines Ar- +15 beitstags beträgt dann 6 Stunden, und ist daher, unter sonst gleich- +bleibenden Umständen, eine gegebne Größe. Aber damit ist die Größe des +Arbeitstags selbst noch nicht gegeben. + +Nehmen wir an, die Linie a + +b stelle die Dauer oder Länge +der nothwendigen Arbeitszeit vor, sage 6 Stunden. Je nachdem die Arbeit +20 über ab um 1, 3 oder 6 Stunden u.s.w. verlängert wird, erhalten wir die 3 + +verschiednen Linien: + +Arbeitstag I + +Arbeitstag II + +a + +a + +b — c , +und Arbeitstag III +b + +b + +c, + +a + +c, + +25 + +die drei verschiedne Arbeitstage von 7, 9 und 12 Stunden vorstellen. Die +Verlängrungslinie bc stellt die Länge der Mehrarbeit vor. Da der Arbeitstag += a b + b c oder a c ist, variirt er mit der variablen Größe b e . Da ab gegeben +ist, kann das Verhältniß von bc zu ab stets gemessen werden. Es beträgt in +30 Arbeitstag I %, in Arbeitstag II % und in Arbeitstag I I I % von ab. Da ferner + +die Proportion -r—— + +— — — - — — die Rate des Mehrwerths be- + +IVlehrarbeitszeit +Nothwendige Arbeitszeit + +stimmt, ist letztre gegeben durch jenes Verhältniß. Sie beträgt in den drei +verschiednen Arbeitstagen respektive 16%, 50 und 100%. Umgekehrt +würde die Rate des Mehrwerths allein uns nicht die Größe des Arbeitstags + +207 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +geben. Wäre sie z.B. gleich 100%, so könnte der Arbeitstag 8-, 10-, 12stün- +dig u. s. w. sein. Sie würde anzeigen, daß die zwei Bestandtheile des Arbeits- +tags, ||193| nothwendige Arbeit und Mehrarbeit, gleich groß sind, aber +nicht wie groß jeder dieser Theile. + +Der Arbeitstag ist also keine konstante, sondern eine variable Größe. +Einer seiner Theile ist zwar bestimmt durch die zur beständigen Reproduk- +tion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine Gesammtgröße +wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. Der Arbeitstag ist da- +her bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt 3 5). + +5 + +Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fließende Größe 10 + +ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken variiren. Seine +Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings, setzen wir die Ver- +längerungslinie b c , oder die Mehrarbeit, = 0 , so erhalten wir eine Mini- +malschranke, nämlich den Theil des Tags, den der Arbeiter nothwendig zu +seiner Selbsterhaltung arbeiten muß. Auf Grundlage der kapitalistischen 15 +Produktionsweise kann die nothwendige Arbeit aber immer nur einen +Theil seines Arbeitstags bilden, der Arbeitstag sich also nie auf dies Mini- +mum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er +ist über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängerbar. Diese Maximal- +schranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische Schranke der 20 +Arbeitskraft. Ein Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stun- +den nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben. So kann ein +Pferd Tag aus Tag ein nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Theils des +Tags muß die Kraft ruhen, schlafen, während eines andren Theils hat der +Mensch andre physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reini- 25 +gen, kleiden u. s. w. Außer dieser rein physischen Schranke stößt die Ver- +längrung des Arbeitstags auf moralische Schranken. Der Arbeiter braucht +Zeit zur Befriedigung geistiger und socialer Bedürfnisse, deren Umfang +und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Varia- +tion des Arbeitstags bewegt sich daher innerhalb physischer und socialer 30 +Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und erlauben +den größten Spielraum. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12, 14, 16, +18 Stunden, also von der verschiedensten Länge. + +Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswerth gekauft. Ihm ge- +hört ihr Gebrauchswerth während eines Arbeitstags. ||194| Er hat also das 35 +Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tags für sich arbeiten zu lassen. +Aber was ist ein Arbeitstag 3 6)? Jedenfalls weniger als ein natürlicher Le- + +3 5 ) "A day's labour is vague, it may be long or short." „An Essay on Trade and Commerce, +containing Observations on Taxation etc. London 1770", p. 73. +3 6 ) Diese Frage ist unendlich wichtiger als die berühmte Frage Sir Robert Peel's an die Bir- 40 +minghamer Handelskammer: "What is a pound?" eine Frage, die nur gestellt werden konnte, + +208 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +benstag. Um wie viel? Der Kapitalist hat seine eigne Ansicht über dies ul- +tima Thüle, die nothwendige Schranke des Arbeitstags. Als Kapitalist ist er +nur personificirtes Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital +hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerthen, Mehr- +5 werth zu schaffen, mit seinem konstanten Theil, den Produktionsmitteln, +die größtmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen 3 7). Das Kapital ist ver- +storbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung leben- +diger Arbeit, und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die Zeit, +während deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapi- +talist die von ihm gekaufte Arbeitskraft konsumirt 3 8). Konsumirt der Ar- +beiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapitali- +sten 3 9). + +10 + +Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des Waarenaustausches. +Er, wie jeder andre Käufer, sucht den größtmöglichsten Nutzen aus dem +15 Gebrauchswerth seiner Waare herauszuschlagen. Plötzlich aber erhebt sich +die Stimme des Arbeiters, die im Sturm und Drang des Produktionsproces- +ses verstummt war: + +Die Waare, die ich dir verkauft habe, unterscheidet sich von dem andren +Waarenpöbel dadurch, daß ihr Gebrauch Werth schafft und größren Werth +20 als sie selbst kostet. Dieß war der Grund, warum du sie kauftest. Was auf +deiner Seite als Verwerthung von Kapital erscheint, ist auf meiner Seite +überschüssige Verausgabung von Arbeitskraft. Du und ich kennen auf dem +Marktplatz nur ein Gesetz, das des Waarenaustausches. Und der Konsum +der ||195| Waare gehört nicht dem Verkäufer, der sie veräußert, sondern +25 dem Käufer, der sie erwirbt. Dir gehört daher der Gebrauch meiner tägli- +chen Arbeitskraft. Aber vermittelst ihres täglichen Verkaufspreises muß ich +sie täglich reproduciren und daher von neuem verkaufen können. Abge- +sehn von dem natürlichen Verschleiß durch Alter u. s. w., muß ich fähig +sein, morgen mit demselben Normalzustand von Kraft, Gesundheit und +30 Frische zu arbeiten, wie heute. Du predigst mir beständig das Evangelium + +weil Peel über die Natur des Geldes eben so unklar war als die ,,little shilling men" von Bir- +mingham. +3 7 ) „Es ist die Aufgabe des Kapitalisten mit dem verausgabten Kapital die größtmögliche +Summe Arbeit herauszuschlagen." («D'obtenir du capital dépensé la plus forte somme de tra- +35 vail possible.») J. G. Courcelle-Seneuil: ,,Traité théorique et pratique des entreprises indus- + +trielles. 2ème édit. Paris 1857", p. 62. +3 8 ) "An Hour's Labour lost in a day is a prodigious injury to a commercial state." "There is a +very great consumption of luxuries among the labouring poor of this kingdom; particularly +among the manufacturing populace: by which they also consume their time, the most fatal of + +40 consumptions." „An Essay on Trade and Commerce etc." p. 47 u. 153. + +3 9 ) « Si le manouvrier libre prend un instant de repos, l'économie sordide qui le suit des yeux +avec inquiétude, prétend qu'il la vole. » (N. Linguet: ,,Théorie des Loix Civiles etc. London +1767", t. II, p. 466.) + +209 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +der „Sparsamkeit" und „Enthaltung". Nun gut! Ich will wie ein vernünfti- +ger, sparsamer Wirth mein einziges Vermögen, die Arbeitskraft, haushalten +und mich jeder tollen Verschwendung derselben enthalten. Ich will täglich +nur soviel von ihr flüssig machen, in Bewegung, in Arbeit umsetzen, als +sich mit ihrer Normaldauer und gesunden Entwicklung verträgt. Durch +maßlose Verlängrung des Arbeitstags kannst du in Einem Tage ein größres +Quantum meiner Arbeitskraft flüssig machen, als ich in drei Tagen erset- +zen kann. Was du so an Arbeit gewinnst, verliere ich an Arbeitssubstanz. +Die Benutzung meiner Arbeitskraft und die Beraubung derselben sind +ganz verschiedne Dinge. Wenn die Durchschnittsperiode, die ein Durch- 10 +Schnittsarbeiter bei vernünftigem Arbeitsmaß leben kann, 30 Jahre beträgt, +ist der Werth meiner Arbeitskraft, den du mir einen Tag in den andren + +5 + +zahlst, + +365 X 30 + +oder 1 X 0 9 5 0 ihres Gesammtwerths. Konsumirst du sie aber + +in 10 Jahren, so zahlst du mir täglich 1 X 0 9 5 0 statt 1 X 6 5 0 ihres Gesammtwerths, +also nur 1J1 ihres Tageswerths, und stiehlst mir daher täglich % des Werths 15 +meiner Waare. Du zahlst mir eintägige Arbeitskraft, wo du dreitägige ver- +brauchst. Das ist wider unsren Vertrag und das Gesetz des Waarenaustau- +sches. Ich verlange also einen Arbeitstag von normaler Länge und ich ver- +lange ihn ohne Appell an dein Herz, denn in Geldsachen hört die +Gemüthlichkeit auf. Du magst ein Musterbürger sein, vielleicht Mitglied 20 +des Vereins zur Abschaffung der Thierquälerei und obendrein im Geruch +der Heiligkeit stehn, aber dem Ding, das du mir gegenüber repräsentirst, +schlägt kein Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein +eigner Herzschlag. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den Werth +meiner Waare verlange, wie jeder andre Verkäufer 4 0). | + +25 + +|196| Man sieht: von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergiebt sich +aus der Natur des Waarenaustausches selbst keine Grenze des Arbeitstags, +also keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet sein Recht als +Käufer, wenn er den Arbeitstag so lang als möglich und womöglich aus +Einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schließt die specifi- 30 +sehe Natur der verkauften Waare eine Schranke ihres Konsums durch den +Käufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er +den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will. Es fin- +det hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig +durch das Gesetz des Waarenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen 35 + +4 0 ) Während des großen Strike der London builders, 1860-61, zur Reduktion des Arbeitstags +auf 9 Stunden, veröffentlichte ihr Komité eine Erklärung, die halb und halb auf das Plaidoyer +unsres Arbeiters hinausläuft. Die Erklärung spielt nicht ohne Ironie darauf an, daß der Profit- +wüthigste der ,,building masters" - ein gewisser Sir M. Peto - im „Geruch der Heiligkeit" +stehe. (Derselbe Peto kam nach 1867 zu einem Ende mit - Strousberg!) + +40 + +210 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der +kapitalistischen Produktion die Normirung des Arbeitstags als Kampf um +die Schranken des Arbeitstags dar - ein Kampf zwischen dem Gesammt- +kapitalisten, d. h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesammtarbeiter, + +5 oder der Arbeiterklasse. + +2. Der Heißhunger nach Mehrarbeit. +Fabrikant und Bojar. + +10 + +Das Kapital hat die Mehrheit nicht erfunden. Ueberau, wo ein Theil der +Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muß der Arbeiter, +frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung nothwendigen Arbeitszeit +überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für den Eigner +der Produktionsmittel zu produciren 4 1), sei dieser Eigenthümer nun athe- +niensischer καλός κάγαθός, etruskischer Theokrat, civis romanus, nor- +mannischer Baron, amerikanischer Sklavenhalter, walachischer Bojar, mo(cid:5) +15 derner Landlord oder Kapitalist 4 2). Indeß ist klar, daß, wenn in einer +ökonomischen Gesellschaftsformation nicht der Tauschwerth, sondern der +Gebrauchswerth des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engern +oder weitern Kreis von Bedürfnissen beschränkt ist, aber ||197| kein schran- +kenloses Bedürfniß nach Mehrarbeit aus dem Charakter der Produktion +selbst entspringt. Entsetzlich zeigt sich daher im Alterthum die Ueberar- +beit, wo es gilt den Tauschwerth in seiner selbständigen Geldgestalt zu ge- +winnen, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod ar- +beiten ist hier die officielle Form der Ueberarbeit. Man lese nur den +Diodorus Siculus 4 3). Doch sind dieß Ausnahmen in der alten Welt. Sobald +25 aber Völker, deren Produktion sich noch in den niedrigren Formen der +Sklavenarbeit, Frohnarbeit u. s. w. bewegt, hineingezogen werden in einen +durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Weltmarkt, der + +20 + +30 + +4 1 ) "Those who labour ... in reality feed both the pensioners called the rich, and themselves." +(Edmund Burke I.e. p.2, 3.) +4 2 ) Sehr naiv bemerkt Niebuhr in seiner „Römischen Geschichte": „Man kann sich nicht ver- +hehlen, daß Werke wie die etruskischen, die in ihren Trümmern erstaunen, in kleinen (!) +Staaten Frohnherrn und Knechte voraussetzen." Viel tiefer sagte Sismondi, daß „Brüsseler +Spitzen" Lohnherrn und Lohndiener voraussetzen. +4 3 ) „Man kann diese Unglücklichen (in den Goldbergwerken zwischen Aegypten, Aethiopien +35 und Arabien), die nicht einmal ihren Körper reinlich halten, noch ihre Blöße decken können, +nicht ansehn, ohne ihr jammervolles Schicksal zu beklagen. Denn da findet keine Nachsicht +und keine Schonung statt für Kranke, für Gebrechliche, für Greise, für die weibliche +Schwachheit. Alle müssen, durch Schläge gezwungen, fortarbeiten, bis der Tod ihren Qualen +und ihrer Noth ein Ende macht." Diod. Sic. „Historische Bibliothek", Buch 3, c. 13. [S. 258, + +40 260.] + +211 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vorwiegenden Interesse ent- +wickelt, wird den barbarischen Greueln der Sklaverei, Leibeigenschaft +u. s. w. der civilisirte Greuel der Ueberarbeit aufgepfropft. Daher bewahrte +die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union einen +gemäßigt patriarchalischen Charakter, so lange die Produktion hauptsäch- +lieh auf den unmittelbaren Selbstbedarf gerichtet war. In dem Grade aber +wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse jener Staaten, ward die Ue- +berarbeitung des Negers, hier und da die Konsumtion seines Lebens in sie- +ben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems. +Es galt nicht mehr eine gewisse Masse nützlicher Produkte aus ihm heraus- +zuschlagen. Es galt nun die Produktion des Mehrwerths selbst. Aehnlich +mit der Frohnarbeit, z . B . in den Donaufürstenthümern. + +Die Vergleichung des Heißhungers nach Mehrarbeit in den Donaufür- +stenthümern mit demselben Heißhunger in englischen Fabriken bietet ein +besondres Interesse, weil die Mehrarbeit in der Frohnarbeit eine selbstän- +dige, sinnlich wahrnehmbare Form besitzt. + +5 + +10 + +15 + +20 + +Gesetzt der Arbeitstag zähle 6 Stunden nothwendiger Arbeit und 6 Stun- +den Mehrarbeit. So liefert der freie Arbeiter dem Kapitalisten wöchentlich +6 x 6 , oder 36 Stunden Mehrarbeit. Es ist dasselbe, als arbeite er 3 Tage in +der Woche für sich und 3 Tage in der Woche umsonst für den Kapitalisten. +Aber dieß ist nicht sichtbar. Mehrarbeit und nothwendige Arbeit ver- +schwimmen in ||198| einander. Ich kann daher dasselbe Verhältniß z.B. +auch so ausdrücken, daß der Arbeiter in jeder Minute 30 Sekunden für +sich und 30 Sekunden für den Kapitalisten arbeitet u. s.w. Anders mit der +Frohnarbeit. Die nothwendige Arbeit, die z.B. der walachische Bauer zu 25 +seiner Selbsterhaltung verrichtet, ist räumlich getrennt von seiner Mehrar- +beit für den Bojaren. Die eine verrichtet er auf seinem eignen Felde, die +andre auf dem herrschaftlichen Gut. Beide Theile der Arbeitszeit existiren +daher selbständig neben einander. In der Form der Frohnarbeit ist die +Mehrarbeit genau abgeschieden von der nothwendigen Arbeit. An dem 30 +quantitativen Verhältniß von Mehrarbeit und nothwendiger Arbeit ändert +diese verschiedne Erscheinungsform offenbar nichts. Drei Tage Mehrarbeit +in der Woche bleiben drei Tage Arbeit, die kein Aequivalent für den Arbei- +ter selbst bildet, ob sie Frohnarbeit heiße oder Lohnarbeit. Bei dem Kapita- +listen jedoch erscheint der Heißhunger nach Mehrarbeit im Drang zu maß- 35 +loser Verlängrung des Arbeitstags, bei dem Bojaren einfacher in unmit- +telbarer Jagd auf Frohntage 4 4). + +Die Frohnarbeit war in den Donaufürstenthümern verknüpft mit Natu- +ralrenten und sonstigem Zubehör von Leibeigenschaft, bildete aber den + +4 4 ) Das Nachfolgende bezieht sich auf die Zustände der rumänischen Provinzen, wie sie sich 40 +vor der Umwälzung seit dem Krimkrieg gestaltet hatten. + +212 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +entscheidenden Tribut an die herrschende Klasse. Wo dieß der Fall, ent- +sprang die Frohnarbeit selten aus der Leibeigenschaft, Leibeigenschaft +vielmehr meist umgekehrt aus der Frohnarbeit 4 4 a). So in den rumänischen +Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemeineigen- +thum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder gar +indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privateigenthum +von den Mitgliedern der Gemeinde selbständig bewirthschaftet, ein andrer +Theil - der ager publicus - gemeinsam von ihnen bestellt. Die Produkte +dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reserve||199|fonds für Miß- +ernten und andre Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung für die Ko- +sten von Krieg, Religion und andre Gemeindeausgaben. Im Laufe der Zeit +usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit dem Gemeinei- +genthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien Bauern auf +ihrem Gemeindeland verwandelte sich in Frohnarbeit für die Diebe des +Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich Leibeigenschafts-Ver- +hältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich, bis das weltbefreiende +Rußland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft abzuschaffen, sie zum +Gesetz erhob. Der Kodex der Frohnarbeit, den der russische General Kis- +seleff 1831 proklamirte, war natürlich von den Bojaren selbst diktirt. Ruß- +land eroberte so mit einem Schlag die Magnaten der Donaufürstenthümer +und den Beifallsklatsch der liberalen Crétins von ganz Europa. + +Nach dem ,,Règlement organique", so heißt jener Kodex der Frohnar- +beit, schuldet jeder walachische Bauer, außer einer Masse detaillirter Natu- +ralabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) zwölf Arbeitstage überhaupt, +2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa Summarum +14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oekonomie wird j e - +doch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genommen, sondern +der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts nothwendige +Arbeitstag, aber das tägliche Durchschnittsprodukt ist pfiffiger Weise so +bestimmt, daß kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig würde. In den dür- +ren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das „Reglement" selbst, un- +ter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Handarbeit von 36 Tagen zu ver- +stehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage, und unter einem Tag + +4 4 a ) (Note zur 3. Aufl. - Dieß gilt ebenfalls für Deutschland und speciell für das ostelbische +Preußen. Im 15. Jahrhundert war der deutsche Bauer fast überall ein, gewissen Leistungen in +Produkt und Arbeit unterworfener, aber sonst wenigstens faktisch freier Mann. Die deutschen +Kolonisten in Brandenburg, Pommern, Schlesien und Ostpreußen waren sogar rechtlich als +Freie anerkannt. Der Sieg des Adels im Bauernkrieg machte dem ein Ende. Nicht nur die be- +siegten süddeutschen Bauern wurden wieder leibeigen. Schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts +werden die ostpreußischen, brandenburgischen, pommerschen und schlesischen, und bald +darauf auch die schleswig-holsteinischen freien Bauern zu Leibeignen erniedrigt. (Maurer, +„Frohnhöfe" IV. Bd. - Meitzen, „Der Boden des pr. Staats".- Hanssen, „Leibeigenschaft in +Schleswig-Holstein".) - F.E.) + +213 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohntage. Es kommt aber +hinzu die s.g. Jobagie, Dienstleistungen, die dem Grundherrn für außeror- +dentliche Produktionsbedürfnisse gebühren. Im Verhältniß zur Größe sei- +ner Bevölkerung hat jedes Dorf jährlich ein bestimmtes Kontingent zur J o - +bagie zu stellen. Diese zusätzliche Frohnarbeit wird für jeden walachischen +Bauern auf 14 Tage geschätzt. So beträgt die vorgeschriebne Frohnarbeit +56 Arbeitstage jährlich. Das Ackerbaujahr zählt aber in der Walachei we- +gen des schlechten Klimas nur 210 Tage, wovon 40 für Sonn- und Feier- +tage, 30 durchschnittlich für Unwetter, zusammen 70 Tage ausfallen. Blei- +ben 140 Arbeitstage. Das Verhältniß der Frohnarbeit zur nothwendigen 10 +Arbeit 5% 4, oder 66% Procent, drückt eine viel kleinere Rate ||200| des +Mehrwerths aus als die, welche die Arbeit des englischen Agrikultur- oder +Fabrikarbeiters regulirt. Dieß ist jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebne +Frohnarbeit. Und in noch „liberalerem" Geist als die englische Fabrikge- +setzgebung hat das ,,Règlement organique" seine eigne Umgehung zu er- 15 +leichtern gewußt. Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht, wird das nomi- +nelle Tagwerk jedes der 54 Frohntage wieder so bestimmt, daß eine +Zubuße auf die folgenden Tage fallen muß. In einem Tag z.B. soll eine +Landstrecke ausgejätet werden, die zu dieser Operation, namentlich auf +den Maispflanzungen, doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche Tag- 20 +werk für einzelne Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, daß der Tag im Mo- +nat Mai anfängt und im Monat Oktober aufhört. Für die Moldau sind die +Bestimmungen noch härter. „Die zwölf Frohntage des Règlement organi- +que", rief ein siegtrunkner Bojar, „belaufen sich auf 365 Tage im Jahr!" 4 5) + +War das Règlement organique der Donaufürstenthümer ein positiver 25 + +Ausdruck des Heißhungers nach Mehrarbeit, den jeder Paragraph legalisirt, +so sind die englischen Factory-Acts negative Ausdrücke desselben Heiß- +hungers. Diese Gesetze zügeln den Drang des Kapitals nach maßloser Aus- +saugung der Arbeitskraft durch gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags +von Staatswegen, und zwar von Seiten eines Staats, den Kapitalist und 30 +Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Ar- +beiterbewegung abgesehn, war die Beschränkung der Fabrikarbeit diktirt +durch dieselbe Nothwendigkeit, welche den Guano auf die englischen Fel- +der ausgoß. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde er- +schöpft, hatte in dem andren die Lebenskraft der Nation an der Wurzel er- +griffen. Periodische Epidemien sprachen hier ebenso deutlich als das +abnehmende Soldatenmaß in Deutschland und Frankreich 4 6). | + +35 + +4 5 ) Weitere Details findet man in: E. Regnault: ,,Histoire politique et sociale des Principautés +Danubiennes. Paris 1855". +4 6 ) „Im Allgemeinen spricht innerhalb gewisser Grenzen für das Gedeihen organischer We- +sen das Ueberschreiten des Mittelmaßes ihrer Art. Für den Menschen verkleinert sich sein + +40 + +214 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +| 2 0 1 | Der jetzt (1867) geltende Factory-Act von 1850 erlaubt für den + +durchschnittlichen Wochentag 10 Stunden, nämlich für die ersten 5 Wo- + +chentage 12 Stunden, von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends, wovon aber + +Y2 Stunde für Frühstück und eine Stunde für Mittagessen gesetzlich ab- + +5 gehn, also 10½ Arbeitsstunden bleiben, und 8 Stunden für den Samstag, + +von 6 Uhr Morgens bis 2 Uhr Nachmittags, wovon Y2 Stunde für Frühstück + +abgeht. Bleiben 60 Arbeitsstunden, 10½ für die ersten fünf Wochentage, + +IY2 für den letzten W o c h e n t a g 4 7 ) . Es sind eigne Wächter des Gesetzes be- + +stellt, die dem Ministerium des Innern direkt untergeordneten Fabrikin- + +10 spektoren, deren Berichte halbjährig von Parlamentswegen veröffentlicht + +werden. Sie liefern also eine fortlaufende und officielle Statistik über den + +Kapitalistenheißhunger nach Mehrarbeit. + +Hören wir einen Augenblick die Fabrikinspektoren 4 S). + +„Der betrügerische Fabrikant beginnt die Arbeit eine Viertelstunde, + +15 manchmal früher, manchmal später, vor 6 Uhr Morgens, und schließt sie + +eine Viertelstunde, manchmal früher, manchmal später, nach 6 Uhr Nach- + +mittags. Er nimmt 5 Minuten weg vom Anfang und Ende der nominell für + +das Frühstück anberaumten halben Stunde, und knappt 10 Minuten ab zu + +30 + +Körpermaß, wenn sein Gedeihen beeinträchtigt ist, sei es durch physische oder sociale Ver- +20 hältnisse. In allen europäischen Ländern, wo Konskription besteht, hat seit Einführung der- +selben das mittlere Körpermaß der erwachsnen Männer und im Ganzen ihre Tauglichkeit +zum Kriegsdienst abgenommen. Vor der Revolution (1789) war das Minimum für den Infan- +teristen in Frankreich 165 Centimeter; 1818 (Gesetz vom 10. März) 157, nach dem Gesetz +vom 21. März 1832, 156 Centimeter; durchschnittlich in Frankreich wegen mangelnder Größe +25 und Gebrechen über die Hälfte ausgemustert. Das Militärmaß war in Sachsen 1780: 178 Cen- +timeter, jetzt 155. In Preußen ist es 157. Nach Angabe in der Bayrischen Zeitung vom 9. Mai +1862 von Dr. Meyer, stellt sich nach einem 9jährigen Durchschnitt heraus, daß in Preußen +von 1000 Konskribirten 716 untauglich zum Militärdienst: 317 wegen Mindermaß und 399 +wegen Gebrechen .... Berlin konnte 1858 sein Kontingent an Ersatz-Mannschaft nicht stel- +len, es fehlten 156 Mann." (J.v. Liebig: „Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und +Physiologie. 1862. 7. Aufl." Band I, p.117, 118.) +4 7 ) Die Geschichte des Fabrikakts von 1850 folgt im Verlauf dieses Kapitels. +4 8 ) Auf die Periode vom Beginn der großen Industrie in England bis 1845 gehe ich nur hier +und da ein, und verweise den Leser darüber auf: „Die Lage der arbeitenden Klasse in Eng- +35 land. Von Friedrich Engels. Leipzig 1845". Wie tief Engels den Geist der kapitalistischen Pro- +duktionsweise begriff, zeigen die Factory Reports, Reports on Mines u.s.w., die seit 1845 er- +schienen sind, und wie bewundrungswürdig er die Zustände im Detail malte, zeigt der +oberflächlichste Vergleich seiner Schrift mit den 18 bis 20 Jahre später veröffentlichten offî- +ciellen Reports der ,,Children's Employment Commission" (1863-67). Diese handeln näm- +lieh von Industriezweigen, worin die Fabrikgesetzgebung bis 1862 noch nicht eingeführt war, +zum Theil noch nicht eingeführt ist. Hier wurde also den von Engels geschilderten Zuständen +mehr oder minder große Aendrung nicht von außen aufgeherrscht. Meine Beispiele entlehne +ich hauptsächlich der Freihandelsperiode nach 1848, jener paradiesischen Zeit, wovon eben +so großmäulige als wissenschaftlich verwahrloste Freihandelshausirburschen den Deutschen +so fabelhaft viel vorfauchen. - Uebrigens flgurirt England hier nur im Vordergrund, weil es +die kapitalistische Produktion klassisch repräsentirt und allein eine officiell fortlaufende Sta- +tistik der behandelten Gegenstände besitzt. + +40 + +45 + +215 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Anfang und Ende der für Mittagessen anberaumten Stunde. Samstag arbei- +tet er ||202| eine Viertelstunde, manchmal mehr, manchmal weniger, nach +2 Uhr Nachmittags. So beträgt sein Gewinn: + +15 Minuten. + +Vor 6 Uhr Morgens +Nach 6 Uhr Nachmittags 15 » +10 » +Für Frühstückszeit +20 » +Beim Mittagessen +60 Minuten. + +An Samstagen. + +15 Minuten. +Vor 6 Uhr Morgens +Für Frühstück +10 » +Nach 2 Uhr Nachmittags 15 » + +Summa in 5 Tagen: 300 Minuten. + +Wöchentlicher Gesammtgewinn: +340 Minuten. + +10 + +Oder 5 Stunden 40 Minuten wöchentlich, was mit 50 Arbeitswochen +multiplicirt, nach Abzug von 2 Wochen für Feiertage oder gelegentliche +Unterbrechungen, 27 Arbeitstage gibt 4 9)." + +15 + +„Wird der Arbeitstag täglich 5 Minuten über die Normaldauer verlän- +gert, so gibt das 2% Produktionstage im J a h r " 5 0 ) . „Eine zusätzliche Stunde +täglich, dadurch gewonnen, daß bald hier ein Stückchen Zeit erhascht +wird, bald dort ein andres Stückchen, macht aus den 12 Monaten des Jah- +res 1 3 " 5 1 ) . + +20 + +Krisen, worin die Produktion unterbrochen und nur „kurze Zeit", nur +während einiger Tage in der Woche, gearbeitet wird, ändern natürlich +nichts an dem Trieb nach Verlängrung des Arbeitstags. Je weniger Ge- +schäfte gemacht werden, desto größer soll der Gewinn auf das gemachte +Geschäft sein. Je weniger Zeit gearbeitet werden kann, desto mehr Surplus- 25 +arbeitszeit soll gearbeitet werden. So berichten die Fabrikinspektoren über +die Periode der Krise von 1857 bis 1858: + +„Man mag es für eine Inkonsequenz halten, daß irgendwelche Ueberar- +beit zu einer Zeit stattfinde, wo der Handel so schlecht geht, aber sein +schlechter Zustand spornt rücksichtslose Leute zu Ueberschreitungen; sie 30 +sichern sich so einen Extraprofit ..." „Zur selben Zeit", sagt Leonard Hor- +ner, „wo 122 Fabriken in meinem Distrikt ganz aufgegeben sind, 143 still +stehn und alle andren kurze Zeit arbeiten, wird die Ueberarbeit über die +gesetzlich bestimmte Zeit fortgesetzt 5 2)." „Obgleich", sagt Herr Howell, „in +den meisten Fabriken des schlechten Geschäftsstands wegen nur halbe 35 +Zeit gearbeitet wird, erhalte ich nach wie vor dieselbe An||203|zahl von + +4 9 ) ,,Suggestions etc. by Mr. L. Horner, Inspector of Factories", in: ,,Factories Regulation Acts. +Ordered by the House of Commons to be printed 9. Aug. 1859", p. 4, 5. +5 0 ) „Reports of the Insp. of Fact, for the half year, Oct. 1856", p. 35. +5 1 ) „Reports etc. 30th April 1858", p. 9, 10. +5 2 ) „Reports etc." Lc p. 10. + +40 + +216 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +Klagen, daß eine halbe Stunde oder % Stunden täglich den Arbeitern weg- +geschnappt (snatched) werden durch Eingriffe in die ihnen gesetzlich gesi- +cherten Fristen für Mahlzeit und Erholung 5 3)." + +Dasselbe Phänomen wiederholt sich auf kleinerer Stufenleiter während + +5 + +der furchtbaren Baumwollkrise von 1861 bis 1 8 6 5 5 4 ) . + +„Es wird zuweilen vorgeschützt, wenn wir Arbeiter während der Speise- +stunden oder sonst zu ungesetzlicher Zeit am Werk ertappen, daß sie die +Fabrik durchaus nicht verlassen wollen, und daß es des Zwangs bedarf, um +ihre Arbeit (Reinigen der Maschinen u.s.w.) zu unterbrechen, namentlich +10 Samstag Nachmittags. Aber wenn die ,Hände' nach Stillsetzung der Ma- +schinerie in der Fabrik bleiben, geschieht es nur, weil ihnen zwischen +6 Uhr Morgens und 6 Uhr Abends, in den gesetzlich bestimmten Arbeits- +stunden, keine Frist zur Verrichtung solcher Geschäfte gestattet worden +i s t 5 5 ) . " + +15 + +20 + +„Der durch Ueberarbeit über die gesetzliche Zeit zu machende Extrapro- +fit scheint für viele Fabrikanten eine zu große Versuchung, um ihr wider- +stehn zu können. Sie rechnen auf die Chance nicht ausgefunden zu werden +und berechnen, daß selbst im Fall der Entdeckung die Geringfügigkeit der +Geldstrafen und Gerichtskosten ||204| ihnen immer noch eine Gewinnbi- +lanz sichert 5 6)." „Wo die zusätzliche Zeit durch Multiplikation kleiner +Diebstähle („a multiplication of small thefts") im Laufe des Tages gewon- + +25 + +5 3 ) „Reports etc." I.e. p.25. +5 4 ) „Reports etc. for the half year ending 30th April 1861". Sieh Appendix No. 2; „Reports etc. +31st Octob. 1862", p. 7, 52, 53. Die Ueberschreitungen werden wieder zahlreicher mit dem +letzten Halbjahr 1863. Vgl. „Reports etc. ending 31st Oct. 1863", p. 7. +5 5 ) „Reports etc. 31st Oct. 1860", p. 23. Mit welchem Fanatismus, nach gerichtlichen Aussa- +gen der Fabrikanten, ihre Fabrikhände sich jeder Unterbrechung der Fabrikarbeit widerset- +zen, zeige folgendes Kuriosum: Anfang Juni 1836 gingen den Magistrates von Dewsbury +(Yorkshire) Denunciationen zu, wonach die Eigner von 8 großen Fabriken in der Nähe von +30 Batley den Fabrikakt verletzt hätten. Ein Theil dieser Herren war angeklagt, 5 Knaben zwi- +schen 12 und 15 Jahren von 6 Uhr Morgens des Freitags bis 4 Uhr Nachmittag des folgenden +Samstags abgearbeitet zu haben, ohne irgend eine Erholung zu gestatten, außer für Mahlzei- +ten und Eine Stunde Schlaf um Mitternacht. Und diese Kinder hatten die rastlose, 30stündige +Arbeit'zu verrichten in dem „shoddy-hole", wie die Höhle heißt, worin Wollenlumpen aufge- +rissen werden und wo ein Luftmeer von Staub, Abfällen u.s.w. selbst den erwachsnen Arbeiter +zwingt, den Mund beständig mit Schnupftüchern zu verbinden, zum Schutz seiner Lunge! +Die Herren Angeklagten versicherten an Eidesstatt - als Quäker waren sie zu skrupulös reli- +giöse Männer einen Eid zu leisten, - sie hätten in ihrer großen Barmherzigkeit den elenden +Kindern 4 Stunden Schlaf erlaubt, aber die Starrköpfe von Kindern wollten durchaus nicht zu +40 Bett gehn! Die Herrn Quäker wurden zu 20 Pfd. St. Geldbuße verurtheilt. Dryden ahnte diese + +35 + +Quäker: + +45 + +"Fox full fraught in seeming sanctity, +That feared an oath, but like the devil would lie, +That look'd like Lent, and had the holy leer, +And durst not sin! before he said his prayer!" + +5 6 ) „Rep. etc. 31. Oct. 1856" p. 34. + +217 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +nen wird, stehn den Inspektoren fast unüberwindliche Schwierigkeiten der +Beweisführung im W e g 5 7 ) . " Diese „kleinen Diebstähle" des Kapitals an der +Mahlzeit und Erholungszeit der Arbeiter bezeichnen die Fabrikinspekto- +ren auch als ,,petty pilferings of minutes", Mausereien von Minuten 5 8), +,,snatching a few minutes", Wegschnappen von Minuten 5 9), oder wie die +Arbeiter es technisch heißen, ,,nibbling and cribbling at meal times 6 0)". + +5 + +Man sieht, in dieser Atmosphäre ist die Bildung des Mehrwerths durch +die Mehrarbeit kein Geheimniß. „Wenn Sie mir erlauben," sagte mir ein +sehr respektabler Fabrikherr, „täglich nur 10 Minuten Ueberzeit arbeiten +zu lassen, stecken Sie jährlich 1000 Pfd. St. in meine T a s c h e 6 1 ) . " „Zeit- 10 +atome sind die Elemente des Gewinns 6 2)." + +Nichts ist in dieser Hinsicht charakteristischer als die Bezeichnung der +Arbeiter, die volle Zeit arbeiten, durch „füll times" und die der Kinder un- +ter 13 Jahren, die nur 6 Stunden arbeiten dürfen, als „half times 6 3)". Der +Arbeiter ist hier nichts mehr als personificirte Arbeitszeit. Alle individuel- 15 +len Unterschiede lösen sich auf in die von „Vollzeitler" und „Halbzeitler". + +3. Englische Industriezweige +legale Schranke der Exploitation. + +ohne + +Den Trieb nach Verlängrung des Arbeitstags, den Wehrwolfsheißhunger +für Mehrarbeit, beobachteten wir bisher auf einem Gebiet, wo maßlose 20 +Ausschreitungen, nicht übergipfelt, so sagt ein bürgerlicher englischer Oe- +konom, von den Grausamkeiten der Spanier gegen die Rothhäute Arne- +rika's 6 4), das Kapital endlich an ||205| die Kette gesetzlicher Regulation ge- +legt haben. Werfen wir jetzt den Blick auf einige Produktionszweige, wo +die Aussaugung der Arbeitskraft entweder noch heute fesselfrei ist oder es 25 +gestern noch war. + +„Herr Broughton, ein County Magistrate, erklärte als Präsident eines + +5 7 ) I.e. p.35. +5 8 ) I.e. p.48. +5 9 ) I.e. +6 0 ) I.e. +6 1 ) I.e. p.48. +6 2 ) „Moments are the elements of profit". „Rep. of the Insp. etc. 30th April 1860", p. 56. +6 3 ) Der Ausdruck hat officielles Bürgerrecht, wie in der Fabrik, so in den Fabrikberichten. +6 4 ) "The cupidity of mill-owners, whose cruelties in pursuit of gain, have hardly been ex- 35 +ceeded by those perpetrated by the Spaniards on the conquest of America, in the pursuit of +gold." John Wade: ,,History of the Middle and Working Classes. 3d ed. Lond. 1835", p. 114. +Der theoretische Theil dieses Buchs; eine Art Grundriß der politischen Oekonomie, enthält +für seine Zeit einiges Originelle, z. B. über Handelskrisen. Der historische Theil leidet an +schamlosem Plagiarismus aus Sir M. Eden's: „The State of the Poor. London 1797". + +30 + +40 + +218 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +Meetings, abgehalten in der Stadthalle von Nottingham, am 14. Januar +1860, daß in dem mit der Spitzenfabrikation beschäftigten Theile der städ- +tischen Bevölkerung ein der übrigen civilisirten Welt unbekannter Grad +von Leid und Entbehrung vorherrscht ... Um 2, 3, 4 Uhr des Morgens wer- +5 den Kinder von 9 - 1 0 Jahren ihren schmutzigen Betten entrissen und ge- +zwungen, für die nackte Subsistenz bis 10, 11, 12 Uhr Nachts zu arbeiten, +während ihre Glieder wegschwinden, ihre Gestalt zusammenschrumpft, +ihre Gesichtszüge abstumpfen und ihr menschliches Wesen ganz und gar +in einem steinähnlichen Torpor erstarrt, dessen bloßer Anblick schauder- +10 haft ist. Wir sind nicht überrascht, daß Herr Mallett und andre Fabrikan- +ten auftraten, um Protest gegen jede Diskussion einzulegen +.... Das +System, wie der Rev. Montagu Valpy es beschrieb, ist ein System unbe- +schränkter Sklaverei, Sklaverei in socialer, physischer, moralischer und in- +tellektueller Beziehung ... Was soll man denken von einer Stadt, die ein +15 öffentliches Meeting abhält, um zu petitioniren, daß die Arbeitszeit für +Männer täglich auf 18 Stunden beschränkt werden solle! .... Wir deklami- +ren gegen die virginischen und karolinischen Pflanzer. Ist jedoch ihr Ne- +germarkt, mit allen Schrecken der Peitsche und dem Schacher in Men- +schenfleisch, abscheulicher als diese langsame Menschenabschlachtung, +20 die vor sich geht, damit Schleier und Kragen zum Vortheil von Kapitali- + +sten fabricirt werden 6 5)?" + +25 an die + +Die Töpferei + +,,Children's Employment Commissioners", + +(Pottery) von Staffordshire hat während der + +letzten +22 Jahre den Gegenstand dreier parlamentarischen Untersuchungen gebil- +det. Die Resultate sind niedergelegt im Bericht des Herrn Scriven von 1841 +im Bericht des +Dr. Greenhow von 1860, veröffentlicht auf Befehl des ärztlichen Beamten +des Privy Council (Public Health, 3rd Report, I, 1 0 2 - 1 1 3 ) , endlich im Be- +richt des Herrn Longe von 1863, in „First Report of the Children's Employ- +ment Commission" ||206| vom 15. Juni 1863. Für meine Aufgabe genügt es, +30 den Berichten von 1860 bis 1863 einige Zeugenaussagen der exploitirten +Kinder selbst zu entlehnen. Von den Kindern mag man auf die Erwachse- +nen schließen, namentlich Mädchen und Frauen, und zwar in einem Indu- +striezweig, woneben Baumwollspinnerei u. d. g. als ein sehr angenehmes +und gesundes Geschäft erscheint 6 6). + +35 Wilhelm Wood, neunjährig, „war 7 Jahre 10 Monate alt, als er zu arbei- +ten begann". Er „ran moulds" (trug die fertig geformte Waare in die Trok- +kenstube, um nachher die leere Form zurückzubringen) von Anfang an. Er +kommt jeden Tag in der Woche um 6 Uhr Morgens und hört auf ungefähr +9 Uhr Abends. „Ich arbeite bis 9 Uhr Abends jeden Tag in der Woche. So + +40 + +6 5 ) London Daily Telegraph vom 17. Januar 1860. +6 6 ) Vgl. Engels „Lage etc." p. 249-51. + +219 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +z . B . während der letzten 7 - 8 Wochen." Also fünfzehnstündige Arbeit für +ein siebenjähriges Kind! J. Murray, ein zwölfjähriger Knabe, sagt aus: „I +run moulds and turn jigger (drehe das Rad). Ich komme um 6 Uhr, manch- +mal um 4 Uhr Morgens. Ich habe während der ganzen letzten Nacht bis +diesen Morgen 6 Uhr gearbeitet. Ich war nicht im Bett seit der letzten +Nacht. Außer mir arbeiteten 8 oder 9 andre Knaben die letzte Nacht +durch. Alle außer Einem sind diesen Morgen wieder gekommen. Ich be- +komme wöchentlich 3 sh. 6 d. (1 Thaler 5 Groschen). Ich bekomme nicht +mehr, wenn ich die ganze Nacht durcharbeite. Ich habe in der letzten Wo- +che zwei Nächte durchgearbeitet." Fernyhough, ein zehnjähriger Knabe: 10 +„Ich habe nicht immer eine ganze Stunde für das Mittagessen; oft nur eine +halbe Stunde; jeden Donnerstag, Freitag und Samstag 6 7)." + +5 + +Dr. Greenhow erklärt die Lebenszeit in den Töpferdistrikten von Stoke- +upon-Trent und Wolstanton für außerordentlich kurz. Obgleich im Distrikt +Stoke nur 36,6%, und in Wolstanton nur 30,4% der männlichen Bevölke- 15 +rung über 20 Jahre in den Töpfereien beschäftigt sind, fällt unter Männern +dieser Kategorie, im ersten Distrikt mehr als die Hälfte, im zweiten unge- +fähr 2/ 5 der Todesfälle in Folge von Brustkrankheiten auf die Töpfer. Dr. +Boothroyd, praktischer Arzt zu Hanley, sagt aus: „Jede successive Genera- +tion der Töpfer ist zwerghafter und schwächer als die vorhergehende." Ebenso +ein andrer Arzt, Herr McBean: „Seit ich vor 25 Jahren meine Praxis unter +den Töpfern begann, hat sich die auffallende Entartung dieser Klasse fort- +schreitend in Abnahme von ||207| Gestalt und Gewicht gezeigt." Diese Aus- +sagen sind dem Bericht des Dr. Greenhow von 1860 entnommen 6 8). + +20 + +Aus dem Bericht der Kommissäre von 1863 folgendes: Dr. J. T. Arledge, 25 + +Oberarzt des North Staffordshire Krankenhauses, sagt: „Als eine Klasse re- +präsentiren die Töpfer, Männer und Frauen ... eine entartete Bevölkerung +physisch und moralisch. Sie sind in der Regel verzwergt, schlecht gebaut, +und oft an der Brust verwachsen. Sie altern vorzeitig und sind kurzlebig; +phlegmatisch und blutlos, verrathen sie die Schwäche ihrer Konstitution 30 +durch hartnäckige Anfälle von Dyspepsie, Leber- und Nierenstörungen +und Rheumatismus. Vor allem aber sind sie Brustkrankheiten unterworfen, +der Pneumonie, Phthisis, Bronchitis und dem Asthma. Eine Form des +letztren ist ihnen eigenthümlich und bekannt unter dem Namen des Töp- +fer-Asthma oder der Töpfer-Schwindsucht. Skrophulose, die Mandeln, 35 +Knochen oder andre Körpertheile angreift, ist eine Krankheit von mehr als +zwei Dritteln der Töpfer. Daß die Entartung (dégénérescence) der Bevölke- +rung dieses Distrikts nicht noch viel größer ist, verdankt sie ausschließlich +der Rekrutirung aus den umliegenden Landdistrikten und den Zwischen- + +6 7 ) ,,Children's Employment Commission. First Report etc. 1863", Appendix p. 16, 19, 18. +6 8 ) „Public Health. 3d Report etc.", p. 102, 104, 105. + +40 + +220 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +heirathen mit gesundren Racen." Herr Charles Parsons, vor kurzem noch +House Surgeon derselben Krankenanstalt, schreibt in einem Briefe an den +Kommissär Longe u.a.: „Ich kann nur aus persönlicher Beobachtung, nicht +statistisch sprechen, aber ich stehe nicht an zu versichern, daß meine Em- +pörung wieder und wieder aufkochte bei dem Anblick dieser armen Kin- +der, deren Gesundheit geopfert wurde, um der Habgier ihrer Eltern und Ar- +beitgeber zu fröhnen." Er zählt die Ursachen der Töpferkrankheiten auf +und schließt sie kulminirend ab mit „Long Hours" („langen Arbeitsstun- +den"). Der Kommissionsbericht hofft, daß „eine Manufaktur von so hervor- +ragender Stellung in den Augen der Welt nicht lange mehr den Makel tra- +gen wird, daß ihr großer Erfolg begleitet ist von physischer Entartung, +vielverzweigten körperlichen Leiden, und frühem Tode der Arbeiterbevöl- +kerung, durch deren Arbeit und Geschick so große Resultate erzielt wor- +den sind 6 9)." Was von den Töpfereien in England, gilt von denen in Schott- +land 7 0). + +5 + +10 + +15 + +Die Manufaktur von Zündhölzern datirt von 1833, von der Erfindung, +den Phosphor auf die Zündruthe selbst anzubringen. Seit ||208| 1845 hat +sie sich rasch in England entwickelt und von den dichtbevölkerten Theilen +Londons namentlich auch nach Manchester, Birmingham, Liverpool, Bri- +20 stol, Norwich, Newcastle, Glasgow verbreitet, mit ihr die Mundsperre, die +ein Wiener Arzt schon 1845 als eigenthümliche Krankheit der Zündholz- +macher entdeckte. Die Hälfte der Arbeiter sind Kinder unter 13 und junge +Personen unter 18 Jahren. Die Manufaktur ist wegen ihrer Ungesundheit +und Widerwärtigkeit so verrufen, daß nur der verkommenste Theil der Ar- +25 beiterklasse, halbverhungerte Wittwen u.s.w., Kinder für sie hergiebt, „zer- +lumpte, halb verhungerte, ganz verwahrloste und unerzogne Kinder 7 1)". +Von den Zeugen, die Kommissär White (1863) verhörte, waren 270 unter +18 Jahren, 40 unter 10 Jahren, 10 nur 8 und 5 nur 6 Jahre alt. Wechsel des +Arbeitstags von 12 auf 14 und 15 Stunden, Nachtarbeit, unregelmäßige +30 Mahlzeiten, meist in den Arbeitsräumen selbst, die vom Phosphor verpe- +stet sind 7 1). Dante wird in dieser Manufaktur seine grausamsten Höl- +lenphantasien übertroffen finden. + +In der Tapetenfabrik werden die gröberen Sorten mit Maschinen, die fei- +neren mit der Hand (block printing) gedruckt. Die lebhaftesten Geschäfts- +35 monate fallen zwischen Anfang Oktober und Ende April. W��hrend dieser +Periode dauert diese Arbeit häufig und fast ohne Unterbrechung von 6 Uhr +Vormittags bis 10 Uhr Abends und tiefer in die Nacht. + +J. Leach sagt aus: „Letzten Winter (1862) blieben von 19 Mädchen 6 weg +in Folge durch Ueberarbeitung zugezogner Krankheiten. Um sie wach zu + +40 + +6 9 ) ,,Children's Employm. Commission. 1863", p. 24, 22 u. XI. +7 0 ) I.e. p.XLVIL +7 1 ) I.e. p.LIV. + +221 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +halten, muß ich sie anschreien." W. Duffy: „Die Kinder konnten oft vor +Müdigkeit die Augen nicht aufhalten, in der That, wir selbst können es oft +kaum." J.Lightbourne: „Ich bin 13 Jahre alt ... Wir arbeiteten letzten Win- +ter bis 9 Uhr Abends und den Winter vorher bis 10 Uhr. Ich pflegte letzten +Winter fast jeden Abend vom Schmerz wunder Füße zu schreien." +G. Aspden: „Diesen meinen Jungen pflegte ich, als er 7 Jahre alt war, auf +meinem Rücken hin und her über den Schnee zu tragen, und er pflegte +16 Stunden zu arbeiten! ... Ich habe oft niedergekniet, um ihn zu füttern, +während er an der Maschine stand, denn er durfte sie nicht verlassen oder +stillsetzen." Smith, der geschäftsführende Associé einer Manchester-Fa- 10 +brik: „Wir (er meint seine „Hände", die für „uns" arbeiten) arbeiten ohne +Unterbrechung für Mahlzeiten, so daß die Tagesarbeit von 10½ Stunden +um 4½ ||209| Uhr Nachmittags fertig ist, und alles Spätere ist Ueberzeit 7 2). +(Ob dieser Herr Smith wohl keine Mahlzeit während 10½ Stunden zu sich +nimmt?) Wir (derselbe Smith) hören selten auf vor 6 Uhr Abends (er meint 15 +mit der Konsumtion „unsrer" Arbeitskraftmaschinen), so daß wir (iterum +Crispinus) in der That das ganze Jahr durch Ueberzeit arbeiten ... Die Kin- +der und Erwachsnen (152 Kinder und junge Personen unter 18 Jahren und +140 Erwachsne) haben gleichmäßig während der letzten 18 Monate im +Durchschnitt allermindestens 7 Tage und 5 Stunden in der Woche gearbei- 20 +tet, oder 78½ Stunden wöchentlich. Für die 6 Wochen, endend am 2. Mai +dieses Jahres (1863), war der Durchschnitt höher - 8 Tage oder 84 Stunden +in der Woche!" Doch fügt derselbe Herr Smith, der dem pluralis majestatis +so sehr ergeben ist, schmunzelnd hinzu: „Maschinenarbeit ist leicht." Und +so sagen die Anwender des Block Printing: „Handarbeit ist gesunder als 25 +Maschinenarbeit." Im Ganzen erklären sich die Herrn Fabrikanten mit +Entrüstung gegen den Vorschlag, „die Maschinen wenigstens während der +Mahlzeiten still zu setzen". „Ein Gesetz", sagt Herr Ottley, der manager +einer Tapetenfabrik im Borough (in London), „das Arbeitsstunden von +6 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends erlaubte, würde uns (!) sehr wohl zusa- 30 +gen, aber die Stunden des Factory Act von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr +Abends passen uns (!) nicht ... Unsre Maschine wird während des Mittag- +essens (welche Großmuth) still gesetzt. Das Stillsetzen verursacht keinen +nennenswerthen Verlust an Papier und Farbe." „Aber", fügt er sympathe- +tisch hinzu, „ich kann verstehn, daß der damit verbundne Verlust nicht ge- 35 + +7 2 ) Dieß ist nicht in unsrem Sinn der Surplusarbeitszeit zu nehmen. Diese Herrn betrachten +die lO^stündige Arbeit als Normalarbeitstag, der also auch die normale Mehrarbeit ein- +schließt. Dann beginnt „die Ueberzeit", die etwas besser bezahlt wird. Man wird bei einer +spätren Gelegenheit sehn, daß die Verwendung der Arbeitskraft während des sogenannten +Normaltages unter dem Werthe bezahlt wird, so daß die „Ueberzeit" ein bloßer Kapitalisten- 40 +pfiff ist, um mehr „Mehrarbeit" auszupressen, was es übrigens selbst dann bleibt, wenn die +während des „Normaltages" verwandte Arbeitskraft wirklich voll bezahlt wird. + +222 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +liebt wird." Der Kommissionsbericht meint naiv, die Furcht einiger „lei- +tenden Firmen", Zeit, d. h. Aneignungszeit fremder Arbeit, und dadurch +„Profit zu verlieren", sei kein „hinreichender Grund", um Kinder unter 13 +und junge Personen unter 18 Jahren während 1 2 - 1 6 Stunden ihr Mittags- +5 mahl „verlieren zu lassen", oder es ihnen zuzusetzen, wie man der Dampf- +maschine Kohle und Wasser, der Wolle Seife, dem Rad OeI u. s. w. zu- +setzt, +- während des Produktionsprocesses selbst, als bloßen +Hülfsstoff des Arbeitsmittels 7 3). + +||210| + +Kein Industriezweig in England - (wir sehn von dem erst neuerdings +10 sich Bahn brechenden Maschinenbrod ab) - hat so alterthümliche, j a , wie +man aus den Dichtern der römischen Kaiserzeit ersehn kann, vorchristli- +che Produktionsweise bis heute beibehalten, als die Bäckerei. Aber das Ka- +pital, wie früher bemerkt, ist zunächst gleichgültig gegen den technischen +Charakter des Arbeitsprocesses, dessen es sich bemächtigt. Es nimmt ihn + +15 zunächst, wie es ihn vorfindet. + +Die unglaubliche Brodverfälschung, namentlich in London, wurde zu- +erst enthüllt durch das Komité des Unterhauses „über die Verfälschung +von Nahrungsmitteln" ( 1 8 5 5 - 5 6 ) und Dr. Hassall's Schrift: ,,Adulterations +detected 7 4)". Die Folge dieser Enthüllungen war das Gesetz vom 6. August +20 1860: ,,for preventing the adulteration of articles of food and drink", ein +wirkungsloses Gesetz, da es natürlich die höchste Delikatesse gegen jeden +freetrader beobachtet, der sich vornimmt durch Kauf und Verkauf ge- +fälschter Waaren „to turn an honest penny 7 5)". Das Komité selbst formu- +lirte mehr oder minder naiv seine Ueberzeugung, daß Freihandel wesent- +lieh den Handel mit gefälschten, oder wie der Engländer es witzig nennt, +„sophisticirten Stoffen" bedeute. In der That, diese Art „Sophistik" ver- +steht es besser als Protagoras schwarz aus weiß und weiß aus schwarz zu +machen, und besser als die Eleaten den bloßen Schein alles Realen ad ocu- +los zu demonstriren 7 6). | + +25 + +30 + +|211| Jedenfalls hatte das Komité die Augen des Publikums auf sein + +35 + +7 3 ) Lc Evidence p. 123, 124, 125, 140 u. LXIV. +7 4 ) Alaun, fein gerieben, oder mit Salz gemischt, ist ein normaler Handelsartikel, der den be- +zeichnenden Namen ,,baker's stuff führt. +7 5 ) Ruß ist bekanntlich eine sehr energische Form des Kohlenstoffs und bildet ein Düngmit- +tel, das kapitalistische Schornsteinfeger an englische Pächter verkaufen. Es hatte nun 1862 +der britische ,,Juryman" in einem Proceß zu entscheiden, ob Ruß, welchem ohne Wissen des +Käufers 90 % Staub und Sand beigemischt sind, „wirklicher" Ruß im „kommerciellen" Sinn +oder „gefälschter" Ruß im „gesetzlichen" Sinn sei. Die ,,amis du commerce" entschieden, es +sei „wirklicher" kommercieller Ruß, und wiesen den klagenden Pächter ab, der noch oben- + +40 drein die Proceßkosten zu zahlen hatte. + +7 6 ) Der französische Chemiker Chevallier, in einer Abhandlung über die ,,sophistications" der +Waaren, zählt unter 600 und einigen Artikeln, die er Revue passiren läßt, für viele derselben +10, 20, 30 verschiedne Methoden der Fälschung auf. Er fügt hinzu, er kenne nicht alle Metho- +den und erwähne nicht alle, die er kenne. Für den Zucker giebt er 6 Fälschungsarten, 9 für + +223 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +„tägliches Brod" und damit auf die Bäckerei gelenkt. Gleichzeitig erscholl +in öffentlichen Meetings und Petitionen an das Parlament der Schrei der +Londoner Bäckergesellen über Ueberarbeitung u.s.w. Der Schrei wurde so +dringend, daß Herr H. S. Tremenheere, auch Mitglied der mehrerwähnten +Kommission von 1863, zum königlichen Untersuchungskommissär bestallt +wurde. Sein Bericht 7 7) sammt Zeugenaussagen, regte das Publikum auf, +nicht sein Herz, sondern seinen Magen. Der bibelfeste Engländer wußte +zwar, daß der Mensch, wenn nicht durch Gnadenwahl Kapitalist oder +Landlord oder Sinekurist, dazu berufen ist, sein Brod im Schweiße seines +Angesichts zu essen, aber er wußte nicht, daß er in seinem Brode täglich +ein gewisses Quantum Menschenschweiß essen muß, getränkt mit Eiter- +beulenausleerung, Spinnweb, Schaben-Leichnamen und fauler deutscher +Hefe, abgesehn von Alaun, Sandstein und sonstigen angenehmen minerali- +schen Ingredienzien. Ohne alle Rücksicht auf seine Heiligkeit, den „Free- +trade", wurde daher die anhero „freie" Bäckerei der Aufsicht von Staatsin- +spektoren unterworfen (Ende der Parlamentssitzung 1863) und durch +denselben Parlamentsakt die Arbeitszeit von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Mor- +gens für Bäckergesellen unter 18 Jahren verboten. Die letztre Klausel +spricht Bände über die Ueberarbeitung in diesem uns so altvaterisch anhei- +melnden Geschäftszweig. + +5 + +10 + +15 + +20 + +„Die Arbeit eines Londoner Bäckergesellen beginnt in der Regel um +11 Uhr Nachts. Zu dieser Stunde macht er den Teig, ein sehr mühsamer +Prozeß, der 1J1 bis % Stunden währt, je nach der Größe des Gebäcks und sei- +ner Feinheit. Er legt sich dann nieder auf das Knetbrett, das zugleich als +Deckel des Trogs dient, worin der Teig gemacht wird, und schläft ein paar 25 +Stunden mit einem Mehlsack unter dem Kopf und einem andren Mehlsack +auf dem Leib. Dann beginnt eine rasche und ununterbrochne Arbeit von +5 Stunden, Werfen, Wägen, Formen, in den Ofen schieben, aus dem Ofen +holen u.s.w. des Teiges. Die Temperatur eines Backhauses beträgt von 75 +bis 90 Grad und in den kleinen Backhäusern eher mehr als weniger. Wenn 30 +das Geschäft Brod, Wecken u. s. w. zu machen vollbracht ist, beginnt die +Vertheilung des Brods; und ein beträchtlicher Theil der Taglöhner, nach- +dem ||212| er die beschriebne harte Nachtarbeit vollbracht, trägt während +des Tags das Brod in Körben, oder schiebt es in Karren, von Haus zu Haus +und operirt dazwischen auch manchmal im Backhaus. Je nach der Jahres- +zeit und dem Umfang des Geschäfts endet die Arbeit zwischen 1 und + +35 + +das Olivenöl, 10 für die Butter, 12 für das Salz, 19 für die Milch, 20 für das Brod, 23 für den +Branntwein, 24 für Mehl, 28 für Chokolade, 30 für Wein, 32 für Kaffee etc. Selbst der liebe +Herrgott entgeht diesem Schicksal nicht. Sieh: „Rouard de Card, de la falsification des subs- +tances sacramentelles. Paris 1856". [S. 89-92] +7 7 ) „Report etc. relating to the Grievances complained of by the Journeymen Bakers etc. Lon- +don 1862" und ,,Second Report etc. London 1863". + +40 + +224 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +6 Uhr Nachmittags, während ein andrer Theil der Gesellen bis spät Nach- +mittags im Backhaus beschäftigt i s t 7 8 ) . " „Während der Londoner Saison +beginnen die Gesellen der Bäcker zu ,vollen' Brodpreisen im Westend re- +gelmäßig um 11 Uhr Nachts, und sind mit dem Brodbacken, unterbrochen +5 durch einen oder zwei oft sehr kurze Zwischenräume, bis 8 Uhr des näch- +sten Morgens beschäftigt. Sie werden dann bis 4, 5, 6 ja 7 Uhr zur Brodher- +umträgerei vernutzt oder manchmal mit Biscuitbacken im Backhaus. Nach +vollbrachtem Werk genießen sie einen Schlaf von 6, oft nur von 5 und +4 Stunden. Freitags beginnt die Arbeit stets früher, sage Abends 10 Uhr +10 und dauert ohne Unterlaß, sei es in der Zubereitung, sei es in der Kolporti- +rung des Brods, bis den folgenden Samstag Abend 8 Uhr, aber meist bis 4 +oder 5 Uhr in Sonntag Nacht hinein. Auch in den vornehmen Bäckereien, +die das Brod zum ,vollen Preise' verkaufen, muß wieder 4 bis 5 Stunden +am Sonntag vorbereitende Arbeit für den nächsten Tag verrichtet wer- +15 den ... Die Bäckergesellen der ,underselling masters' (die das Brod unter +dem vollen Preise verkaufen), und diese betragen, wie früher bemerkt, über +% der Londoner Bäcker, haben noch längere Arbeitsstunden, aber ihre Ar- +beit ist fast ganz auf das Backhaus beschränkt, da ihre Meister, die Liefe- +rung an kleine Kramladen ausgenommen, nur in der eignen Boutique ver- +20 kaufen. Gegen Ende der Woche, ... d.h. am Donnerstag, beginnt hier die +Arbeit um 10 Uhr in der Nacht und dauert mit nur geringer Unterbrechung +bis tief in Sonntag Nacht hinein 7 9)." + +Von den ,,underselling masters" begreift selbst der bürgerliche Stand- +punkt: „die unbezahlte Arbeit der Gesellen (the unpaid labour of the men) +25 bildet die Grundlage ihrer Konkurrenz" 8 0). Und der ,,full priced baker" de- +nuncirt seine ,,underselling" Konkurrenten der Untersuchungskommission +als Diebe fremder Arbeit und Fälscher. „Sie reussiren nur durch den Be- +trug des Publikums und dadurch, daß sie 18 Stunden aus ihren Gesellen +für einen Lohn von 12 Stunden herausschlagen 8 1)." | + +30 + +|213| Die Brodfälschung und die Bildung einer Bäckerklasse, die das +Brod unter dem vollen Preis verkauft, entwickelten sich in England seit +Anfang des 18. Jahrhunderts, sobald der Zunftcharakter des Gewerbs ver- +fiel und der Kapitalist in der Gestalt von Müller oder Mehlfaktor hinter +den nominellen Bäckermeister trat 8 2). Damit war die Grundlage zur kapita- + +35 7 8 ) 1. c. First Report etc. p. VI, VII. + +7 9 ) I.e. p.LXXI. +8 0 ) George Read: „The History of Baking. London 1848", p. 16. +8 1 ) Report (First) etc. Evidence. Aussage des „füll priced baker" Cheesman p. 108. +8 2 ) George Read I.e. Ende des 17. und Anfangs des 18. Jahrhunderts wurden die in alle mögli- +40 chen Gewerbe sich eindrängenden Factors (Agenten) noch officiell als „Public Nuisances" de- +nuncirt. So erließ z. B. die Grand Jury, bei der vierteljährigen Friedensrichtersitzung in der +Grafschaft Somerset, ein ,,presentment" an das Unterhaus, worin es u. a. heißt: "that these fac- +tors of Blackwell Hall are a Publick Nuisance and Prejudice to the Clothing Trade and ought +to be put down as a Nuisance." (,,The Case of our English Wool etc. London 1685", p. 7.) + +225 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +listischen Produktion, zur maßlosen Verlängrung des Arbeitstages und +Nachtarbeit gelegt, obgleich letztre selbst in London erst 1824 ernsthaft +Fuß faßte 8 3). + +Man wird nach dem Vorhergehenden verstehn, daß der Kommissionsbe- +richt die Bäckergesellen zu den kurzlebigen Arbeitern zählt, die, nachdem +sie der unter allen Theilen der Arbeiterklasse normalen Kinderdecimation +glücklich entwischt sind, selten das 42. Lebensjahr erreichen. Nichts desto +weniger ist das Bäckergewerbe stets mit Kandidaten überfüllt. Die Zufuhr- +quellen dieser „Arbeitskräfte" für London sind Schottland, die westlichen +Agrikulturdistrikte Englands und - Deutschland. + +5 + +10 + +15 + +In den Jahren 1 8 5 8 - 1 8 6 0 organisirten die Bäckergesellen in Irland auf +ihre eignen Kosten große Meetings zur Agitation gegen die Nacht- und +Sonntagsarbeit. Das Publikum, z.B. auf dem Maimeeting zu Dublin, 1860, +ergriff mit irischer Wärme Partei für sie. Ausschließliche Tagarbeit wurde +durch diese Bewegung in der That erfolgreich durchgesetzt zu Wexford, +Kilkenny, Clonmel, Waterford u. s. w. „Zu Limerick, wo die Qualen der +Lohngesellen bekanntermaßen alles Maß überstiegen, scheiterte diese Be- +wegung an der Opposition der Bäckermeister, namentlich der Bäcker-Mü- +ler. Das Beispiel Limerick's führte zum Rückschritt in Ennis und Tipper- +ary. Zu Cork, wo der öffentliche Unwille sich in der lebhaftesten Form 20 +kundgab, vereitelten die Meister die Bewegung durch den Gebrauch ihrer +Macht die Gesellen an die Luft zu setzen. Zu Dublin leisteten die Meister +den entschiedensten Widerstand und zwangen durch Verfolgung der Ge- +sellen, die an der Spitze der Agitation standen, den Rest zum Nachgeben, +zur Fügung in die Nacht- und Sonntagsarbeit 8 4)." Die Kommission der in 25 +Irland bis an die Zähne ||214| gewaffneten englischen Regierung remon- +strirt leichenbitterlich gegen die unerbittlichen Bäckermeister von Dublin, +Limerick, Cork u.s.w.: „Das Komité glaubt, daß die Arbeitsstunden durch +Naturgesetze beschränkt sind, die nicht ungestraft verletzt werden. Indem +die Meister durch die Drohung sie fortzujagen, ihre Arbeiter zur Verlet- 30 +zung ihrer religiösen Ueberzeugung, zum Ungehorsam gegen das Landes- +gesetz und die Verachtung der öffentlichen Meinung zwingen", (dieß +letztre bezieht sich alles auf die Sonntagsarbeit), „setzen sie böses Blut +zwischen Kapital und Arbeit und geben ein Beispiel, gefährlich für Reli- +gion, Moralität und öffentliche Ordnung ... Das Komité glaubt, daß die 35 +Verlängrung des Arbeitstags über 12 Stunden ein usurpatorischer Eingriff +in das häusliche und Privatleben des Arbeiters ist und zu unheilvollen mo- +ralischen Resultaten führt, durch Einmischung in die Häuslichkeit eines + +8 3 ) First Report etc. p. VIII. +8 4 ) „Report of Committee on the Baking Trade in Ireland for 1861". + +40 + +226 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +Mannes und die Erfüllung seiner Familienpflichten als Sohn, Bruder, +Gatte und Vater. Arbeit über 12 Stunden hat die Tendenz die Gesundheit +des Arbeiters zu untergraben, führt zu vorzeitiger Alterung und frühem +Tod und daher zum Unglück der Arbeiterfamilien, die der Vorsorge und +5 der Stütze des Familienhaupts grade im nothwendigsten Augenblick be- + +raubt werden (,,are deprived") 8 5)·" + +15 + +Wir waren eben in Irland. Auf der andren Seite des Kanals, in Schott- +land, denuncirt der Ackerbauarbeiter, der Mann des Pfluges, seine 13 bis +14stündige Arbeit, im rauhsten Klima, mit vierstündiger Zusatzarbeit für +10 den Sonntag (in diesem Lande der Sabbat-Heiligen!) 8 6), während vor einer +Londoner Grand Jury gleichzeitig drei Eisenbahnarbeiter stehn, ein Perso- +nenkondukteur, ein Lokomotivführer und ein Signalgeber. Ein großes +Eisenbahnunglück hat Hunderte von Passagieren in die andre Welt expe- +dirt. Die Nachlässigkeit der Eis enb ahnarb e it er ist die Ursache des Un-1 +|215|glücks. Sie erklären vor den Geschwornen einstimmig, vor 10 bis +12 Jahren habe ihre Arbeit nur 8 Stunden täglich gedauert. Während der +letzten 5 - 6 Jahre habe man sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt +und bei besonders lebhaftem Zudrang der Reiselustigen, wie in den Perio- +den der Exkursionszüge, währe sie oft ununterbrochen 4 0 - 5 0 Stunden. Sie +20 seien gewöhnliche Menschen und keine Cyklopen. Auf einem gegebnen +Punkt versage ihr Arbeitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn höre auf zu +denken und ihr Auge zu sehn. Der ganz und gar ,,respectable British Jury- +man" antwortet durch ein Verdikt, das sie wegen ,,manslaughter" (Todt- +schlag) vor die Assisen schickt, und in einem milden Anhang den from- +25 men Wunsch äußert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn möchten +doch in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der nöthigen Anzahl von +„Arbeitskräften" und „enthaltsamer" oder „entsagender" oder „sparsamer" +in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft s e i n 8 7 ) . + +30 + +8 5 ) I.e. +8 6 ) Oeffentliches Meeting der Agrikulturarbeiter in Lasswade, bei Glasgow, vom 5. Jan. 1866. +(Sieh ,,Workman's Advocate" vom 13. Jan. 1866.) Die Bildung, seit Ende 1865, einer Trade's +Union unter den Agrikulturarbeitern, zunächst in Schottland, ist ein historisches Ereigniß. In +einem der unterdrücktesten Agrikulturdistrikte Englands, in Buckinghamshire, machten die +Lohnarbeiter März 1867 einen großen Strike zur Erhöhung des Wochenlohns von 9-10 sh. +35 auf 12 sh. - (Man sieht aus Vorstehendem, daß die Bewegung des englischen Ackerbauprole- +tariats, seit Unterdrückung seiner gewaltsamen Demonstrationen nach 1830 und namentlich +seit Einführung des neuen Armengesetzes ganz und gar gebrochen, in den sechsziger Jahren +wieder beginnt, bis sie endlich 1872 epochemachend wird. Ich komme hierauf im II. Band zu- +rück, ebenso auf die seit 1867 erschienenen Blaubücher über die Lage des englischen Landar- + +40 belters. Zusatz zur 3. Aufl.) + +8 7 ) ,,Reynolds's Newspaper" vom 20. Jan. 1866. Woche für Woche bringt dasselbe Wochen- +blatt gleich darauf, unter den ,,sensational headings": ,,Fearful and fatal accidents" ,,Appalling +tragedies" u.s.w., eine ganze Liste neuer Eisenbahnkatastrophen. Darauf antwortet ein Arbei- +ter von der North Staffordlinie: „Jedermann kennt die Folgen, wenn die Aufmerksamkeit von + +227 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von allen Professionen, +Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrängen als die Seelen der Er- +schlagnen auf den Odysseus, und denen man, ohne die Blaubücher unter +ihren Armen, auf den ersten Blick die Ueberarbeit ansieht, greifen wir +noch zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, daß vor dem +Kapital alle Menschen gleich sind, - eine Putzmacherin und einen Grob- +schmied. + +5 + +In den letzten Wochen vom Juni 1863 brachten alle Londoner Tages- +,,sensational" Aushänge112161schild: + +blätter einen Paragraph mit dem +,,Death from simple Overwork" (Tod von einfacher Ueberarbeit). Es han- 10 +delte sich um den Tod der Putzmacherin Mary Anne Walkley, zwanzigjäh- +rig, beschäftigt in einer sehr respektablen Hofputzmanufaktur, exploitirt +von einer Dame mit dem gemüthlichen Namen Elise. Die alte oft erzählte +Geschichte ward nun neu entdeckt 8 8), daß diese Mädchen durchschnittlich +16/4 Stunden, während der Saison aber oft 30 Stunden ununterbrochen ar- 15 +beiten, indem ihre versagende „Arbeitskraft" durch gelegentliche Zufuhr +von Sherry, Portwein oder Kaffee flüssig erhalten wird. Und es war grade +die Höhe der Saison. Es galt die Prachtkleider edler Ladies für den Huldi- +gungsball bei der frisch importirten Prinzessin von Wales im Umsehn fer- +tig zu zaubern. Mary Anne Walkley hatte 26½ Stunden ohne Unterlaß ge- 20 +arbeitet zusammen mit 60 andren Mädchen, je 30 in einem Zimmer, das +kaum Y3 der nöthigen Kubikzolle Luft gewährte, während sie Nachts zwei +zu zwei Ein Bett theilten in einem der Sticklöcher, worin ein Schlafzimmer +durch verschiedne Bretterwände abgepfercht i s t 8 9 ) . Und dieß war eine der + +Lokomotivenführer und Heizer einen Augenblick erlahmt. Und wie ist es anders möglich bei 25 +maßloser Verlängerung der Arbeit, im rauhsten Wetter, ohne Pause und Erholung? Nehmt als +ein Beispiel, wie es täglich vorkommt, folgenden Fall. Letzten Montag begann ein Heizer sehr +früh Morgens sein Tagewerk. Er endete es nach 14 Stunden 50 Minuten. Bevor er auch nur +die Zeit hatte, seinen Thee zu nehmen, rief man ihn von neuem an die Arbeit. Er hatte also +29 Stunden 15 Minuten ununterbrochen durchzuschanzen. Der Rest seines Wochenwerks +aufgemacht wie folgt: Mittwoch 15 Stunden; Donnerstag 15 Stunden 35 Minuten; Freitag +14¾ Stunden; Sonnabend 14 Stunden 10 Minuten; zusammen für die Woche 88 Stunden +30 Minuten. Und nun denkt euch sein Erstaunen, als er nur Zahlung für 6 Arbeitstage erhielt. +Der Mann war ein Neuling und fragte, was man unter einem Tagewerk verstehe. Antwort: +13 Stunden, also 78 Stunden per Woche. Aber wie mit der Zahlung für die überschüssigen 35 +10 Stunden 30 Minuten? Nach langem Hader erhielt er eine Vergütung von 10 d. (noch nicht +10 Silbergroschen)." I.e. Nr. vom 4.Februar, 1866. +8 8 ) Vgl. F. Engels 1. c. p. 253, 254. +8 9 ) Dr.Letheby, beim Board of Health funktionirender Arzt, erklärte damals: „Das Minimum +für die Erwachsnen sollte in einem Schlafzimmer 300 Kubikfuß und in einem Wohnzimmer 40 +500 Kubikfuß Luft sein." Dr. Richardson, Oberarzt eines Londoner Hospitals: „Näherinnen +aller Art, Putzmacherinnen, Kleidermacherinnen und gewöhnliche Näherinnen leiden an +dreifachem Elend - Ueberarbeit, Luftmangel und Mangel an Nahrung oder Mangel an Ver- +dauung. Im Ganzen paßt diese Art Arbeit unter allen Umständen besser für Weiber als für +Männer. Aber es ist das Unheil des Geschäfts, daß es, namentlich in der Hauptstadt, von eini- 45 +gen 26 Kapitalisten monopolisirt wird, die durch Machtmittel, welche dem Kapital entsprin- + +30 + +228 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +besseren Putzmachereien Londons. Mary Anne Walkley erkrankte am + +Freitag und starb am Sonntag, ohne, zum Erstaunen von Frau Elise, auch + +nur vorher das letzte Putzstück fertig zu ||217| machen. Der zu spät ans + +Sterbebett gerufne Arzt, Herr Keys, bezeugte vor der ,,Coroner's Jury" in + +5 dürren Worten: „Mary Anne Walkley sei gestorben an langen Arbeitsstun- + +den in einem überfüllten Arbeitszimmer und überengem, schlechtventilir- + +tem Schlafgemach." Und dem Arzt eine Lektion in guter Lebensart zu ge- + +ben, erklärte dagegen die + +,,Coroner's Jury": „Die Hingeschiedne sei + +gestorben an der Apoplexie, aber es sei Grund, zu fürchten, daß ihr Tod + +10 durch Ueberarbeit in einer überfüllten Werkstatt u.s.w. beschleunigt wor- + +den sei." Unsre „weißen Sklaven", rief der Morning Star, das Organ der + +Freihandelsherrn Cobden und Bright, „unsre weißen Sklaven werden in das + +Grab hineingearbeitet und verderben und sterben ohne Sang und + +K l a n g 9 0 ) " . + +15 + +„Zu Tod arbeiten ist die Tagesordnung, nicht nur in der Werkstätte der + +Putzmacherinnen, sondern in tausend Plätzen, ja an jedem Platz, wo das + +Geschäft im Zug ist . . . Laßt uns den Grobschmied als Beispiel nehmen. + +Wenn man den Dichtern glauben darf, giebt es keinen so lebenskräftigen, + +20 + +gen (that spring from capital), Oekonomie aus der Arbeit herauszwingen (force economy out +of labour; er meint, Auslagen Ökonomisiren durch Verschwendung der Arbeitskraft.) Ihre +Macht wird im Bereich dieser ganzen Klasse von Arbeiterinnen gefühlt. Kann eine Kleider- +macherin einen kleinen Kreis von Kunden gewinnen, so zwingt die Konkurrenz sie, sich zu +Hause todt zu arbeiten, um ihn zu erhalten, und mit derselben Ueberarbeit muß sie nothwen- +dig ihre Gehüliinnen heimsuchen. Mißlingt ihr Geschäft oder kann sie sich nicht selbständig +etabliren, so wendet sie sich an ein Etablissement, wo die Arbeit nicht geringer, aber die Zah- +lung sicher ist. So gestellt wird sie eine reine Sklavin, hin und her geschleudert von jeder FIu- +thung der Gesellschaft; bald zu Hause in einem kleinen Zimmer verhungernd, oder nahe so, +dann wieder von 24 Stunden 15, 16, ja 18 Stunden beschäftigt in kaum erträglicher Luft und +mit einer Nahrung, die, selbst wenn gut, wegen Abwesenheit reiner Luft nicht verdaut werden +30 kann. Von diesen Opfern lebt die Schwindsucht, welche nichts als eine Luftkrankheit ist." + +25 + +35 + +(Dr. Richardson: „Work and Overwork" in „Social Science Review", 18. Juli 1863.) +9 0 ) Morning Star, 23. Juni 1863. Die Times benutzte den Vorfall zur Vertheidigung der ameri- +kanischen Sklavenhalter gegen Bright u.s.w. „Sehr viele von uns", sagt sie, „meinen, daß so +lange wir unsre eignen jungen Frauenzimmer zu Tode arbeiten, mit der Geißel des Hungers +statt dem Knall der Peitsche, wir kaum das Recht haben, Feuer und Schwert auf Familien zu +hetzen, die als Sklavenhalter geboren waren und ihre Sklaven mindestens gut nähren und mä- +ßig arbeiten lassen." (Times, Juli 2, 1863.) In derselben Weise kanzelte der Standard, ein To- +ryblatt, den Rev. Newman Hall ab: „Er exkommunicire die Sklavenhalter, bete aber mit den +braven Leuten, die Kutscher und Omnibusführer von London u.s.w. nur 16 Stunden täglich +für einen Hundelohn arbeiten ließen." Endlich sprach das Orakel, Herr Thomas Carlyle, von +dem ich schon 1850 drucken ließ: „Zum Teufel ist der Genius, der Kultus ist geblieben." In +einer kurzen Parabel reducirt er das einzig großartige Ereigniß der Zeitgeschichte, den ameri- +kanischen Bürgerkrieg, darauf, daß der Peter vom Norden dem Paul vom Süden mit aller Ge- +walt den Hirnschädel einschlagen will, weil der Peter vom Norden seinen Arbeiter „täglich" +45 und der Paul vom Süden ihn für „Lebzeit miethet". (Macmillan's Magazine. Ilias Americana +in nuce. Augustheft 1863.) So ist endlich die Schaumblase der Torysympathie für den städti- +schen, bei Leibe nicht den ländlichen! - Lohnarbeiter geplatzt. Der Kern heißt - Sklaverei! + +40 + +229 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +lustigen Mann als den Grobschmied. Er erhebt sich früh und schlägt Fun- +ken vor der Sonne; er ißt und trinkt und schläft wie kein anderer Mensch. +Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mäßiger Arbeit, in der That +in einer der besten menschlichen Stellungen. Aber wir folgen ihm in die +Stadt und sehn die Arbeitslast, die auf den starken Mann gewälzt wird, und +welchen Rang nimmt er ein in den Sterblichkeitslisten unsres Landes? In +Marylebone (einem der größten Stadtviertel Londons) sterben Grob- +schmiede in dem Ver||218|hältniß von 31 per 1000 jährlich, oder 11 über +der Durchschnittssterblichkeit erwachsner Männer in England. Die Be- +schäftigung, eine fast instinktive Kunst der Menschheit, an und für sich ta- +dellos, wird durch bloße Uebertreibung der Arbeit der Zerstörer des Man- +nes. Er kann so viel Hammerschläge täglich schlagen, so viel Schritte gehn, +so viel Athemzüge holen, so viel Werk verrichten, und durchschnittlich +sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn, so viel mehr Schläge zu schlagen, so +viel mehr Schritte zu gehn, so viel öfter des Tags zu athmen, und alles zu- +sammen seine Lebensausgabe täglich um ein Viertel zu vermehren. Er +macht den Versuch, und das Resultat ist, daß er für eine beschränkte Pe- +riode ein Viertel mehr Werk verrichtet und im 37. Jahre statt im 50. +stirbt 9 1)." + +4. Tag- und Nachtarbeit. Das Ablösungssystem. + +Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt des +Verwerthungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit und mit jedem Trop- +fen Arbeit ein proportionelles Quantum Mehrarbeit einzusaugen. So weit +sie das nicht thun, bildet ihre bloße Existenz einen negativen Verlust für +den Kapitalisten, denn sie repräsentiren während der Zeit, wo sie brach lie- +gen, nutzlosen Kapitalvorschuß, und dieser Verlust wird positiv, sobald die +Unterbrechung zusätzliche Auslagen nöthig macht für den Wiederbeginn +des Werks. Die Verlängrung des Arbeitstags über die Grenzen des natürli- +chen Tags in die Nacht hinein wirkt nur als Palliativ, stillt nur annähernd +den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut. Arbeit während aller +24 Stunden des Tags anzueignen, ist daher der immanente Trieb der kapi- +talistischen Produktion. Da dieß aber physisch unmöglich, würden diesel- +ben Arbeitskräfte Tag und Nacht fortwährend ausgesaugt, so bedarf es, zur +Ueberwindung des physischen Hindernisses, der Abwechslung zwischen +den bei Tag und Nacht verspeisten Arbeitskräften, eine Abwechslung, die +verschiedne Methoden zuläßt, z.B. so geordnet sein kann, daß ein Theil +des Arbeiterpersonals eine Woche Tagdienst, Nachtdienst die andre Wo- + +9 1 ) Dr. Richardson 1. c. + +230 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +che versieht u. s. w. Man weiß, daß dies Ablösungssystem, diese Wechsel- + +wirtschaft, in der vollblütigen Jugendperiode der englischen Baumwollin- + +dustrie u.s.w. vorherrschte, und u.a. gegenwärtig in den Baumwollspinne- + +reien des Gouvernements Moskau blüht. Als System existirt dieser + +5 24stündige Produktions11219|proceß heute noch in vielen bis jetzt „freien" + +Industriezweigen Großbritanniens, u. a. in den Hochöfen, Schmieden, + +Walzwerken und andren Metallmanufakturen von England, Wales und + +Schottland. Der Arbeitsproceß umfaßt hier außer den 24 Stunden der + +6 Werkeltage großentheils auch die 24 Stunden des Sonntags. Die Arbeiter + +10 bestehen aus Männern und Weibern, Erwachsnen und Kindern beiderlei + +Geschlechts. Das Alter der Kinder und jungen Personen durchläuft alle + +Zwischenstufen vom 8. (in einigen Fällen vom 6.) bis zum 18. J a h r 9 2 ) . In ei- + +nigen Branchen arbeiten auch die Mädchen und Weiber des Nachts zu- + +sammen mit dem männlichen Personal 9 3). + +15 + +Von den allgemeinen schädlichen Wirkungen der Nachtarbeit abge- + +s e h n 9 4 ) , bietet die ununterbrochne, vierundzwanzigstündige Dauer des + +Produktionsprocesses höchst willkommne Gelegenheit, ||220| die Grenze + +des nominellen Arbeitstags zu überschreiten. Z . B . in den vorhin erwähn- + +20 + +9 2 ) ,,Children's Employment Commission". Third Report. Lond. 1864, p. IV, V, VI, VII. +9 3 ) "Both in Staffordshire and in South Wales young girls and women are employed on the pit +banks and on the coke heaps, not only by day, but also by night. This practice has been often +noticed in Reports presented to Parliament, as being attended with great and notorious evils. +These females, employed with the men, hardly distinguished from them in their dress, and be- +grimed with dirt and smoke, are exposed to the deterioration of character arising from the loss +25 of self-respect which can hardly fail to follow from their unfeminine occupation." 1. c. 194, + +p. XXVI. Vgl. Fourth Report (1865) 61, p. XIII. Ebenso in Glasfabriken. +9 4 ) „Es scheint natürlich", bemerkte ein Stahlfabrikant, der Kinder zur Nachtarbeit verwen- +det, „daß die Jungen, die Nachts arbeiten, bei Tag nicht schlafen und keine ordentliche Ruhe +finden können, sondern rastlos am nächsten Tag herumlaufen." I.e. Fourth Rep. 63, p.XIII. +30 Ueber die Wichtigkeit des Sonnenlichts zur Erhaltung und Entwicklung des Körpers bemerkt +ein Arzt u.a.: „Licht wirkt auch direkt auf die Gewebe des Leibes, denen es Härte und Elasti- +cität giebt. Die Muskeln von Thieren, denen man das normale Quantum Licht vorenthält, +werden schwammig und unelastisch, die Nervenkraft verliert ihren Ton durch Mangel an Sti- +mulirung, und die Ausarbeitung von allem, was im Wachsthum begriffen ist, wird verküm- +35 mert... Im Fall von Kindern ist beständiger Zutritt von reichlichem Tageslicht und der direk- +ten Sonnenstrahlen während eines Theils des Tags durchaus wesentlich für die Gesundheit. +Licht hilft die Speisen zu gutem plastischen Blut verarbeiten und härtet die Fiber, nachdem +sie gebildet ist. Es wirkt ebenso als Reizmittel auf die Sehorgane und ruft hierdurch größere +Thätigkeit in verschiednen Hirnfunktionen hervor." Herr W. Strange, Oberarzt des Worcester +40 „General Hospital", aus dessen Schrift über „Gesundheit" (1864) diese Stelle entlehnt ist, +schreibt in einem Brief an einen der Untersuchungskommissäre, Herrn White: „Ich habe frü- +her in Lancashire Gelegenheit gehabt, die Wirkungen der Nachtarbeit auf Fabrikkinder zu +beobachten, und im Widerspruch zu der beliebten Versicherung einiger Arbeitsgeber erkläre +ich mit Entschiedenheit, daß die Gesundheit der Kinder bald davon litt." (I.e. 284. p.55.) Daß +solche Dinge überhaupt den Gegenstand ernsthafter Kontroversen bilden, zeigt am besten, +wie die kapitalistische Produktion auf die „Gehirnfunktionen" der Kapitalisten und ihrer re- +tainers wirkt. + +45 + +231 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +ten, sehr anstrengenden Industriezweigen beträgt der officielle Arbeitstag +für jeden Arbeiter meist 12 Stunden, Nachtstunden oder Tagstunden. Aber +die Ueberarbeit über diese Grenze hinaus ist in vielen Fällen, um die +Worte des englischen officiellen Berichts zu brauchen, „wirklich schauder- +haft" (,,truly fearful") 9 5)- „Kein menschliches Gemüth", heißt es, „kann die +Arbeitsmasse, die nach den Zeugenaussagen durch Knaben von 9 bis +12 Jahren verrichtet wird, überdenken, ohne unwiderstehlich zum Schluß +zu kommen, daß dieser Machtmißbrauch der Eltern und Arbeitgeber nicht +länger erlaubt werden darf 9 6)." + +5 + +„Die Methode, Knaben überhaupt abwechselnd Tag und Nacht arbeiten 10 + +zu lassen, führt, sowohl während des Geschäftsdranges als während des ge- +wöhnlichen Verlaufs der Dinge, zu schmählicher Verlängrung des Arbeits- +tags. Diese Verlängrung ist in vielen Fällen nicht nur grausam, sondern +gradezu unglaublich. Es kann nicht fehlen, daß aus einer oder der andren +Ursache ein Ablösungsknabe hier und da wegbleibt. Einer oder mehrere 15 +der anwesenden Knaben, die ihren Arbeitstag bereits vollbracht, müssen +dann den Ausfall gut machen. Dieß System ist so allgemein bekannt, daß +der manager eines Walzwerks auf meine Frage, wie die Stelle der abwesen- +den Ersatzknaben ausgefüllt würde, antwortete: Ich weiß wohl, daß Sie das +eben so gut wissen als ich, und er nahm keinen Anstand, die Thatsache zu 20 +gestehn 9 7)." + +„In einem Walzwerke, wo der nominelle Arbeitstag von 6 Uhr Morgens +bis 5½ Uhr Abends dauerte, arbeitete ein Junge 4 Nächte jede Woche bis +mindestens 8½ Uhr Abends des nächsten Tags ... und dieß während 6 Mo- +naten." „Ein Andrer arbeitete im Alter von 9 Jahren manchmal drei zwölf- 25 +stündige Arbeitsschichten nach einander und im Alter von 10 Jahren zwei +Tage und zwei Nächte nach einander." „Ein Dritter, jetzt 10 Jahre, arbei- +tete von Morgens 6 Uhr bis 12 Uhr in die Nacht drei Nächte durch und bis +9 Uhr Abends während der andren Nächte." „Ein Vierter, jetzt 13 Jahre, ar- +beitete von 6 Uhr Nachmittags bis den andren Tag 12 Uhr Mittags während 30 +einer ganzen Woche, und manchmal drei Schichten nach einander, z.B. +von Montag Morgen bis Dienstag Nacht." „Ein Fünfter, jetzt 12 Jahre, ar- +beitete in einer Eisengießerei zu ||221| Stavely von 6 Uhr Morgens bis +12 Uhr Nachts während 14 Tagen, ist unfähig, es länger zu thun." „George +Allinsworth, neunjährig: Ich kam hierhin letzten Freitag. Nächsten Tag 35 +hatten wir um 3 Uhr Morgens anzufangen. Ich blieb daher die ganze Nacht +hier. Wohne 5 Meilen von hier. Schlief auf der Flur mit einem Schurzfell +unter mir und einer kleinen Jacke über mir. Die zwei andren Tage war ich + +9 5 ) Lc 57, p.XII. +9 6 ) I.e. (4th Rep. 1865) 58, p.XII. +9 7 ) I.e. + +232 + +40 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +hier um 6 Uhr Morgens. J a ! dieß ist ein heißer Platz! Bevor ich herkam, ar- +beitete ich ebenfalls während eines ganzen Jahres in einem Hochofen. Es +war ein sehr großes Werk auf dem Lande. Begann auch Samstags Morgens +um 3 Uhr, aber ich konnte wenigstens nach Hause schlafen gehn, weil es +nah war. An andren Tagen fing ich 6 Uhr Morgens an und endete 6 oder +7 Uhr Abends" u . s . w . 9 8 ) . | + +|222| Laßt uns nun hören, wie das Kapital selbst dieß Vierundzwanzig- +Stundensystem auffaßt. Die Uebertreibungen des Systems, seinen Miß- + +9 8 ) 1. c. p. XIII. Die Bildungsstufe dieser „Arbeitskräfte" muß natürlich so sein, wie sie in fol- +genden Dialogen mit einem der Untersuchungskommissäre erscheint! „Jeremias Haynes, +12 Jahre alt: ... Viermal vier ist acht, aber vier Vierer (4 fours) sind 16 ... Ein König ist ihm, +der alles Geld und Gold hat. (A king is him that has all the money and gold.) Wir haben einen +König, man sagt, er ist eine Königin, sie nennen sie Prinzessin Alexandra. Man sagt, sie hei- +rathete der Königin Sohn. Eine Prinzessin ist ein Mann." Wm. Turner, zwölfjährig: „Lebe +nicht in England. Denke, es gibt solch ein Land, wußte nichts davon zuvor." John Morris, +vierzehnjährig: „Habe sagen hören, daß Gott die Welt gemacht und daß alles Volk ersoff, au- +ßer einem; habe gehört, daß der eine ein kleiner Vogel war." William Smith, fünfzehnjährig: +„Gott machte den Mann; der Mann machte das Weib." Edward Taylor, fünfzehnjährig: „Weiß +nichts von London." Henry Matthewman, siebzehnjährig: „Geh' manchmal in die Kirche ... +Ein Name, worüber sie predigen, war ein gewisser Jesus Christ, aber ich kann keine andren +Namen nennen, und ich kann auch nichts über ihn sagen. Er wurde nicht gemordet, sondern +starb wie andre Leute. Er war nicht so wie andre Leute in gewisser Art, weil er religiös war in +gewisser Art, und andre ist es nicht." ("He was not the same as other people in some ways, be- +cause he was religious in some ways, and others isn't.") (I.e. 74, p.XV.) „Der Teufel ist eine +gute Person. Ich weiß nicht, wo er lebt. Christus war ein schlechter Kerl." ("The devil is a good +person. I don't know where he lives." "Christ was a wicked man.") „Dieß Mädchen (10 Jahre) +buchstabirt God Dog und kannte den Namen der Königin nicht." (Ch. Empi. Comm. V. Rep. +1866, p. 55, η. 278.) Dasselbe System, das in den erwähnten Metallmanufakturen, herrscht in +den Glas- und Papierfabriken. In den Papierfabriken, wo das Papier mit Maschinen gemacht +wird, ist Nachtarbeit die Regel für alle Processe außer dem der Lumpensortirung. In einigen +Fällen wird die Nachtarbeit, vermittelst Ablösungen, unaufhörlich die ganze Woche durch +fortgesetzt, gewöhnlich von Sonntag Nacht bis 12 Uhr Nacht des folgenden Samstags. Die +Mannschaft, die sich an der Tagesreihe befindet, arbeitet 5 Tage von 12 und einen von +18 Stunden, und die der Nachtreihe 5 Nächte von 12 Stunden und eine von 6 Stunden, in je- +der Woche. In andren Fällen arbeitet jede Reihe 24 Stunden die eine nach der andren, an +Wechseltagen. Eine Reihe arbeitet 6 Stunden am Montag und 18 am Samstag, um 24 Stun- +den vollzumachen. In andren Fällen ist ein Zwischensystem eingeführt, worin alle an der Pa- +piermacher-Maschinerie Angestellten jeden Tag in der Woche 15-16 Stunden arbeiten. Dieß +System, sagt Untersuchungskommissär Lord, scheint alle Uebel der Zwölfstunden- und Vier- +undzwanzigstunden-Ablösung zu vereinigen. Kinder unter 13 Jahren, junge Personen unter +18 Jahren und Weiber arbeiten unter diesem Nachtsystem. Manchmal, in dem Zwölfstunden- +system, mußten sie, wegen Ausbleibens der Ablöser, die doppelte Reihe von 24 Stunden ar : +beiten. Zeugenaussagen beweisen, daß Knaben und Mädchen sehr oft Ueberzeit arbeiten, die +sich nicht selten zu 24, ja 36 Stunden ununterbrochner Arbeit ausdehnt. In dem „kontinuirli- +chen und unveränderlichen" Proceß der Glassirräume findet man Mädchen von 12 Jahren, +die den ganzen Monat durch täglich 14 Stunden arbeiten, „ohne irgend eine regelmäßige Er- +holung oder Unterbrechung außer zwei, höchstens drei halbstündigen Ausfällen für Mahlzei- +ten". In einigen Fabriken, wo man die reguläre Nachtarbeit ganz aufgegeben, weil entsetzlich +viel Ueberzeit gearbeitet und „dieß häufig in den schmutzigsten, heißesten und monotonsten +Processen". (,,Children's Employment Commission. Report IV, 1865", p. XXXVIII and +XXXIX.) + +233 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +brauch zur „grausamen und unglaublichen" Verlängrung des Arbeitstags, +übergeht es natürlich mit Stillschweigen. Es spricht nur von dem System in +seiner „normalen" Form. + +5 + +„Die Herren Naylor und Vickers, Stahlfabrikanten, die zwischen 600 und +700 Personen anwenden, und darunter nur 10 % unter 18 Jahren, und hier- +von wieder nur 20 Knaben zum Nachtpersonal, äußern sich wie folgt: ,Die +Knaben leiden durchaus nicht von der Hitze. Die Temperatur ist wahr- +scheinlich 86° bis 90° .... In den Schmiede- und Walzwerken arbeiten die +Hände Tag und Nacht ablösungsweise, aber dahingegen ist auch alles and- +re Werk Tagwerk, von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends. In der Schmiede 10 +wird von 12 Uhr bis 12 Uhr gearbeitet. Einige Hände arbeiten fortwährend +des Nachts ohne Wechsel zwischen Tag- und Nachtzeit .... Wir finden +nicht, daß Tag- oder Nachtarbeit irgend einen Unterschied in der Gesund- +heit (der Herren Naylor und Vickers?) macht, und wahrscheinlich schlafen +Leute besser, wenn sie dieselbe Ruheperiode genießen, als wenn sie wech- 15 +seit .... Ungefähr zwanzig Knaben unter 18 Jahren arbeiten mit der Nacht- +mannschaft .... Wir könnten's nicht recht thun (not well do), ohne die +Nachtarbeit von Jungen unter 18 Jahren. Unser Einwurf ist - die Vermeh- +rung der Produktionskosten. Geschickte Hände und Häupter von Departe- +ments sind schwer zu haben, aber Jungens kriegt man, so viel man will .... 20 +Natürlich, in Anbetracht der geringen Proportion von Jungen, die wir ver- +wenden, wären Beschränkungen der Nachtarbeit von wenig Wichtigkeit +oder Interesse für uns' 9 9)." | + +|223| Herr J. Ellis, von der Firma der Herren John Brown et Co., Stahl- +und Eisenwerke, die 3000 Männer und Jungen anwenden, und zwar für 25 +Theil der schweren Stahl- und Eisenarbeit „Tag und Nacht, in Ablösun- +gen", erklärt, daß in den schweren Stahlwerken ein oder zwei Jungen auf +zwei Männer kommen. Ihr Geschäft zählt 500 Jungen unter 18 Jahren und +davon ungefähr +oder 170, unter 13 Jahren. Mit Bezug auf die vorge- +schlagne Gesetzänderung meint Herr Ellis: „Ich glaube nicht, daß es sehr 30 +tadelhaft (very objectionable) wäre, keine Person unter 18 Jahren über +12 Stunden aus den 24 arbeiten zu lassen. Aber ich glaube nicht, daß man +irgend eine Linie ziehen kann für die Entbehrlichkeit von Jungen über +12 Jahren für die Nachtarbeit. Wir würden sogar eher ein Gesetz anneh- +men, überhaupt keine Jungen unter 13 Jahren oder selbst unter 15 Jahren 35 +zu verwenden, als ein Verbot die Jungen, die wir einmal haben, während +der Nacht zu brauchen. Die Jungen, die in der Tagesreihe, müssen wech- +selweis auch in der Nachtreihe arbeiten, weil die Männer nicht unaufhör- +lich Nachtarbeit verrichten können; es würde ihre Gesundheit ruiniren. + +") Fourth Report etc. 1865, 79, p. XVI. + +40 + +234 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +Wir glauben jedoch, daß Nachtarbeit, wenn die Woche dafür wechselt, kei- +nen Schaden thut. (Die Herren Naylor und Vickers glaubten, übereinstim- +mend mit dem Besten ihres Geschäfts, umgekehrt, daß statt der fortwäh- +renden, grade die periodisch wechselnde Nachtarbeit möglicher Weise +5 Schaden anrichtet.) Wir finden die Leute, die die alternirende Nachtarbeit +verrichten, grade so gesund als die, die nur am Tage arbeiten .... Unsre +Einwürfe gegen die Nichtanwendung von Jungen unter 18 Jahren zur +Nachtarbeit würden gemacht werden von wegen Vermehrung der Auslage, +aber dieß ist auch der einzige Grund. (Wie cynisch naiv!) Wir glauben, daß +10 diese Vermehrung größer wäre, als das Geschäft (the trade) mit schuldiger +Rücksicht auf seine erfolgreiche Ausführung billiger Weise tragen könnte. +(As the trade with due regard to etc. could fairly bear! Welche breimäulige +Phraseologie!) Arbeit ist hier rar und könnte unzureichend werden unter +einer solchen Regulation" (d. h. Ellis, Brown et Co. könnten in die fatale +15 Verlegenheit kommen, den Werth der Arbeitskraft voll zahlen zu müs- + +s e n ) 1 0 0 ) . + +Die „Cyklops Stahl- und Eisenwerke" der Herren Cammell et Co. werden +auf derselben großen Stufenleiter ausgeführt, wie die des besagten John +Brown et Co. Der geschäftsführende Direktor hatte ||224| dem Regierungs- +20 kommissär White seine Zeugenaussage schriftlich eingehändigt, fand es +aber später passend, das zur Revision ihm wieder zurückgestellte Manu- +skript zu unterschlagen. Jedoch Herr White hat ein nachhaltig Gedächtniß. +Er erinnert sich ganz genau, daß für diese Herrn Cyklopen das Verbot der +Nachtarbeit von Kindern und jungen Personen „ein Ding der Unmöglich- +25 keit; es wäre dasselbe, als setzte man ihre Werke still", und dennoch zählt +ihr Geschäft wenig mehr als 6 % Jungen unter 18 und nur 1 % unter 13 Jah- +ren 1 0 1)! + +Ueber denselben Gegenstand erklärt Herr E.F.Sanderson, von der Firma +Sanderson, Bros, et Co., Stahl-Walz- und Schmiedewerke, in Attercliffe: +30 „Große Schwierigkeiten würden entspringen aus dem Verbot, Jungen unter +18 Jahren des Nachts arbeiten zu lassen, die Hauptschwierigkeit aus der +Vermehrung der Kosten, welche ein Ersatz der Knabenarbeit durch Män- +nerarbeit nothwendig nach sich zöge. Wie viel das betragen würde, kann +ich nicht sagen, aber wahrscheinlich wäre es nicht so viel, daß der Fabri- +35 kant den Stahlpreis erhöhen könnte, und folglich fiele der Verlust auf ihn, +da die Männer (welch querköpfig Volk!) natürlich weigern würden, ihn zu +tragen." Herr Sanderson weiß nicht, wie viel er den Kindern zahlt, aber +„vielleicht beträgt es 4 bis 5 sh. per Kopf die Woche .... Die Knabenarbeit +ist von einer Art, wofür im Allgemeinen (,,generally", natürlich nicht im- + +40 + +1 0°) I.e. 80, p.XVI, XVII. +1 0 1 ) 1. c. 82, p.XVII. + +235 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +10 + +mer „im Besondern") die Kraft der Jungen grade ausreicht, und folglich +würde kein Gewinn aus der größren Kraft der Männer fließen, um den Ver- +lust zu kompensiren, oder doch nur in den wenigen Fällen, wo das Metall +sehr schwer ist. Die Männer würden es auch minder lieben, keine Knaben +unter sich zu haben, da Männer minder gehorsam sind. Außerdem müssen +die Jungen jung anfangen, um das Geschäft zu lernen. Die Beschränkung +der Jungen auf bloße Tagarbeit würde diesen Zweck nicht erfüllen." Und +warum nicht? Warum können Jungen ihr Handwerk nicht bei Tag lernen? +Deinen Grund? „Weil dadurch die Männer, die in Wechselwochen bald +den Tag, bald die Nacht arbeiten, von den Jungen ihrer Reihe während +derselben Zeit getrennt, halb den Profit verlieren würden, den sie aus +ihnen herausschlagen. Die Anleitung, die sie den Jungen geben, wird näm- +lich als Theil des Arbeitslohnes dieser Jungen berechnet und befähigt die +Männer daher, die Jungenarbeit wohlfeiler zu bekommen. Jeder Mann +würde ||225| seinen halben Profit verlieren." (In andren Worten, die Herren 15 +Sanderson müßten einen Theil des Arbeitslohnes der erwachsnen Männer +aus eigner Tasche statt mit der Nachtarbeit der Jungen zahlen. Der Profit +der Herren Sanderson würde bei dieser Gelegenheit etwas fallen, und dieß +ist der Sanderson'sche gute Grund, warum Jungen ihr Handwerk nicht bei +Tag lernen können 1 0 2).) Außerdem würde dieß reguläre Nachtarbeit auf die 20 +Männer werfen, die nun von den Jungen abgelöst werden, und sie würden +das nicht aushalten. Kurz und gut, die Schwierigkeiten wären so groß, daß +sie wahrscheinlich zur gänzlichen Unterdrückung der Nachtarbeit führen +würden. „Was die Produktion von Stahl selbst angeht", sagt E. F. Sander- +son, „würde es nicht den geringsten Unterschied machen, aber!" Aber die 25 +Herren Sanderson haben mehr zu thun als Stahl zu machen. Die Stahlma- +cherei ist bloßer Vorwand der Plusmacherei. Die Schmelzöfen, Walzwerke +u.s.w., die Baulichkeiten, die Maschinerie, das Eisen, die Kohle u.s.w. ha- +ben mehr zu thun als sich in Stahl zu verwandeln. Sie sind da, um Mehrar- +beit einzusaugen, und saugen natürlich mehr in 24 Stunden als in 12. Sie 30 +geben in der That von Gottes und Rechtswegen den Sandersons eine An- +weisung auf die Arbeitszeit einer gewissen Anzahl von Händen für volle +24 Stunden des Tags und verlieren ihren Kapitalcharakter, sind daher für +die Sandersons reiner Verlust, sobald ihre Funktion der Arbeitseinsaugung +unterbrochen wird. „Aber dann wäre da der Verlust an so viel kostspieliger 35 +Maschinerie, welche die halbe Zeit brach läge, und für eine solche Produk- +tenmasse, wie wir fähig sind, sie bei dem gegenwärtigen System zu leisten, + +1 0 2 ) „In unsrer reflexionsreichen und raisonnirenden Zeit muß es Einer noch nicht weit ge- +bracht haben, der nicht für Alles, auch das Schlechteste und Verkehrteste, einen guten Grund +anzugeben weiß. Alles, was in der Welt verdorben worden ist, das ist aus guten Gründen ver- 40 +dorben worden." (Hegel I.e. p.249.) + +236 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +müßten wir Räumlichkeiten und Maschinenwerke verdoppeln, was die + +Auslage verdoppeln würde." Aber warum beanspruchen grade diese San- + +dersons ein Privilegium vor den andren Kapitalisten, die nur bei Tag arbei- + +ten lassen dürfen und deren Baulichkeiten, Maschinerie, Rohmaterial da- + +5 her bei Nacht „brach" liegen? „Es ist wahr", antwortet E. F. Sanderson im + +Namen aller Sandersons, „es ist wahr, daß dieser Verlust von brachliegen- + +der Maschinerie alle Manufakturen trifft, worin nur bei Tag gearbeitet + +wird. Aber der Gebrauch der Schmelzöfen würde in unsrem Fall einen E x - + +traverlust verursachen. Hält man sie im ||226| Gang, so wird Brennmaterial + +10 verwüstet (statt daß jetzt das Lebensmaterial der Arbeiter verwüstet wird), + +und hält man sie nicht im Gang, so setzt das Zeitverlust im Wiederanlegen + +des Feuers und zur Gewinnung des nöthigen Hitzegrads (während der Ver- + +lust, selbst Achtjähriger, an Schlafzeit Gewinn von Arbeitszeit für die San- + +dersonsippe) und die Oefen selbst würden vom Temperaturwechsel leiden" + +15 + +(während doch dieselbigen Oefen nichts leiden vom Tag- und Nachtwech- + +sel der A r b e i t ) 1 0 3 ) . + +25 + +1 0 3 ) 1. c. 85. Auf ähnliches zartes Bedenken des Herrn Glasfabrikanten, daß „regelmäßige +Mahlzeiten" der Kinder „unmöglich" sind, weil dadurch ein bestimmtes „Quantum Hitze", +das die Oefen ausstrahlen, „reiner Verlust" wäre oder „verwüstet" würde, antwortet Untersu- +20 chungskommissär White, durchaus nicht gleich Ure, Senior etc. und ihren schmalen deut- +schen Nachkläffern, wie Roscher etc., gerührt von der „Enthaltsamkeit", „Entsagung" und +„Sparsamkeit" der Kapitalisten in Verausgabung ihres Geldes und ihrer Timur-Tamerlan- +schen „Verschwendung" von Menschenleben: „Ein gewisses Quantum Hitze mag über das jet- +zige Maß hinaus verwüstet werden, in Folge von Sicherung regulärer Mahlzeiten, aber selbst +in Geldwerth ist es nichts verglichen mit der Verwüstung von Lebenskraft (,,the waste of ani- +mal power"), die jetzt dem Königreich daraus erwächst, daß in den Glashütten beschäftigte +und im Wachstum begriffene Kinder nicht einmal die Muße finden, ihre Speisen bequem +einzunehmen und zu verdauen." (I.e. p.XLV.) Und das im „Fortschrittsjahr" 1865! Abgesehn +von der Kraftausgabe im Heben und Tragen, marschirt ein solches Kind in den Hütten, die +30 Flaschen und Flintglas machen, während der kontinuirlichen Verrichtung seiner Arbeit, 15 +bis 20 (englische) Meilen in 6 Stunden! Und die Arbeit dauert oft 14 bis 15 Stunden! In vie- +len dieser Glashütten herrscht, wie in den Spinnereien von Moskau, das System sechsstündi- +ger Ablösungen. „Während der Arbeitszeit der Woche sind sechs Stunden die äußerste unun- +terbrochene Rastperiode, und davon geht ab die Zeit zur und von der Fabrik zu gehn, +35 Waschen, Kleiden, Speisen, was alles Zeit kostet. So bleibt in der That nur die kürzeste Ruhe- +zeit. Keine Zeit für Spiel und frische Luft, außer auf Kosten des Schlafs, so unentbehrlich für +Kinder, die in solch heißer Atmosphäre solch anstrengendes Werk verrichten .... Selbst der +kurze Schlaf ist dadurch unterbrochen, daß das Kind sich selbst wecken muß bei Nacht, oder +bei Tag vom Außenlärm geweckt wird." Herr White giebt Fälle, wo ein Junge 36 Stunden +40 nach einander arbeitete; andre, wo Knaben von 12 Jahren bis 2 Uhr Nachts schanzen und +dann in der Hütte schlafen bis 5 Uhr Morgens (3 Stunden!), um das Tagwerk von neuem zu +beginnen! „Die Masse Arbeit", sagen die Redacteure des allgemeinen Berichts, Tremenheere +und Tufnell, „die Knaben, Mädchen und Weiber im Lauf ihres täglichen oder nächtlichen Ar- +beitsbanns („spell of labour") verrichten, ist fabelhaft." (1. c. XLIII und XLIV.) Unterdeß +45 wankt vielleicht eines Abends späte das „entsagungsvolle" Glaskapital, portweinduslig, aus +dem Klub nach Haus, idiotisch vor sich hersummend: "Britons never, never, shall be +slaves!" + +237 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5. Der Kampf um den Normalarbeitstag. +Zwangsgesetze zur Verlängerung des Arbeitstags +von der Mitte des 14. bis zu Ende des 17. Jahrhunderts. + +5 + +„Was ist ein Arbeitstag?" Wie groß ist die Zeit, während deren das Kapital +die Arbeitskraft, deren Tageswerth es zahlt, konsumiren darf? Wie weit +kann der Arbeitstag verlängert werden über die zur Reproduktion der Ar- +beitskraft selbst nothwendige Arbeitszeit? Auf diese Fragen, man hat es ge- +sehn, antwortet ||227| das Kapital: der Arbeitstag zählt täglich volle +24 Stunden nach Abzug der wenigen Ruhestunden, ohne welche die Ar- +beitskraft ihren erneuerten Dienst absolut versagt. Es versteht sich zu- 10 +nächst von selbst, daß der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch nichts +ist außer Arbeitskraft, daß daher alle seine disponible Zeit von Natur und +Rechts wegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwerthung des Kapitals ange- +hört. Zeit zu menschlicher Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur Erfül- +lung socialer Funktionen, zu geselligem Verkehr, zum freien Spiel der phy- 15 +sischen und geistigen Lebenskräfte, selbst die Feierzeit des Sonntags - +und wäre es im Lande der Sabbathheiligen 1 0 4) - reiner Firlefanz! Aber in +seinem maßlos blinden Trieb, seinem Wehrwolfs-Heißhunger nach Mehr- +arbeit, überrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die +reinphysischen Maximalschranken des Arbeitstags. Es usurpirt die Zeit für 20 +Wachsthum, Entwicklung und gesunde Erhaltung des Körpers. Es raubt +die Zeit, erheischt zum Verzehr von freier Luft und Sonnenlicht. Es knik- +kert ab an der Mahlzeit und einverleibt sie womöglich dem Produktions- +proceß selbst, so daß dem Arbeiter als bloßem Produktionsmittel Speisen +zugesetzt werden, wie dem Dampfkessel Kohle und der Maschinerie Talg 25 +oder Oel. Den gesunden Schlaf zur Sammlung, Erneurung und Erfrischung +der Lebenskraft reducirt es auf so viel Stunden Erstarrung, als die Wieder- +belebung eines absolut erschöpften Organismus unentbehrlich macht. Statt + +1 0 4 ) In England z.B. wird immer noch hier und da auf dem Lande ein Arbeiter zu Gefängniß- +strafe verurtheilt wegen Entheiligung des Sabbaths durch Arbeit auf dem Gärtchen vor sei- +nem Hause. Derselbe Arbeiter wird wegen Kontraktbruches bestraft, bleibt er des Sonntags, +sei es selbst aus religiösen Mucken, vom Metall-, Papier- oder Glaswerk weg. Das orthodoxe +Parlament hat kein Ohr für Sabbathentheiligung, wenn sie im „Verwerthungsproceß" des Ka- +pitals vorgeht. In einer Denkschrift (August 1863), worin die Londoner Taglöhner in Fisch- +und Geflügelladen Abschaffung der Sonntagsarbeit verlangen, heißt es, ihre Arbeit daure +während der ersten 6 Wochentage durchschnittlich 15 Stunden täglich und am Sonntag +8-10 Stunden. Man entnimmt zugleich aus dieser Denkschrift, daß namentlich die kitzlige +Gourmandise der aristokratischen Mucker von Exeter Hall diese „Sonntagsarbeit" ermuthigt. +Diese „Heiligen", so eifrig „in cute curanda", bewähren ihr Christenthum durch die Erge- +bung, womit sie die Ueberarbeit, die Entbehrungen und den Hunger dritter Personen ertra- +gen. Obsequium ventris istis (den Arbeitern) perniciosius est. + +30 + +35 + +40 + +238 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +daß die normale Erhaltung ||228| der Arbeitskraft hier die Schranke des Ar- +beitstags, bestimmt umgekehrt die größte täglich mögliche Verausgabung +der Arbeitskraft, wie krankhaft gewaltsam und peinlich auch immer, die +Schranke für die Rastzeit des Arbeiters. Das Kapital fragt nicht nach der +5 Lebensdauer der Arbeitskraft. Was es interessirt, ist einzig und allein das +Maximum von Arbeitskraft, das in einem Arbeitstag flüssig gemacht wer- +den kann. Es erreicht dieß Ziel durch Verkürzung der Dauer der Arbeits- +kraft, wie ein habgieriger Landwirth gesteigerten Bodenertrag durch Berau- +bung der Bodenfruchtbarkeit erreicht. + +10 + +Die kapitalistische Produktion, die wesentlich Produktion von Mehr- +werth, Einsaugung von Mehrarbeit ist, produzirt also mit der Verlängrung +des Arbeitstags nicht nur die Verkümmerung der menschlichen Arbeits- +kraft, welche ihrer normalen moralischen und physischen Entwicklungs- +und B e thätigungsb e dingungen beraubt wird. Sie producirt die vorzeitige +15 Erschöpfung und Abtödtung der Arbeitskraft selbst 1 0 5). Sie verlängert die +Produktionszeit des Arbeiters während eines gegebenen Termins durch +Verkürzung seiner Lebenszeit. + +Der Werth der Arbeitskraft schließt aber den Werth der Waaren ein, wel- +che zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflanzung der Arbeiter- +20 klasse erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Verlängrung des Arbeits- +tags, die das Kapital in seinem maßlosen Trieb nach Selbstverwerthung +nothwendig anstrebt, die Lebensperiode der einzelnen Arbeiter und damit +die Dauer ihrer Arbeitskraft verkürzt, wird rascherer Ersatz der Verschlisse- +nen nöthig, also das Eingehen größerer Verschleißkosten in die Reproduk- +tion der Arbeitskraft, ganz wie der täglich zu reproduzirende Werththeil +einer Maschine um so größer ist, je rascher sie verschleißt. Das Kapital +scheint daher durch sein eignes Interesse auf einen Normalarbeitstag hin- +gewiesen. + +25 + +Der Sklavenhalter kauft seinen Arbeiter, wie er sein Pferd kauft. Mit +30 dem Sklaven verliert er ein Kapital, das durch neue Auslage auf dem Skla- +venmarkt ersetzt werden muß. Aber „die Reisfelder von Georgien und die +Sümpfe des Mississippi mögen fatalistisch zerstörend auf die menschliche +Konstitution wirken; dennoch ist diese Verwüstung von menschlichem Le- +ben nicht so groß, daß ||229| sie nicht gut gemacht werden könnte aus den +strotzenden Gehegen von Virginien und Kentucky. Oekonomische Rück- +sichten, die eine Art Sicherheit für die menschliche Behandlung des Skla- +ven bieten könnten, sofern sie das Interesse des Herrn mit der Erhaltung +des Sklaven identiflciren, verwandeln sich, nach Einführung des Sklaven- + +35 + +40 + +1 0 5 ) "We have given in our previous reports the statements of several experienced manufactur- +ers to the effect that over-hours .... certainly tend prematurely to exhaust the working power +of the men." 1. c. 64. p. XIII. + +239 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +handels, umgekehrt in Gründe der extremsten Zugrunderichtung des Skla- +ven, denn sobald sein Platz einmal durch Zufuhr aus fremden Negergehe- +gen ausgefüllt werden kann, wird die Dauer seines Lebens minder wichtig +als dessen Produktivität, so lange es dauert. Es ist daher eine Maxime der +Sklavenwirthschaft in Ländern der Sklaveneinfuhr, daß die wirksamste +Oekonomie darin besteht, die größtmöglichste Masse Leistung in mög- +lichst kurzer Zeit dem Menschenvieh (human chattle) auszupressen. Grade +in tropischer Kultur, wo die jährlichen Profite oft dem Gesammtkapital der +Pflanzungen gleich sind, wird das Negerleben am rücksichtslosesten geop- +fert. Es ist die Agrikultur Westindiens, seit Jahrhunderten die Wiege fabel- 10 +haften Reichthums, die Millionen der afrikanischen Race verschlungen +hat. Es ist heut zu Tage in Cuba, dessen Revenuen nach Millionen zählen, +und dessen Pflanzer Fürsten sind, wo wir bei der Sklavenklasse außer der +gröbsten Nahrung, der erschöpfendsten und unablässigsten Plackerei einen +großen Theil durch die langsame Tortur von Ueberarbeit und Mangel an 15 +Schlaf und Erholung jährlich direkt zerstört s e h n " 1 0 6 ) . + +5 + +Mutato nomine de te fabula narratur! Lies statt Sklavenhandel Arbeits- +markt, statt Kentucky und Virginien Irland und die Agrikulturdistrikte von +England, Schottland und Wales, statt Afrika Deutschland! Wir hörten, wie +die Ueberarbeit mit den Bäckern in London aufräumt, und dennoch ist 20 +der Londoner Arbeitsmarkt stets überfüllt mit deutschen und andren +Todeskandidaten für die Bäckerei. Die Töpferei, wie wir sahen, ist einer +der kurzlebigsten Industriezweige. Fehlt es deßwegen an Töpfern? Josiah +Wedgwood, der Erfinder der modernen Töpferei, von Haus selbst ein ge- +wöhnlicher Arbeiter, erklärte 1785 vor dem Hause der Gemeinen, daß die 25 +ganze Manufaktur 15 bis 20 000 Personen beschäftige 1 0 7). Im Jahr 1861 be- +trug die Bevölkerung allein der städtischen Sitze dieser Industrie in Groß- +britannien 101 302. „Die Baumwollindustrie zählt 90 Jahre . . . I n drei Ge- +nerationen der englischen Race hat +sie neun Generationen von +Baumwollarbeitern ||230| verspeist 1 0 8)." Allerdings, in einzelnen Epochen 30 +fieberhaften Aufschwungs zeigte der Arbeitsmarkt bedenkliche Lücken. So +z . B . 1834. Aber die Herren Fabrikanten schlugen nun den Poor Law Com- +missioners vor, die „Uebervölkerung" der Ackerbaudistrikte nach dem +Norden zu schicken, mit der Erklärung, daß „die Fabrikanten sie absorbi- +ren und konsumiren würden" 1 0 9). Dieß waren ihre eigensten Worte. „Agen- 35 +ten wurden zu Manchester bestallt mit Einwilligung der Poor Law Com- + +1 0 6 ) Cairnes I.e. p.110, 111. +1 0 7 ) John Ward: „The History of the Borough of Stoke-upon-Trent. London 1843", p. 42. +1 0 8 ) Ferrand's Rede im ,,House of Commons" vom 27. April 1863. +1 0 9 ) "That the manufacturers would absorb it and use it up. Those were the very words used by 40 +the cotton manufacturers." 1. c. + +240 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +missioners. Agrikulturarbeiterlisten wurden ausgefertigt und diesen + +Agenten Übermacht. Die Fabrikanten liefen in die Bureaux, und nachdem + +sie, was ihnen paßte, ausgewählt, wurden die Familien vom Süden Eng- + +lands verschickt. Diese Menschenpackete wurden geliefert mit Etiquetten + +5 gleich so viel Güterballen, auf Kanal und Lastwagen, - einige strolchten + +zu Fuß nach, und viele irrten verloren und halb verhungert in den Manu- + +fakturdistrikten umher. Dieß entwickelte sich zu einem wahren Handels- + +zweig. Das Haus der Gemeinen wird es kaum glauben. Dieser regelmäßige + +Handel, dieser Schacher in Menschenfleisch dauerte fort, und diese Leute + +1 ο wurden gekauft und verkauft von den Manchester Agenten an die Manches- + +ter Fabrikanten, ganz so regelmäßig wie Neger an die Baumwollpflanzer + +der südlichen Staaten . . . . Das Jahr 1860 bezeichnet das Zenith der Baum- + +wollindustrie . . . . Es fehlte wieder an Händen. Die Fabrikanten wandten + +sich wieder an die Fleischagenten . . . und diese durchstöberten die Dünen + +15 von Dorset, die Hügel von Devon und die Ebnen von Wilts, aber die Ue- + +bervölkerung war bereits verspeist." Der „Bury Guardian" jammerte, daß + +10 000 zusätzliche Hände nach Abschluß des englisch-französischen Han- + +delsvertrags absorbirt werden könnten und bald an 30 oder 40 000 mehr + +nöthig sein würden. Nachdem die Agenten und Subagenten des Fleisch- + +20 handels die Agrikulturdistrikte 1860 ziemlich resultatlos durchgefegt, + +„wandte sich eine Fabrikantendeputation an Herrn Villiers, Präsidenten + +des Poor Law Board, mit dem Gesuch, die Zufuhr der Armen- und Waisen- + +kinder aus den Workhouses wieder zu erlauben" 1 1 0). | + +n o ) 1. c. Villiers, trotz bestem Willen, war „gesetzlich" in der Lage, das Fabrikantenanliegen +25 abschlagen zu müssen. Die Herren erreichten jedoch ihre Zwecke durch die Willfährigkeit der +lokalen Armenverwaltungen. Herr A. Redgrave, Fabrikinspektor, versichert, daß dießmal das +System, wonach die Waisen und Pauper's Kinder „gesetzlich" als apprentices (Lehrlinge) gel- +ten, „nicht begleitet war von den alten Mißständen" - (über diese „Mißstände" vgl. Engels +I.e.) -, obgleich allerdings in einem Fall „Mißbrauch mit dem System getrieben worden ist, in +30 Bezug auf Mädchen und junge Weiber, die von den Agrikulturdistrikten Schottlands nach +Lancashire und Cheshire gebracht wurden". In diesem „System" schließt der Fabrikant einen +Kontrakt mit den Behörden der Armenhäuser für bestimmte Perioden. Er nährt, kleidet und +logirt die Kinder und giebt ihnen einen kleinen Zuschuß in Geld. Sonderbar klingt folgende +Bemerkung des Herrn Redgrave, namentlich wenn man bedenkt, daß selbst unter den Prospe- +ritätsjahren der englischen Baumwollindustrie das Jahr 1860 einzig dasteht und die Arbeits- +löhne außerdem hoch standen, weil die außerordentliche Arbeitsnachfrage auf Entvölkerung +in Irland stieß, auf beispiellose Auswanderung aus englischen und schottischen Agrikultur- +distrikten nach Australien und Amerika, auf positive Abnahme der Bevölkrung in einigen +englischen Agrikulturdistrikten in Folge theils glücklich erzielten Bruchs der Lebenskraft, +40 theils des früheren Abschöpf ens der disponiblen Bevölkrung durch die Händler in Men- +schenfleisch. Und trotz alledem sagt Herr Redgrave: „Diese Art Arbeit (der Armenhauskin- +der) wird jedoch nur gesucht, wenn keine andre gefunden werden kann, denn es ist theure Ar- +beit (high-priced labour). Der gewöhnliche Arbeitslohn für einen Jungen von 13 Jahren ist +ungefähr 4 sh. wöchentlich; aber 50 oder 100 solcher Jungen logiren, kleiden, nähren, mit +ärztlicher Hülfsleistung und passender Oberaufsicht versehn, und ihnen obendrein eine +kleine Zubuße in Geld geben, ist unthubar für 4 sh. per Kopf wöchentlich." („Rep. of the Insp. + +35 + +45 + +241 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +| 2 3 1 | Was die Erfahrung dem Kapitalisten im Allgemeinen zeigt, ist eine + +beständige Uebervölkerung, d. h. Uebervölkerung im Verhältniß zum + +augenblicklichen Verwerthungsbedürfniß des Kapitals, obgleich sie aus + +verkümmerten, schnell hinlebenden, sich rasch verdrängenden, so zu sagen + +unreif gepflückten Menschengenerationen ihren Strom b i l d e t 1 1 1 ) . Aller- + +5 + +dings zeigt die Erfahrung dem ver||232|ständigen Beobachter auf der and- + +ren Seite, wie rasch und tief die kapitalistische Produktion, die, geschicht- + +lich gesprochen, kaum von gestern datirt, die Volkskraft an der Le- + +benswurzel ergriffen hat, wie die Degeneration der industriellen Bevölk- + +rung nur durch beständige Absorption naturwüchsiger Lebenselemente + +10 + +vom Lande verlangsamt wird, und wie selbst die ländlichen Arbeiter, trotz + +freier Luft und des unter ihnen so allmächtig waltenden principle of natu- + +ral selection, das nur die kräftigsten Individuen aufkommen läßt, schon ab- + +zuleben beginnen 1 1 2). Das Kapital, das so „gute Gründe" hat, die Leiden + +der es umgebenden Arbeitergeneration zu läugnen, wird in seiner prakti- 15 + +sehen Bewegung durch die Aussicht auf zukünftige Verfaulung der + +Menschheit und schließlich doch unaufhaltsame Entvölkerung so wenig + +und so viel bestimmt als durch den möglichen Fall der Erde in die Sonne. + +of Factories for 30th April 1860" p. 27.) Herr Redgrave vergißt zu sagen, wie der Arbeiter +selbst dieß alles seinen Jungen für ihre 4 sh. Arbeitslohn leisten kann, wenn es der Fabrikant 20 +nicht kann für 50 oder 100 Jungen, die gemeinsam logirt, beköstigt und beaufsichtigt werden. +Zur Abwehr falscher Schlußfolgerungen aus dem Text muß ich hier noch bemerken, daß die +englische Baumwollindustrie, seit ihrer Unterwerfung unter den Factory Act von 1850 mit sei- +ner Reglung der Arbeitszeit u.s.w., als die englische Musterindustrie betrachtet werden muß. +Der englische Baumwollarbeiter steht in jeder Hinsicht höher als sein kontinentaler Schick- 25 +salsgenosse. „Der preußische Fabrikarbeiter arbeitet mindestens 10 Stunden mehr per Woche +als sein englischer Rival, und wenn er an seinem eignen Webstuhl zu Hause beschäftigt wird, +fällt selbst diese Schranke seiner zusätzlichen Arbeitsstunden weg." („Rep. of Insp. of Fact. +31st Oct. 1855" p. 103.) Der obenerwähnte Fabrikinspektor Redgrave reiste nach der Indu- +strieausstellung von 1851 auf dem Kontinent, speciell in Frankreich und Preußen, um die 30 +dortigen Fabrikzustände zu untersuchen. Er sagt von dem preußischen Fabrikarbeiter: „Er er- +hält einen Lohn ausreichend zur Verschaffung einfacher Kost und des wenigen Komforts, wor- +an er gewöhnt und womit er zufrieden ist .... Er lebt schlechter und arbeitet härter als sein +englischer Rivale." („Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1853" p. 85.) +m) „Die Ueberarbeiteten sterben mit befremdlicher Raschheit, aber die Plätze derer, die un- +tergehn, sind sofort wieder ausgefüllt, und ein häufiger Wechsel der Personen bringt keine +Aenderung auf der Bühne hervor." „England and America. London 1833", t.1.55. (Verfasser +E.G. Wakefield.) +1 1 2 ) Siehe „Public Health. Sixth Report of the Medical Officer of the Privy Council. 1863". +Veröffentlicht London, 1864. Dieser Report handelt namentlich von den Agrikulturarbeitern. 40 +„Man hat die Grafschaft Sutherland als eine sehr verbesserte Grafschaft dargestellt, aber eine +neuerliche Untersuchung hat entdeckt, daß hier in Distrikten, einst so berühmt wegen schö- +ner Männer und tapfrer Soldaten, die Einwohner degenerirt sind zu einer magren und ver- +kümmerten Race. In den gesundesten Lagen, auf Hügelabhängen im Angesicht des Meeres, +sind die Gesichter ihrer Kinder so dünn und blaß, wie sie nur in der faulen Atmosphäre einer 45 +Londoner Winkelgasse sein können." (Thornton 1. c. p. 74, 75.) Sie gleichen in der That den +30000 ,,gallant Highlanders", die Glasgow in seinen wynds und closes mit Prostituirten und +Dieben zusammenbettet. + +35 + +242 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +In jeder Aktienschwindelei weiß jeder, daß das Unwetter einmal einschla- + +gen muß, aber jeder hofft, daß es das Haupt seines Nächsten trifft, nach- + +dem er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat. + +Après moi le déluge! ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitali- + +5 + +stennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Le- + +bensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht + +gezwungen wird 1 1 3). Der Klage über physische und geistige Verkümmrung, + +vorzeitigen Tod, Tortur der Ueberarbeit, antwortet es: Sollte diese Qual + +uns quälen, da sie unsre Lust (den Profit) vermehrt? Im Großen und | + +10 + +|233| Ganzen hängt dieß aber auch nicht vom guten oder bösen Willen des + +einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten + +Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegen- + +über als äußerliches Zwangsgesetz geltend 1 1 4). + +Die Festsetzung eines normalen Arbeitstags ist das Resultat eines viel- + +15 hundertjährigen Kampfes zwischen Kapitalist und Arbeiter. Doch zeigt die + +Geschichte dieses Kampfes zwei entgegengesetzte Strömungen. Man ver- + +gleiche z.B. die englische Fabrikgesetzgebung unsrer Zeit mit den engli- + +schen Arbeitsstatuten vom 14. bis tief in die Mitte des 18. Jahrhunderts 1 1 5)- + +Während das moderne Fabrikgesetz den Arbeitstag gewaltsam abkürzt, su- + +20 + +m) „Obgleich die Gesundheit der Bevölkerung ein so wichtiges Element des nationalen Ka- +pitals ist, fürchten wir gestehn zu müssen, daß die Kapitalisten durchaus nicht bei der Hand +sind, diesen Schatz zu erhalten und werth zu achten. ... Die Rücksicht auf die Gesundheit +der Arbeiter wurde den Fabrikanten aufgezwungen." („Times" 5.Novbr. 1861.) „Die Männer +des West Riding wurden die Tuchmacher der Menschheit, .... die Gesundheit des Arbeiter- +25 volks wurde geopfert, und in ein paar Generationen wäre die Race degenerirt, aber eine Reak- +tion trat ein. Die Stunden der Kinderarbeit wurden beschränkt u. s. w." („Report of the Regis- +trar General for October 1861".) +114) ψίτ fìncien daher z.B., daß Anfang 1863 26 Firmen, welche ausgedehnte Töpfereien in +Staffordshire besitzen, darunter auch J. Wedgwood und Söhne, in einer Denkschrift „um ge- +30 waltsame Einmischung des Staats" petitioniren. Die „Konkurrenz mit andren Kapitalisten" +erlaube ihnen keine „freiwillige" Beschränkung der Arbeitszeit der Kinder u.s.w. „So sehr wir +daher die oben erwähnten Uebel beklagen, würde es unmöglich sein, sie durch irgend eine Art +Uebereinkunft unter den Fabrikanten zu verhindern .... In Anbetracht aller dieser Punkte, +sind wir zur Ueberzeugung gelangt, daß ein Zwangsgesetz nöthig ist." ,,Children's Emp. + +35 Comm. Rep. 1. 1863, p. 322". + +Zusatz zu Note 114. Ein viel frappantres Beispiel bot die jüngste Vergangenheit. Die Höhe +der Baumwollpreise, in einer Epoche fieberhaften Geschäfts, hatte die Besitzer von Baum- +wollwebereien in Blackburn veranlaßt, durch gemeinschaftliche Uebereinkunft die Arbeitszeit +in ihren Fabriken während eines bestimmten Termins abzukürzen. Dieser Termin lief ab un- +40 gefähr Ende November (1871). Unterdeß benutzten die reichren Fabrikanten, welche Spinne- +rei mit Weberei verbinden, den durch jene Uebereinkunft veranlaßten Ausfall der Produktion +dazu, ihr eignes Geschäft auszudehnen und so auf Kosten der kleinen Meister große Profite +zu machen. Letztre wandten sich nun in ihrer Noth - an die Fabrikarbeiter, riefen sie auf, die +Neunstundenagitation ernsthaft zu betreiben, und versprachen Geldbeiträge zu diesem Be- + +45 huf! + +1 1 5 ) Diese Arbeiterstatute, die man gleichzeitig auch in Frankreich, den Niederlanden u. s. w. +findet, wurden in England erst 1813 formell aufgehoben, nachdem sie längst von den Produk- +tionsverhältnissen beseitigt waren. + +243 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +chen ihn jene Statute gewaltsam zu verlängern. Allerdings erscheinen die +Ansprüche des Kapitals im Embryozustand, wo es erst wird, also noch +nicht durch bloße Gewalt der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch +durch Hülfe der Staatsmacht sein Einsaugungsrecht eines genügenden +Quantums Mehrarbeit sichert, ganz und gar bescheiden, vergleicht man sie +mit den Koncessionen, die es in seinem Mannesalter knurrend und wider- +strebig machen muß. Es kostet Jahrhunderte, bis der „freie" Arbeiter in +Folge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise sich freiwillig dazu +versteht, d. h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohn- +heitsmäßigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeits- 10 +fähigkeit selbst, seine Erstgeburt für ein Gericht Linsen zu ||234| verkau- +fen. Es ist daher natürlich, daß die Verlängrung des Arbeitstags, die das +Kapital von Mitte des 14. bis Ende des 17. Jahrhunderts staatsgewaltig den +volljährigen Arbeitern aufzudringen sucht, ungefähr mit der Schranke der +Arbeitszeit zusammenfällt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 15 +der Verwandlung von Kinderblut in Kapital hier und da von Staats wegen +gezogen wird. Was heute, z.B. im Staate Massachusetts, bis jüngst dem +freisten Staate der nordamerikanischen Republik, als Staatsschranke der +Arbeit von Kindern unter 12 Jahren proklamirt ist, war in England noch +Mitte des 17. Jahrhunderts der normale Arbeitstag vollblütiger Handwer- 20 +ker, robuster Ackerknechte und riesenhafter Grobschmiede 1 1 6). + +Das erste „Statute of Labourers" (23 Eduard III. 1349) fand seinen un- +mittelbaren Vorwand (nicht seine Ursache, denn die Gesetzgebung dieser +Art dauert Jahrhunderte fort ohne den Vorwand) in der großen Pest, wel- +che die Bevölkerung decimirte, so daß, wie ein Tory-Schriftsteller sagt, „die 25 +Schwierigkeit, Arbeiter zu raisonablen Preisen (d. h. zu Preisen, die ihren +Anwendern ein raisonables Quantum Mehrarbeit ließen) an die Arbeit zu +setzen, in der That unerträglich wurde 1 1 7)". Raisonable Arbeitslöhne wur- + +1 1 6 ) "No child under the age of 12 years shall be employed in any manufacturing establish- +ment more than 10 hours in one day." „General Statutes of Massachusetts". Sect. 3, ch. 60. 30 +(Die Ordonnanzen wurden erlassen 1836-1858.) "Labour performed during a period of +10 hours on any day in all cotton, woollen, silk, paper, glass, and flax factories, or in manufac- +tories of iron and brass, shall be considered a legal day's labour. And be it enacted, that here- +after no minor engaged in any factory shall be holden or required to work more than 10 hours +in any day, or 60 hours in any week; and that hereafter no minor shall be admitted as a worker +under the age of 10 years in any factory within this state." „State of New Jersey. An act to lim- +it the hours of labour etc." § 1 und 2. (Gesetz vom 11. März 1851.) "No minor who has at- +tained the age of 12 years, and is under the age of 15 years, shall be employed in any manu- +facturing establishment more than 11 hours in any one day, nor before 5 o'clock in the +morning, nor after ll/2 in t n e evening." ,,Revised Statutes of the State of Rhode Island etc. +ch. 139, §.23, 1st July 1857". +1 1 7 ) ,,Sophisms of Free Trade. 7th edit. Lond. 1850", p. 205. Derselbe Tory giebt übrigens zu: +„Parlamentsakte, die die Arbeitslöhne gegen die Arbeiter zu Gunsten der Arbeitsanwender re- +gulirten, währten für die lange Periode von 464 Jahren. Die Bevölkrung wuchs. Diese Gesetze +wurden nun überflüssig und lästig." (1. c. p. 206.) + +40 + +35 + +45 + +244 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +5 doch nie durchgesetzt + +den daher zwangsgesetzlich diktirt, ebenso wie die Grenze des Arbeitstags. +Der letztre Punkt, der uns hier allein interessirt, ist wiederholt in dem Sta- +tut von 1496 (unter Henry V I I ) . Der Arbeitstag für alle Handwerker (artifi- +cers) und Ackerbauarbeiter vom März bis September sollte damals, was j e - +||235| wurde, dauern von 5 Uhr Morgens bis +zwischen 7 und 8 Uhr Abends, aber die Stunden für Mahlzeiten betragen +I Stunde für Frühstück, ll/2 Stunden für Mittagessen, und Y2 Stunde für +Vieruhrbrod, also grade doppelt so viel als nach dem jetzt gültigen Fabrik- +a k t 1 1 8 ) . Im Winter sollte gearbeitet werden von 5 Uhr Morgens bis zum +10 Dunkeln, mit denselben Unterbrechungen. Ein Statut der Elisabeth von +1562 für alle Arbeiter „gedungen für Lohn per Tag oder Woche", läßt die +Länge des Arbeitstags unberührt, sucht aber die Zwischenräume zu be- +schränken auf 2]/2 Stunden für den Sommer und 2 für den Winter. Das Mit- +tagessen soll nur eine Stunde dauern und „der Nachmittagsschlaf von +15 Y 2 Stunde" nur zwischen Mitte Mai und Mitte August erlaubt sein. Für jede +Stunde Abwesenheit soll 1 d. (etwa 8 Pfennige) vom Lohn abgehn. In der +Praxis jedoch war das Verhältniß den Arbeitern viel günstiger als im Statu- +tenbuch. Der Vater der politischen Oekonomie und gewissermaßen der Er- +finder der Statistik, William Petty, sagt in einer Schrift, die er im letzten +20 Drittel des 17. Jahrhunderts veröffentlichte: „Arbeiter (labouring men, +eigentlich damals Ackerbauarbeiter) arbeiten 10 Stunden täglich und neh- +men wöchentlich 20 Mahlzeiten ein, nämlich an Arbeitstagen täglich drei +und an Sonntagen zwei; woraus man klärlich sieht, daß, wenn sie an Frei- +tag-Abenden fasten wollten, und in anderthalb Stunden zu Mittag speisen +25 wollten, während sie jetzt zu dieser Mahlzeit zwei Stunden brauchen, von +II bis 1 Uhr Morgens, wenn sie also Y20 mehr arbeiteten und Y20 weniger +verzehrten, das Zehntel der oben erwähnten Steuer aufbringbar wäre 1 1 9)." +Hatte Dr. Andrew Ure nicht Recht, die Zwölfstundenbill von 1833 als +Rückgang in die Zeiten der Finsterniß zu verschreien? Allerdings gelten +30 die in den Statuten und von Petty erwähnten Bestimmungen auch für ,,ap- +prentices" (Lehrlinge). Wie es aber noch Ende des 17. Jahrhunderts mit der +Kinderarbeit stand, ersieht man aus folgender Klage: „Unsere Jugend, hier +in England, treibt gar nichts bis zu ||236| der Zeit, wo sie Lehrlinge werden, + +1 1 8 ) J.Wade bemerkt mit Recht in Bezug auf dieß Statut: „Aus dem Statut von 1496 geht her- +35 vor, daß die Nahrung als Aequivalent für % des Einkommens eines Handwerkers und l/ 2 des +Einkommens eines Agrikulturarbeiters galt, und dieß zeigt eine größere Stufe von Unabhän- +gigkeit unter den Arbeitern an, als jetzt vorherrscht, wo die Nahrung der Arbeiter in Agrikul- +tur und Manufaktur ein viel höheres Verhältniß zu ihren Löhnen bildet." (J.Wade I.e. p.25.) +Die Meinung, als sei diese Differenz etwa der Differenz im Preisverhältniß zwischen Nah- +rungsmitteln und Kleidungsstücken, jetzt und damals, geschuldet, widerlegt der oberfläch- +lichste Blick auf: „Chronicon Preciosum etc. By Bishop Fleetwood. 1st edit. London 1707. +2nd. edit. London 1745". +1 1 9 ) „W. Petty: Political Anatomy of Ireland. 1672. edit. 1691", p. 10. + +40 + +245 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +und dann brauchen sie natürlich lange Zeit - sieben Jahre -, um sich zu + +voll k o m m η en Handwerkern zu bilden." Deutschland wird dagegen ge- + +rühmt, weil dort die Kinder von der Wiege auf wenigstens zu „ein bißchen + +Beschäftigung erzogen werden" 1 2 0). + +Noch während des größten Theils des 18. Jahrhunderts, bis zur Epoche + +5 + +der großen Industrie, war es dem Kapital in England nicht gelungen, durch + +Zahlung des wöchentlichen Werths der Arbeitskraft sich der ganzen Wo- + +che des Arbeiters, Ausnahme bilden jedoch die Agrikulturarbeiter, zu be- + +mächtigen. Der Umstand, daß sie eine ganze Woche mit dem Lohn von + +4 Tagen leben konnten, schien den Arbeitern kein hinreichender Grund, + +10 + +auch die andren zwei Tage für den Kapitalisten zu arbeiten. Eine Seite der + +englischen Oekonomen denuncirte im Dienst des Kapitals diesen Eigen- + +sinn aufs wüthendste, eine andre Seite vertheidigte die Arbeiter. Hören + +wir z.B. die Polemik zwischen Postlethwayt, dessen Handels-Diktionnär + +damals denselben R u f genoß wie heut zu Tage ||237| ähnliche Schriften 15 + +von MacCulloch und MacGregor, und dem früher citirten Verfasser des + +„Essay on Trade and C o m m e r c e " 1 2 1 ) . + +25 + +1 2 0 ) „A Discourse of the Necessity of Encouraging Mechanick Industry. London 1690", p. 13. +Macaulay, der die englische Geschichte im Whig- und Bourgeoisinteresse zurechtgefâlscht +hat, deklamirt, wie folgt: „Die Praxis, Kinder vorzeitig an die Arbeit zu setzen, herrschte im 20 +17. Jahrhundert in einem für den damaligen Zustand der Industrie fast unglaublichen Grad +vor. Zu Norwich dem Hauptsitz der Wollindustrie, wurde ein Kind von 6 Jahren für arbeitsfä- +hig gehalten. Verschiedne Schriftsteller jener Zeit und darunter manche, die als außerordent- +lich wohlgesinnt betrachtet wurden, erwähnen mit ,Exultation' (Entzücken) die Thatsache, +daß in dieser Stadt allein Knaben und Mädchen einen Reichthum schaffen, der über ihren +eignen Unterhalt hinaus 12 000 Pfd. St. in einem Jahr betrug. Je genauer wir die Geschichte +der Vergangenheit untersuchen, desto mehr Grund finden wir, die Ansicht derer zu verwer- +fen, die unser Zeitalter für fruchtbar an neuen socialen Uebeln halten. Das, was neu ist, ist +die Intelligenz, die die Uebel entdeckt, und die Humanität, die sie heilt." (,,History of Eng- +land", v. I, p. 417.) Macaulay hätte weiter berichten können, daß „außerordentlich wohlge- 30 +sinnte" amis du commerce im 17. Jahrhundert mit ,,Exultation" erzählen, wie in einem Ar- +menhaus in Holland ein Kind von 4 Jahren beschäftigt wurde, und daß dieß Beispiel der +„vertue mise en pratique" in allen Schriften von Humanitairen à la Macaulay Muster passirt +bis zur Zeit A. Smith's. Es ist richtig, daß mit dem Aufkommen der Manufaktur, im Unter- +schied zum Handwerk, sich Spuren der Kinderexploitation zeigen, die von jeher bis zu einem 35 +gewissen Grad bei den Bauern existirt und um so entwickelter, je härter das Joch, das auf dem +Landmann lastet. Die Tendenz des Kapitals ist unverkennbar, aber die Thatsachen selbst +stehn noch so vereinzelt, wie die Erscheinung zweiköpfiger Kinder. Sie wurden daher „mit +Exultation", als besonders merkwürdig und bewundernswerth, von ahnungsvollen ,,amis du +commerce" für Mit- und Nachwelt aufgezeichnet und zur Nachahmung empfohlen. Derselbe +schottische Sykophant und Schönredner Macaulay sagt: „Man höre heute nur von Rückschritt +und sehe nur Fortschritt." Was für Augen und namentlich was für Ohren! +m) Unter den Anklägern der Arbeiter ist der grimmigste der im Text erwähnte anonyme Ver- +fasser von: „An Essay on Trade and Commerce, containing Observations on Taxation etc. +London 1770". Schon früher in seiner Schrift: ,,Considerations on Taxes. London 1765". 45 +Auch Polonius Arthur Young, der unsägliche statistische Schwätzer, folgt in derselben Linie. +Unter den Vertheidigern der Arbeiter stehn oben an: Jacob Vanderlint in: ,,Money answers all +things. London 1734", Rev. Nathaniel Forster, D. D. in: „An Enquiry into the Causes of the + +40 + +246 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +5 + +15 + +Postlethwayt sagt u. a.: „Ich kann diese wenigen Bemerkungen nicht ab- +schließen, ohne Notiz zu nehmen von der trivialen Redensart in dem +Munde zu vieler, daß, wenn der Arbeiter (industrious poor) in 5 Tagen ge- +nug erhalten kann, um zu leben, er nicht volle 6 Tage arbeiten will. Daher +schließen sie auf die Nothwendigkeit, selbst die nothwendigen Lebensmit- +tel durch Steuern oder irgend welche andre Mittel zu vertheuern, um den +Handwerker und Manufakturarbeiter zu unausgesetzter sechstägiger Arbeit +in der Woche zu zwingen. Ich muß um die Erlaubniß bitten, andrer Mei- +nung zu sein als diese großen Politiker, welche für die beständige Sklaverei +10 der Arbeiterbevölkerung dieses Königreichs (,,the perpetual slavery of the +working people") die Lanze einlegen; sie vergessen das Sprichwort ,all work +and no play4 (nur Arbeit und kein Spiel, macht dumm). Brüsten sich die +Engländer nicht mit der Genialität und Gewandtheit ihrer Handwerker +und Manufakturarbeiter, die bisher den britischen Waaren allgemeinen +!Credit und R u f verschafft haben? Welchem Umstand war dieß geschuldet? +Wahrscheinlich keinem andren als der Art und Weise, wie unser Arbeits- +volk, eigenlaunig, sich zu zerstreuen weiß. Wären sie gezwungen, das +ganze Jahr durchzuarbeiten, alle sechs Tage in der Woche, in steter Wie- +derholung desselben Werkes, würde das nicht ihre Genialität abstumpfen +20 und sie dumm-träg statt munter und gewandt machen; und würden unsre +Arbeiter in Folge solcher ewigen Sklaverei ihren R u f nicht verlieren statt +erhalten? ... Welche Art Kunstgeschick könnten wir erwarten von solch +hart geplackten Thieren (hard driven animals)? ... Viele von ihnen verrich- +ten so viel Arbeit in 4 Tagen als ein Franzose in 5 oder 6. Aber wenn Eng- +länder ewige Schanzarbeiter sein sollen, so steht ||238| zu fürchten, daß sie +noch unter die Franzosen entarten (degenerate) werden. Wenn unser Volk +wegen seiner Tapferkeit im Krieg berühmt ist, sagen wir nicht, daß dieß ei- +nerseits dem guten englischen Roastbeef und Pudding in seinem Leibe, +andrerseits nicht minder unsrem konstitutionellen Geiste der Freiheit ge- +30 schuldet ist? Und warum sollte die größere Genialität, Energie und Ge- +wandtheit unsrer Handwerker und Manufakturarbeiter nicht der Freiheit +geschuldet sein, womit sie sich in ihrer eignen Art und Weise zerstreuen? +Ich hoffe, sie werden nie wieder diese Privilegien verlieren, noch das gute +Leben, woraus ihre Arbeitstüchtigkeit und ihr Muth gleichmäßig herstam- + +25 + +35 m e n ! " 1 2 2 ) + +Darauf antwortet der Verfasser des „Essay on Trade and Commerce": + +Present High Price of Provisions. London 1767", Dr.Price, und namentlich auch Postlethwayt, +sowohl in einem Supplement zu seinem „Universal Dictionary of Trade and Commerce" als +in: ,,Great Britain's Commercial Interest explained and improved. 2nd. edit. Lond. 1759". Die +40 Thatsachen selbst findet man bei vielen andren gleichzeitigen Schriftstellern konstatirt, u. a. + +bei Josiah Tucker. +1 2 2 ) Postlethwayt 1. c. „First Preliminary Discourse", p. XIV. + +247 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +„Wenn es für eine göttliche Einrichtung gilt, den siebenten Tag der Wo- +che zu feiern, so schließt dieß ein, daß die andren Wochentage der Arbeit +(er meint dem Kapital, wie man gleich sehen wird) angehören, und es kann +nicht grausam gescholten werden, dieß Gebot Gottes zu erzwingen +Daß die Menschheit im Allgemeinen von Natur zur Bequemlichkeit und +Trägheit neigt, davon machen wir die fatale Erfahrung im Betragen unsres +Manufakturpöbels, der durchschnittlich nicht über 4 Tage die Woche ar- +beitet, außer im Fall einer Theuerung der Lebensmittel .... Gesetzt, ein +Bushel Weizen repräsentire alle Lebensmittel des Arbeiters, koste 5 sh., +und der Arbeiter verdiene einen Schilling täglich durch seine Arbeit. Dann 10 +braucht er bloß 5 Tage in der Woche zu arbeiten; nur 4, wenn der Bushel +4 sh. beträgt .... Da aber der Arbeitslohn in diesem Königreich viel höher +steht, verglichen mit dem Preise der Lebensmittel, so besitzt der Manufak- +tur-Arbeiter, der 4 Tage arbeitet, einen Geldüberschuß, womit er während +des Rests der Woche müßig lebt ... Ich hoffe, ich habe genug gesagt, um 15 +klar zu machen, daß mäßige Arbeit während 6 Tagen in der Woche keine +Sklaverei ist. Unsre Agrikulturarbeiter thun dieß und, allem Anscheine +nach, sind sie die Glücklichsten unter den Arbeitern (labouring poor) 1 2 3), +aber die Holländer thun es in den Manufakturen und scheinen ein sehr +glückliches Volk. Die Franzosen thun es, so weit nicht die vielen Feiertage 20 +dazwischen ||239| kommen 1 2 4) ... Aber unser Pöbel hat sich die fixe Idee in +den Kopf gesetzt, daß ihm als Engländer durch das Recht der Geburt das +Privilegium zukommt, freier und unabhängiger zu sein als [das Arbeiter- +volk] in irgend einem andren Lande von Europa. Nun, diese Idee, so weit +sie auf die Tapferkeit unsrer Soldaten einwirkt, mag von einigem Nutzen 25 +sein; aber je weniger die Manufakturarbeiter davon haben, desto besser für +sie selbst und den Staat. Arbeiter sollten sich nie für unabhängig von ihren +Vorgesetzten (,,independent of their superiors") halten .... Es ist außeror- +dentlich gefährlich, mobs in einem kommerciellen Staat wie dem unsrigen +zu enkouragiren, wo vielleicht 7 Theile von den 8 der Gesammtbevölkrung 30 +Leute mit wenig oder keinem Eigenthum si nd 1 2 5) .... Die Kur wird nicht +vollständig sein, bis unsre industriellen Armen sich bescheiden, 6 Tage für +dieselbe Summe zu arbeiten, die sie nun in 4 Tagen verdienen" 1 2 6). Zu die- + +1 2 3 ) „An Essay etc." Er selbst erzählt p.96, worin schon 1770 „das Glück" der englischen Agri- +kulturarbeiter bestand. „Ihre Arbeitskräfte („their working powers") sind stets auf das Aeußer- +ste angespannt („on the stretch"); sie können nicht schlechter leben, als sie thun (,,they can- +not live cheaper than they do"), noch härter arbeiten („nor work harder")." +1 2 4 ) Der Protestantismus spielt schon durch seine Verwandlung fast aller traditionellen Feier- +tage in Werktage eine wichtige Rolle in der Genesis des Kapitals. +1 2 5 ) „An Essay etc." p.15, 41, 96, 97, 55, 56, 57. +1 2 6 ) 1. c. p. 69. Jacob Vanderlint erklärte schon 1734, das Geheimniß der Kapitalistenklage +über die Faullenzerei des Arbeitervolks sei einfach, daß sie für denselben Lohn 6 statt 4 Ar- +beitstage beanspruchten. + +248 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +sem Zwecke, wie zur „Ausrottung der Faullenzerei, Ausschweifung und ro- +mantischen Freiheitsduselei", ditto „zur Minderung der Armentaxe, För- +derung des Geistes der Industrie und Herabdrückung des Arbeitspreises in +den Manufakturen", schlägt unser treuer Eckart des Kapitals das probate +5 Mittel vor, solche Arbeiter, die der öffentlichen Wohlthätigkeit anheimfal- +len, in einem Wort, paupers, einzusperren in ein „ideales Arbeitshaus" (an +ideal Workhouse). „Ein solches Haus muß zu einem Hause des Schreckens +(House of Terror) gemacht werden 1 2 7). In diesem ,Hause des Schreckens', +diesem ,Ideal von einem Workhouse', soll gearbeitet werden 14 Stunden +täglich mit Einbegriff jedoch der passenden Mahlzeiten, so daß volle +12 Arbeitsstunden übrig bleiben" 1 2 8). + +10 + +Zwölf Arbeitsstunden täglich im „Ideal-Workhouse", im Hause des +Schreckens von 1770! Drei und sechzig Jahre später, 1833, als das engli- +sche Parlament in vier Fabrikzweigen den Arbeits||240|tag für Kinder von +15 13 bis 18 Jahren auf 12 volle Arbeitsstunden herabsetzte, schien der jüng- +ste Tag der englischen Industrie angebrochen! 1852, als L. Bonaparte bür- +gerlich Fuß zu fassen suchte durch Rütteln am gesetzlichen Arbeitstag, +schrie das französische Volk aus einem Munde: „Das Gesetz, das den Ar- +beitstag auf 12 Stunden verkürzt, ist das ganze Gut, das uns von der Ge- +20 setzgebung der Republik blieb" 1 2 9)! In Zürich ist die Arbeit von Kindern +über 10 Jahren auf 12 Stunden beschränkt; im Aargau wurde 1862 die Ar- +beit von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren von 12% auf 12 Stunden redu- +cirt, in Oestreich 1860 für Kinder zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf +12 Stunden 1 3 0). Welch ein „Fortschritt seit 1770", würde Macaulay „mit + +25 Exultation" aufjauchzen! + +1 2 7 ) I.e. p.242, 243: "Such ideal workhouse must be made a 'House of Terror', and not an asy- +lum for the poor, where they are to be plentifully fed, warmly and decently clothed, and where +they do but little work." +1 2 8 ) "In this ideal workhouse the poor shall work 14 hours in a day, allowing proper time for +30 meals, in such manner that there shall remain 12 hours of neat labour." (1. c.) „Die Franzo- + +sen", sagt er, „lachen über unsre enthusiastischen Ideen von Freiheit." O.e. p.78.) +1 2 9 ) "They especially objected to work beyond the 12 hours per day, because the law which +fixed those hours is the only good which remains to them of the legislation of the Republic." +(Rep. of Insp. of Fact. 31st Octob. 1855, p. 80.) Das französische Zwölfstundengesetz vom +35 5. September 1850, eine verbürgerlichte Ausgabe des Dekrets der provisorischen Regierung +vom 2. März 1848, erstreckt sich auf alle Ateliers ohne Unterschied. Vor diesem Gesetz war +der Arbeitstag in Frankreich unbeschränkt. Er währte in den Fabriken 14, 15 und mehr Stun- +den. Siehe „Des classes ouvrières en France pendant l'année 1848. Par M.Blanqui". Herr Blan- +qui, der Óekonom, nicht der Revolutionär, war von Regierungs wegen mit der Enquête über +die Arbeitszustände betraut. +1 3°) Belgien bewährt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als bürgerlicher +Musterstaat. Lord Howard de Waiden, englischer Bevollmächtigter in Brüssel, berichtet dem +Foreign Office d.d. 12.Mai 1862: „Der Minister Rogier erklärte mir, daß weder ein allgemei- +nes Gesetz noch Lokalregulationen die Kinderarbeit irgendwie beschränken; daß die Regie- +rung sich während der letzten 3 Jahre in jeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern + +40 + +45 + +249 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Das „Haus des Schreckens" für Paupers, wovon die Kapitalseele 1770 +noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges „Arbeitshaus" für +die Manufakturarbeiter selbst. Es hieß Fabrik. Und dießmal erblaßte das +Ideal vor der Wirklichkeit. + +6. Der Kampf um den Normalarbeitstag. + +5 + +Zwangsgesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit. + +Die + +englische Fabrikgesetzgebung von + +1833-1864. + +Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeitstag bis zu +seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese hinaus, bis zu den +Grenzen des natürlichen Tags von 12 Stunden ||241| zu verlängern 1 3 1), er- 10 +folgte nun, seit der Geburt der großen Industrie im letzten Drittel des +18. Jahrhunderts, eine lawinenartig gewaltsame und maßlose Ueberstür- +zung. Jede Schranke von Sitte und Natur, Alter und Geschlecht, Tag und +Nacht, wurde zertrümmert. Selbst die Begriffe von Tag und Nacht, bäuer- +lich einfach in den alten Statuten, verschwammen so sehr, daß ein engli- 15 +scher Richter noch 1860 wahrhaft talmudistischen Scharfsinn aufbieten +mußte, um „urtheilskräftig" zu erklären, was Tag und Nacht s e i 1 3 2 ) . Das +Kapital feierte seine Orgien. + +Sobald die vom Produktionslärm übertölpelte Arbeiterklasse wieder eini- +germaßen zur Besinnung kam, begann ihr Widerstand, zunächst im Ge- 20 +burtsland der großen Industrie, in England. Während drei Decennien j e - +doch blieben die von ihr ertrotzten Koncessionen rein nominell. Das +Parlament erließ 5 Arbeits-Akte von 1802 bis 1833, war aber so schlau, kei- +nen Pfennig für ihre zwangsmäßige Ausführung, das nöthige Beamtenper- +sonal u.s.w. zu votiren 1 3 3). Sie blieben ein todter Buchstabe. „Die Thatsa- 25 + +ein Gesetz über den Gegenstand vorzulegen, daß sie aber stets ein unüberwindliches Hinder- +niß fand an der eifersüchtigen Angst gegen irgend welche Gesetzgebung im Widerspruch mit +dem Princip vollkommner Freiheit der Arbeit!" +m) „Es ist sicher sehr bedauerlich, daß irgend eine Klasse von Personen 12 Stunden täglich +sich abplacken muß. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die Zeit, um zu und von der Werk- 30 +statt zu gehn, so beträgt dieß in der That 14 von den 24 Tagesstunden ... Abgesehn von der +Gesundheit, wird Niemand, ich hoffe, anstehn zuzugeben, daß vom moralischen Gesichts- +punkt eine so gänzliche Absorption der Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlaß, vom frü- +hen Alter von 13 Jahren, und in den „freien" Industriezweigen selbst von viel frührem Alter +an, außerordentlich schädlich und ein furchtbares Uebel ist. ... Im Interesse der öffentlichen +Moral, für die Aufziehung einer tüchtigen Bevölkrung, und um der großen Masse des Volks +einen vernünftigen Lebensgenuß zu verschaffen, muß darauf gedrungen werden, daß in allen +Geschäftszweigen ein Theil jedes^Arbeitstags reservirt werde für Erholung und Muße." (Leo- +nard Horner in: „Insp. of Fact. Reports. 31stDec. 1841.") +m) Sieh ,,Judgment of Mr. J. H. Otway, Belfast, Hilary Sessions, County Antrim 1860". +1 3 3 ) Sehr charakteristisch ist es für das Régime Louis Philippe's, des roi bourgeois, daß das + +40 + +35 + +250 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +che +ist, daß vor dem Akt von 1833 Kinder und junge Personen +abge||242!arbeitet wurden (,,were worked") die ganze Nacht, den ganzen +Tag, oder beide ad libitum" 1 3 4). + +Erst seit dem Fabrikakt von 1833 - umfassend Baumwoll-, Wolle-, +5 Flachs- und Seidenfabriken - datirt für die moderne Industrie ein Normal- +arbeitstag. Nichts charakterisirt den Geist des Kapitals besser als die Ge- +schichte der englischen Fabrikgesetzgebung von 1833 bis 1864! + +Das Gesetz von 1833 erklärt, der gewöhnliche Fabrikarbeitstag solle be- +ginnen um halb 6 Uhr Morgens und enden halb 9 Uhr Abends, und inner- +10 halb dieser Schranken, einer Periode von 15 Stunden, solle es gesetzlich +sein, junge Personen (d.h. Personen zwischen 13 und 18 Jahren) zu irgend +einer Zeit des Tags anzuwenden, immer vorausgesetzt, daß ein und die- +selbe junge Person nicht mehr als 12 Stunden innerhalb Eines Tags ar- +beite, mit Ausnahme gewisser speciell vorgesehner Fälle. Die 6. Sektion des +15 Akts bestimmt, „daß im Laufe jedes Tags jeder solchen Person von be- +schränkter Arbeitszeit mindestens 1 1/ 2 Stunden für Mahlzeiten eingeräumt +werden sollen". Die Anwendung von Kindern unter 9 Jahren, mit später zu +erwähnender Ausnahme, ward verboten, die Arbeit der Kinder von 9 bis +13 Jahren auf 8 Stunden täglich beschränkt. Nachtarbeit, d.h. nach diesem +20 Gesetz, Arbeit zwischen halb 9 Uhr Abends und halb 6 Uhr Morgens, ward + +verboten für alle Personen zwischen 9 und 18 Jahren. + +Die Gesetzgeber waren so weit entfernt, die Freiheit des Kapitals in Aus- +saugung der erwachsnen Arbeitskraft oder, wie sie es nannten, „die Frei- +heit der Arbeit" antasten zu wollen, daß sie ein eignes System ausheckten, + +25 um solcher haarsträubenden Konsequenz des Fabrikakts vorzubeugen. + +„Das große Uebel des Fabriksystems, wie es gegenwärtig eingerichtet +ist", heißt es im ersten Bericht des Centrairaths der Kommission vom +28. Juni 1833, „besteht darin, daß es die Nothwendigkeit schafft, die Kin- +derarbeit zur äußersten Länge des Arbeitstags der Erwachsnen auszudeh- +30 nen. Das einzige Heilmittel für dieß Uebel, ohne Beschränkung der Arbeit +der Erwachsnen, woraus ein Uebel entspringen würde, größer als das, dem +vorgebeugt werden soll, scheint der Plan, doppelte Reihen von Kindern zu + +35 + +40 + +einzige unter ihm erlassene Fabrikgesetz vom 22.März 1841 niemals durchgeführt worden ist. +Und dieß Gesetz betrifft nur Kinderarbeit. Es setzt 8 Stunden für Kinder zwischen 8 und 12, +zwölf Stunden für Kinder zwischen 12 und 16 Jahren u.s.w. fest, mit vielen Ausnahmen, wel- +che die Nachtarbeit selbst für Achtjährige erlauben. Ueberwachung und Erzwingung des Ge- +setzes blieben in einem Lande, wo jede Maus polizeilich administrirt wird, dem guten Willen +der ,,amis du commerce" überlassen. Erst seit 1853 gibt es in einem einzigen Département, +dem Département du Nord, einen bezahlten Regierungsinspektor. Nicht minder charakteri- +stisch für die Entwicklung der französischen Gesellschaft überhaupt ist es, daß Louis Phi- +lippe's Gesetz bis zur Revolution von 1848 einzig dastand in der alles umspinnenden franzö- +sischen Gesetzfabrik! +1 3 4 ) „Rep. of Insp. of Fact. 30th April 1860", p. 50. + +251 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +verwenden." Unter dem Namen Relaissystem („System of Relays"; Relay +heißt im Englischen wie im Französischen: das Wechseln der Postpferde +auf verschiednen Stationen) wurde daher ||243| dieser „Plan" ausgeführt, so +daß z . B . von halb 6 Uhr Morgens bis halb 2 Uhr Nachmittags eine Reihe +von Kindern zwischen 9 und 13 Jahren, von halb zwei Uhr Nachmittags bis +halb 9 Uhr Abends eine andre Reihe vorgespannt wird u. s. w. + +5 + +Zur Belohnung dafür, daß die Herren Fabrikanten alle während der letz- +ten 22 Jahre erlaßnen Gesetze über Kinderarbeit aufs frechste ignorirt hat- +ten, ward ihnen jetzt aber auch die Pille vergoldet. Das Parlament be- +stimmte, daß nach dem l.März 1834 kein Kind unter 11 Jahren, nach dem 10 +l.März 1835 kein Kind unter 12 Jahren und nach dem l.März 1836 kein +Kind unter 13 Jahren über 8 Stunden in einer Fabrik arbeiten solle! Dieser +für das „Kapital" so schonungsvolle „Liberalismus" war um so anerken- +nenswerther, als Dr. Farre, Sir A. Carlisle, Sir B. Brodie, Sir C Bell, +Mr.Guthrie u.s.w., kurz die bedeutendsten physicians und surgeons Lon- 15 +don's in ihren Zeugenaussagen vor dem Unterhaus erklärt hatten, daß peri- +culum in mora! Dr. Farre drückte sich noch etwas gröber dahin aus: „Ge- +setzgebung ist gleich nothwendig für die Vorbeugung des Tods in allen +Formen, worin er vorzeitig angethan werden kann, und sicher dieser (der +Fabrikmodus) muß als eine der grausamsten Methoden ihn anzuthun be- 20 +trachtet werden 1 3 5)." Dasselbe „reformirte" Parlament, das aus Zartsinn für +die Herrn Fabrikanten Kinder unter 13 Jahren noch Jahre lang in die Hölle +72stündiger Fabrikarbeit per Woche festbannte, verbot dagegen in dem +Emancipationsakt, der auch die Freiheit tropfenweise eingab, von vornhe- +rein den Pflanzern, irgend einen Negersklaven länger als 45 Stunden per 25 +Woche abzuarbeiten! + +Aber keineswegs gesühnt, eröffnete das Kapital jetzt eine mehrjährige +und geräuschvolle Agitation. Sie drehte sich hauptsächlich um das Alter +der Kategorien, die unter dem Namen Kinder auf 8stündige Arbeit be- +schränkt und einem gewissen Schulzwang unterworfen worden waren. 30 +Nach der kapitalistischen Anthropologie hörte das Kindesalter im 10. oder, +wenn es hoch ging, im 11. Jahre auf. Je näher der Termin der vollen Aus- +führung des Fabrikakts, das verhängnißvolle Jahr 1836 rückte, um so wilder +raste der Fabrikantenmob. Es gelang ihm in der That, die Regierung so +weit einzuschüchtern, daß sie 1835 den Termin des Kindesalters von 13 35 +auf 12 Jahre herabzusetzen vorschlug. Indeß wuchs die pressure from with- +out drohend an. Der Muth versagte ||244| dem Unterhause. Es verweiger- +te, Dreizehnjährige länger als 8 Stunden täglich unter das Juggernaut- + +1 3 5 ) "Legislation is equally necessary for the prevention of death, in any form in which it can +be prematurely inflicted, and certainly this must be viewed as a most cruel mode of inflicting 40 +it." + +252 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +rad des Kapitals zu werfen, und der Akt von 1833 trat in volle Wirkung. Er +blieb unverändert bis Juni 1844. + +Während des Decenniums, worin er erst theilweise, dann ganz die Fa- +brikarbeit regulirte, strotzen die officiellen Berichte der Fabrikinspektoren +5 von Klagen über die Unmöglichkeit seiner Ausführung. Da das Gesetz von +1833 es nämlich den Herrn vom Kapital freistellte, in der fünfzehnstündi- +gen Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends jede J u n g e +Person" und jedes „Kind" zu irgend beliebiger Zeit die zwölf-, respektive +die achtstündige Arbeit beginnen, unterbrechen, enden zu lassen, und +10 ebenso den verschiednen Personen verschiedne Stunden der Mahlzeiten +anzuweisen, fanden die Herrn bald ein neues „Relaissystem" aus, wonach +die Arbeitspferde nicht an bestimmten Stationen gewechselt, sondern an +wechselnden Stationen stets wieder von neuem vorgespannt werden. Wir +verweilen nicht weiter bei der Schönheit dieses Systems, da wir später dar- +15 auf zurückkommen müssen. So viel ist aber auf den ersten Blick klar, daß +es den ganzen Fabrikakt nicht nur seinem Geist, sondern auch seinem +Buchstaben nach aufhob. Wie sollten die Fabrikinspektoren bei dieser +komplicirten Buchführung über jedes einzelne Kind und jede junge Person +die gesetzlich bestimmte Arbeitszeit und die Gewährung der gesetzlichen +20 Mahlzeiten erzwingen? In einem großen Theil der Fabriken blühte der alte +brutale Unfug bald wieder ungestraft auf. In einer Zusammenkunft mit +dem Minister des Innern (1844) bewiesen die Fabrikinspektoren die Un- +möglichkeit jeder Kontrole unter dem neuausgeheckten Relaissystem 1 3 6). +Unterdeß hatten sich aber die Umstände sehr geändert. Die Fabrikarbeiter, +25 namentlich seit 1838, hatten die Zehnstundenbill zu ihrem ökonomischen, +wie die Charter zu ihrem politischen Wahlaufruf gemacht. Ein Theil der +Fabrikanten selbst, der den Fabrikbetrieb dem Akt von 1833 gemäß gere- +gelt hatte, überwarf das Parlament mit Denkschriften über die unsittliche +„Konkurrenz" der „falschen Brüder", denen größere Frechheit oder glückli- +30 chere Lokalumstände den Gesetzesbruch erlaubten. Zudem, wie sehr im- +merhin der einzelne Fabrikant der alten Raubgier den Zügel frei schießen +lassen mochte, die Wortführer und politischen Leiter der Fabrikanten- +klasse geboten eine veränderte Haltung und veränderte Sprache gegen-1 +|245|über den Arbeitern. Sie hatten den Feldzug zur Abschaffung der +35 Korngesetze eröffnet und bedurften der Hülfe der Arbeiter zum Siege! Sie +versprachen daher nicht nur Verdopplung des Laibes Brod, sondern An- +nahme der Zehnstundenbill unter dem tausendjährigen Reich des Free +Trade 1 3 7). Sie durften also um so weniger eine Maßregel bekämpfen, die +nur den Akt von 1833 zur Wahrheit machen sollte. In ihrem heiligsten In- + +40 + +1 3 6 ) „Rep. of Insp. of Fact. 31st October 1849", p. 6. +1 3 7 ) „Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1848", p. 98. + +253 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +teresse, der Grundrente, bedroht, donnerten endlich die Tories entrüstet +philanthropisch über die „infamen Praktiken" 1 3 8) ihrer Feinde. + +So kam der zusätzliche Fabrikakt vom 6. Juni 1844 zu Stande. Er trat am +1. Oktober 1844 in Wirkung. Er gruppirt eine neue Kategorie von Arbeitern +unter die Beschützten, nämlich die Frauenzimmer über 18 Jahre. Sie wur- +den in jeder Rücksicht den jungen Personen gleichgesetzt, ihre Arbeitszeit +auf 12 Stunden beschränkt, Nachtarbeit ihnen untersagt u. s. w. Zum er- +stenmal sah sich die Gesetzgebung also gezwungen, auch die Arbeit Voll- +jähriger direkt und officiell zu kontroliren. In dem Fabrikbericht von +1 8 4 4 - 4 5 heißt es ironisch: „Es ist kein einziger Fall zu unsrer Kenntniß 10 +gekommen, wo erwaçhsne Weiber sich über diesen Eingriff in ihre Rechte +beschwert hätten 1 3 9)." Die Arbeit von Kindern unter 13 Jahren wurde auf +61Z2 und, unter gewissen Bedingungen, 7 Stunden täglich reducirt 1 4 0). + +5 + +Um die Mißbräuche des falschen „Relaissystems" zu beseitigen, traf das +Gesetz u. a. folgende wichtige Detailbestimmungen: „Der Arbeitstag für 15 +Kinder und junge Personen ist von der Zeit an zu zählen, wo irgend ein +Kind oder eine junge Person des Morgens in der Fabrik zu arbeiten an- +fängt." So daß wenn A z . B . um 8 Uhr Morgens die Arbeit beginnt, und B +um 10 Uhr, der Arbeitstag dennoch für B zur selben Stunde enden muß +wie für A. Der Anfang des Arbeitstags soll angezeigt werden durch eine öf- 20 +fentliche Uhr, z . B . die nächste Eisenbahnuhr, wonach die Fabrikglocke zu +richten. Der Fabrikant hat eine großgedruckte Notiz in der Fabrik aufzu- +hängen, worin Anfang, Ende, Pausen des Arbeitstags angegeben sind. Kin- +der, die ihre Arbeit des Vormittags vor 12 Uhr beginnen, dürfen nicht wie- +der nach 1 Uhr ||246| Mittags verwandt werden. Die Nachmittagsreihe muß 25 +also aus andren Kindern bestehn als die Vormittagsreihe. Die 1½ Stunden +für Mahlzeit müssen allen beschützten Arbeitern zu denselben Tagesperio- +den eingeräumt werden, eine Stunde wenigstens vor 3 Uhr Nachmittags. +Kinder oder junge Personen dürfen nicht länger als 5 Stunden vor 1 Uhr +Mittags verwandt werden, ohne eine mindestens halbstündige Pause für 30 +Mahlzeit. Kinder, junge Personen oder Frauenzimmer dürfen während kei- +ner Mahlzeit in einer Fabrikstube bleiben, worin irgend ein Arbeitsproceß +vorgeht u. s. w. + +Man hat gesehn: Diese minutiösen Bestimmungen, welche die Periode, +Grenzen, Pausen der Arbeit so militärisch uniform nach dem Glocken- 35 +schlag regeln, waren keineswegs Produkte parlamentarischer Hirnweberei. + +1 3 8 ) Uebrigens braucht Leonard Horner den Ausdruck ,,nefarious practices" officiell. („Re- +ports of Insp. of Fact. 31st October 1859", p. 7.) +1 3 9 ) „Rep. etc. for 30th Sept. 1844"rp. 15. +1 4°) Der Akt erlaubt Kinder 10 Stunden anzuwenden, wenn sie nicht Tag nach Tag, sondern 40 +nur einen Tag über den andren arbeiten. Im Ganzen blieb diese Klausel wirkungslos. + +254 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +Sie entwickelten sich allmählig aus den Verhältnissen heraus, als Naturge- +setze der modernen Produktionsweise. Ihre Formulirung, officielle Aner- +kennung und staatliche Proklamation waren Ergebniß langwieriger Klas- +senkämpfe. Eine ihrer nächsten Folgen war, daß die Praxis auch den +5 Arbeitstag der erwachsenen männlichen Fabrikarbeiter denselben Schran- +ken unterwarf, da in den meisten Produktionsprocessen die Kooperation +der Kinder, jungen Personen und Frauenzimmer unentbehrlich. Im Gro- +ßen und Ganzen galt daher während der Periode von 1 8 4 4 - 4 7 der zwölf- +stündige Arbeitstag allgemein und uniform in allen der Fabrikgesetzge- + +10 bung unterworfenen Industriezweigen. + +15 + +20 + +25 + +Die Fabrikanten erlaubten diesen „Fortschritt" jedoch nicht ohne einen +kompensirenden „Rückschritt". Auf ihren Antrieb reducirte das Unterhaus +das Minimalalter der zu verarbeitenden Kinder von 9 Jahren auf 8, zur Si- +cherung der dem Kapital von Gott und Rechts wegen geschuldeten „addi- +tionellen Fabrikkinderzufuhr" 1 4 1). + +Die Jahre 1 8 4 6 - 4 7 machen Epoche in der ökonomischen Geschichte +Englands. Widerruf der Korngesetze, die Einfuhrzölle auf Baumwolle und +andre Rohmaterialien abgeschafft, der Freihandel zum Leitstern der Ge- +setzgebung erklärt! Kurz, das tausendjährige Reich brach an. Andrerseits +erreichten in denselben Jahren Chartistenbewegung und Zehnstundenagi- +tation ihren Höhepunkt. Sie fanden Bundesgenossen in den racheschnau- +benden Tories. Trotz des fanatischen Widerstands des wortbrüchigen Frei- +handelsheers, mit Bright und Cobden an der Spitze, ging die so lang +erstrebte Zehnstundenbill durch das Parlament. | + +|247| Der neue Fabrikakt vom 8. Juni 1847 setzte fest, daß am 1. Juli +1847 eine vorläufige Verkürzung des Arbeitstags der „jungen Personen" +(von 13 bis 18 Jahren) und aller Arbeiterinnen auf 11 Stunden, am l . M a i +1848 aber die definitive Beschränkung auf 10 Stunden eintreten solle. Im +Uebrigen war der Akt nur ein amendirender Zusatz der Gesetze von 1833 + +30 und 1844. + +Das Kapital unternahm einen vorläufigen Feldzug, um die volle Ausfüh- +rung des Akts am l . M a i 1848 zu verhindern. Und zwar sollten die Arbeiter +selbst, angeblich durch die Erfahrung gewitzigt, ihr eignes Werk wieder +zerstören helfen. Der Augenblick war geschickt gewählt. „Man muß sich er- +innern, daß in Folge der furchtbaren Krise von 1 8 4 6 - 4 7 großes Leid unter +den Fabrikarbeitern vorherrschte, da viele Fabriken nur für kurze Zeit ge- +arbeitet, andre ganz still gestanden hatten. Eine beträchtliche Anzahl der +Arbeiter befand sich daher in drückendster Lage, viele in Schulden. Man + +35 + +40 + +1 4 1 ) "As a reduction in their hours of work would cause a larger number (of children) to be +employed, it was thought that the additional supply of children from eight to nine years of +age, would meet the increased demand." (1. c. p. 13.) + +255 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +konnte daher mit ziemlicher Gewißheit annehmen, daß sie die längere Ar- +beitszeit vorziehn würden, um die vergangnen Verluste gut zu machen, +vielleicht Schulden abzuzahlen, oder ihre Möbel aus dem Pfandhaus zu +holen, oder verkaufte Habseligkeiten zu ersetzen, oder neue Kleidungs- +stücke sich selbst und ihren Familien zu verschaffen" 1 4 2). Die Herrn Fa- +brikanten suchten die natürliche Wirkung dieser Umstände zu steigern +durch eine allgemeine Lohnherabsetzung von 10%. Dieß geschah so zu sa- +gen zur Einweihungsfeier der neuen Freihandelsära. Dann folgte weitre +Herabsetzung um 8½%, sobald der Arbeitstag auf 11, und um das Dop- +pelte, sobald er definitiv auf 10 Stunden verkürzt wurde. Wo es daher 10 +irgendwie die Verhältnisse zuließen, fand eine Lohnherabsetzung von we- +nigstens 25 % statt 1 4 3). Unter so günstig vorbereiteten Chancen begann man +die Agitation unter den Arbeitern für Widerruf des Akts von 1847. Kein +Mittel des Betrugs, der Verführung und der Drohung wurde dabei ver- +schmäht, aber alles umsonst. Mit Bezug auf das halbe Dutzend Petitionen, 15 +worin die Arbeiter klagen mußten über „ihre Unterdrückung durch den +Akt", erklärten die Bittsteller selbst, bei mündlichem Verhör, ihre Unter- +schriften seien abgenöthigt worden. „Sie seien unterdrückt, ||248| aber von +Jemand anders als dem Fabrikakt" 1 4 4). Wenn es aber den Fabrikanten +nicht gelang, die Arbeiter in ihrem Sinn sprechen zu machen, schrieen sie 20 +selbst nur um so lauter in Presse und Parlament im Namen der Arbeiter. +Sie denuncirten die Fabrikinspektoren als eine Art Konventskommissäre, +die ihrer Weltverbesserungsgrille den unglücklichen Arbeiter unbarmher- +zig aufopferten. Auch dieß Manöver schlug fehl. Fabrikinspektor Leonard +Horner stellte in eigner Person und durch seine Unterinspektoren zahlrei- 25 +che Zeugenverhöre in den Fabriken Lancashire's an. Ungefähr 7 0 % der +verhörten Arbeiter erklären sich für 10 Stunden, eine viel geringere Pro- +centzahl für 11 und eine ganz unbedeutende Minorität für die alten +12 Stunden 1 4 5). + +Ein andres „gütliches" Manöver war, die erwachsnen männlichen Arbei- 30 + +1 4 2 ) „Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1848", p. 16. +1 4 3 ) „Ich fand, daß man Leuten, die 10 sh. wöchentlich erhalten hatten, 1 sh. abzog auf Rech- +nung der allgemeinen Lohnherabsetzung von 10 %, und weitre 1 sh. 6 d. für die Zeitverkür- +zung, zusammen 2 sh. 6 d., und trotz alledem hielt die Mehrzahl fest an der Zehnstunden- +bill." (1. c.) +1 4 4 ) „Als ich die Petition unterzeichnete, erklärte ich zugleich, ich thue damit etwas Schlech- +tes. - Warum habt Ihr sie denn unterzeichnet? - Weil man mich im Weigerungsfalle auf das +Pflaster geworfen hätte. - Der Bittsteller fühlte sich in der That ,unterdrückt', aber nicht grade +durch den Fabrikakt." (1. c. p. 102.) +1 4 5 ) 1. c. p. 17. In Herrn Horner's Distrikt wurden so 10270 erwachsne männliche Arbeiter in 40 +181 Fabriken verhört. Man findet ihre Ausagen im Appendix des Fabrikreports für das Halb- +jahr endend October 1848. Diese Zeugenverhöre bieten auch in andrer Beziehung schätzbares +Material. + +35 + +256 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +5 + +ter 12 bis 15 Stunden arbeiten zu lassen und dann diese Thatsache für den +besten Ausdruck der proletarischen Herzenswünsche zu erklären. Aber der +„unbarmherzige" Fabrikinspektor Leonard Horner war wieder an Ort und +Stelle. Die meisten „Ueberstündigen" sagten aus, „sie würden es bei wei- +tern vorziehn, 10 Stunden für geringren Arbeitslohn zu arbeiten, aber sie +hätten keine Wahl; so viele von ihnen seien arbeitslos, so viele Spinner ge- +zwungen, als bloße piecers zu arbeiten, daß, wenn sie die längre Arbeitszeit +verweigerten, andre sofort ihre Stellen einnehmen würden, so daß die +Frage so für sie stehe: entweder die längre Zeit arbeiten oder auf dem PfLa- + +10 ster liegen" 1 4 6). + +15 + +Der vorläufige Feldzug des Kapitals war mißglückt, und das Zehnstun- +dengesetz trat am l . M a i 1848 in Kraft. Unterdeß hatte jedoch das Fiasko +der Chartistenpartei, deren Führer eingekerkert und deren Organisation +zersprengt, bereits das Selbstvertrauen der englischen Arbeiterklasse er- +schüttert. Bald darauf vereinigte die Pariser Juniinsurrektion und ihre blu- +tige Erstickung, wie im kon||249|tinentalen Europa so in England, alle +Fraktionen der herrschenden Klassen, Grundeigenthümer und Kapitali- +sten, Börsenwölfe und Krämer, Protektionisten und Freihändler, Regierung +und Opposition, Pfaffen und Freigeister, junge Huren und alte Nonnen, +20 unter dem gemeinschaftlichen Ruf zur Rettung des Eigenthums, der Reli- +gion, der Familie, der Gesellschaft! Die Arbeiterklasse wurde überall ver- +fehmt, in den Bann gethan, unter das ,,loi des suspects" gestellt. Die Herrn +Fabrikanten brauchten sich also nicht zu geniren. Sie brachen in offne Re- +volte aus, nicht nur wider das Zehnstundengesetz, sondern wider die ganze +25 Gesetzgebung, welche seit 1833 die „freie" Aussaugung der Arbeitskraft ei- +nigermaßen zu zügeln suchte. Es war eine Proslavery Rebellion in Minia- +tur, während mehr als zwei Jahren durchgeführt mit cynischer Rücksichts- +losigkeit, mit terroristischer Energie, beide um so wohlfeiler, als der +rebellische Kapitalist nichts riskirte außer der Haut seiner Arbeiter. + +30 + +Zum Verständniß des Nachfolgenden muß man sich erinnern, daß die +Fabrikakte von 1833, 1844 und 1847 alle drei in Rechtskraft, so weit der +eine nicht den andren amendirt; daß keiner derselben den Arbeitstag des +männlichen Arbeiters über 18 Jahre beschränkt, und daß seit 1833 die +fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends +35 der gesetzliche „Tag" blieb, innerhalb dessen erst die zwölf-, später die +zehnstündige Arbeit der jungen Personen und Frauenzimmer unter den +vorgeschriebnen Bedingungen zu verrichten war. + +Die Fabrikanten begannen hie und da mit Entlassung eines Theils, + +1 4 6 ) Lc Siehe die von Leonard Horner selbst gesammelten Aussagen No. 69, 70, 71, 72, 92, 93 +40 und die von Subinspektor A. gesammelten No. 51, 52, 58, 59, 60, 62, 70 des „Appendix". Ein + +Fabrikant schenkte selbst klaren Wein ein. Siehe No. 14 nach No. 265 1. c. + +257 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +manchmal der Hälfte, der von ihnen beschäftigten jungen Personen und +Arbeiterinnen und stellten dagegen die fast verschollne Nachtarbeit unter +den erwachsnen männlichen Arbeitern wieder her. Das Zehnstundenge- +setz, riefen sie, lasse ihnen keine andre Alternative 1 4 7)! + +5 + +Der zweite Schritt bezog sich auf die gesetzlichen Pausen für Mahlzei- +ten. Hören wir die Fabrikinspektoren. „Seit der Beschränkung der Arbeits- +stunden auf 10 behaupten die Fabrikanten, obgleich sie praktisch ihre An- +sicht noch nicht bis zur letzten Konsequenz durchführen, daß, wenn z.B. +von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends gearbeitet wird, sie den gesetzlichen +Vorschriften genug thun, indem sie eine Stunde für Mahlzeit vor 9 Uhr 10 +Morgens und eine halbe Stunde nach 7 Uhr Abends, also 1% Stunden für | +|250| Mahlzeiten geben. In einigen Fällen erlauben sie jetzt eine halbe +oder ganze Stunde für Mittagessen, bestehn aber zugleich darauf, sie seien +durchaus nicht verpflichtet, irgend einen Theil der l]/2 Stunden im Lauf +des zehnstündigen Arbeitstags einzuräumen" 1 4 8). Die Herrn Fabrikanten 15 +behaupteten also, die peinlich genauen Bestimmungen des Akts von 1844 +über Mahlzeiten gäben den Arbeitern nur die Erlaubniß, vor ihrem Eintritt +in die Fabrik und nach ihrem Austritt aus der Fabrik, also bei sich zu +Hause, zu essen und zu trinken! Und warum sollten die Arbeiter auch +nicht vor 9 Uhr Morgens ihr Mittagessen einnehmen? Die Kronjuristen 20 +entschieden jedoch, daß die vorgeschriebenen Mahlzeiten „in Pausen wäh- +rend des wirklichen Arbeitstags gegeben werden müssen, und daß es unge- +setzlich, 10 Stunden nach einander von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends +ohne Unterbrechung arbeiten zu l a s s e n " 1 4 9 ) . + +Nach diesen gemüthlichen Demonstrationen leitete das Kapital seine 25 + +Revolte ein durch einen Schritt, der dem Buchstaben des Gesetzes von +1844 entsprach, also legal war. + +Das Gesetz von 1844 verbot allerdings, Kinder von 8 bis 13 Jahren, die +vor 12 Uhr Vormittags beschäftigt würden, wieder nach 1 Uhr mittags zu +beschäftigen. Aber es regelte in keiner Weise die o^stündige Arbeit der 30 +Kinder, deren Arbeitszeit um 12 Uhr Vormittags oder später begann! Acht- +jährige Kinder konnten daher, wenn sie die Arbeit um 12 Uhr Vormittags +begannen, von 12 bis 1 Uhr verwandt werden, 1 Stunde; von 2 Uhr bis +4 Uhr Nachmittags, 2 Stunden, und von 5 Uhr bis halb 9 Uhr Abends, +31Z2 Stunden; alles in allem die gesetzlichen 6½ Stunden! Oder noch besser. 35 +Um ihre Verwendung der Arbeit erwachsner männlicher Arbeiter bis halb +9 Uhr Abends anzupassen, brauchten ihnen die Fabrikanten kein Werk zu +geben vor 2 Uhr Nachmittags, und konnten sie dann ununterbrochen in + +1 4 7 ) „Reports etc. for 31st October 1848", p. 133, 134. +1 4 8 ) „Reports etc. for 30th April 1848", p.47. +1 4 9 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1848", p. 130. + +40 + +258 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +der Fabrik halten bis halb 9 Uhr Abends! „Und es wird jetzt ausdrücklich +zugestanden, daß neuerdings in Folge der Fabrikantengier, ihre Maschine- +rie länger als 10 Stunden laufen zu lassen, sich die Praxis in England ein- +geschlichen hat, acht- bis dreizehnjährige Kinder beiderlei Geschlechts +5 nach Entfernung aller jungen Personen und Weiber aus der Fabrik allein +mit den erwachsnen Männern bis halb 9 Uhr Abends arbeiten zu las- +s e n " 1 5 0 ) . Arbeiter und Fabrik||251|inspektoren protestirten aus hygieni- +schen und moralischen Gründen. Aber das Kapital antwortete: + +10 + +„Meine Thaten auf mein Haupt! Mein Recht verlang ich! +Die Buße und Verpfändung meines Scheins!" + +In der That waren nach statistischer Vorlage an das Unterhaus vom +26.JuIi 1850, trotz aller Proteste, am 15. Juli 1850 3742 Kinder in 257 Fa- +briken dieser „Praxis" unterworfen 1 5 1). Noch nicht genug! Das Luchsauge +des Kapitals entdeckte, daß der Akt von 1844 fünfstündige Arbeit des Vor- +15 mittags nicht ohne Pause von wenigstens 30 Minuten für Erfrischung er- +laubt, aber nichts der Art für die Nachmittagsarbeit vorschreibt. Es ver- +langte und ertrotzte daher den Genuß, achtjährige Arbeiterkinder +unausgesetzt von 2 bis halb 9 Uhr Abends nicht nur schanzen, sondern +auch hungern zu lassen! + +20 + +„Ja, die Brust, +So sagt der S c h e i n " 1 5 2 ) . + +Dieß Shylock'sche Festklammern am Buchstaben des Gesetzes von +1844, soweit es die Kinderarbeit regelt, sollte jedoch nur die offne Revolte +gegen dasselbe Gesetz vermitteln, soweit es die Arbeit von Ju n g e n Perso- +25 nen und Frauenzimmern" regelt. Man erinnert sich, daß die Abschaffung +des „falschen Relaissystems" Hauptzweck und Hauptinhalt jenes Gesetzes +bildet. Die Fabrikanten eröffneten ihre Revolte mit der einfachen Erklä- +rung, die Sektionen des Akts von 1844, welche beliebigen Nießbrauch der + +30 + +1 5°) „Reports etc." I.e. p.142. +m) „Reports etc. for 31st Oct. 1850", p. 5, 6. +1 5 2 ) Die Natur des Kapitals bleibt dieselbe, in seinen unentwickelten, wie in seinen entwickel- +ten Formen. In dem Gesetzbuch, daß der Einfluß der Sklavenhalter kurz vor Ausbruch des +amerikanischen Bürgerkriegs dem Territorium von New-Mexico aufherrschte, heißt es: der +Arbeiter, so weit der Kapitalist seine Arbeitskraft gekauft hat, „ist sein (des Kapitalisten) +35 Geld". ("The labourer is his (the capitalist's) money.") Dieselbe Anschauung war gangbar bei +den römischen Patriciern. Das Geld, das sie dem plebejischen Schuldner vorgeschossen, hatte +sich vermittelst seiner Lebensmittel in Fleisch und Blut des Schuldners verwandelt. Dieß +„Fleisch und Blut" war daher „ihr Geld". Daher das Shylock'sche Gesetz der 10 Tafeln! Lin- +guet's Hypothese, daß die patricischen Gläubiger von Zeit zu Zeit jenseits der Tiber Fest- +schmause in gekochtem Schuldnerfleisch veranstalteten, bleibe ebenso dahingestellt, wie +Daumer's Hypothese über das christliche Abendmahl. + +40 + +259 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +jungen Personen und Frauenzimmer in beliebigen kürzeren Abschnitten +des fünfzehnstündigen Fabriktags verbieten, seien „vergleichungsweise +harmlos (comparatively harmless) geblieben, so lange die Arbeitszeit auf +12 Stunden eingeschränkt war. Unter dem Zehnstundengesetz seien sie +eine unerträgliche Unbill" (hard||252|ship) 1 5 3). Sie zeigten daher den In- +spektoren in der kühlsten Weise an, daß sie sich über den Buchstaben des +Gesetzes hinwegsetzen und das alte System auf eigne Faust wieder einfüh- +ren würden 1 5 4). Es geschehe im Interesse der übelberathnen Arbeiter selbst, +„um ihnen höhre Löhne zahlen zu können". „Es sei der einzig mögliche +Plan, um unter dem Zehnstundengesetz die industrielle Suprematie Groß- 10 +britanniens zu erhalten 1 5 5)." „Es möge etwas schwer sein, Unregelmäßigkei- +ten unter dem Relaissystem zu entdecken, aber was heiße das? (what of +that?) Soll das große Fabrikinteresse dieses Landes als ein sekundäres Ding +behandelt werden, um den Fabrikinspektoren und Subinspektoren ein biß- +chen mehr Mühe (some little trouble) zu sparen 1 5 6)?" + +15 + +5 + +Alle diese Flausen halfen natürlich nichts. Die Fabrikinspektoren schrit- +ten gerichtlich ein. Bald aber überschüttete eine solche Staubwolke von Fa- +brikantenpetitionen den Minister des Innern, Sir George Grey, daß er in +einem Cirkular vom 5. August 1848 die Inspektoren anwies, „im Allgemei- +nen nicht einzuschreiten wegen Verletzung des Buchstabens des Akts, so 20 +oft das Relaissystem nicht erwiesenermaßen mißbraucht werde, um junge +Personen und Frauenzimmer über 10 Stunden arbeiten zu lassen". Hierauf +erlaubte Fabrikinspektor J. Stuart das sogenannte Ablösungssystem wäh- +rend der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags in ganz Schottland, wo +es bald wieder in alter Weise aufblühte. Die englischen Fabrikinspektoren 25 +dagegen erklärten, der Minister besitze keine diktatorische Gewalt zur +Suspension der Gesetze, und fuhren mit gerichtlicher Procedur wider die +Proslavery Rebellen fort. + +Wozu jedoch alle Ladung vor's Gericht, sobald die Gerichte, die county +magistrates 1 5 7) freisprachen? In diesen Gerichten saßen die Herrn Fabri- 30 +kanten über sich selbst zu Gericht. Ein Beispiel. Ein gewisser Eskrigge, +Baumwollspinner von der Firma Kershaw, Leese et Co., hatte dem Fabrik- +inspektor seines Distrikts das Schema eines für seine Fabrik bestimmten +Relaissystems vorgelegt. Ab 1125 31schlägig beschieden, verhielt er sich zu- + +1 5 3 ) „Reports etc. for 31st October 1848", p. 133. +1 5 4 ) So unter andren Philanthrop Ashworth in einem quäkerhaft widrigen Brief an Leonard +Horner. (Rep. Apr. 1849, p.4.) +1 5 5 ) I.e. p.138. +1 5 6 ) 1. c. p. 140. +1 5 7 ) Diese ,,county magistrates", die ,,great unpaid", wie W. Cobbett sie nennt, sind eine Art 40 +unbezahlter Friedensrichter, aus den Honoratioren der Grafschaften gebildet. Sie bilden in +der That die Patrimonialgerichte der herrschenden Klassen. + +35 + +260 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +nächst passiv. Wenige Monate später stand ein Individuum Namens Ro- +binson, ebenfalls Baumwollspinner, und wenn nicht der Freitag, so jeden- +falls der Verwandte des Eskrigge, vor den Borough Justices zu Stockport, +wegen Einführung des identischen, von Eskrigge ausgeheckten Relais- +5 plans. Es saßen 4 Richter, darunter 3 Baumwollspinner, an ihrer Spitze +derselbe unvermeidliche Eskrigge. Eskrigge sprach den Robinson frei und +erklärte nun, was dem Robinson recht, sei dem Eskrigge billig. Auf seine +eigne rechtskräftige Entscheidung gestützt, führte er sofort das System in +seiner eignen Fabrik e i n 1 5 8 ) . Allerdings war schon die Zusammensetzung +10 dieser Gerichte eine offne Verletzung des Gesetzes 1 5 9). „Diese Art gericht- +licher Farcen", ruft Inspektor Howell aus, „schreien nach einem Heilmit- +tel .... entweder paßt das Gesetz diesen Urtheilssprüchen an, oder laßt es +verwalten durch ein minder fehlbares Tribunal, das seine Entscheidungen +dem Gesetz anpaßt .... In allen solchen Fällen, wie sehnt man sich nach + +15 einem bezahlten Richter 1 6 0)!" + +Die Kronjuristen erklärten die Fabrikanten-Interpretation des Aktes von +1844 für abgeschmackt, aber die Gesellschaftsretter ließen sich nicht beir- +ren. „Nachdem ich", berichtet Leonard Horner, „durch 10 Verfolgungen in +7 verschiednen Gerichtsbezirken versucht habe, das Gesetz zu erzwingen, +20 und nur in einem Fall von den Magistraten unterstützt wurde, ... halte ich +weitere Verfolgung wegen Umgehung des Gesetzes für nutzlos. Der Theil +des Akts, der verfaßt wurde, um Uniformität in den Arbeitsstunden zu +schaffen, ... existirt nicht mehr in Lancashire. Auch besitze ich mit mei- +nen Unteragenten durchaus kein Mittel, uns zu versichern, daß Fabriken, +25 wo das sog. Relaissystem herrscht, junge Personen und Frauenzimmer +nicht über 10 Stunden beschäftigen ... Ende April 1849 arbeiteten schon +114 Fabriken in meinem Distrikt nach dieser Methode, und ihre Anzahl +nimmt in der letzten Zeit reißend zu. Im Allgemeinen arbeiten sie jetzt +13¾ Stunden, von 6 Uhr Morgens bis halb 8 Uhr Abends; in einigen Fällen +30 15 Stunden, von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends" 1 6 1). | +|254| Schon December 1848 besaß Leonard Horner eine Liste von 65 Fa- +brikanten und 29 Fabrikaufsehern, die einstimmig erklärten, kein System +der Oberaufsicht könne unter diesem Relaissystem die extensivste Ueber- +arbeit verhindern 1 6 2). Bald wurden dieselben Kinder und jungen Personen + +35 + +40 + +1 5 8 ) „Reports etc. for 30th April 1849", p.21, 22. Vgl. ähnliche Beispiele ibid. p.4, 5. +1 5 9 ) Durch 1 und 2 Wm. IV. c. 39, s. 10, bekannt als Sir John Hobhouse's Factory Act, wird +verboten, daß irgend ein Besitzer einer Baumwollspinnerei oder Weberei, oder Vater, Sohn +und Bruder eines solchen Besitzers in Fragen, die den Factory Act betreffen, als Friedensrich- +ter funktioniren. +1 6°) I.e. +1 6 1 ) „Reports etc. for 30th April 1849", p. 5. +1 6 2 ) „Rep. etc. for 31st Oct. 1849", p. 6. + +261 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +aus der Spinnstube in die Webestube u. s. w., bald, während 15 Stunden, +aus einer Fabrik in die andre geschoben (shifted) 1 6 3). Wie ein System kon- +troliren, „welches das Wort Ablösung mißbraucht, um die Hände in endlo- +ser Mannigfaltigkeit wie Karten durcheinander zu mischen und die Stun- +den der Arbeit und der Rast für die verschiednen Individuen täglich so zu +verschieben, daß ein und dasselbe vollständige Assortiment von Händen +niemals an demselben Platze zur selben Zeit zusammenwirkt" 1 6 4)! + +5 + +Aber ganz abgesehn von wirklicher Ueberarbeitung, war dieß sog. Relais- +system eine Ausgeburt der Kapitalphantasie, wie sie Fourier in seinen hu- +moristischen Skizzen der ,,courtes séances" nie übertroffen hat, nur daß 10 +die Attraktion der Arbeit verwandelt war in die Attraktion des Kapitals. +Man sehe sich jene Fabrikantenschemas an, welche die gute Presse pries +als Muster von dem, „was ein vernünftiger Grad von Sorgfalt und Methode +ausrichten kann" (,,what a reasonable degree of care and method can ac- +complish"). Das Arbeiterpersonal wurde manchmal in 12 bis 15 Kategorien 15 +vertheilt, die selbst wieder ihre Bestandtheile beständig wechselten. Wäh- +rend der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags zog das Kapital den Ar- +beiter jetzt für 30 Minuten, jetzt für eine Stunde an und stieß ihn dann +wieder ab, um ihn von neuem in die Fabrik zu ziehn und aus der Fabrik zu +stoßen, ihn hin und her hetzend in zerstreuten Zeitfetzen, ohne je den Halt +auf ihn zu verlieren, bis die zehnstündige Arbeit vollgemacht. Wie auf der +Bühne hatten dieselben Personen abwechselnd in den verschiednen Sce- +nen der verschiednen Akte aufzutreten. Aber wie ein Schauspieler während +der ganzen Dauer des Dramas der Bühne gehört, so gehörten die Arbeiter +jetzt während 15 Stunden der Fabrik, nicht eingerechnet die Zeit, um von 25 +und zu ihr zu gehn. Die Stunden der Rast verwandelten sich so in Stunden +erzwungnen Müßiggangs, welche den jungen Arbeiter in die Kneipe und +die junge Arbeiterin in das Bordell trieben. Bei jedem neuen Einfall, den +der Kapitalist täglich ausheckte, um seine Maschinerie ohne ||255| Ver- +mehrung des Arbeiterpersonals 12 oder 15 Stunden im Gang zu halten, 30 +hatte der Arbeiter bald in diesem Stück Zeitabfall, bald in jenem seine +Mahlzeit einzuschlucken. Zur Zeit der Zehnstundenagitation schrien die +Fabrikanten, das Arbeiterpack petitionire, in der Erwartung, zwölfstündi- +gen Arbeitslohn für zehnstündige Arbeit zu erhalten. Sie hatten jetzt die +Medaille umgekehrt. Sie zahlten zehnstündigen Arbeitslohn für zwölf- und 35 +fünfzehnstündige Verfügung über die Arbeitskräfte 1 6 5)! Dieß war des Pu- + +20 + +1 6 3 ) „Rep. etc. for 30th April 1849", p.21. +1 6 4 ) „Rep. etc. l.Dec. 1848", p.95. +1 6 5 ) Siehe „Reports etc. for 30th April 1849", p.6 und die weitläufige Auseinandersetzung des +,,shifting system" durch die Fabrikinspektoren Howell und Saunders in „Reports etc. for 31st +Oct. 1848". Siehe auch die Petition der Geistlichkeit von Ashton und Nachbarschaft, Früh- +ling 1849, an die Königin, gegen das ,,shift system". + +40 + +262 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +dels Kern, dieß die Fabrikantenausgabe des Zehnstundengesetzes! Es wa- +ren dieselben salbungsvollen, Menschenliebe triefenden Freihändler, die +den Arbeitern 10 volle Jahre, während der Anticornlaw-Agitation, auf Hel- +ler und Pfennig vorgerechnet, daß bei freier Korneinfuhr eine zehnstün- +5 dige Arbeit, mit den Mitteln der englischen Industrie, vollständig genüge, + +um die Kapitalisten zu bereichern 1 6 6). + +10 + +Die zweijährige Kapitalrevolte wurde endlich gekrönt durch den Ur- +theilsspruch eines der vier höchsten Gerichtshöfe von England, des Court +of Exchequer, der in einem vor ihn gebrachten Fall am 8. Februar 1850 ent- +schied, daß die Fabrikanten zwar wider den Sinn des Akts von 1844 han- +delten, dieser Akt selbst aber gewisse Worte enthalte, die ihn sinnlos mach- +ten. „Mit dieser Entscheidung war das Zehnstundengesetz abgeschafft" 1 6 7). +Eine Masse Fabrikanten, die bisher noch das Relaissystem für junge Perso- +nen und Arbeiterinnen gescheut, griffen nun mit beiden Händen z u 1 6 8 ) . + +15 + +Mit diesem scheinbar definitiven Sieg des Kapitals trat aber sofort ein +Umschlag ein. Die Arbeiter hatten bisher passiven, obgleich unbeugsamen +und täglich erneuten Widerstand geleistet. Sie protestirten jetzt in laut dro- +henden Meetings in Lancashire und Yorkshire. Das angebliche Zehnstun- +dengesetz sei also bloßer Humbug, parlamentarische Prellerei, und habe +20 nie existirt! Die ||256| Fabrikinspektoren warnten dringend die Regierung, +der Klassenantagonismus sei zu einer unglaublichen Höhe gespannt. Ein +Theil der Fabrikanten selbst murrte: „Durch die widersprechenden Ent- +scheidungen der Magistrate herrsche ein ganz abnormer und anarchischer +Zustand. Ein andres Gesetz gelte in Yorkshire, ein andres in Lancashire, +25 ein andres Gesetz in einer Pfarrei von Lancashire, ein andres in ihrer un- +mittelbaren Nachbarschaft. Der Fabrikant in großen Städten könne das +Gesetz umgehn, der in Landflecken finde nicht das nöthige Personal für +das Relaissystem und noch minder zur Verschiebung der Arbeiter aus +einer Fabrik in die andre u.s.w." Und gleiche Exploitation der Arbeitskraft +ist das erste Menschenrecht des Kapitals. + +30 + +Unter diesen Umständen kam es zu einem Kompromiß zwischen Fa- +brikanten und Arbeitern, der in dem neuen zusätzlichen Fabrikakt vom +5. August 1850 parlamentarisch besiegelt ist. Für „junge Personen und +Frauenzimmer" wurde der Arbeitstag in den ersten 5 Wochentagen von 10 +35 auf 10½ Stunden erhöht, für den Samstag auf 1% Stunden beschränkt. Die +Arbeit muß in der Periode von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends vor- + +1 6 6 ) Vgl. z.B. „The Factory Question and the Ten Hours Bill. By R.H. Greg. 1837." +1 6 7 ) F.Engels: „Die englische Zehnstundenbill" (in der von mir herausgegebenen: „Neuen Rh. +Zeitung. Politisch-ökonomische Revue. Aprilheft 1850", p. 13). Derselbe „hohe" Gerichtshof +40 entdeckte ebenfalls während des amerikanischen Bürgerkriegs eine Wortschraube, die das Ge- + +setz gegen Ausrüstung von Piratenschiffen in's direkte Gegentheil verkehrt. +1 6 8 ) „Rep. etc. for 30th April 1850". + +263 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +gehn 1 6 9), mit l^stündigen Pausen für Mahlzeiten, die gleichzeitig und ge- +mäß den Bestimmungen von 1844 einzuräumen sind u. s. w. Damit war +dem Relaissystem ein für allemal ein Ende gemacht 1 7 0). Für die Kinderar- +beit blieb das Gesetz von 1844 in Kraft. + +5 + +Eine Fabrikantenkategorie sicherte sich dießmal, wie früher, besondere +Seigneurialrechte auf Proletarierkinder. Es waren dieß die Seidenfabrikan- +ten. Im Jahr 1833 hatten sie drohend geheult, „wenn man ihnen die Frei- +heit raube, Kinder jedes Alters täglich 10 Stunden abzurackern, setze man +ihre Fabriken still" (if the liberty of working children of any age for +10 hours a day was taken away, it would stop their works). Es sei ihnen un- 10 +möglich, eine hinreichende Anzahl von Kindern über 11 Jahren zu kaufen. +Sie erpreßten das gewünschte Privilegium. Der Vorwand stellte sich bei +spätrer Untersuchung als baare Lüge heraus 1 7 1), was sie jedoch nicht ver- +hinderte, während eines Decenniums aus dem Blut kleiner Kinder, die zur +Verrichtung ihrer Arbeit auf Stühle gestellt ||257| werden mußten, täglich 15 +10 Stunden Seide zu spinnen 1 7 2). Der Akt von 1844 „beraubte" sie zwar der +„Freiheit", Kinder unter 11 Jahren länger als 6¾ Stunden, sicherte ihnen +dagegen das Privilegium, Kinder zwischen 11 und 13 Jahren 10 Stunden +täglich zu verarbeiten, und kassirte den für andre Fabrikkinder vorge- +schriebenen Schulzwang. Dießmal der Vorwand: „Die Delikatesse des Ge- 20 +webes erheische eine Fingerzartheit, die nur durch frühen Eintritt in die +Fabrik zu sichern" 1 7 3). Der delikaten Finger wegen wurden die Kinder ganz +geschlachtet, wie Hornvieh in Südrußland wegen Haut und Talg. Endlich, +1850, wurde das 1844 eingeräumte Privilegium auf die Departements der +Seidenzwirnerei und Seidenhaspelei beschränkt, hier aber, zum Schaden- 25 +ersatz des seiner „Freiheit" beraubten Kapitals, die Arbeitszeit für Kinder +von 11 bis 13 Jahren von 10 auf 10¾ Stunden erhöht. Vorwand: „Die Ar- +beit sei leichter in Seidenfabriken als in den andren Fabriken und in kei- +ner Weise so nachtheilig für die Gesundheit" 1 7 4). Officielle ärztliche Un- +tersuchung bewies hinterher, daß umgekehrt „die durchschnittliche +Sterblichkeitsrate in den Seidendistrikten ausnahmsweise hoch und unter + +30 + +1 6 9 ) Im Winter kann die Periode zwischen 7 Uhr Morgens und 7 Uhr Abends an die Stelle tre- +ten. +1 7°) "The present law (of 1850) was a compromise whereby the employed surrendered the ben- +efit of the Ten Hours' Act for the advantage of one uniform period for the commencement +and termination of the labour of those whose labour is restricted." („Reports etc. for 30th +April 1852", p. 14.) +m) „Reports etc. for 30th Sept. 1844", p. 13. +m ) I.e. +1 7 3 ) "The delicate texture of the fabric in which they were employed requiring a lightness of 40 +touch, only to be acquired by their early introduction to these factories." („Reports etc. for +31st Oct. 1846", p. 20.) +1 7 4 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1861", p. 26. + +35 + +264 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +dem weiblichen Theil der Bevölkerung selbst höher ist als in den Baum- +wolldistrikten von Lancashire" 1 7 5). Trotz der ||258| halbjährlich wiederhol- +ten Proteste der Fabrikinspektoren dauert der Unfug bis zur Stunde +fort 1 7 6). + +5 + +Das Gesetz von 1850 verwandelte nur für „junge Personen und Frauen- +zimmer" die fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb +9 Uhr Abends in die zwölfstündige Periode von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr +Abends. Also nicht für Kinder, die immer noch eine halbe Stunde vor B e - +ginn und 2% Stunden nach Schluß dieser Periode verwerthbar blieben, +10 wenn auch die Gesammtdauer ihrer Arbeit 6l/2 Stunden nicht überschreiten +durfte. Während der Diskussion des Gesetzes wurde dem Parlament von +den Fabrikinspektoren eine Statistik über die infamen Mißbräuche jener +Anomalie unterbreitet. Jedoch umsonst. Im Hintergrund lauerte die Ab- +sicht, den Arbeitstag der erwachsnen Arbeiter mit Beihülfe der Kinder in +15 Prosperitätsjahren wieder auf 15 Stunden zu schrauben. Die Erfahrung der +folgenden 3 Jahre zeigte, daß solcher Versuch am Widerstand der erwachs- +nen männlichen Arbeiter scheitern müsse 1 7 7). Der Akt von 1850 wurde da- +her 1853 endlich ergänzt durch das Verbot, „Kinder des Morgens vor und +Abends nach den jungen Personen und Frauenzimmern zu verwenden". +20 Von nun an regelte, mit wenigen Ausnahmen, der Fabrikakt von 1850 in + +1 7 5 ) 1. c. p. 27. Im Allgemeinen hat sich die dem Fabrikgesetz unterworfene Arbeiterbevölke- +rung physisch sehr verbessert. Alle ärztlichen Zeugnisse stimmen darin überein und eigne +persönliche Anschauung zu verschiednen Perioden hat mich davon überzeugt. Dennoch, und +abgesehn von der ungeheuren Sterblichkeitsrate der Kinder in den ersten Lebensjahren, zei- +25 gen die officiellen Berichte des Dr. Greenhow den ungünstigen Gesundheitszustand der Fa- +brikdistrikte, verglichen mit „Agrikulturdistrikten von normaler Gesundheit". Zum Beweis +u.a. folgende Tabelle aus seinem Bericht von 1861: +Procentsatz der +in der Manufak- +tur beschäftigten affektionfürje +erwachsenen +Männer. + +Procentsatz der +in der Manufak- +tur beschäftigten Beschäfti- +erwachsenen +Frauenzimmer. + +Sterblichkeits- +rate von Lungen- +affektion für je +100 0 0 0 Frauen- +zimmer. + +Sterblichkeits- +Name des +rate von Lungen- Distrikts. + +Art der weib- +lichen + +1 0 0 0 0 0 Männer. + +gung. +gung. + +30 + +35 + +40 +40 + +45 + +14,9 +42,6 +37,3 +41,9 +31,0 +14,9 +36,6 +30,4 + +598 +708 +547 +611 +691 +588 +721 +726 + +305 + +Wigan +644 +Blackburn +734 +Halifax +564 +Bradford +603 +Macclesfield +804 +Leek +705 +Stoke-upon-Trent 6 6 5 +Woolstanton +727 +Acht gesunde +Agrikultur- +distrikte + +340 + +18,0 +34,9 +20,4 +30,0 +26,0 +17,2 +19,3 +13,9 + +Baumwolle +ditto +Worsted +ditto +Seide +ditto +Erdenwaare +ditto + +1 7 6 ) Man weiß, wie widerstrebend die englischen „Freihändler" dem Schutzzoll für Seidenma- +nufaktur entsagten. Statt des Schutzes gegen französische Einfuhr dient nun die Schutzlosig- +keit englischer Fabrikkinder. +1 7 7 ) „Reports etc. for 30th April 1853", p.30. + +265 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +den ihm unterworfenen Industriezweigen den Arbeitstag aller Arbeiter 1 7 8). +Seit dem Erlaß des ersten Fabrikakts war jetzt ein halbes Jahrhundert ver- +flossen 1 7 9). I + +|259| Ueber ihre ursprüngliche Sphäre griff die Gesetzgebung zuerst hin- +aus durch den „Printworks' A c t " (Gesetz über Kattundruckereien u. s.w.) +von 1845. Die Unlust, womit das Kapital diese neue „Extravaganz" zuließ, +spricht aus jeder Zeile des Akts! Er beschränkt den Arbeitstag für Kinder +von 8 - 1 3 Jahren und für Frauenzimmer auf 16 Stunden zwischen 6 Uhr +Morgens und 10 Uhr Abends, ohne irgend eine gesetzliche Pause für Mahl- +zeiten. Er erlaubt männliche Arbeiter über 13 Jahre Tag und Nacht hin- 10 +durch beliebig abzuarbeiten 1 8 0). Er ist ein parlamentarischer A b o r t 1 8 1 ) . + +5 + +Dennoch hatte das Princip gesiegt mit seinem Sieg in den großen Indu- +striezweigen, welche das eigenste Geschöpf der modernen Produktions- +weise. Ihre wundervolle Entwicklung von 1 8 5 3 - 1 8 6 0 , Hand in Hand mit +der physischen und moralischen Wiedergeburt der Fabrikarbeiter, schlug 15 +das blödeste Auge. Die Fabrikanten selbst, denen die gesetzliche Schranke +und Regel des Arbeitstags durch halbhundertjährigen Bürgerkrieg Schritt +für Schritt abgetrotzt, wiesen prahlend auf den Kontrast mit den noch +„freien" Exploitationsgebieten h i n 1 8 2 ) . Die Pharisäer der „politischen Oe- +konomie" proklamirten nun die Einsicht in die Nothwendigkeit eines ge- 20 +setzlich geregelten Arbeitstags als charakteristische Neuerrungenschaft +ihrer „Wissenschaft" 1 8 3). Man versteht leicht, daß nachdem sich die Fa- + +1 7 8 ) Während der Zenithjahre der englischen Baumwollindustrie, 1859 und 1860, versuchten +einige Fabrikanten durch die Lockangel hoher Arbeitslöhne für Extrazeit, die erwachsnen +männlichen Spinner u. s. w. zur Verlängerung des Arbeitstags zu bestimmen. Die Hand-Mule 25 +Spinners und Self-Actor Minders machten dem Experiment ein Ende durch eine Denkschrift +an ihre Anwender, worin es u. a. heißt: „Grad herausgesprochen, unser Leben ist uns zur Last, +und so lange wir fast 2 Tage die Woche (20 Stunden) länger an die Fabrik gekettet sind als die +andren Arbeiter, fühlen wir uns gleich Heloten im Lande und werfen uns selbst vor, ein Sy- +stem zu verewigen, das uns selbst und unsre Nachkommen physisch und moralisch beschä- 30 +digt ... Daher geben wir hiermit respektvolle Notiz, daß wir von Neujahrstag an keine Minute +mehr als 60 Stunden wöchentlich, von 6 Uhr bis 6 Uhr, mit Abzug der gesetzlichen Pausen +von I]Z2 Stunden, arbeiten werden." („Reports etc. for 30th April 1860", p. 30.) +1 7 9 ) Ueber die Mittel, die die Fassung dieses Gesetzes für seinen Bruch gewährt, cf. den Par- +liamentary Return: ,,Factories Regulation Acts" (9. Aug. 1859) und darin Leonard Horner's 35 +,,Suggestions for Amending the Factory Acts to enable the Inspectors to prevent illegal wor- +king, now become very prevalent". +1 8°) „Kinder von 8 Jahren und darüber sind in der That von 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends +während des letzten Halbjahrs (1857) in meinem Distrikt abgerackert worden." („Reports etc. +for 31st Oct. 1857", p. 39.) +1 8 1 ) "The Printworks' Act is admitted to be a failure, both with reference to its educational +and protective provisions." („Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 52.) +1 8 2 ) So z.B. E.Potter in Brief an Times vom 24.März 1863. Die Times erinnert ihn an die Fa- +brikantenrevolte gegen das Zehnstundengesetz. +1 8 3 ) So u. a. Herr W. Newmarchr Mitarb eiter an und Herausgeber von Tooke's: ,,History of 45 +Prices". Ist es wissenschaftlicher Fortschritt, der öffentlichen Meinung feige Koncessionen +zu machen? + +40 + +266 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +brikmagnaten in das Unvermeidliche gefügt und mit ihm ausgesöhnt, die + +Widerstandskraft des Kapitals graduell abschwächte, während zugleich die + +Angriffskraft der Arbeiterklasse wuchs mit der Zahl ihrer Verbündeten in + +den nicht unmittelbar interessirten Gesellschaftsschichten. Daher verglei- + +5 chungsweis rascher Fortschritt seit 1860. + +Die Färbereien und Bleichereien 1 8 4) wurden 1860, die Spitzen-| + +|260|fabriken und Strumpfwirkereien 1861 dem Fabrikakt von 1850 unter- + +worfen. In Folge des ersten Berichts der „Kommission über die Beschäfti- + +gung der Kinder" (1863) theilten dasselbe Schicksal die Manufaktur aller + +10 Erdenwaaren (nicht nur Töpfereien), der Zündhölzer, Zündhütchen, Patro- + +nen, Tapetenfabrik, Baumwollsammt-Scheererei (fustian cutting) und zahl- + +reiche Processe, die unter dem Ausdruck ,,finishing" (letzte Appretur) zu- + +sammengefaßt sind. Im Jahre 1863 wurden die „Bleicherei in offner + +L u f t " 1 8 5 ) ||261| und die Bäckerei unter eigne Akte gestellt, wovon der erste + +15 + +1 8 4 ) Der 1860 erlaßne Akt über Bleichereien und Färbereien bestimmt, daß der Arbeitstag am +1.August 1861 vorläufig auf 12, am 1.August 1862 definitiv auf 10 Stunden , d.h. 10½ für +Werkeltage und 7½ für Samstage herabgesetzt werde. Als nun das böse Jahr 1862 anbrach, +wiederholte sich die alte Farce. Die Herrn Fabrikanten petitionirten das Parlament, nur noch +für ein einziges Jahr länger die zwölfstündige Beschäftigung von jungen Personen und Frau- +20 enzimmern zu dulden .... „Beim gegenwärtigen Zustand des Geschäfts (zur Zeit der Baum- +wollnoth) sei es ein großer Vortheil für die Arbeiter, wenn man ihnen erlaubt, 12 Stunden täg- +lich zu arbeiten und so viel Arbeitslohn als möglich herauszuschlagen ..." Es war bereits +gelungen, eine Bill in diesem Sinn ins Unterhaus zu bringen. „Sie fiel vor der Agitation der +Arbeiter in den Bleichereien Schottlands." („Report etc. for 31st Oct. 1862", p. 14, 15.) So ge- +25 schlagen von den Arbeitern selbst, in deren Namen es zu sprechen vorgab, entdeckte das Ka- +pital nun, mit Hülfe juristischer Brillen, daß der Akt von 1860, gleich allen Parlamentsakten +zum „Schutz der Arbeit", in sinnverwirrten Wortschraubungen abgefaßt, einen Vorwand gebe, +die „calenderers" und „finishers" von seiner Wirkung auszuschließen. Die englische Jurisdik- +tion, stets getreuer Knecht des Kapitals, sanktionirte durch den Hof der „Common Pleas" die +30 Rabulisterei. „Es hat große Unzufriedenheit unter den Arbeitern erregt und ist sehr bedauer- +lich, daß die klare Absicht der Gesetzgebung auf Vorwand einer mangelhaften Wortdefinition +vereitelt wird." (1. c. p. 18.) +1 8 5 ) Die „Bleicher in offner Luft" hatten sich dem Gesetz von 1860 über „Bleicherei" durch +die Lüge entzogen, daß sie keine Weiber des Nachts verarbeiteten. Die Lüge wurde von den +35 Fabrikinspektoren aufgedeckt, zugleich aber das Parlament durch Arbeiterpetitionen seiner +wiesenduftigkühlen Vorstellungen von „Bleicherei in offner Luft" beraubt. In dieser Luftblei- +cherei werden Trockenzimmer von 90 bis 100 Grad Fahrenheit angewandt, worin hauptsäch- +lich Mädchen arbeiten. ,,Cooling" (Abkühlung) ist der technische Ausdruck für gelegentliches +Entrinnen aus dem Trockenzimmer in die freie Luft. „Fünfzehn Mädchen in den Trocken- +40 zimmern. Hitze von 80 zu 90 ° für Leinwand, von 100 ° und mehr für Cambrics. Zwölf Mäd- +chen bügeln und legen auf (die Cambrics etc.) in einem kleinen Zimmer von ungefähr 10 Fuß +im Quadrat, in der Mitte ein enggeschloßner Ofen. Die Mädchen stehn rund um den Ofen +herum, der eine schreckliche Gluth ausstrahlt und die Cambrics rasch für die Büglerinnen +trocknet. Die Stundenzahl für diese Hände ist unbeschränkt. Wenn geschäftig, arbeiten sie +45 bis 9 oder 12 Uhr Nachts viele Tage hintereinander." („Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 56.) +Ein Arzt erklärt: „Für die Abkühlung sind keine besondren Stunden erlaubt, aber wenn die +Temperatur zu unerträglich wird, oder die Hände der Arbeiterinnen sich von Schweiß be- +schmutzen, ist ihnen gestattet, ein paar Minuten fortzugehn ... Meine Erfahrung in der Be- +handlung der Krankheiten dieser Arbeiterinnen zwingt mich zu konstatiren, daß ihr Gesund- + +267 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +u. a. die Arbeit von Kindern, jungen Personen und Weibern zur Nachtzeit +(von 8 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens) und der zweite die Anwendung von +Bäckergesellen unter 18 Jahren zwischen 9 Uhr Abends und 5 Uhr Mor- +gens verbietet. Auf die spätren Vorschläge der erwähnten Kommission, +welche, mit Ausnahme des Ackerbaus, der Minen und des Transportwe- +sens, alle wichtigen englischen Industriezweige der „Freiheit" zu berauben +drohen, kommen wir zurück 1 8 5 a ) . + +5 + +7. Der Kampf um den Normalarbeitstag. +Rückwirkung der englischen Fabrikgesetzgebung auf andre Länder. + +Der Leser erinnert sich, daß die Produktion von Mehrwerth oder die Ex- 10 +traktion von Mehrarbeit den specifîschen Inhalt und Zweck der kapitalisti- +schen Produktion bildet, abgesehn von jedweder aus der Unterordnung der +Arbeit unter das Kapital etwa entspringenden Umgestaltung der Produk- +tionsweise selbst. Er erinnert sich, daß auf dem bisher entwickelten Stand- +punkt nur der selbständige und daher gesetzlich mündige Arbeiter als 15 +Waarenverkäufer mit dem Kapitalisten kontrahirt. Wenn also in unsrer hi- +storischen Skizze einerseits die moderne Industrie eine Hauptrolle spielt, +andrerseits die Arbeit physisch und rechtlich Unmündiger, so galt uns die +eine nur als besondre Sphäre, die andre nur als besonders schlagendes Bei- +spiel der Arbeitsaussaugung. Ohne jedoch der spätren Entwicklung vorzu- 20 +greifen, folgt aus dem bloßen Zusammenhang der geschichtlichen Thatsa- +chen: | +heitszustand tief unter dem der Baumwollspinnerinnen steht (und das Kapital hatte sie in +seinen Bittschriften an das Parlament in der Manier von Rubens übergesund gemalt!). Ihre +auffallendsten Krankheiten sind Phthisis, Bronchitis, Uterinkrankheiten, Hysterie in der 25 +scheußlichsten Form und Rheumatismus. Alle diese entspringen, wie ich glaube, direkt oder +indirekt, aus der überhitzten Luft ihrer Arbeitszimmer und dem Mangel genügender komfor- +tabler Kleidung, um sie beim Nachhausegehen während der Wintermonate vor der kaltfeuch- +ten Atmosphäre zu schützen." (1. c. p. 56, 57.) Die Fabrikinspektoren bemerken über das den +jovialen „Bleichern in offner Luft" nachträglich abgetrotzte Gesetz von 1863: „Dieser Akt hat 30 +nicht nur verfehlt, den Arbeitern den Schutz zu gewähren, den er zu gewähren scheint .... er +ist so formulirt, daß der Schutz erst eintritt, sobald man Kinder und Frauenzimmer nach +8 Uhr Abends an der Arbeit ertappt, und selbst dann ist die vorgeschriebene Beweismethode +so verklausulirt, daß Bestrafung kaum erfolgen kann." (1. c. p. 52.) „Als ein Akt mit humanen +und auf Erziehung gerichteten Zwecken ist er ganz und gar verfehlt. Man wird es doch kaum 35 +human nennen, Weibern und Kindern zu erlauben, oder, was auf dasselbe hinauskommt, sie +zu zwingen, 14 Stunden täglich, mit oder ohne Mahlzeiten, wie es sich treffen mag, und viel- +leicht noch längere Stunden zu arbeiten, ohne Schranke mit Bezug auf das Alter, ohne Unter- +schied des Geschlechts und ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Gewohnheiten der Fa- +milien der Nachbarschaft, worin die Bleichwerke liegen." („Reports etc. for 30th April 1863", 40 +p.40.) +1 8 5 a ) (Note zur 2. Ausg.) Seit 1866, wo ich das im Text Befindliche schrieb, ist wieder eine Re- +aktion eingetreten. + +268 + + Achtes Kapitel · Der Arbeitstag + +|262| Erstens: In den durch Wasser, Dampf und Maschinerie zunächst +revolutionirten Industrien, in diesen ersten Schöpfungen der modernen +Produktionsweise, den Baumwolle-, Wolle-, Flachs-, Seide-Spinnereien +und Webereien wird der Trieb des Kapitals nach maß- und rücksichtsloser +5 Verlängerung des Arbeitstags zuerst befriedigt. Die veränderte materielle +Produktionsweise und die ihr entsprechend veränderten socialen Verhält- +nisse der Producenten 1 8 6) schaffen erst die maßlose Ausschreitung und ru- +fen dann im Gegensatz die gesellschaftliche Kontrole hervor, welche den +Arbeitstag mit seinen Pausen gesetzlich beschränkt, regulirt und unifor- +10 mirt. Diese Kontrole erscheint daher während der ersten Hälfte des +19. Jahrhunderts bloß als Ausnahmegesetzgebung 1 8 7). Sobald sie das Urge- +biet der neuen Produktionsweise erobert hatte, fand sich, daß unterdeß +nicht nur viele andre Produktionszweige in das eigentliche Fabrikregime +eingetreten, sondern daß Manufakturen mit mehr oder minder verjährter +15 Betriebsweise, wie Töpfereien, Glasereien u.s.w., daß altmodische Hand- +werke, wie die Bäckerei, und endlich selbst die zerstreute sog. Hausarbeit, +wie Nägelmacherei u . s . w . 1 8 8 ) , seit lange der kapitalistischen Exploitation +eben so sehr verfallen waren als die Fabrik. Die Gesetzgebung ward daher +gezwungen, ihren Ausnahmecharakter allmählig abzustreifen, oder, wo sie +römisch kasuistisch verfährt, wie in England, irgend ein Haus, worin man +arbeitet, nach Belieben für eine Fabrik (factory) zu erklären 1 8 9). + +20 + +Zweitens: Die Geschichte der Reglung des Arbeitstags in einigen Pro- +duktionsweisen, in andren der noch fortdauernde Kampf um diese Reg- +lung, beweisen handgreiflich, daß der vereinzelte Arbeiter, der Arbeiter als +25 „freier" Verkäufer seiner Arbeitskraft, auf ge||263|wisser Reifestufe der ka- +pitalistischen Produktion, widerstandslos unterliegt. Die Schöpfung eines +Normalarbeitstags ist daher das Produkt eines langwierigen, mehr oder +minder versteckten Bürgerkriegs zwischen der Kapitalistenklasse und der +Arbeiterklasse. Wie der Kampf eröffnet wird im Umkreis der modernen In- +30 dustrie, so spielt er zuerst in ihrem Heimathland, England 1 9 0). Die engli- + +35 + +40 + +1 8 6 ) "The conduct of each of these classes (capitalists and workmen) has been the result of the +relative situation in which they have been placed." („Reports etc. for 31st Oct. 1848", +p. 113.) +1 8 7 ) "The employments placed under restriction were connected with the manufacture of tex- +tile fabrics by the aid of steam or water power. There were two conditions to which an employ- +ment must be subject to cause it to be inspected, viz., the use of steam or water power, and the +manufacture of certain specified fibres." („Reports etc. for 31st October 1864", p. 8.) +1 8 8 ) Ueber den Zustand dieser sogenannten häuslichen Industrie äußerst reichhaltiges Mate- +rial in den letzten Berichten der ,,Children's Employment Commission". +1 8 9 ) "The Acts of last Session (1864) ... embrace a diversity of occupations the customs in +which differ greatly, and the use of mechanical power to give motion to machinery is no +longer one of the elements necessary, as formerly, to constitute in legal phrase a Factory." +(Reports etc. for 31st Oct. 1864, p. 8.) +1 9°) Belgien, das Paradies des kontinentalen Liberalismus, zeigt auch keine Spur dieser Bewe- + +269 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +sehen Fabrikarbeiter waren die Preisfechter nicht nur der englischen, son- + +dern der modernen Arbeiterklasse überhaupt, wie auch ihre Theoretiker + +der Theorie des Kapitals zuerst den Fehdehandschuh hinwarfen 1 9 1). Der + +Fabrikphilosoph Ure denuncirt es daher als unauslöschliche Schmach der + +englischen Arbeiterklasse, daß sie „die Sklaverei der Fabrikakte" auf ihre + +5 + +Fahne schrieb gegenüber dem Kapital, das männlich für „vollkommne + +Freiheit der Arbeit" st ri t t 1 9 2). + +Frankreich hinkt langsam hinter England her. Es bedarf der Februarre- + +volution zur Geburt des Zwölfstundengesetzes 1 9 3), das viel mangel||264|haf- + +ter ist als sein englisches Original. Trotzdem macht die französische revo- 10 + +lutionäre Methode auch ihre eigenthümlichen Vorzüge geltend. Mit einem + +Schlag diktirt sie allen Ateliers und Fabriken ohne Unterschied dieselbe + +Schranke des Arbeitstags, während die englische Gesetzgebung bald an + +diesem Punkt, bald an jenem, dem Druck der Verhältnisse widerwillig + +weicht und auf dem besten Weg ist, einen neuen juristischen Rattenkönig + +15 + +auszubrüten 1 9 4). Andrerseits proklamirt das französische Gesetz principiell, + +25 + +gung. Selbst in seinen Kohlengruben und Metallminen werden Arbeiter beider Geschlechter +und von jeder Altersstufe mit vollkommner „Freiheit" für jede Zeitdauer und Zeitperiode +konsumirt. Auf je 1000 darin beschäftigten Personen kommen 733 Männer, 83 Weiber, +135 Jungen und 49 Mädchen unter 16 Jahren; in den Hochöfen u. s.w. kommen auf je 1000 20 +668 Männer, 149 Weiber, 98 Jungen und 85 Mädchen unter 16 Jahren. Kommt nun noch +hinzu niedriger Arbeitslohn für enorme Ausbeutung reifer und unreifer Arbeitskräfte, im Ta- +gesdurchschnitt 2 sh. 8 d. für Männer, 1 sh. 8 d. für Weiber, 1 sh. 2½ d. für Jungen. Dafür hat +Belgien aber auch 1863, verglichen mit 1850, Quantum und Werth seiner Ausfuhr von Koh- +len, Eisen u. s. w. ziemlich verdoppelt. +1 9 1 ) Als Robert Owen kurz nach dem ersten Decennium dieses Jahrhunderts die Nothwendig- +keit einer Beschränkung des Arbeitstags nicht nur theoretisch vertrat, sondern den Zehnstun- +dentag wirklich in seine Fabrik zu New-Lanark einführte, ward das als kommunistische Uto- +pie verlacht, ganz so wie seine „Verbindung von produktiver Arbeit mit Erziehung der Kin- +der", ganz wie die von ihm ins Leben gerufenen Kooperationsgeschäfte der Arbeiter. Heutzu- 30 +tage ist die erste Utopie Fabrikgesetz, die zweite figurirt als officielle Phrase in allen ,,Factory +Acts", und die dritte dient sogar schon zum Deckmantel reaktionärer Schwindeleien. +1 9 2 ) Ure fzs. Uebers. „Philosophie des Manufactures. Paris 1836", t.II, p.39, 40, 67, 77 etc. +1 9 3 ) In dem Compte Rendu des „Internationalen Statistischen Kongresses zu Paris, 1855", +heißt es u. a.: „Das französische Gesetz, das die Dauer der täglichen Arbeit in Farbriken und 35 +Werkstätten auf 12 Stunden beschränkt, begrenzt diese Arbeit nicht innerhalb bestimmter fi- +xer Stunden (Zeitperioden), indem nur für die Kinderarbeit die Periode zwischen 5 Uhr Vor- +mittags und 9 Uhr Abends vorgeschrieben ist. Daher bedient sich ein Theil der Fabrikanten +des Rechts, welches ihnen dieß verhängnisvolle Schweigen gibt, um Tag aus, Tag ein, viel- +leicht mit Ausnahme der Sonntage, ohne Unterbrechung arbeiten zu lassen. Sie wenden dazu 40 +zwei verschiedne Arbeiterreihen an, von denen keine mehr als 12 Stunden in der Werkstätte +zubringt, aber das Werk des Etablissements dauert Tag und Nacht. Das Gesetz ist befriedigt, +aber ist es die Humanität ebenfalls?" Außer dem „zerstörenden Einfluß der Nachtarbeit auf +den menschlichen Organismus", wird auch „der fatale Einfluß der nächtlichen Association +beider Geschlechter in denselben trüb erleuchteten Werkstätten" betont. +1 9 4 ) „Z.B. in meinem Distrikt, in denselben Fabrikbaulichkeiten, ist derselbe Fabrikant Blei- +cher und Färber unter dem „Bleicherei- und Färberei-Akt", Drucker unter dem „Printworks' +Act" und finisher unter dem „Fabrikakt" ... (Report of Mr. Baker in „Reports etc. for 31st Oct. + +45 + +270 + + Achtes Kapitel • Der Arbeitstag + +was in England nur im Namen von Kindern, Unmündigen und Frauenzim- +mern erkämpft und erst neuerdings als allgemeines Recht beansprucht +wird 1 9 5). + +In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Ar- +5 beiterbewegung gelähmt, so lange die Sklaverei einen Theil der Republik +verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emancipiren, +wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Skla- +verei entsproß sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bür- +gerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der +10 Lokomotive vom atlantischen bis zum stillen Ocean ausschreitend, von +Neuengland bis nach Kalifornien. Der allgemeine Arbeiterkongreß zu Bal- +timore (Aug. 1866) erklärt: „Das erste und große Erheischniß der Gegen- +wart, um die Arbeit dieses Landes von der kapitalistischen Sklaverei zu be- +ist der Erlaß eines Gesetzes, wodurch 8 Stunden den +freien, +15 Normal-Arbeitstag in allen Staaten der amerikanischen Union bilden sol- +len. Wir sind entschlossen, alle ||265| unsre Macht aufzubieten, bis dieß +glorreiche Resultat erreicht i s t " 1 9 6 ) . Gleichzeitig (Anfang September 1866) +beschloß der „Internationale Arbeiterkongreß" zu Genf auf Vorschlag des +Londoner Generalraths: „Wir erklären die Beschränkung des Arbeitstags +für eine vorläufige Bedingung, ohne welche alle andren Bestrebungen nach +Emancipation scheitern müssen ... Wir schlagen 8 Arbeitsstunden als le- +gale Schranke des Arbeitstags vor." + +20 + +So besiegelt die auf beiden Seiten des atlantischen Meers instinktiv aus +den Produktionsverhältnissen selbst erwachsne Arbeiterbewegung den Aus- +25 spruch des englischen Fabrikinspektors R. J. Saunders: „Weitere Schritte +zur Reform der Gesellschaft sind niemals mit irgend einer Aussicht auf Er- +folg durchzuführen, wenn nicht zuvor der Arbeitstag beschränkt und seine +vorgeschriebne Schranke strikt erzwungen wird" 1 9 7). + +30 + +35 + +40 + +1861", p. 20.) Nach Aufzählung der verschiednen Bestimmungen dieser Akte und der daher +folgenden Komplikation, sagt Herr Baker: „Man sieht, wie schwer es sein muß, die Vollzie- +hung dieser 3 Parlamentsakte zu sichern, wenn der Fabrikeigner das Gesetz zu umgehn be- +liebt." Was aber den Herrn Juristen dadurch gesichert ist, sind Processe. +1 9 5 ) So getrauen sich endlich die Fabrikinspektoren zu sagen: "These objections (des Kapitals +gegen legale Beschränkung der Arbeitszeit) must succumb before the broad principle of the +rights of labour ... there is a time when the master's right in his workman's labour ceases and +his time becomes his own, even if there was no exhaustion in the question." („Reports etc. for +31st Oct. 1862", p. 54.) +1 9 6 ) „Wir, die Arbeiter von Dunkirk, erklären, daß die unter dem jetzigen System erheischte +Länge der Arbeitszeit zu groß ist und dem Arbeiter keine Zeit für Erholung und Entwicklung +läßt, ihn vielmehr auf einen Zustand der Knechtschaft herabdrückt, der wenig besser als die +Sklaverei ist („a condition of servitude but little better than slavery"). Deshalb beschlossen, +daß 8 Stunden für einen Arbeitstag genügen und legal als genügend anerkannt werden müs- +sen; daß wir zu unsrem Beistand die Presse anrufen, den gewaltigen Hebel ... und alle, die +diesen Beistand versagen, als Feinde der Arbeitsreform und Arbeiterrechte betrachten." (Be- + +45 Schlüsse der Arbeiter zu Dunkirk, Staat New-York, 1866.) + +1 9 7 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1848", p. 112. + +271 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +Man muß gestehn, daß unser Arbeiter anders aus dem Produktionspro- + +ceß herauskommt, als er in ihn eintrat. Au f dem Markt trat er als Besitzer + +der Waare „Arbeitskraft" andren Waarenbesitzern gegenüber, Waarenbe- + +sitzer dem Waarenbesitzer. Der Kontrakt, wodurch er dem Kapitalisten + +seine Arbeitskraft verkaufte, bewies so zu sagen schwarz auf weiß, daß er + +5 + +frei über sich selbst verfügt. Nach geschlossenem Handel wird entdeckt, + +daß er „kein freier Agent " war, daß die Zeit, wofür es ihm freisteht, seine + +Arbeitskraft zu verkaufen, die Zeit ist, wofür er gezwungen ist, sie zu ver- + +kaufen 1 9 8), daß in der That sein Sauger nicht losläßt, „so lange noch ein + +Muskel, eine Sehne, ein Tropfen ||266| Bluts auszubeuten" 1 9 9). Zum 10 + +„Schutz" gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe + +zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermäch- + +tiges gesellschaftliches Hinderniß, das sie selbst verhindert, durch freiwilli- + +gen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklave- + +rei zu verkaufen 2 0 0). An die Stelle des prunkvollen Katalogs der 15 + +„unveräußerlichen Menschenrechte" tritt die bescheidne Magna Charta + +eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die „endlich klar macht, wann + +die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet, und wann die ihm selbst gehörige + +Zeit b e g i n n t " 2 0 1 ) . Quantum mutatus ab ilio! + +1 9 8 ) "These proceedings ( die Manöver des Kapitals z.B. 1848-50) have afforded, moreover, 20 +incontrovertible proof of the fallacy of the assertion so often advanced, that operatives need +no protection, but may be considered as free agents in the disposal of the only property they +possess, the labour of their hands, and the sweat of their brows." („Reports etc. for 30th April +1850", p. 45.) "Free Labour, if so it may be termed, even in a free country requires the strong +arm of the law to protect it." („Reports etc. for 31st Oct. 1864", p. 34.) "To permit, which is 25 +tantamount to compelling ... to work 14 hours a day with or without meals etc." („Reports etc. +for 30th April 1863", p. 40.) +1 9 9 ) Friedrich Engels, „Die englische Zehnstundenbill", p. 5. +2 0°) Die Zehnstundenbill hat in den ihr unterworfnen Industriezweigen „die Arbeiter vor +gänzlicher Degeneration gerettet und ihren physischen Zustand beschützt." („Reports etc. for 30 +31st Oct. 1859", p. 47.) „Das Kapital (in den Fabriken) kann niemals die Maschinerie in Be- +wegung halten über eine begrenzte Zeitperiode, ohne die beschäftigten Arbeiter an ihrer Ge- +sundheit und ihrer Moral zu beschädigen; und sie sind nicht in einer Lage, sich selbst zu +schützen." (I.e. p.8.) +2 0 1 ) "A still greater boon is, the distinction at last made clear between the worker's own time 35 +and his master's. The worker knows now when that which he sells is ended, and when his own +begins, and by possessing a sure foreknowledge of this, is enabled to pre-arrange his own min- +utes for his own purposes." (1. c. p. 52.) "By making them masters of their own time, they (die +Fabrikgesetze) have given them a moral energy which is directing them to the eventual posses- +sion of political power." (1. c. p. 47.) Mit verhaltner Ironie und in sehr vorsichtigen Ausdrücken 40 +deuten die Fabrikinspektoren an, daß das jetzige Zehnstundengesetz auch den Kapitalisten +einigermaßen von seiner naturwüchsigen Brutalität als bloßer Verkörperung des Kapitals be- +freit und ihm Zeit zu einiger „Bildung" gegeben habe. Vorher "the master had no time for +anything but money: the servant had no time for anything but labour". (I.e. p.48.) + +272 + + Neuntes Kapitel • Rate und Masse des Mehrwerts + +N E U N T E S K A P I T E L . + +Rate und Masse des Mehrwerths. + +Wie bisher, wird in diesem Kapitel der Werth der Arbeitskraft, also der zur +Reproduktion oder Erhaltung der Arbeitskraft nothwendige Theil des Ar- + +5 beitstags, als gegebne, konstante Größe unterstellt. + +Dieß also vorausgesetzt, ist mit der Rate zugleich die Masse des Mehr- +werths gegeben, die der einzelne Arbeiter dem Kapitalisten in bestimmter +Zeitperiode liefert. Beträgt z.B. die noth||267|wendige Arbeit täglich +6 Stunden, ausgedrückt in einem Goldquantum von 3 sh. = 1 Thaler, so ist +10 der Thaler der Tageswerth einer Arbeitskraft, oder der im Ankauf einer Ar- +beitskraft vorgeschoßne Kapitalwerth. Ist ferner die Rate des Mehrwerths +100 %, so producirt dieß variable Kapital von 1 Thaler eine Masse Mehr- +werth von 1 Thaler, oder der Arbeiter liefert täglich eine Masse Mehrarbeit +von 6 Stunden. + +15 + +Das variable Kapital ist aber der Geldausdruck für den Gesammtwerth +aller Arbeitskräfte, die der Kapitalist gleichzeitig verwendet. Sein Werth ist +also gleich dem Durchschnittswerth einer Arbeitskraft, multiplicirt mit der +Anzahl der verwandten Arbeitskräfte. Bei gegebnem Werth der Arbeitskraft +steht also die Größe des variablen Kapitals in direktem Verhältniß zur An- +20 zahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter. Ist der Tageswerth einer Ar- +beitskraft = 1 Thaler, so ist also ein Kapital vorzuschießen von 100 Th., +um 100, von η Th., um η Arbeitskräfte täglich zu exploitiren. + +25 + +Ebenso: Producirt ein variables Kapital von 1 Thaler, der Tageswerth +einer Arbeitskraft, einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler, so ein variab- +les Kapital von 100 Thalern einen täglichen Mehrwerth von 100, und eins +von η Thalern einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler x n. Die Masse des +producirten Mehrwerths ist also gleich dem Mehrwerth, den der Arbeitstag +des einzelnen Arbeiters liefert, multiplicirt mit der Anzahl der angewand- +ten Arbeiter. Da aber ferner die Masse Mehrwerth, die der einzelne Arbei- +ter producirt, bei gegebnem Werth der Arbeitskraft, durch die Rate des +Mehrwerths bestimmt ist, so folgt dieß erste Gesetz: Die Masse des produ- +cirten Mehrwerths ist gleich der Größe des vorgeschoßnen variablen Kapi- +tals multiplicirt mit der Rate des Mehrwerths oder ist bestimmt durch das +zusammengesetzte Verhältniß zwischen der Anzahl der von demselben Ka- +35 pitalisten gleichzeitig exploitirten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad + +30 + +der einzelnen Arbeitskraft. + +Nennen wir also die Masse des Mehrwerths M, den vom einzelnen Ar- +beiter im Tagesdurchschnitt gelieferten Mehrwerth m, das im Ankauf der + +273 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +einzelnen Arbeitskraft täglich vorgeschoßne variable Kapital v, die Ge- +sammtsumme des variablen Kapitals V 5 den Werth einer Durchschnitts-Ar- +,. + +ihren Exploitationsgrad (cid:2) ( Nothwendige ^ J ™ d die + +beitskraft k, + +Mehrarbeit + +Λ a' I + +« . + +\ + +, + +. + +Anzahl der angewandten Arbeiter n, so erhalten wir: | + +|268| M = + +V + +ι +a' +k X — X n. +a + +Es wird fortwährend unterstellt, nicht nur daß der Werth einer Durch- +schnitts-Arbeitskraft konstant ist, sondern daß die von einem Kapitalisten +angewandten Arbeiter auf Durchschnitts-Arbeiter reducirt sind. Es giebt 10 +Ausnahmefälle, wo der producirte Mehrwerth nicht verhältnißmäßig zur +Anzahl der exploitirten Arbeiter wächst, aber dann bleibt auch der Werth +der Arbeitskraft nicht konstant. + +In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwerth kann daher die +Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des andren ersetzt werden. 15 +Wird das variable Kapital vermindert und gleichzeitig in demselben Ver- +hältniß die Rate des Mehrwerths erhöht, so bleibt die Masse des producir- +ten Mehrwerths unverändert. Muß unter den frühern Annahmen der Kapi- +talist 100 Thaler vorschießen, um 100 Arbeiter täglich zu exploitiren, und +beträgt die Rate des Mehrwerths 50 %, so wirft dieß variable Kapital von 20 +100 einen Mehrwerth von 50 Th. ab, oder von 100 x 3 Arbeitsstunden. +Wird die Rate des Mehrwerths verdoppelt, oder der Arbeitstag, statt von 6 +zu 9, von 6 zu 12 Stunden verlängert, so wirft das um die Hälfte vermin- +derte variable Kapital von 50 Thalern ebenfalls einen Mehrwerth von +50 Thalern ab oder von 50 x 6 Arbeitsstunden. Verminderung des varia- 25 +bien Kapitals ist also ausgleichbar durch proportioneile Erhöhung im Ex- +ploitationsgrad der Arbeitskraft, oder die Abnahme in der Anzahl der be- +schäftigten Arbeiter durch proportionelle Verlängerung des Arbeitstags. +Innerhalb gewisser Grenzen wird die vom Kapital erpreßbare Zufuhr der +Arbeit also unabhängig von der Arbeiterzufuhr 2 0 2). Umgekehrt läßt Ab- 30 +nähme in der Rate des Mehrwerths die Masse des producirten Mehrwerths +unverändert, wenn proportionell die Größe des variablen Kapitals oder die +Anzahl der beschäftigten Arbeiter wächst. + +Indeß hat der Ersatz von Arbeiteranzahi oder Größe des variablen Kapi- + +2 0 2 ) Dieß Elementargesetz scheint den Herren von der Vulgärökonomie unbekannt, die, um- 35 +gekehrte Archimedes, in der Bestimmung der Marktpreise der Arbeit durch Nachfrage und +Zufuhr den Punkt gefunden zu haben glauben, nicht um die Welt aus den Angeln zu heben, +sondern um sie stillzusetzen. + +274 + + Neuntes Kapitel • Rate und Masse des Mehrwerts + +5 + +10 + +tals durch gesteigerte Rate des Mehrwerths oder Verlängerung des Arbeits- +tags unüberspringbare Schranken. Welches ||269| immer der Werth der Ar- +beitskraft sei, ob daher die zur Erhaltung des Arbeiters nothwendige +Arbeitszeit 2 oder 10 Stunden betrage, der Gesammtwerth, den ein Arbei- +ter, Tag aus, Tag ein, produciren kann, ist immer kleiner als der Werth, +worin sich 24 Arbeitsstunden vergegenständlichen, kleiner als 12 sh. oder +4 Thaler, wenn dieß der Geldausdruck von 24 vergegenständlichten Ar- +beitsstunden. Unter unsrer frühern Annahme, wonach täglich 6 Arbeits- +stunden erheischt, um die Arbeitskraft selbst zu reproduciren oder den in +ihrem Ankauf vorgeschoßnen Kapitalwerth zu ersetzen, producirt ein +variables Kapital von 500 Thalern, das 500 Arbeiter zur Mehrwerthsrate +von 100% oder mit zwölfstündigem Arbeitstag verwendet, täglich einen +Mehrwerth von 500 Thalern oder 6 x 500 Arbeitsstunden. Ein Kapital von +100 Thalern, das 100 Arbeiter täglich verwendet zur Mehrwerthsrate von +15 2 0 0 % oder mit 18stündigem Arbeitstag, producirt nur eine Mehrwerths- +masse von 200 Thalern oder 12 x 100 Arbeitsstunden. Und sein gesammtes +Werthprodukt, Aequivalent des vorgeschoßnen variablen Kapitals plus +Mehrwerth, kann Tag aus, Tag ein, niemals die Summe von 400 Thalern +oder 24 x 100 Arbeitsstunden erreichen. Die absolute Schranke des durch- +schnittlichen Arbeitstags, der von Natur immer kleiner ist als 24 Stunden, +bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen +Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerths, oder von verringerter ex- +ploitirten Arbeiteranzahl durch erhöhten Exploitationsgrad der Arbeits- +kraft. Dieß handgreifliche zweite Gesetz ist wichtig zur Erklärung vieler Er- +scheinungen, entspringend aus der später zu entwickelnden Tendenz des +Kapitals, die von ihm beschäftigte Arbeiteranzahl oder seinen variablen in +Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheil so viel als immer möglich zu reduci- +ren, im Widerspruch zu seiner andren Tendenz, die möglichst große Masse +von Mehrwerth zu produciren. Umgekehrt. Wächst die Masse der verwand- +ten Arbeitskräfte, oder die Größe des variablen Kapitals, aber nicht verhält- +nißmäßig zur Abnahme in der Rate des Mehrwerths, so sinkt die Masse +des producirten Mehrwerths. + +20 + +30 + +25 + +Ein drittes Gesetz ergiebt sich aus der Bestimmung der Masse des pro- +ducirten Mehrwerths durch die zwei Faktoren, Rate des Mehrwerths und +35 Größe des vorgeschoßnen variablen Kapitals. Die Rate des Mehrwerths +oder den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, und den Werth der Arbeits- +kraft oder die Größe der nothwendigen Arbeitszeit gegeben, ist es selbst- +verständlich, daß, je größer das variable Kapital, desto größer die Masse +des produ||270|cirten Werths und Mehrwerths. Ist die Grenze des Arbeits- +tags gegeben, ebenso die Grenze seines nothwendigen Bestandtheils, so +hängt die Masse von Werth und Mehrwerth, die ein einzelner Kapitalist + +40 + +275 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +producirt, offenbar ausschließlich ab von der Masse Arbeit, die er in Bewe- +gung setzt. Diese aber hängt, unter den gegebnen Annahmen, ab von der +Masse Arbeitskraft oder der Arbeiteranzahl, die er exploitirt, und diese An- +zahl ihrerseits ist bestimmt durch die Größe des von ihm vorgeschoßnen +variablen Kapitals. Bei gegebner Rate des Mehrwerths und gegebnem +Werth der Arbeitskraft verhalten sich also die Massen des producirten +Mehrwerths direkt wie die Größen der vorgeschoßnen variablen Kapitale. +Nun weiß man aber, daß der Kapitalist sein Kapital in zwei Theile theilt. +Einen Theil legt er aus in Produktionsmitteln. Dieß ist der konstante Theil +seines Kapitals. Den andren Theil setzt er um in lebendige Arbeitskraft. 10 +Dieser Theil bildet sein variables Kapital. Auf Basis derselben Produk- +tionsweise findet in verschiednen Produktionszweigen verschiedne Thei- +lung des Kapitals in konstanten und variablen Bestandtheil statt. Innerhalb +desselben Produktionszweigs wechselt dieß Verhältniß mit wechselnder +technischer Grundlage und gesellschaftlicher Kombination des Produc- 15 +tionsprocesses. Wie aber ein gegebnes Kapital immer zerfalle in konstan- +ten und variablen Bestandtheil, ob der letztre sich zum erstren verhalte wie +1:2, 1:10, oder l:x, das eben aufgestellte Gesetz wird nicht davon berührt, +da früherer Analyse gemäß der Werth des konstanten Kapitals im Produk- +tenwerth zwar wiedererscheint, aber nicht in das neugebildete Werthpro- 20 +dukt eingeht. Um 1000 Spinner zu verwenden, sind natürlich mehr Roh- +materialien, Spindeln u. s. w. erheischt, als um 100 zu verwenden. Der +Werth dieser zuzusetzenden Produktionsmittel aber mag steigen, fallen, +unverändert bleiben, groß oder klein sein, er bleibt ohne irgend einen Ein- +fluß auf den Verwerthungsproceß der sie bewegenden Arbeitskräfte. Das 25 +oben konstatirte Gesetz nimmt also die Form an: Die von verschiednen +Kapitalen producirten Massen von Werth und Mehrwerth verhalten sich +bei gegebnem Werth und gleich großem Exploitationsgrad der Arbeitskraft +direkt wie die Größen der variablen Bestandtheile dieser Kapitale, d. h. +ihrer in lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheile. + +30 + +Dieß Gesetz wiederspricht offenbar aller auf den Augenschein gegründe- +ten Erfahrung. Jedermann weiß, daß ein Baumwollspinner, der, die Pro- +centtheile des angewandten Gesammtkapitals berechnet, ||271| relativ viel +konstantes und wenig variables Kapital anwendet, deßwegen keinen klein- +ren Gewinn oder Mehrwerth erbeutet als ein Bäcker, der relativ viel varia- 35 +bles und wenig konstantes Kapital in Bewegung setzt. Zur Lösung dieses +scheinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder, wie es vom +Standpunkt der elementaren Algebra vieler Mittelglieder bedarf, um zu + +verstehn, daß -jj- eine wirkliche Größe darstellen kann. Obgleich sie das + +Gesetz nie formulirt hat, hängt die klassische Oekonomie instinktiv daran 40 + +276 + + Neuntes Kapitel • Rate und Masse des Mehrwerts + +fest, weil es eine nothwendige Konsequenz des Werthgesetzes überhaupt +ist. Sie sucht es durch gewaltsame Abstraktion vor den Widersprüchen der +Erscheinung zu retten. Man wird später 2 0 3) sehn, wie die Ricardo'sche +Schule an diesem Stein des Anstoßes gestolpert ist. Die Vulgärökonomie, +5 die „wirklich auch nichts gelernt hat", pocht hier, wie überall, auf den +Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt im Gegensatz zu Spi- +noza, daß „die Unwissenheit ein hinreichender Grund ist". + +Die Arbeit, die vom Gesammtkapital einer Gesellschaft Tag aus, Tag +ein, in Bewegung gesetzt wird, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet +10 werden. Ist z . B . die Zahl der Arbeiter eine Million und beträgt der Durch- +schnittsarbeitstag eines Arbeiters 10 Stunden, so besteht der gesellschaftli- +che Arbeitstag aus 10 Millionen Stunden. Bei gegebner Länge dieses Ar- +beitstags, seien seine Grenzen physisch oder social gezogen, kann die +Masse des Mehrwerths nur vermehrt werden durch Vermehrung der Arbei- +teranzahl, d.h. der Arbeiterbevölkerung. Das Wachsthum der Bevölkrung +bildet hier die mathematische Grenze für Produktion des Mehrwerths +durch das gesellschaftliche Gesammtkapital. Umgekehrt. Bei gegebner +Größe der Bevölkrung wird diese Grenze gebildet durch die mögliche Ver- +längerung des Arbeitstags 2 0 4). Man wird im folgenden Kapitel sehn, daß + +15 + +20 dieß Gesetz nur für die bisher behandelte Form des Mehrwerths gilt. + +Aus der bisherigen Betrachtung der Produktion des Mehrwerths ergibt +sich, daß nicht jede beliebige Geld- oder Werthsumme in Kapital verwan- +delbar, zu dieser Verwandlung vielmehr ein be||272|stimmtes Minimum +von Geld oder Tauschwerth in der Hand des einzelnen Geld- oder Waaren- +25 besitzers vorausgesetzt ist. Das Minimum von variablem Kapital ist der +Kostenpreis einer einzelnen Arbeitskraft, die das ganze Jahr durch, Tag +aus, Tag ein, zur Gewinnung von Mehrwerth vernutzt wird. Wäre dieser +Arbeiter im Besitz seiner eignen Produktionsmittel und begnügte er sich, +als Arbeiter zu leben, so genügte ihm die zur Reproduktion seiner Lebens- +30 mittel nothwendige Arbeitszeit, sage von 8 Stunden täglich. Er brauchte +also auch nur Produktionsmittel für 8 Arbeitsstunden. Der Kapitalist dage- +gen, der ihn außer diesen 8 Stunden sage 4 Stunden Mehrarbeit verrichten +läßt, bedarf einer zusätzlichen Geldsumme zur Beschaffung der zusätzli- +chen Produktionsmittel. Unter unsrer Annahme jedoch müßte er schon +zwei Arbeiter anwenden, um von dem täglich angeeigneten Mehrwerth wie +ein Arbeiter leben, d. h. seine nothwendigen Bedürfnisse befriedigen zu + +35 + +2 0 3 ) Näheres darüber im „Vierten Buch". +2 0 4 ) "The labour, that is the economic time of society, is a given portion, say ten hours a day +of a million of people or ten million hours.... Capital has its boundary of increase. The bound- +ary may, at any given period, be attained in the actual extent of economic time employed." +(„An Essay on the Political Economy of Nations. London 1821", p. 47, 49.) + +40 + +277 + + Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +können. In diesem Fall wäre bloßer Lebensunterhalt der Zweck seiner Pro- +duktion, nicht Vermehrung des Reichthums, und das letztre ist unterstellt +bei der kapitalistischen Produktion. Damit er nur doppelt so gut lebe wie +ein gewöhnlicher Arbeiter, und die Hälfte des producirten Mehrwerths in +Kapital zurückverwandle, müßte er zugleich mit der Arbeiterzahl das Mi- +nimum des vorgeschoßnen Kapitals um das Achtfache steigern. Allerdings +kann er selbst, gleich seinem Arbeiter, unmittelbar Hand im Produktions- +processe anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding zwischen Kapita- +list und Arbeiter, ein „kleiner Meister". Ein gewisser Höhegrad der kapita- +listischen Produktion bedingt, daß der Kapitalist die ganze Zeit, während 10 +deren er als Kapitalist, d. h. als personificirtes Kapital funktionirt, zur An- +eignung und daher Kontrole fremder Arbeit und zum Verkauf der Pro- +dukte dieser Arbeit verwenden könne 2 0 5). Die Verwandlung des Hand- +werksmeisters in den Kapitalisten suchte das Zunftwesen des Mittelalters +dadurch gewaltsam ||273| zu verhindern, daß es die Arbeiteranzahl, die ein 15 +einzelner Meister beschäftigen durfte, auf ein sehr geringes Maximum be- +schränkte. Der Geld- oder Waarenbesitzer verwandelt sich erst wirklich in +einen Kapitalisten, wo die für die Produktion vorgeschoßne Minimal- +summe weit über dem mittelaltrigen Maximum steht. Hier, wie in der Na- +turwissenschaft, bewährt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner Logik 20 +entdeckten Gesetzes, daß bloß quantitative Verändrungen auf einem ge- +wissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen 2 0 5 a ) . + +205) « J j 1 6 f a r m e r cannot rely on his own labour; and if he does, I will maintain that he is a +loser by it. His employement should be, a general attention to the whole: his thrasher must be +watched, or he will soon lose his wages in corn not thrashed out; his mowers, reapers etc. must 25 +be looked after; he must constantly go round his fences; he must see there is no neglect; which +would be the case if he was confined to any one spot." „An Enquiry into the Connection be- +tween the Price of Provisions, and the Size of Farms etc. By a Farmer. London 1773", p. 12. +Diese Schrift ist sehr interessant. Man kann darin die Genesis des ,,capitalist farmer" oder +,,merchant farmer", wie er ausdrücklich genannt wird, studiren und seiner Selbstverherrli- +chung gegenüber dem ,,small farmer", dem es wesentlich um die Subsistenz zu thun ist, zuhö- +ren. „Die Kapitalistenklasse wird zuerst theilweise und schließlich ganz und gar entbunden +von der Nothwendigkeit der Handarbeit." (Textbook of Lectures on the Polit. Economy of Na- +tions. By the Rev. Richard Jones. Herford 1852. Lecture III, p. 39.) +2 0 5 a ) Die in der modernen Chemie angewandte, von Laurent und Gerhardt zuerst wissen- 35 +schaftlich entwickelte Molekulartheorie beruht auf keinem andren Gesetze. (Zusatz zur +3. Ausg.) - Wir bemerken zur Erklärung dieser für den Nichtchemiker ziemlich dunklen An- +merkung, daß der Verfasser hier von den von C.Gerhardt 1843 zuerst so benannten „homolo- +gen Reihen" von Kohlenwasserstoffverbindungen spricht, von denen jede eine eigne algebra- +ische Zusammensetzungsformel hat. So die Reihe der Paraffine: Cn, H 2 n + 2; die der normalen 40 +Alkohole: Cn, H 2 n + 2, O; die der normalen fetten Säuren C n, H 2 n, O2 und viele andre. In obigen +Beispielen wird durch einfachen quantitativen Zusatz von CH2 zur Molekularformel jedesmal +ein qualitativ verschiedner Körper gebildet. Ueber die, von Marx überschätzte, Theilnahme +Laurent's und Gerhardt's an der Feststellung dieser wichtigen Thatsache vgl. Kopp, „Entwick- +lung der Chemie, München 1873", S.709 und 716, und Schorlemmer, ,,Rise and Development 45 +of Organic Chemistry, London 1879", p. 54. - F. E. + +30 + +278 + + Neuntes Kapitel · Rate und Masse des Mehrwerts + +Das Minimum der Werthsumme, worüber der einzelne Geld- oder Waa- +renbesitzer verfügen muß, um sich in einen Kapitalisten zu entpuppen, +wechselt auf verschiednen Entwicklungsstufen der kapitalistischen Produk- +tion und ist, bei gegebner Entwicklungsstufe, verschieden in verschiednen +5 Produktionssphären, je nach ihren besondren technischen Bedingungen. +Gewisse Produktionssphären erheischen schon in den Anfängen der kapi- +talistischen Produktion ein Minimum von Kapital, das sich noch nicht in +der Hand einzelner Individuen vorfindet. Dieß veranlaßt theils Staatssubsi- +dien an solche Private, wie in Frankreich zur Zeit Colbert's und wie in +10 manchen deutschen Staaten bis in unsre Epoche hinein, theils die Bildung +von Gesellschaften mit gesetzlichem Monopol für den Betrieb gewisser In- +dustrie- und Handelszweige 2 0 6), - die Vorläufer der modernen Aktienge- +sellschaften. + +Wir halten uns nicht beim Detail der Verändrungen auf, die das Verhält- +15 niß von Kapitalist und Lohnarbeiter im Verlaufe des ||274| Produktionspro- +cesses erfuhr, also auch nicht bei den weitren Fortbestimmungen des Kapi- +tals selbst. Nur wenige Hauptpunkte seien hier betont. + +Innerhalb des Produktionsprocesses entwickelte sich das Kapital zum +Kommando über die Arbeit, d. h. über die sich bethätigende Arbeitskraft +20 oder den Arbeiter selbst. Das personificirte Kapital, der Kapitalist, paßt +auf, daß der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit dem gehörigen Grad +von Intensität verrichte. + +25 + +Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangs verhältniß, welches +die Arbeiterklasse nöthigt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis +ihrer eignen Lebensbedürfnisse vorschrieb. Und als Producent fremder Ar- +beitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Exploiteur von Arbeits- +kraft übergipfelt es an Energie, Maßlosigkeit und Wirksamkeit alle frühern +auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme. + +Das Kapital ordnet sich zunächst die Arbeit unter mit den technischen +30 Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es verändert daher nicht +unmittelbar die Produktionsweise. Die Produktion von Mehrwerth in der +bisher betrachteten Form, durch einfache Verlängrung des Arbeitstags, er- +schien daher von jedem Wechsel der Produktionsweise selbst unabhängig. +Sie war in der altmodischen Bäckerei nicht minder wirksam als in der mo- + +35 dernen Baumwollspinnerei. + +Betrachteten wir den Produktionsproceß unter dem Gesichtspunkt des +Arbeitsprocesses, so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln +nicht als Kapital, sondern als bloßem Mittel und Material seiner zweckmä- +ßigen produktiven Thätigkeit. In einer Gerberei z.B. behandelt er die Felle +2 0 6 ) „Die Gesellschaft Monopolia" nennt Martin Luther derartige Institute. + +40 + +279 + + Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts + +5 + +als seinen bloßen Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist, dem er das +Fell gerbt. Anders, sobald wir den Produktionsproceß unter dem Gesichts- +punkt des Verwerthungsprocesses betrachteten. Die Produktionsmittel ver- +wandelten sich sofort in Mittel zur Einsaugung fremder Arbeit. Es ist nicht +mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind +die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoff- +liche Elemente seiner produktiven Thätigkeit verzehrt zu werden, verzeh- +ren sie ihn als Ferment ihres eignen Lebensprocesses, und der Lebenspro- +ceß des Kapitals besteht nur +in seiner Bewegung als sich selbst +verwerthender Werth. Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts 10 +ruhn und keine lebendige Arbeit einsaugen, sind „reiner Verlust" (,,mere +loss") für den Kapitalisten. Darum konstituiren Schmelzöfen und ||275| Ar- +beitsgebäude einen „Anspruch auf die Nachtarbeit" der Arbeitskräfte. Die +bloße Verwandlung des Geldes in gegenständliche Faktoren des Produk- +tionsprocesses in Produktionsmittel, verwandelt letztre in Rechtstitel und 15 +Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit. Wie diese der kapitalisti- +schen Produktion eigenthümliche und sie charakterisirende Verkehrung, ja +Verrückung des Verhältnisses von todter und lebendiger Arbeit, von Werth +und werthschöpferischer Kraft, sich im Bewußtsein der Kapitalistenköpfe +abspiegelt, zeige schließlich noch ein Beispiel. Während der englischen Fa- 20 +brikantenrevolte von 1 8 4 8 - 5 0 schrieb „der Chef der Leinen- und Baum- +wollspinnerei zu Paisley, einer der ältesten und respektabelsten Firmen +von Westschottland, der Kompagnie Carlile, Söhne und Co., die seit 1752 +besteht und Generation nach Generation von derselben Familie geführt +wird", - dieser äußerst intelligente Gentleman also schrieb in die „Glas- 25 +gow Daily Mail" vom 25. April 1849 einen B r i e f 2 0 7 ) unter dem Titel: „Das +Relaissystem", worin u. a. folgende grotesk naive Stelle unterläuft: „Laßt +uns nun die Uebel betrachten, die aus einer Reduktion der Arbeitszeit von +12 auf 10 Stunden fließen .... Sie ,belaufen' sich auf die allerernsthafteste +Beschädigung der Aussichten und des Eigenthums des Fabrikanten. Arbei- 30 +tete er (d. h. seine „Hände") 12 Stunden und wird er auf 10 beschränkt, +dann schrumpfen je 12 Maschinen oder Spindeln seines Etablissements +auf 10 zusammen (,,then every 12 machines or spindles, in his establish- +ment, shrink to 10"), und wollte er seine Fabrik verkaufen, so würden sie +nur als 10 gewerthschätzt werden, so daß so ein sechster Theil vom Werth 35 +einer jeden Fabrik im ganzen Lande abgezogen würde" 2 0 8). + +2 0 7 ) „Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1849", p. 59. +2 0 8 ) I.e. p.60. Fabrikinspektor Stuart, selbst Schotte, und im Gegensatz zu den englischen Fa- +brikinspektoren ganz in kapitalistischer Denkart befangen, bemerkt ausdrücklich, dieser +Brief, den er seinem Bericht einverleibt, „sei die allernützlichste Mittheilung, die irgend einer 40 +der Fabrikanten, welche das Relaissystem anwenden, gemacht, und ganz besonders darauf be- +rechnet, die Vorurtheile und Bedenken gegen jenes System zu beseitigen". + +280 + + Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts + +Diesem erbangestammten Kapitalhirn von Westschottland verschwimmt +der Werth der Produktionsmittel, Spindeln u.s.w., so sehr mit ihrer Kapi- +taleigenschaft, sich selbst zu verwerthen, oder täglich ein bestimmtes +Quantum fremder Gratisarbeit einzuschlucken, daß der Chef des Hauses +5 Carlile und Co. in der That wähnt, beim Verkauf seiner Fabrik werde ihm +nicht nur der Werth der Spindeln gezahlt, sondern obendrein ihre Verwer- +thung, nicht nur die Arbeit, die in ihnen steckt und zur Produktion von +Spindeln ||276| derselben Art nöthig ist, sondern auch die Mehrarbeit, die +sie täglich aus den braven Westschotten von Paisley auspumpen helfen, +10 und eben deßhalb, meint er, schrumpfe mit der Verkürzung des Arbeits- +tags um zwei Stunden der Verkaufspreis von je 12 Spinnmaschinen auf +den von je 10 zusammen! + +V I E R T E R A B S C H N I T T . + +Die Produktion des relativen Mehrwerths. + +1 5 + +Z E H N T E S K A P I T E L . + +Begriff des relativen Mehrwerths. + +Der Theil des Arbeitstags, der bloß ein Aequivalent für den vom Kapital +gezahlten Werth der Arbeitskraft producirt, galt uns bisher als konstante +Größe, was er in der That ist unter gegebnen Produktionsbedingungen, auf +20 einer vorhandnen ökonomischen Entwicklungsstufe der Gesellschaft, l i e - +ber diese seine nothwendige Arbeitszeit hinaus konnte der Arbeiter 2, 3, 4, +6 u.s.w. Stunden arbeiten. Von der Größe dieser Verlängrung hingen Rate +des Mehrwerths und Größe des Arbeitstags ab. War die nothwendige Ar- +beitszeit konstant, so dagegen der Gesammtarbeitstag variabel. Unterstelle +jetzt einen Arbeitstag, dessen Größe und dessen Theilung in nothwendige +b — c , +Arbeit und Mehrarbeit gegeben sind. Die Linie a c, a +stelle z . B . einen zwölfstündigen Arbeitstag vor, das Stück a b 10 Stunden +nothwendige Arbeit, das Stück b c 2 Stunden Mehrarbeit. Wie kann nun +die Produktion von Mehrwerth vergrößert, d. h. die Mehrarbeit verlängert +30 werden, ohne jede weitere Verlängrung oder unabhängig von jeder weiteren + +25 + +Verlängrung von a c? + +Trotz gegebner Grenzen des Arbeitstags a c scheint b c verlängerbar, +wenn nicht durch Ausdehnung über seinen Endpunkt c, der zugleich der + +281 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Endpunkt des Arbeitstags a c ist, so durch Verschiebung seines Anfangs- +punkts b in entgegengesetzter Richtung nach a hin. Nimm an, b '— b in +a +b ' — b — c sei gleich der Hälfte von bc oder gleich einer +Arbeitsstunde. Wird nun in dem zwölfstündigen Arbeitstag a c der Punkt b +nach b' verrückt, so dehnt sich b c aus zu b' c, die Mehrarbeit wächst um +die Hälfte, von 2 auf 3 Stunden, obgleich der Arbeitstag nach wie vor nur +12 Stunden ||277| zählt. Diese Ausdehnung der Mehrarbeit von b c auf b' c, +von 2 auf 3 Stunden, ist aber offenbar unmöglich ohne gleichzeitige Zu- +sammenziehung der nothwendigen Arbeit von a b auf a b', von 10 auf +9 Stunden. Der Verlängrung der Mehrarbeit entspräche die Verkürzung der 10 +nothwendigen Arbeit, oder ein Theil der Arbeitszeit, die der Arbeiter bis- +her in der That für sich selbst verbraucht, verwandelt sich in Arbeitszeit für +den Kapitalisten. Was verändert, wäre nicht die Länge des Arbeitstags, son- +dern seine Theilung in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit. + +5 + +Andrerseits ist die Größe der Mehrarbeit offenbar selbst gegeben mit ge- 15 + +gebner Größe des Arbeitstags und gegebnem Werth der Arbeitskraft. Der +Werth der Arbeitskraft, d.h. die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit, +bestimmt die zur Reproduktion ihres Werths nothwendige Arbeitszeit. +Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von einem halben +Shilling oder 6 d. dar, und beträgt der Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., so 20 +muß der Arbeiter täglich 10 Stunden arbeiten, um den ihm vom Kapital +gezahlten Tageswerth seiner Arbeitskraft zu ersetzen oder ein Aequivalent +für den Werth seiner nothwendigen täglichen Lebensmittel zu produciren. +Mit dem Werth dieser Lebensmittel ist der Werth seiner Arbeitskraft 1), mit +dem Werth seiner Arbeitskraft ist die Größe seiner nothwendigen Arbeits- 25 +zeit gegeben. Die Größe der Mehrarbeit aber wird erhalten durch Subtrak- +tion der nothwendigen Arbeitszeit vom Gesammtarbeitstag. Zehn Stunden +subtrahirt von zwölf lassen zwei, und es ist nicht abzusehn, wie die Mehr- +arbeit unter den gegebnen Bedingungen über zwei Stunden hinaus verlän- +gert werden kann. Allerdings mag der Kapitalist statt 5 sh. dem Arbeiter 30 +nur 4 sh. 6 d. oder noch weniger zahlen. Zur Reproduktion dieses Werths +von 4 sh. 6 d. würden 9 Arbeitsstunden genügen, von dem zwölfstündigen + +x) Der Werth des täglichen Durchschnittslohns ist bestimmt durch das, was der Arbeiter +braucht „so as to live, labour, and generate". (William Petty: ,,Political Anatomy of Ireland" +1672, p. 64.) "The Price of Labour is always constituted of the price of necessaries." Der Arbei- +ter erhält nicht den entsprechenden Lohn ,,whenever ... the labouring man's wages will not, +suitably to his low rank and station, as a labouring man, support such a family as is often the +lot of many of them to have". (J. Vanderlint I.e. p. 15.) «Le simple ouvrier, qui n'a que ses bras +et son industrie, n'a rien qu'autant qu'il parvient à vendre à d'autres sa peine... En tout genre +de travail il doit arriver et il arrive en effet, que le salaire de l'ouvrier se borne à ce qui lui est +nécessaire pour lui procurer la subsistance.» (Turgot: ,,Réflexions" etc. Œuvres éd. Daire. t.I, +p. 10.) "The price of the necessaries of life is, in fact, the cost of producing labour." (Malthus: +,,Inquiry into etc. Rent." Lond. 1815, p. 48 Note.) + +282 + + Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts + +10 + +Arbeitstag daher 3 statt ||278| 2 Stunden der Mehrarbeit anheimfallen und +der Mehrwerth selbst von 1 sh. auf 1 sh. 6 d. steigen. Dieß Resultat wäre j e - +doch nur erzielt durch Herabdrückung des Lohns des Arbeiters unter den +Werth seiner Arbeitskraft. Mit den 4 sh. 6 d., die er in 9 Stunden producirt, +5 verfügt er über Y10 weniger Lebensmittel als vorher und so findet nur eine +verkümmerte Reproduktion seiner Arbeitskraft statt. Die Mehrarbeit würde +hier nur verlängert durch Ueberschreitung ihrer normalen Grenzen, ihre +Domäne nur ausgedehnt durch usurpatorischen Abbruch von der Domäne +der nothwendigen Arbeitszeit. Trotz der wichtigen Rolle, welche diese Me- +thode in der wirklichen Bewegung des Arbeitslohnes spielt, ist sie hier aus- +geschlossen durch die Voraussetzung, daß die Waaren, also auch die Ar- +beitskraft, zu ihrem vollen Werth gekauft und verkauft werden. Dieß +einmal unterstellt, kann die zur Produktion der Arbeitskraft oder zur Re- +produktion ihres Werths nothwendige Arbeitszeit nicht abnehmen, weil +15 der Lohn des Arbeiters unter den Werth seiner Arbeitskraft, sondern nur +wenn dieser Werth selbst sinkt. Bei gegebner Länge des Arbeitstags muß +die Verlängrung der Mehrarbeit aus der Verkürzung der nothwendigen Ar- +beitszeit entspringen, nicht umgekehrt die Verkürzung der nothwendigen +Arbeitszeit aus der Verlängrung der Mehrarbeit. In unsrem Beispiel muß +20 der Werth der Arbeitskraft wirklich um Y10 sinken, damit die nothwendige +Arbeitszeit um 1X 0 abnehme, von 10 auf 9 Stunden, und daher die Mehrar- +beit sich von 2 auf 3 Stunden verlängre. + +Eine solche Senkung des Werths der Arbeitskraft um Y10 bedingt aber +ihrerseits, daß dieselbe Masse Lebensmittel, die früher in 10, jetzt in +25 9 Stunden producirt wird. Dieß ist jedoch unmöglich ohne eine Erhöhung +der Produktivkraft der Arbeit. Mit gegebnen Mitteln kann ein Schuster +z . B . ein Paar Stiefel in einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soll er +in derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muß sich die Produktivkraft +seiner Arbeit verdoppeln, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine +30 Aenderung in seinen Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder bei- +den zugleich. Es muß daher eine Revolution in den Produktionsbedingun- +gen seiner Arbeit eintreten, d. h. in seiner Produktionsweise und daher im +Arbeitsproceß selbst. Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit ver- +stehn wir hier überhaupt eine Verändrung im Arbeitsproceß, wodurch die +35 zur Produktion einer Waare gesellschaftlich erheischte Arbeitszeit verkürzt +wird, ein kleinres Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt, ein größres +Quan||279|tum Gebrauchswerth zu produciren 2). Während also bei der +2) «Quando si perfezionano le arti, che non è altro che la scoperta di nuove vie, onde si possa +compiere una manufattura con meno gente ο (che è lo stesso) in minor tempo di prima.» Ga- +liani 1. c. p. 158, 159. «L'économie sur les frais de production ne peut être autre chose que +l'économie sur la quantité de travail employé pour produire.» (Sismondi: ,,Études etc." 1.1, +P-22.) + +40 + +283 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Produktion des Mehrwerths in der bisher betrachteten Form die Produk- +tionsweise als gegeben unterstellt war, genügt es für die Produktion von +Mehrwerth durch Verwandlung nothwendiger Arbeit in Mehrarbeit keines- +wegs, daß das Kapital sich des Arbeitsprocesses in seiner historisch überlie- +ferten oder vorhandnen Gestalt bemächtigt und nur seine Dauer verlän- +gert. Es muß die technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des +Arbeitsprocesses, also die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Pro- +duktivkraft der Arbeit zu erhöhn, durch die Erhöhung der Produktivkraft +der Arbeit den Werth der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduk- +tion dieses Werths nothwendigen Theil des Arbeitstags zu verkürzen. + +Durch Verlängrung des Arbeitstags producirten Mehrwerth nenne ich +absoluten Mehrwerth; den Mehrwerth dagegen, der aus Verkürzung der +nothwendigen Arbeitszeit und entsprechender Verändrung im Größenver- +hältniß der beiden Bestandtheile des Arbeitstags entspringt, - relativen +Mehrwerth. + +5 + +10 + +15 + +Um den Werth der Arbeitskraft zu senken, muß die Steigerung der Pro- +duktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Werth der Ar- +beitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßi- +gen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können. Der Werth einer +Waare ist aber nicht nur bestimmt durch das Quantum der Arbeit, welche 20 +ihr die letzte Form giebt, sondern ebensowohl durch die in ihren Produk- +tionsmitteln enthaltne Arbeitsmasse. z.B. der Werth eines Stiefels nicht +nur durch die Schusterarbeit, sondern auch durch den Werth von Leder, +Pech, Draht u. s. w. Steigerung der Produktivkraft und entsprechende Ver- +wohlfeilerung der Waaren in den Industrien, welche die stofflichen EIe- 25 +mente des konstanten Kapitals, die Arbeitsmittel und das Arbeitsmaterial, +zur Erzeugung der nothwendigen Lebensmittel liefern, senken also eben- +falls den Werth der Arbeitskraft. In Produktionszweigen dagegen, die we- +der nothwendige Lebensmittel liefern, noch Produktionsmittel zu ihrer +Herstellung, läßt die erhöhte Produktivkraft den Werth der Arbeitskraft un- +berührt. | + +30 + +|280| Die verwohlfeilerte Waare senkt natürlich den Werth der Arbeits- +kraft nur pro tanto, d. h. nur im Verhältniß, worin sie in die Reproduktion +der Arbeitskraft eingeht. Hemden z. B. sind ein nothwendiges Lebensmit- +tel, aber nur eins von vielen. Ihre Verwohlfeilerung vermindert bloß die 35 +Ausgabe des Arbeiters für Hemden. Die Gesammtsumme der nothwendi- +gen Lebensmittel besteht jedoch nur aus verschiednen Waaren, lauter Pro- +dukten besondrer Industrien, und der Werth jeder solchen Waare bildet +stets einen aliquoten Theil vom Werth der Arbeitskraft. Dieser Werth +nimmt ab mit der zu seiner Reproduktion nothwendigen Arbeitszeit, deren 40 +Ge s ammtverkürzung gleich der Summe ihrer Verkürzungen in allen jenen + +284 + + Zehntes Kapitel · Begriff des relativen Mehrwerts + +besondren Produktionszweigen ist. Wir behandeln dieß allgemeine Resul- +tat hier so, als wäre es unmittelbares Resultat und unmittelbarer Zweck in +jedem einzelnen Fall. Wenn ein einzelner Kapitalist durch Steigerung der +Produktivkraft der Arbeit z . B . Hemden verwohlfeiert, schwebt ihm keines- +5 wegs nothwendig der Zweck vor, den Werth der Arbeitskraft und daher die +nothwendige Arbeitszeit pro tanto zu senken, aber nur soweit er schließlich +zu diesem Resultat beiträgt, trägt er bei zur Erhöhung der allgemeinen +Rate des Mehrwerths 3). Die allgemeinen und nothwendigen Tendenzen +des Kapitals sind zu unterscheiden von ihren Erscheinungsformen. + +10 + +Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen +Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als +Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende +Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewußtsein kommen, ist jetzt +nicht zu betrachten, aber so viel erhellt von vorn herein: wissenschaftliche +15 Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapi- +tals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper +nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehm- +bare Bewegung kennt. Dennoch ist zum Verständniß der Produktion des +relativen Mehrwerths und bloß auf Grundlage der bereits gewonnenen Re- +sultate Folgendes zu bemerken. + +20 + +Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von 6 d. oder l/ 2 sh. +dar, so wird in zwölfstündigem Arbeitstag ein Werth von 6 sh. producirt. +Gesetzt, mit der gegebnen Produktivkraft der ||281| Arbeit würden 12 Stück +Waaren in diesen 12 Arbeitsstunden verfertigt. Der Werth der in jedem +25 Stück vernutzten Produktionsmittel, Rohmaterial u.s.w. sei 6 d. Unter die- +sen Umständen kostet die einzelne Waare 1 sh., nämlich 6 d. für den +Werth der Produktionsmittel, 6 d. für den in ihrer Verarbeitung neu zuge- +setzten Werth. Es gelinge nun einem Kapitalisten, die Produktivkraft der +Arbeit zu verdoppeln und daher 24 statt 12 Stück dieser Waarenart in dem +zwölfstündigen Arbeitstag zu produciren. Bei unverändertem Werth der +Produktionsmittel sinkt der Werth der einzelnen Waare jetzt auf 9 d., näm- +lich 6 d. für den Werth der Produktionsmittel, 3 d. für den durch die letzte +Arbeit neu zugesetzten Werth. Trotz der verdoppelten Produktivkraft +schafft der Arbeitstag nach wie vor nur einen Neuwerth von 6 sh., welcher +sich jedoch jetzt auf doppelt so viel Produkte vertheilt. Auf jedes einzelne +Produkt fällt daher nur noch Y24 statt Y12 dieses Gesammtwerths, 3 d. statt +6 d. oder, was dasselbe ist, den Produktionsmitteln wird bei ihrer Verwand- + +30 + +35 + +3) „Wenn der Fabrikant durch Verbesserung der Maschinerie seine Produkte verdoppelt ... +gewinnt er (schließlich) bloß, sofern er dadurch befähigt wird, den Arbeiter wohlfeiler zu klei- +40 den ... und so ein kleinerer Theil des Gesammtertrags auf den Arbeiter fällt." (Ramsay 1. c. + +p.168.) + +285 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +lung in Produkt, jedes Stück berechnet, jetzt nur noch eine halbe statt wie +früher eine ganze Arbeitsstunde zugesetzt. Der individuelle Werth dieser +Waare steht nun unter ihrem gesellschaftlichen Werth, d.h. sie kostet weni- +ger Arbeitszeit als der große Haufen derselben Artikel, producirt unter den +gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen. Das Stück kostet im Durch- +schnitt 1 sh. oder stellt 2 Stunden gesellschaftlicher Arbeit dar; mit der ver- +änderten Produktionsweise kostet es nur 9 d. oder enthält nur 1% Arbeits- +stunden. Der wirkliche Werth einer Waare ist aber nicht ihr individueller, +sondern ihr gesellschaftlicher Werth, d. h. er wird nicht durch die Arbeits- +zeit gemessen, die sie im einzelnen Fall dem Producenten thatsächlich ko- 10 +stet, sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte Ar- +beitszeit. Verkauft also der Kapitalist, der die neue Methode anwendet, +seine Waare zu ihrem gesellschaftlichen Werth von 1 sh., so verkauft er sie +3 d. über ihrem individuellen Werth und realisirt so einen Extramehrwerth +von 3 d. Andrerseits stellt sich aber der zwölfstündige Arbeitstag jetzt für 15 +ihn in 24 Stück Waare dar statt früher in 12. Um also das Produkt eines Ar- +beitstags zu verkaufen, bedarf er doppelten Absatzes oder eines zweifachen +größern Markts. Unter sonst gleichbleibenden Umständen erobern seine +Waaren nur größern Marktraum durch Kontraktion ihrer Preise. Er wird sie +daher über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesellschaftlichen Werth 20 +verkaufen, sage zu 10 d. das Stück. So schlägt er an jedem einzelnen Stück +immer noch einen Extra||282|mehrwerth von 1 d. heraus. Diese Steigerung +des Mehrwerths findet für ihn statt, ob oder ob nicht seine Waare dem Um- +kreis der nothwendigen Lebensmittel angehört und daher bestimmend in +den allgemeinen Werth der Arbeitskraft eingeht. Vom letztren Umstand 25 +abgesehn, existirt also für jeden einzelnen Kapitalisten das Motiv, die +Waare durch erhöhte Produktivkraft der Arbeit zu verwohlfeilern. + +Indeß entspringt selbst in diesem Fall die gesteigerte Produktion von +Mehrwerth aus der Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entspre- +chender Verlängrung der Mehrarbeit 3 a ) . Die nothwendige Arbeitszeit be- 30 +trage 10 Stunden oder der Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., die Mehrar- +beit 2 Stunden, der täglich producirte Mehrwerth daher 1 sh. Unser +Kapitalist producirt aber jetzt 24 Stück, die er zu 10 d. per Stück oder zu- +sammen zu 20 sh. verkauft. Da der Werth der Produktionsmittel gleich +12 sh., ersetzen 14% Stück Waare nur das vorgeschoßne konstante Kapital. 35 +Der zwölfstündige Arbeitstag stellt sich in den übrigbleibenden 9% Stück + +3 a ) "A man's profit does not depend upon his command of the produce of other men's labour, +but upon his command of labour itself. If he can sell his goods at a higher price, while his +workmen's wages remain unaltered, he is clearly benefited ... A smaller proportion of what he +produces is sufficient to put that labour into motion, and a larger proportion consequently re- 40 +mains for himself." (,,Outlines of Polit. Econ. London 1832", p. 49, 50.) + +286 + + Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts + +dar. Da der Preis der Arbeitskraft = 5 sh., stellt sich im Produkt von +6 Stück die nothwendige Arbeitszeit dar und in 33/5 Stück die Mehrarbeit. +Das Verhältniß der nothwendigen Arbeit zur Mehrarbeit, welches unter +den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen 5:1 betrug, beträgt jetzt +5 nur noch 5:3. Dasselbe Resultat erhält man so: Der Produktenwerth des +zwölfstündigen Arbeitstags ist 20 sh. Davon gehören 12 sh. dem nur wieder +erscheinenden Werth der Produktionsmittel. Bleiben also 8 sh. als Geld- +ausdruck des Werths, worin sich der Arbeitstag darstellt. Dieser Geldaus- +druck ist höher als der Geldausdruck der gesellschaftlichen Durchschnitts- +10 arbeit von derselben Sorte, wovon sich 12 Stunden nur in 6 sh. ausdrücken. +Die Arbeit von ausnahmsweiser Produktivkraft wirkt als potenzirte Arbeit +oder schafft in gleichen Zeiträumen höhere Werthe als die gesellschaftli- +che Durchschnittsarbeit derselben Art. Aber unser Kapitalist zahlt nach +wie vor nur 5 sh. für den Tageswerth der Arbeitskraft. Der Arbeiter bedarf +15 daher, statt früher 10, jetzt nur noch ll/2 Stunden zur Reproduktion dieses +Werths. Seine ||283| Mehrarbeit wächst daher um 2l/2 Stunden, der von ihm +producirte Mehrwerth von 1 auf 3 sh. Der Kapitalist, der die verbesserte +Produktionsweise anwendet, eignet sich daher einen größern Theil des Ar- +beitstags für die Mehrarbeit an, als die übrigen Kapitalisten in demselben +20 Geschäft. Er thut im Einzelnen, was das Kapital bei der Produktion des re- +lativen Mehrwerths im Großen und Ganzen thut. Andrerseits aber ver- +schwindet jener Extramehrwerth, sobald die neue Produktionsweise sich +verallgemeinert und damit die Differenz zwischen dem individuellen +Werth der wohlfeiler producirten Waaren und ihrem gesellschaftlichen +25 Werth verschwindet. Dasselbe Gesetz der Werthbestimmung durch die Ar- +beitszeit, das dem Kapitalisten mit der neuen Methode in der Form fühl- +bar wird, daß er seine Waare unter ihrem gesellschaftlichen Werth verkau- +fen muß, treibt seine Mitbewerber als Zwangsgesetz der Konkurrenz zur +Einführung der neuen Produktionsweise 4). Die allgemeine Rate des Mehr- +30 Werths wird also durch den ganzen Proceß schließlich nur berührt, wenn +die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit Produktionszweige ergrif- +fen, also Waaren verwohlfeilert hat, die in den Kreis der nothwendigen Le- +bensmittel eingehn, daher Elemente des Werths der Arbeitskraft bilden. + +Der Werth der Waaren steht in umgekehrtem Verhältniß zur Produktiv- +35 kraft der Arbeit. Ebenso, weil durch Waarenwerthe bestimmt, der Werth + +4) "If my neighbour by doing much with little labour, can sell cheap, I must contrive to sell as +cheap as he. So that every art, trade, or engine, doing work with labour of fewer hands, and +consequently cheaper, begets in others a kind of necessity and emulation, either of using the +same art, trade, or engine, or of inventing something like it, that every man may be upon the +square, that no man may be able to undersell his neighbour." (,,The Advantages of the East- +India Trade to England. Lond. 1720", p. 67.) + +40 + +287 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwerth in direktem Ver- +hältniß zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit +fallender Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag von +12 Stunden, Geldwerth als gleichbleibend vorausgesetzt, producirt stets +dasselbe Werthprodukt von 6 sh., wie diese Werthsumme sich immer ver- +theile zwischen Aequivalent für den Werth der Arbeitskraft und Mehr- +werth. Fällt aber in Folge gesteigerter Produktivkraft der Werth der tägli- +chen Lebensmittel und daher der Tageswerth der Arbeitskraft von 5 sh. auf +3 sh., so wächst der Mehrwerth von 1 sh. auf 3 sh. Um den Werth der Ar- +beitskraft zu reproduciren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Arbeitsstun- 10 +den nöthig. Vier ||284| Arbeitsstunden sind frei geworden und können der +Domäne der Mehrarbeit annexirt werden. Es ist daher der immanente +Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Ar- +beit zu steigern, um die Waare und durch die Verwohlfeilerung der Waare +den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern 5). + +15 + +5 + +Der absolute Werth der Waare ist dem Kapitalisten, der sie producirt, an +und für sich gleichgültig. Ihn interessirt nur der in ihr steckende und im +Verkauf realisirbare Mehrwerth. Realisirung von Mehrwerth schließt von +selbst Ersatz des vorgeschoßnen Werths ein. Da nun der relative Mehr- +werth in direktem Verhältniß zur Entwicklung der Produktivkraft der Ar- 20 +beit wächst, während der Werth der Waaren in umgekehrtem Verhältniß +zur selben Entwicklung fällt, da also derselbe identische Proceß die Waa- +ren verwohlfeilert und den in ihnen enthaltnen Mehrwerth steigert, löst +sich das Räthsel, daß der Kapitalist, dem es nur um die Produktion von +Tauschwerth zu thun ist, den Tauschwerth der Waaren beständig zu sen- 25 +ken strebt, ein Widerspruch, womit einer der Gründer der politischen Oe- +konomie, Quesnay, seine Gegner quälte und worauf sie ihm die Antwort +schuldig blieben. „Ihr gebt zu", sagt Quesnay, „daß, je mehr man, ohne +Nachtheil für die Produktion, Kosten oder kostspielige Arbeiten in der Fa- +brikation industrieller Produkte ersparen kann, desto vortheilhafter diese 30 +Ersparung, weil sie den Preis des Machwerks vermindert. Und trotzdem +glaubt ihr, daß die Produktion des Reichthums, der aus den Arbeiten der + +5) "In whatever proportion the expenses of a labourer are diminished, in the same proportion +will his wages be diminished, if the restraints upon industry are at the same time taken off." +(,,Considerations concerning taking off the Bounty on Corn exported etc. Lond. 1753", p. 7.) 35 +"The interest of trade requires, that corn and all provisions should be as cheap as possible; for +whatever makes them dear, must make labour dear also ... in all countries, where industry is +not restrained, the price of provisions must affect the Price of Labour. This will always be di- +minished when the necessaries of life grow cheaper." (1. c. p. 3.) "Wages are decreased in the +same proportion as the powers of production increase. Machinery, it is true, cheapens the ne- 40 +cessaries of life, but it also cheapens the labourer too." („A Prize Essay on the comparative +merits of Competition and Cooperation. London 1834", p. 27.) + +288 + + Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts + +Industriellen herkommt, in der Vermehrung des Tauschwerths ihres Mach- +werks besteht" 6). + +Oekonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft ||285| der +Arbeit 7) bezweckt in der kapitalistischen Produktion also durchaus nicht +5 Verkürzung des Arbeitstags. Sie bezweckt nur Verkürzung der für Produk- +tion eines bestimmten Waarenquantums nothwendigen Arbeitszeit. Daß +der Arbeiter bei gesteigerter Produktivkraft seiner Arbeit in einer Stunde +z.B. 10 mal mehr Waare als früher producirt, also für jedes Stück Waare 10 +mal weniger Arbeitszeit braucht, verhindert durchaus nicht, ihn nach wie +10 vor 12 Stunden arbeiten und in den 12 Stunden 1200 statt früher 120 Stück +produciren zu lassen. Ja sein Arbeitstag mag gleichzeitig verlängert wer- +den, so daß er jetzt in 14 Stunden 1400 Stück producirt u.s.w. Man kann +daher bei Oekonomen vom Schlag eines MacCulloch, Ure, Senior und tutti +quanti auf einer Seite lesen, daß der Arbeiter dem Kapital für die Entwick- +lung der Produktivkräfte Dank schuldet, weil sie die nothwendige Arbeits- +zeit verkürzt, und auf der nächsten Seite, daß er diesen Dank beweisen +muß, indem er statt 10 künftig 15 Stunden arbeitet. Die Entwicklung der +Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen Produktion, be- +zweckt, den Theil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten +20 muß, zu verkürzen, um grade dadurch den andren Theil des Arbeitstags, +den er für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern. Wie weit +dies Resultat auch ohne Verwohlfeilerung der Waaren erreichbar, wird sich +zeigen in den besondren Produktionsmethoden des relativen Mehrwerths, +zu deren Betrachtung wir jetzt Übergehn. + +15 + +25 + +6) «Ils convinnent que plus on peut, sans préjudice, épargner de frais ou de travaux dispen- +dieux dans la fabrication des ouvrages des artisans, plus cette épargne est profitable par la di- +minution des prix de ces ouvrages. Cependant ils croient que la production de richesse qui +résulte des travaux des artisans consiste dans l'augmentation de la valeur vénale de leurs +ouvrages.» (Quesnay: ,,Dialogues sur le Commerce et sur les Travaux des Artisans", p. 188, + +30 189.) + +7) «Ces spéculateurs si économes du travail des ouvriers qu'il faudrait qu'ils payassent.» (J.N. +Bidaut: „Du Monopole qui s'établit dans les arts industriels et le commerce. Paris 1828", +p. 13.) "The employer will be always on the stretch to economise time and labour." (Dugald +Stewart: Works ed. by Sir W. Hamilton. Edinburgh, v. VIII, 1855, ,,Lectures on Polit. Econ.", +35 p. 318.) "Their (the capitalists') interest is that the productive powers of the labourers they em- +ploy should be the greatest possible. On promoting that power their attention is fixed and al- +most exclusively fixed." (R.Jones I.e. Lecture III.) + +289 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +E L F T E S K A P I T E L . + +Kooperation. + +Die kapitalistische Produktion beginnt, wie wir sahen, in der That erst, wo +dasselbe individuelle Kapital eine größere Anzahl Arbeiter gleichzeitig be- +schäftigt, der Arbeitsproceß also seinen ||286| Umfang erweitert und Pro- +dukt auf größrer quantitativer Stufenleiter liefert. Das Wirken einer grö- +ßern Arbeiteranzahl zur selben Zeit, in demselben Raum (oder, wenn man +will, auf demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben Waarensorte, +unter dem Kommando desselben Kapitalisten, bildet historisch und be- +grifflich den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Mit Bezug 10 +auf die Produktionsweise selbst unterscheidet sich z . B . die Manufaktur in +ihren Anfängen kaum anders von der zünftigen Handwerksindustrie als +durch die größere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital beschäftig- +ten Arbeiter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist nur erweitert. + +5 + +Der Unterschied ist also zunächst bloß quantitativ. Man sah, daß die 15 + +Masse des Mehrwerths, welche ein gegebnes Kapital producirt, gleich dem +Mehrwerth, den der einzelne Arbeiter liefert, multiplicirt mit der Anzahl +der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter. Diese Anzahl ändert an und für +sich nichts an der Rate des Mehrwerths oder dem Exploitationsgrad der Ar- +beitskraft, und mit Bezug auf die Produktion von Waarenwerth überhaupt 20 +scheint jede qualitative Verändrung des Arbeitsprocesses gleichgültig. Es +folgt dieß aus der Natur des Werths. Vergegenständlicht sich ein zwölfstün- +diger Arbeitstag in 6 sh., so 1200 solcher Arbeitstage in 6 sh. x 1200. In +dem einen Fall haben sich 12 x 1200, in dem andren 12 Arbeitsstunden +den Produkten einverleibt. In der Werthproduktion zählen Viele immer 25 +nur als viele Einzelne. Für die Werthproduktion macht es also keinen Un- +terschied, ob 1200 Arbeiter vereinzelt produciren oder vereint unter dem +Kommando desselben Kapitals. + +Indeß findet doch innerhalb gewisser Grenzen eine Modifikation statt. +In Werth vergegenständlichte Arbeit ist Arbeit von gesellschaftlicher 30 +Durchschnittsqualität, also die Aeußerung einer durchschnittlichen Ar- +beitskraft. Eine Durchschnittsgröße existirt aber immer nur als Durch- +schnitt vieler verschiedner Größenindividuen derselben Art. In jedem In- +dustriezweig weicht der individuelle Arbeiter, Peter oder Paul, mehr oder +minder vom Durchschnittsarbeiter ab. Diese individuellen Abweichungen, 35 +welche mathematisch „Fehler" heißen, kompensiren sich und verschwin- +den, sobald man eine größere Anzahl Arbeiter zusammennimmt. Der be- +rühmte Sophist und Sykophant Edmund Burke will aus seinen praktischen + +290 + + Elftes Kapitel • Kooperation + +10 + +Erfahrungen als Pächter sogar wissen, daß schon „für ein so geringes Pelo- +ton" wie 5 Ackerknechte aller individuelle Unterschied der Arbeit ver- +schwindet, also die ersten besten im Mannesalter ||287| befindlichen fünf +englischen Ackerknechte zusammengenommen in derselben Zeit grad so +5 viel Arbeit verrichten als beliebige andre fünf englische Ackerknechte 8). +Wie dem auch sei, es ist klar, daß der Gesammtarbeitstag einer größren +Anzahl gleichzeitig beschäftigter Arbeiter, dividirt durch die Anzahl der +Arbeiter, an und für sich ein Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ist. +Der Arbeitstag des Einzelnen sei z . B . zwölfstündig. So bildet der Arbeits- +tag von 12 gleichzeitig beschäftigten Arbeitern einen Gesammtarbeitstag +von 144 Stunden, und obgleich die Arbeit eines Jeden des Dutzend mehr +oder minder von der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit abweichen, der +Einzelne daher etwas mehr oder weniger Zeit zu derselben Verrichtung +brauchen mag, besitzt der Arbeitstag jedes Einzelnen als ein Zwölftel des +15 Gesammtarbeitstags von 144 Stunden die gesellschaftliche Durchschnitts- +qualität. Für den Kapitalisten aber, der ein Dutzend beschäftigt, existirt +der Arbeitstag als Gesammtarbeitstag des Dutzend. Der Arbeitstag jedes +Einzelnen existirt als aliquoter Theil des Gesammtarbeitstags, ganz unab- +hängig davon, ob die Zwölf einander in die Hand arbeiten oder ob der +20 ganze Zusammenhang ihrer Arbeiten nur darin besteht, daß sie für densel- +ben Kapitalisten arbeiten. Werden dagegen von den 12 Arbeitern je zwei +von einem kleinen Meister beschäftigt, so wird es zufällig, ob jeder ein- +zelne Meister dieselbe Werthmasse producirt und daher die allgemeine +Rate des Mehrwerths realisirt. Es fänden individuelle Abweichungen statt. +25 Verbrauchte ein Arbeiter bedeutend mehr Zeit in der Produktion einer +Waare, als gesellschaftlich erheischt ist, wiche die für ihn individuell noth- +wendige Arbeitszeit bedeutend ab von der gesellschaftlich nothwendigen +oder der Durchschnitts-Arbeitszeit, so gälte seine Arbeit nicht als Durch- +schnittsarbeit, seine Arbeitskraft nicht als durchschnittliche Arbeitskraft. +30 Sie verkaufte sich gar nicht oder nur unter dem Durchschnittswerth der Ar- +beitskraft. Ein bestimmtes Minimum der Arbeitsfertigkeit ist also voraus- +gesetzt, und wir werden später sehn, daß die kapi||288|talistische Produk- +tion Mittel findet, dieß Minimum zu messen. Nichts desto weniger weicht +das Minimum vom Durchschnitt ab, obgleich auf der andren Seite der + +35 + +8) "Unquestionably, there is a great deal of difference between the value of one man's labour +and that of another, from strength, dexterity and honest application. But I am quite sure, from +my best observation, that any given five men will, in their total, afford a proportion of labour +equal to any other five within the periods of life I have stated; that is, that among such five +men there will be one possessing all the qualifications of a good workman, one bad, and the +40 other three middling, and approximating to the first and the last. So that in so small a platoon +as that of even five, you will find the full complement of all that five men can earn." (E.Burke +1. c. p. 15, 16.) cf. Quételet über das Durchschnittsindividuum. + +291 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Durchschnittswerth der Arbeitskraft gezahlt werden muß. Von den sechs +Kleinmeistern würde der eine daher mehr, der andre weniger als die allge- +meine Rate des Mehrwerths herausschlagen. Die Ungleichheiten würden +sich für die Gesellschaft kompensiren, aber nicht für den einzelnen Mei- +ster. Das Gesetz der Verwerthung überhaupt realisirt sich also für den ein- +zelnen Producenten erst vollständig, sobald er als Kapitalist producirt, +viele Arbeiter gleichzeitig anwendet, also von vorn herein gesellschaftliche +Durchschnittsarbeit in Bewegung setzt 9). + +5 + +10 + +Auch bei gleichbleibender Arbeitsweise bewirkt die gleichzeitige An- +wendung einer größren Arbeiteranzahl eine Revolution in den gegenständ- +liehen Bedingungen des Arbeitsprocesses. Baulichkeiten, worin Viele ar- +beiten, Lager für Rohmaterial u. s. w., Gefäße, Instrumente, Apparate, +u.s.w., die Vielen gleichzeitig oder abwechselnd dienen, kurz ein Theil der +Produktionsmittel wird jetzt gemeinsam im Arbeitsproceß konsumirt. Ei- +nerseits wird der Tauschwerth von Waaren, also auch von Produktionsmit- 15 +teln, durchaus nicht erhöht durch irgend welche erhöhte Ausbeutung ihres +Gebrauchswerths. Andrerseits wächst der Maßstab der gemeinsam ge- +brauchten Produktionsmittel. Ein Zimmer, worin 20 Weber mit ihren +20 Webstühlen arbeiten, muß weiter gestreckt sein als das Zimmer eines +unabhängigen Webers mit zwei Gesellen. Aber die Produktion einer Werk- 20 +statt für 20 Personen kostet weniger Arbeit als die von 10 Werkstätten für +je zwei Personen, und so wächst überhaupt der Werth massenweise kon- +centrirter und gemeinsamer Produktionsmittel nicht verhältnißmäßig mit +ihrem Umfang und ihrem Nutzeffekt. Gemeinsam vernutzte Produktions- +mittel geben geringren Werthbestandtheil an das einzelne Produkt ab, 25 +theils weil der Gesammtwerth, den sie abgeben, sich gleichzeitig auf eine +größre Produktenmasse vertheilt, theils weil sie, im Vergleich zu vereinzel- +ten Produktionsmitteln, zwar mit absolut größrem, aber, ihren Wirkungs- +kreis betrachtet, mit relativ ||289| kleinrem Werth in den Produktionspro- +ceß eintreten. Damit sinkt ein Werthbestandtheil des konstanten Kapitals, 30 +also proportioneil zu seiner Größe, auch der Gesammtwerth der Waare. +Die Wirkung ist dieselbe, als ob die Produktionsmittel der Waare wohlfei- +ler producirt würden. Diese Oekonomie in der Anwendung der Produk- +tionsmittel entspringt nur aus ihrem gemeinsamen Konsum im Arbeits- +proceß Vieler. Und sie erhalten diesen Charakter als Bedingungen 35 +gesellschaftlicher Arbeit oder gesellschaftliche Bedingungen der Arbeit im + +9) Herr Professor Roscher will entdeckt haben, daß eine Nähmamsell, die während zwei Ta- +gen von der Frau Professorin beschäftigt wird, mehr Arbeit liefert, als zwei Nähmamsellen, +welche die Frau Professorin am selben Tage beschäftigt. Der Herr Professor stelle seine Beob- +achtungen über den kapitalistischen Produktionsproceß nicht in der Kinderstube an und +nicht unter Umständen, worin die Hauptperson fehlt, der Kapitalist. + +40 + +292 + + Elftes Kapitel • Kooperation + +Unterschied von den zersplitterten und relativ kostspieligen Produktions- +mitteln vereinzelter selbständiger Arbeiter oder Kleinmeister, selbst wenn +die Vielen nur räumlich zusammen, nicht mit einander arbeiten. Ein Theil +der Arbeitsmittel erwirbt diesen gesellschaftlichen Charakter, bevor ihn der + +5 Arbeitsproceß selbst erwirbt. + +Die Oekonomie der Produktionsmittel ist überhaupt von doppeltem Ge- +sichtspunkt zu betrachten. Das eine Mal, soweit sie Waaren verwohlfeilert +und dadurch den Werth der Arbeitskraft senkt. Das andre Mal, so weit sie +das Verhältniß des Mehrwerths zum vorgeschoßnen Gesammtkapital, d. h. +10 zur Werthsumme seiner konstanten und variablen Bestandtheile, verän- +dert. Der letztre Punkt wird erst im ersten Abschnitt des dritten Buchs die- +ses Werks erörtert, wohin wir des Zusammenhangs wegen auch manches +schon hierher Gehörige verweisen. Der Gang der Analyse gebietet diese +Zerreißung des Gegenstands, die zugleich dem Geist der kapitalistischen +15 Produktion entspricht. Da hier nämlich die Arb eitsb e dingung en dem Ar- +beiter selbständig gegenübertreten, erscheint auch ihre Oekonomie als eine +besondre Operation, die ihn nichts angeht und daher getrennt ist von den +Methoden, welche seine persönliche Produktivität erhöhen. + +Die Form der Arbeit Vieler, die in demselben Produktionsproceß oder in +20 verschiednen, aber zusammenhängenden Produktionsprocessen, planmä- + +ßig neben und mit einander arbeiten, heißt Kooperation 1 0). + +Wie die Angriffskraft einer Kavalerieschwadron oder die Widerstands- +kraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von der Summe +der von jedem Kavaleristen und Infanteristen vereinzelt entwickelten An- +25 griffs- und Widerstandskräfte, so die mechanische Kraftsumme vereinzel- +ter Arbeiter von der gesellschaftlichen Kraftpotenz, die sich entwickelt, +wenn viele Hände gleichzeitig in ||290|. derselben ungetheilten Operation +zusammenwirken, z. B. wenn es gilt eine Last zu heben, eine Kurbel zu +drehn oder einen Widerstand aus dem Weg zu räumen 1 1). Die Wirkung der +30 kombinirten Arbeit könnte hier von der vereinzelten gar nicht oder nur in +viel längren Zeiträumen oder nur auf einem Zwergmaßstab hervorgebracht +werden. Es handelt sich hier nicht nur um Erhöhung der individuellen Pro- +duktivkraft durch die Kooperation, sondern um die Schöpfung einer Pro- +duktivkraft, die an und für sich Massenkraft sein m u ß 1 1 a ) . +1 0 ) ,,Concours de forces". (Destutt de Tracy 1. c. p. 80.) +u) "There are numerous operations of so simple a kind as not to admit a division into parts, +which cannot be performed without the cooperation of many pairs of hands. For instance the +lifting of a large tree on a wain ... every thing in short, which cannot be done unless a great +many pairs of hands help each other in the same undivided employment, and at the same + +35 + +40 time." (E. G. Wakefield: „A View of the Art of Colonization. London 1849", p. 168.) + +11 a) "As one man cannot, and 10 men must strain, to lift a tun of weight, yet one hundred +men can do it only by the strength of a finger of each of them." (John Bellers: "Proposals for +raising a colledge of industry. London 1696", p. 21.) + +293 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +Abgesehn von der neuen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung vieler +Kräfte in eine Gesammtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produkti- +ven Arbeiten der bloße gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine +eigne Erregung der Lebensgeister (animal spirits), welche die individuelle +Leistungsfähigkeit der Einzelnen erhöhen, so daß ein Dutzend Personen +zusammen in einem gleichzeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein viel +größres Gesammtprodukt liefern als zwölf vereinzelte Arbeiter, von denen +jeder 12 Stunden, oder als ein Arbeiter, der 12 Tage nach einander arbei- +t e t 1 2 ) . Dieß rührt daher, daß der Mensch von Natur, wenn nicht, wie Ari- +stoteles meint, ein politisches 1 3), jedenfalls ein gesellschaftliches Thier ist. | 10 +|291| Obgleich Viele Dasselbe oder Gleichartiges gleichzeitig mit einan- +der verrichten, kann die individuelle Arbeit eines Jeden dennoch als Theil +der Gesammtarbeit verschiedne Phasen des Arbeitsprocesses selbst darstel- +len, die der Arbeitsgegenstand, in Folge der Kooperation, rascher durch- +läuft. Z. B . , wenn Maurer eine Reihe von Händen bilden, um Bausteine 15 +vom Fuß eines Gestells bis zu seiner Spitze zu befördern, thut jeder von +ihnen dasselbe, aber dennoch bilden die einzelnen Verrichtungen konti- +nuirliche Theile einer Gesammtverrichtung, besondre Phasen, die jeder +Baustein im Arbeitsproceß durchlaufen muß, und wodurch ihn etwa die +24 Hände des Gesammtarbeiters rascher fördern, als die zwei Hände jedes 20 +einzelnen Arbeiters, der das Gerüst auf- und abstiege 1 4). Der Arbeitsgegen- +stand durchläuft denselben Raum in kürzerer Zeit. Andrerseits findet +Kombination der Arbeit statt, wenn ein Bau z . B . von verschiednen Seiten +gleichzeitig angegriffen wird, obgleich die Kooperirenden Dasselbe oder + +1 2 ) "There is also" (wenn dieselbe Arbeiterzahl von einem Pächter auf 300, statt von 10 Päch- 25 +tern auf je 30 acres angewandt wird) "an advantage in the proportion of servants, which will +not easily be understood but by practical men; for it is natural to say, as 1 is to 4, so are 3:12: +but this will not hold good in practice; for in harvest-time and many other operations which +require that kind of despatch, by the throwing many hands together, the work is better, and +more expeditiously done: fi., in harvest, 2 drivers, 2 loaders, 2 pitchers, 2 rakers, and the rest 30 +at the rick, or in the barn, will despatch double the work, that the same number of hands +would do, if divided into different gangs, on different farms." („An Enquiry into the Connec- +tion between the present price of provisions and the size of farms. By a Farmer. London +1773", p. 7, 8.) +1 3 ) Aristoteles' Definition ist eigentlich die, daß der Mensch von Natur Stadtbürger. Sie ist 35 +für das klassische Alterthum ebenso charakteristisch, als Franklin's Definition, daß der +Mensch von Natur Instrumentenmacher, für das Yankeethum. +1 4 ) «On doit encore remarquer que cette division partielle du travail peut se faire quand +même les ouvriers sont occupés d'une même besogne. Des maçons par exemple, occupés de +faire passer de mains en mains des briques à un échafaudage supérieur, font tous la même be- 40 +sogne, et pourtant il existe parmi eux une espèce de division de travail, qui consiste en ce que +chacun d'eux fait passer la brique par un espace donné, et que tous ensemble la font parvenir +beaucoup plus promptement à l'endroit marqué qu'ils ne feraient si chacun d'eux portait sa +brique séparément jusqu'à l'échafaudage supérieur.» (F. Skarbek: ,,Théorie des richesses so- +ciales. 2ème éd. Paris 1839", 1.1, p. 97, 98.) + +45 + +294 + + Elftes Kapitel • Kooperation + +Gleichartiges thun. Der kombinirte Arbeitstag von 144 Stunden, der den +Arbeitsgegenstand vielseitig im Raum angreift, weil der kombinirte Arbei- +ter oder Gesammtarbeiter vorn und hinten Augen und Hände hat und in +gewissem Grad Allgegenwart besitzt, fördert das Gesammtprodukt rascher +5 als 12 zwölfstündige Arbeitstage mehr oder minder vereinzelter Arbeiter, +die ihr Werk einseitiger angreifen müssen. In derselben Zeit reifen ver- +schiedne Raumtheile des Produkts. + +10 + +Wir betonten, daß die Vielen, die einander ergänzen, Dasselbe oder +Gleichartiges thun, weil diese einfachste Form gemeinsamer Arbeit auch +in der ausgebildetsten Gestalt der Kooperation eine große Rolle spielt. Ist +der Arbeitsproceß complicirt, so erlaubt die bloße Masse der Zusammenar- +beitenden die verschiednen Operationen unter verschiedne Hände zu ver- +theilen, daher gleichzeitig zu verrichten und dadurch die zur Herstellung +des Gesammtprodukts nöthige Arbeitszeit zu verkürzen 1 5)-1 + +15 + +|292| In vielen Produktionszweigen gibt es kritische Momente, d. h. +durch die Natur des Arbeitsprocesses selbst bestimmte Zeitepochen, wäh- +rend deren bestimmte Arbeitsresultate erzielt werden müssen. Soll z.B. +eine Heerde Schafe geschoren oder eine Morgenanzahl Kornland gemäht +und geherbstet werden, so hängt Quantität und Qualität des Produkts da- +20 von ab, daß die Operation zu einer gewissen Zeit begonnen und zu einer +gewissen Zeit beendet wird. Der Zeitraum, den der Arbeitsproceß einneh- +men darf, ist hier vorgeschrieben, wie etwa beim Häringsfang. Der Ein- +zelne kann aus einem Tag nur einen Arbeitstag herausschneiden, sage von +12 Stunden, aber die Kooperation von 100 z . B . erweitert einen zwölfstün- +25 digen Tag zu einem Arbeitstag von 1200 Stunden. Die Kürze der Arbeits- +frist wird kompensirt durch die Größe der Arbeitsmasse, die im entschei- +denden Augenblick auf das Produktionsfeld geworfen wird. Die +rechtzeitige Wirkung hängt hier ab von der gleichzeitigen Anwendung vie- +ler kombinirten Arbeitstage, der Umfang des Nutzeffekts von der Arbeiter- +30 anzahl, die jedoch stets kleiner bleibt als die Anzahl der Arbeiter, die ver- +einzelt +in demselben Zeitraum denselben Wirkungsraum ausfüllen +würden 1 6). Es ist der Mangel dieser Kooperation, wodurch im Westen der +Vereinigten Staaten eine Masse Korn und in den Theilen Ostindiens, wo + +1 5 ) «Est-il question d'exécuter un travail compliqué, plusieurs choses doivent être faites si- +35 multanément. L'un en fait une pendant que l'autre en fait une autre, et tous contribuent à +l'effet qu'un seul homme n'aurait pu produire. L'un rame pendant que l'autre tient le gouver- +nail, et qu'un troisième jette le filet ou harponne le poisson, et la pêche a un succès impossi- +ble sans ce concours.» (Destutt de Tracy I.e. [p. 78].) +1 6 ) "The doing of it (der Arbeit in der Agrikultur) at the critical juncture, is of so much the +40 greater consequence." (An Inquiry into the Connection between the present price etc., p. 7.) +„In der Agrikultur gibt es keinen wichtigeren Faktor, als den Faktor der Zeit." (Liebig: „Ueber +Theorie und Praxis in der Landwirthschaft. 1856", p.23.) + +295 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +englische Herrschaft das alte Gemeinwesen zerstört hat, eine Masse Baum- +wolle jährlich verwüstet wird 1 7). + +Auf der einen Seite erlaubt die Kooperation die Raumsphäre der Arbeit +auszurecken und wird daher für gewisse Arbeitsprocesse ||293| schon durch +den räumlichen Zusammenhang des Arbeitsgegenstandes erheischt, wie +bei Trockenlegung von Land, Eindämmung, Bewäßrung, Kanal-, Straßen-, +Eisenbahnbauten u. s. w. Andrerseits ermöglicht sie, verhältnißmäßig zur +Stufenleiter der Produktion, räumliche Verengung des Produktionsgebiets. +Diese Beschränkung der Raumsphäre der Arbeit bei gleichzeitiger Ausdeh- +nung ihrer Wirkungssphäre, wodurch eine Masse falscher Kosten (faux 10 +frais) erspart werden, entspringt aus der Konglomeration der Arbeiter, dem +Zusammenrücken verschiedner Arbeitsprocesse und der Koncentration der +Produktionsmittel 1 8). + +5 + +Verglichen mit einer gleich großen Summe vereinzelter individueller Ar- +beitstage, producirt der kombinirte Arbeitstag größre Massen von Ge- 15 +brauchswerth und vermindert daher die zur Produktion eines bestimmten +Nutzeffekts nöthige Arbeitszeit. Ob er im gegebnen Fall diese gesteigerte +Produktivkraft erhält, weil er die mechanische Kraftpotenz der Arbeit er- +höht, oder ihre räumliche Wirkungssphäre ausdehnt, oder das räumliche +Produktionsfeld im Verhältniß zur Stufenleiter der Produktion verengt, 20 +oder im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig macht, oder +den Wetteifer der Einzelnen erregt und ihre Lebensgeister spannt, oder +den gleichartigen Verrichtungen Vieler den Stempel der Kontinuität und +Vielseitigkeit aufdrückt, oder verschiedne Operationen gleichzeitig verrich- +tet, oder die Produktionsmittel durch ihren gemeinschaftlichen Gebrauch 25 +ökonomisirt, oder der individuellen Arbeit den Charakter gesellschaftlicher +Durchschnittsarbeit verleiht, unter allen Umständen ist die specifische +Produktivkraft des kombinirten Arbeitstags gesellschaftliche Produktivkraft +der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus +der Kooperation selbst. Im planmäßigen Zusammenwirken mit Andern 30 + +1 7 ) "The next evil is one which one would scarcely expect to find in a country which exports +more labour than any other in the world, with the exception perhaps of China and England— +the impossibility of procuring a sufficient number of hands to clean the cotton. The conse- +quence of this is that large quantities of the crop are left unpicked, while another portion is +gathered from the ground, when it has fallen, and is of course discoloured and partially rot- 35 +ted, so that for want of labour at the proper season the cultivator is actually forced to submit +to the loss of a large part ofthat crop for which England is so anxiously looking." (Bengal Hur- +karu. Bi-Monthly Overland Summary of News. 22nd July 1861.) +1 8 ) "In the progress of culture all, and perhaps more than all the capital and labour which +once loosely occupied 500 acres, are now concentrated for the more complete tillage of 100." 40 +Obgleich ,,relatively to the amount of capital and labour employed, space is concentrated, it is +an enlarged sphere of production, as compared to the sphere of production formerly occupied +or worked upon by one single, independent agent of production". (R.Jones: „An Essay on the +Distribution of Wealth. On Rent. London 1831", p. 190, 191, 199, 200.) + +296 + + Elftes Kapitel • Kooperation + +streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein +Gattungsvermögen 1 9). | + +|294| Wenn Arbeiter überhaupt nicht unmittelbar zusammenwirken kön- +nen, ohne zusammen zu sein, ihre Konglomeration auf bestimmtem Raum +5 daher Bedingung ihrer Kooperation ist, können Lohnarbeiter nicht koope- +riren, ohne daß dasselbe Kapital, derselbe Kapitalist sie gleichzeitig an- +wendet, also ihre Arbeitskräfte gleichzeitig kauft. Der Gesammtwerth die- +ser Arbeitskräfte, oder die Lohnsumme der Arbeiter für den Tag, die +Woche u. s.w., muß daher in der Tasche des Kapitalisten vereint sein, be- + +10 vor die Arbeitskräfte selbst im Produktionsproceß vereint werden. Zahlung +von 300 Arbeitern auf einmal, auch nur für einen Tag, bedingt mehr Kapi- +talauslage als Zahlung weniger Arbeiter Woche für Woche während des +ganzen Jahrs. Die Anzahl der kooperirenden Arbeiter, oder die Stufenleiter +der Kooperation, hängt also zunächst ab von der Größe des Kapitals, das +15 der einzelne Kapitalist im Ankauf von Arbeitskraft auslegen kann, d.h. von +dem Umfang, worin je ein Kapitalist über die Lebensmittel vieler Arbeiter +verfügt. + +Und wie mit dem variablen, verhält es sich mit dem konstanten Kapital. +Die Auslage für Rohmaterial z.B. ist 30 mal größer für den einen Kapitali- +20 sten, der 300, als für jeden der 30 Kapitalisten, der je 10 Arbeiter beschäf- +tigt. Werthumfang und Stoffmasse der gemeinsam benutzten Arbeitsmittel +wachsen zwar nicht in demselben Grad wie die beschäftigte Arbeiteran- +zahl, aber sie wachsen beträchtlich. Koncentration größrer Massen von +Produktionsmitteln in der Hand einzelner Kapitalisten ist also materielle +25 Bedingung für die Kooperation von Lohnarbeitern, und der Umfang der +Kooperation, oder die Stufenleiter der Produktion, hängt ab vom Umfang +dieser Koncentration. + +30 + +Ursprünglich erschien eine gewisse Minimalgröße des individuellen Ka- +pitals nothwendig, damit die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Arbei- +ter, daher die Masse des producirten Mehrwerths hinreiche, den Arbeitsan- +wender selbst von der Handarbeit zu entbinden, aus einem Kleinmeister +einen Kapitalisten zu machen und so das Kapitalverhältniß formell herzu- +stellen. Sie erscheint jetzt als materielle Bedingung für die Verwandlung +vieler zersplitterter und von einander unabhängiger individueller Arbeits- + +35 processe in einen kombinirten gesellschaftlichen Arbeitsproceß. + +Ebenso erschien ursprünglich das Kommando des Kapitals über die Ar- +beit nur als formelle Folge davon, daß der Arbeiter statt für sich, für den + +1 9 ) «La forza di ciascuno uomo è minima, ma la riunione delle minime forze forma una forza +totale maggiore anche della somma delle forze medesime fino a che le forze per essere riunite +40 possono diminuire il tempo ed accrescere lo spazio della loro azione.» (G. R. Carli, Note zu + +P.Verri, I.e. t.XV, p. 196.) + +297 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit der Koopera- +tion vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des Kapitals zum +Erheischniß für die Ausführung ||295| des Arbeitsprocesses selbst, zu einer +wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten auf dem +Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des Generals +auf dem Schlachtfeld. + +5 + +Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf +größrem Maßstab bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die +Harmonie der individuellen Thätigkeiten vermittelt und die allgemeinen +Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesammtkör- 10 +pers im Unterschied von der Bewegung seiner selbständigen Organe ent- +springen. Ein einzelner Violinspieler dirigirt sich selbst, ein Orchester be- +darf des Musikdirektors. Diese Funktion der Leitung, Ueberwachung und +Vermittlung, wird zur Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeord- +nete Arbeit kooperativ wird. Als specifische Funktion des Kapitals erhält 15 +die Funktion der Leitung specifische Charaktermale. + +Zunächst ist das treibende Motiv und der bestimmende Zweck des kapi- +talistischen Produktionsprocesses möglichst große Selbstverwerthung des +Kapitals 2 0), d. h. möglichst große Produktion von Mehrwerth, also mög- +lichst große Ausbeutung der Arbeitskraft durch den Kapitalisten. Mit der 20 +Masse der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter wächst ihr Widerstand und +damit nothwendig der Druck des Kapitals zur Bewältigung dieses Wider- +stands. Die Leitung des Kapitalisten ist nicht nur eine aus der Natur des +gesellschaftlichen Arbeitsprocesses entspringende und ihm angehörige be- +sondre Funktion, sie ist zugleich Funktion der Ausbeutung eines gesell- 25 +schaftlichen Arbeitsprocesses und daher bedingt durch den unvermeidli- +chen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner +Ausbeutung. Ebenso wächst mit dem Umfang der Produktionsmittel, die +dem Lohnarbeiter als fremdes Eigenthum gegenüberstehn, die Nothwen- +digkeit der Kontrole über deren sachgemäße Verwendung 2 1). Die Koopera- 30 + +2 0 ) "Profits ... is the sole end of trade." (J. Vanderlint I.e. p. 11.) +2 1 ) Ein englisches Philisterblatt, der Spectator vom 26. Mai 1866, berichtet, daß nach Einfüh- +rung einer Art von Kompagniegeschäft zwischen Kapitalist und Arbeitern in der „wirework +company of Manchester": "the first result was a sudden decrease in waste, the men not seeing +why they should waste their own property any more than any other master's, and waste is per- 35 +haps, next to bad debts, the greatest source of manufacturing loss." Dasselbe Blatt entdeckt +als Grundmangel der Rochdale cooperative experiments: "They showed that associations of +workmen could manage shops, mills, and almost all forms of industry with success, and they +immensely improved the condition of the men, but then they did not leave a clear place for +masters." („Sie bewiesen, daß Arbeiterassociationen Boutiquen, Fabriken und beinahe alle 40 +Formen der Industrie mit Erfolg Iiandhaben können, und sie verbesserten außerordentlich die +Lage der Leute selbst, aber!, aber dann ließen sie keinen sichtbaren Platz für Kapitalisten of- +fen." Quelle horreur!) + +298 + + Elftes Kapitel • Kooperation + +tion der Lohnarbeiter ||296| ist ferner bloße Wirkung des Kapitals, das sie +gleichzeitig anwendet. Der Zusammenhang ihrer Funktionen und ihre Ein- +heit als produktiver Gesammtkörper liegen außer ihnen, im Kapital, das sie +zusammenbringt und zusammenhält. Der Zusammenhang ihrer Arbeiten +tritt ihnen daher ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten ge- +genüber, als Macht eines fremden Willens, der ihr Thun seinem Zweck un- +terwirft. + +5 + +Wenn daher die kapitalistische Leitung dem Inhalt nach zwieschlächtig +ist, wegen der Zwieschlächtigkeit des zu leitenden Produktionsprocesses +10 selbst, welcher einerseits gesellschaftlicher Arbeitsproceß zur Herstellung +eines Produkts, andrerseits Verwerthungsproceß des Kapitals, so ist sie der +Form nach despotisch. Mit der Entwicklung der Kooperation auf größrem +Maßstab entwickelt dieser Despotismus seine eigenthümlichen Formen. +Wie der Kapitalist zunächst entbunden wird von der Handarbeit, sobald +15 sein Kapital jene Minimalgröße erreicht hat, womit die eigentlich kapitali- +stische Produktion erst beginnt, so tritt er jetzt die Funktion unmittelbarer +und fortwährender Beaufsichtigung der einzelnen Arbeiter und Arbeiter- +gruppen selbst wieder ab an eine besondre Sorte von Lohnarbeitern. Wie +eine Armee militärischer, bedarf eine unter dem Kommando desselben Ka- +20 pitals zusammenwirkende Arbeitermasse industrieller Oberofficiere (Diri- +genten, managers) und Unterofficiere (Arbeitsaufseher, foremen, overlook- +ers, contremaîtres), die während des Arbeitsprocesses im Namen des +Kapitals kommandiren. Die Arbeit der Oberaufsicht befestigt sich zu ihrer +ausschließlichen Funktion. Bei Vergleichung der Produktionsweise unab- +25 hängiger Bauern oder selbständiger Handwerker mit der auf Sklaverei be- +ruhenden Plantagenwirthschaft, zählt der politische Oekonom diese Arbeit +der Oberaufsicht zu den faux frais de production 2 1 2 1). Bei Betrachtung der +kapitalistischen Produktionsweise identificirt er dagegen die Funktion der +Leitung, so weit sie aus der Natur des gemeinschaftlichen Arbeitsprocesses +30 entspringt, mit derselben Funktion, so weit sie durch den kapitalistischen +und daher antagonistischen Charakter dieses Processes be||297|dingt +wird 2 2). Der Kapitalist ist nicht Kapitalist, weil er industrieller Leiter ist, +sondern er wird industrieller Befehlshaber, weil er Kapitalist ist. Der Ober- + +35 + +40 + +21 a) Nachdem Professor Cairnes die ,,superintendence of labour" als einen Hauptcharakter +der Sklavenproduktion in den südlichen Staaten von Nordamerika dargestellt hat, fährt er +fort: "The peasant proprietor (des Nordens) appropriating the whole produce of his soil, needs +no other stimulus to exertion. Superintendence is here completely dispensed with." (Cairnes +I.e. p.48, 49.) +2 2 ) Sir James Steuart, überhaupt ausgezeichnet durch offnes Auge für die charakteristisch-ge- +seilschaftlichen Unterschiede verschiedner Produktionsweisen, bemerkt: "Why do large un- +dertakings in the manufacturing way ruin private industry, but by coming nearer to the sim- +plicity of slaves?" (Princ. of Pol. Econ., London 1767, v. I, p. 167, 168.) + +299 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +befehl in der Industrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der +Oberbefehl in Krieg und Gericht Attribut des Grundeigenthums war 2 2 a). + +5 + +Eigenthümer seiner Arbeitskraft ist der Arbeiter, so lange er als Verkäu- +fer derselben mit dem Kapitalist marktet, und er kann nur verkaufen, was +er besitzt, seine individuelle, vereinzelte Arbeitskraft. Dieß Verhältniß +wird in keiner Weise dadurch verändert, daß der Kapitalist 100 Arbeits- +kräfte statt einer kauft oder mit 100 von einander unabhängigen Arbeitern +Kontrakte schließt statt mit einem einzelnen. Er kann die 100 Arbeiter an- +wenden, ohne sie kooperiren zu lassen. Der Kapitalist zahlt daher den +Werth der 100 selbständigen Arbeitskräfte, aber er zahlt nicht die kombi- 10 +nirte Arbeitskraft der Hundert. Als unabhängige Personen sind die Arbei- +ter Vereinzelte, die in ein Verhältniß zu demselben Kapital, aber nicht zu +einander treten. Ihre Kooperation beginnt erst im Arbeitsproceß, aber im +Arbeitsproceß haben sie bereits aufgehört, sich selbst zu gehören. Mit dem +Eintritt in denselben sind sie dem Kapital einverleibt. Als Kooperirende, 15 +als Glieder eines werkthätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besond- +re Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als ge- +sellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. +Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgelt- +lich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestellt sind, und 20 +das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche +Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits +nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Ka- +pital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur be- +sitzt, als seine immanente Produktivkraft. + +25 + +Kolossal zeigt sich die Wirkung der einfachen Kooperation in den Rie- +senwerken der alten Asiaten, Aegypter, Etrusker u.s.w. „Es geschah in ver- +gangnen Zeiten, daß diese asiatischen Staaten ||298| nach Bestreitung ihrer +Civil- und Militärausgaben, sich im Besitz eines Ueberschusses von Le- +bensmitteln befanden, die sie für Werke der Pracht und des Nutzens ver- 30 +ausgaben konnten. Ihr Kommando über die Hände und Arme fast der gan- +zen nicht ackerbauenden Bevölkrung und die ausschließliche Verfügung +des Monarchen und der Priesterschaft über jenen Ueberschuß boten ihnen +die Mittel zur Errichtung jener mächtigen Monumente, womit sie das +Land erfüllten . . . I n der Bewegung der kolossalen Statuen und der enor- 35 +men Massen, deren Transport Staunen erregt, wurde fast nur menschliche +Arbeit verschwenderisch angewandt. Die Zahl der Arbeiter und die Kon- +centration ihrer Mühen genügte. So sehn wir mächtige Korallenriffe aus +den Tiefen des Oceans zu Inseln anschwellen und festes Land bilden, ob- + +2 2 a ) Auguste Comte und seine Schule hätten daher in derselben Art die ewige Nothwendig- 40 +keit von Feudalherrn beweisen können, wie sie dieß für die Kapitalherrn gethan. + +300 + + Elftes Kapitel • Kooperation + +gleich jeder individuelle Ablagerer (depositary) winzig, schwach und ver- +ächtlich ist. Die nicht ackerbauenden Arbeiter einer asiatischen Monar- +chie haben außer ihren individuellen körperlichen Bemühungen wenig +zum Werk zu bringen, aber ihre Zahl ist ihre Kraft, und die Macht der +5 Direktion über diese Massen gab jenen Riesenwerken den Ursprung. Es +war die Koncentration der Revenuen, wovon die Arbeiter leben, in einer +Hand oder wenigen Händen, welche solche Unternehmungen möglich +machte" 2 3). Diese Macht asiatischer und ägyptischer Könige oder etruski- +scher Theokraten u. s.w. ist in der modernen Gesellschaft auf den Kapitali- +sten übergegangen, ob er nun als vereinzelter Kapitalist auftritt, oder, wie +bei Aktiengesellschaften, als kombinirter Kapitalist. + +10 + +20 + +Die Kooperation im Arbeitsproceß, wie wir sie in den Kulturanfängen +der Menschheit, bei Jägervölkern 2 3 a) oder etwa in der Agrikultur indischer +Gemeinwesen vorherrschend finden, beruht einerseits auf dem Gemeinei- +15 genthum an den Produktionsbedingungen, andrerseits darauf, daß das ein- +zelne Individuum sich von der Nabelschnur des Stammes oder des Ge- +meinwesens noch ebensowenig losgerissen hat, wie das Bienenindividuum +vom Bienenstock. Beides unterscheidet sie von der kapitalistischen Koope- +ration. Die sporadische Anwendung der Kooperation auf großem Maßstab +in der antiken Welt, dem Mittelalter und den modernen Kolonien, beruht +auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschafts-Verhältnissen, ||299| zu- +meist auf der Sklaverei. Die kapitalistische Form setzt dagegen von vorn- +herein den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital +im Gegensatz zur +jedoch entwickelt sie sich +verkauft. Historisch +25 Bauernwirthschaft und zum unabhängigen Handwerksbetrieb, ob dieser +zünftige Form besitze oder n i c h t 2 4 ) . Ihnen gegenüber erscheint die kapita- +listische Kooperation nicht als eine besondre historische Form der Koope- +ration, sondern die Kooperation selbst als eine dem kapitalistischen Pro- +specifisch unterscheidende +duktionsproceß +30 historische Form. + +eigenthümliche und + +ihn + +Wie die durch die Kooperation entwickelte gesellschaftliche Produktiv- +kraft der Arbeit als Produktivkraft des Kapitals erscheint, so die Koopera- + +2 3 ) R. Jones: „Textbook of Lectures etc.", p. 77, 78. Die altassyrischen, ägyptischen u. s. w. +Sammlungen in London und andren europäischen Hauptstädten machen uns zu Augenzeu- + +35 gen jener kooperativen Arbeitsprocesse. + +23 a) Linguet in seiner „Theorie des Lois civiles" hat vielleicht nicht Unrecht, wenn er die Jagd +für die erste Form der Kooperation und Menschenjagd (Krieg) für eine der ersten Formen der +Jagd erklärt. +2 4 ) Die kleine Bauernwirthschaft und der unabhängige Handwerksbetrieb, die beide theils die +40 Basis der feudalen Produktionsweise bilden, theils nach deren Auflösung neben dem kapitali- +stischen Betrieb erscheinen, bilden zugleich die ökonomische Grundlage der klassischen Ge- +meinwesen zu ihrer besten Zeit, nachdem sich das ursprünglich orientalische Gemeineigen- +thum aufgelöst, und bevor sich die Sklaverei der Produktion ernsthaft bemächtigt hat. + +301 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +tion selbst als eine specifische Form des kapitalistischen Produktionspro- +cesses im Gegensatz zum Produktionsproceß vereinzelter unabhängiger +Arbeiter oder auch Kleinmeister. Es ist die erste Aenderung, welche der +wirkliche Arbeitsproceß durch seine Subsumtion unter das Kapital erfährt. +Diese Aenderung geht naturwüchsig vor sich. Ihre Voraussetzung, gleich- +zeitige Beschäftigung einer größren Anzahl von Lohnarbeitern in demsel- +ben Arbeitsproceß, bildet den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produk- +tion. Dieser fällt mit dem Dasein des Kapitals selbst zusammen. Wenn +sich die kapitalistische Produktionsweise daher einerseits als historische +Nothwendigkeit für die Verwandlung des Arbeitsprocesses in einen gesell- 10 +schaftlichen Proceß darstellt, so andrerseits diese gesellschaftliche Form +des Arbeitsprocesses als eine vom Kapital angewandte Methode, um ihn +durch Steigerung seiner Produktivkraft profitlicher auszubeuten. + +5 + +In ihrer bisher betrachteten einfachen Gestalt fällt die Kooperation zu- +sammen mit der Produktion auf größrer Stufenleiter, bildet aber keine fe- 15 +ste, charakteristische Form einer besondren Entwicklungsepoche der kapi- +talistischen Produktionsweise. Höchstens erscheint sie annähernd so in +den noch handwerksmäßigen Anfängen der Manufaktur 2 5) und in jener Art +großer Agrikultur, welche der 113 001 Manufakturperiode entspricht und sich +wesentlich nur durch die Masse der gleichzeitig angewandten Arbeiter und +den Umfang der koncentrirten Produktionsmittel von der Bauernwirth- +schaft unterscheidet. Die einfache Kooperation ist stets noch vorherr- +schende Form solcher Produktionszweige, worin das Kapital auf großer +Stufenleiter operirt, ohne daß Theilung der Arbeit oder Maschinerie eine +bedeutende Rolle spielte. + +20 + +25 + +Die Kooperation bleibt die Grundform der kapitalistischen Produktions- +weise, obgleich ihre einfache Gestalt selbst als besondre Form neben ihren +weiter entwickelten Formen erscheint. + +Z W Ö L F T E S K A P I T E L . + +Theilung der Arbeit und Manufaktur. + +30 + +1. Doppelter Ursprung der Manufaktur. + +Die auf Theilung der Arbeit beruhende Kooperation schafft sich ihre klas- +sische Gestalt in der Manufaktur. Als charakteristische Form des kapitali- + +2 5 ) "Whether the united skill, industry and emulation of many together on the same work be +not the way to advance it? And whether it had been otherwise possible for England, to have +carried on her Woollen Manufacture to so great a perfection?" (Berkeley: ,,The Querist". +Lond. 1750, p. 56, § 521.) + +35 + +302 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +5 + +stischen Produktionsprocesses herrscht sie vor während der eigentlichen +Manufakturperiode, die, rauh angeschlagen, von Mitte des 16. Jahrhun- +derts bis zum letzten Drittheil des achtzehnten währt. +Die Manufaktur entspringt auf doppelte Weise. +Entweder werden Arbeiter von verschiedenartigen, selbständigen Hand- +werken, durch deren Hände ein Produkt bis zu seiner letzten Reife laufen +muß, in eine Werkstatt unter dem Kommando desselben Kapitalisten ver- +einigt. Z . B . eine Kutsche war das Gesammtprodukt der Arbeiten einer gro- +ßen Anzahl unabhängiger Handwerker, wie Stellmacher, Sattler, Schnei- +10 der, Schlosser, Gürtler, Drechsler, Posamentirer, Glaser, Maler, Lackirer, +Vergolder u. s. w. Die Kutschenmanufaktur vereinigt alle diese verschied- +nen Handwerker in ein Arbeitshaus, wo sie einander gleichzeitig in die +Hand arbeiten. Man kann eine Kutsche zwar nicht vergolden, bevor sie ge- +macht ist. Werden aber viele Kutschen gleichzeitig gemacht, so kann ein +15 Theil beständig vergoldet werden, während ein andrer Theil eine frühre +Phase des Produktionsprocesses durchläuft. So weit stehn wir noch auf +dem Boden der einfachen Kooperation, die ihr Material an Menschen und +Dingen vorfindet. Indeß tritt sehr bald eine wesentliche Veränderung ein. +Der Schneider, ||301| Schlosser, Gürtler u. s.w., der nur im Kutschenma- +20 chen beschäftigt ist, verliert nach und nach mit der Gewohnheit auch die +Fähigkeit, sein altes Handwerk in seiner ganzen Ausdehnung zu betreiben. +Andrerseits erhält sein vereinseitigtes Thun jetzt die zweckmäßigste Form +für die verengte Wirkungssphäre. Ursprünglich erschien die Kutschenma- +nufaktur als eine Kombination selbständiger Handwerke. Sie wird allmälig +25 Theilung der Kutschenproduktion in ihre verschiednen Sonderoperatio- +nen, wovon jede einzelne zur ausschließlichen Funktion eines Arbeiters +krystallisirt und deren Gesammtheit vom Verein dieser Theilarbeiter ver- +richtet wird. Ebenso entstand die Tuchmanufaktur und eine ganze Reihe +andrer Manufakturen aus der Kombination verschiedner Handwerke unter + +30 dem Kommando desselben Kapitals 2 6). + +2 6 ) Um ein mehr modernes Beispiel dieser Bildungsart der Manufaktur anzuführen, folgendes +Citat. Die Seidenspinnerei und Weberei von Lyon und Nîmes «est toute patriarcale; elle em- +ploie beaucoup de femmes et d'enfants, mais sans les épuiser ni les corrompre ; elle les laisse +dans leurs belles vallées de la Drôme, du Var, de l'Isère, de Vaucluse, pour y élever des vers et +35 dévider leurs cocons; jamais elle n'entre dans une véritable fabrique. Pour être aussi bien ob- +servé ... le principe de la division du travail, s'y revêt d'un caractère spécial. Il y a bien des dé- +videuses, des moulineurs, des teinturiers, des encolleurs, puis des tisserands ; mais ils ne sont +pas réunis dans un même établissement, ne dépendent pas d'un même maître; tous ils sont in- +dépendants.» (A. Blanqui: ,,Cours d'Econ. Industrielle. Recueilli par A. Biaise. Paris +40 (1838-39)", p. 79.) Seit Blanqui dieß schrieb, sind die verschiednen unabhängigen Arbeiter +zum Theil in Fabriken vereinigt worden. (Zur 4. Aufl. - Und seit Marx obiges schrieb, hat der +Kraftstuhl sich in diesen Fabriken eingebürgert und verdrängt rasch den Handwebstuhl. Die +Krefelder Seidenindustrie weiß ebenfalls ein Lied davon zu singen. - D. H.) + +303 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +Die Manufaktur entspringt aber auch auf entgegengesetztem Wege. Es +werden viele Handwerker, die Dasselbe oder Gleichartiges thun, z . B . Pa- +pier oder Typen oder Nadeln machen, von demselben Kapital gleichzeitig +in derselben Werkstatt beschäftigt. Es ist dieß Kooperation in der einfach- +sten Form. Jeder dieser Handwerker (vielleicht mit einem oder zwei Gesel- +len) macht die ganze Waare und vollbringt also die verschiednen, zu ihrer +Herstellung erheischten Operationen der Reihe nach. Er arbeitet in seiner +alten handwerksmäßigen Weise fort. Indeß veranlassen bald äußere Um- +stände, die Koncentration der Arbeiter in demselben Raum und die +Gleichzeitigkeit ihrer Arbeiten anders zu vernutzen. Es soll z.B. ein große- 10 +res Quantum fertiger Waare in einer bestimmten Zeitfrist geliefert werden. +Die Arbeit wird daher vertheilt. Statt die verschiednen Operationen von +demselben Handwerker in einer zeitlichen Reihenfolge verrichten zu las- +sen, 113021 werden sie von einander losgelöst, isolirt, räumlich neben einan- +der gestellt, jede derselben einem andren Handwerker zugewiesen und alle 15 +zusammen von den Kooperirenden gleichzeitig ausgeführt. Diese zufällige +Vertheilung wiederholt sich, zeigt ihre eigenthümlichen Vortheile und ver- +knöchert nach und nach zur systematischen Theilung der Arbeit. Aus dem +individuellen Produkt eines selbständigen Handwerkers, der Vielerlei thut, +verwandelt sich die Waare in das gesellschaftliche Produkt eines Vereins 20 +von Handwerkern, von denen jeder fortwährend nur eine und dieselbe +Theiloperation verrichtet. Dieselben Operationen, die in einander flössen +als successive Verrichtungen des deutschen zünftigen Papiermachers, ver- +selbständigten sich in der holländischen Papiermanufaktur zu neben ein- +ander laufenden Theiloperationen vieler kooperirenden Arbeiter. Der zünf- 25 +tige Nadler von Nürnberg bildet das Grundelement der englischen +Nadelmanufaktur. Während aber jener eine Nadler eine Reihe von viel- +leicht 20 Operationen nach einander durchlief, verrichteten hier bald +20 Nadler neben einander, jeder nur eine der 20 Operationen, die in Folge +von Erfahrungen noch viel weiter gespaltet, isolirt und zu ausschließlichen 30 +Funktionen einzelner Arbeiter verselbständigt wurden. + +Die Ursprungsweise der Manufaktur, ihre Herausbildung aus dem Hand- +werk ist also zwieschlächtig. Einerseits geht sie von der Kombination ver- +schiedenartiger, selbständiger Handwerke aus, die bis zu dem Punkt verun- +selbständigt und vereinseitigt werden, wo sie nur noch einander 35 +ergänzende Theiloperationen im Produktionsproceß einer und derselben +Waare bilden. Andrerseits geht sie von der Kooperation gleichartiger +Handwerker aus, zersetzt dasselbe individuelle Handwerk in seine ver- +schiednen besondren Operationen und isolirt und verselbständigt diese bis +zu dem Punkt, wo jede derselben zur ausschließlichen Funktion eines be- 40 +sondren Arbeiters wird. Einerseits führt daher die Manufaktur Theilung + +304 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +der Arbeit in einen Produktionsproceß ein oder entwickelt sie weiter, and- +rerseits kombinirt sie früher geschiedne Handwerke. Welches aber immer +ihr besondrer Ausgangspunkt, ihre Schlußgestalt ist dieselbe - ein Produk- +tionsmechanismus, dessen Organe Menschen sind. + +5 + +Zum richtigen Verständniß der Theilung der Arbeit in der Manufaktur +ist es wesentlich, folgende Punkte festzuhalten: Zunächst fällt die Analyse +des Produktionsprocesses in seine besondren Phasen hier ganz und gar zu- +sammen mit der Zersetzung einer handwerksmäßigen Thätigkeit in ihre +verschiednen Theil||303|operationen. Zusammengesetzt oder einfach, die +10 Verrichtung bleibt handwerksmäßig und daher abhängig von Kraft, Ge- +schick, Schnelle, Sicherheit des Einzelarbeiters in Handhabung seines In- +struments. Das Handwerk bleibt die Basis. Diese enge technische Basis +schließt wirklich wissenschaftliche Analyse des Produktionsprocesses aus, +da jeder Theilproceß, den das Produkt durchmacht, als handwerksmäßige +15 Theilarbeit ausführbar sein muß. Eben weil das handwerksmäßige Ge- +schick so die Grundlage des Produktionsprocesses bleibt, wird jeder Arbei- +ter ausschließlich einer Theilfunktion angeeignet und seine Arbeitskraft in +das lebenslängliche Organ dieser Theilfunktion verwandelt. Endlich ist +diese Theilung der Arbeit eine besondre Art der Kooperation, und manche +ihrer Vortheile entspringen aus dem allgemeinen Wesen, nicht aus dieser +besondren Form der Kooperation. + +20 + +2. Oer Theilarbeiter und sein Werkzeug. + +30 + +Gehn wir nun näher auf das Einzelne ein, so ist zunächst klar, daß ein Ar- +beiter, der lebenslang eine und dieselbe einfache Operation verrichtet, sei- +25 nen ganzen Körper in ihr automatisch einseitiges Organ verwandelt und +daher weniger Zeit dazu verbraucht als der Handwerker, der eine ganze +Reihe von Operationen abwechselnd ausführt. Der kombinirte Gesammtar- +beiter, der den lebendigen Mechanismus der Manufaktur bildet, besteht +aber aus lauter solchen einseitigen Theilarbeitern. Im Vergleich zum selb- +ständigen Handwerk wird daher mehr in weniger Zeit producirt oder die +Produktivkraft der Arbeit gesteigert 2 7). Auch vervollkommnet sich die Me- +thode der Theilarbeit, nachdem sie zur ausschließlichen Funktion einer +Person verselbständigt ist. Die stete Wiederholung desselben beschränkten +Thuns und die Koncentration der Aufmerksamkeit auf dieses Beschränkte +lehren erfahrungsmäßig den bezweckten Nutzeffekt mit geringstem Kraft- +aufwand erreichen. Da aber +immer verschiedne Arbeitergenerationen +2 7 ) "The more any manufacture of much variety shall be distributed and assigned to different +artists, the same must needs be better done and with greater expedition, with less loss of time +and labour." (,,The Advantages of the East India Trade. Lond. 1720", p. 71.) + +35 + +305 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +gleichzeitig zusammenleben und in denselben Manufakturen zusammen- +wirken, befestigen, häufen und übertragen sich bald die so gewonnenen +technischen Kunstgriffe 2 8). + +5 + +Die Manufaktur producirt in der That die Virtuosität des Detail||304|ar- +beiters, indem sie die naturwüchsige Sonderung der Gewerbe, die sie in +der Gesellschaft vorfand, im Innern der Werkstatt reproducirt und systema- +tisch zum Extrem treibt. Andrerseits entspricht ihre Verwandlung der +Theilarbeit in den Lebensberuf eines Menschen dem Trieb früherer Gesell- +schaften, die Gewerbe erblich zu machen, sie in Kasten zu versteinern oder +in Zünfte zu verknöchern, falls bestimmte historische Bedingungen dem 10 +Kastenwesen widersprechende Variabilität des Individuums erzeugen. Ka- +sten und Zünfte entspringen aus demselben Naturgesetz, welches die Son- +derung von Pflanzen und Thieren in Arten und Unterarten regelt, nur daß +auf einem gewissen Entwicklungsgrad die Erblichkeit der Kasten oder die +Ausschließlichkeit der Zünfte als gesellschaftliches Gesetz dekretirt 15 +wird 2 9). „Die Musline von Dakka sind an Feinheit, die Kattune und andre +Zeuge von Koromandel an Pracht und Dauerhaftigkeit der Farben niemals +übertroffen worden. Und dennoch werden sie producirt ohne Kapital, Ma- +schinerie, Theilung der Arbeit oder irgend eins der andren Mittel, die der +Fabrikation in Europa so viele Vortheile bieten. Der Weber ist ein verein- 20 +zeltes Individuum, der das Gewebe auf Bestellung eines Kunden verfertigt +und mit einem Webstuhl von der einfachsten Konstruktion, manchmal nur +bestehend aus hölzernen, roh zusammengefügten Stangen. Er besitzt nicht +einmal einen Apparat zum Aufziehn der Kette, der Webstuhl muß daher in +seiner ganzen Länge ausgestreckt bleiben und wird so unförmlich und 25 +weit, daß er keinen Raum findet in der Hütte des Producenten, der seine +Arbeit daher in freier Luft verrichten muß, wo sie durch jede Wetteränd- +rung unterbrochen wird." 3 0) Es ist nur ||305| das von Generation auf Gene- +ration gehäufte und von Vater auf Sohn vererbte Sondergeschick, das dem +Hindu wie der Spinne diese Virtuosität verleiht. Und dennoch verrichtet 30 + +2 8 ) "Easy labour is transmitted skill." (Th. Hodgskin 1. c. p. 48.) +2 9 ) „Auch die Künste sind ... in Aegypten zu dem gehörigen Grad von Vollkommenheit ge- +diehn. Denn in diesem Lande allein dürfen die Handwerker durchaus nicht in die Geschäfte +einer andren Bürgerklasse eingreifen, sondern bloß den nach dem Gesetz ihrem Stamme erb- +lich zugehörigen Beruf treiben ... Bei andren Völkern findet man, daß die Gewerbsleute ihre 35 +Aufmerksamkeit auf zu viele Gegenstände vertheilen ... Bald versuchen sie es mit dem Land- +bau, bald lassen sie sich in Handelsgeschäfte ein, bald befassen sie sich mit zwei oder drei +Künsten zugleich. In Freistaaten laufen sie meist in die Volksversammlungen ... In Aegypten +dagegen verfällt jeder Handwerker in schwere Strafen, wenn er sich in Staatsgeschäfte mischt, +oder mehrere Künste zugleich treibt. So kann nichts ihren Berufsfleiß stören ... Zudem, wie 40 +sie von ihren Vorfahren viele Regeln haben, sind sie eifrig darauf bedacht, noch neue Vor- +theile aufzufinden." (Diodorus Siculus: „Historische Bibliothek" 1.1, c. 74.) +3 0 ) ,,Historical and descriptive Account of Brit. India etc. by Hugh Murray, James Wilson etc. +Edinburgh 1832", v. II, p. 449 [,450]. Der indische Webstuhl ist hochschäftig, d. h. die Kette ist +vertikal aufgespannt. + +45 + +306 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +ein solcher indischer Weber sehr komplicirte Arbeit, verglichen mit der +Mehrzahl der Manufakturarbeiter. + +5 + +Ein Handwerker, der die verschiednen Theilprocesse in der Produktion +eines Machwerks nach einander ausführt, muß bald den Platz, bald die In- +strumente wechseln. Der Uebergang von einer Operation zur andren unter- +bricht den Fluß seiner Arbeit und bildet gewissermaßen Poren in seinem +Arbeitstag. Diese Poren verdichten sich, sobald er den ganzen Tag eine +und dieselbe Operation kontinuirlich verrichtet, oder sie verschwinden in +dem Maße, wie der Wechsel seiner Operation abnimmt. Die gesteigerte +10 Produktivität ist hier entweder der zunehmenden Ausgabe von Arbeitskraft +in einem gegebnen Zeitraum geschuldet, also wachsender Intensität der +Arbeit, oder einer Abnahme des unproduktiven Verzehrs von Arbeitskraft. +Der Ueberschuß von Kraftaufwand nämlich, den jeder Uebergang aus der +Ruhe in die Bewegung erheischt, kompensirt sich bei längrer Fortdauer der +15 einmal erreichten Normalgeschwindigkeit. Andrerseits zerstört die Konti- +nuität gleichförmiger Arbeit die Spann- und Schwungkraft der Lebensgei- +ster, die im Wechsel der Thätigkeit selbst ihre Erholung und ihren Reiz +finden. + +Die Produktivität der Arbeit hängt nicht nur von der Virtuosität des Ar- +20 beiters ab, sondern auch von der Vollkommenheit seiner Werkzeuge. +Werkzeuge derselben Art, wie Schneide-, Bohr-, Stoß-, Schlaginstrumente +u.s.w., werden in verschiednen Arbeitsprocessen gebraucht, und in demsel- +ben Arbeitsproceß dient dasselbe Instrument zu verschiednen Verrichtun- +gen. Sobald jedoch die verschiednen Operationen eines Arbeitsprocesses +25 von einander losgelöst sind und jede Theiloperation in der Hand des Theil- +arbeiters eine möglichst entsprechende und daher ausschließliche Form ge- +winnt, werden Verändrungen der vorher zu verschiednen Zwecken dienen- +den Werkzeuge nothwendig. Die Richtung ihres Formwechsels ergiebt sich +aus der Erfahrung der besondren Schwierigkeiten, welche die unveränderte +30 Form in den Weg legt. Die Differenzirung der Arbeitsinstrumente, wo- +durch Instrumente derselben Art besondre feste Formen für jede besondre +Nutzanwendung erhalten, und ihre Specialisirung, wodurch jedes solches +Sonderinstrument nur in der Hand specifischer Theilarbeiter in seinem +ganzen Umfang wirkt, charakterisiren die Manufaktur. Zu ||306| Birming- +35 harn allein producirt man etwa 300 Varietäten von Hämmern, wovon jeder +nicht nur für einen besondren Produktionsproceß, sondern eine Anzahl +Varietäten oft nur für verschiedne Operationen in demselben Proceß dient. +Die Manufakturperiode vereinfacht, verbessert und vermannigfacht die Ar- +beitswerkzeuge durch deren Anpassung an die ausschließlichen Sonder- +funktionen der Theilarbeiter 3 1). Sie schafft damit zugleich eine der mate- +3 1 ) Darwin bemerkt in seinem Epoche machenden Werk über „die Entstehung der Arten" mit + +40 + +307 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +riellen Bedingungen der Maschinerie, die aus einer Kombination einfacher +Instrumente besteht. + +Der Detailarbeiter und sein Instrument bilden die einfachen Elemente + +der Manufaktur. Wenden wir uns jetzt zu ihrer Gesammtgestalt. + +3. Die beiden Grundformen der Manufaktur - + +5 + +heterogene Manufaktur und organische Manufaktur. + +Die Gliederung der Manufaktur besitzt zwei Grundformen, die trotz gele- +gentlicher Verschlingung zwei wesentlich verschiedne Arten bilden und +namentlich auch bei der spätren Verwandlung der Manufaktur in die ma- +schinenartig betriebne, große Industrie eine ganz verschiedne Rolle spie- 10 +len. Dieser Doppelcharakter entspringt aus der Natur des Machwerks +selbst. Es wird entweder gebildet durch bloß mechanische Zusammenset- +zung selbständiger Theilprodukte oder verdankt seine fertige Gestalt einer +Reihenfolge zusammenhängender Processe und Manipulationen. + +Eine Lokomotive z . B . besteht aus mehr als 5000 selbständigen Theilen. 15 + +Sie kann jedoch nicht als Beispiel der ersten Art der eigentlichen Manufak- +tur gelten, weil sie ein Gebilde der großen Industrie ist. Wohl aber die Uhr, +an welcher auch William Petty die manufakturmäßige Theilung der Arbeit +veranschaulicht. Aus dem individuellen Werk eines Nürnberger Handwer- +kers verwandelte sich die Uhr in das gesellschaftliche Produkt einer Unzahl 20 +von Theilarbeitern, wie Rohwerkmacher, Uhrfedermacher, Zifferblattma- +cher, Spiralfedermacher, Steinloch- und Rubinhebelmacher, Zeiger-1 +|307|macher, Gehäusemacher, Sehraubenmacher, Vergolder, mit vielen +Unterabtheilungen, wie z.B. Räderfabrikant (Messing- und Stahlräder wie- +der geschieden), Triebmacher, Zeigerwerkmacher, acheveur de pignon (be- 25 +festigt die Räder auf den Trieben, polirt die facettes u.s.w.), Zapfenmacher, +planteur de finissage (setzt verschiedne Räder und Triebe in das Werk), fi- +nisseur de barillet (läßt Zähne einschneiden, macht die Löcher zur richti- +gen Weite, härtet Stellung und Gesperr), Hemmungmacher, bei der Cylin- +derhemmung wieder Cylindermacher, Steigradmacher, Unruhemacher, 30 +Raquettemacher (das Rückwerk, woran die Uhr regulirt wird), planteur +d'échappement (eigentliche Hemmungmacher); dann der repasseur de ba- + +Bezug auf die natürlichen Organe der Pflanzen und Thiere: „So lange ein und dasselbe Organ +verschiedne Arbeiten zu verrichten hat, läßt sich ein Grund für seine Veränderlichkeit viel- +leicht darin finden, daß natürliche Züchtung jede kleine Abweichung der Form weniger sorg- +fältig erhält oder unterdrückt, als wenn dasselbe Organ nur zu einem besondren Zwecke allein +bestimmt wäre. So mögen Messer, welche allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im Gan- +zen so ziemlich von einerlei Form sein, während ein nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes +Werkzeug für jeden andren Gebrauch auch eine andre Form haben muß." + +35 + +308 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +5 + +10 + +rillet (macht Federhaus und Stellung ganz fertig), Stahlpolirer, Räderpoli- +rer, Schraubenpolirer, Zahlenmaler, Blattmacher (schmilzt das Email auf +das Kupfer), fabricant de pendants (macht bloß die Bügel des Gehäuses), +finisseur de charnière (steckt den Messingstift in die Mitte des Gehäuses +etc.), faiseur de secret (macht die Federn im Gehäuse, die den Deckel auf- +springen machen), graveur, ciseleur, polisseur de boîte u.s.w., u.s.w., end- +lich der repasseur, der die ganze Uhr zusammensetzt und sie gehend ablie- +fert. Nur wenige Theile der Uhr laufen durch verschiedne Hände, und alle +diese membra disjecta sammeln sich erst in der Hand, die sie schließlich in +ein mechanisches Ganzes verbindet. Dieß äußerliche Verhältniß des ferti- +gen Produkts zu seinen verschiedenartigen Elementen läßt hier, wie bei +ähnlichem Machwerk, die Kombination der Theilarbeiter in derselben +Werkstatt zufällig. Die Teilarbeiten können selbst wieder als von einander +unabhängige Handwerke betrieben werden, wie im Kanton Waadt und +15 Neuchâtel, während in Genf z . B . große Uhrenmanufakturen bestehn, d.h. +unmittelbare Kooperation der Theilarbeiter unter dem Kommando eines +Kapitals stattfindet. Auch im letztren Fall werden Zifferblatt, Feder und +Gehäuse selten in der Manufaktur selbst verfertigt. Der kombinirte manu- +fakturmäßige Betrieb ist hier nur unter ausnahmsweisen Verhältnissen pro- +fitlich, weil die Konkurrenz unter den Arbeitern, die zu Hause arbeiten +wollen, am größten ist, die Zersplittrung der Produktion in eine Masse he- +terogener Processe wenig Verwendung gemeinschaftlicher Arbeitsmittel er- +laubt und der Kapitalist bei der zerstreuten Fabrikation die Auslage für Ar- +beitsgebäude u. s. w. erspart 3 2). Indeß ist auch die Stellung ||308| dieser +25 Detailarbeiter, die zu Hause, aber für einen Kapitalisten (Fabrikant, éta- +blisseur) arbeiten, ganz und gar verschieden von der des selbständigen +Handwerkers, welcher für seine eignen Kunden arbeitet 3 3). + +20 + +Die zweite Art der Manufaktur, ihre vollendete Form, producirt Mach- + +30 + +3 2 ) Genf hat im Jahr 1854 80 000 Uhren producirt, noch nicht ein Fünftheil der Uhrenproduk- +tion des Kantons Neuchâtel. Chaux-de-Fonds, das man als eine einzige Uhrenmanufaktur be- +trachten kann, liefert allein jährlich doppelt so viel als Genf. Von 1850-61 lieferte Genf +720 000 Uhren. Siehe: „Report from Geneva on the Watch Trade" in „Reports by H.M.'s Se- +cretaries of Embassy and Legation on the Manufactures, Commerce etc. No. 6. 1863". Wenn +die Zusammenhangslosigkeit der Processe, worin die Produktion nur zusammengesetzter +35 Machwerke zerfällt, an und für sich die Verwandlung solcher Manufakturen in den Maschi- +nenbetrieb der großen Industrie sehr erschwert, kommen bei der Uhr noch zwei andre Hinder- +nisse hinzu, die Kleinheit und Delikatesse ihrer Elemente, und ihr Luxuscharakter, daher +ihre Varietät, so daß z.B. in den besten Londoner Häusern das ganze Jahr hindurch kaum ein +Dutzend Uhren gemacht werden, die sich ähnlich sehn. Die Uhrenfabrik von Vacheron & +40 Constantin, die mit Erfolg Maschinerie anwendet, liefert auch höchstens 3 - 4 verschiedne Va- + +rietäten von Größe und Form. +3 3 ) In der Uhrmacherei, diesem klassischen Beispiel der heterogenen Manufaktur, kann man +sehr genau die oben erwähnte, aus der Zersetzung der handwerksmäßigen Thätigkeit entsprin- +gende Differenzirung und Specialisirung der Arbeitsinstrumente studiren. + +3 0 9 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +werke, die zusammenhängende Entwicklungsphasen, eine Reihenfolge von +Stufenprocessen durchlaufen, wie z.B. der Draht in der Nähnadelmanufak- +tur die Hände von 72 und selbst 92 specifîschen Theilarbeitern durch- +läuft. + +5 + +Soweit solche Manufaktur ursprünglich zerstreute Handwerke kombi- +nirt, vermindert sie die räumliche Trennung zwischen den besondren Pro- +duktionsphasen des Machwerks. Die Zeit seines Uebergangs aus einem +Stadium in das andre wird verkürzt, ebenso die Arbeit, welche diese +Uebergänge vermittelt 3 4). Im Vergleich zum Handwerk wird so Produktiv- +kraft gewonnen, und zwar entspringt dieser Gewinn aus dem allgemeinen 10 +kooperativen Charakter der Manufaktur. Andrerseits bedingt ihr eigen- +t ü m l i c h e s Princip der Theilung der Arbeit eine Isolirung der verschiednen +Produktionsphasen, die als eben so viele handwerksmäßige Theilarbeiten +gegen einander verselbständigt sind. Die Herstellung und Erhaltung des +Zusammenhangs zwischen den isolirten Funktionen ernöthigt beständigen 15 +Transport des Machwerks aus einer Hand in die andre und aus einem Pro- +ceß in den andren. Vom Standpunkt der großen Industrie tritt dieß als eine +charakteristische, kostspielige und dem Princip der Manufaktur imma- +nente Beschränktheit hervor 3 5). | + +|309| Betrachtet man ein bestimmtes Quantum Rohmaterial, z.B. von 20 + +Lumpen in der Papiermanufaktur oder von Draht in der Nadelmanufaktur, +so durchläuft es in den Händen der verschiednen Theilarbeiter eine zeitli- +che Stufenfolge von Produktionsphasen bis zu seiner Schlußgestalt. Be- +trachtet man dagegen die Werkstatt als einen Gesammtmechanismus, so +befindet sich das Rohmaterial gleichzeitig in allen seinen Produktionspha- 25 +sen auf einmal. Mit einem Theil seiner vielen instrumentbewaffneten +Hände zieht der aus den Detailarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter den +Draht, während er gleichzeitig mit andren Händen und Werkzeugen ihn +streckt, mit andren schneidet, spitzt etc. Aus einem zeitlichen Nacheinan- +der sind die verschiednen Stufenprocesse in ein räumliches Nebeneinan- 30 +der verwandelt. Daher Lieferung von mehr fertiger Waare in demselben +Zeitraum 3 6). Jene Gleichzeitigkeit entspringt zwar aus der allgemeinen ko- + +3 4 ) "In so close a cohabitation of the People, the carriage must needs be less." (,,The Advan- +tages of the East India Trade", p. 106.) +3 5 ) "The isolation of the different stages of manufacture consequent upon the employment of 35 +the manual labour adds immensely to the cost of production, the loss mainly arising from the +mere removals from one process to another." (,,The Industry of Nations. Lond. 1855", Part. II, +p. 200.) +3 6 ) "It (the division of labour) produces also an economy of time, by separating the work into +its different branches, all of which may be carried on into execution at the same moment ... +By carrying on all the different processes at once, which an individual must have executed se- +parately, it becomes possible to produce a multitude of pins for instance completely finished +in the same time as a single pin might have been either cut or pointed." (Dugald Stewart 1. c. +p. 319.) + +40 + +310 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +operativen Form des Gesammtprocesses, aber die Manufaktur findet nicht +nur die Bedingungen der Kooperation vor, sondern schafft sie theilweise +erst durch die Zerlegung der handwerksmäßigen Thätigkeit. Andrerseits er- +reicht sie diese gesellschaftliche Organisation des Arbeitsprocesses nur + +5 durch Festschmieden desselben Arbeiters an dasselbe Detail. + +Da das Theilprodukt jedes Theilarbeiters zugleich nur eine besondre +Entwicklungsstufe desselben Machwerks ist, liefert ein Arbeiter dem and- +ren oder eine Arbeitergruppe der andern ihr Rohmaterial. Das Arbeitsre- +sultat des einen bildet den Ausgangspunkt für die Arbeit des andren. Der +10 eine Arbeiter beschäftigt daher hier unmittelbar den andren. Die nothwen- +dige Arbeitszeit zur Erreichung des bezweckten Nutzeffekts in jedem +Theilproceß wird erfahrungsmäßig festgestellt und der Gesammtmechanis- +mus der Manufaktur beruht auf der Voraussetzung, daß in gegebner Ar- +beitszeit ein gegebnes Resultat erzielt wird. Nur unter dieser Vorausset- +15 zung können die verschiednen, einander ergänzenden Arbeitsprocesse +ununterbrochen, gleichzeitig und räumlich neben einander fortgehn. Es ist +klar, daß diese unmittelbare Abhängig||310|keit der Arbeiten und daher der +Arbeiter von einander jeden Einzelnen zwingt, nur die nothwendige Zeit +zu seiner Funktion zu verwenden, und so eine ganz andre Kontinuität, +20 Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, Ordnung 3 7) und namentlich auch Inten- +sität der Arbeit erzeugt wird als im unabhängigen Handwerk oder selbst +der einfachen Kooperation. Daß auf eine Waare nur die zu ihrer Herstel- +lung gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit verwandt wird, erscheint bei +der Waarenproduktion überhaupt als äußrer Zwang der Konkurrenz, weil, +25 oberflächlich ausgedrückt, jeder einzelne Producent die Waare zu ihrem +Marktpreis verkaufen muß. Lieferung von gegebnem Produktenquantum in +gegebner Arbeitszeit wird dagegen in der Manufaktur technisches Gesetz +des Produktionsprocesses selbst 3 8). + +30 + +Verschiedne Operationen bedürfen jedoch ungleicher Zeitlängen und +liefern daher in gleichen Zeiträumen ungleiche Quanta von Theilproduk- +ten. Soll also derselbe Arbeiter Tag aus, Tag ein stets nur dieselbe Ope- +ration verrichten, so müssen für verschiedne Operationen verschiedne +Verhältnißzahlen von Arbeitern verwandt werden, z.B. 4 Gießer und 2 Ab- +brecher auf einen Frottirer in einer Typenmanufaktur, wo der Gießer +35 stündlich 2000 Typen gießt, der Abbrecher 4000 abbricht und der Frottirer +8000 blank reibt. Hier kehrt das Princip der Kooperation in seiner einfach- + +3 7 ) "The more variety of artists to every manufacture ... the greater the order and regularity of +every work, the same must needs be done in less time, the labour must be less." (,,The Advan- +tages etc." p. 68.) +3 8 ) Indeß erreicht der manufakturmäßige Betrieb dieß Resultat in vielen Zweigen nur unvoll- +kommen, weil er die allgemeinen chemischen und physikalischen Bedingungen des Produk- +tionsprocesses nicht mit Sicherheit zu kontroliren weiß. + +40 + +311 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +sten Form zurück, gleichzeitige Beschäftigung Vieler, die Gleichartiges +thun, aber jetzt als Ausdruck eines organischen Verhältnisses. Die manu- +fakturmäßige Theilung der Arbeit vereinfacht und vermannigfacht also +nicht nur die qualitativ unterschiednen Organe des gesellschaftlichen Ge- +sammtarbeiters, sondern schafft auch ein mathematisch festes Verhältniß +für den quantitativen Umfang dieser Organe, d.h. für die relative Arbeiter- +zahl oder relative Größe der Arbeitergruppen in jeder Sonderfunktion. Sie +entwickelt mit der qualitativen Gliederung die quantitative Regel und Pro- +portionalität des gesellschaftlichen Arbeitsprocesses. + +5 + +Ist die passendste Verhältnißzahl der verschiednen Gruppen von Theil- 10 + +arbeitern erfahrungsmäßig festgesetzt für eine bestimmte Stufenleiter der +Produktion, so kann man diese Stufenleiter nur ||311| ausdehnen, indem +man ein Multipel jeder besondren Arbeitergruppe verwendet 3 9). Es kommt +hinzu, daß dasselbe Individuum gewisse Arbeiten eben so gut auf größerer +als kleinerer Staffel ausführt, z . B . die Arbeit der Oberaufsicht, den Trans- 15 +port der Theilprodukte aus einer Produktionsphase in die andre u.s.w. Die +Verselbständigung dieser Funktionen, oder ihre Zuweisung an besondre +Arbeiter, wird also erst vortheilhaft mit Vergrößrung der beschäftigten Ar- +beiterzahl, aber diese Vergrößrung muß sofort alle Gruppen proportioneil +ergreifen. + +20 + +Die einzelne Gruppe, eine Anzahl von Arbeitern, die dieselbe Theil- +funktion verrichten, besteht aus homogenen Elementen und bildet ein be- +sondres Organ des Gesammtmechanismus. In verschiednen Manufakturen +jedoch ist die Gruppe selbst ein gegliederter Arbeitskörper, während der +Gesammtmechanismus durch die Wiederholung oder Vervielfältigung die- 25 +ser produktiven Elementarorganismen gebildet wird. Nehmen wir z . B . die +Manufaktur von Glasflaschen. Sie zerfällt in drei wesentlich unterschiedne +Phasen. Erstens die vorbereitende Phase, die Bereitung der Glaskomposi- +tion, Mengung von Sand, Kalk u.s.w. und Schmelzung dieser Komposition +zu einer flüssigen Glasmasse 4 0). In dieser ersten Phase sind verschiedne 30 +Theilarbeiter beschäftigt, ebenso in der Schlußphase, der Entfernung der +Flaschen aus den Trockenöfen, ihre Sortirung, Verpackung u. s. w. Zwi- +schen beiden Phasen steht in der Mitte die eigentliche Glasmacherei oder +Verarbeitung der flüssigen Glasmasse. An demselben Munde eines Glas- + +3 9 ) „Wenn die Erfahrung, je nach der besondren Natur der Produkte jeder Manufaktur, so- 35 +wohl die vortheilhafteste Art, die Fabrikation in Theiloperationen zu spalten, als auch die für +sie nöthige Arbeiterzahl kennen gelehrt hat, werden alle Etablissements, die kein exaktes +Multipel dieser Zahl anwenden, mit mehr Kosten fabriciren .... Dieß ist eine der Ursachen +der kolossalen Ausdehnung industrieller Etablissements." (Ch. Babbage: „On the Economy of +Machinery". Lond. 1832, ch. XXI, p. 172, 173.) +4 0 ) In England ist der Schmelzofen getrennt vom Glasofen, an dem das Glas verarbeitet wird, +in Belgien z. B. dient derselbe Ofen zu beiden Processen. + +40 + +312 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +ofens arbeitet eine Gruppe, die in England das „hole" (Loch) heißt, und +aus einem bottle maker oder finisher, einem blower, einem gatherer, einem +putter up oder whetter off und einem taker in zusammengesetzt ist. Diese +fünf Theilarbeiter bilden eben so viele Sonderorgane eines einzigen Ar- +5 beitskörpers, der nur als Einheit, also nur durch unmittelbare Kooperation +der Fünf wirken kann. Fehlt ein Glied des fünftheiligen Körpers, so ist er +paralysirt. Derselbe Glasofen hat aber verschiedne Oeffnungen, in England +z . B . 4 - 6 , ||312| deren jede einen irdenen Schmelztiegel mit flüssigem Glas +birgt, und wovon jede eine eigne Arbeitergruppe von derselben fünfgliedri- +10 gen Form beschäftigt. Die Gliederung jeder einzelnen Gruppe beruht hier +unmittelbar auf der Theilung der Arbeit, während das Band zwischen den +verschiednen gleichartigen Gruppen einfache Kooperation ist, die eins der +Produktionsmittel, hier den Glasofen, durch gemeinsamen Konsum öko- +nomischer verbraucht. Ein solcher Glasofen mit seinen 4 - 6 Gruppen bil- +15 det eine Glashütte, und eine Glasmanufaktur umfaßt eine Mehrzahl sol- +cher Hütten, zugleich mit den Vorrichtungen und Arbeitern für die +einleitenden und abschließenden Produktionsphasen. + +Endlich kann die Manufaktur, wie sie theilweis aus der Kombination +verschiedner Handwerke entspringt, sich zu einer Kombination verschied- +20 ner Manufakturen entwickeln. Die größren englischen Glashütten z . B . fa- +briciren ihre irdenen Schmelztiegel selbst, weil von deren Güte das Gelin- +gen oder Mißlingen des Produkts wesentlich abhängt. Die Manufaktur +eines Produktionsmittels wird hier mit der Manufaktur des Produkts ver- +bunden. Umgekehrt kann die Manufaktur des Produkts verbunden werden +25 mit Manufakturen, worin es selbst wieder als Rohmaterial dient, oder mit +deren Produkten es später zusammengesetzt wird. So findet man z.B. die +Manufaktur von Flintglas kombinirt mit der Glasschleiferei und der Gelb- +gießerei, letztre für die metallische Einfassung mannigfacher Glasartikel. +Die verschiednen kombinirten Manufakturen bilden dann mehr oder min- +30 der räumlich getrennte Departemente einer Gesammtmanufaktur, zugleich +von einander unabhängige Produktionsprocesse, jeder mit eigner Theilung +der Arbeit. Trotz mancher Vortheile, welche die kombinirte Manufaktur +bietet, gewinnt sie, auf eigner Grundlage, keine wirklich technische Ein- +heit. Diese entsteht erst bei ihrer Verwandlung in den maschinenmäßigen + +35 Betrieb. + +Die Manufakturperiode, welche Verminderung der zur Waarenproduk- +tion nothwendigen Arbeitszeit bald als bewußtes Princip ausspricht 4 1), ent- +wickelt sporadisch auch den Gebrauch von Maschinen, namentlich für ge- +wisse einfache erste Processe, die massenhaft und mit großem Kraft- + +40 + +4 1 ) Man kann dieß unter andren ersehn aus W. Petty, John Bellers, Andrew Yarranton, „The +Advantages of the East India Trade" und J. Vanderlint. + +313 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +aufwand auszuführen sind. So wird z . B . bald in der Papiermanufaktur das +Zermalmen der Lumpen durch Papiermühlen und in der Metallurgie das +Zerstoßen der ||313| Erze durch sogenannte Pochmühlen verrichtet 4 2). Die +element arische Form aller Maschinerie hatte das römische Kaiserreich +überliefert in der Wassermühle 4 3). Die Handwerksperiode vermachte die +großen Erfindungen des Kompasses, des Pulvers, der Buchdruckerei und +der automatischen Uhr. Im Großen und Ganzen jedoch spielt die Maschi- +nerie jene Nebenrolle, die Adam Smith ihr neben der Theilung der Arbeit +anweist 4 4). Sehr wichtig wurde die sporadische Anwendung der Maschine- +rie im 17. Jahrhundert, weil sie den großen Mathematikern jener Zeit prak- 10 +tische Anhaltspunkte und Reizmittel zur Schöpfung der modernen Mecha- +nik darbot. + +5 + +Die specifische Maschinerie der Manufakturperiode bleibt der aus vie- +len Theilarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter selbst. Die verschiednen +Operationen, die der Producent einer Waare abwechselnd verrichtet und 15 +die sich im Ganzen seines Arbeitsprocesses verschlingen, nehmen ihn ver- +schiedenartig in Anspruch. In der einen muß er mehr Kraft entwickeln, in +der andren mehr Gewandtheit, in der dritten mehr geistige Aufmerksam- +keit u.s.w., und dasselbe Individuum besitzt diese Eigenschaften nicht in +gleichem Grad. Nach der Trennung, Verselbständigung und Isolirung der 20 +verschiednen Operationen werden die Arbeiter ihren vorwiegenden Eigen- +schaften gemäß getheilt, klassificirt und gruppirt. Bilden ihre Naturbeson- +derheiten die Grundlage, worauf sich die Theilung der Arbeit pfropft, so +entwickelt die Manufaktur, einmal eingeführt, Arbeitskräfte, die von Natur +nur zu einseitiger Sonderfunktion taugen. Der Gesammtarbeiter besitzt 25 +jetzt alle produktiven Eigenschaften in gleich hohem Grad der Virtuosität | +|314| und verausgabt sie zugleich aufs ökonomischste, indem er alle seine +Organe, individualisirt in besondren Arbeitern oder Arbeitergruppen, aus- + +30 + +4 2 ) Noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts bedient sich Frankreich der Mörser und Siebe zum +Pochen und Waschen der Erze. +4 3 ) Die ganze Entwicklungsgeschichte der Maschinerie läßt sich verfolgen an der Geschichte +der Getreidemühlen. Die Fabrik heißt im Englischen immer noch mill. In deutschen techno- +logischen Schriften aus den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts findet man noch den Aus- +druck Mühle nicht nur für alle mit Naturkräften getriebene Maschinerie, sondern selbst für +alle Manufakturen, die maschinenartige Apparate anwenden. +4 4 ) Wie man aus dem Vierten Buch dieser Schrift näher sehn wird, hat A. Smith keinen einzi- +gen neuen Satz über die Theilung der Arbeit aufgestellt. Was ihn aber als den zusammenfas- +senden politischen Oekonomen der Manufakturperiode charakterisirt, ist der Accent, den er +auf die Theilung der Arbeit legt. Die untergeordnete Rolle, die er der Maschinerie anweist, +rief im Beginn der großen Industrie Lauderdale's, in einer weiter entwickelten Epoche Ure's 40 +Polemik hervor. A. Smith verwechselt auch die Differenzirung der Instrumente, wobei die +Theilarbeiter der Manufaktur selbst sehr thätig waren, mit der Maschinenerfindung. Es sind +nicht Manufakturarbeiter, sondern Gelehrte, Handwerker, selbst Bauern (Brindley) u.s.w., die +hier eine Rolle spielen. + +35 + +314 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +schließlich zu ihren specifischen Funktionen verwendet 4 5). Die Einseitig- +keit und selbst die Unvollkommenheit des Theilarbeiters werden zu seiner +Vollkommenheit als Glied des Gesammtarbeiters 4 6). Die Gewohnheit einer +einseitigen Funktion verwandelt ihn in ihr naturgemäß sicher wirkendes +ihn + +5 Organ, während der Zusammenhang des Gesammtmechanismus +zwingt, mit der Regelmäßigkeit eines Maschinentheils zu wirken 4 7). + +Da die verschiednen Funktionen des Gesammtarbeiters einfacher oder +zusammengesetzter, niedriger oder höher, erheischen seine Organe, die in- +dividuellen Arbeitskräfte, sehr verschiedne Grade der Ausbildung und be- +lo sitzen daher sehr verschiedne Werthe. Die Manufaktur entwickelt also eine +Hierarchie der Arbeitskräfte, der eine Stufenleiter der Arbeitslöhne ent- +spricht. Wird einerseits der individuelle Arbeiter einer einseitigen Funk- +tion angeeignet und lebenslang annexirt, so werden eben so sehr die ver- +schiednen Arbeitsverrichtungen jener Hierarchie der natürlichen und +15 erworbnen Geschicklichkeiten angepaßt 4 8). Jeder Produktionsproceß be- +dingt indeß gewisse einfache Hantierungen, deren jeder Mensch, wie er +geht und steht, fähig ist. Auch sie werden jetzt von ihrem ||315| flüssigen +Zusammenhang mit den inhaltvollern Momenten der Thätigkeit losgelöst +und zu ausschließlichen Funktionen verknöchert. + +20 + +Die Manufaktur erzeugt daher in jedem Handwerk, das sie ergreift, eine +Klasse sogenannter ungeschickter Arbeiter, die der Handwerksbetrieb +streng ausschloß. Wenn sie die durchaus vereinseitigte Specialität auf Ko- +sten des ganzen Arbeitsvermögens zur Virtuosität entwickelt, beginnt sie +auch schon den Mangel aller Enwicklung zu einer Specialität zu machen. + +25 + +4 5 ) „Indem man das Machwerk in mehrere verschiedne Operationen theilt, deren jede ver- +schiedne Grade von Gewandtheit und Kraft erheischt, kann der Manufakturherr sich genau +das jeder Operation entsprechende Quantum von Kraft und Gewandtheit verschaffen. Wäre +dagegen das ganze Werk von einem Arbeiter zu. verrichten, so müßte dasselbe Individuum ge- +nug Gewandtheit für die delikatesten und genug Kraft für die mühseligsten Operationen be- + +30 sitzen." (Ch. Babbage, 1. c. ch. XIX.) + +4 6 ) Z.B. einseitige Muskelentwicklung, Knochenverkrümmung u.s.w. +4 7 ) Sehr richtig antwortet Herr Wm. Marshall, der general manager einer Glasmanufaktur, auf +die Frage des Untersuchungskommissärs, wie die Arbeitsamkeit unter den beschäftigten Jun- +gen aufrecht erhalten werde: "They cannot well neglect their work; when they once begin, they +35 must go on; they are just the same as parts of a machine." (,,Child. Empi. Comm. Fourth Re- + +port" 1865, p. 247.) +4 8 ) Dr. Ure in seiner Apotheose der großen Industrie fühlt die eigenthümlichen Charaktere +der Manufaktur schärfer heraus als frühere Oekonomen, die nicht sein polemisches Interesse +hatten, und selbst als seine Zeitgenossen, z.B. Babbage, der ihm zwar überlegen ist als Mathe- +40 matiker und Mechaniker, aber dennoch die große Industrie eigentlich nur vom Standpunkt +der Manufaktur auffaßt. Ure bemerkt: „Die Aneignung der Arbeiter an jede Sonderoperation +bildet das Wesen der Vertheilung der Arbeiten." Andrerseits bezeichnet er diese Vertheilung +als „Anpassung der Arbeiten an die verschiednen individuellen Fähigkeiten" und charakteri- +sirt endlich das ganze Manufaktursystem als „ein System von Gradationen nach dem Rang +45 der Geschicklichkeit", als „eine Theilung der Arbeit nach den verschiednen Graden des Ge- + +schicks" u.s.w. Ure, Philos, of Manuf, p. 19-23, passim. + +315 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Neben die hierarchische Abstufung tritt die einfache Scheidung der Arbei- +ter in geschickte und ungeschickte. Für letztre fallen die Erlernungskosten +ganz weg, für erstre sinken sie, im Vergleich zum Handwerker, in Folge +vereinfachter Funktion. In beiden Fällen sinkt der Werth der Arbeits- +kraft 4 9). Ausnahme findet statt, soweit die Zersetzung des Arbeitsprocesses +neue zusammenfassende Funktionen erzeugt, die im Handwerksbetrieb +gar nicht oder nicht in demselben Umfang vorkamen. Die relative Entwer- +t u n g der Arbeitskraft, die aus dem Wegfall oder der Verminderung der Er- +lernungskosten entspringt, schließt unmittelbar höhere Verwerthung des +Kapitals ein, denn alles, was die zur Reproduktion der Arbeitskraft noth- 10 +wendige Zeit verkürzt, verlängert die Domaine der Mehrarbeit. + +5 + +4. Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur +und Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft. + +Wir betrachteten erst den Ursprung der Manufaktur, dann ihre einfachen +Elemente, den Theilarbeiter und sein Werkzeug, endlich ihren Gesammt- 15 +mechanismus. Wir berühren jetzt kurz das Verhältniß zwischen der manu- +fakturmäßigen Theilung der Arbeit und der gesellschaftlichen Theilung der +Arbeit, welche die allgemeine Grundlage aller Waarenproduktion bildet. + +Hält man nur die Arbeit selbst im Auge, so kann man die Trennung der +gesellschaftlichen Produktion in ihre großen Gattungen, wie Agrikultur, 20 +Industrie u.s.w., als Theilung der Arbeit im Allgemeinen, die Sonderung +dieser Produktionsgattungen in Arten und Unterarten als Theilung der Ar- +beit im Besondren, und die Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt +als Theilung der Arbeit im Einzelnen bezeichnen 5 0). | + +|316| Die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft und die ent- 25 + +sprechende Beschränkung der Individuen auf besondre Berufssphären ent- +wickelt sich, wie die Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur, von + +4 9 ) "Each handicraftsman, being .... enabled to perfect himself by practice in one point, be- +came .... a cheaper workman." Ure, I.e. p. 19. +5 0 ) „Die Theilung der Arbeit geht von der Trennung der verschiedenartigsten Professionen +fort bis zu jener Theilung, wo mehrere Arbeiter sich in die Anfertigung eines und desselben +Produkts theilen, wie in der Manufaktur." (Storch: ,,Cours d'Écon. Pol." Pariser Ausgabe, t.I, +p. 173.) «Nous rencontrons chez les peuples parvenus à un certain degré de civilisation trois +genres de divisions d'industrie: la première, que nous nommons générale, amène la distinc- +tion des producteurs en agriculteurs, manufacturiers et commerçans, elle se rapporte aux trois +principales branches d'industrie nationale; la seconde, qu'on pourrait appeler spéciale, est la +division de chaque genre d'industrie en espèces... la troisième division d'industrie, celle en- +fin qu'on devrait qualifier de division de la besogne ou du travail proprement dit, est celle qui +s'établit dans les arts et les métiers séparés... qui s'établit dans la plupart des manufactures et +des ateliers.» (Skarbek 1. c. p. 84, 85.) + +30 + +35 + +40 + +316 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +entgegengesetzten Ausgangspunkten. Innerhalb einer F a m i l i e 5 0 a ) , weiter +entwickelt eines Stammes, entspringt eine naturwüchsige Theilung der Ar- +beit aus den Geschlechts- und Altersverschiedenheiten, also auf rein phy- +siologischer Grundlage, die mit der Ausdehnung des Gemeinwesens, der +5 Zunahme der Bevölkerung und namentlich dem Konflikt zwischen ver- +schiednen Stämmen und der Unterjochung eines Stamms durch den and- +ren ihr Material ausweitet. Andrerseits, wie ich früher bemerkt, entspringt +der Produktenaustausch an den Punkten, wo verschiedne Familien, +Stämme, Gemeinwesen in Kontakt kommen, denn nicht Privatpersonen, +10 sondern Familien, Stämme u.s.w. treten sich in den Anfängen der Kultur +selbständig gegenüber. Verschiedne Gemeinwesen finden verschiedne Pro- +duktionsmittel und verschiedne Lebensmittel in ihrer Naturumgebung vor. +Ihre Produktionsweise, Lebensweise und Produkte sind daher verschieden. +Es ist diese naturwüchsige Verschiedenheit, die bei dem Kontakt der Ge- +15 meinwesen den Austausch der wechselseitigen Produkte und daher die all- +mählige Verwandlung dieser Produkte in Waaren hervorruft. Der Aus- +tausch schafft nicht den Unterschied der Produktionssphären, sondern +setzt die unterschiednen in Beziehung und verwandelt sie so in mehr oder +minder von einander abhängige Zweige einer gesellschaftlichen Gesammt- +20 Produktion. Hier entsteht die gesellschaftliche Theilung der Arbeit durch +den Austausch ursprünglich verschiedner, aber von einander unabhängiger +Produktionssphären. ||317| Dort, wo die physiologische Theilung der Arbeit +den Ausgangspunkt bildet, lösen sich die besondren Organe eines unmit- +telbar zusammengehörigen Ganzen von einander ab, zersetzen sich, zu +25 welchem Zersetzungsproceß der Waarenaustausch mit fremden Gemein- +wesen den Hauptanstoß giebt, und verselbständigen sich bis zu dem Punkt, +wo der Zusammenhang der verschiednen Arbeiten durch den Austausch +der Produkte als Waaren vermittelt wird. Es ist in dem einen Fall Verun- +selbständigung der früher Selbständigen, in dem andren Verselbständigung + +30 der früher Unselbständigen. + +Die Grundlage aller entwickelten und durch Waarenaustausch vermittel- +ten Theilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und L a n d 5 1 ) . Man + +5 0 a ) Note zur 3. Aufl. - Spätere sehr gründliche Studien der menschlichen Urzustände führten +den Verfasser zum Ergebniß, daß ursprünglich nicht die Familie sich zum Stamm ausgebil- +35 det, sondern umgekehrt, der Stamm die ursprüngliche naturwüchsige Form der auf Blutsver- +wandtschaft beruhenden menschlichen Vergesellschaftung war, so daß aus der beginnenden +Auflösung der Stammesbande erst später die vielfach verschiednen Formen der Familie sich +entwickelten. (D.H.) +5 1 ) Sir James Steuart hat diesen Punkt am besten behandelt. Wie wenig sein Werk, welches +40 10 Jahre vor dem ,,Wealth of Nations" erschien, heut zu Tage bekannt ist, sieht man u. a. dar- +aus, daß die Bewundrer des Malthus nicht einmal wissen, daß dieser in der ersten Ausgabe +seiner Schrift über die „Population", vom rein deklamatorischen Theil abgesehn, neben den +Pfaffen Wallace und Townsend fast nur den Steuart abschreibt. + +317 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +kann sagen, daß die ganze ökonomische Geschichte der Gesellschaft sich +in der Bewegung dieses Gegensatzes resümirt, auf den wir jedoch hier +nicht weiter eingehn. + +Wie für die Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur eine gewisse +Anzahl gleichzeitig angewandter Arbeiter die materielle Voraussetzung bil- +det, so für die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft die Größe +der Bevölkerung und ihre Dichtigkeit, die hier an die Stelle der Agglomera- +tion in derselben Werkstatt tritt 5 2). Indeß ist diese Dichtigkeit etwas Relati- +ves. Ein relativ spärlich bevölkertes Land mit entwickelten Kommunika- +tionsmitteln besitzt eine dichtere Bevölkerung als ein mehr bevölkertes 10 +Land mit unentwickelten Kommunikationsmitteln, und in dieser Art sind +z.B. die nördlichen Staaten der amerikanischen Union dichter bevölkert +als Indien 5 3). + +5 + +15 + +Da Waarenproduktion und Waarencirkulation die allgemeine ||318| Vor- +aussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, erheischt manufaktur- +mäßige Theilung der Arbeit eine schon bis zu gewissem Entwicklungsgrad +gereifte Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. Umgekehrt ent- +wickelt und vervielfältigt die manufakturmäßige Theilung der Arbeit rück- +wirkend jene gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Mit der Differenzirung +der Arbeitsinstrumente differenziren sich mehr und mehr die Gewerbe, 20 +welche diese Instrumente produciren 5 4). Ergreift der manufakturmäßige +Betrieb ein Gewerb, das bisher als Haupt- oder Nebengewerb mit andren +zusammenhing und von demselben Producenten ausgeführt wurde, so fin- +det sofort Scheidung und gegenseitige Verselbständigung statt. Ergreift er +eine besondre Produktionsstufe einer Waare, so verwandeln sich ihre ver- 25 +schiednen Produktionsstufen in verschiedne unabhängige Gewerbe. Es +ward bereits angedeutet, daß, wo das Machwerk ein bloß mechanisch zu- +sammengesetztes Ganze von Theilprodukten, die Theilarbeiten sich selbst +wieder zu eignen Handwerken verselbständigen können. Um die Theilung +der Arbeit vollkommner innerhalb einer Manufaktur auszuführen, wird 30 +derselbe Produktionszweig, je nach der Verschiedenheit seiner Rohstoffe + +5 2 ) "There is a certain density of population which is convenient, both for social intercourse, +and for that combination of powers by which the produce of labour is increased." (James Mill +I.e. p. 50.) "As the number of labourers increases, the productive power of society augments in +the compound ratio of that increase, multiplied by the effects of the division of labour." (Th. 35 +Hodgskin 1. c. p. 120.) +5 3 ) In Folge der großen Baumwollnachfrage seit 1861 wurde in einigen sonst zahlreich bevöl- +kerten Distrikten Ostindiens die Baumwollproduktion auf Kosten der Reisproduktion ausge- +dehnt. Es entstand daher partielle Hungersnoth, weil wegen mangelnder Kommunikations- +mittel und daher mangelnden physischen Zusammenhangs der Reisausfall in einem Distrikt +nicht durch Zufuhr aus andren Distrikten ausgeglichen werden konnte. +5 4 ) So bildete die Fabrikation der Weberschiffchen schon während des 17. Jahrhunderts einen +besondren Industriezweig in Holland. + +40 + +318 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +oder der verschiednen Formen, die derselbe Rohstoff erhalten kann, in ver- +schiedne zum Theil ganz neue Manufakturen gespaltet. So wurden bereits +in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich allein über 100 ver- +schiedenartige Seidenzeuge gewebt, und in Avignon ζ. Β. war es Gesetz, +5 daß „jeder Lehrling sich immer nur einer Fabrikations art widmen und +nicht die Verfertigung mehrerer Zeugarten zugleich lernen durfte". Die ter- +ritoriale Theilung der Arbeit, welche besondre Produktionszweige an be- +sondre Distrikte eines Landes bannt, erhält neuen Anstoß durch den ma- +nufakturmäßigen Betrieb, der alle Besonderheiten ausbeutet 5 5). Reiches +10 Material zur Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft liefert der Ma- +nufakturperiode die Erweiterung des Weltmarkts und das Kolonialsystem, +die zum Umkreis ihrer allgemeinen Existenzbedingungen gehören. Es ist +hier nicht der Ort, weiter nachzuweisen, wie sie neben der ökonomischen +jede andre Sphäre der Gesellschaft ergreift ||319| und überall die Gründ- +läge zu jener Ausbildung des Fachwesens, der Specialitäten, und einer Par- +cellirung des Menschen legt, die schon A. Ferguson, den Lehrer A. Smiths, +in den Ausruf ausbrechen ließ: „Wir machen eine Nation von Heloten, +und es giebt keine Freien unter u n s " 5 6 ) . + +ls + +20 + +Trotz der zahlreichen Analogien jedoch und der Zusammenhänge zwi- +sehen der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und der Thei- +lung innerhalb einer Werkstatt, sind beide nicht nur graduell, sondern we- +sentlich unterschieden. Am schlagendsten scheint die Analogie unstreitig, +wo ein innres Band verschiedne Geschäftszweige verschlingt. Der Vieh- +züchter z.B. producirt Häute, der Gerber verwandelt die Häute in Leder, +25 der Schuster das Leder in Stiefel. Jeder producirt hier ein Stufenprodukt, +und die letzte fertige Gestalt ist das kombinirte Produkt ihrer Sonderarbei- +ten. Es kommen hinzu die mannigfachen Arbeitszweige, die dem Vieh- +züchter, Gerber, Schuster Produktionsmittel liefern. Man kann sich nun +mit A. Smith einbilden, diese gesellschaftliche Theilung der Arbeit unter- +scheide sich von der manufakturmäßigen nur subjektiv, nämlich für den +Beobachter, der hier die mannigfachen Theilarbeiten auf einen Blick +räumlich zusammensieht, während dort ihre Zerstreuung über große Flä- +chen und die große Zahl der in jedem Sonderzweig Beschäftigten den Zu- +sammenhang verdunklen 5 7). Was aber stellt den Zusammenhang her zwi- + +30 + +35 + +40 + +5 5 ) "Whether the Woollen Manufacture of England is not divided into several parts or bran- +ches appropriated to particular places, where they are only or principally manufactured; fine +cloths in Somersetshire, coarse in Yorkshire, long ells at Exeter, soies at Sudbury, crapes at +Norwich, linseys at Kendal, blankets at Whitney, and so forth!" (Berkeley: ,,The Querist" +1750, [p. 56,] §. 520.) +5 6 ) A.Ferguson: ,,History of Civil Society", Edinb. 1750, PartIV, sect.II, p.285. +5 7 ) In den eigentlichen Manufakturen, sagt er, scheint die Theilung der Arbeit größer, weil +"those employed in every different branch of the work can often be collected into the same + +319 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +sehen den unabhängigen Arbeiten von Viehzüchter, Gerber, Schuster? Das + +Dasein ihrer respektiven Produkte als Waaren. Was charakterisirt dagegen + +die manufakturmäßige Theilung der Arbeit? Daß der Theilarbeiter keine + +Waare producirt 5 8). Erst das gemeinsame ||320| Produkt der Theilarbeiter + +verwandelt sich in W a a r e 5 8 a ) . Die Theilung der Arbeit im Innern der Ge- + +5 + +Seilschaft ist vermittelt durch den K a u f und Verkauf der Produkte ver- + +schiedner Arbeitszweige, der Zusammenhang der Theilarbeiten in der Ma- + +nufaktur durch den Verkauf verschiedner Arbeitskräfte an denselben + +Kapitalisten, der sie als kombinirte Arbeitskraft verwendet. Die manufak- + +turmäßige Theilung der Arbeit unterstellt Koncentration der Produktions- 10 + +mittel in der Hand eines Kapitalisten, die gesellschaftliche Theilung der + +Arbeit Zersplitterung der Produktionsmittel unter viele von einander unab- + +hängige Waarenproducenten. Statt daß in der Manufaktur das eherne Ge- + +setz der Verhältnißzahl oder Proportionalität bestimmte Arbeitermassen + +unter bestimmte Funktionen subsumirt, treiben Zufall und Willkür ihr 15 + +buntes Spiel in der Vertheilung der Waarenproducenten und ihrer Produk- + +tionsmittel unter die verschiednen gesellschaftlichen Arbeitszweige. Zwar + +workhouse, and placed at once under the view of the spectator. In those great manufactures (!), +on the contrary, which are destined to supply the great wants of the great body of the peo- +ple, every different branch of the work employs so great a number of workmen, that it is im- 20 +possible to collect them all into the same workhouse ... the division is not near so obvious." +(A.Smith: ,,Wealth of Nations", b.I, ch.I.) Der berühmte Passus in demselben Kapitel, der mit +den Worten beginnt: "Observe the accomodation of the most common artificer or day la- +bourer in a civilized and thriving country etc." und dann weiter ausmalt, wie zahllos mannig- +faltige Gewerbe zur Befriedigung der Bedürfnisse eines gewöhnlichen Arbeiters zusammen- 25 +wirken, ist ziemlich wörtlich kopirt aus B. de Mandeville's Remarks zu seiner: „Fable of the +Bees, or Private Vices, Publick Benefits". (Erste Ausgabe ohne Remarks 1705, mit den Re- +marks 1714.) +5 8 ) "There is no longer anything which we can call the natural reward of individual labour. +Each labourer produces only some part of a whole, and each part, having no value or utility of 30 +itself, there is nothing on which the labourer can seize, and say: it is my product, this I will +keep for myself." (,,Labour defended against the claims of Capital. Lond. 1825", p. 25.) Der +Verfasser dieser vorzüglichen Schrift ist der früher citirte Th. Hodgskin. +5 8 a ) Note zur 2. Ausgabe. Dieser Unterschied zwischen gesellschaftlicher und manufakturmä- +ßiger Theilung der Arbeit wurde den Yankees praktisch illustrirt. Eine der während des Bür- 35 +gerkriegs zu Washington neu ausgeheckten Steuern war die Accise von 6 % auf „alle indu- +striellen Produkte". Frage: Was ist ein industrielles Produkt? Antwort des Gesetzgebers: Ein +Ding ist producirt, „wenn es gemacht ist" (when it is made) und es ist gemacht, wenn für den +Verkauf fertig. Nun ein Beispiel aus vielen. Manufakturen zu New York und Philadelphia hat- +ten früher Regenschirme mit allem Zubehör „gemacht". Da ein Regenschirm aber ein Mix- 40 +tum Compositum ganz heterogener Bestandtheile, wurden letztre nach und nach zu Machwer- +ken unabhängig von einander und an verschiednen Orten betriebner Geschäftszweige. Ihre +Theilprodukte gingen nun als selbständige Waaren ein in die Regenschirm-Manufaktur, wel- +che sie nur noch in ein Ganzes zusammensetzt. Die Yankees haben derartige Artikel ,,assem- +bled articles" (versammelte Artikel) getauft, was sie namentlich verdienten als Sammelplätze 45 +von Steuern. So „versammelte" der Regenschirm erstens 6 % Accise auf den Preis jedes seiner +Elemente und hinwiederum 6 % auf seinen eignen Gesammtpreis. + +320 + + Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur + +suchen sich die verschiednen Produktionssphären beständig ins Gleich- +gewicht zu setzen, indem einerseits jeder Waarenproducent einen Ge- +brauchswerth produciren, also ein besondres gesellschaftliches Bedürfniß +befriedigen muß, der Umfang dieser Bedürfnisse aber quantitativ verschie- +5 den ist und ein innres Band die verschiednen Bedürfnißmassen zu einem +naturwüchsigen System verkettet; indem andrerseits das Werthgesetz der +Waaren bestimmt, wie viel die Gesellschaft von ihrer ganzen disponiblen +Arbeitszeit auf die Produktion jeder besondren Waarenart verausgaben +kann. Aber diese be||321|ständige Tendenz der verschiednen Produktions- +10 Sphären, sich ins Gleichgewicht zu setzen, bethätigt sich nur als Reaktion +gegen die beständige Aufhebung dieses Gleichgewichts. Die bei der Thei- +lung der Arbeit im Innern der Werkstatt a priori und planmäßig befolgte +Regel wirkt bei der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft nur a +posteriori als innre, stumme, im Barometerwechsel der Marktpreise wahr- +15 nehmbare, die regellose Willkür der Waarenproducenten überwältigende +Naturnothwendigkeit. Die manufakturmäßige Theilung der Arbeit unter- +stellt die unbedingte Autorität des Kapitalisten über Menschen, die bloße +Glieder eines ihm gehörigen Gesammtmechanismus bilden; die gesell- +schaftliche Theilung der Arbeit stellt unabhängige Waarenproducenten +20 einander gegenüber, die keine andre Autorität anerkennen als die der Kon- +kurrenz, den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie +ausübt, wie auch im Thierreich das bellum omnium contra omnes die Exi- +stenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erhält. Dasselbe bürgerli- +che Bewußtsein, das die manufakturmäßige Theilung der Arbeit, die Ie- +25 benslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung und die +unbedingte Unterordnung der Theilarbeiter unter das Kapital als eine Or- +ganisation der Arbeit feiert, welche ihre Produktivkraft steigre, denuncirt +daher eben so laut jede bewußte gesellschaftliche Kontrole und Reglung +des gesellschaftlichen Produktionsprocesses als einen Eingriff in die unver- +letzlichen Eigenthumsrechte, Freiheit und sich selbst bestimmende „Ge- +nialität" des individuellen Kapitalisten. Es ist sehr charakteristisch, daß +die begeisterten Apologeten des Fabriksystems nichts Aergres gegen jede +allgemeine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu sagen wissen, als +daß sie die ganze Gesellschaft in eine Fabrik verwandeln würde. + +30 + +35 Wenn die Anarchie der gesellschaftlichen und die Despotie der manu- +fakturmäßigen Arbeitstheilung einander in der Gesellschaft der kapitalisti- +schen Produktionsweise bedingen, bieten dagegen frühere Gesellschaftsfor- +men, worin die Besonderung der Gewerbe sich naturwüchsig entwickelt, +dann krystallisirt und endlich gesetzlich befestigt hat, einerseits das Bild +40 einer plan- und autoritätsmäßigen Organisation der gesellschaftlichen Ar- +beit, während sie anderseits die Theilung der Arbeit innerhalb der Werk- + +321 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +statt ganz ausschließen, oder nur auf einem Zwergmaßstab, oder nur spora- +disch und zufällig entwickeln 5 9). | + +5 + +15 + +10 + +13221 Jene uralterthümlichen, kleinen indischen Gemeinwesen z.B., die +zum Theil noch fortexistiren, berahn auf gemeinschaftlichem Besitz des +Grund und Bodens, auf unmittelbarer Verbindung von Agrikultur und +Handwerk und auf einer festen Theilung der Arbeit, die bei Anlage neuer +Gemeinwesen als gegebner Plan und Grundriß dient. Sie bilden sich selbst +genügende Produktionsganze, deren Produktionsgebiet von 100 bis auf ei- +nige 1000 Acres wechselt. Die Hauptmasse der Produkte wird für den un- +mittelbaren Selbstbedarf der Gemeinde producirt, nicht als Waare, und die +Produktion selbst ist daher unabhängig von der durch Waarenaustausch +vermittelten Theilung der Arbeit im Großen und Ganzen der indischen +Gesellschaft. Nur der Ueberschuß der Produkte verwandelt sich in Waare, +zum Theil selbst wieder erst in der Hand des Staats, dem ein bestimmtes +Quantum seit undenklichen Zeiten als Naturairente zufließt. Verschiedne +Theile Indiens besitzen verschiedne Formen des Gemeinwesens. In der +einfachsten Form bebaut die Gemeinde das Land gemeinschaftlich und +vertheilt seine Produkte unter ihre Glieder, während jede Familie Spinnen, +Weben u.s.w. als häusliches Nebengewerb treibt. Neben dieser gleichartig +beschäftigten Masse finden wir den „Haupteinwohner", Richter, Polizei 20 +und Steuereinnehmer in einer Person; den Buchhalter, der die Rechnung +über den Ackerbau führt und alles darauf Bezügliche katastrirt und regi- +strirt; einen dritten Beamten, der Verbrecher verfolgt und fremde Reifeende +beschützt und von einem Dorf zum andren geleitet; den Grenzmann, der +die Grenzen der Gemeinde gegen die Nachbargemeinden bewacht; den 25 +Wasseraufseher, der das Wasser aus den gemeinschaftlichen Wasserbehäl- +tern zu Ackerbauzwecken vertheilt; den Braminen, der die Funktionen des +religiösen Kultus verrichtet; den Schulmeister, der die Gemeindekinder im +Sand schreiben und lesen lehrt; den Kalenderbraminen, der als Astrolog +die Zeiten für Saat, Ernte und die guten und bösen Stunden für alle be- 30 +sondren Ackerbauarbeiten angiebt; einen Schmied und einen Zimmer- +mann, welche alle Ackerbauwerkzeuge verfertigen und ausbessern; den +Töpfer, der alle Gefäße für das Dorf macht; den Barbier, den Wäscher für +die Reinigung der Kleider, den Silberschmied, hier und da den Poeten, der +in einigen Gemeinden den Silberschmied, in andren ||323| den Schulmei- 35 +ster ersetzt. Dieß Dutzend Personen wird auf Kosten der ganzen Gemeinde + +5 9 ) « On peut ... établir en règle générale, que moins l'autorité préside à la division du travail +dans l'intérieur de la société, plus la division du travail se développe dans l'intérieur de l'ate- +lier, et plus elle y est soumise à ^autorité d'un seul. Ainsi l'autorité dans l'atelier et celle dans +la société, par rapport à la division du travail, sont en raison inverse l'une de l'autre. » (Karl 40 +Marx I.e. p. 130, 131.) + +322 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +erhalten. Wächst die Bevölkerung, so wird eine neue Gemeinde nach dem +Muster der alten auf unbebautem Boden angesiedelt. Der Gemeindeme- +chanismus zeigt planmäßige Theilung der Arbeit, aber ihre manufakturmä- +ßige Theilung ist unmöglich, indem der Markt für Schmied, Zimmermann +5 u.s.w. unverändert bleibt und höchstens, je nach dem Größenunterschied +der Dörfer, statt eines Schmieds, Töpfers u. s. w. ihrer zwei oder drei vor- +kommen 6 0). Das Gesetz, das die Theilung der Gemeindearbeit regelt, wirkt +hier mit der unverbrüchlichen Autorität eines Naturgesetzes, während j e - +der besondre Handwerker, wie Schmied u.s.w., nach überlieferter Art, aber +10 selbständig und ohne Anerkennung irgend einer Autorität in seiner Werk- +statt, alle zu seinem Fach gehörigen Operationen verrichtet. Der einfache +produktive Organismus dieser selbstgenügenden Gemeinwesen, die sich +beständig in derselben Form reproduciren und, wenn zufällig zerstört, an +demselben Ort, mit demselben Namen, wieder aufbauen 6 1), liefert den +15 Schlüssel zum Geheimniß der Unveränderlichkeit asiatischer Gesellschaf- +ten, so auffallend kontrastirt durch die beständige Auflösung und Neubil- +dung asiatischer Staaten und rastlosen Dynastenwechsel. Die Struktur der +ökonomischen Grundelemente der Gesellschaft bleibt von den Stürmen +der politischen Wolkenregion unberührt. + +20 + +Die Zunftgesetze, wie schon früher bemerkt, verhinderten planmäßig, +durch äußerste Beschränkung der Gesellenzahl, die ein einzelner Zunft- +meister beschäftigen durfte, seine Verwandlung in einen Kapitalisten. +Ebenso konnte er Gesellen nur beschäftigen in dem ausschließlichen +Handwerk, worin er selbst Meister war. Die Zunft wehrte eifersüchtig jeden +25 Uebergriff des Kaufmanns113241kapitals ab, der einzig freien Form des Ka- +pitals, die ihr gegenüberstand. Der Kaufmann konnte alle Waaren kaufen, +nur nicht die Arbeit als Waare. Er war nur geduldet als Verleger der Hand- +werksprodukte. Riefen äußere Umstände eine fortschreitende Theilung der +Arbeit hervor, so zerspalteten sich bestehende Zünfte in Unterarten oder +lagerten sich neue Zünfte neben die alten hin, jedoch ohne Zusammenfas- +sung verschiedner Handwerke in einer Werkstatt. Die Zunftorganisation, +so sehr ihre Besondrung, Isolirung und Ausbildung der Gewerbe zu den + +30 + +35 + +40 + +6 0 ) Lieut. Col. Mark Wilks: ,,Historical Sketches of the South of India. Lond. 1810-17", v. I, +p. 118-20. Eine gute Zusammenstellung der verschiednen Formen des indischen Gemeinwe- +sens findet man in George Campbell's „Modern India. London 1852". +6 1 ) "Under this simple form ... the inhabitants of the country have lived since time immemo- +rial. The boundaries of the villages have been but seldom altered; and though the villages +themselves have been sometimes injured, and even desolated by war, famine, and disease, the +same name, the same limits, the same interests, and even the same families, have continued +for ages. The inhabitants give themselves no trouble about the breaking up and division of +kingdoms; while the village remains entire, they care not to what power it is transferred or to +what sovereign it devolves; its internal economy remains unchanged." (Th. Stamford Raffles, +late Lieut. Gov. of Java: ,,The History of Java. Lond. 1817", v. I, p. 285.) + +323 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +materiellen Existenzbedingungen der Manufakturperiode gehören, schloß +daher die manufakturmäßige Theilung der Arbeit aus. Im Großen und +Ganzen blieben der Arbeiter und seine Produktionsmittel mit einander +verbunden, wie die Schnecke mit dem Schneckenhaus, und so fehlte die +erste Grundlage der Manufaktur, die Verselbständigung der Produktions- +mittel als Kapital gegenüber dem Arbeiter. + +5 + +Während die Theilung der Arbeit im Ganzen einer Gesellschaft, ob ver- +mittelt oder unvermittelt durch den Waarenaustausch, den verschiedenar- +tigsten ökonomischen Gesellschaftsformationen angehört, ist die manufak- +turmäßige Theilung der Arbeit eine ganz specifische Schöpfung der 10 +kapitalistischen Produktionsweise. + +5. Der kapitalistische Charakter der Manufaktur. + +Eine größere Arbeiteranzahl unter dem Kommando desselben Kapitals bil- +det den naturwüchsigen Ausgangspunkt, wie der Kooperation überhaupt, +so der Manufaktur. Umgekehrt entwickelt die manufakturmäßige Theilung 15 +der Arbeit das Wachsthum der angewandten Arbeiterzahl zur technischen +Nothwendigkeit. Das Arbeiterminimum, das ein einzelner Kapitalist an- +wenden muß, ist ihm jetzt durch die vorhandne Theilung der Arbeit vorge- +schrieben. Andrerseits sind die Vortheile weitrer Theilung bedingt durch +weitre Vermehrung der Arbeiteranzahl, die nur noch in Vielfachen aus- 20 +führbar. Mit dem variablen muß aber auch der konstante Bestandtheil des +Kapitals wachsen, neben dem Umfang der gemeinsamen Produktionsbe- +dingungen, wie Baulichkeiten, Oefen u. s.w., namentlich auch und viel ra- +scher als die Arbeiteranzahl, das Rohmaterial. Seine Masse, verzehrt in ge- +gebner Zeit durch gegebnes Arbeitsquantum, nimmt +Verhältniß zu wie die Produktivkraft der Arbeit in Folge ihrer Theilung. +Wachsender Minimalumfang von Kapital in der Hand der einzelnen Kapi- +talisten, oder wachsende Verwandlung der gesellschaftlichen Lebensmit- +tel ||325| und Produktionsmittel in Kapital ist also ein aus dem technischen +Charakter der Manufaktur entspringendes Gesetz 6 2). + +in demselben 25 + +30 + +6 2 ) „Es genügt nicht, daß das zur Unterabtheilung der Handwerke nöthige Kapital (sollte hei- +ßen, die dazu nöthigen Lebens- und Produktionsmittel) sich in der Gesellschaft vorhanden +vorfinde; es ist außerdem nöthig, daß es in den Händen der Unternehmer in hinreichend be- +trächtlichen Massen akkumulirt sei, um sie zur Arbeit auf großer Stufenleiter zu befähigen ... +Je mehr die Theilung zunimmt, erheischt die beständige Beschäftigung einer selben Zahl von ' 3 5 +Arbeitern immer beträchtlicheres Kapital in Werkzeugen, Rohstoffen u.s.w." (Storch: ,,Cours +d'Écon. Polit." Pariser Ausg. t.I, p. 250, 251.) «La concentration des instruments de produc- +tion et la division du travail sontaussi inséparables Tune de l'autre que le sont, dans le régime +politique, la concentration des pouvoirs publics et la division des intérêts privés.» (Karl Marx +1. c. p. 134.) + +40 + +324 + + Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur + +Wie in der einfachen Kooperation ist in der Manufaktur der funktioni- +rende Arbeitskörper eine Existenzform des Kapitals. Der aus vielen indivi- +duellen Theilarbeitern zusammengesetzte gesellschaftliche Produktions- +mechanismus gehört dem Kapitalisten. Die aus der Kombination der +5 Arbeiten entspringende Produktivkraft erscheint daher als Produktivkraft +des Kapitals. Die eigentliche Manufaktur unterwirft nicht nur den früher +selbständigen Arbeiter dem Kommando und der Disciplin des Kapitals, +sondern schafft überdem eine hierarchische Gliederung unter den Arbei- +tern selbst. Während die einfache Kooperation die Arbeitsweise der Einzel- +10 nen im Großen und Ganzen unverändert läßt, revolutionirt die Manufak- +tur sie von Grund aus und ergreift die individuelle Arbeitskraft an ihrer +Wurzel. Sie verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein +Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung einer Welt +von produktiven Trieben und Anlagen, wie man in den La Plata Staaten +15 ein ganzes Thier abschlachtet, um sein Fell oder seinen Talg zu erbeuten. +Die besondren Theilarbeiten werden nicht nur unter verschiedne Indivi- +duen vertheilt, sondern das Individuum selbst wird getheilt, in das automa- +tische Triebwerk einer Theilarbeit verwandelt 6 3) und die abgeschmackte +Fabel des Menenius Agrippa verwirklicht, die einen Menschen als bloßes +20 Fragment seines eignen Körpers darstellt 6 4). Wenn der Arbeiter ursprüng- +lich seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft, weil ihm die materiellen +Mittel zur Produktion einer Waare fehlen, versagt jetzt seine individuelle +Arbeitskraft selbst ihren Dienst, so||326|bald sie nicht an das Kapital ver- +kauft wird. Sie funktionirt nur noch in einem Zusammenhang, der erst +25 nach ihrem Verkauf existirt, in der Werkstatt des Kapitalisten. Seiner na- +türlichen Beschaffenheit nach verunfähigt, etwas Selbständiges zu machen, +entwickelt der Manufakturarbeiter produktive Thätigkeit nur noch als Zu- +behör zur Werkstatt des Kapitalisten 6 5). Wie dem auserwählten Volk auf +der Stirn geschrieben stand, daß es das Eigenthum Jehovas, so drückt die +30 Theilung der Arbeit dem Manufakturarbeiter einen Stempel auf, der ihn + +zum Eigenthum des Kapitals brandmarkt. + +Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbständige Bauer +oder Handwerker, wenn auch auf kleinem Maßstab, entwickelt, wie der +Wilde alle Kunst des Kriegs als persönliche List ausübt, sind jetzt nur noch + +6 3 ) Dugald Stewart nennt die Manufakturarbeiter ,,living automatons ... employed in the de- +tails of thé work". (1. c. p. 318.) +6 4 ) Bei den Korallen bildet jedes Individuum in der That den Magen für die ganze Gruppe. Es +führt ihr aber Nahrungsstoff zu, statt wie der römische Patricier ihn wegzuführen. +6 5 ) «L'ouvrier qui porte dans ses bras tout un métier, peut aller partout exercer son industrie +et trouver des moyens de subsister: l'autre (der Manufakturarbeiter) n'est qu'un accessoire +qui, séparé de ses confrères, n'a plus ni capacité, ni indépendance, et qui se trouve forcé d'ac- +cepter la loi qu'on juge à propos de lui imposer.» (Storch I.e. edit. Petersb. 1815, t.I, p.204.) + +325 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +für das Ganze der Werkstatt erheischt. Die geistigen Potenzen der Produk- +tion erweitern ihren Maßstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten +verschwinden. Was die Theilarbeiter verlieren, koncentrirt sich ihnen ge- +genüber im Kapital 6 6). Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Thei- +lung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktions- +processes als fremdes Eigenthum und sie beherrschende Macht gegenüber +zu stellen. Dieser Scheidungsproceß beginnt in der einfachen Kooperation, +wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den +Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in +der Manufaktur, die den Arbeiter zum Theilarbeiter verstümmelt. Er voll- 10 +endet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbstän- +dige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapi- +tals preßt 6 7). + +5 + +In der Manufaktur ist die Bereicherung des Gesammtarbeiters und da- +her des Kapitals an gesellschaftlicher Produktivkraft bedingt ||327| durch 15 +die Verarmung des Arbeiters an individuellen Produktivkräften. „Die Un- +wissenheit ist die Mutter der Industrie wie des Aberglaubens. Nachdenken +und Einbildungskraft sind dem Irrthum unterworfen; aber die Gewohnheit, +den Fuß oder die Hand zu bewegen, hängt weder von dem einen, noch von +der andren ab. Manufakturen prosperiren also da am meisten, wo man am 20 +meisten sich des Geistes entschlägt, in der Art, daß die Werkstatt als eine +Maschine betrachtet werden kann, deren Theile Menschen sind." 6 8). In der +That wandten einige Manufakturen in der Mitte des 18. Jahrhunderts für +gewisse einfache Operationen, welche aber Fabrikgeheimnisse bildeten, +mit Vorliebe halbe Idioten a n 6 9) . + +25 + +„Der Geist der großen Mehrzahl der Menschen", sagt A. Smith, „entwik- +kelt sich nothwendig aus und an ihren Alltagsverrichtungen. Ein Mensch, +der sein ganzes Leben in der Verrichtung weniger einfacher Operationen +verausgabt ... hat keine Gelegenheit, seinen Verstand zu üben. .. Er wird +im Allgemeinen so stupid und unwissend, wie es für eine menschliche 30 +Kreatur möglich ist." Nachdem Smith den Stumpfsinn des Theilarbeiters +geschildert, fährt er fort: „Die Einförmigkeit seines stationären Lebens ver- +dirbt natürlich auch den Muth seines Geistes ... Sie zerstört selbst die + +6 6 ) A. Ferguson 1. c. p.281: "The former may have gained what the other has lost." +6 7 ) „Der Mann des Wissens und der produktive Arbeiter sind weit von einander getrennt, und +die Wissenschaft, statt in der Hand des Arbeiters seine eignen Produktivkräfte für ihn selbst +zu vermehren, hat sich fast überall ihm gegenübergestellt .... Kenntniß wird ein Instrument, +fähig von der Arbeit getrennt und ihr entgegengesetzt zu werden." (W. Thompson: „An In- +quiry into the Principles of the Distribution of Wealth. London 1824", p. 274.) +6 8 ) A. Ferguson I.e. p.280. +6 9 ) J.D. Tuckett: „A History of the Past and Present State of the Labouring Population. Lond. +1846", v.I, p. 148. + +~~ - + +35 + +40 + +326 + + Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur + +Energie seines Körpers und verunfâhigt ihn, seine Kraft schwunghaft und +ausdauernd anzuwenden außer in der Detailbeschäftigung, wozu er heran- +gezogen ist. Sein Geschick in seinem besondren Gewerke scheint so erwor- +ben auf Kosten seiner intellektuellen, socialen und kriegerischen Tugen- +5 den. Aber in jeder industriellen und civilisirten Gesellschaft ist dieß der +Zustand, worin der arbeitende Arme (the labouring poor), d. h. die große +Masse des Volks nothwendig verfallen m u ß " 7 0 ) . Um die aus der Theilung +der Arbeit entspringende völlige Verkümmerung der Volksmasse ||328| zu +verhindern, empfiehlt A. Smith Volksunterricht von Staats wegen, wenn +10 auch in vorsichtig homöopathischen Dosen. Konsequent polemisirt dage- +gen sein französischer Uebersetzer und Kommentator, G. Garnier, der sich +unter dem ersten französischen Kaiserthum naturgemäß zum Senator ent- +puppte. Volksunterricht verstoße wider die ersten Gesetze der Theilung der +Arbeit und mit demselben „proscribire man unser ganzes Gesellschaftssy- +stem". „Wie alle andren Theilungen der Arbeit", sagt er, „wird die zwi- +schen Handarbeit und Verstandesarbeit 7 1) ausgesprochner und entschied- +ner im Maße wie die Gesellschaft (er wendet richtig diesen Ausdruck an +für das Kapital, das Grundeigenthum und ihren Staat) reicher wird. Gleich +jeder andren ist diese Theilung der Arbeit eine Wirkung vergangner und +20 eine Ursache künftiger Fortschritte ... Darf die Regierung denn dieser +Theilung der Arbeit entgegenwirken und sie in ihrem naturgemäßen Gang +aufhalten? Darf sie einen Theil der Staatseinnahme zum Versuch verwen- +den, zwei Klassen von Arbeit, die ihre Theilung und Trennung erstreben, +zu verwirren und zu vermischen?" 7 2) + +15 + +25 + +Eine gewisse geistige und körperliche Verkrüppelung ist unzertrennlich +selbst von der Theilung der Arbeit im Ganzen und Großen der Gesell- +schaft. Da aber die Manufakturperiode diese gesellschaftliche Zerspaltung +der Arbeitszweige viel weiter führt, andrerseits erst mit der ihr eigenthümli- +chen Theilung das Individuum an seiner Lebenswurzel ergreift, liefert sie + +30 auch zuerst das Material und den Anstoß zur industriellen Pathologie 7 3). + +7 0 ) A. Smith: ,,Wealth of Nations", Β. V, ch. I, art. II. Als Schüler A.Ferguson's, der die nach- +theiligen Folgen der Theilung der Arbeit entwickelt hatte, war A. Smith über diesen Punkt +durchaus klar. Im Eingang seines Werks, wo die Theilung der Arbeit ex professo gefeiert wird, +deutet er sie nur vorübergehend als Quelle der gesellschaftlichen Ungleichheiten an. Erst im +35 5. Buch über das Staatseinkommen reproducirt er Ferguson. Ich habe in „Misere de Ia Philo- +sophie" das Nöthige über das historische Verhältniß von Ferguson, A. Smith, Lemontey und +Say in ihrer Kritik der Theilung der Arbeit gegeben und dort auch zuerst die manufakturmä- +ßige Theilung der Arbeit als specifische Form der kapitalistischen Produktionsweise darge- +stellt. (1. c. p. 122 sq.) +7 1 ) Ferguson sagt bereits Lc p. 281: "and thinking itself, in this age of separations, may be- +come a peculiar craft." +7 2 ) G. Garnier, t. V seiner Uebersetzung, p. 4 - 5 . +7 3 ) Ramazzini, Professor der praktischen Medicin zu Padua, veröffentlichte 1700 sein Werk: +„De morbis artificum", 1777 in's Französische übersetzt, wieder abgedruckt 1841 in der „En- + +40 + +327 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +„Einen Menschen unterabtheilen, heißt ihn hinrichten, wenn er das To- +desurtheil verdient, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht ||329| verdient. +Die Unterabtheilung der Arbeit ist der Meuchelmord eines V o l k s " 7 4 ) . + +5 + +Die auf Theilung der Arbeit beruhende Kooperation oder die Manufak- +tur ist in ihren Anfangen ein naturwüchsiges Gebild. Sobald sie einige +Konsistenz und Breite des Daseins gewonnen, wird sie zur bewußten, plan- +mäßigen und systematischen Form der kapitalistischen Produktionsweise. +Die Geschichte der eigentlichen Manufaktur zeigt, wie die ihr eigenthüm- +liche Theilung der Arbeit zunächst erfahrungsmäßig, gleichsam hinter dem +Rücken der handelnden Personen, die sachgemäßen Formen gewinnt, 10 +dann aber, gleich dem zünftigen Handwerke, die einmal gefundne Form +traditionell festzuhalten strebt und in einzelnen Fällen jahrhundertlang +festhält. Aendert sich diese Form, so außer in Nebendingen immer nur in +Folge einer Revolution der Arbeitsinstrumente. Die moderne Manufak- +tur - ich spreche hier nicht von der auf Maschinerie beruhenden großen 15 +Industrie - findet entweder, wie z.B. die Kleidermanufaktur, in den gro- +ßen Städten, wo sie entsteht, die disjecta membra poetae bereits fertig vor +und hat sie nur aus ihrer Zerstreuung zu sammeln, oder das Princip der +Theilung liegt auf flacher Hand, indem einfach die verschiednen Verrich- +tungen der handwerksmäßigen Produktion (z. B. beim Buchbinden) be- 20 +sondren Arbeitern ausschließlich angeeignet werden. Es kostet noch keine +Woche Erfahrung, in solchen Fällen die Verhältnißzahl zwischen den für +jede Funktion nöthigen Händen zu finden 7 5). + +Die manufakturmäßige Theilung der Arbeit schafft durch Analyse der + +cyclopédie des Sciences Médicales. 7me Div. Auteurs Classiques". Die Periode der großen In- 25 +dustrie hat seinen Katalog der Arbeiterkrankheiten natürlich sehr vermehrt. Siehe u. a. „Hy- +giene physique et morale de l'ouvrier dans les grandes villes en général, et dans la ville de +Lyon en particulier. Par le Dr. A. L. Fonteret. Paris 1858" und „Die Krankheiten, welche ver- +schiednen Ständen, Altern und Geschlechtern eigenthümlich sind. 6 Bände. Ulm 1840." Im +Jahre 1854 ernannte die Society of Arts eine Untersuchungskommission über industrielle Pa- 30 +thologie. Die Liste der von dieser Kommission gesammelten Dokumente findet man im Kata- +log des ,,Twickenham Economic Museum". Sehr wichtig die officiellen „Reports on Public +Health". Sieh auch Eduard Reich, M. D.: „Ueber die Entartung des Menschen". Erlangen +1868. +7 4 ) "To subdivide a man is to execute him, if he deserves the sentence, to assassinate him, if 35 +he does not. - The subdivision of labour is the assassination of a people." (D. Urquhart: +,,Familiar Words. London 1855", p. 119.) Hegel hatte sehr ketzerische Ansichten über die +Theilung der Arbeit. „Unter gebildeten Menschen kann man zunächst solche verstehn, die Al- +les machen können, was Andre thun", sagt er in seiner Rechtsphilosophie. +7 5 ) Der gemüthliche Glaube an das Erfmdungsgenie, das der einzelne Kapitalist in der Thei- 40 +lung der Arbeit a priori ausübe, findet sich nur noch bei deutschen Professoren, wie Herrn +Roscher z. B., der dem Kapitalisten, aus dessen Jupiterhaupt die Theilung der Arbeit fertig +hervorspringe, zum Dank „diverse Arbeitslöhne" widmet. Die größre oder geringre Anwen- +dung der Theilung der Arbeit hängt von der Länge der Börse ab, nicht von der Größe des Ge- +nies. + +45 + +328 + + Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur + +handwerksmäßigen Thätigkeit, Specificirung der Arbeitsinstrumente, Bil- +dung der Theilarbeiter, ihre Gruppirung und Kombination in einem Ge- +sammtmechanismus, die qualitative Gliederung und quantitative Propor- +tionalität gesellschaftlicher Produktionsprocesse, also eine bestimmte +5 Organisation gesellschaftlicher Arbeit ||330| und entwickelt damit zugleich +neue, gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit. Als specifisch kapitalisti- +sche Form des gesellschaftlichen Produktionsprocesses - und auf den vor- +gefundnen Grundlagen konnte sie sich nicht anders als in der kapitalisti- +schen Form entwickeln - ist sie nur eine besondre Methode, relativen +10 Mehrwerth zu erzeugen oder die Selbstverwerthung des Kapitals - was +man gesellschaftlichen Reichthum, ,,Wealth of Nations" u. s. w. nennt - +auf Kosten der Arbeiter zu erhöhn. Sie entwickelt die gesellschaftliche Pro- +duktivkraft der Arbeit nicht nur für den Kapitalisten, statt für den Arbeiter, +sondern durch die Verkrüpplung des individuellen Arbeiters. Sie producirt +15 neue Bedingungen der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit. Wenn sie +daher einerseits als historischer Fortschritt und nothwendiges Entwick- +lungsmoment +im ökonomischen Bildungsproceß der Gesellschaft er- +scheint, so andrerseits als ein Mittel civilisirter und raffinirter Exploita- +tion. + +20 + +Die politische Oekonomie, die als eigne Wissenschaft erst in der Manu- +fakturperiode aufkommt, betrachtet die gesellschaftliche Theilung der Ar- +beit überhaupt nur vom Standpunkt der manufakturmäßigen Theilung der +Arbeit 7 6), als Mittel, mit demselben Quantum Arbeit mehr Waare zu pro- +duciren, daher die Waaren zu verwohlfeilern und die Akkumulation des +25 Kapitals zu beschleunigen. Im strengsten Gegensatz zu dieser Accentui- +rung der Quantität und des Tauschwerths halten sich die Schriftsteller des +klassischen Alterthums ausschließlich an Qualität und Gebrauchswerth 7 7). +In Folge der Scheidung der gesellschaftlichen Produktionszweige werden +die Waaren besser gemacht, die verschiednen Triebe und ||331| Talente der + +30 + +35 + +7 6 ) Mehr als A. Smith fixiren ältere Schriftsteller wie Petty, wie der anonyme Verfasser der +,,Advantages of the East India Trade" etc., den kapitalistischen Charakter der manufakturmä- +ßigen Theilung der Arbeit. +7 7 ) Ausnahme unter den Modernen bilden einige Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, die in +Bezug auf Theilung der Arbeit fast nur den Alten nachsprechen, wie Beccaria und James Har- +ris. So Beccaria: «Ciascuno prova coll' esperienza, che applicando la mano e l'ingegno sempre +allo stesso genere di opere e di produtti, egli più facili, più abbondanti e migliori ne trova i ri- +sultati, di quello che se ciascuno isolatamente le cose tutte a se necessarie soltanto facesse .... +Dividendosi in tal maniera per la commune e privata utilità gli uomini in varie classi e condi- +zioni.» (Cesare Beccaria: ,,Elementi di Econ. Pubblica", ed. Custodi, Parte Moderna, t. XI, +40 p.28.) James Harris, später Earl of Malmesbury, berühmt durch die „Diaries" über seine Ge- +sandtschaft in Petersburg, sagt selbst in einer Note zu seinem ,,Dialogue concerning Happi- +ness. London 1741", später wieder abgedruckt in ,,Three Treatises etc. 3. ed. Lond. 1772": +"The whole argument, to prove society natural (nämlich durch die ,,division of employments") +is taken from the second book of Plato's republic." + +329 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Menschen wählen sich entsprechende Wirkungssphären 7 8) und ohne B e - +schränkung ist nirgendwo Bedeutendes zu leisten 7 9). Also Produkt und Pro- +ducent werden verbessert durch die Theilung der Arbeit. Wird gelegentlich +auch das Wachsthum der Produktenmasse erwähnt, so nur mit Bezug auf +die größre Fülle des Gebrauchswerths. Es wird mit keiner Silbe des +Tauschwerths, der Verwohlfeilerung der Waaren gedacht. Dieser Stand- +punkt des Gebrauchswerths herrscht sowohl bei Plato 8 0), der die Theilung +der Arbeit als Grundlage der gesellschaftlichen Scheidung der Stände be- +handelt, als bei Xenophon 8 1), der mit seinem charakte113 321ristisch bürger- + +5 + +7 8 ) So in der Odyssee XIV, 228: ,,'Αλλος γάρ τ' άλλοισιν άνήρ έπιτέρπεται εργοις" und Ar(cid:5) 10 +chilochus beim Sextus Empiricus: ,,Αλλος άλλω έπ' έργω καρδίην ίαίνεται." +7 9 ) ,,Πολλ' ήπίστατο έργα, κακώς Ô' ήπίστατο πάντα" (cid:5) Der Athenienser fühlte sich als +Waarenproducent dem Spartaner überlegen, weil dieser im Krieg wohl über Menschen, nicht +aber über Geld verfügen könne, wie Thucydides den Perikles sagen läßt in der Rede, worin er +die Athenienser zum peloponnesischen Krieg aufstachelt: ,,Σώμασί τε ετοιμότεροι oi αύ(cid:5) 15 +τουργοί των ανθρώπων ή χρήμασι πολεμεΐν" (Thuc. 1.1, c. 141). Dennoch blieb ihr Ideal, +auch in der materiellen Produktion, die αυτάρκεια, die der Theilung der Arbeit gegenüber +steht, ,,παρ' ών γαρ το ευ, παρά τούτων και το αϋταρκες". Man muß dabei erwägen, daß +es noch zur Zeit des Sturzes der 30 Tyrannen keine 5000 Athener ohne Grundeigenthum gab. +8 0 ) Plato entwickelt die Theilung der Arbeit innerhalb des Gemeinwesens aus der Vielseitig- 20 +keit der Bedürfnisse und der Einseitigkeit der Anlagen der Individuen. Hauptgesichtspunkt +bei ihm, daß der Arbeiter sich nach dem Werk richten müsse, nicht das Werk nach dem Ar- +beiter, was unvermeidlich, wenn er verschiedne Künste zugleich, also eine oder die andre als +Nebenwerk treibe. „Ού γάρ οιμαι έθέλει το πραττόμενον την του πράττοντος σχολήν πε(cid:5) +ριμένειν,άλλ' ανάγκη τον πράττοντα τω πραττομένω έπακολουθεΐν μη έν πάρεργου με(cid:5) 25 +ρει. (cid:5) 'Ανάγκη. (cid:5) Έκ δη τούτων πλείω τε έκαστα γίγνεται και κάλλιον και ραον, όταν +εΐρ εν κατά φύοιν και έν καιρώ, σχολήν τών άλλων άγων, πράττη" (Rep. II, 2. ed. Baiter, +Orelli etc.) Aehnlich bei Thucydides 1. c. c. 142: „Das Seewesen ist eine Kunst so sehr wie +irgend etwas andres und kann nicht bei etwa vorkommenden Fällen als Nebenwerk betrieben +werden, sondern vielmehr nichts andres neben ihm als Nebenwerk." Muß das Werk, sagt 30 +Plato, auf den Arbeiter warten, so wird oft der kritische Zeitpunkt der Produktion verpaßt und +das Machwerk verdorben, „£ργου καιρόν διόλλυται". Dieselbe platonische Idee findet man +wieder im Protest der englischen Bleichereibesitzer gegen die Klausel des Fabrikakts, die eine +bestimmte Eßstunde für alle Arbeiter festsetzt. Ihr Geschäft könne sich nicht nach den Arbei- +tern richten, denn "in the various operations of singeing, washing, bleaching, mangling, calen- 35 +dering, and dyeing, none of them can be stopped at a given moment without risk of dam- +age ... to enforce the same dinner hour for all the workpeople might occasionally subject +valuable goods to the risk of danger by incomplete operations." Le platonisme où va-t-il se +nicher! +8 1 ) Xenophon erzählt, es sei nicht nur ehrenvoll, Speisen von der Tafel des Perserkönigs zu 40 +erhalten, sondern diese Speisen seien auch viel schmackhafter als andre. „Und dieß ist nichts +Wunderbares, denn wie die übrigen Künste in den großen Städten besonders vervollkommnet +sind, ebenso werden die königlichen Speisen ganz eigens zubereitet. Denn in den kleinen +Städten macht Derselbe Bettstelle, Thüre, Pflug, Tisch; oft baut er obendrein noch Häuser +und ist zufrieden, wenn er selbst so eine für seinen Unterhalt ausreichende Kundschaft findet. 45 +Es ist rein unmöglich, daß ein Mensch, der so vielerlei treibt, alles gut mache. In den großen +Städten aber, wo jeder Einzelne viele Käufer findet, genügt auch ein Handwerk, um seinen +Mann zu nähren. Ja oft gehört dazu nicht einmal ein ganzes Handwerk, sondern der eine +macht Mannsschuhe, der andre Weiberschuhe. Hier und da lebt einer bloß vom Nähen, der +andre vom Zuschneiden der Schuhe; der eine schneidet bloß Kleider zu, der andre setzt die 50 +Stücke nur zusammen. Nothwendig ist es nun, daß der Verrichter der einfachsten Arbeit sie + +330 + + Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur + +liehen Instinkt schon der Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt +näher rückt. Plato's Republik, soweit in ihr die Theilung der Arbeit als das +gestaltende Princip des Staats entwickelt wird, ist nur atheniensische Idea- +lisirung des ägyptischen Kastenwesens, wie Aegypten als industrielles Mu- +5 sterland auch andren seiner Zeitgenossen gilt, z . B . dem Isokrates 8 2), und +diese Bedeutung selbst noch für die Griechen der römischen Kaiserzeit be- +hielt 8 3). + +15 + +Während der eigentlichen Manufakturperiode, d. h. der Periode, worin +die Manufaktur die herrschende Form der kapitalistischen Produktions- +10 weise, stößt die volle Ausführung ihrer eignen Tendenzen auf vielseitige +Hindernisse. Obgleich sie, wie wir sahen, neben der hierarchischen Gliede- +rung der Arbeiter eine einfache Scheidung zwischen geschickten und unge- +schickten Arbeitern schafft, bleibt die Zahl der letztren durch den überwie- +genden Einfluß der erstren sehr beschränkt. Obgleich sie die Sonderopera- +tionen dem verschiednen Grad von Reife, Kraft und Entwicklung ihrer +lebendigen Arbeitsorgane anpaßt und daher zu produktiver Ausbeutung +von Weibern und Kindern drängt, scheitert diese Tendenz im Großen und +Ganzen an den Gewohnheiten und dem Widerstand der männlichen Ar-| +|333|beiter. Obgleich die Zersetzung der handwerksmäßigen Thätigkeit die +20 Bildungskosten und daher den Werth der Arbeiter senkt, bleibt für schwie- +rigere Detailarbeit eine längre Erlernungszeit nöthig und wird auch da, wo +sie vom Ueberfluß, eifersüchtig von den Arbeitern aufrecht erhalten. Wir +finden z . B . in England die laws of apprenticeship mit ihrer siebenjährigen +Lernzeit bis zum Ende der Manufakturperiode in Vollkraft und erst von +25 der großen Industrie über Haufen geworfen. Da das Handwerksgeschick +die Grundlage der Manufaktur bleibt und der in ihr funktionirende Ge- +sammtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unabhängiges objekti- +ves Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit der Insubordination der +Arbeiter. „Die Schwäche der menschlichen Natur", ruft Freund Ure aus, +30 „ist so groß, daß der Arbeiter, je geschickter, desto eigenwilliger und + +unbedingt auch am besten macht. Ebenso steht's mit der Kochkunst." (Xen. Cyrop. 1. VIII, +c. 2.) Die zu erzielende Güte des Gebrauchswerths wird hier ausschließlich fixirt, obgleich +schon Xenophon die Stufenleiter der Arbeitstheilung vom Umfang des Markts abhängig weiß. +8 2 ) „Er (Busiris) theilte Alle in besondere Kasten ... befahl, daß immer die Nämlichen die +35 gleichen Geschäfte treiben sollten weil er wußte, daß die, welche mit ihren Beschäftigungen +wechseln, in keinem Geschäft gründlich werden; die aber, welche beständig bei denselben Be- +schäftigungen bleiben, jedes aufs Vollendetste zu Stande bringen. Wirklich werden wir auch +finden, daß sie in Beziehung auf Künste und Gewerbe ihre Rivalen mehr übertroffen haben +als sonst der Meister den Stümper und in Beziehung auf die Einrichtung, wodurch sie die Kö- +40 nigsherrschaft und übrige Staatsverfassung erhalten, so vortrefflich sind, daß die berühmten +Philosophen, welche darüber zu sprechen unternehmen, die Staatsverfassung Aegyptens vor +andren lobten." (Isoer. Busiris, c.7, 8.) +8 3 ) cf. Diod. Sic. + +331 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +schwieriger zu behandeln wird, und folglich dem Gesammtmechanismus +durch seine rappelköpfigen Launen schweren Schaden zufügt" 8 4). Durch +die ganze Manufakturperiode läuft daher die Klage über den Disciplin- +mangel der Arbeiter 8 5). Und hätten wir nicht die Zeugnisse gleichzeitiger +Schriftsteller, die einfachen Thatsachen, daß es vom 16. Jahrhundert bis +zur Epoche der großen Industrie dem Kapital mißlingt, sich der ganzen +disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter zu bemächtigen, daß die +Manufakturen kurzlebig sind und mit der Ein- oder Auswandrung der Ar- +beiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen und in dem andren aufschla- +gen, würden Bibliotheken sprechen. „Ordnung muß auf die eine oder die +andre Weise gestiftet werden", ruft 1770 der wiederholt citirte Verfasser +des „Essay on Trade and Commerce". Ordnung, hallt es 66 Jahre später zu- +rück aus dem Mund des Dr. Andrew Ure, „Ordnung" fehlte in der auf „dem +scholastischen Dogma der Theilung der Arbeit" beruhenden Manufaktur, +und „Arkwright schuf die Ordnung". + +5 + +10 + +15 + +Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder +in ihrem ganzen Umfang ergreifen, noch in ihrer Tiefe umwälzen. Sie gip- +felte als ökonomisches Kunstwerk auf der breiten Grundlage des städti- +schen Handwerks und der ländlich häuslichen Industrie. Ihre eigne enge +technische Basis trat auf einem gewissen Entwicklungsgrad mit den von ihr 20 +selbst geschaffnen Produktionsbedürfnissen in Widerspruch. | + +|334| Eins ihrer vollendetsten Gebilde war die Werkstatt zur Produktion +der Arbeitsinstrumente selbst, und namentlich auch der bereits angewand- +ten komplicirteren mechanischen Apparate. „Ein solches Atelier", sagt +Ure, „bot dem Auge die Theilung der Arbeit in ihren mannigfachen Abstu- 25 +fungen. Bohrer, Meißel, Drechselbank hatten jede ihre eignen Arbeiter, +hierarchisch gegliedert nach dem Grad ihrer Geschicklichkeit." Dieß Pro- +dukt der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit producirte seinerseits - +Maschinen. Sie heben die handwerksmäßige Thätigkeit als das regelnde +Princip der gesellschaftlichen Produktion auf. So wird einerseits der tech- 30 +nische Grund der lebenslangen Annexation des Arbeiters an eine Theil- +funktion weggeräumt. Andrerseits fallen die Schranken, welche dasselbe +Princip der Herrschaft des Kapitals noch auferlegte. + +8 4 ) Ure L c p.20. +8 5 ) Das im Text Gesagte gilt viel mehr für England als für Frankreich und mehr für Frank- 35 +reich als Holland. + +332 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +D R E I Z E H N T E S K A P I T E L . + +Maschinerie und große Industrie. + +1. Entwicklung der Maschinerie. + +John Stuart Mill sagt in seinen „Principien der politischen Oekonomie": +5 „Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die +Tagesmühe irgend eines menschlichen Wesens erleichtert haben" 8 6). Sol- +ches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten +Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Ar- +beit soll sie Waaren verwohlfeilern und den Theil des Arbeitstags, den der +10 Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Theil seines Ar- +beitstags, den er dem Kapitalisten umsonst giebt, zu verlängern. Sie ist +Mittel zur Produktion von Mehrwerth. + +Die Umwälzung der Produktionsweise nimmt in der Manufaktur die Ar- +beitskraft zum Ausgangspunkt, in der großen Industrie das Arbeitsmittel. +15 Es ist also zunächst zu untersuchen, wodurch das Arbeitsmittel aus einem +Werkzeug in eine Maschine verwandelt wird, oder wodurch sich die Ma- +schine vom Handwerksinstrument unterscheidet. Es handelt sich hier nur +um große, allgemeine ||335| Charakterzüge, denn abstrakt strenge Grenzli- +nien scheiden ebensowenig die Epochen der Gesellschafts- wie die der Erd- + +20 geschichte. + +Mathematiker und Mechaniker - und man findet dieß hier und da von +englischen Oekonomen wiederholt - erklären das Werkzeug für eine einfa- +che Maschine und die Maschine für ein zusammengesetztes Werkzeug. Sie +sehn hier keinen wesentlichen Unterschied und nennen sogar die einfa- +25 chen mechanischen Potenzen, wie Hebel, schiefe Ebne, Schraube, Keil +u. s.w. Maschinen 8 7). In der That besteht jede Maschine aus jenen einfa- +chen Potenzen, wie immer verkleidet und kombinirt. Vom ökonomischen +Standpunkt jedoch taugt die Erklärung nichts, denn ihr fehlt das histori- +sche Element. Andrerseits sucht man den Unterschied zwischen Werkzeug +30 und Maschine darin, daß beim Werkzeug der Mensch die Bewegungskraft, +bei der Maschine eine von der menschlichen verschiedne Naturkraft, wie +Thier, Wasser, Wind u. s. w. 8 8). Danach wäre ein mit Ochsen bespannter + +35 + +8 6 ) "It is questionable, if all the mechanical inventions yet made have lightened the day's toil +of any human being." Mill hätte sagen sollen ,,of any human being not fed by other people's +labour", denn die Maschinerie hat unstreitig die Zahl der vornehmen Müßiggänger sehr ver- +mehrt. +8 7 ) Sieh z.B. Hutton's ,,Course of Mathematics". +8 8 ) „Von diesem Gesichtspunkt aus läßt sich denn auch eine scharfe Grenze zwischen Werk- + +333 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Pflug, der den verschiedensten Produktionsepochen angehört, eine Ma- + +schine, Claussen's Circular Loom, der, von der Hand eines einzigen Arbei- + +ters bewegt, 96 000 Maschen in einer Minute verfertigt, ein bloßes Werk- + +zeug. J a , derselbe + +loom wäre Werkzeug, wenn mit der Hand, und + +Maschine, wenn mit Dampf bewegt. Da die Anwendung von Thierkraft + +5 + +eine der ältesten Erfindungen der Menschheit, ginge in der That die Ma- + +schinenproduktion der Handwerksproduktion voraus. Als John Wyatt 1735 + +seine Spinnmaschine und mit ihr die industrielle Revolution des 18. Jahr- + +hunderts ankündigte, erwähnte er mit keinem Wort, daß statt eines Men- + +schen ein Esel die Maschine treibe, und dennoch fiel diese Rolle dem Esel 10 + +zu. Eine Maschine, „um ohne Finger zu spinnen", lautete sein Pro- + +gramm 8 9). I + +13 361 Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschied- + +nen Theilen, der Bewegungsmaschine, dem Transmissionsmechanismus, + +endlich der Werkzeugmaschine oder Arbeitsmaschine. Die Bewegungsma- 15 + +schine wirkt als Triebkraft des ganzen Mechanismus. Sie erzeugt ihre eigne + +Bewegungskraft wie die Dampfmaschine, kalorische Maschine, elektro-ma- + +gnetische Maschine u.s.w., oder sie empfängt den Anstoß von einer schon + +fertigen Naturkraft außer ihr, wie das Wasserrad vom Wassergefäll, der + +Windflügel vom Wind u. s. w. Der Transmissionsmechanismus, zusammen- 20 + +gesetzt aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern, Kreiselrädern, + +zeug und Maschine ziehn: Spaten, Hammer, Meißel u.s.w., Hebel- und Schraubenwerke, für +welche, mögen sie übrigens noch so künstlich sein, der Mensch die bewegende Kraft ist ... +dieß alles fällt unter den Begriff des Werkzeugs; während der Pflug mit der ihn bewegenden +Thierkraft, Wind- u.s.w. Mühlen zu den Maschinen zu zählen sind." (Wilhelm Schulz: „Die 25 +Bewegung der Produktion. Zürich 1843", p. 38.) Eine in mancher Hinsicht lobenswerthe +Schrift. +8 9 ) Schon vor ihm wurden, wenn auch sehr unvollkommne, Maschinen zum Vorspinnen an- +gewandt, wahrscheinlich zuerst in Italien. Eine kritische Geschichte der Technologie würde +überhaupt nachweisen, wie wenig irgend eine Erfindung des 18. Jahrhunderts einem einzel- +nen Individuum gehört. Bisher existirt kein solches Werk. Darwin hat das Interesse auf die +Geschichte der natürlichen Technologie gelenkt, d. h. auf die Bildung der Pflanzen- und +Thierorgane als Produktionsinstrumente für das Leben der Pflanzen und Thiere. Verdient die +Bildungsgeschichte der produktiven Organe des Gesellschaftsmenschen, der materiellen Basis +jeder besondren Gesellschaftsorganisation, nicht gleiche Aufmerksamkeit? Und wäre sie nicht +leichter zu liefern, da, wie Vico sagt, die Menschengeschichte sich dadurch von der Naturge- +schichte unterscheidet, daß wir die eine gemacht und die andre nicht gemacht haben? Die +Technologie enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Pro- +duktionsproceß seines Lebens, damit auch seiner geseUschaftlichen Lebensverhältnisse und +der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle Religionsgeschichte, die von die- 40 +ser materiellen Basis abstrahirt, ist - unkritisch. Es ist in der That viel leichter, durch Analyse +den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt aus den jedesma- +ligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztre ist +die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode. Die Mängel des abstrakt na- +turwissenschaftlichen Materialismus, der den geschichtlichen Proceß ausschließt, ersieht man +schon aus den abstrakten und ideologischen Vorstellungen seiner Wortführer, sobald sie sich +über ihre Specialität hinauswagen. + +35 + +45 + +30 + +334 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Schäften, Schnüren, Riemen, Zwischengeschirr und Vorgelege der ver- +schiedensten Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nöthig, ihre +Form, z.B. aus einer perpendikulären in eine kreisförmige, vertheilt und +überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie. Beide Theile des Mechanis- +5 mus sind nur vorhanden, um der Werkz eugmas chine die Bewegung mitzu- +theilen, wodurch sie den Arbeitsgegenstand anpackt und zweckgemäß ver- +ändert. Dieser Theil der Maschinerie, die Werkzeugmaschine, ist es, wovon +die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht. Sie bildet noch j e - +den Tag von neuem den Ausgangspunkt, so oft Handwerksbetrieb oder Ma- + +io nufakturbetrieb in Maschinenbetrieb übergeht. + +Sehn wir uns nun die Werkzeugmaschine oder eigentliche Arbeitsma- +schine näher an, so erscheinen im Großen und Ganzen, wenn auch oft in +sehr modificirter Form, die Apparate und Werkzeuge wieder, womit der +Handwerker und Manufakturarbeiter arbeitet, aber statt als Werkzeuge des +15 Menschen jetzt als Werkzeuge eines Mechanismus oder als mechanische. +Entweder ist die ganze ||337| Maschine nur eine mehr oder minder verän- +derte mechanische Ausgabe des alten Handwerksinstruments, wie bei dem +mechanischen Webstuhl 9 0), oder die am Gerüst der Arbeitsmaschine ange- +brachten thätigen Organe sind alte Bekannte, wie Spindeln bei der Spinn- +20 maschine, Nadeln beim Strumpfwirkerstuhl, Sägeblätter bei der Sägema- +schine, Messer bei der Zerhackmaschine u. s. w. Der Unterschied dieser +Werkzeuge von dem eigentlichen Körper der Arbeitsmaschine erstreckt +sich bis auf ihre Geburt. Sie werden nämlich immer noch großentheils +handwerksmäßig oder manufakturmäßig producirt und später erst an den +25 maschinenmäßig producirten Körper der Arbeitsmaschine befestigt 9 1). Die +Werkzeugmaschine ist also ein Mechanismus, der nach Mittheilung der +entsprechenden Bewegung mit seinen Werkzeugen dieselben Operationen +verrichtet, welche früher der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrich- +tete. Ob die Triebkraft nun vom Menschen ausgeht oder selbst wieder von +30 einer Maschine, ändert am Wesen der Sache nichts. Nach Uebertragung +des eigentlichen Werkzeugs vom Menschen auf einen Mechanismus tritt +eine Maschine an die Stelle eines bloßen Werkzeugs. Der Unterschied +springt sofort ins Auge, auch wenn der Mensch selbst noch der erste Motor +bleibt. Die Anzahl von Arbeitsinstrumenten, womit er gleichzeitig wirken + +35 + +9 0 ) Namentlich in der ursprünglichen Form des mechanischen Webstuhls erkennt man den +alten Webstuhl auf den ersten Blick wieder. Wesentlich verändert erscheint er in seiner mo- +dernen Form. +9 1 ) Erst seit ungefähr 1850 wird ein stets wachsender Theil der Werkzeuge der Arbeitsmaschi- +nen maschinenmäßig in England fabricirt, obgleich nicht von denselben Fabrikanten, welche +40 die Maschinen selbst machen. Maschinen zur Fabrikation solcher mechanischen Werkzeuge +sind z.B. die automatic bobbin-making engine, card-setting engine, Maschinen zum Machen +der Weberlitzen, Maschinen zum Schmieden von mule und throstle Spindeln. + +335 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +kann, ist durch die Anzahl seiner natürlichen Produktionsinstrumente, sei- +ner eignen körperlichen Organe, beschränkt. Man versuchte in Deutsch- +land erst einen Spinner zwei Spinnräder treten, ihn also gleichzeitig mit +zwei Händen und zwei Füßen arbeiten zu lassen. Dieß war zu anstrengend. +Später erfand man ein Tretspinnrad mit zwei Spindeln, aber die Spinnvir- +tuosen, die zwei Fäden gleichzeitig spinnen konnten, waren fast so selten +als zweiköpfige Menschen. Die Jenny spinnt dagegen von vorn herein mit +1 2 - 1 8 Spindeln, der Strumpfwirkerstuhl strickt mit viel 1000 Nadeln auf +einmal u. s. w. Die Anzahl der Werkzeuge, womit dieselbe Werkzeugma- +schine gleichzeitig spielt, ist von vorn herein emancipirt von der organi- 10 +sehen Schranke, wodurch das Handwerkszeug eines Arbeiters beengt wird. | +13 3 81 An vielem Handwerkszeug besitzt der Unterschied zwischen dem +Menschen als bloßer Triebkraft und als Arbeiter mit dem eigentlichen +Operateur eine sinnlich besonderte Existenz. Z . B . beim Spinnrad wirkt der +Fuß nur als Triebkraft, während die Hand, die an der Spindel arbeitet, 15 +zupft und dreht, die eigentliche Spinnoperation verrichtet. Grade diesen +letzten Theil des Handwerksinstruments ergreift die industrielle Revolu- +tion zuerst und überläßt dem Menschen, neben der neuen Arbeit die Ma- +schine mit seinem Auge zu überwachen und ihre Irrthümer mit seiner +Hand zu verbessern, zunächst noch die rein mechanische Rolle der Trieb- 20 +kraft. Werkzeuge dagegen, auf die der Mensch von vorn herein nur als ein- +fache Triebkraft wirkt, wie z .B. beim Drehn der Kurbel einer Mühle 9 2), bei +Pumpen, beim Auf- und Abbewegen der Arme eines Blasebalgs, beim Sto- +ßen eines Mörsers etc., rufen zwar zuerst die Anwendung von Thieren, +Wasser, W i n d 9 3 ) als Bewegungskräften hervor. Sie recken sich, theilweise 25 +innerhalb, sporadisch schon lange vor der Manufakturperiode zu Maschi- +nen, aber sie revolutioniren die Produktionsweise nicht. Daß sie selbst in +ihrer handwerksmäßigen Form bereits Maschinen sind, zeigt sich in der +Periode der großen Industrie. Die Pumpen z. B., womit die Holländer +1 8 3 6 - 3 7 den See von Harlem auspumpten, waren nach dem Princip ge- 30 +wohnlicher Pumpen konstruirt, nur daß cyklopische Dampfmaschinen statt + +9 2 ) Moses von Aegypten sagt: „Du sollst dem Ochsen, der drischt, nicht das Maul verbinden." +Die christlich germanischen Philanthropen legten dagegen dem Leibeignen, den sie als Trieb- +kraft zum Mahlen verwandten, eine große hölzerne Scheibe um den Hals, damit er kein Mehl +mit der Hand zum Mund bringen könne. +9 3 ) Theils Mangel an lebendigem Wassergefäll, theils Kampf gegen sonstigen Wasserüberfluß +zwangen die Holländer zur Anwendung des Winds als Triebkraft. Die Windmühle selbst er- +hielten sie aus Deutschland, wo diese Erfindung einen artigen Kampf zwischen Adel, Pfaffen +und Kaiser hervorrief, wem denn von den drei der Wind „gehöre". Luft macht eigen, hieß es +in Deutschland, während der Wind Holland frei machte. Was er hier eigen machte, war nicht 40 +der Holländer, sondern der Grund und Boden für den Holländer. Noch 1836 wurden +12 000 Windmühlen von 60000 Pferdekraft in Holland verwandt, um zwei Dritttheile des +Lands vor Rückverwandlung in Morast zu schützen. + +35 + +336 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +der Menschenhände ihre Kolben trieben. Der gewöhnliche und sehr un- +vollkommne Blasbalg des Grobschmieds wird noch zuweilen in England +durch bloße Verbindung seines Arms mit einer Dampfmaschine in eine +mechanische Luftpumpe verwandelt. Die Dampfmaschine selbst, wie sie +5 Ende des 17. Jahrhunderts während der Manufakturperiode erfunden ward +und bis zum Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts fortexi-| +|339|stirte 9 4), rief keine industrielle Revolution hervor. Es war vielmehr um- +gekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionirte +Dampfmaschine nothwendig machte. Sobald der Mensch, statt mit dem +10 Werkzeug auf den Arbeitsgegenstand, nur noch als Triebkraft auf eine +Werkzeugmaschine wirkt, wird die Verkleidung der Triebkraft in menschli- +che Muskel zufällig und kann Wind, Wasser, Dampf u. s. w. an die Stelle +treten. Dieß schließt natürlich nicht aus, daß solcher Wechsel oft große +technische Aendrungen des ursprünglich für menschliche Triebkraft allein +15 konstruirten Mechanismus bedingt. Heutzutage werden alle Maschinen, +die sich erst Bahn brechen müssen, wie Nähmaschinen, Brodbereitungsma- +schinen u.s.w., wenn sie den kleinen Maßstab nicht von vorn herein durch +ihre Bestimmung ausschließen, für menschliche und rein mechanische +Triebkraft zugleich konstruirt. + +20 + +Die Maschine, wovon die industrielle Revolution ausgeht, ersetzt den +Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen Mechanis- +mus, der mit einer Masse derselben oder gleichartiger Werkzeuge auf ein- +mal operirt und von einer einzigen Triebkraft, welches immer ihre Form, +bewegt wird 9 5). Hier haben wir die Maschine, aber erst als einfaches EIe- + +25 ment der maschinenmäßigen Produktion. + +Die Erweitrung des Umfangs der Arbeitsmaschine und der Zahl ihrer +gleichzeitig operirenden Werkzeuge bedingt einen massenhafteren Bewe- +gungsmechanismus, und dieser Mechanismus zur Ueberwältigung seines +eignen Widerstands eine mächtigere Triebkraft als die menschliche, abge- +sehn davon, daß der Mensch ein sehr unvollkommnes Produktionsinstru- +ment gleichförmiger und kontinuirlicher Bewegung ist. Vorausgesetzt, daß +er nur noch als einfache Triebkraft wirkt, also an die Stelle seines Werk- +zeugs eine Werkzeugmaschine getreten ist, können Naturkräfte ihn jetzt +auch als Triebkraft ersetzen. Von allen aus der Manufakturperiode überlie- +ferten großen Bewegungskräften war die Pferdekraft die schlechteste, theils +weil ein Pferd seinen eignen Kopf hat, theils wegen seiner Kostspieligkeit +und des beschränkten Umfangs, worin es in Fabriken allein anwendbar + +30 + +35 + +9 4 ) Sie wurde zwar schon sehr verbessert durch Watt's erste, sogenannte einfach wirkende +Dampfmaschine, blieb aber in dieser Form bloße Hebemaschine für Wasser und Salzsoole. +9 5 ) „Die Vereinigung aller dieser einfachen Instrumente, durch einen einzigen Motor in Be- +wegung gesetzt, bildet eine Maschine." (Babbage 1. c.) + +40 + +337 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +i s t 9 6 ) . Dennoch wurde das Pferd ||340| häufig während der Kinderzeit der +großen Industrie angewandt, wie außer dem Jammer gleichzeitiger Agrono- +men schon der bis heute überlieferte Ausdruck der mechanischen Kraft in +Pferdekraft bezeugt. Der Wind war zu unstät und unkontrolirbar, und die +Anwendung der Wasserkraft überwog außerdem in England, dem Geburts- +ort der großen Industrie, schon während der Manufakturperiode. Man +hatte bereits im 17. Jahrhundert versucht, zwei Läufer und also auch zwei +Mahlgänge mit einem Wasserrad in Bewegung zu setzen. Der geschwollne +Umfang des Transmissionsmechanismus gerieth aber jetzt in Konflikt mit +der nun unzureichenden Wasserkraft, und dieß ist einer der Umstände, der 10 +zur genauem Untersuchung der Reibungsgesetze trieb. Ebenso führte das +ungleichförmige Wirken der Bewegungskraft bei Mühlen, die durch Stoßen +und Ziehen mit Schwengeln in Bewegung gesetzt wurden, auf die Theorie +und Anwendung des Schwungrads 9 7), das später eine so wichtige Rolle in +der großen Industrie spielt. In dieser Art entwickelte die Manufakturpe- 15 +riode die ersten wissenschaftlichen und technischen Elemente der großen +Industrie. Arkwright's Throstlespinnerei wurde von vorn herein mit Wasser +getrieben. Indeß war auch der Gebrauch der Wasserkraft als herrschender +Triebkraft mit erschwerenden Umständen verbunden. Sie konnte nicht be- +liebig erhöht und ihrem Mangel nicht abgeholfen werden, sie versagte zu- 20 +weilen und war vor allem rein lo||341|kaler Natur 9 8). Erst mit Watt's zwei- +ter, sog. doppelt wirkender Dampfmaschine war ein erster Motor gefunden, +der seine Bewegungskraft selbst erzeugt aus der Verspeisung von Kohlen +und Wasser, dessen Kraftpotenz ganz unter menschlicher Kontrole steht, + +25 + +9 6 ) John C.Morton verlas Dezember 1859 in der Society of Arts einen Aufsatz über „die in +der Agrikultur angewandten Kräfte". Es heißt darin u. a.: „Jede Verbeßrung, welche die +Gleichförmigkeit des Bodens fördert, macht die Dampfmaschine zur Erzeugung rein mecha- +nischer Kraft anwendbarer ... Pferdekraft wird erheischt, wo krumme Hecken und andre Hin- +dernisse gleichförmige Aktion verhindern. Diese Hindernisse schwinden täglich mehr. In +Operationen, die mehr Ausübung des Willens und weniger wirkliche Kraft erfordern, ist die +durch den menschlichen Geist von Minute zu Minute gelenkte Kraft, also Menschenkraft, al- +lein anwendbar." Herr Morton reducirt dann Dampfkraft, Pferdekraft und Menschenkraft auf +die bei Dampfmaschinen gewöhnliche Maßeinheit, nämlich die Kraft, 33 000 Pfund in der +Minute um einen Fuß zu heben, und berechnet die Kosten einer Dampfpferdekraft bei der +Dampfmaschine auf 3 d. und beim Pferde auf 5l/2 d. per Stunde. Ferner kann das Pferd bei +voller Erhaltung seiner Gesundheit nur 8 Stunden täglich angewandt werden. Durch Dampf- +kraft können mindestens'3 von je 7 Pferden auf bebautem Land während des ganzen Jahrs er- +spart werden, zu einem Kostenpreis, nicht größer als dem der entlaßnen Pferde während der 3 +oder 4 Monate, wo sie allein wirklich vernutzt werden. In den Agrikulturoperationen, worin +die Dampfkraft angewandt werden kann, verbessert sie endlich, verglichen mit der Pferde- +kraft, die Qualität des Machwerks. Um das Werk der Dampfmaschine zu verrichten, müßten +66 Arbeiter per Stunde zu zusammen 15 sh., und um das der Pferde zu verrichten, 32 Mann +zu zusammen 8 sh. per Stunde angewandt werden. +9 7 ) Faulhaber 1625, De Cous 1688τ +9 8 ) Die moderne Erfindung der Turbinen befreit die industrielle Ausbeutung der Wasserkraft 45 +von vielen frühern Schranken. + +35 + +40 + +30 + +338 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +der mobil und ein Mittel der Lokomotion, städtisch und nicht gleich dem +Wasserrad ländlich, die Koncentration der Produktion in Städten erlaubt, +statt sie wie das Wasserrad über das Land zu zerstreuen"), universell in +seiner technologischen Anwendung, in seiner Residenz verhältnißmäßig +5 wenig durch lokale Umstände bedingt. Das große Genie Watt's zeigt sich +in der Specifikation des Patents, das er April 1784 nahm, und worin seine +Dampfmaschine nicht als eine Erfindung zu besondren Zwecken, sondern +als allgemeiner Agent der großen Industrie geschildert wird. Er deutet hier +Anwendungen an, wovon manche, wie z.B. der Dampfhammer, mehr als +ein halbes Jahrhundert später erst eingeführt wurden. Jedoch bezweifelte er +die Anwendbarkeit der Dampfmaschine auf Seeschifffahrt. Seine Nachfol- +ger, Boulton und Watt, stellten 1851 die kolossalste Dampfmaschine für +Ocean steamers auf der Londoner Industrieausstellung aus. + +10 + +Nachdem erst die Werkzeuge aus Werkzeugen des menschlichen Orga- +15 nismus in Werkzeuge eines mechanischen Apparats, der Werkzeugma- +schine, verwandelt, erhielt nun auch die Bewegungsmaschine eine selb- +ständige, von den Schranken menschlicher Kraft völlig emancipirte Form. +Damit sinkt die einzelne Werkzeugmaschine, die wir bisher betrachtet, zu +einem bloßen Element der maschinenmäßigen Produktion herab. Eine Be- +20 wegungsmaschine konnte jetzt viele Arbeitsmaschinen gleichzeitig treiben. +Mit der Anzahl der gleichzeitig bewegten Arbeitsmaschinen wächst die Be- +wegungsmaschine und dehnt sich der Transmissionsmechanismus zu +einem weitläufigen Apparat aus. | + +13421 Es ist nun zweierlei zu unterscheiden, Kooperation vieler gleichar- + +25 + +tiger Maschinen und Maschinensystem. + +In dem einen Fall wird das ganze Machwerk von derselben Arbeitsma- +schine verrichtet. Sie führt alle die verschiednen Operationen aus, welche +ein Handwerker mit seinem Werkzeug, z. B. der Weber mit seinem Web- +stuhl verrichtete, oder welche Handwerker mit verschiednen Werkzeugen, +sei es selbständig oder als Glieder einer Manufaktur, der Reihe nach aus- +führten 1 0 0). Z . B . in der modernen Manufaktur von Briefkouverts faltete ein + +") "In the early days of textile manufactures, the locality of the factory depended upon the +existence of a stream having a sufficient fall to turn a water wheel; and, although the est- +ablishment of the water mills was the commencement of the breaking up of the domestic sys- +tern of manufacture, yet the mills necessarily situated upon streams, and frequently at consid- +erable distances the one from the other, formed part of a rural rather than an urban system; +and it was not until the introduction of the steam-power as a substitute for the stream, that +factories were congregated in towns and localities where the coal and water required for the +production of steam were found in sufficient quantities. The steam-engine is the parent of + +30 + +35 + +40 manufacturing towns." (A.Redgrave in „Reports of the Insp. of Fact. 30th April 1860", p. 36.) + +1 0°) Vom Standpunkt der manufakturmäßigen Theilung war Weben keine einfache, sondern +vielmehr eine komplicirte handwerksmäßige Arbeit, und so ist der mechanische Webstuhl +eine Maschine, die sehr Mannigfaltiges verrichtet. Es ist überhaupt eine falsche Vorstellung, + +339 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +Arbeiter das Papier mit dem Falzbein, ein andrer legte den Gummi auf, +ein dritter schlug die Klappe um, auf welche die Devise aufgedrückt wird, +ein vierter bossirte die Devise u.s.w. und bei jeder dieser Theiloperationen +mußte jede einzelne Enveloppe die Hände wechseln. Eine einzige Envelop- +pemaschine verrichtet alle diese Operationen auf einen Schlag und macht +3000 und mehr Enveloppes in einer Stunde. Eine auf der Londoner Indu- +strieausstellung von 1862 ausgestellte amerikanische Maschine zur Berei- +tung von Papiertuten schneidet das Papier, kleistert, faltet und vollendet +300 Stück per Minute. Der innerhalb der Manufaktur getheilte und in +einer Reihenfolge ausgeführte Gesammtproceß wird hier von einer Arbeits- 10 +maschine vollbracht, die durch Kombination verschiedner Werkzeuge +wirkt. Ob nun eine solche Arbeitsmaschine nur mechanische Wiedergeburt +eines komplicirteren Handwerkszeuges sei, oder Kombination verschieden- +artiger manufakturmäßig partikularisirter einfacher Instrumente, - in der +Fabrik, d.h. in der auf Maschinenbetrieb gegründeten Werkstatt, erscheint 15 +jedesmal die einfache Kooperation wieder, und zwar zunächst (wir sehn +hier vom Arbeiter ab) als räumliche Konglomeration gleichartiger und +gleichzeitig zusammenwirkender Arbeitsmaschinen. So wird eine Webfa- +brik durch das Nebeneinander vieler mechanischen Webstühle und eine +Nähfabrik durch das Nebeneinander vieler Nähmaschinen in demselben 20 +Arbeitsgebäude gebildet. Aber es existirt hier eine technische Einheit, in- +dem die vielen gleichartigen Arbeits||343|maschinen gleichzeitig und +gleichmäßig ihren Impuls empfangen vom Herzschlag des gemeinsamen +ersten Motors, auf sie übertragen durch den Transmissionsmechanismus, +der ihnen auch theilweis gemeinsam ist, indem sich nur besondre Ausläufe 25 +davon für jede einzelne Werkzeugmaschine verästeln. Ganz wie viele +Werkzeuge die Organe einer Arbeitsmaschine, bilden viele Arbeitsmaschi- +nen jetzt nur noch gleichartige Organe desselben Bewegungsmechanismus. + +Ein eigentliches Maschinensystem tritt aber erst an die Stelle der einzel- +nen selbständigen Maschine, wo der Arbeitsgegenstand eine zusammen- 30 +hängende Reihe verschiedner Stufenprocesse durchläuft, die von einer +Kette verschiedenartiger, aber einander ergänzender Werkzeugmaschinen +ausgeführt werden. Hier erscheint die der Manufaktur eigenthümliche Ko- +operation durch Theilung der Arbeit wieder, aber jetzt als Kombination +von Theilarbeitsmaschinen. Die specifischen Werkzeuge der verschiednen 35 +Theilarbeiter, in der Wollmanufaktur z . B . der Wollschläger, Wollkämmer, + +daß die moderne Maschinerie sich ursprünglich solcher Operationen bemächtigt, welche die +manufakturmäßige Theilung der Arbeit vereinfacht hatte. Spinnen und Weben wurden wäh- +rend der Manufakturperiode in neue Arten gesondert und ihre Werkzeuge verbessert und vari- +irt, aber der Arbeitsproceß selbst, in keiner Weise getheilt, blieb handwerksmäßig. Es ist nicht 40 +die Arbeit, sondern das Arbeitsmittel, wovon die Maschine ausgeht. + +340 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +10 + +Wollscheerer, Wollspinner u.s.w., verwandeln sich jetzt in die Werkzeuge +specificirter Arbeitsmaschinen, von denen jede ein besondres Organ für +eine besondre Funktion im System des kombinirten Werkzeugmechanis - +mus bildet. Die Manufaktur selbst liefert dem Maschinensystem in den +5 Zweigen, worin es zuerst eingeführt wird, im Großen und Ganzen die na- +turwüchsige Grundlage der Theilung und daher der Organisation des Pro- +duktionsprocesses 1 0 1). Indeß tritt sofort ein wesentlicher Unterschied ein. +In der Manufaktur müssen Arbeiter, vereinzelt oder in Gruppen, jeden be- +sondren Theilproceß mit ihrem Handwerkszeug ausführen. Wird der Arbei- +ter dem ||344| Proceß angeeignet, so ist aber auch vorher der Proceß dem +Arbeiter angepaßt. Dieß subjektive Princip der Theilung fällt weg für die +maschinenartige Produktion. Der Gesammtproceß wird hier objektiv, an +und für sich betrachtet, in seine konstituirenden Phasen analysirt, und das +Problem jeden Theilproceß auszuführen und die verschiednen Theilpro- +15 cesse zu verbinden, durch technische Anwendung der Mechanik, Chemie +u.s.w. gelöst 1 0 2), wobei natürlich nach wie vor die theoretische Konception +durch gehäufte praktische Erfahrung auf großer Stufenleiter vervollkomm- +net werden muß. Jede Theilmaschine liefert der zunächst folgenden ihr +Rohmaterial, und da sie alle gleichzeitig wirken, befindet sich das Produkt +20 eben so fortwährend auf den verschiednen Stufen seines Bildungsproces- +ses, wie im Uebergang aus einer Produktionsphase in die andre. Wie in der +Manufaktur die unmittelbare Kooperation der Theilarbeiter bestimmte +Verhältnißzahlen zwischen den besondren Arbeitergruppen schafft, so in +dem gegliederten Maschinensystem die beständige Beschäftigung der +25 Theilmaschinen durch einander ein bestimmtes Verhältniß zwischen ihrer +Anzahl, ihrem Umfang und ihrer Geschwindigkeit. Die kombinirte Ar- + +35 + +1 0 1 ) Vor der Epoche der großen Industrie war die Wollmanufaktur die herrschende Manufak- +tur Englands. In ihr wurden daher während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die meisten +Experimente gemacht. Der Baumwolle, deren mechanische Verarbeitung minder mühvolle +30 Vorbereitungen erfordert, kamen die an der Schafwolle gemachten Erfahrungen zu gut, wie +später umgekehrt die mechanische Wollindustrie sich auf Grundlage der mechanischen +Baumwollspinnerei und Weberei entwickelt. Einzelne Elemente der Wollmanufaktur sind erst +seit den letzten Decennien dem Fabriksystem einverleibt worden, z. B. das Wollkämmen. +"The application of power to the process of combing wool ... extensively in operation since +the introduction of the 'combing machine', especially Lister's .... undoubtedly had the effect +of throwing a very large number of men out of work. Wool was formerly combed by hand, +most frequently in the cottage of the comber. It is now very generally combed in the factory, +and handlabour is superseded, except in some particular kinds of work, in which hand- +combed wool is still preferred. Many of the handcombers found employment in the factories, +40 but the produce of the handcomber bears so small a proportion to that of the machine, that +the employment of a very large number of combers has passed away." („Rep. of Insp. of Fact, +for 31 st Oct. 1856", p. 16.) +1 0 2 ) "The principle of the factory system, then, is to substitute .... the partition of a process +into its essential constituents, for the division or graduation of labour among artizans." (Ure, +I.e. p.20.) + +45 + +341 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +je kontinuirlicher + +ihr Gesammtproceß, d. h. mit + +beitsmaschine, jetzt ein gegliedertes System von verschiedenartigen einzel- +nen Arbeitsmaschinen und von Gruppen derselben, ist um so vollkomm- +ner, +je weniger +Unterbrechung das Rohmaterial von seiner ersten Phase zu seiner letzten +übergeht, je mehr also statt der Menschenhand der Mechanismus selbst es +von einer Produktionsphase in die andre fördert. Wenn in der Manufaktur +die Isolirung der Sonderprocesse ein durch die Theilung der Arbeit selbst +gegebnes Princip ist, so herrscht dagegen in der entwickelten Fabrik die +Kontinuität der Sonderprocesse. + +5 + +Ein System der Maschinerie, beruhe es nun auf bloßer Kooperation 10 + +gleichartiger Arbeitsmaschinen, wie in der Weberei, oder auf einer Kombi- +nation verschiedenartiger, wie in der Spinnerei, bildet an und für sich +einen großen Automaten, sobald es von einem sich selbst bewegenden er- +sten Motor getrieben wird. Indeß kann das Gesammt-System z . B . von der +Dampfmaschine getrieben werden, obgleich entweder einzelne Werkzeug- 15 +maschinen für gewisse Bewegungen noch den Arbeiter brauchen, wie die +zum Einfahren der Mule nöthige Bewegung vor der Einführung der selfact- +ing ||345| mule und immer noch bei Feinspinnerei, oder aber bestimmte +Theile der Maschine zur Verrichtung ihres Werks gleich einem Werkzeug +vom Arbeiter gelenkt werden müssen, wie beim Maschinenbau vor der Ver- 20 +Wandlung des slide rest (ein Drehapparat) in einen selfactor. Sobald die Ar- +beitsmaschine alle zur Bearbeitung des Rohstoffs nöthigen Bewegungen +ohne menschliche Beihülfe verrichtet und nur noch menschlicher Nach- +hülfe bedarf, haben wir ein automatisches System der Maschinerie, das in- +deß beständiger Ausarbeitung im Detail fähig ist. So sind z.B. der Apparat, 25 +der die Spinnmaschine von selbst still setzt, sobald ein einzelner Faden +reißt, und der selfacting stop, der den verbesserten Dampfwebstuhl still +setzt, sobald der Spule des Weberschiffs der Einschlagsfaden ausgeht, ganz +moderne Erfindungen. Als ein Beispiel sowohl der Kontinuität der Produk- +tion als der Durchführung des automatischen Princips kann die moderne +Papierfabrik gelten. An der Papierproduktion kann überhaupt der Unter- +schied verschiedner Produktionsweisen, auf Basis verschiedner Produk- +tionsmittel, wie der Zusammenhang der gesellschaftlichen Produktionsver- +hältnisse mit diesen Produktionsweisen, im Einzelnen vortheilhaft studirt +werden, da uns die ältere deutsche Papiermacherei Muster der handwerks- 35 +mäßigen Produktion, Holland im 17. und Frankreich im 18. Jahrhundert +Muster der eigentlichen Manufaktur, und das moderne England Muster +der automatischen Fabrikation in diesem Zweig liefern, außerdem in +China und Indien noch zwei verschiedne altasiatische Formen derselben +Industrie existiren. + +40 + +30 + +Als gegliedertes System von Arbeitsmaschinen, die ihre Bewegung nur + +342 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +vermittelst der Transmissionsmaschinerie von einem centralen Automaten +empfangen, besitzt der Maschinenbetrieb seine entwickeltste Gestalt. An +die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer, +dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt, und dessen dämonische Kraft, erst +5 versteckt durch die fast feierlich gemeßne Bewegung seiner Riesenglieder, +im fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsor- +gane ausbricht. + +Es gab Mules, Dampfmaschinen u.s.w., bevor es Arbeiter gab, deren aus- +schließliches Geschäft es war, Dampfmaschinen, Mules u.s.w. zu machen, +10 ganz wie der Mensch Kleider trug, bevor es Schneider gab. Die Erfindun- +gen von Vaucanson, Arkwright, Watt u.s.w. waren jedoch nur ausführbar, +weil jene Erfinder ein von der Manufakturperiode fertig geliefertes und be- +trächtliches Quantum geschickter mechanischer Arbeiter vorfanden. Ein +Theil dieser Arbeiter bestand aus selbständigen Handwerkern verschiedner +15 Profession, ||346| ein andrer Theil war in Manufakturen vereinigt, worin, +wie früher erwähnt, die Theilung der Arbeit mit besondrer Strenge waltete. +Mit der Zunahme der Erfindungen und der wachsenden Nachfrage nach +den neu erfundnen Maschinen entwickelte sich mehr und mehr einerseits +die Sondrung der Maschinenfabrikation in mannichfaltige selbständige +20 Zweige, andrerseits die Theilung der Arbeit im Innern der maschinenbau- +enden Manufakturen. Wir erblicken hier also in der Manufaktur die un- +mittelbare technische Grundlage der großen Industrie. Jene producirte die +Maschinerie, womit diese in den Produktionssphären, die sie zunächst er- +griff, den handwerks- und manufakturmäßigen Betrieb aufhob. Der Ma- +schinenbetrieb erhob sich also naturwüchsig auf einer ihm unangemeßnen +materiellen Grundlage. Auf einem gewissen Entwicklungsgrad mußte er +diese erst fertig vorgefundne und dann in ihrer alten Form weiter ausgear- +beitete Grundlage selbst umwälzen und sich eine seiner eignen Produk- +tionsweise entsprechende neue Basis schaffen. Wie die einzelne Maschine +30 zwergmäßig bleibt, so lange sie nur durch Menschen bewegt wird, wie das +Maschinensystem sich nicht frei entwickeln konnte, bevor an die Stelle der +vorgefundnen Triebkräfte - Thier, Wind und selbst Wasser - die Dampf- +maschine trat, ebenso war die große Industrie in ihrer ganzen Entwicklung +gelähmt, so lange ihr charakteristisches Produktionsmittel, die Maschine +selbst, persönlicher Kraft und persönlichem Geschick seine Existenz ver- +dankte, also abhing von der Muskelentwicklung, der Schärfe des Blicks +und der Virtuosität der Hand, womit der Theilarbeiter in der Manufaktur +und der Handwerker außerhalb derselben ihr Zwerginstrument führten. +Abgesehn von der Vertheurung der Maschinen in Folge dieser Ursprungs- +40 weise - ein Umstand, welcher das Kapital als bewußtes Motiv beherrscht - +blieb so die Ausdehnung der bereits maschinenmäßig betriebnen Industrie + +25 + +35 + +343 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +und das Eindringen der Maschinerie in neue Produktionszweige rein be- +dingt durch das Wachsthum einer Arbeiterkategorie, die wegen der halb- +künstlerischen Natur ihres Geschäfts nur allmählig und nicht sprungweis +vermehrt werden konnte. Aber auf einer gewissen Entwicklungsstufe ge- +rieth die große Industrie auch technisch in Widerstreit mit ihrer hand- +werks- und manufakturmäßigen Unterlage. Ausreckung des Umfangs der +Bewegungsmaschinen, des Transmissionsmechanismus und der Werkzeug- +maschinen, größere Komplikation, Mannichfaltigkeit und strengere Regel- +mäßigkeit ihrer Bestandtheile, im Maße wie die Werkzeugmaschine sich +von dem handwerksmäßigen Modell, das ihren Bau ||347| ursprünglich be- 10 +herrscht, losriß und eine freie, nur durch ihre mechanische Aufgabe be- +stimmte Gestalt erhielt 1 0 3), Ausbildung des automatischen Systems und +stets unvermeidlichere Anwendung von schwer zu bewältigendem Mate- +rial, z . B . Eisen statt Holz - die Lösung aller dieser naturwüchsig entsprin- +genden Aufgaben stieß überall auf die persönlichen Schranken, die auch 15 +das in der Manufaktur kombinirte Arbeiterpersonal nur dem Grad, nicht +dem Wesen nach durchbricht. Maschinen z . B . wie die moderne Drucker- +presse, der moderne Dampfwebstuhl und die moderne Kardirmaschine +konnten nicht von der Manufaktur geliefert werden. + +Die Umwälzung der Produktionsweise in einer Sphäre der Industrie be- 20 + +dingt ihre Umwälzung in der andren. Es gilt dieß zunächst für solche Indu- +striezweige, welche zwar durch die gesellschaftliche Theilung der Arbeit +isolirt sind, so daß jeder derselben eine selbständige Waare producirt, sich +aber dennoch als Phasen eines Gesammtprocesses verschlingen. So machte +die Maschinenspinnerei Maschinenweberei nöthig und beide zusammen 25 +die mechanisch-chemische Revolution in der Bleicherei, Druckerei und +Färberei. So rief andrerseits die Revolution in der Baumwollspinnerei die +Erfindung des gin zur Trennung der Baumwollfaser vom Samen hervor, +womit erst die Baumwollproduktion auf dem nun erheischten großen Maß- +stab möglich ward 1 0 4). Die Revolution in der Produktionsweise der Indu- 30 + +1 0 3 ) Der mechanische Webstuhl in seiner ersten Form besteht hauptsächlich aus Holz, der +verbesserte, moderne, aus Eisen. Wie sehr im Anfang die alte Form des Produktionsmittels +seine neue Form beherrscht, zeigt u. a. die oberflächlichste Vergleichung des modernen +Dampfwebstuhls mit dem alten, der modernen Blasinstrumente in Eisengießereien mit der er- +sten unbehülflichen mechanischen Wiedergeburt des gewöhnlichen Blasbalgs, und vielleicht 35 +schlagender als alles Andre eine vor der Erfindung der jetzigen Lokomotiven versuchte Loko- +motive, die in der That zwei Füße hatte, welche sie abwechselnd wie ein Pferd aufhob. Erst +nach weitrer Entwicklung der Mechanik und gehäufter praktischer Erfahrung wird die Form +gänzlich durch das mechanische Princip bestimmt und daher gänzlich emancipirt von der +überlieferten Körperform des Werkzeugs, das sich zur Maschine entpuppt. +1 0 4 ) Des Yankee Eli Whitney cottongin war. bis zur neuesten Zeit im wesentlichen weniger +verändert worden, als irgend eine andre Maschine des 18. Jahrhunderts. Erst in den letzten +Decennien (vor 1867) hat ein andrer Amerikaner, Herr Emery von Albany, New-York, Whit- +ney's Maschine durch eine ebenso einfache als wirksame Verbeßrung antiquirt. + +40 + +344 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +strie und Agrikultur ernöthigte namentlich aber auch eine Revolution in +den allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen Produktionsproces- +ses, d. h. den Kommunikations- und Transportmitteln. Wie die Kommuni- +kations- und Transportmittel einer Gesellschaft, deren Pivot, um mich +5 eines ||348| Ausdrucks Fourier's zu bedienen, die kleine Agrikultur mit +ihrer häuslichen Nebenindustrie und das städtische Handwerk waren, den +Produktionsbedürfnissen der Manufakturperiode mit +ihrer erweiterten +Theilung der gesellschaftlichen Arbeit, ihrer Koncentration von Arbeits- +mitteln und Arbeitern und ihren Kolonialmärkten durchaus nicht mehr ge- +10 nügen konnten, daher auch in der That umgewälzt wurden, so verwandel- +ten sich die von der Manufakturperiode überlieferten Transport- und +Kommunikationsmittel bald in unerträgliche Hemmschuhe für die große +Industrie mit ihrer fieberhaften Geschwindigkeit der Produktion, ihrer +massenhaften Stufenleiter, ihrem beständigen Werfen von Kapital- und Ar- +15 beitermassen aus einer Produktionssphäre in die andre und ihren neuge- +schaffnen weltmarktlichen Zusammenhängen. Abgesehn von ganz umge- +wälztem Segelschiffbau, wurde das Kommunikations- und Transportwesen +daher allmählig durch ein System von Flußdampfschiffen, Eisenbahnen, +oceanischen Dampfschiffen und Telegraphen der Produktionsweise der +20 großen Industrie angepaßt. Die furchtbaren Eisenmassen aber, die jetzt zu +schmieden, zu schweißen, zu schneiden, zu bohren und zu formen waren, +erforderten ihrerseits cyklopische Maschinen, deren Schöpfung der manu- +fakturmäßige Maschinenbau versagte. + +25 + +Die große Industrie mußte sich also ihres charakteristischen Produk- +tionsmittels, der Maschine selbst, bemächtigen und Maschinen durch Ma- +schinen produciren. So erst schuf sie ihre adäquate technische Unterlage +und stellte sich auf ihre eignen Füße. Mit dem wachsenden Maschinenbe- +trieb in den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts bemächtigte sich die +Maschinerie in der That allmählig der Fabrikation der Werkzeugmaschi- +30 nen. Jedoch erst während der letztverfloßnen Decennien riefen ungeheurer +Eisenbahnbau und oceanische Dampfschifffahrt die zur Konstruktion von +ersten Motoren angewandten cyklopischen Maschinen ins Leben. + +Die wesentlichste Produktionsbedingung für die Fabrikation von Ma- +schinen durch Maschinen war eine jeder Kraftpotenz fähige und doch zu- +35 gleich ganz kontrolirbare Bewegungsmaschine. Sie existirte bereits in der +Dampfmaschine. Aber es galt zugleich die für die einzelnen Maschinen- +theile nöthigen streng geometrischen Formen wie Linie, Ebne, Kreis, Cy- +linder, Kegel und Kugel maschinenmäßig zu produciren. Dieß Problem lö- +ste Henry Maudslay im ersten Decennium des 19. Jahrhunderts durch die +40 Erfindung des slide-rest, der bald automatisch gemacht und in modificirter +Form von der Drechselbank, wofür er zuerst bestimmt war, auf andre + +345 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Konstruktionsmaschinen übertragen wurde. Diese mechanische Vor-| +|349|richtung ersetzt nicht irgend ein besondres Werkzeug, sondern die +menschliche Hand selbst, die eine bestimmte Form hervorbringt durch +Vorhalten, Anpassen und Richtung der Schärfe von Schneideinstrumenten +u.s.w. gegen oder über das Arbeitsmaterial, z . B . Eisen. So gelang es, die +geometrischen Formen der einzelnen Maschinentheile „mit einem Grad +von Leichtigkeit, Genauigkeit und Raschheit zu produciren, den keine ge- +häufte Erfahrung der Hand des geschicktesten Arbeiters verleihen +konnte" 1 0 5)- + +5 + +Betrachten wir nun den Theil der zum Maschinenbau angewandten Ma- 10 + +15 + +schinerie, der die eigentliche Werkzeugmaschine bildet, so erscheint das +handwerksmäßige Instrument wieder, aber in cyklopischem Umfang. Der +Operateur der Bohrmaschine z.B. ist ein ungeheurer Bohrer, der durch +eine Dampfmaschine getrieben wird und ohne den umgekehrt die Cylinder +großer Dampfmaschinen und hydraulischer Pressen nicht producirt werden +könnten. Die mechanische Drechselbank ist die cyklopische Wiedergeburt +der gewöhnlichen Fußdrechselbank, die Hobelmaschine ein eiserner Zim- +mermann, der mit denselben Werkzeugen in Eisen arbeitet, womit der +Zimmermann in Holz; das Werkzeug, welches in den Londoner Schiffs- +werften das Furnirwerk schneidet, ist ein riesenartiges Rasirmesser, das 20 +Werkzeug d,er Scheermaschine, welche Eisen schneidet, wie die Schneider- +scheere Tuch, eine Monstrescheere, und der Dampfhammer operirt mit +einem gewöhnlichen Hammerkopf, aber von solchem Gewicht, daß Thor +selbst ihn nicht schwingen könnte 1 0 6). Einer dieser Dampfhämmer z.B., die +eine Erfindung von Nasmyth sind, wiegt über 6 Tonnen und stürzt mit 25 +einem perpendikulären Fall von 7 Fuß auf einen Amboß von 36 Tonnen +Gewicht. Er pulverisirt spielend einen Granitblock und ist nicht minder fä- +hig, einen Nagel in weiches Holz mit einer Aufeinanderfolge leiser Schläge +einzutreiben 1 0 7). + +Als Maschinerie erhält das Arbeitsmittel eine materielle Existenz-1 30 + +|350|weise, welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkräfte und er- +fahrungsmäßiger Routine durch bewußte Anwendung der Naturwissen- + +1 0 5 ) „The Industry of Nations. Lond. 1855", Part. II, p. 239. Es heißt eben daselbst: "Simple and +outwardly unimportant as this appendage to lathes may appear, it is not, we believe, averring +too much to state, that its influence in improving and extending the use of machinery has +been as great as that produced by Watt's improvements of the steam-engine itself. Its intro- +duction went at once to perfect all machinery, to cheapen it, and to stimulate invention and +improvement." +1 0 6 ) Eine dieser Maschinen in London zum Schmieden von paddle-wheel shafts führt den Na- +men „Thor". Sie schmiedet einen Schaft von 16¾ Tonnen Gewicht mit derselben Leichtigkeit, 40 +wie der Schmied ein Hufeisen. +1 0 7 ) Die in Holz arbeitenden Maschinen, die auch auf kleinem Maßstab angewandt werden +können, sind meist amerikanische Erfindung. + +35 + +346 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +schaft bedingt. In der Manufaktur ist die Gliederung des gesellschaftlichen +Arbeitsprocesses rein subjektiv, Kombination von Theilarbeitern; im Ma- +schinensystem besitzt die große Industrie einen ganz objektiven Produk- +tionsorganismus, den der Arbeiter als fertige materielle Produktionsbedin- +5 gung vorfindet. In der einfachen und selbst in der durch Theilung der +Arbeit specificirten Kooperation erscheint die Verdrängung des vereinzel- +ten Arbeiters durch den vergesellschafteten immer noch mehr oder minder +zufällig. Die Maschinerie, mit einigen später zu erwähnenden Ausnahmen, +funktionirt nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter oder gemeinsa- +10 mer Arbeit. Der kooperative Charakter des Arbeitsprocesses wird jetzt also +durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktirte technische Notwendig- +keit. + +2. Werthabgabe der Maschinerie an das Produkt. + +20 + +Man sah, daß die aus Kooperation und Theilung der Arbeit entspringen- +15 den Produktivkräfte dem Kapital nichts kosten. Sie sind Naturkräfte der +gesellschaftlichen Arbeit. Naturkräfte, wie Dampf, Wasser u. s. w., die zu +produktiven Processen angeeignet werden, kosten ebenfalls nichts. Wie +aber der Mensch eine Lunge zum Athmen braucht, braucht er ein „Gebild +von Menschenhand", um Naturkräfte produktiv zu konsumiren. Ein Was- +serrad ist nöthig, um die Bewegungskraft des Wassers, eine Dampfma- +schine, um die Elasticität des Dampfs auszubeuten. Wie mit den Natur- +kräften; verhält es sich mit der Wissenschaft. Einmal entdeckt, kostet das +Gesetz über die Abweichung der Magnetnadel im Wirkungskreise eines +elektrischen Stroms oder über Erzeugung von Magnetismus im Eisen, um +25 das ein elektrischer Strom kreist, keinen D e u t 1 0 8 ) . Aber zur Ausbeutung +dieser Gesetze für Télégraphie u. s. w. bedarf es eines sehr kostspieligen +und weitläufigen Apparats. Durch die Maschine wird, wie wir sahen, das +Werkzeug nicht verdrängt. Aus einem Zwerg-Werkzeug des menschlichen +Organismus reckt ||351| es sich in Umfang und Anzahl zum Werkzeug +eines vom Menschen geschaffnen Mechanismus. Statt mit dem Hand- +werkszeug, läßt das Kapital den Arbeiter jetzt mit einer Maschine arbeiten, +die ihre Werkzeuge selbst führt. Wenn es daher auf den ersten Blick klar + +30 + +35 + +1 0 8 ) Die Wissenschaft kostet dem Kapitalisten überhaupt „Nichts", was ihn durchaus nicht +hindert, sie zu exploitiren. Die „fremde" Wissenschaft wird dem Kapital einverleibt, wie +fremde Arbeit. „Kapitalistische" Aneignung und „persönliche" Aneignung, sei es von Wissen- +schaft, sei es von materiellem Reichthum, sind aber ganz und gar disparate Dinge. Dr. Ure +selbst bejammerte die grobe Unbekanntschaft seiner lieben, Maschinen exploitirenden Fa- +brikanten mit der Mechanik, und Liebig weiß von der haarsträubenden Unwissenheit der eng- +lischen chemischen Fabrikanten in der Chemie zu erzählen. + +347 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +ist, daß die große Industrie durch Einverleibung ungeheurer Naturkräfte +und der Naturwissenschaft in den Produktionsproceß die Produktivität der +Arbeit außerordentlich steigern muß, ist es keineswegs eben so klar, daß +diese gesteigerte Produktivkraft nicht durch vermehrte Arbeitsausgabe auf +der andren Seite erkauft wird. Gleich jedem andren Bestandtheil des kon- +stanten Kapitals, schafft die Maschinerie keinen Werth, giebt aber ihren +eignen Werth an das Produkt ab, zu dessen Erzeugung sie dient. Soweit sie +Werth hat und daher Werth auf das Produkt überträgt, bildet sie einen +Werthbestandtheil desselben. Statt es zu verwohlfeilern, vertheuert sie es +im Verhältniß zu ihrem eignen Werth. Und es ist handgreiflich, daß Ma- 10 +schine und systematisch entwickelte Maschinerie, das charakteristische Ar- +beitsmittel der großen Industrie, unverhältnißmäßig an Werth schwillt, +verglichen mit den Arbeitsmitteln des Handwerks- und Manufakturbe- +triebs. + +5 + +Es ist nun zunächst zu bemerken, daß die Maschinerie stets ganz in den 15 + +Arbeitsproceß und immer nur theilweis in den Verwerthungsproceß ein- +geht. Sie setzt nie mehr Werth zu, als sie im Durchschnitt durch ihre Ab- +nutzung verliert. Es findet also große Differenz statt zwischen dem Werth +der Maschine und dem periodisch von ihr auf das Produkt übertragnen +Werththeil. Es findet eine große Differenz statt zwischen der Maschine als 20 +werthbildendem und als produktbildendem Element. Je größer die Periode, +während welcher dieselbe Maschinerie wiederholt in demselben Arbeits- +proceß dient, desto größer jene Differenz. Allerdings haben wir gesehn, daß +jedes eigentliche Arbeitsmittel oder Produktionsinstrument immer ganz in +den Arbeitsproceß und stets nur stückweis, im Verhältniß zu seinem tägli- 25 +chen Durchschnittsverschleiß, in den Verwerthungsproceß eingeht. Diese +Differenz jedoch zwischen Benutzung und Abnutzung ist viel größer bei +der Maschinerie als bei dem Werkzeug, weil sie, aus dauerhafterem Mate- +rial gebaut, länger lebt, weil ihre Anwendung, durch streng wissenschaftli- +che Gesetze geregelt, größre Oekonomie in der Verausgabung ihrer B e - 30 +standtheile und ihrer Konsumtionsmittel ermöglicht, und endlich, weil ihr +Produktionsfeld unverhältnißmäßig größer ist als das des Werkzeugs. +Ziehn wir von beiden, von Maschinerie und Werkzeug, ihre täglichen +Durchschnittskosten ab, oder den ||352| Werthbestandtheil, den sie durch +täglichen Durchschnittsverschleiß und den Konsum von Hülfsstoffen, wie 35 +Oel, Kohlen u.s.w., dem Produkt zusetzen, so wirken sie umsonst, ganz wie +ohne Zuthun menschlicher Arbeit vorhandne Naturkräfte. Um so viel grö- +ßer der produktive Wirkungsumfang der Maschinerie als der des Werk- +zeugs, um so viel größer ist der Umfang ihres unentgeltlichen Dienstes ver- +glichen mit dem des Werkzeugs. Erst in der großen Industrie lernt der 40 +Mensch das Produkt seiner vergangnen, bereits vergegenständlichten Ar- + +348 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +beit auf großem Maßstab gleich einer Naturkraft umsonst wirken zu las- +s e n 1 0 9 ) . + +Es ergab sich bei Betrachtung der Kooperation und Manufaktur, daß ge- + +wisse allgemeine Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten u. s. w., im + +5 Vergleich mit den zersplitterten Produktionsbedingungen vereinzelter Ar- + +beiter durch den gemeinsamen Konsum ökonomisirt werden, daher das + +Produkt weniger vertheuern. Bei der Maschinerie wird nicht nur der Kör- + +per einer Arbeitsmaschine von ihren vielen Werkzeugen, sondern dieselbe + +Bewegungsmaschine nebst einem Theil des Transmissionsmechanismus + +10 von vielen Arbeitsmaschinen gemeinsam verbraucht. + +Gegeben die Differenz zwischen dem Werth der Maschinerie und dem + +auf ihr Tagesprodukt übertragnen Werththeil, hängt der Grad, worin dieser + +Werththeil das Produkt vertheuert, zunächst vom Umfang des Produkts ab, + +gleichsam von seiner Oberfläche. Herr Baynes aus Blackburn schätzt in + +15 einer 1857 veröffentlichten Vorlesung, daß „jede r e a l e 1 0 9 a ) mechanische + +Pferdekraft 450 selfacting ||353| Mulespindeln nebst Vorgeschirr treibt oder + +200 Throstlespindeln oder 15 Webstühle für 40 inch cloth nebst den Vor- + +richtungen zum Aufziehn der Kette, Schlichten u. s. w." Es ist im ersten + +Fall das Tagesprodukt von 450 Mulespindeln, im zweiten von 200 Throstle- + +1 0 9 ) Ricardo faßt diese, übrigens von ihm ebensowenig wie der allgemeine Unterschied zwi- +schen Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß entwickelte Wirkung der Maschinen manch- +mal so vorzugsweis ins Auge, daß er gelegentlich den Werthbestandtheil vergißt, den Maschi- +nen an das Produkt abgeben, und sie ganz und gar mit den Naturkräften zusammenwirft. So +z.B. "Adam Smith nowhere undervalues the services which the natural agents and machinery +perform for us, but he very justly distinguishes the nature of the value which they add to com- +modities ... as they perform their work gratuitously, the assistance which they afford us, adds +nothing to value in exchange." (Ric. I.e. p.336, 337.) Ricardo's Bemerkung ist natürlich rich- +tig gegen J . B . Say, der sich vorfaselt, die Maschinen leisteten den „Dienst" Werth zu schaffen, +der Theil des „Profits" bilde. +1 0 9 a ) (Note zur 3. Aufl. - Eine „Pferdekraft" ist gleich der Kraft von 33 000 Fußpfund in der +Minute, d.h. der Kraft, die 33 000 Pfund in der Minute um 1 Fuß (englisch) hebt oder 1 Pfund +um 33 000 Fuß. Dieß ist die oben gemeinte Pferdekraft. In der gewöhnlichen Geschäftsspra- +che, und auch hie und da in Citaten dieses Buchs, wird aber unterschieden zwischen „nomi- +nellen" und „kommerziellen" oder „indicirten" Pferdekräften derselben Maschine. Die alte +oder nominelle Pferdekraft wird berechnet ausschließlich aus Kolbenhub und Cylinderdurch- +messer, und läßt Dampfdruck und Kolbengeschwindigkeit ganz außer Berücksichtigung. D.h. +faktisch sagt sie aus: diese Dampfmaschine hat z.B. 50 Pferdekraft, wenn sie mit demselben +schwachen Dampfdruck und derselben geringen Kolbengeschwindigkeit getrieben wird wie +zur Zeit von Boulton und Watt. Letztere beiden Faktoren sind aber seitdem enorm gewach- +sen. Um die von einer Maschine heute wirklich gelieferte mechanische Kraft zu messen, +wurde der Indikator erfunden, der den Dampfdruck anzeigt. Die Kolbengeschwindigkeit läßt +sich leicht feststellen. So ist das Maß der „indicirten" oder „kommerziellen" Pferdekraft einer +Maschine eine mathematische Formel, welche Cylinderdurchmesser, Höhe des Kolbenhubs, +Kolbengeschwindigkeit und Dampfdruck gleichzeitig berücksichtigt und damit anzeigt, wie- +vielmal die Maschine in der Minute 33 000 Fußpfund wirklich leistet. Eine nominelle Pferde- +kraft kann daher in Wirklichkeit drei, vier, selbst fünf indicirte oder wirkliche Pferdekräfte lei- +sten. Dieß zur Erklärung verschiedener späterer Citate. D. H.) + +349 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Spindeln, im dritten von 15 mechanischen Webstühlen, worüber sich die +täglichen Kosten einer Dampfpferdekraft und der Verschleiß der von ihr in +Bewegung gesetzten Maschinerie vertheilen, so daß hierdurch auf eine +Unze Garn oder eine Elle Geweb nur ein winziger Werththeil übertragen +wird. Ebenso im obigen Beispiel mit dem Dampfhammer. Da sich sein tag- +licher Verschleiß, Kohlenkonsum u. s. w. vertheilen auf die furchtbaren +Eisenmassen, die er täglich hämmert, hängt sich jedem Centner Eisen nur +ein geringer Werththeil an, der sehr groß wäre, sollte das cyklopische In- +strument kleine Nägel eintreiben. + +5 + +Den Wirkungskreis der Arbeitsmaschine, also die Anzahl ihrer Werk- 10 + +zeuge, oder, wo es sich um Kraft handelt, deren Umfang gegeben, wird die +Produktenmasse von der Geschwindigkeit abhängen, womit sie operirt, +also z . B . von der Geschwindigkeit, womit sich die Spindel dreht, oder der +Anzahl Schläge, die der Hammer in einer Minute austheilt. Manche jener +kolossalen Hämmer geben 70 Schläge, Ryder's Schmiedepatentmaschine, 15 +die Dampfh��mmer in kleineren Dimensionen zum Schmieden von Spin- +deln anwendet, 700 Schläge in einer Minute. + +Die Proportion gegeben, worin die Maschinerie Werth auf das Produkt +überträgt, hängt die Größe dieses Werththeils von ihrer eignen Werthgröße +a b 1 1 0 ) . Je weniger Arbeit sie selbst enthält, ||354| desto weniger Werth setzt 20 +sie dem Produkt zu. Je weniger Werth abgebend, desto produktiver ist sie +und desto mehr nähert sich ihr Dienst dem der Naturkräfte. Die Produk- +tion der Maschinerie durch Maschinerie verringert aber ihren Werth, ver- +hältnißmäßig zu ihrer Ausdehnung und Wirkung. + +Eine vergleichende Analyse der Preise handwerks- oder manufakturmä- 25 + +ßig producirter Waaren und der Preise derselben Waaren als Maschinen- +produkt ergibt im Allgemeinen das Resultat, daß beim Maschinenprodukt +der dem Arbeitsmittel geschuldete Werthbestandtheil relativ wächst, aber +absolut abnimmt. Das heißt, seine absolute Größe nimmt ab, aber seine +Größe im Verhältniß zum Gesammtwerth des Produkts, z.B. eines Pfundes 30 +Garns, nimmt z u 1 1 1 ) . + +n o ) Der in kapitalistischen Vorstellungen befangne Leser vermißt hier natürlich den „Zins", +den die Maschine, pro rata ihres Kapitalwerths, dem Produkt zusetzt. Es ist jedoch leicht ein- +zusehn, daß die Maschine, da sie so wenig als irgend ein andrer Bestandtheil des konstanten +Kapitals Neuwerth erzeugt, keinen solchen unter dem Namen „Zins" zusetzen kann. Es ist 35 +ferner klar, daß hier, wo es sich um die Produktion des Mehrwerths handelt, kein Theil dessel- +ben unter dem Namen „Zins" a priori vorausgesetzt werden kann. Die kapitalistische Rech- +nungsweise, die prima facie abgeschmackt und den Gesetzen der Werthbildung widerspre- +chend scheint, findet im Dritten Buch dieser Schrift ihre Erklärung. +l n ) Dieser von der Maschine zugesetzte Werthbestandtheil fallt absolut und relativ, wo sie 40 +Pferde verdrängt, überhaupt Arbeitsthiere, die nur als Bewegungskraft, nicht als Stoffwechsel- +maschinen benutzt werden. Nebenbei bemerkt, Descartes mit seiner Definition der Thiere als +bloßer Maschinen sieht mit den Augen der Manufakturperiode im Unterschied zum Mittelal- + +350 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +5 + +Es ist klar, daß bloßes Deplacement der Arbeit stattfindet, also die Ge- +sammtsumme der zur Produktion einer Waare erheischten Arbeit nicht +vermindert oder die Produktivkraft der Arbeit nicht vermehrt wird, wenn +die Produktion einer Maschine so viel Arbeit kostet, als ihre Anwendung +erspart. Die Differenz jedoch zwischen ||355| der Arbeit, die sie kostet, und +der Arbeit, die sie erspart, oder der Grad ihrer Produktivität hängt offenbar +nicht ab von der Differenz zwischen ihrem eignen Werth und dem Werth +des von ihr ersetzten Werkzeugs. Die Differenz dauert so lange, als die Ar- +beitskosten der Maschine und daher der von ihr dem Produkt zugesetzte +10 Werththeil kleiner bleiben als der Werth, den der Arbeiter mit seinem +Werkzeug dem Arbeitsgegenstand zusetzen würde. Die Produktivität der +Maschine mißt sich daher an dem Grad, worin sie menschliche Arbeits- +kraft ersetzt. Nach Herrn Baynes kommen auf 450 Mulespindeln nebst +Vormaschinerie, die von einer Dampfpferdekraft getrieben werden, 2l/2 Ar- +15 beiter 1 1 2) und werden mit jeder selfacting mule spindle bei zehnstündigem +Arbeitstag 13 Unzen Garn (Durchschnittsnummer), also wöchentlich +365¾ Pfd. Garn von 2l/2 Arbeitern gesponnen. Bei ihrer Verwandlung in +Garn absorbiren ungefähr 366 Pfund Baumwolle (wir sehn der Vereinfa- +chung halber vom Abfall ab) also nur 150 Arbeitsstunden oder 15 zehn- +20 stündige Arbeitstage, während mit dem Spinnrad, wenn der Handspinner +13 Unzen Garn in 60 Stunden liefert, dasselbe Quantum Baumwolle +2700 Arbeitstage von 10 Stunden oder 27 000 Arbeitsstunden absorbiren + +25 + +30 + +35 + +40 + +ter, dem das Thier als Gehülfe des Menschen galt, wie später wieder dem Herrn v. Haller in +seiner „Restauration der Staatswissenschaften". Daß Descartes ebenso wie Baco eine verän- +derte Gestalt der Produktion und praktische Beherrschung der Natur durch den Menschen als +Resultat der veränderten Denkmethode betrachtete, zeigt sein „Discours de la Méthode", wo +es u. a. heißt: „II est possible (durch die von ihm in die Philosophie eingeführte Methode) de +parvenir à des connaissances fort utiles à la vie, et qu'au lieu de cette philosophie spéculative +qu'on enseigne dans les écoles, on en peut trouver une pratique, par laquelle, connaissant la +force et les actions du feu, de l'eau, de l'air, des astres, et de tous les autres corps qui nous en- +vironnent, aussi distinctement que nous connaissons les divers métiers de nos artisans, nous +les pourrions employer en même façon à tous les usages auxquels ils sont propres, et ainsi +nous rendre comme maîtres et possesseurs de la nature", und so ,,contribuer au perfectionne- +ment de la vie humaine". In der Vorrede zu Sir Dudley North's „Discourses upon Trade" +(1691) heißt es, die Methode des Descartes, auf die politische Oekonomie angewandt, habe +sie von alten Märchen und abergläubischen Vorstellungen über Geld, Handel u. s. w. zu be- +freien angefangen. Im Durchschnitt schließen sich jedoch die englischen Oekonomen der frü- +hem Zeit an Baco und Hobbes als ihre Philosophen an, während Locke später „der Philosoph" +κατ' εξοχήν der politischen Oekonomie für England, Frankreich und Italien ward. +m) Nach einem Jahresbericht der Handelskammer zu Essen (Okt. 1863) producirte 1862 die +Krupp'sche Gußstahlfabrik mittelst 161 Schmelz-, Glüh- und Cementöfen, 32 Dampfmaschi- +nen (im Jahr 1800 war das ungefähr die Gesammtzahl der in Manchester angewandten +Dampfmaschinen) und 14 Dampfhämmern, welche zusammen 1236 Pferdekraft repräsenti- +ren, 49 Schmiedeessen, 203 Werkzeugmaschinen und circa 2400 Arbeitern - 13 Millionen + +45 Pfund Gußstahl. Hier noch nicht 2 Arbeiter auf 1 Pferdekraft. + +351 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +würde 1 1 3). Wo die alte Methode des blockprinting oder der Handkattun- +druckerei durch Maschinendruck verdrängt ist, druckt eine einzige Ma- +schine mit dem Beistand eines Mannes oder Jungen so viel vierfarbigen +Kattun in einer Stunde wie früher 200 Männer 1 1 4). Bevor Eli Whitney 1793 +den cottongin erfand, kostete die Trennung eines Pfundes Baumwolle vom +Samen einen Durchschnittsarbeitstag. In Folge seiner Erfindung konnten +täglich 100 Pfd. Baumwolle von einer Negerin gewonnen werden und die +Wirksamkeit des gin ward seitdem noch bedeutend erhöht. Ein Pfund +Baumwollfaser, früher zu 50 cents producirt, wird später mit größrem Pro- +fit, d.h. mit Einschluß von mehr unbezahlter Arbeit, zu 10 cents verkauft. | 10 +|356|In Indien wendet man zur Trennung der Faser vom Samen ein halb- +maschinenartiges Instrument an, die Churka, womit ein Mann und eine +Frau täglich 28 Pfd. reinigen. Mit der von Dr. Forbes vor einigen Jahren er- +fundnen Churka produciren 2 Mann und 1 Junge täglich 250 Pfd.; wo Och- +sen, Dampf oder Wasser als Triebkräfte gebraucht werden, sind nur wenige +Jungen und Mädchen als feeders (Handlanger des Materials für die Ma- +schine) erheischt. Sechszehn dieser Maschinen, mit Ochsen getrieben, ver- +richten täglich das frühere Durchschnitts-Tagewerk von 750 Leuten 1 1 5). + +15 + +5 + +Wie bereits erwähnt, verrichtet die Dampfmaschine, beim Dampfpflug, + +in einer Stunde zu 3 d. oder % sh. so viel Werk wie 66 Menschen zu 15 sh. 20 +per Stunde. Ich komme auf dieses Beispiel zurück gegen eine falsche Vor- +stellung. Die 15 sh. sind nämlich keineswegs der Ausdruck der während +einer Stunde von den 66 Menschen zugefügten Arbeit. War das Verhältniß +von Mehrarbeit zu nothwendiger Arbeit 100 %, so producirten diese 66 Ar- +beiter per Stunde einen Werth von 30 sh., obgleich sich nur 33 Stunden in 25 +einem Aequivalent für sie selbst, d.h. im Arbeitslohn von 15 sh. darstellen. +Gesetzt also, eine Maschine koste eben so viel als der Jahreslohn von 150 +durch sie verdrängten Arbeitern, sage 3000 Pfd. St., so sind 3000 Pfd. St. +keineswegs der Geldausdruck der von 150 Arbeitern gelieferten und dem +Arbeitsgegenstand zugesetzten Arbeit, sondern nur des Theils ihrer Jahres- 30 +arbeit, der sich für sie selbst in Arbeitslohn darstellt. Dagegen drückt der +Geldwerth der Maschine von 3000 Pfd. St. alle während ihrer Produktion +verausgabte Arbeit aus, in welchem Verhältniß immer diese Arbeit Arbeits- +lohn für den Arbeiter und Mehrwerth für den Kapitalisten bilde. Kostet die +Maschine also ebensoviel als die von ihr ersetzte Arbeitskraft, so ist die in 35 + +1 1 3 ) Babbage berechnet, daß in Java 117 % dem Baumwollwerth fast nur durch die Spinnarbeit +zugesetzt werden. Zur selben Zeit (1832) betrug in England der Gesammtwerth, den Maschi- +nerie und Arbeit der Baumwolle bei der Feinspinnerei zusetzten, ungefähr 33% auf den +Werth des Rohmaterials. („On the Economy of Machinery", p. 165, 166.) +1 1 4 ) Beim Maschinendruck außerdem Farbe erspart. +1 1 5 ) Vgl. Paper read by Dr. Watson, Reporter on Products to the Government of India, before +the Society of Arts, 17. April 1861. + +40 + +352 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +ihr selbst vergegenständlichte Arbeit stets viel kleiner als die von ihr er- +setzte lebendige A r b e i t 1 1 6 ) . + +5 + +Ausschließlich als Mittel zur Verwohlfeilerung des Produkts betrachtet, +ist die Grenze für den Gebrauch der Maschinerie darin gegeben, daß ihre +eigne Produktion weniger Arbeit kostet, als ihre Anwendung Arbeit ersetzt. +Für das Kapital jedoch drückt ||357| sich diese Grenze enger aus. Da es +nicht die angewandte Arbeit zahlt, sondern den Werth der angewandten +Arbeitskraft, wird ihm der Maschinengebrauch begrenzt durch die Diffe- +renz zwischen dem Maschinenwerth und dem Werth der von ihr ersetzten +10 Arbeitskraft. Da die Theilung des Arbeitstags in nothwendige Arbeit und +Mehrarbeit in verschiednen Ländern verschieden ist, ebenso in demselben +Lande zu verschiednen Perioden oder während derselben Periode in ver- +schiednen Geschäftszweigen; da ferner der wirkliche Lohn des Arbeiters +bald unter den Werth seiner Arbeitskraft sinkt, bald über ihn steigt, kann +15 die Differenz zwischen dem Preise der Maschinerie und dem Preise der +von ihr zu ersetzenden Arbeitskraft sehr variiren, wenn auch die Differenz +zwischen dem zur Produktion der Maschine nöthigen Arbeitsquantum und +dem Gesammtquantum der von ihr ersetzten Arbeit dieselbe b l e i b t 1 1 6 a ) . Es +ist aber nur die erstere Differenz, welche die Produktionskosten der Waare +für den Kapitalisten selbst bestimmt und ihn durch die Zwangsgesetze der +Konkurrenz beeinflußt. Es werden daher heute Maschinen in England er- +funden, die nur in Nordamerika angewandt werden, wie Deutschland im +16. und 17. Jahrhundert Maschinen erfand, die nur Holland anwandte, und +wie manche französische Erfindung des 18. Jahrhunderts nur in England +ausgebeutet ward. Die Maschine selbst producirt in älter entwickelten Län- +dern durch ihre Anwendung auf einige Geschäftszweige in andren Zweigen +solchen Arbeitsüberfluß (redundancy of labour, sagt Ricardo), daß hier der +Fall des Arbeitslohns unter den Werth der Arbeitskraft den Gebrauch der +Maschinerie verhindert und ihn vom Standpunkt des Kapitals, dessen Ge- +30 winn ohnehin aus der Vermindrung nicht der angewandten, sondern der +bezahlten Arbeit entspringt, überflüssig, oft unmöglich macht. In einigen +Zweigen der englischen Wollmanufaktur ist während der letzten Jahre die +Kinderarbeit sehr vermindert, hier und da fast verdrängt worden. Warum? +Der Fabrikakt ernöthigte eine doppelte Kinderreihe, von denen je eine 6, +35 die andre 4 Stunden, oder jede nur 5 Stunden arbeitet. Die Eltern wollten +aber die half-times (Halbzeitler) nicht wohlfeiler verkaufen als früher die +full-times (Vollzeitler). Daher Ersetzung der half-times durch Maschine- + +25 + +20 + +1 1 6 ) "These mute agents (die Maschinen) are always the produce of much less labour than +that which they displace, even when they are of the same money value." (Ricardo I.e. p. 40.) +1 1 6 a ) Note zur 2. Ausgabe. In einer kommunistischen Gesellschaft hätte daher die Maschine- +rie einen ganz andren Spielraum als in der bürgerlichen Gesellschaft. + +40 + +353 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +r i e 1 1 7 ) . Vor dem Verbot der Arbeit von Weibern und ||358| Kindern (unter +10 Jahren) in Minen fand das Kapital die Methode, nackte Weiber und +Mädchen, oft mit Männern zusammengebunden in Kohlen- und andren +Minen zu vernutzen, so übereinstimmend mit seinem Moralkodex und na- +mentlich auch seinem Hauptbuch, daß es erst nach dem Verbot zur Ma- +schinerie griff. Die Yankees haben Maschinen zum Steinklopfen erfunden. +Die Engländer wenden sie nicht an, weil der „Elende" („wretch" ist Kunst- +ausdruck der englischen politischen Oekonomie für den Agrikultur arbei- +ter), der diese Arbeit verrichtet, einen so geringen Theil seiner Arbeit be- +zahlt erhält, daß Maschinerie die Produktion für den Kapitalisten 10 +vertheuern würde 1 1 8). In England werden gelegentlich statt der Pferde im- +mer noch Weiber zum Ziehn u.s.w. bei den Kanalbooten verwandt 1 1 9), weil +die zur Produktion von Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein ma- +thematisch gegebenes Quantum, die zur Erhaltung von Weibern der Sur- +pluspopulation dagegen unter aller Berechnung steht. Man findet daher 15 +nirgendwo schamlosere Verschwendung von Menschenkraft für Lumpe- +reien, als gerade in England, dem Land der Maschinen. + +5 + +3. Nächste Wirkungen des maschinenmäßigen Betriebs +auf den Arbeiter. + +Den Ausgangspunkt der großen Industrie bildet, wie gezeigt, die Révolu- 20 +tion des Arbeitsmittels, und das umgewälzte Arbeitsmittel erhält seine +meist entwickelte Gestalt im gegliederten Maschinensystem der Fabrik. +Bevor wir zusehn, wie diesem objektiven Organismus Menschenmaterial +einverleibt wird, betrachten wir einige allgemeine Rückwirkungen jener +Revolution auf den Arbeiter selbst. + +25 + +1 1 7 ) ,,Employers of labour would not unnecessarily retain two sets of children under thir- +teen ... In fact one class of manufacturers, the spinners of woollen yarn, now rarely employ +children under thirteen years of ages, i.e. half-times. They have introduced improved and new +machinery of various kinds which altogether supersedes the employment of children (d.h. un- +ter 13 J.); f. i.: I will mention one process as an illustration of this diminution in the number of 30 +children, wherein, by the addition of an apparatus, called a piecing machine, to existing ma- +chines, the work of six or four half-times, according to the peculiarity of each machine, can be +performed by one young person (über 13 J.) ... the half-time system" stimulirte ,,the invention +of the piecing machine". („Reports of Insp. of Fact, for 31 st Oct. 1858".) +us) "Machinery ... can frequently not be employed until labour (er meint wages) rises." (Ri- 35 +cardo 1. c. p. 479.) +1 1 9 ) Sieh „Report of the Social Science Congress at Edinburgh. October 1863". + +354 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +a) Aneignung zuschüssiger Arbeitskräfte durch das Kapital. +Weiber- und Kinderarbeit. + +Sofern die Maschinerie Muskelkraft entbehrlich macht, wird sie zum Mit- +tel, Arbeiter ohne Muskelkraft oder von unreifer Körper113 591entwicklung +5 aber größrer Geschmeidigkeit der Glieder anzuwenden. Weiber- und Kin- +derarbeit war daher das erste Wort der kapitalistischen Anwendung der +Maschinerie! Dieß gewaltige Ersatzmittel von Arbeit und Arbeitern ver- +wandelte sich damit sofort in ein Mittel, die Zahl der Lohnarbeiter zu ver- +mehren durch Einreihung aller Mitglieder der Arbeiterfamilie, ohne Unter- +10 schied von Geschlecht und Alter, unter die unmittelbare Botmäßigkeit des +Kapitals. Die Zwangsarbeit für den Kapitalisten usurp irte nicht nur die +Stelle des Kinderspiels, sondern auch der freien Arbeit im häuslichen +Kreis, innerhalb sittlicher Schranke, für die Familie selbst 1 2 0). + +15 + +Der Werth der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur Erhal- +tung des individuellen erwachsnen Arbeiters, sondern durch die zur Erhal- +tung der Arbeiterfamilie nöthige Arbeitszeit. Indem die Maschinerie alle +Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, vertheilt sie den +Werth der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwer- +thet daher seine Arbeitskraft. Der Ankauf der in 4 Arbeitskräfte z . B . par- +20 cellirten Familie kostet vielleicht mehr als früher der Ankauf der Arbeits- +kraft des Familienhaupts, aber dafür treten 4 Arbeitstage an die Stelle von +Einem, und ihr Preis fällt im Verhältniß zum Ueberschuß der Mehrarbeit +der Vier über die Mehrarbeit des Einen. Vier müssen nun nicht nur Arbeit, +sondern Mehrarbeit für das Kapital liefern, damit eine Familie lebe. So er- +25 weitert die Maschinerie von vorn herein mit dem menschlichen Exploita- +tionsmaterial, dem eigensten Ausbeutungsfeld des Kapitals 1 2 1), zugleich +den Exploitationsgrad. | + +1 2 0 ) Dr. Edward Smith wurde während der den amerikanischen Bürgerkrieg begleitenden +Baumwollkrise von der englischen Regierung nach Lancashire, Cheshire u.s.w. geschickt, zur +30 Berichterstattung über den Gesundheitszustand der Baumwollarbeiter. Er berichtet u. a.: Hy- +gienisch habe die Krise, abgesehn von der Verbannung der Arbeiter aus der Fabrikatmosphä- +re, vielerlei andre Vortheile. Die Arbeiterfrauen fänden jetzt die nöthige Muße, ihren Kindern +die Brust zu reichen, statt sie mit Godfrey's Cordial (einem Opiat) zu vergiften. Sie hätten die +Zeit gewonnen, kochen zu lernen. Unglücklicher Weise fiel diese Kochkunst in einen Augen- +35 blick, wo sie nichts zu essen hatten. Aber man sieht, wie das Kapital die für die Konsumtion +nöthige Familienarbeit usurpirt hat zu seiner Selbstverwerthung. Ebenso wurde die Krise be- +nutzt, um in eignen Schulen die Töchter der Arbeiter nähen zu lehren. Eine amerikanische +Revolution und eine Weltkrise erheischt, damit die Arbeitermädchen, die für die ganze Welt +spinnen, nähen lernen! +m) "The numerical increase of labourers has been great, through the growing substitution of +female for male, and above all of childish for adult, labour. Three girls of 13, at wages from of +6 sh. to 8 sh. a week, have replaced the one man of mature age, of wages varying from 18 sh. to + +40 + +355 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +|360| Sie revolutionirt ebenso von Grund aus die formelle Vermittlung + +des Kapitalverhältnisses, den Kontrakt zwischen Arbeiter und Kapitalist. + +Auf Grundlage des Warenaustausches war es erste Voraussetzung, daß + +sich Kapitalist und Arbeiter als freie Personen, als unabhängige Waarenbe- + +sitzer, der eine Besitzer von Geld und Produktionsmitteln, der andre Besit- + +5 + +zer von Arbeitskraft, gegenübertraten. Aber jetzt kauft das Kapital Unmün- + +dige oder Halbmündige. Der Arbeiter verkaufte + +früher seine eigne + +Arbeitskraft, worüber er als formell freie Person verfügte. Er verkauft jetzt + +Weib und Kind. Er wird Sklavenhändler 1 2 2). Die Nachfrage nach Kinderar- + +beit gleicht oft auch in der Form der Nachfrage nach Negersklaven, wie 10 + +man sie + +in amerikanischen Zeitungsinseraten zu + +lesen gewohnt war. + +„Meine Aufmerksamkeit", sagt z.B. ein englischer Fabrikinspektor, „wurde + +gelenkt auf eine Annonce in dem Lokalblatt einer der bedeutendsten Ma- + +nufakturstädte meines Distrikts, wovon Folgendes die Kopie: Gebraucht 12 + +bis 20 Jungen, nicht jünger als was für 13 Jahre passiren kann. Lohn 4 sh. 15 + +per ||361| Woche. Anzufragen e t c . " 1 2 3 ) . Die Phrase „was für 13 Jahre passi- + +ren kann" bezieht sich darauf, daß nach dem Factory Act Kinder unter + +13 Jahren nur 6 Stunden arbeiten dürfen. Ein amtlich qualificirter Arzt + +(certifying surgeon) muß das Alter bescheinigen. Der Fabrikant verlangt + +also Jungen, die so aussehn, als ob sie schon dreizehnjährig. Die manch- 20 + +mal sprungweise Abnahme in der Anzahl der von Fabrikanten beschäftig- + +45 sh." (Th. de Quincey: „The Logic of Politic. Econ. Lond. 1844", Note zu p.147.) Da gewisse +Funktionen der Familie, z.B. Warten und Säugen der Kinder u.s.w., nicht ganz unterdrückt +werden können, müssen die vom Kapital konfìscirten Familienmütter mehr oder minder +Steilvertreter dingen. Die Arbeiten, welche der Familienkonsum erheischt, wie Nähen, Flik- 25 +ken u. s.w., müssen durch Kauf fertiger Waaren ersetzt werden. Der verminderten Ausgabe +von häuslicher Arbeit entspricht also vermehrte Geldausgabe. Die Produktionskosten der Ar- +beiterfamilie wachsen daher und gleichen die Mehreinnahme aus. Es kommt hinzu, daß Oe- +konomie und Zweckmäßigkeit in Vernutzung und Bereitung der Lebensmittel unmöglich +werden. Ueber diese von der officiellen politischen Oekonomie verheimlichten Thatsachen 30 +findet man reichliches Material in den „Reports" der Fabrikinspektoren, der ,,Children's Em- +ployment Commission" und namentlich auch den „Reports on Public Health". +1 2 2 ) Im Kontrast zur großen Thatsache, daß die Beschränkung der Weiber- und Kinderarbeit +in den englischen Fabriken von den erwachsnen männlichen Arbeitern dem Kapital aber- +obert wurde, findet man noch in den jüngsten Berichten der ,,Children's Employment Com- 35 +mission" wahrhaft empörende und durchaus sklavenhändlerische Züge der Arbeitereltern mit +Bezug auf den Kinderschacher. Der kapitalistische Pharisäer aber, wie man aus denselben +„Reports" sehn kann, denuncirt diese von ihm selbst geschaffne, verewigte und exploitirte Be- +stialität, die er sonst „Freiheit der Arbeit" tauft. "Infant labour has been called into aid ... +even to work for their own daily bread. Without strength to endure such disproportionate toil, 40 +without instruction to guide their future life, they have been thrown into a situation physically +and morally polluted. The Jewish historian has remarked upon the overthrow of Jerusalem by +Titus, that it was no wonder it should have been destroyed, with such a signal destruction, +when an inhuman mother sacrificed her own offspring to satisfy the cravings of absolute hun- +ger." „Public Economy Concentrated. Carlisle 1833", p. 66. +1 2 3 ) A.Redgrave in „Reports of Insp. of Fact, for 31st October 1858", p.41. + +45 + +356 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +ten Kinder unter 13 Jahren, überraschend in der englischen Statistik der +letzten 20 Jahre, war nach Aussage der Fabrikinspektoren selbst großen- +theils das Werk von certifying surgeons, welche das Kindesalter der Exploi- +tationslust der Kapitalisten und dem Schacherbedürfniß der Eltern gemäß +5 verschoben. In dem berüchtigten Londoner Distrikt von Bethnal Green +wird jeden Montag und Dienstag Morgen offner Markt gehalten, worin +Kinder beiderlei Geschlechts vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner +Seidenmanufakturen vermiethen. „Die gewöhnlichen Bedingungen sind +1 sh. 8 d. die Woche (die den Eltern gehören) und 2 d. für mich selbst nebst +10 Thee." Die Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Scenen und die Spra- +che während der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend 1 2 4). Es +kommt immer noch in England vor, daß Weiber „Jungen vom Workhouse +nehmen und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich ver- +miethen" 1 2 5 ) . Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens +15 2000 Jungen in Großbritannien als lebendige Schornsteinfegermaschinen +(obgleich Maschinen zu ihrem Ersatz existiren) von ihren eignen Eltern +verkauft 1 2 6). Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im Rechtsver- +hältniß zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so daß die ganze +Transaktion selbst den Schein eines Kontrakts zwischen freien Personen +20 verliert, bot dem englischen Parlament später den juristischen Entschuldi- +gungsgrund für Staatseinmischung in das Fabrikwesen. So oft das Fabrik- +gesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Industriezweigen auf +6 Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikantenjammer: ein Theil +der Eltern entziehe die Kinder nun der gemaßregelten Industrie, um sie in +25 solche zu verkaufen, wo noch „Freiheit der Arbeit" herrscht, d. h. wo | +13621 Kinder unter 13 Jahren gezwungen werden, wie Erwachsne zu arbei- +ten, also auch theurer loszuschlagen sind. Da aber das Kapital von Natur +ein leveller ist, d. h. in allen Produktionssphären Gleichheit der Exploita- +tionsbedingungen der Arbeit als sein angebornes Menschenrecht verlangt, +30 wird die legale Beschränkung der Kinderarbeit in einem Industriezweig Ur- + +sache ihrer Beschränkung in dem andren. + +Bereits früher wurde der physische Verderb der Kinder und jungen Per- +sonen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschinerie erst di- +rekt in den auf ihrer Grundlage aufschießenden Fabriken und dann indi- +rekt in allen übrigen Industriezweigen der Exploitation des Kapitals +unterwirft. Hier verweilen wir daher nur bei einem Punkt, der ungeheuren +Sterblichkeit von Arbeiterkindern in ihren ersten Lebensjahren. In Eng- + +35 + +1 2 4 ) ,,Children's Employment Commission. V. Report. London 1866", p. 81, η. 31. (Zur +4. Aufl. (cid:5) Die Seidenindustrie von Bethnal Green ist jetzt fast vernichtet. (cid:5) D.H.] + +40 1 2 5 ) ,,Child. Employm. Comm. III. Report. Lond. 1864", p.53, n. 15. + +1 2 6 ) 1. e. V. Report, p.XXII, n. 137. + +357 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +land giebt es 16 Registrations-Distrikte, wo im jährlichen Durchschnitt auf +1 0 0 0 0 0 lebende Kinder unter einem Jahr nur 9085 Todesfälle (in einem +Distrikt nur 7047) kommen, in 24 Distrikten über 10 000, aber unter +1 1 0 0 0 , in 39 Distrikten über 1 1 0 0 0 , aber unter 12 000, in 48 Distrikten +über 12 000, aber unter 13 000, in 22 Distrikten über 20 000, in 25 Distrik- 5 +ten über 2 1 0 0 0 , in 17 über 22 000, in 11 über 23 000, in Hoo, Wolverhamp- +ton, Ashton-under-Lyne und Preston über 24 000, in Nottingham, Stock- +port und Bradford über 2 5 0 0 0 , in Wisbeach 2 6 0 0 1 und in Manchester +26 1 2 5 1 2 7 ) . Wie eine officielle ärztliche Untersuchung im Jahre 1861 nach- +wies, sind, von Lokalumständen abgesehn, die hohen Sterblichkeitsraten 10 +vorzugsweise der außerhäuslichen Beschäftigung der Mütter geschuldet +und der daher entspringenden Vernachlässigung und Mißhandlung der +Kinder, u. a. unpassender Nahrung, Mangel an Nahrung, Fütterung mit +Opiaten u.s.w., dazu die unnatürliche Entfremdung der Mütter gegen ihre +Kinder, im Gefolge davon absichtliche Aushungerung und Vergiftung 1 2 8). 15 +In solchen Agrikulturdistrikten, „wo ein Minimum weiblicher Beschäfti- +gung existirt, ist dagegen die Sterblichkeitsrate am niedrigsten" 1 2 9). Die +Untersuchungskommission von 1861 ergab jedoch das unerwartete Resul- +tat, daß 113631 in einigen an der Nordsee gelegnen rein ackerbauenden Di- +strikten die Sterblichkeitsrate von Kindern unter einem Jahr fast die der 20 +verrufensten Fabrikdistrikte erreicht. Dr. Julian Hunter wurde daher beauf- +tragt, dieß Phänomen an Ort und Stelle zu erforschen. Sein Bericht ist dem +„VI. Report on Public Health" einverleibt 1 3 0). Man hatte bisher vermuthet, +Malaria und andre, niedrig gelegnen und sumpfigen Landstrichen eigen- +thümliche Krankheiten decimirten die Kinder. Die Untersuchung ergab das 25 +grade Gegentheil, nämlich, „daß dieselbe Ursache, welche die Malaria ver- +trieb, nämlich die Verwandlung des Bodens aus Morast im Winter und +dürftiger Weide im Sommer in fruchtbares Kornland, die außerordentliche +Todesrate der Säuglinge s c h u f " 1 3 1 ) . Die 70 ärztlichen Praktiker, die Dr. +Hunter in jenen Distrikten verhörte, waren „wunderbar einstimmig" über 30 +diesen Punkt. Mit der Revolution der Bodenkultur wurde nämlich das in- +dustrielle System eingeführt. „Verheirathete Weiber, die in Banden mit +Mädchen und Jungen zusammen arbeiten, werden dem Pächter von einem + +1 2 7 ) ,,Sixth Report on Public Health. Lond. 1864", p. 34. +128) «it (the inquiry of 1861) .... showed, moreover, that while, with the described circum- 35 +stances, infants perish under the neglect and mismanagement which their mothers' occupa- +tions imply, the mothers become to a grievous extent denaturalized towards their offspring - +commonly not troubling themselves much at the death, and even sometimes ... taking direct +measures to ensure it." (1. c.) +1 2 9 ) I.e. p.454. +1 3°) I.e. p. 454-462. „Report by Dr. Henry Julian Hunter on the excessive mortality of infants +in some rural districts of England." +m) I.e. p.35 u. p.455, 456. + +40 + +358 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +5 + +Manne, welcher der ,Gangmeister' heißt und die Banden im Ganzen mie- +thet, für eine bestimmte Summe zur Verfügung gestellt. Diese Banden +wandern oft viele Meilen von ihren Dörfern weg, man trifft sie Morgens +und Abends auf den Landstraßen, die Weiber bekleidet mit kurzen Unter- +rocken und entsprechenden Röcken und Stiefeln und manchmal Hosen, +sehr kräftig und gesund von Aussehn, aber verdorben durch gewohnheits- +mäßige Liederlichkeit und rücksichtslos gegen die unheilvollen Folgen, +welche ihre Vorliebe für diese thätige und unabhängige Lebensart auf ihre +Sprößlinge wälzt, die zu Haus verkümmern" 1 3 2). Alle Phänomene der Fa- +10 brikdistrikte reproduciren sich hier, in noch höherm Grad versteckter Kin- +dermord und Behandlung der Kinder mit Opiaten 1 3 3). „Meine Kenntniß +der von ihr erzeugten Uebel", sagt Dr. Simon, der ärztliche Beamte des +englischen Privy Council und Redakteur en chef der Berichte über „Public +Health", „muß den tiefen Abscheu entschuldigen, ||364| womit ich jede +15 umfassende industrielle Beschäftigung erwachsner Weiber betrachte" 1 3 4). +„Es wird", ruft Fabrikinspektor R. Baker in einem offîciellen Bericht aus, +„es wird in der That ein Glück für die Manufakturdistrikte Englands sein, +wenn jeder verheiratheten Frau, die Familie hat, verboten wird, in irgend +einer Fabrik zu arbeiten" 1 3 5). + +20 + +Die aus der kapitalistischen Exploitation der Weiber- und Kinderarbeit +entspringende moralische Verkümmrung ist von F. Engels in seiner „Lage +der arbeitenden Klasse Englands" und von andren Schriftstellern so er- +schöpfend dargestellt worden, daß ich hier nur daran erinnere. Die intellek- +tuelle Verödung aber, künstlich producirt durch die Verwandlung unreifer +25 Menschen in bloße Maschinen zur Fabrikation von Mehrwerth, und sehr +zu unterscheiden von jener naturwüchsigen Unwissenheit, welche den +Geist in Brache legt ohne Verderb seiner Entwicklungsfähigkeit, seiner na- +türlichen Fruchtbarkeit selbst, zwang endlich sogar das englische Parla- +ment in allen dem Fabrikgesetz unterworfnen Industrien, den Elementar- +30 Unterricht zur gesetzlichen Bedingung für den „produktiven" Verbrauch +von Kindern unter 14 Jahren zu machen. Der Geist der kapitalistischen +Produktion leuchtete hell aus der liederlichen Redaktion der sog. Erzie- +hungsklauseln der Fabrikakte, aus dem Mangel administrativer Maschine- + +35 + +1 3 2 ) I.e. p.456. +1 3 3 ) Wie in den englischen Fabrikdistrikten, so dehnt sich auch in den Agrikulturdistrikten +der Opiumkonsum unter den erwachsnen Arbeitern und Arbeiterinnen täglich aus. "To push +the sale of opiate ... is the great aim of some enterprising wholesale merchants. By druggists it +is considered the leading article." (I.e. p.459.) Säuglinge, die Opiate empfingen, „verrumpel- +ten in kleine alte Männchen oder verschrumpften zu kleinen Affen". (I.e. p.460.) Man sieht, + +40 wie Indien und China sich an England rächen. + +1 3 4 ) 1. c. p. 37. +1 3 5 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 59. Dieser Fabrikinspektor war früher +Arzt. + +359 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +rie, wodurch dieser Zwangsunterricht großenteils wieder illusorisch wird, +aus der Fabrikantenopposition selbst gegen dieß Unterrichtsgesetz und aus +ihren praktischen Kniffen und Schlichen zu seiner Umgehung. „Die Ge- +setzgebung allein ist zu tadeln, weil sie ein Truggesetz (delusive law) erlas- +sen hat, das unter dem Schein, für die Erziehung der Kinder zu sorgen, +keine einzige Bestimmung enthält, wodurch dieser vorgeschützte Zweck +gesichert werden kann. Es bestimmt nichts, außer daß die Kinder für eine +bestimmte Stundenzahl (3 Stunden) per Tag innerhalb der vier Wände +eines Platzes, Schule benamst, eingeschlossen werden sollen, und daß der +Anwender des Kindes hierüber wöchentlich ein Certifikat von einer Person 10 +erhalten muß, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin mit ihrem Na- +men unterzeichnet" 1 3 6). Vor dem Erlaß des amendirten Fabrikakts von +1844 waren Schulbesuchscertifikate nicht selten, die von Schul||365|mei- +ster oder Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre +selbst nicht schreiben konnten. „Beim Besuch, den ich einer solchen Certi- 15 +fïkate ausstellenden Schule abstattete, war ich so betroffen von der Unwis- +senheit des Schulmeisters, daß ich zu ihm sagte: ,Bitte, mein Herr, können +Sie lesen?' Seine Antwort war: ,Ih jeh, Ebbes (summat).' Zu seiner Recht- +fertigung fügte er hinzu: ,Jedenfalls stehe ich vor meinen Schülern/ Wäh- +rend der Vorbereitung des Akts von 1844 denuncirten die Fabrikinspekto- 20 +ren den schmählichen Zustand der Plätze, Schulen benamst, deren +Certifikate sie als zu Gesetz vollgültig zulassen mußten. Alles was sie +durchsetzten, war, daß seit 1844 die Zahlen im Schulcertifikat in der +Handschrift des Schulmeisters ausgefüllt, ditto sein Vor- und Zuname von +ihm selbst unterschrieben sein müssen" 1 3 7). Sir John Kincaid, Fabrikin- 25 +spektor für Schottland, erzählt von ähnlichen amtlichen Erfahrungen. „Die +erste Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann Killin gehalten. +Auf meine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabiren, machte sie gleich +einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C begann, aber sich sofort +korrigirend sagte, ihr Name fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unterschrift 30 +in den Schulcertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, daß sie ihn verschie- +denartig buchstabirte, während die Handschrift keinen Zweifel über ihre +Lehrunfähigkeit ließ. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Register nicht +führen . . . I n einer zweiten Schule fand ich das Schulzimmer 15 Fuß lang +und 10 Fuß breit und zählte in diesem Raum 75 Kinder, die etwas Unver- 35 +ständliches herquiekten" 1 3 8). „Es sind jedoch nicht nur solche Jammerhöh- +len, worin die Kinder Schulcertifikate, aber keinen Unterricht erhalten, +denn in vielen Schulen, wo der Lehrer kompetent ist, scheitern seine B e - + +1 3 6 ) Leonard Horner in „Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1857", p. 17. +1 3 7 ) id. in „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855", p. 18, 19. +1 3 8 ) Sir John Kincaid in „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1858", p. 31, 32. + +40 + +360 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +mühungen fast ganz an dem sinnverwirrenden Knäuel von Kindern aller +Alter, aufwärts von Dreijährigen. Sein Auskommen, elend im besten Fall, +hängt ganz von der Zahl der Pence ab, empfangen von der größten Anzahl +Kinder, die es möglich ist in ein Zimmer zu stopfen. Dazu kommt spärli- +5 che Schulmöblirung, Mangel an Büchern und andrem Lehrmaterial, und +die niederschlagende Wirkung einer benauten und ekelhaften Luft auf die +armen Kinder selbst. Ich war in vielen solchen Schulen, wo ich ganze Rei- +hen Kinder sah, die absolut nichts thaten; und dieß wird als Schulbesuch +bescheinigt, und solche ||366| Kinder figuriren in der officiellen Statistik +10 als erzogen (educated)" 1 3 9). In Schottland suchen die Fabrikanten dem +Schulbesuch unterworfne Kinder möglichst auszuschließen. „Dieß genügt, +um die große Mißgunst der Fabrikanten gegen die Erziehungsklauseln zu +beweisen" 1 4 ° ) . Grotesk-entsetzlich erscheint dieß in den Kattun- u. s.w. +Druckereien, die durch ein eignes Fabrikgesetz geregelt sind. Nach den Be- +15 Stimmungen des Gesetzes „muß jedes Kind, bevor es in einer solchen +Druckerei beschäftigt wird, Schule besucht haben für mindestens 30 Tage +und nicht weniger als 150 Stunden während der 6 Monate, die dem ersten +Tag seiner Beschäftigung unmittelbar vorhergehn. Während der Fortdauer +seiner Beschäftigung in der Druckerei muß es Schule besuchen ebenfalls +für eine Periode von 30 Tagen und 150 Stunden während jeder Wechselpe- +riode von 6 Monaten ... Der Schulbesuch muß zwischen 8 Uhr Morgens +und 6 Uhr Nachmittags stattfinden. Kein Besuch von weniger als 2l/2 oder +mehr als 5 Stunden an demselben Tag soll als Theil der 150 Stunden ge- +zählt werden. Unter gewöhnlichen Umständen besuchen die Kinder die +25 Schule Vormittags und Nachmittags für 30 Tage, 5 Stunden per Tag, und +nach Ablauf der 30 Tage, wenn die statutenmäßige Gesammtsumme von +150 Stunden erreicht ist, wenn sie, in ihrer eignen Sprache zu reden, ihr +Buch abgemacht haben, kehren sie zur Druckerei zurück, wo sie wieder +6 Monate bleiben, bis ein andrer Abschlagstermin des Schulbesuchs fällig +30 wird, und dann bleiben sie wieder in der Schule, bis das Buch wieder abge- +macht ist. ... Sehr viele Jungen, welche die Schule während der vorschrifts- +mäßigen 150 Stunden besuchen, sind bei ihrer Rückkehr aus dem sechs- +monatlichen Aufenthalt in der Druckerei grade so weit wie im Anfang ... +Sie haben natürlich alles wieder verloren, was sie durch den früheren +35 Schulbesuch gewonnen hatten. In andren Kattundruckereien wird der +Schulbesuch ganz und gar abhängig gemacht von den Geschäftsbedürfnis- +sen der Fabrik. Die erforderliche Stundenzahl wird vollgemacht während +jeder sechsmonatlichen Periode durch Abschlagszahlungen von 3 bis +5 Stunden auf einmal, die vielleicht über 6 Monate zerstreut sind. Z . B . an + +20 + +40 + +1 3 9 ) Leonard Horner in „Reports etc. for 30th Apr. 1857", p. 17, 18. +1 4 0 ) Sir J. Kincaid, Rep. Insp. Fact. 31st Oct. 1856, p. 66. + +361 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +einem Tage wird die Schule besucht von 8 bis 11 Uhr Morgens, an einem +andren Tage von 1 bis 4 Uhr Nachmittags, und nachdem das Kind dann +wieder für eine Reihe Tage weggeblieben, kommt es plötzlich wieder von 3 +bis 6 Uhr Nachmittags; dann erscheint es viel||367|leicht für 3 oder 4 Tage +hintereinander, oder für eine Woche, verschwindet dann wieder für 3 Wo- +chen oder einen ganzen Monat und kehrt zurück an einigen Abfallstagen +für einige Sparstunden, wenn seine Anwender seiner zufällig nicht bedür- +fen; und so wird das Kind so zu sagen hin und her gepufft (buffeted) von +der Schule in die Fabrik, von der Fabrik in die Schule, bis die Summe der +150 Stunden abgezählt i s t " 1 4 1 ) . Durch den überwiegenden Zusatz von Kin- 1Q +dem und Weibern zum kombinirten Arbeitspersonal bricht die Maschine- +rie endlich den Widerstand, den der männliche Arbeiter in der Manufaktur +der Despotie des Kapitals noch entgegensetzte 1 4 2). + +5 + +b) Verlängrung des Arbeitstags. + +Wenn die Maschinerie das gewaltigste Mittel ist, die Produktivität der Ar- 15 +beit zu steigern, d. h. die zur Produktion einer Waare nöthige Arbeitszeit +zu verkürzen, wird sie als Träger des Kapitals zunächst in den unmittelbar +von ihr ergriffnen Industrien zum gewaltigsten Mittel, den Arbeitstag über +jede naturgemäße Schranke hinaus zu verlängern. Sie schafft einerseits +neue Bedingungen, welche das Kapital befähigen, dieser seiner beständi- 20 +gen Tendenz die Zügel frei schießen zu lassen, andrerseits neue Motive zur +Wetzung seines Heißhungers nach fremder Arbeit. + +Zunächst verselbständigt sich in der Maschinerie die Bewegung und +Werkthätigkeit des Arbeitsmittels gegenüber dem Arbeiter. Es wird an und + +1 4 1 ) A. Redgrave in „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1857", p. 41-43. In den englischen 25 +Industriezweigen, wo der eigentliche Fabrikakt (nicht der zuletzt im Text angeführte Print. +Work's Act) seit längerer Zeit herrscht, sind die Hindernisse gegen die Erziehungsklauseln in +den letzten Jahren einigermaßen überwältigt worden. In den nicht dem Fabrikgesetz unter- +worfenen Industrien herrschen noch sehr die Ansichten des Glasfabrikanten J. Geddes, der +den Untersuchungskommissär White dahin belehrt: „So viel ich sehn kann, ist das größre 30 +Quantum Erziehung, welches ein Theil der Arbeiterklasse seit den letzten Jahren genoß, vom +Uebel. Es ist gefährlich, indem es sie zu unabhängig macht." (,,Children's Empi. Commission. +IV. Report. London 1865", p. 253.) +1 4 2 ) „Herr E., ein Fabrikant, unterrichtete mich, daß er ausschließlich Weiber bei seinen me- +chanischen Webstühlen beschäftigt; er gebe verheiratheten Weibern den Vorzug, besonders +solchen mit Familie zu Hause, die von ihnen für den Unterhalt abhängt; sie sind viel auf- +merksamer und gelehriger als unverheirathete und zur äußersten Anstrengung ihrer Kräfte ge- +zwungen, um die nothwendigen Lebensmittel beizuschaffen. So werden die Tugenden, die ei- +genthümlichen Tugenden des weiblichen Charakters, zu seinem Schaden verkehrt, - so wird +alles Sittliche und Zarte ihrer Natur zum Mittel ihrer Sklaverei und ihres Leidens gemacht." 40 +(„Ten Hours' Factory Bill. The Speech of Lord Ashley, 15th March. Lond. 1844", p. 20.) + +35 + +362 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +für sich ein industrielles Perpetuum mobile, das ununterbrochen fortpro- +duciren würde, stieße es nicht auf gewisse ||368| Naturschranken in seinen +menschlichen Gehülfen: ihre Körperschwäche und ihren Eigenwillen. Als +Kapital, und als solches besitzt der Automat im Kapitalisten Bewußtsein +5 und Willen, ist es daher mit dem Trieb begeistet, die widerstrebende, aber +elastische menschliche Naturschranke auf den Minimalwiderstand einzu- +zwängen 1 4 3). Dieser ist ohnehin vermindert durch die scheinbare Leichtig- +keit der Arbeit an der Maschine und das füg- und biegsamere Weiber- und +Kinderelement 1 4 4). + +10 + +15 + +Die Produktivität der Maschinerie steht, wie wir sahen, in umgekehrtem +Verhältniß zur Größe des von ihr auf das Machwerk übertragnen Werthbe- +standtheils. Je länger die Periode, worin sie funktionirt, desto größer die +Produktenmasse, worüber sich der von ihr zugesetzte Werth vertheilt, und +desto kleiner der Werththeil, den sie der einzelnen Waare zufügt. Die ak- +tive Lebensperiode der Maschinerie ist aber offenbar bestimmt durch die +Länge des Arbeitstags oder die Dauer des täglichen Arbeitsprocesses, mul- +tiplicirt mit der Anzahl Tage, worin er sich wiederholt. + +Der Maschinenverschleiß entspricht keineswegs exakt mathematisch +ihrer Benutzungszeit. Und selbst dieß vorausgesetzt, umfaßt eine Ma- +schine, die während ll/2 Jahren täglich 16 Stunden dient, eine ebenso große +Produktionsperiode und setzt dem Gesammtprodukt nicht mehr Werth zu +als dieselbe Maschine, die während 15 Jahren nur 8 Stunden täglich dient. +Im erstren Fall aber wäre der Maschinenwerth doppelt so rasch reproducirt +als im ||369| letztren und der Kapitalist hätte vermittelst derselben in +I1Z1 Jahren so viel Mehrarbeit eingeschluckt als sonst in 15. + +20 + +25 + +Der materielle Verschleiß der Maschine ist doppelt. Der eine entspringt +aus ihrem Gebrauch, wie Geldstücke durch Cirkulation verschleißen, der + +1 4 3 ) "Since the general introduction of expensive machinery, human nature has been forced +far beyond its average strength." (Robert Owen: ,,Observations on the effects of the manufac- + +30 turing system. 2nd ed. London 1817" [p. 16.]) + +1 4 4 ) Die Engländer, die gern die erste empirische Erscheinungsform einer Sache als ihren +Grund betrachten, geben oft den großen herodischen Kinderraub, den das Kapital in den An- +fängen des Fabriksystems an den Armen- und Waisenhäusern verübte und wodurch es sich +ein ganz willenloses Menschenmaterial einverleibte, als Grund der langen Arbeitszeit in den +35 Fabriken an. So z.B. Fielden, selbst englischer Fabrikant: "It is evident that the long hours of +work were brought about by the circumstance of so great a number of destitute children being +supplied from different parts of the country, that the masters were independent of the hands, +and that, having once established the custom by means of the miserable materials they had +procured in this way, they could impose it on their neighbours with the greater facility." +40 (J. Fielden: ,,The Curse of the Factory System. Lond. 1836", p. 11.) Mit Bezug auf Weiberar- +beit sagt Fabrikinspektor Saunders im Fabrikbericht von 1843: „Unter den Arbeiterinnen +giebt es Frauen, die hinter einander für viele Wochen, mit Ausfall nur weniger Tage, von +6 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts beschäftigt werden, mit weniger als 2 Stunden für Mahlzei- +ten, so daß ihnen für 5 Tage in der Woche von den 24 Tagesstunden nur 6 bleiben, um von + +45 und nach Haus zu gehn und im Bett auszuruhn." + +363 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +andre aus ihrem Nichtgebrauch, wie ein unthätig Schwert in der Scheide +verrostet. Es ist dieß ihr Verzehr durch die Elemente. Der Verschleiß erster +Art steht mehr oder minder in direktem Verhältniß, der letztre zu gewis- +sem Grad in umgekehrtem Verhältniß zu ihrem Gebrauch 1 4 5). + +5 + +Neben dem materiellen unterliegt die Maschine aber auch einem so zu +sagen moralischen Verschleiß. Sie verliert Tauschwerth im Maße, worin +entweder Maschinen derselben Konstruktion wohlfeiler reproducirt werden +können oder beßre Maschinen konkurrirend neben sie treten 1 4 6). In beiden +Fällen ist ihr Werth, so jung und lebenskräftig sie sonst noch sein mag, +nicht mehr bestimmt durch die thatsächlich in ihr selbst vergegenständ- 10 +lichte, sondern durch die zu ihrer eignen Reproduktion oder zur Repro- +duktion der beßren Maschine nothwendige Arbeitszeit. Sie ist daher mehr +oder minder entwerthet. Je kürzer die Periode, worin ihr Gesammtwerth re- +producirt wird, desto geringer die Gefahr des moralischen Verschleißes, +und je länger der Arbeitstag, um so kürzer jene Periode. Bei der ersten Ein- 15 +führung der Maschinerie in irgend einen Produktionszweig folgen Schlag +auf Schlag neue Methoden zu ihrer wohlfeilem Reproduktion 1 4 7), und Ver- +beßrungen, die nicht nur einzelne Theile oder Apparate, sondern ihre +ganze Konstruktion ergreifen. In ihrer ersten Lebensperiode wirkt daher +dieß besondre Motiv zur Verlängrung des Arbeitstags am akutesten 1 4 8). | + +20 + +13701 Unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebnem Ar- +beitstag erheischt Exploitation verdoppelter Arbeiteranzahl ebensowohl +Verdopplung des in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegten Theils des +konstanten Kapitals als des in Rohmaterial, Hülfsstoffen u. s. w. ausgeleg- +ten. Mit verlängertem Arbeitstag dehnt sich die Stufenleiter der Produk- 25 +tion, während der in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegte Kapital- +t e i l unverändert b l e i b t 1 4 9 ) . Nicht nur der Mehrwerth wächst daher, + +1 4 5 ) "Occasion .... injury to the delicate moving parts of metallic mechanism by inaction." +Urei.c. p.28. +1 4 6 ) Der schon früher erwähnte „Manchester Spinner" (Times, 26. Nov. 1862) zählt unter den 30 +Kosten der Maschinerie auf: "It (nämlich die ,,allowance for deterioration of machinery") is +also intended to cover the loss which is constantly arising from the superseding of machines +before they are worn out by others of a new and better construction." +1 4 7 ) „Man schätzt im Großen, daß eine einzige Maschine nach einem neuen Modell zu kon- +struiren fünfmal so viel kostet, als die Rekonstruktion derselben Maschine nach demselben 35 +Modell." (Babbage 1. c. p. 349.) +1 4 8 ) „Seit einigen Jahren sind so bedeutende und zahlreiche Verbesserungen in der Tüllfabri- +kation gemacht worden, daß eine gut erhaltne Maschine zum ursprünglichen Kostenpreis von +1200 Pfd. St. einige Jahre später zu 60 Pfd. St. verkauft wurde .... Die Verbeßrungen folgten +sich mit solcher Geschwindigkeit, daß Maschinen unvollendet in der Hand ihrer Bauer blie- 40 +ben, weil sie durch glücklichere Erfindungen bereits veraltet waren." In dieser Sturm- und +Drangperiode dehnten daher die Tüllfabrikanten bald die ursprüngliche Arbeitszeit von +8 Stunden mit doppelter Mannschaft auf 24 Stunden aus. (I.e. p.233.) +1 4 9 ) "It is self-evident, that, amid the ebbings and flowings of the market, and the alternate ex- +pansions and contractions of demand, occasions will constantly recur, in which the manufac- 45 + +364 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +5 + +sondern die zur Ausbeutung desselben nothwendigen Auslagen nehmen +ab. Zwar findet dieß auch sonst mehr oder minder bei aller Verlängrung +des Arbeitstags statt, fällt aber hier entscheidender ins Gewicht, weil der in +Arbeitsmittel verwandelte Kapitaltheil überhaupt mehr +ins Gewicht +f ä l l t 1 5 0 ) . Die Entwicklung des Maschinenbetriebs bindet nämlich einen +stets wachsenden Bestandtheil des Kapitals in eine Form, worin es einer- +seits fortwährend verwerthbar ist, andrerseits Gebrauchswerth und Tausch- +werth verliert, sobald sein Kontakt mit der lebendigen Arbeit unterbrochen +wird. „Wenn", belehrte Herr Ashworth, ein englischer Baumwollmagnat, +10 den Professor Nassau W. Senior, „wenn ein Ackersmann seinen Spaten nie- +derlegt, macht er für diese Periode ein Kapital von 18 d. nutzlos. Wenn +einer von unsren Leuten (d. h. den Fabrikarbeitern) die Fabrik verläßt, +macht er ein Kapital nutzlos, das 100 000 Pfd. St. gekostet h a t " 1 5 1 ) . Man +denke nur! Ein Kapital, das 100 000 Pfd. St. gekostet hat, auch nur für +15 einen Augenblick „nutzlos" zu machen! Es ist in der That himmelschrei- +end, daß einer unsrer Leute überhaupt jemals die Fabrik verläßt! Der +wachsende Umfang der Maschinerie macht, wie der von Ashworth belehrte +Senior ||371| einsieht, eine stets wachsende Verlängrung des Arbeitstags +„wünschenswerth" 1 5 2). + +20 + +Die Maschine producirt relativen Mehrwerth, nicht nur indem sie die +Arbeitskraft direkt entwerthet und dieselbe indirekt durch Verwohlfeile- +rung der in ihre Reproduktion eingehenden Waaren verwohlfeilert, son- +dern auch, indem sie bei ihrer ersten sporadischen Einführung die vom +Maschinenbesitzer verwandte Arbeit in potenzirte Arbeit verwandelt, den +25 gesellschaftlichen Werth des Maschinenprodukts über seinen individuellen +Werth erhöht und den Kapitalisten so befähigt, mit geringrem Werththeil + +turer may employ additional floating capital without employing additional fixed capital ... if +additional quantities of raw material can be worked up without incurring an additional ex- +pence for buildings and machinery." (R.Torrens: „On Wages and Combination. Lond. 1834", + +30 p. 64.) + +1 5 0 ) Der im Text erwähnte Umstand ist nur der Vollständigkeit wegen erwähnt, da ich erst im +Dritten Buch die Profitrate, d. h. das Verhältniß des Mehrwerths zum vorgeschoßnen Ge- +sammtkapital, behandle. +1 5 1 ) "When a labourer", said Mr. Ashworth, "lays down his spade, he renders useless, for that +35 period, a capital worth 18 d. When one of our people leaves the mill, he renders useless a capi- +tal that has cost 100 000 pounds." (Senior: „Letters on the Factory Act. Lond. 1837", p. 14.) +1 5 2 ) "The great proportion of fixed to circulating capital ... makes long hours of work desir- +able." Mit dem wachsenden Umfang der Maschinerie u. s. w. ,,the motives to long hours of +work will become greater, as the only means by which a large proportion of fixed capital can +40 be made profitable". (1. c. p. 11, 14.) „Es giebt verschiedne Auslagen bei einer Fabrik, welche +konstant bleiben, ob die Fabrik mehr oder weniger Zeit arbeite, z.B. Rente für die Baulichkei- +ten, lokale und allgemeine Steuern, Feuerversicherung, Arbeitslohn für verschiedne perma- +nente Arbeiter, Verschlechtrung der Maschinerie nebst verschiednen andern Lasten, deren +Proportion zum Profit im selben Verhältniß abnimmt, wie der Umfang der Produktion zu- + +45 nimmt." („Reports of the Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 19.) + +365 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +des Tagesprodukts den Tageswerth der Arbeitskraft zu ersetzen. Während +dieser Uebergangsperiode, worin der Maschinenbetrieb eine Art Monopol +bleibt, sind daher die Gewinne außerordentlich, und der Kapitalist sucht +diese „erste Zeit der jungen Liebe" gründlichst auszubeuten durch mög- +lichste Verlängrung des Arbeitstags. Die Größe des Gewinns wetzt den +Heißhunger nach mehr Gewinn. + +5 + +10 + +Mit der Verallgemeinerung der Maschinerie im selben Produktionszweig +sinkt der gesellschaftliche Werth des Maschinenprodukts auf seinen indivi- +duellen Werth und macht sich das Gesetz geltend, daß der Mehrwerth +nicht aus den Arbeitskräften entspringt, welche der Kapitalist durch die +Maschine ersetzt hat, sondern umgekehrt aus den Arbeitskräften, welche er +an ihr beschäftigt. Der Mehrwerth entspringt nur aus dem variablen Theil +des Kapitals, und wir sahen, daß die Masse des Mehrwerths durch zwei +Faktoren bestimmt ist, die Rate des Mehrwerths und die Anzahl der gleich- +zeitig beschäftigten Arbeiter. Bei gegebner Länge des Arbeitstags wird die 15 +Rate des Mehrwerths bestimmt durch das Verhältniß, worin der Arbeitstag +in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit zerfällt. Die Anzahl der gleichzeitig +beschäftigten Arbeiter hängt ihrerseits ab von dem Verhältniß des varia- +blen Kapitaltheils zum konstanten. Es ist nun klar, daß der Maschinenbe- +trieb, wie er immer durch Steigrung der Produktivkraft der Arbeit die +Mehrarbeit auf ||372| Kosten der nothwendigen Arbeit ausdehne, dieß Re- +sultat nur hervorbringt, indem er die Anzahl der von einem gegebnen Ka- +pital beschäftigten Arbeiter vermindert. Er verwandelt einen Theil des Ka- +pitals, der früher variabel war, d.h. sich in lebendige Arbeitskraft umsetzte, +in Maschinerie, also in konstantes Kapital, das keinen Mehrwerth produ- 25 +cirt. Es ist unmöglich, z.B. aus zwei Arbeitern so viel Mehrwerth auszu- +pressen als aus 24. Wenn jeder der 24 Arbeiter auf 12 Stunden nur eine +Stunde Mehrarbeit liefert, liefern sie zusammen 24 Stunden Mehrarbeit, +während die Gesammtarbeit der zwei Arbeiter nur 24 Stunden beträgt. Es +liegt also in der Anwendung der Maschinerie zur Produktion von Mehr- 30 +werth ein immanenter Widerspruch, indem sie von den beiden Faktoren +des Mehrwerths, den ein Kapital von gegebner Größe liefert, den einen +Faktor, die Rate des Mehrwerths, nur dadurch vergrößert, daß sie den and- +ren Faktor, die Arbeiterzahl, verkleinert. Dieser immanente Widerspruch +tritt hervor, sobald mit der Verallgemeinerung der Maschinerie in einem 35 +Industriezweig der Werth der maschinenmäßig producirten Waare zum re- +gelnden gesellschaftlichen Werth aller Waaren derselben Art wird, und es +ist dieser Widerspruch, der wiederum das Kapital, ohne daß es sich dessen +bewußt wäre 1 5 3), zur gewaltsamsten Verlängrung des Arbeitstags treibt, um + +20 + +153) Warum dieser immanente Widerspruch dem einzelnen Kapitalisten und daher auch der 40 +in seinen Anschauungen befangnen politischen Oekonomie nicht zum Bewußtsein kommt, +wird man aus den ersten Abschnitten des Dritten Buchs ersehn. + +366 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +die Abnahme in der verhältnißmäßigen Anzahl der exploitirten Arbeiter +durch Zunahme nicht nur der relativen, sondern auch der absoluten Mehr- +arbeit zu kompensiren. + +Wenn also die kapitalistische Anwendung der Maschinerie einerseits +5 neue mächtige Motive zur maßlosen Verlängrung des Arbeitstags schafft +und die Arbeitsweise selbst wie den Charakter des gesellschaftlichen Ar- +beitskörpers in einer Art umwälzt, die den Widerstand gegen diese Ten- +denz bricht, producirt sie andrerseits, teils durch Einstellung dem Kapital +früher unzugänglicher Schichten der Arbeiterklasse, theils durch Freiset- +10 zung der von der Maschine verdrängten Arbeiter, eine überflüssige Arbei- +terpopulation 1 5 4), die sich das Gesetz vom Kapital diktiren lassen muß. Da- +her das merkwürdige Phänomen +in der Geschichte der modernen +Industrie, daß die Maschine alle sittlichen und natürlichen Schranken +des ||373| Arbeitstags über den Haufen wirft. Daher das ökonomische Para- +15 doxon, daß das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit in das +unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Fa- +milie in disponible Arbeitszeit für die Verwerthung des Kapitals zu ver- +wandeln. „Wenn", träumte Aristoteles, der größte Denker des Alterthums, +„wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zu- +20 kommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von +selbst bewegten, oder die Dreifüße des Hephästos aus eignem Antrieb an +die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so +bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehülfen, noch für die Herrn +der Sklaven" 1 5 5). Und Antipatros, ein griechischer Dichter aus der Zeit des +25 Cicero, begrüßte die Erfindung der Wassermühle zum Mahlen des Getrei- +des, diese Elementarform aller produktiven Maschinerie, als Befreierin der +Sklavinnen und Herstellerin des goldnen Zeitalters! 1 5 6) „Die Heiden, ja die + +1 5 4 ) Es ist eins der großen Verdienste Ricardo's, die Maschinerie nicht nur als Produktions- +mittel von Waaren, sondern auch von „redundant population" begriffen zu haben. +1 5 5 ) F.Biese: „Die Philosophie des Aristoteles". Zweiter Band. Berlin 1842, p.408. +1 5 6 ) Ich gebe hier die Stolbergsche Uebersetzung des Gedichts, weil es ganz so wie die frühe- +ren Citate über Theilung der Arbeit den Gegensatz der antiken Anschauung zur modernen +charakterisirt. + +„Schonet der mahlenden Hand, ο Müllerinnen, und schlafet +Sanft! es verkünde der Hahn euch den Morgen umsonst! +Däo hat die Arbeit der Mädchen den Nymphen befohlen, +Und itzt hüpfen sie leicht über die Räder dahin, +Daß die erschütterten Achsen mit ihren Speichen sich wälzen, +Und im Kreise die Last drehen des wälzenden Steins. +Laßt uns leben das Leben der Väter, und laßt uns der Gaben +Arbeitslos uns freun, welche die Göttin uns schenkt." + +30 + +35 + +40 + +(„Gedichte aus dem Griechischen übersetzt von Christian Graf zu Stolberg. Hamburg + +1782". [S.312.]) + +367 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Heiden!" Sie begriffen, wie der gescheidte Bastiat entdeckt hat, und schon +vor ihm der noch klügre MacCulloch, nichts von politischer Oekonomie +und Christenthum. Sie begriffen u. a. nicht, daß die Maschine das probate- +ste Mittel zur Verlängerung des Arbeitstags ist. Sie entschuldigten etwa die +Sklaverei des Einen als Mittel zur vollen menschlichen Entwicklung des +Andren. Aber Sklaverei der Massen predigen, um einige rohe oder halbge- +bildete Parvenüs zu „eminent spinners", „extensive sausage makers" und +,,influential shoe black dealers" zu machen, dazu fehlte ihnen das speci- +fisch christliche Organ. + +c) Intensifikation der Arbeit. + +Die maßlose Verlängrung des Arbeitstags, welche die Maschinerie in der +Hand des Kapitals producirt, führt, wie wir sahen, später ||374| eine Reak- +tion der in ihrer Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft herbei und damit +einen gesetzlich beschränkten Normal-Arbeitstag. Auf Grundlage des letzt- +ren entwickelt sich ein Phänomen, das uns schon früher begegnete, zu ent- +scheidender Wichtigkeit - nämlich die Intensifikation der Arbeit. Bei der +Analyse des absoluten Mehrwerths handelte es sich zunächst um die exten- +sive Größe der Arbeit, während der Grad ihrer Intensität als gegeben vor- +ausgesetzt war. Wir haben jetzt den Umschlag der extensiven Größe in in- +tensive oder Gradgröße zu betrachten. + +5 + +10 + +15 + +20 + +25 + +Es ist selbstverständlich, daß mit dem Fortschritt des Maschinenwesens +und der gehäuften Erfahrung einer eignen Klasse von Maschinenarbeitern +die Geschwindigkeit und damit die Intensität der Arbeit naturwüchsig zu- +nehmen. So geht in England während eines halben Jahrhunderts die Ver- +längrung des Arbeitstags Hand in Hand mit der wachsenden Intensität der +Fabrikarbeit. Indeß begreift man, daß bei einer Arbeit, wo es sich nicht um +vorübergehende Paroxysmen handelt, sondern um Tag aus, Tag ein wieder- +holte, regelmäßige Gleichförmigkeit, ein Knotenpunkt eintreten muß, wo +Ausdehnung des Arbeitstags und Intensität der Arbeit einander ausschlie- +ßen, so daß die Verlängrung des Arbeitstags nur mit schwächrem Intensi- 30 +tätsgrad der Arbeit und umgekehrt ein erhöhter Intensitätsgrad nur mit +Verkürzung des Arbeitstags verträglich bleibt. Sobald die allmählig an- +schwellende Empörung der Arbeiterklasse den Staat zwang, die Arbeitszeit +gewaltsam zu verkürzen und zunächst der eigentlichen Fabrik einen Nor- +mal-Arbeitstag zu diktiren, von diesem Augenblick also, wo gesteigerte 35 +Produktion von Mehrwerth durch Verlängrung des Arbeitstags ein für alle- +mal abgeschnitten war, warf sich das Kapital mit aller Macht und vollem +Bewußtsein auf die Produktion von relativem Mehrwerth durch beschleu- + +368 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +nigte Entwicklung des Maschinensystems. Gleichzeitig tritt eine Aende- +rung in dem Charakter des relativen Mehrwerths ein. Im Allgemeinen be- +steht die Produktionsmethode des relativen Mehrwerths darin, durch +gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befähigen, mit dersel- +5 ben Arbeitsausgabe in derselben Zeit mehr zu produciren. Dieselbe Ar- +beitszeit setzt nach wie vor dem Gesammtprodukt denselben Werth zu, ob- +gleich dieser unveränderte Tauschwerth sich jetzt in mehr Gebrauchswer- +then darstellt und daher der Werth der einzelnen Waare sinkt. Anders +jedoch, sobald die gewaltsame Verkürzung des Arbeitstags mit dem unge- +10 heuren Anstoß, den sie der Entwicklung der Produktivkraft und der Oeko- +nomisirung der Produktionsbedingungen ||375| gibt, zugleich vergrößerte +Arbeitsausgabe in derselben Zeit, erhöhte Anspannung der Arbeitskraft, +dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d. h. Kondensation der Ar- +beit dem Arbeiter zu einem Grad aufzwingt, der nur innerhalb des verkürz- +ten Arbeitstags erreichbar ist. Diese Zusammenpressung einer größren +Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt als was sie ist, als +größres Arbeitsquantum. Neben das Maß der Arbeitszeit als „ausgedehnter +Größe" tritt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads 1 5 7). Die intensivere +Stunde des zehnstündigen Arbeitstags enthält jetzt so viel oder mehr Ar- +20 beit, d.h. verausgabte Arbeitskraft, als die porösere Stunde des zwölfstündi- +gen Arbeitstags. Ihr Produkt hat daher so viel oder mehr Werth als das der +poröseren I]Z5 Stunden. Abgesehn von der Erhöhung des relativen Mehr- +werths durch die gesteigerte Produktivkraft der Arbeit, liefern jetzt z. B. +3¾ Stunden Mehrarbeit auf 6% Stunden nothwendiger Arbeit dem Kapita- +listen dieselbe Werthmasse wie vorher 4 Stunden Mehrarbeit auf 8 Stun- +den nothwendiger Arbeit. + +15 + +25 + +Es fragt sich nun, wie wird die Arbeit intensificirt? +Die erste Wirkung des verkürzten Arbeitstags beruht auf dem selbstver- +ständlichen Gesetz, daß die Wirkungsfähigkeit der Arbeitskraft im umge- +30 kehrten Verhältniß zu ihrer Wirkungszeit steht. Es wird daher, innerhalb +gewisser Grenzen, am Grad der Kraftäußerung gewonnen, was an ihrer +Dauer verloren geht. Daß der Arbeiter aber auch wirklich mehr Arbeits- +kraft flüssig macht, dafür sorgt das Kapital durch die Methode der Zah- +lung 1 5 8). In Manufakturen, der Töpferei z. B . , wo die Maschinerie keine +35 oder unbedeutende Rolle spielt, hat die Einführung des Fabrikgesetzes +schlagend bewiesen, daß bloße Verkürzung des Arbeitstags die Regelmä- + +1 5 7 ) Es finden natürlich überhaupt Unterschiede in der Intensität der Arbeiten verschiedner +Produktionszweige statt. Diese kompensiren sich, wie schon A. Smith gezeigt hat, zum Theil +durch jeder Arbeitsart eigne Nebenumstände. Einwirkung auf die Arbeitszeit als Werthmaß +40 findet aber auch hier nur statt, soweit intensive und extensive Größe sich als entgegengesetzte + +und einander ausschließende Ausdrücke desselben Arbeitsquantums darstellen. +1 5 8 ) Namentlich durch den Stücklohn, eine Form, die im sechsten Abschnitt entwickelt wird. + +3 6 9 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +10 + +ßigkeit, Gleichförmigkeit, Ordnung, Kontinuität und Energie der Arbeit +wundervoll erhöht 1 5 9). Diese Wirkung schien jedoch zweifelhaft in der +eigentlichen Fabrik, weil die Abhängigkeit des Arbeiters von der kontinuir- +lichen und gleichförmigen Bewegung der Maschine hier längst die streng- +ste Disciplin geschaffen hatte. ||376| Als daher 1844 die Herabsetzung des +Arbeitstags unter 12 Stunden verhandelt ward, erklärten die Fabrikanten +fast einstimmig, „ihre Aufseher paßten in den verschiednen Arbeitsräumen +auf, daß die Hände keine Zeit verlören", „der Grad der Wachsamkeit und +Aufmerksamkeit auf Seiten der Arbeiter (,,the extent of vigilance and at- +tention on the part of the workmen") sei kaum steigrungsfähig", und alle +andren Umstände, wie Gang der Maschinerie u.s.w. als gleichbleibend vor- +ausgesetzt, „sei es daher Unsinn, in wohlgeführten Fabriken von der gestei- +gerten Aufmerksamkeit u. s.w. der Arbeiter irgend ein erkleckliches Resul- +tat zu erwarten" 1 6 0). Diese Behauptung ward durch Experimente widerlegt. +Herr R. Gardner ließ in seinen zwei großen Fabriken zu Preston vom 15 +20. April 1844 an statt 12 nur noch 11 Stunden per Tag arbeiten. Nach un- +gefähr Jahresfrist ergab sich das Resultat, daß „dasselbe Quantum Produkt +zu denselben Kosten erhalten ward, und sämmtliche Arbeiter in 11 Stun- +den eben so viel Arbeitslohn verdienten, wie früher in 1 2 " 1 6 1 ) . Ich über- +gehe hier die Experimente in den Spinn- und Kardirräumen, weil sie mit 20 +Zunahme in der Geschwindigkeit der Maschinerie (um 2 %) verbunden wa- +ren. In dem Webedepartement dagegen, wo zudem sehr verschiedne Sorten +leichter, figurenhaltiger Phantasieartikel gewebt wurden, fand durchaus +keine Aenderung in den objektiven Produktionsbedingungen statt. Das Re- +sultat war: „Vom 6. Januar bis 20. April 1844, mit zwölfstündigem Arbeits- 25 +tag, wöchentlicher Durchschnittslohn jedes Arbeiters 10 sh. 1% d., vom +20. April bis 29. Juni 1844, mit elfstündigem Arbeitstag, wöchentlicher +Durchschnittslohn 10 sh. 3¾ d." 1 6 2) . Es wurde hier in 11 Stunden mehr pro- +ducirt als früher in 12, ausschließlich in Folge größrer gleichmäßiger Aus- +dauer der Arbeiter und Oekonomie ihrer Zeit. Während sie denselben 30 +Lohn empfingen und 1 Stunde freie Zeit gewannen, erhielt der Kapitalist +dieselbe Produktenmasse und sparte Verausgabung von Kohle, Gas u. s. w. +für eine Stunde. Aehnliche Experimente wurden mit gleichem Erfolg in +den Fabriken der Herren Horrocks und Jacson ausgeführt 1 6 3). | + +1 5 9 ) Sieh „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1865". +1 6°) „Reports of Insp. of Fact, for 1844 and the quarter ending 30th April 1845", p. 20, 21. +1 6 1 ) 1. c. p. 19. Da der Stücklohn derselbe blieb, hing die Höhe des Wochenlohns vom Quan- +tum des Produkts ab. +1 6 2 ) I.e. p.20. +1 6 3 ) I.e. p.21. Das moralische Element spielte bedeutende Rolle in den oben erwähnten Expe- 40 +rimenten. "We", erklärten die Arbeiter dem Fabrikinspektor, "we work with more spirit, we +have the reward ever before us of getting away sooner at night, and one active and cheerful + +35 + +370 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +|377| Sobald die Verkürzung des Arbeitstags, welche zunächst die sub- +jektive Bedingung der Kondensation der Arbeit schafft, nämlich die Fähig- +keit des Arbeiters, mehr Kraft in gegebner Zeit flüssig zu machen, zwangs- +in der Hand des Kapitals zum +gesetzlich wird, wird die Maschine +5 objektiven und systematisch angewandten Mittel, mehr Arbeit in derselben +Zeit zu erpressen. Es geschieht dieß in doppelter Weise: durch erhöhte Ge- +schwindigkeit der Maschinen und erweiterten Umfang der von demselben +Arbeiter zu überwachenden Maschinerie oder seines Arbeitsfeldes. Verbes- +serte Konstruktion der Maschinerie ist theils nothwendig zur Ausübung +10 des größren Drucks auf den Arbeiter, theils begleitet sie von selbst die In- +tensifikation der Arbeit, weil die Schranke des Arbeitstags den Kapitalisten +zu strengstem Haushalt der Produktionskosten zwingt. Die Verbesserung +der Dampfmaschine erhöht die Anzahl ihrer Kolbenschläge in einer Mi- +nute und erlaubt zugleich, durch größere Kraftersparung einen umfang- +reichren Mechanismus mit demselben Motor zu treiben, bei gleichbleiben- +dem oder +fallendem Kohlenverzehr. Die Verbesserung des +Transmissionsmechanismus vermindert die Reibung und, was die moderne +Maschinerie so augenfällig vor der ältren auszeichnet, reducirt Durchmes- +ser und Gewicht der großen und kleinen Wellenbäume auf ein stets fallen- +20 des Minimum. Die Verbesserungen der Arbeitsmaschinerie endlich ver- +mindern bei erhöhter Geschwindigkeit und ausgedehnterer Wirkung ihren +Umfang, wie beim modernen Dampfwebstuhl, oder vergrößern mit dem +Rumpf Umfang und Zahl der von ihr geführten Werkzeuge, wie bei der +Spinnmaschine, oder vermehren die Beweglichkeit dieser Werkzeuge +25 durch unscheinbare Detailveränderungen, wie derartig bei der selfacting +mule in der Mitte der fünfziger Jahre die Geschwindigkeit der Spindeln +um Y5 gesteigert wurde. + +selbst + +15 + +30 + +35 + +Die Verkürzung des Arbeitstags auf 12 Stunden datirt in England von +1832. Schon 1836 erklärte ein englischer Fabrikant: „Verglichen mit früher +ist die Arbeit, die in den Fabriken zu verrichten, sehr gewachsen, in Folge +der größren Aufmerksamkeit und Thätigkeit, welche die bedeutend ver- +mehrte Geschwindigkeit der Maschinerie vom Arbeiter erheischt" 1 6 4). Im +Jahr 1844 machte ||378| Lord Ashley, jetzt Graf Shaftesbury, folgende do- +kumentarisch belegte Aufstellungen im Hause der Gemeinen: + +„Die Arbeit der in den Fabrikprocessen Beschäftigten ist jetzt dreimal so +groß, als bei der Einführung solcher Operationen. Die Maschinerie hat +zweifelsohne ein Werk verrichtet, welches die Sehnen und Muskeln von +Millionen Menschen ersetzt, aber sie hat auch erstaunlich (prodigiously) + +spirit pervades the whole mill, from the youngest piecer to the oldest hand, and we can greatly + +40 help each other." (1. c.) + +1 6 4 ) John Fielden 1. c. p. 32. + +371 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +die Arbeit der durch ihre furchtbare Bewegung beherrschten Menschen +vermehrt .... Die Arbeit, einem Paar Mules während 12 Stunden auf- und +abzufolgen, zum Spinnen von Garn No. 40, schloß im Jahre 1815 das +Durchlaufen einer Distanz von 8 Meilen ein. Im Jahre 1832 betrug die im +Gefolge eines Mulepaars, zum Spinnen derselben Nummer, während +12 Stunden zu durchreisende Distanz 20 Meilen und oft mehr. Im Jahre +1825 hatte der Spinner während 12 Stunden 820 Auszüge an jeder Mule zu +machen, was eine Gesammtsumme von 1640 für 12 Stunden ergab. Im +Jahre 1832 hatte der Spinner während seines zwölfstündigen Arbeitstags an +jeder Mule 2200 Auszüge zu machen, zusammen 4400, im Jahre 1844 an 10 +jeder Mule 2400, zusammen 4800; und in einigen Fällen ist die erheischte +Arbeitsmasse (amount of labour) noch größer .... Ich habe hier ein andres +Dokument von 1842 in der Hand, worin nachgewiesen wird, daß die Arbeit +progressiv zunimmt, nicht nur, weil eine größre Entfernung zu durchreisen +ist, sondern weil die Quantität der producirten Waaren sich vermehrt, wäh- +rend die Händezahl proportionell abnimmt; und ferner, weil nun oft +schlechtere Baumwolle gesponnen wird, die mehr Arbeit erfordert .... Im +Kardirraum hat auch große Zunahme der Arbeit stattgefunden. Eine Per- +son thut jetzt die Arbeit, die früher zwischen zwei vertheilt war. In der We- +berei, worin eine große Anzahl Personen, meist weiblichen Geschlechts be- 20 +schäftigt ist, ist die Arbeit während der letzten Jahre um volle 10% +gewachsen, in Folge der vermehrten Geschwindigkeit der Maschinerie. Im +Jahre 1838 war die Zahl der hanks, die wöchentlich gesponnen wurde, +18 000, im Jahre 1843 belief sie sich auf 2 1 0 0 0 . Im Jahr 1819 war die Zahl +der picks beim Dampfwebestuhl 60 per Minute, im Jahre 1842 betrug sie 25 +140, was einen großen Zuwachs von Arbeit anzeigt" 1 6 5). + +15 + +Angesichts dieser merkwürdigen Intensität, welche die Arbeit unter der +Herrschaft des Zwölfstundengesetzes bereits 1844 erreicht ||379| hatte, +schien damals die Erklärung der englischen Fabrikanten berechtigt, jeder +weitere Fortschritt in dieser Richtung sei unmöglich, daher jede weitere 30 +Abnahme der Arbeitszeit identisch mit Abnahme der Produktion. Die +scheinbare Richtigkeit ihres Raisonnements wird am besten bewiesen +durch folgende gleichzeitige Aeußerung ihres rastlosen Censors, des Fa- +brikinspektors Leonard Horner: + +„Da die producirte Quantität hauptsächlich geregelt wird durch die Ge- 35 + +schwindigkeit der Maschinerie, muß es das Interesse des Fabrikanten sein, +sie mit dem äußersten Geschwindigkeitsgrad zu treiben, der mit folgenden +Bedingungen vereinbar ist: Bewahrung der Maschinerie vor zu raschem +Verderb, Erhaltung der Qualität des fabricirten Artikels, und Fähigkeit des + +1 6 5 ) Lord Ashley 1. c. p. 6-9 passim. + +40 + +372 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Arbeiters, der Bewegung zu folgen ohne größre Anstrengung, als er konti- +nuirlich leisten kann. Es ereignet sich oft, daß der Fabrikant in seiner Hast +die Bewegung zu sehr beschleunigt. Brüche und schlechtes Machwerk wie- +gen dann die Geschwindigkeit mehr als auf, und er ist gezwungen, den +5 Gang der Maschinerie zu mäßigen. Da ein aktiver und einsichtsvoller Fa- +brikant das erreichbare Maximum ausfmdet, schloß ich, daß es unmöglich +ist, in 11 Stunden so viel zu produciren als in 12. Ich nahm außerdem an, +daß der per Stücklohn bezahlte Arbeiter sich aufs äußerste anstrengt, so- +weit er denselben Arbeitsgrad kontinuirlich aushalten k a n n " 1 6 6 ) . Horner +schloß daher, trotz der Experimente von Gardner u. s.w., daß eine weitre +Herabsetzung des Arbeitstages unter 12 Stunden die Quantität des Pro- +dukts vermindern müsse 1 6 7). Er selbst citirt 10 Jahre später sein Bedenken +von 1845 zum Beweis, wie wenig er damals noch die Elasticität der Ma- +schinerie und der menschlichen Arbeitskraft begriff, die beide gleichmäßig +15 durch die zwangsweise Verkürzung des Arbeitstags aufs Höchste gespannt + +10 + +werden. + +Kommen wir nun zur Periode nach 1847, seit Einführung des Zehnstun- +dengesetzes in die englischen Baumwoll-, WoIl-, Seiden- und Flachsfabri- +ken. + +20 + +„Die Geschwindigkeit der Spindeln ist auf Throstles um 500, auf Mules +um 1000 Drehungen in einer Minute gewachsen, d.h. die Geschwindigkeit +der Throstlespindel, die 1839 4500 Drehungen in einer Minute zählte, be- +trägt nun (1862) 5000, und die der Mulespindel, die 5000 zählte, beträgt +jetzt 6000 in der Minute; dieß beläuft sich im ersten Fall auf Y10 und im +25 zweiten auf Y 6 ||380| zusätzlicher Geschwindigkeit" 1 6 8). Jas. Nasmyth, der +berühmte Civilingenieur von Patricroft, bei Manchester, setzte 1852 in +einem Brief an Leonard Horner die von 1 8 4 8 - 1 8 5 2 gemachten Verbesse- +rungen in der Dampfmaschine auseinander. Nachdem er bemerkt, daß die +Dampfpferdekraft, in der officiellen Fabrikstatistik fortwährend geschätzt +30 nach ihrer Wirkung im Jahr 1 8 2 8 1 6 9 ) , nur noch nominell ist und nur als In- +dex der wirklichen Kraft dienen kann, sagt er u. a.: „Es unterliegt keinem +Zweifel, daß Dampfmaschinerie von demselben Gewicht, oft dieselben +identischen Maschinen, an denen nur die modernen Verbeßrungen ange- + +35 + +1 6 6 ) „Reports of Insp. of Fact, to 30th April, 1845", p. 20. +1 6 7 ) I.e. p.22. +1 6 8 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 62. +1 6 9 ) Dieß hat sich geändert mit dem ,,Parliamentary Return" von 1862. Hier tritt die wirkliche +Dampfpferdekraft der modernen Dampfmaschinen und Wasserräder an die Stelle der nomi- +nellen (s. Note 109 a, S.405). Auch sind die Dublirspindeln nicht mehr zusammengeworfen +40 mit den eigentlichen Spinnspindeln (wie in den ,,Returns" von 1839, 1850 und 1856); ferner +ist für die Wollfabriken die Zahl der „gigs" hinzugefügt, Scheidung eingeführt zwischen Jute- +und Hanffabriken einerseits, Flachsfabriken andrerseits, endlich zum ersten Mal die Strumpf- +wirkerei in den Bericht aufgenommen. + +373 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +früher getrieben, + +bracht sind, im Durchschnitt 50 % mehr Werk als früher verrichten, und +daß in vielen Fällen dieselben identischen Dampfmaschinen, die in den +Tagen der beschränkten Geschwindigkeit von 220 Fuß per Minute 50 Pfer- +dekraft lieferten, heute, mit vermindertem Kohlenkonsum, über 100 lie- +fern. ... Die moderne Dampfmaschine von derselben nominellen Pferde- +in Folge der +kraft wird mit größrer Gewalt als +Verbeßrungen in ihrer Konstruktion, vermindertem Umfang und Bau der +Dampfkessel u.s.w. ... Obgleich daher dieselbe Händezahl wie früher im +Verhältniß zur nominellen Pferdekraft beschäftigt wird, werden weniger +Hände verwandt im Verhältniß zur Arbeitsmaschinerie" 1 7 0). Im Jahre 1850 10 +verwandten die Fabriken des vereinigten Königreichs 134217 nominelle +Pferdekraft zur Bewegung von 25 6 3 8 7 1 6 Spindeln und 301445 Webstüh- +len. Im Jahr 1856 betrug die Zahl der Spindeln und Webstühle respektive +33 503 580 und 3 6 9 2 0 5 . Wäre die erheischte Pferdekraft dieselbe geblieben +wie 1850, so waren 1856: 175 000 Pferdekraft nöthig. Sie betrug aber nach 15 +dem officiellen Ausweis nur 1 6 1 4 3 5 , also über 10 000 Pferdekraft weniger, +als wenn man nach der Basis von 1850 re c hne t 1 7 1). „Die durch den letzten +Return von 1856 (officielle Statistik) festgestellten Thatsachen sind, daß +das Fabriksystem ||381| reißend rasch um sich greift, die Zahl der Hände +im Verhältniß zur Maschinerie abgenommen hat, die Dampfmaschine 20 +durch Oekonomie der Kraft und andre Methoden ein größres Maschinen- +gewicht treibt, und ein vermehrtes Quantum Machwerk erzielt wird in +Folge verbesserter Arbeitsmaschinen, veränderter Methoden der Fabrika- +tion, erhöhter Geschwindigkeit der Maschinerie und vieler andrer Ursa- +chen" 1 7 2 ) . „Die großen in Maschinen jeder Art eingeführten Verbeßrungen 25 +haben deren Produktivkraft sehr gesteigert. Ohne allen Zweifel gab die Ver- +kürzung des Arbeitstags .... den Stachel zu diesen Verbeßrungen. Letztre +und die intensivre Anstrengung des Arbeiters bewirkten, daß wenigstens +eben so viel Machwerk in dem (um zwei Stunden oder Y6) verkürzten Ar- +beitstag als früher während des längren geliefert wird" 1 7 3). + +30 + +Wie die Bereicherung der Fabrikanten mit der intensivren Ausbeutung +der Arbeitskraft zunahm, beweist schon der eine Umstand, daß das durch- +schnittliche Wachsthum der englischen Baumwollen- u.s.w. -Fabriken von +1838 bis 1850 32, von 1850 bis 1856 dagegen 86 jährlich betrug. + +So groß in den 8 Jahren 1848 bis 1856, unter der Herrschaft des zehn- 35 + +stündigen Arbeitstags, der Fortschritt der englischen Industrie, wurde er +wieder weit überflügelt in der folgenden sechsjährigen Periode von 1856 + +1 7 0 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1856", p. 14, 20. +1 7 1 ) I.e. p. 14, 15. +1 7 2 ) I.e. p.20. +1 7 3 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1858", p. 10. Vgl. „Reports etc. for 30th April 1860", p.30 sqq. + +40 + +374 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +bis 1862. In der Seidenfabrik z.B. 1856: Spindeln 1093 799, 1862: +1 3 8 8 544; 1856: Webstühle 9260 und 1862: 10 709. Dagegen 1856: Arbei- +teranzahl 5 6 1 3 7 und 1862: 52 429. Dieß ergiebt Zunahme der Spindelzahl +26,9 % und der Webstühle 15,6 % mit gleichzeitiger Abnahme der Arbeiter- +5 anzahl um 7%. Im Jahre 1850 wurden in der Worsted-Fabrik angewandt +875 830 Spindeln, 1856: 1 3 2 4 549 (Zunahme von 51,2%) und 1862: +1 2 8 9 1 7 2 (Abnahme von 2,7 % ) . Zählt man aber die Dublirspindeln ab, die +in der Aufzählung für das Jahr 1856, aber nicht für 1862 figuriren, so blieb +die Anzahl der Spindeln seit 1856 ziemlich stationär. Dagegen ward seit +10 1850 in vielen Fällen die Geschwindigkeit der Spindeln und Webstühle +verdoppelt. Die Zahl der Dampfwebstühle in der Worsted-Fabrik 1850: +32 617, 1856: 38 956 und 1862: 43 048. Es waren dabei beschäftigt 1850: +7 9 7 3 7 Personen, 1856: 87 794 und 1862: 86 063, aber davon Kinder unter +14 Jahren 1850: 9956, 1856: 11228 und ||382| 1862: 13 178. Trotz sehr ver- +15 mehrter Anzahl der Webstühle, 1862 verglichen mit 1856, nahm also die +Gesammtzahl der beschäftigten Arbeiter ab, die der exploitirten Kinder +z u 1 7 4 ) . + +20 + +25 + +Am 27. April 1863 erklärte das Parlamentsmitglied Ferrand im Unter- +hause: „Arbeiterdelegirte von 16 Distrikten von Lancashire und Cheshire, +in deren Auftrag ich spreche, haben mir mitgetheilt, daß die Arbeit in den +Fabriken in Folge der Verbeßrung der Maschinerie beständig wachse. Statt +daß früher eine Person mit Gehülfen zwei Webstühle bediente, bedient sie +jetzt drei ohne Gehülfen und es ist gar nichts Ungewöhnliches, daß eine +Person ihrer vier bedient u.s.w. Zwölf Stunden Arbeit, wie aus den mitge- +theilten Thatsachen hervorgeht, werden jetzt in weniger als 10 Arbeitsstun- +den gepreßt. Es ist daher selbstverständlich, in welchem ungeheuren Um- +fang die Mühen der Fabrikarbeiter sich seit den letzten Jahren vermehrt +h a b e n " 1 7 5 ) . + +Obgleich daher die Fabrikinspektoren die günstigen Resultate der Fa- +30 brikgesetze von 1844 und 1850 unermüdlich und mit vollem Recht lobprei- +sen, gestehn sie doch, daß die Verkürzung des Arbeitstags bereits eine die +Gesundheit der Arbeiter, also die Arbeitskraft selbst zerstörende Intensität +der Arbeit hervorgerufen habe. „In den meisten Baumwoll-, Worsted- und + +35 + +1 7 4 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 100, 103, 129 u. 130. +1 7 5 ) Mit dem modernen Dampfwebstuhl fabricirt ein Weber jetzt in 60 Stunden per Woche +auf 2 Stühlen 26 Stück einer gewissen Art von bestimmter Länge und Breite, wovon er auf +dem alten Dampfwebstuhl nur 4 fabriciren konnte. Die Webkosten eines solchen Stücks wa- +ren schon Anfang der 1850er Jahre von 2 sh. 9 d. auf 5½ d. gefallen. + +Zusatz zur 2. Ausgabe. „Vor 30 Jahren (1841) verlangte man von einem Baumwollgarnspin- +40 ner mit 3 Gehülfen nur die Ueberwachung eines Mulepaars mit 300-324 Spindeln. Mit 5 Ge- +hülfen hat er jetzt (Ende 1871) Mules zu überwachen, deren Spindelzahl 2200 beträgt, und +producirt mindestens sieben mal mehr Garn als 1841." (Alexander Redgrave, Fabrikinspektor +in „Journal of the Soc. of Arts, Jan. 5. 1872".) + +375 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Seidenfabriken scheint der erschöpfende Zustand von Aufregung, nöthig +für die Arbeit an der Maschinerie, deren Bewegung in den letzten Jahren +so außerordentlich beschleunigt worden ist, eine der Ursachen des Ueber- +schusses der Sterblichkeit an Lungenkrankheiten, den Dr. Greenhow in +seinem jüngsten bewundernswerthen Bericht nachgewiesen h a t " 1 7 6 ) . Es un- +terliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß die Tendenz des Kapitals, sobald +ihm Verlängrung des Arbeitstags ein für allemal durch das Gesetz abge- +schnitten ist, sich durch systematische Steigrung des Intensitätsgrads der +Arbeit gütlich ||383| zu thun und jede Verbeßrung der Maschinerie in ein +Mittel zu größrer Aussaugung der Arbeitskraft zu verkehren, bald wieder +zu einem Wendepunkt treiben muß, wo abermalige Abnahme der Arbeits- +stunden unvermeidlich wird 1 7 7). Andrerseits überflügelt der Sturmmarsch +der englischen Industrie von 1848 bis zur Gegenwart, d.h. während der Pe- +riode des zehnstündigen Arbeitstags, noch weit mehr die Zeit von 1833 bis +1847, d.h. die Periode des zwölfstündigen Arbeitstags, als letztre das halbe +Jahrhundert seit Einführung des Fabriksystems, d.h. die Periode des unbe- +schränkten Arbeitstags 1 7 8). | + +|384| 4. Die Fabrik. + +Wir betrachteten im Beginn dieses Kapitels den Leib der Fabrik, die Glied- +rung des Maschinensystems. Wir sahen dann, wie die Maschinerie das +menschliche Exploitationsmaterial des Kapitals vermehrt durch Aneig- + +1 7 6 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1861", p. 25, 26. +1 7 7 ) Die Achtstundenagitation hat jetzt (1867) in Lancashire unter den Fabrikarbeitern be- +gonnen. +1 7 8 ) Folgende wenige Zahlen zeigen den Fortschritt der eigentlichen ,,Factories" im U. Kingd. +seit 1848: + +Export. +Quantität. +1848. + +Export. +Quantität. +1851. + +Export. +Quantität. +1860. + +Export. +Quantität. +1865. + +Baumwollfabrik. +Baumwollgarn +Nähgarn +Baumwollgewebe + +Pfd. +Pfd. +y. + +135 8 3 1 1 6 2 + +1 0 9 1 3 7 3 930 + +Pfd. +Pfd. +y. + +143 9 6 6 1 0 6 +4 3 9 2 1 7 6 +1 5 4 3 1 6 1 7 8 9 + +Pfd. +Pfd. +y. + +197 343 655 +6 2 9 7 554 +2 7 7 6 2 1 8 427 + +103 7 5 1 4 5 5 +Pfd. +4 6 4 8 611 +Pfd. +y. 2 015 237 851 + +Flachs- und Hanffabrik. +Garn +Gewebe + +Seidenfabrik. +Kettengarn, Zwist, Garn +Gewebe + +Pfd. +y. + +1 1 7 2 2 1 8 2 +88 9 0 1 5 1 9 + +Pfd. + +194 + +815 + +y- + +Wollfabrik. +Wollen- u. Worsted-Garn Pfd. +Gewebe + +y. + +Pfd. + +y- + +Pfd. +Pfd. + +Pfd. + +y- + +18 8 4 1 3 2 6 +1 2 9 1 0 6 7 5 3 + +Pfd. + +y. + +3 1 2 1 0 6 1 2 +143 9 9 6 7 7 3 + +462 513 +1 1 8 1 4 5 5 + +Pfd. +Pfd. + +897 402 +1 3 0 7 2 9 3 + +14 670 880 +1 5 1 2 3 1 1 5 3 + +Pfd. + +y. + +27 533 968 +190 3 7 1 5 3 7 + +Pfd. + +y- + +Pfd. + +y. + +Pfd. + +y- + +3 6 7 7 7 334 +247 012 329 + +812 589 +2 869 837 + +3 1 6 6 9 2 6 7 +278 837 418 + +376 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +nung der Weiber- und Kinderarbeit, wie sie die ganze Lebenszeit des Ar- +beiters konfiscirt durch maßlose Ausdehnung des Arbeitstags, und wie ihr +Fortschritt, der ein ungeheuer wachsendes Produkt in stets kürzrer Zeit zu +liefern erlaubt, endlich als systematisches Mittel dient, in jedem Zeitmo- +5 ment mehr Arbeit flüssig zu machen oder die Arbeitskraft stets intensiver +auszubeuten. Wir wenden uns nun zum Fabrikganzen, und zwar in seiner +ausgebildetsten Gestalt. + +Dr. Ure, der Pindar der automatischen Fabrik, beschreibt sie einerseits +als „Kooperation verschiedner Klassen von Arbeitern, erwachsnen und +10 nicht erwachsnen, die mit Gewandtheit und Fleiß ein System produktiver +Maschinerie überwachen, das ununterbrochen durch eine Centraikraft +(den ersten Motor) in Thätigkeit gesetzt wird", andrerseits als „einen unge- +heuren Automaten, zusammengesetzt aus zahllosen mechanischen und +selbstbewußten Organen, die im Einverständniß und ohne Unterbrechung +15 wirken, um einen und denselben Gegenstand zu produciren, so daß alle +diese Organe einer Bewegungskraft untergeordnet sind, die sich von selbst +bewegt". Diese beiden Ausdrücke sind keineswegs identisch. In dem einen +erscheint der kombinirte Gesammtarbeiter oder gesellschaftliche Arbeits- +körper als übergreifendes Subjekt und der mechanische Automat als Ob- +jekt; in dem andren ist der Automat selbst das Subjekt und die Arbeiter + +20 + +Export. +Werth. +1848. + +Pfd. St. + +5 927 831 +16 753 369 + +493 419 +2 802 789 + +77 789 + +25 + +Baumwollfabrik. +Baumwollgarn +Baumwollgewebe + +Flachs- und +Hanffabrik. +Garn + +30 Gewebe + +Seidenfabrik. +Kettengarn, Zwist, Garn +Gewebe + +Wollfabrik. + +35 Wollen- u. Worsted-Garn + +Gewebe + +776 975 +5 733 828 + +Export. +Werth. +1851. + +Pfd. St. + +6 6 3 4 0 2 6 +23 454 810 + +9 5 1 4 2 6 + +4 1 0 7 396 + +196 380 +1 1 3 0 398 + +1 4 8 4 5 4 4 +8 3 7 7 1 8 3 + +Export. +Werth. +1860. + +Pfd. St. + +9 870 875 +42 1 4 1 5 0 5 + +1 8 0 1 2 7 2 +4 804 803 + +8 2 6 1 0 7 +1 5 8 7 303 + +Export. +Werth. +1865. + +Pfd. St. +10 3 5 1 0 4 9 +46 903 796 + +2 505 497 +9 1 5 5 358 + +768 0 6 4 +1 4 0 9 2 2 1 + +3 843 450 +1 2 1 5 6 998 + +5 4 2 4 0 4 7 +2 0 1 0 2 2 5 9 + +(Sieh die Blaubücher: „Statistical Abstract for the U. Kingd." Nr. 8 und Nr. 13. Lond. 1861 + +und 1866.) + +In Lancashire vermehrten sich die Fabriken zwischen 1839 und 1850 nur um 4 %, zwischen +40 1850 und 1856 um 19 %, zwischen 1856 und 1862 um 33 %, während in beiden elfjährigen Pe- +rioden die Zahl der beschäftigten Personen absolut zunahm, relativ fiel. Cf. Reports of Insp. +of Fact, for 31st Oct. 1862, p.63. In Lancashire herrscht die Baumwollfabrik vor. Welchen pro- +portionellen Raum sie aber in der Fabrikation von Garn und Gewebe überhaupt einnimmt, +sieht man daraus, daß auf sie allein von allen derartigen Fabriken in England, Wales, Schott- +land und Irland 45,2 % fallen, von allen Spindeln 83,3 %, von allen Dampfwebstühlen 81,4 %, +von aller sie bewegenden Dampfpferdekraft 72,6 % und von der Gesammtzahl der beschäftig- +ten Personen 58,2 %. (1. c. p. 62, 63.) + +45 + +377 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +sind nur als bewußte Organe seinen bewußtlosen Organen beigeordnet und +mit denselben der centralen Bewegungskraft untergeordnet. Der erstere +Ausdruck gilt von ||385| jeder möglichen Anwendung der Maschinerie im +Großen, der andre charakterisirt ihre kapitalistische Anwendung und daher +das moderne Fabriksystem. Ure liebt es daher auch, die Centraimaschine, +von der die Bewegung ausgeht, nicht nur als Automat, sondern als Auto- +krat darzustellen: „In diesen großen Werkstätten versammelt die wohlthä- +tige Macht des Dampfes ihre Myriaden von Unterthanen um s i c h " 1 7 9 ) . + +5 + +Mit dem Arbeitswerkzeug geht auch die Virtuosität in seiner Führung +vom Arbeiter auf die Maschine über. Die Leistungsfähigkeit des Werk- 10 +zeugs ist emaiicipirt von den persönlichen Schranken menschlicher Ar- +beitskraft. Damit ist die technische Grundlage aufgehoben, worauf die +Theilung der Arbeit in der Manufaktur beruht. An die Stelle der sie cha- +rakterisirenden Hierarchie der specialisirten Arbeiter tritt daher in der au- +tomatischen Fabrik die Tendenz der Gleichmachung oder Nivellirung der 15 +Arbeiten, welche die Gehülfen der Maschinerie zu verrichten haben 1 8 0), an +die Stelle der künstlich erzeugten Unterschiede der Theilarbeiter treten +vorwiegend die natürlichen Unterschiede des Alters und Geschlechts. + +Soweit in der automatischen Fabrik die Theilung der Arbeit wiederer- +scheint, ist sie zunächst Vertheilung von Arbeitern unter die specialisirten 20 +Maschinen, und von Arbeitermassen, die jedoch keine gegliederten Grup- +pen bilden, unter die verschiednen Departements der Fabrik, wo sie an ne- +ben einander gereihten gleichartigen Werkzeugmaschinen arbeiten, also +nur einfache Kooperation unter ihnen stattfindet. Die gegliederte Gruppe +der Manufaktur ist ersetzt durch den Zusammenhang des Hauptarbeiters +mit wenigen Gehülfen. Die wesentliche Scheidung ist die von Arbeitern, +die wirklich an den Werkzeugmaschinen beschäftigt sind (es kommen +hiezu einige Arbeiter zur Bewachung, resp. Füttrung der Bewegungsma- +schine) und von bloßen Handlangern (fast ausschließlich Kinder) dieser +Maschinenarbeiter. Zu den Handlangern zählen mehr oder minder alle +„Feeders" (die den Maschinen bloß Arbeitsstoff darreichen). Neben diese +Hauptklassen tritt ein numerisch unbedeutendes Personal, das mit der +Kontrole der gesammten Maschinerie und ihrer beständigen Reparatur be- +schäftigt ist, wie Ingenieure, Mechaniker, Schreiner u.s.w. Es ist eine hö- +here, theils wissenschaftlich gebildete, theils handwerksmäßige Arbeiter-1 35 +|386|klasse, außerhalb des Kreises der Fabrikarbeiter und ihnen nur +aggregirt 1 8 1). Diese Theilung der Arbeit ist rein technisch. + +30 + +25 + +1 7 9 ) Ure I.e. p. 18. +1 8 0 ) 1. c. p. 20. Vgl. Karl Marx, Misere etc. p. 140, 141. +1 8 1 ) Es ist charakteristisch für die Absicht des statistischen Betrugs, die auch sonst noch im 40 +Detail nachweisbar wäre, wenn die englische Fabrikgesetzgebung die zuletzt im Text erwähn- + +378 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +Alle Arbeit an der Maschine erfordert frühzeitige Anlernung des Arbei- + +ters, damit er seine eigne Bewegung der gleichförmig kontinuirlichen B e - + +wegung eines Automaten anpassen lerne. Soweit die Gesammtmaschinerie + +selbst ein System mannigfacher, gleichzeitig wirkender und kombinirter + +5 Maschinen bildet, erfordert auch die auf ihr beruhende Kooperation eine + +Vertheilung verschiedenartiger Arbeitergruppen unter die verschiedenarti- + +gen Maschinen. Aber der Maschinenbetrieb hebt die Nothwendigkeit auf, + +diese Vertheilung manufakturmäßig zu befestigen durch fortwährende An- + +eignung derselben Arbeiter an dieselbe F u n k t i o n 1 8 2 ) . Da die Gesammtbe- + +10 wegung der Fabrik nicht vom Arbeiter ausgeht, sondern von der Maschine, + +kann fortwährender Personenwechsel stattfinden ohne Unterbrechung des + +Arbeitsprocesses. Den schlagendsten Beweis hierzu liefert das während der + +englischen Fabrikantenrevolte von 1 8 4 8 - 5 0 ins Werk gesetzte Relaissy- + +stem. Die Geschwindigkeit endlich, womit die Arbeit an der Maschine im + +15 + +jugendlichen Alter erlernt wird, beseitigt ebenso die Nothwendigkeit, eine + +besondre Klasse Arbeiter ausschließlich zu Maschinenarbeitern heranzu- + +z i e h n 1 8 3 ) . Die Dienste der bloßen Handlanger aber sind in der ||387| Fabrik + +theils durch Maschinen ersetzbar 1 8 4), theils erlauben sie wegen ihrer völli- + +30 + +25 + +20 + +ten Arbeiter ausdrücklich als Nicht-Fabrikarbeiter von ihrem Wirkungskreis ausschließt, and- +rerseits die vom Parlament veröffentlichten ,,Returns" ebenso ausdrücklich nicht nur Inge- +nieure, Mechaniker u. s. w., sondern auch Fabrikdirigenten, Commis, Ausläufer, +Lageraufseher, Verpacker u. s. w., kurz alle Leute, mit Ausschluß des Fabrikeigenthümers +selbst, in die Kategorie der Fabrikarbeiter einschließen. +1 8 2 ) Ure giebt dieß zu. Er sagt, daß die Arbeiter „im Nothfalle" nach dem Willen des Dirigen- +ten von einer Maschine zur andren versetzt werden können, und ruft triumphirend aus: „Der- +gleichen Wechsel steht im offnen Widerspruch mit der alten Routine, die die Arbeit theilt +und dem einen Arbeiter die Aufgabe zuweist, den Kopf einer Stecknadel zu façonniren, dem +andren ihre Spitze zu schleifen." Er hätte sich vielmehr fragen sollen, warum diese „alte Rou- +tine" in der automatischen Fabrik nur im „Nothfall" verlassen wird? +1 8 3 ) Wenn Noth an Mann ist, wie z.B. während des amerikanischen Bürgerkriegs, wird der Fa- +brikarbeiter ausnahmsweise vom Bourgeois zu den gröbsten Arbeiten, wie Straßenbau u.s.w., +verwandt. Die englischen ,,ateliers nationaux" des Jahres 1862 u. folg. für die beschäftigungs- +losen Baumwollarb eiter unterschieden sich dadurch von den französischen von 1848, daß in +diesen der Arbeiter auf Kosten des Staats unproduktive Arbeiten, in jenen zum Vortheil des +35 Bourgeois produktive städtische Arbeiten und zwar wohlfeiler als die regelmäßigen Arbeiter, +mit denen er so in Konkurrenz geworfen ward, zu verrichten hatte. "The physical appearance +of the cotton operatives is unquestionably improved. This I attribute ... as to the men, to out- +door labour on public works." (Es handelt sich hier von den Preston-Fabrikarbeitern, die am +„Preston Moor" beschäftigt wurden.) („Rep. of Insp. of Fact. Oct. 1863", p. 59.) +1 8 4 ) Beispiel: Die verschiednen mechanischen Apparate, die zum Ersatz von Kinderarbeit seit +dem Gesetz von 1844 in der Wollfabrik eingeführt wurden. Sobald die Kinder der Herren Fa- +brikanten selbst „ihre Schule" als Handlanger der Fabrik durchzumachen haben, wird dieß +fast noch unangebaute Gebiet der Mechanik bald einen merkwürdigen Aufschwung nehmen. +„Die self-acting mules sind vielleicht eine so gefährliche Maschinerie als irgend eine andere. +45 Die meisten Unglücksfälle begegnen kleinen Kindern und zwar in Folge ihres Kriechens un- +ter die Mules, um den Boden zu fegen, während die Mules in Bewegung sind. Verschiedne, +minders' (Arbeiter an der Mule) wurden (von den Fabrikinspektoren) gerichtlich verfolgt und +zu Geldstrafen verurtheilt wegen dieses Vergehns, aber ohne irgend welchen allgemeinen Vor- + +40 + +379 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +gen Einfachheit raschen und beständigen Wechsel der mit dieser Plackerei +belasteten Personen. + +5 + +Obgleich nun die Maschinerie das alte System der Theilung der Arbeit +technisch über den Haufen wirft, schleppt es sich zunächst als Tradition +der Manufaktur gewohnheitsmäßig in der Fabrik fort, um dann systema- +tisch vom Kapital als Exploitationsmittel der Arbeitskraft in noch ekelhaft- +rer Form reproducirt und befestigt zu werden. Aus der lebenslangen Spe- +cialität, ein Theilwerkzeug zu führen, wird die lebenslange Specialität, +einer Theilmaschine zu dienen. Die Maschinerie wird mißbraucht, um den +Arbeiter selbst von Kindesbeinen in den Theil einer Theilmaschine zu ver- 10 +wandeln 1 8 5)- Nicht nur werden so die zu seiner eignen Reproduktion nöthi- +gen Kosten bedeutend vermindert, sondern zugleich seine hülflose Abhän- +gigkeit vom Fabrikganzen, also vom Kapitalisten, vollendet. Hier wie +überall muß man unterscheiden zwischen der größren Produktivität, die +der Entwicklung des gesellschaftlichen Produktionsprocesses, und der 15 +größren Produktivität, die seiner kapitalistischen Ausbeutung geschuldet +ist. + +In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, +in der Fabrik dient er der Maschine. Dort geht von ihm die Bewegung des +Arbeitsmittels aus, dessen Bewegung er hier zu folgen hat. In der Manufak- 20 +tur bilden die Arbeiter Glieder eines lebendigen Mechanismus. In der Fa- +brik existirt ein todter ||388| Mechanismus unabhängig von ihnen, und sie +werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt. „Der trübselige Schlen- +drian einer endlosen Arbeitsqual, worin derselbe mechanische Proceß im- +mer wieder durchgemacht wird, gleicht der Arbeit des Sisyphus; die Last 25 +der Arbeit, gleich dem Felsen, fällt immer wieder auf den abgematteten Ar- +beiter zurück" 1 8 6). Während die Maschinenarbeit das Nervensystem aufs +äußerste angreift, unterdrückt sie das vielseitige Spiel der Muskeln und +konfiscirt alle freie körperliche und geistige Thätigkeit 1 8 7). Selbst die Er- +leichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine 30 + +theil. Wenn Maschinenmacher nur einen Selbstfeger erfinden wollten, durch dessen Ge- +brauch die Nothwendigkeit für diese kleinen Kinder, unter die Maschinerie zu kriechen, weg- +fiele, so wäre das ein glücklicher Beitrag zu unsren Protektionsmaßregeln." („Reports of Insp. +of Factories for 31st October 1866", p. 63.) +1 8 5 ) Man würdige daher den fabelhaften Einfall Proudhon's, der die Maschinerie nicht als 35 +Synthese von Arbeitsmitteln, sondern als Synthese von Theilarbeiten für die Arbeiter selbst - +„konstruirt". +1 8 6 ) F.Engels, Lage etc., p.217. Selbst ein ganz ordinärer, optimistischer Freihändler, Herr +Molinari, bemerkt: «Un homme s'use plus vite en surveillant quinze heures par jour l'évolu- +tion uniforme d'un mécanisme, qu'en exerçant dans le même espace de temps, sa force physi- 40 +que. Ce travail de surveillance, qui servirait peut-être d'utile gymnastique à l'intelligence, s'il +n'était pas trop prolongé, détruit à la longue, par son excès, et l'intelligence et le corps +même.» (G. de Molinari: ,,Études Economiques". Paris 1846.) +1 8 7 ) F.Engels I.e. p.216. + +380 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +10 + +15 + +nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt. +Aller kapitalistischen Produktion, soweit sie nicht nur Arbeitsproceß, son- +dern zugleich Verwerthungsproceß des Kapitals, ist es gemeinsam, daß +nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbe- +5 dingung den Arbeiter anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhält diese +Verkehrung technisch handgreifliche Wirklichkeit. Durch seine Verwand- +lung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitspro- +cesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als todte Arbeit, welche +die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der gei- +stigen Potenzen des Produktionsprocesses von der Handarbeit und die Ver- +wandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich, +wie bereits früher angedeutet, in der auf Grundlage der Maschinerie aufge- +bauten großen Industrie. Das Detailgeschick des individuellen, entleerten +Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wis- +senschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Mas- +senarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind und mit ihm die Macht +des „Meisters" (master) bilden. Dieser Meister, in dessen Hirn die Maschi- +nerie und sein Monopol an derselben unzertrennlich verwachsen sind, ruft +daher in Kollisionsfällen den „Händen" verächtlich zu: „Die Fabrikarbei- +ter sollten in heilsamer Erinnrung halten, daß ihre Arbeit in der That eine +sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist; daß keine leichter aneigenbar +und in Anbetracht ihrer Qualität besser belohnt ist, daß keine durch kurze +Unterweisung des mindest ||389| Erfahrnen in so kurzer Zeit und in sol- +chem Ueberfluß zugeführt werden kann. Des Meisters Maschinerie spielt +in der That eine viel wichtigere Rolle in dem Geschäfte der Produktion als +die Arbeit und das Geschick des Arbeiters, die eine Erziehung von 6 Mo- +naten lehren und jeder Bauernknecht lernen k a n n " 1 8 8 ) . + +20 + +25 + +Die technische Unterordnung des Arbeiters unter den gleichförmigen +Gang des Arbeitsmittels und die eigenthümliche Zusammensetzung des +30 Arbeitskörpers aus Individuen beider Geschlechter und verschiedenster Al- +tersstufen schaffen eine kasernenmäßige Disciplin, die sich zum vollstän- +digen Fabrikregime ausbildet und die schon früher erwähnte Arbeit der +Oberaufsicht, also zugleich die Theilung der Arbeiter in Handarbeiter und + +35 + +1 8 8 ) "The factory operatives should keep in wholesome remembrance the fact that theirs is +really a low species of skilled labour; and that there is none which is more easily acquired or +of its quality more amply remunerated, or which, by a short training of the least expert can be +more quickly as well as abundantly acquired .... The master's machinery really plays a far +more important part in the business of production than the labour and the skill of the opera- +tive, which six months' education can teach, and a common labourer can learn." (,,The Master +40 Spinners' and Manufacturers' Defence Fund. Report of the Committee. Manchester 1854", +p. 17,19.) Man wird später sehn, daß der „Master" aus einem andern Loch pfeift, sobald er mit +Verlust seiner „lebendigen" Automaten bedroht ist. + +381 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +Arbeitsaufseher, in gemeine Industriesoldaten und Industrieunteroff icier e, +völlig entwickelt. „Die Hauptschwierigkeit in der automatischen Fabrik be- +stand in der nothwendigen Disciplin, um die Menschen auf ihre unregel- +mäßigen Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen und sie zu +identificiren mit der unveränderlichen Regelmäßigkeit des großen Auto- +maten. Aber einen den Bedürfnissen und der Geschwindigkeit des automa- +tischen Systems entsprechenden Disciplinarkodex zu erfinden und mit Er- +folg auszuführen, war ein Unternehmen des Herkules würdig, das ist das +edle Werk Arkwright's! Selbst heut zu Tage, wo das System in seiner gan- +zen Vollendung organisirt ist, ist es fast unmöglich, unter den Arbeitern, 10 +die das Alter der Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehülfen für +das automatische System zu finden" 1 8 9). Der Fabrikkodex, worin das Kapi- +tal seine Autokratie über seine Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgerthum +so beliebte Theilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativ- +system, privatgesetzlich und eigenherrlich formulirt, ist nur die kapitalisti- 15 +sehe Karikatur der ||390| gesellschaftlichen Reglung des Arbeitsprocesses, +welche nöthig wird mit der Kooperation auf großer Stufenleiter und der +Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, namentlich der Maschinerie. An +die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Strafbuch des Aufse- +hers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen und Lohnabzüge, 20 +und der gesetzgeberische Scharfsinn der Fabrik-Lykurge macht ihnen die +Verletzung ihrer Gesetze wo möglich noch einbringlicher als deren Befol- +gung 1 9 0). I + +1 8 9 ) Ure I.e. p. 15. Wer Arkwright's Lebensgeschichte kennt, wird das Wort „edel" diesem ge- +nialen Barbier nie an den Kopf werfen. Von allen großen Erfindern des 18. Jahrhunderts war 25 +er unstreitig der größte Dieb fremder Erfindungen und der gemeinste Kerl. +1 9°) „Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt hält, kommt nirgends deut- +licher ans Tageslicht, als im Fabriksystem. Hier hört alle Freiheit rechtlich und faktisch auf. +Der Arbeiter muß Morgens um halb 6 in der Fabrik sein; kommt er ein paar Minuten zu spät, +so wird er gestraft, kommt er 10 Minuten zu spät, so wird er gar nicht hereingelassen, bis das 30 +Frühstück vorüber ist, und verliert einen Vierteltag am Lohn. Er muß auf Kommando essen, +trinken und schlafen ... Die despotische Glocke ruft ihn vom Bette, ruft ihn vom Frühstück +und Mittagstisch. Und wie geht es nun gar erst in der Fabrik? Hier ist der Fabrikant absoluter +Gesetzgeber. Er erläßt Fabrikregulationen, wie er Lust hat; er ändert und macht Zusätze zu +seinem Kodex, wie es ihm beliebt; und wenn er das tollste Zeug hineinsetzt, so sagen doch 35 +die Gerichte zum Arbeiter: Da ihr unter diesen Kontrakt euch freiwillig begeben habt, jetzt +müßt ihr ihn auch befolgen ... Diese Arbeiter sind dazu verdammt, vom neunten Jahr bis zu +ihrem Tode unter der geistigen und körperlichen Fuchtel zu leben." (F.Engels I.e. p.217 sqq.) +Was „die Gerichte sagen", will ich an zwei Beispielen erläutern. Der eine Fall spielt in Shef- * +field, Ende 1866. Dort hatte sich ein Arbeiter für 2 Jahre in eine Metallfabrik verdingt. In 40 +Folge eines Zwistes mit dem Fabrikanten verließ er die Fabrik und erklärte, unter keinen Um- +ständen mehr für ihn arbeiten zu wollen. Wurde wegen Kontraktbruchs verklagt, zu zwei Mo- +naten Gefängniß verurtheilt. (Bricht der Fabrikant den Kontrakt, so kann er nur civiliter ver- +klagt werden und riskirt nur eine Geldbuße.) Nach Absitzen der zwei Monate stellt derselbe +Fabrikant ihm Ladung zu, dem alten Kontrakt gemäß in die Fabrik zurückzukehren. Arbeiter 45 +erklärt, Nein. Den Kontraktsbruch habe er bereits abgebüßt. Fabrikant verklagt von neuem, + +382 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +|391| Wir deuten nur hin auf die materiellen Bedingungen, unter denen +die Fabrikarbeit verrichtet wird. Alle Sinnesorgane werden gleichmäßig +verletzt durch die künstlich gesteigerte Temperatur, die mit Abfällen des +Rohmaterials geschwängerte Atmosphäre, den betäubenden Lärm u. s. w., +5 abgesehn von der Lebensgefahr unter dicht gehäufter Maschinerie, die mit +der Regelmäßigkeit der Jahreszeiten ihre industriellen Schlachtbülletins +producirt 1 9 0 a). Die Oekonomisirung der gesellschaftlichen Produktionsmit- + +10 + +Gericht verurtheilt von neuem, obgleich Einer der Richter, Mr. Shee, dieß öffentlich als juri- +stische Ungeheuerlichkeit denuncirt, wonach ein Mann sein ganzes Leben durch periodisch +für dasselbe identische Vergehn, resp. Verbrechen, wieder und wieder bestraft werden könne. +Dieses Urtheil wurde gefällt nicht von den ,,Great Unpaid", provinzialen Dogberries, sondern +zu London, von einem der höchsten Gerichtshöfe. (Zur 4. Aufl. - Dieß ist jetzt abgeschafft. +Einige wenige Fälle ausgenommen - z.B. bei öffentlichen Gaswerken - ist jetzt in England +der Arbeiter beim Kontraktbruch dem Beschäftiger gleichgestellt und kann nur civilrechtlich +15 belangt werden. - D.H.) - Der zweite Fall spielt in Wiltshire, Ende November 1863. Unge- +fähr 30 Dampfstuhlweberinnen, in der Beschäftigung eines gewissen Harrup, Tuchfabrikant +von Bower's Mill, Westbury Leigh, machten einen strike, weil dieser selbe Harrup die ange- +nehme Gewohnheit hatte, ihnen für Verspätung am Morgen Lohnabzug zu machen, und zwar +6 d. für 2 Minuten, 1 sh. für 3 Minuten und 1 sh. 6 d. für 10 Minuten. Dieß macht bei 9 sh. per +20 Stunde 4 Pfd. Std. 10 sh. per Tag, während ihr Durchschnittslohn im Jahr nie über 10 bis +12 sh. wöchentlich steigt. Harrup hat ebenfalls einen Jungen bestellt, um die Fabrikstunde +zu blasen, was er selber machmal vor 6 Uhr Morgens thut, und wenn die Hände nicht grade +da sind, sobald er aufhört, werden die Thore geschlossen und die draußen in Geldbuße ge- +nommen; und da keine Uhr im Gebäude, sind die unglücklichen Hände in der Gewalt des +25 von Harrup inspirirten jugendlichen Zeitwächters. Die im ,,strike" begriffnen Hände, Fami- +lienmütter und Mädchen, erklärten, sie wollten wieder ans Werk gehn, wenn der Zeitwächter +durch eine Uhr ersetzt und ein rationellrer Straftarif eingeführt würde. Harrup citirte +19 Weiber und Mädchen vor die Magistrate wegen Kontraktsbruch. Sie wurden verurtheilt zu +je 6 d. Strafe und 2 sh. 6 d. Kosten, unter lauter Entrüstung des Auditoriums. Harrup wurde +30 vom Gericht weg von einer zischenden Volksmasse begleitet. - Eine Lieblingsoperation der +Fabrikanten ist, die Arbeiter durch Lohnabzüge für die Fehler des ihnen gelieferten Materials +zu züchtigen. Diese Methode rief 1866 allgemeinen strike in den englischen Töpferdistrikten +hervor. Die Berichte der „Ch. Employm. Commiss." (1863-1866) geben Fälle, wo der Arbei- +ter, statt Lohn zu erhalten, durch seine Arbeit, und vermittelst des Strafreglements, noch +35 obendrein Schuldner seines erlauchten „Master" wird. Erbauliche Züge über den Lohnab- +zugs-Scharfsinn der Fabrikautokraten lieferte auch die jüngste Baumwollkrise. „Ich hatte +selbst", sagt Fabrikinspektor R. Baker, „vor kurzem gerichtliche Verfolgung wider einen +Baumwollfabrikanten einzuleiten, weil er in diesen schweren und qualvollen Zeitläuften 10 d. +von einigen der von ihm beschäftigten jungen' (mehr als dreizehnjährigen) Arbeiter abzog für +40 das ärztliche Alterscertifikat, das ihm nur 6 d. kostet, und wofür das Gesetz nur einen Abzug +von 3 d., das Herkommen gar keinen erlaubt ... Ein andrer Fabrikant, um denselben Zweck +ohne Konflikt mit dem Gesetz zu erreichen, belastet jedes der armen Kinder, die für ihn ar- +beiten, mit einem Shilling als Sportel für Erlernung der Kunst und des Mysteriums, zu spin- +nen, sobald das ärztliche Zeugniß sie reif für diese Beschäftigung erklärt. Es existiren also Un- +terströmungen, die man kennen muß, um solche außerordentliche Phänomene, wie strikes zu +Zeiten wie die gegenwärtige (es handelt sich um einen strike in der Fabrik zu Darwen, Juni +1863, unter den Maschinenwebern) zu begreifen." „Reports of Insp. of Fact, for 30th April +1863", p. 50, 51. (Die Fabrikberichte gehn immer weiter als ihr officielles Datum.) +1 9 0 a ) „Die Gesetze zum Schutz gegen gefährliche Maschinerie haben wohlthätig gewirkt. +50 Aber ... es existiren jetzt neue Quellen von Unglücksfällen, die vor 20 Jahren nicht existirt +haben, namentlich die vermehrte Geschwindigkeit der Maschinerie. Räder, Walzen, Spindeln + +45 + +383 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +tel, erst im Fabriksystem treibhausmäßig gereift, wird in der Hand des Ka- +pitals ||392| zugleich zum systematischen Raub an den Lebensbedingungen +des Arbeiters während der Arbeit, an Raum, Luft, Licht, und an persönli- +chen Schutzmitteln wider lebensgefährliche oder gesundheitswidrige Um- +stände des Produktionsprocesses, von Vorrichtungen zur Bequemlichkeit +des Arbeiters gar nicht zu sprechen 1 9 1). Nennt Fourier mit Unrecht die Fa- +briken „gemilderte Bagnos" 1 9 2)? + +5 + +und Webstühle werden jetzt mit vermehrter und stets noch wachsender Gewalt getrieben; die +Finger müssen rascher und sichrer den gebrochnen Faden anpacken, denn wenn mit Zaudern +oder Unvorsicht angelegt, sind sie geopfert ... Eine große Anzahl Unglücksfälle wird verur- 10 +sacht durch den Eifer der Arbeiter, ihr Werk rasch auszuführen. Man muß sich erinnern, daß +es für die Fabrikanten von der höchsten Wichtigkeit ist, ihre Maschinerie ununterbrochen in +Bewegung zu halten, d. h. Garn und Geweb zu produciren. Jeder Stillstand von einer Minute +ist nicht nur ein Verlust an Triebkraft, sondern an Produktion. Die Arbeiter werden daher +durch Arbeitsaufseher, interessirt in der Quantität des Machwerks, dazu gehetzt, die Maschi- 15 +nerie in Bewegung zu halten; und es ist dieß nicht minder wichtig für Arbeiter, die nach Ge- +wicht oder Stück gezahlt werden. Obgleich es daher in den meisten Fabriken formell verboten +ist, Maschinerie während ihrer Bewegung zu reinigen, ist diese Praxis allgemein. Diese Ursa- +che allein hat während der letzten 6 Monate 906 Unglücksfälle producirt... Obgleich das Rei- +nigungsgeschäft Tag aus Tag ein vorgeht, ist der Sonnabend jedoch meist für gründliches Rei- 20 +nigen der Maschinerie festgesetzt und das geschieht großentheils während der Bewegung der +Maschinerie +Es ist eine unbezahlte Operation, und die Arbeiter suchen daher so rasch +als möglich damit fertig zu werden. Daher ist die Anzahl der Unglücksfälle Freitags und ganz +besonders Samstags viel größer als an den übrigen Wochentagen. Freitags beträgt der Ueber- +schuß über die Durchschnittszahl der ersten 4 Wochentage ungefähr 12 %, Sonnabends der 25 +Ueberschuß von Unglücksfällen über den Durchschnitt der vorhergehenden 5 Tage 25 %; zieht +man aber in Rechnung, daß der Fabriktag Samstags nur 1% Stunden, an den übrigen Wochen- +tagen 10½ Stunden zählt - so steigt der Ueberschuß um mehr als 65 %." („Reports of Insp. of +Factories for etc. 31st October 1866. London 1867", p. 9, 15, 16, 17.) +1 9 1 ) Im ersten Abschnitt des Dritten Buchs werde ich berichten über einen jüngster Zeit ange- 30 +hörigen Feldzug der englischen Fabrikanten gegen die Klauseln des Fabrikakts zum Schutz +der Gliedmaßen der „Hände" vor lebensgefährlicher Maschinerie. Hier genüge ein Citat aus +einem officiellen Bericht des Fabrikinspektors Leonard Horner: „Ich habe Fabrikanten mit +unentschuldbarer Frivolität von einigen der Unglücksfälle sprechen hören, z. B. der Verlust +eines Fingers sei eine Kleinigkeit. Das Leben und die Aussichten eines Arbeiters hängen so 35 +sehr von seinen Fingern ab, daß ein solcher Verlust ein äußerst ernstes Ereigniß für ihn ist. +Wenn ich solch gedankenlos Geschwätz höre, stelle ich die Frage: Unterstellt, Sie brauchen +einen zusätzlichen Arbeiter, und ihrer zwei meldeten sich, beide in jeder andren Hinsicht +gleich tüchtig, aber der Eine ohne Daumen oder Vorfinger, welchen würden sie wählen? Sie +zögerten nie einen Augenblick, für den Vollfmgrigen zu entscheiden.... Diese Herrn Fabri- 40 +kanten haben falsche Vorurtheile gegen das, was sie pseudo-philanthropische Gesetzgebung +nennen." („Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855".) Diese Herrn sind „gescheidte Leut'" +und schwärmen nicht umsonst für die Sklavenhalter-Rebellion! +1 9 2 ) In den Fabriken, die am längsten dem Fabrikakt mit seiner Zwangsbeschränkung der Ar- +beitszeit und seinen sonstigen Regulationen unterworfen, sind manche frühre Mißstände ver- 45 +schwunden. Die Verbesserung der Maschinerie selbst erheischt auf einem gewissen Punkt +eine „verbesserte Konstruktion der Fabrikgebäude", die den Arbeitern zu gut kommt, (cf. +„Reports etc. for 31st Oct. 1863", p. 109.) + +384 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine. + +Der Kampf zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter beginnt mit dem Kapi- + +talverhältniß selbst. Er tobt fort während der ganzen ||393| Manufakturpe- + +r i o d e 1 9 3 ) . Aber erst seit der Einführung der Maschinerie bekämpft der Ar- + +5 beiter das Arbeitsmittel selbst, die materielle Existenzweise des Kapitals. + +Er revoltirt gegen diese bestimmte Form des Produktionsmittels als die ma- + +terielle Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise. + +Ziemlich ganz Europa erlebte während des 17. Jahrhunderts Arbeiterre- + +volten gegen die s.g. Bandmühle (auch Schnurmühle oder Mühlenstuhl ge- + +10 nannt), eine Maschine zum Weben von Bändern und B o r t e n 1 9 4 ) . Ende des + +ersten Dritttheils des 17. Jahrhunderts erlag eine Windsägemühle, von + +einem Holländer in der Nähe Londons angelegt, vor Pöbelexcessen. Noch + +Anfang des 18. Jahrhunderts überwanden durch Wasser getriebne Sägema- + +schinen in ||394| England nur mühsam den parlamentarisch unterstützten + +15 Volkswiderstand. Als Everet 1758 die erste vom Wasser getriebne Maschine + +zum Wollscheeren erbaut hatte, wurde sie von 100 000 außer Arbeit gesetz- + +1 9 3 ) Sieh u.a.: John Houghton: ,,Husbandry and Trade improved. Lond. 1727." „The Advan- +tages of the East India Trade 1720", John Bellers I.e. "The masters and the men are unhappily +in a perpetual war with each other. The invariable object of the former is to get their work +20 done as cheap as possibly; and they do not fail to employ every artifice to this purpose, whilst +the latter are equally attentive to every occasion of distressing their masters into a compliance +with higher demands." „An Inquiry into the causes of the Present High Price of Provisions". +1767, p. 61, 62. (Verf. Rev. Nathaniel Forster, ganz auf Seite der Arbeiter.) +1 9 4 ) Die Bandmühle ward in Deutschland erfunden. Der italienische Abbé Lancellotti in +25 einer Schrift, die 1636 zu Venedig erschien, erzählt: „Anton Müller aus Danzig habe vor un- +gefähr 50 Jahren (L. schrieb 1629) eine sehr künstliche Maschine in Danzig gesehn, die +4 - 6 Gewebe auf einmal verfertigte; weil der Stadtrath aber besorgt habe, diese Erfindung +möchte eine Masse Arbeiter zu Bettlern machen, so habe er die Erfindung unterdrückt und +den Erfinder heimlich ersticken oder ersäufen lassen." In Leyden wurde dieselbe Maschine +30 zuerst 1621 angewandt. Die Erneuten der Bortenwirker zwangen den Magistrat erst zu ihrem +Verbot; durch verschiedne Verordnungen von 1623, 1639 u.s.w. von Seiten der Generalstaa- +ten sollte ihr Gebrauch beschränkt werden; endlich erlaubt, unter gewissen Bedingungen, +durch Verordnung vom 5.December 1661. „In hac urbe", sagt Boxhorn („Inst. Pol. 1663") von +der Einführung der Bandmühle in Leyden, „ante hos viginti circiter annos instrumentum qui- +35 dam invenerunt textorium, quo solus quis plus panni et facilius conficere poterat, quam plu- +res aequali tempore. Hine turbae ortae et querulae textorum, tandemque usus hujus instru- +menti a magistratu prohibitus est." Dieselbe Maschine ward 1676 in Köln verboten, während +ihre Einführung in England gleichzeitige Arbeiterunruhen hervorrief. Durch kaiserliches +Edikt vom 19. Februar 1685 wurde ihr Gebrauch in ganz Deutschland untersagt. In Hamburg +40 wurde sie öffentlich auf Befehl des Magistrats verbrannt. Karl VI. erneuerte 9. Februar 1719 +das Edikt von 1685 und Chursachsen erlaubte ihren öffentlichen Gebrauch erst 1765. Diese +Maschine, die so viel Lärm in der Welt gemacht hat, war in der That Vorläufer der Spinn- und +Webmaschinen, also der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts. Sie befähigte einen in +der Weberei ganz unerfahrnen Jungen, durch bloßes Ab- und Zustoßen einer Treibstange den +45 ganzen Stuhl mit allen seinen Schützen in Bewegung zu setzen, und lieferte, in ihrer verbes- + +serten Form, 4 0 - 5 0 Stück auf einmal. + +385 + + Vierter Abschnitt.- Die Produktion des relativen Mehrwerts + +ten Menschen in Brand gesteckt. Gegen die scribbling mills und Kardirma- +schinen Arkwright's petitionirten 50 000 Arbeiter, die bisher vom Wollkrat- +zen gelebt, beim Parlament. Die massenhafte Zerstörung von Maschinen +in den englischen Manufakturdistrikten während der ersten 15 Jahre des +19. Jahrhunderts, namentlich in Folge der Ausbeutung des Dampfweb- +Stuhls bot, unter dem Namen der Ludditenbewegung, der Antijakobiner- +Regierung eines Sidmouth, Castlereagh u.s.w. den Vorwand zu reaktionär- +sten Gewaltschritten. Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die +Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und da- +her seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen ge- 10 +sellschaftliche Exploitationsform übertragen l e r n t 1 9 5 ) . + +5 + +15 + +Die Kämpfe um den Arbeitslohn innerhalb der Manufaktur setzen die +Manufaktur voraus und sind keineswegs gegen ihre Existenz gerichtet. So- +weit die Bildung der Manufakturen bekämpft wird, geschieht es von den +Zunftmeistern und privilegirten Städten, nicht von den Lohnarbeitern. Bei +Schriftstellern der Manufakturperiode wird die Theilung der Arbeit daher +vorherrschend als Mittel aufgefaßt, virtuell Arbeiter zu ersetzen, aber nicht +wirklich Arbeiter zu verdrängen. Dieser Unterschied ist selbstverständlich. +Sagt man z. B . , es würden 100 Millionen Menschen in England erheischt +sein, um mit dem alten Spinnrad die Baumwolle zu verspinnen, die jetzt 20 +von 500 000 mit der Maschine versponnen wird, so heißt das natürlich +nicht, daß die Maschine den Platz dieser Millionen, die nie existirt haben, +einnahm. Es heißt nur, daß viele Millionen Arbeiter erheischt wären, um +die Spinnmaschinerie zu ersetzen. Sagt man dagegen, daß der Dampfweb- +stuhl in England 800 000 Weber auf das Pflaster warf, so spricht man nicht 25 +von existirender Maschinerie, die durch eine bestimmte Arbeiterzahl er- +setzt werden müßte, sondern von einer existirenden Arbeiterzahl, die fak- +tisch durch Maschinerie ersetzt oder verdrängt worden ist. Während der +Manufakturperiode blieb der handwerksmäßige Betrieb, wenn auch zerlegt, +die Grundlage. Die neuen Kolonialmärkte konnten durch die relativ 30 +schwache ||395| Anzahl der vom Mittelalter überlieferten städtischen Ar- +beiter nicht befriedigt werden, und die eigentlichen Manufakturen öffne- +ten zugleich dem mit Auflösung der Feudalität von Grund und Boden ver- +trat also an der +jagten Landvolke neue Produktionsgebiete. Damals +Theilung der Arbeit und der Kooperation in den Werkstätten mehr die po- 35 +sitive Seite hervor, daß sie beschäftigte Arbeiter produktiver m a c h e n 1 9 6 ) . + +1 9 5 ) In altmodischen Manufakturen wiederholt sich noch heut zuweilen die rohe Form der +Arbeiterempörungen gegen die Maschinerie. So z.B. im Feilenschleifen zu Sheffield 1865. +1 9 6 ) Sir James Steuart faßt auch die Wirkung der Maschinerie noch ganz in diesem Sinn. «Je +considère donc les machines comme des moyens d'augmenter (virtuellement) le nombre des 40 +gens industrieux qu'on n'est pas obligé de nourrir ... En quoi l'effet d'une machine diffère-t-il + +386 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +5 + +Kooperation und Kombination der Arbeitsmittel in den Händen Weniger +rufen, auf die Agrikultur angewandt, zwar große, plötzliche und gewaltsa- +me Revolutionen der Produktionsweise und daher der Leb ensb e dingung en +und Beschäftigungsmittel der Landbevölkerung hervor, in vielen Ländern +lang vor der Periode der großen Industrie. Aber dieser Kampf spielt ur- +sprünglich mehr zwischen großen und kleinen Landeigenthümern als zwi- +schen Kapital und Lohnarbeit; andrerseits, soweit Arbeiter durch Arbeits- +mittel, Schafe, Pferde u. s. w. verdrängt werden, bilden unmittelbare +Gewaltakte hier in erster Instanz die Voraussetzung der industriellen Re- +10 volution. Erst werden die Arbeiter vom Grund und Boden verjagt, und +dann kommen die Schafe. Der Landdiebstahl auf großer Stufenleiter, wie +in England, schafft der großen Agrikultur erst ihr Anwendungsfeld 1 9 6 a). In +ihren Anfängen hat diese Umwälzung der Agrikultur daher mehr den +Schein einer politischen Revolution. + +15 + +Als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum Konkurrenten des Ar- +beiters selbst 1 9 7). Die Selbstverwerthung des Kapitals durch die Maschine +steht im direkten Verhältniß zur Arbeiter||396|zahl, deren Existenzbedin- +gungen sie vernichtet. Das ganze System der kapitalistischen Produktion +beruht darauf, daß der Arbeiter seine Arbeitskraft als Waare verkauft. Die +20 Theilung der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz partikulari- +sirten Geschick, ein Theilwerkzeug zu führen. Sobald die Führung des +Werkzeugs der Maschine anheimfällt, erlischt mit dem Gebrauchswerth +der Tauschwerth der Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuflich, wie au- +ßer Kurs gesetztes Papiergeld. Der Theil der Arbeiterklasse, den die Ma- +25 schinerie so in überflüssige, d. h. nicht länger zur Selbstverwerthung des +Kapitals unmittelbar nothwendige Bevölkerung verwandelt, geht einerseits +unter in dem ungleichen Kampf des alten handwerksmäßigen und manu- +fakturmäßigen Betriebs wider den maschinenmäßigen, überfluthet andrer- +seits alle leichter zugänglichen Industriezweige, überfüllt den Arbeitsmarkt +30 und senkt daher den Preis der Arbeitskraft unter ihren Werth. Ein großer +Trost für die pauperisirten Arbeiter soll sein, daß ihre Leiden theils nur +de celui de nouveaux habitants?» (Fzs. Uebers. t.I, 1.1, ch.XIX.) Viel naiver Petty, der sagt, +daß sie die „Polygamie" ersetze. Dieser Gesichtspunkt paßt höchstens für einige Theile der +Ver. Staaten. Dagegen: "Machinery can seldom be used with success to abridge the labour of +an individual; more time would be lost in its construction than could be saved by its applica- +tion. It is only really useful when it acts on great masses, when a single machine can assist the +work of thousands. It is accordingly in the most populous countries, where there are most idle +men, that it is most abundant ... It is not called into use by a scarcity of men, but by the facil- +ity with which they can be brought to work in masses." (Piercy Ravenstone: ,,Thoughts on the + +35 + +40 Funding System and its Effects. Lond. 1824", p. 45.) + +1 9 6 a ) (Zur 4. Aufl. - Dieß gilt auch für Deutschland. Wo bei uns große Agrikultur besteht, also +namentlich im Osten, ist sie erst möglich geworden durch das, seit dem 16. Jahrhundert, na- +mentlich aber seit 1648, eingerissene „Bauernlegen". - D. H.) +1 9 7 ) "Machinery and labour are in constant competition." (Ricardo I.e. p.479.) + +387 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +„zeitlich" („a temporary inconvenience"), theils daß die Maschinerie sich +nur allmählig eines ganzen Produktionsfelds bemächtigt, wodurch Umfang +und Intensität ihrer vernichtenden Wirkung gebrochen werde. Der eine +Trost schlägt den andren. Wo die Maschine allmählig ein Produktionsfeld +ergreift, producirt sie chronisches Elend in der mit ihr konkurrirenden Ar- +beiterschichte. Wo der Uebergang rasch, wirkt sie massenhaft und akut. +Die Weltgeschichte bietet kein entsetzlicheres Schauspiel als den allmähli- +gen, über Decennien verschleppten, endlich 1838 besiegelten Untergang +der englischen Handbaumwollweber. Viele von ihnen starben am Hunger- +tod, viele vegetirten lange mit ihren Familien auf 2%d. täglich 1 9 8). Akut 10 +dagegen wirkte die ||397| englische Baumwollmaschinerie auf Ostindien, +dessen Generalgouverneur 1 8 3 4 - 3 5 konstatirte: „Das Elend findet kaum +eine Parallele in der Geschichte des Handels. Die Knochen der Baumwoll- +weber bleichen die Ebenen von Indien." Allerdings, sofern diese Weber das +Zeitliche segneten, bereitete ihnen die Maschine nur „zeitliche Miß- 15 +stände". Uebrigens ist die „zeitliche" Wirkung der Maschinerie permanent, +indem sie beständig neue Produktionsgebiete ergreift. Die verselbständigte +und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise über- +haupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem +Arbeiter gibt, entwickelt sich also mit der Maschinerie zum vollständigen 20 +Gegensatz 1 9 9). Daher mit ihr zum erstenmal die brutale Revolte des Arbei- +ters gegen das Arbeitsmittel. + +1 9 8 ) Die Konkurrenz zwischen Handgeweb und Maschinengeweb wurde in England vor der +Einführung des Armengesetzes von 1834 dadurch verlängert, daß man die tief unter das Mini- +mum gefallenen Löhne durch Pfarreiunterstützung ergänzte. "The Rev. Mr. Turner was in 25 +1827 rector of Wilms to we, in Cheshire, a manufacturing district. The questions of the Com- +mittee of Emigration, and Mr. Turner's answers show how the competition of human labour is +maintained against machinery. Question: 'Has not the use of the power-loom superseded the +use of the hand-loom?' Answer: 'Undoubtedly; it would have superseded them much more +than it has done, if the handloom weavers were not enabled to submit to a reduction of 30 +wages.' Question: 'But in submitting he has accepted wages which are insufficient to support +him, and looks to parochial contribution as the remainder of his support?' Answer: 'Yes, and +in fact the competition between the hand-loom and the power-loom is maintained out of the +poor-rates.' Thus degrading pauperism or expatriation, is the benefit which the industrious re- +ceive from the introduction of machinery, to be reduced from the respectable and in some de- 35 +gree independent mechanic, to the cringing wretch who lives on the debasing bread of charity. +This they call a temporary inconvenience." („A Prize Essay on the comparative merits of +Competition and Cooperation. Lond. 1834", p. 29.) +1 9 9 ) "The same cause which may increase the revenue of the country (d. h., wie Ricardo an +derselben Stelle erläutert, the revenues of landlords and capitalists, deren Wealth, ökono- 40 +misch betrachtet, überhaupt = Wealth of the Nation) may at the same time render the popu- +lation redundant and deteriorate the condition of the labourer." (Ricardo I.e. p. 469.) „Der be- +ständige Zweck und die Tendenz jeder Vervollkommnung des Mechanismus ist in der That, +sich der Arbeit des Menschen ganz zu entschlagen oder ihren Preis zu vermindern durch Sub- +stitution von Weiber- und Kinderarbeit für die der erwachsnen männlichen Arbeiter, oder ro- 45 +her Arbeiter für geschickte." (Ure.) + +388 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +eiserner + +zu vollenden" 2 0 0). + +für menschliche Apparate + +Das Arbeitsmittel erschlägt den Arbeiter. Dieser direkte Gegensatz er- +scheint allerdings am handgreiflichsten, so oft neu eingeführte Maschine- +rie konkurrirt mit überliefertem Handwerks- oder Manufakturbetrieb. Aber +innerhalb der großen Industrie selbst wirkt fortwährende Verbeßrung der +5 Maschinerie und Entwicklung des automatischen Systems analog. „Der be- +ständige Zweck verbesserter Maschinerie ist, die Handarbeit zu vermin- +dern oder einen Ring in der Produktionskette der Fabrik durch Substitu- +tion +„Die +Anwendung von Dampf- und Wasserkraft auf Maschinerie, die bisher mit +10 der Hand bewegt wurde, ist das Ereigniß jedes Tages ... Die kleineren Ver- +beßrungen in der Maschinerie, welche Oekonomie der Bewegungskraft, +Verbeßrung des Machwerks, vermehrte Produktion in derselben Zeit oder +Verdrängung eines Kindes, eines Frauenzimmers oder eines Mannes be- +zwecken, sind konstant, und obgleich scheinbar nicht von großem Ge- +15 wicht, haben sie dennoch ||398| wichtige Resultate" 2 0 1). „Ueberau, wo eine +Operation viel Geschick und eine sichre Hand verlangt, entzieht man sie +so schnell als möglich den Armen des zu geschickten und oft zu Unregel- +mäßigkeiten aller Art geneigten Arbeiters, um einen besondren Mechanis- +mus damit zu betrauen, der so gut geregelt ist, daß ein Kind ihn überwa- +20 chen k a n n " 2 0 2 ) . „Im automatischen System wird das Talent des Arbeiters +progressiv verdrängt" 2 0 3). „Die Verbeßrung der Maschinerie erfordert nicht +nur Vermindrung in der Anzahl der beschäftigten erwachsnen Arbeiter zur +Erzielung eines bestimmten Resultats, sondern sie substituirt eine Klasse +von Individuen einer andren Klasse, eine minder geschickte einer ge- +schickteren, Kinder den Erwachsnen, Frauen den Männern. Alle diese +Wechsel verursachen beständige Fluktuationen in der Rate des Arbeits- +l o h n s " 2 0 4 ) . „Die Maschinerie wirft unaufhörlich Erwachsne aus der Fabrik +heraus" 2 0 5). Die außerordentliche Elasticität des Maschinenwesens +in +2 0 0 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1858", p. 43. +2 0 1 ) „Reports etc. 31st Oct. 1856", p. 15. +2 0 2 ) Ure I.e. p. 19. „Der große Vortheil der im Ziegelbacken angewandten Maschinerie besteht +darin, den Anwender ganz und gar von geschickten Arbeitern unabhängig zu machen." („Ch. +Empi. Comm. V.Report. Lond. 1866", p. 130, n.46.) + +25 + +30 + +Zusatz z. 2. A. Herr A. Sturrock, Superintendent des Maschinendepartements der ,,Great +35 Northern Railway" sagt aus mit Bezug auf Maschinenbau (Lokomotiven u. s.w.): „Kostspielige +(expensive) englische Arbeiter werden jeden Tag weniger gebraucht. Die Produktion wird ver- +mehrt durch die Anwendung verbesserter Instrumente, und diese Instrumente werden +ihrerseits bedient von einer niedrigen Sorte Arbeit (a low class of labour) ... Früher producirte +geschickte Arbeit nothwendiger Weise alle Theile der Dampfmaschine. Dieselben Theile wer- +den jetzt producirt durch Arbeit mit weniger Geschick, aber guten Instrumenten ... Unter In- +strumenten verstehe ich die beim Maschinenbau angewandten Maschinen." („Royal Commis- +sion on Railways. Minutes of Evidence, n. 17 862 und 17 863. London 1867".) +2 0 3 ) Ure I.e. p.20. +2 0 4 ) I.e. p.321. +2 0 5 ) I.e. p.23. + +40 + +45 + +389 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +in einem über ]/ 2 des Arbeiterpersonals beseitigt, während die 15 + +Folge gehäufter praktischer Erfahrung, des schon vorhandnen Umfangs +mechanischer Mittel und des beständigen Fortschritts der Technik zeigte +uns sein Sturmmarsch unter dem Druck eines verkürzten Arbeitstags. Aber +wer hätte 1860, im Zenithjahr der englischen Baumwollindustrie, die ga- +loppirenden Verbesserungen der Maschinerie und die entsprechende De- +placirung von Handarbeit geahnt, welche die drei folgenden Jahre unter +dem Stachel des amerikanischen Bürgerkriegs hervorriefen? Von den offi- +ciellen Anführungen der englischen Fabrikinspektoren über diesen Punkt +genügen hier ein paar Beispiele. Ein Manchester Fabrikant erklärt: „Statt +75 Kardir|1399|maschinen brauchen wir jetzt nur 12, welche dieselbe Quan- 10 +tität von ebenso guter, wenn nicht beßrer Qualität liefern ... Die Ersparung +an Arbeitslohn beträgt 10 Pfd. St. wöchentlich, die an Baumwollabfall +10 %." In einer Manchester Feinspinnerei wurde „vermittelst beschleunigter +Bewegung und Einführung verschiedner self-acting Processe in einem De- +partement +Kämmmaschine an der Stelle der zweiten Kardirmaschine die Zahl der +früher im Kardirraum beschäftigten Hände sehr vermindert hat". Eine and- +re Spinnfabrik schätzt ihre allgemeine Ersparung von „Händen" auf 10 % +Die Herren Gilmore, Spinner zu Manchester, erklären: „In unsrem blowing +Departement schätzten wir die in Folge neuer Maschinerie gemachte Er- 20 +sparung an Händen und Arbeitslohn auf ein volles Drittel . . . i n dem jack +frame und drawing frame room ungefähr % weniger in Auslage und Hän- +den; im Spinnraum ungefähr % weniger in Auslage. Aber das ist nicht alles; +wenn unser Garn jetzt zum Weber geht, ist es so sehr verbessert durch die +Anwendung der neuen Maschinerie, daß sie mehr und besseres Gewebe als 25 +mit dem alten Maschinengarn produciren" 2 0 6). Fabrikinspektor A. Red- +grave bemerkt hierzu: „Die Verminderung der Arbeiter bei gesteigerter +Produktion schreitet rasch vorwärts; in den Wollfabriken begann kürzlich +eine neue Reduktion der Hände, und sie dauert fort; vor wenigen Tagen +sagte mir ein Schulmeister, der bei Rochdale wohnt, die große Abnahme in 30 +den Mädchenschulen sei nicht nur dem Druck der Krise geschuldet, son- +dern auch den Aenderungen in der Maschinerie der Wollfabrik, in Folge +deren eine Durchschnittsreduktion von 70 Halbzeitlern stattgefunden" 2 0 7). + +2 0 6 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1863", p. 108 sqq. +2 0 7 ) I.e. p. 109. Die rasche Verbesserung der Maschinerie während der Baumwollkrise erlaubte 35 +den englischen Fabrikanten gleich nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs im +Umsehen den Weltmarkt wieder zu überfüllen. Die Gewebe wurden schon während der letz- +ten 6 Monate von 1866 fast unverkäuflich. Damit fing die Konsignation der Waaren nach +China und Indien an, was den ,,glut" natürlich noch intensiver machte. Anfang 1867 nahmen +die Fabrikanten zu ihrem gewöhnlichen Ausfluchtsmittel Zuflucht, Herabsetzung des Ar- 40 +beitslohns um 5 %. Die Arbeiter widersetzten sich und erklärten, theoretisch ganz richtig, das + +390 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Das Gesammtresultat der dem amerikanischen Bürgerkrieg geschulde- +ten mechanischen Verbesserungen in der englischen Baumwollindustrie +zeigt folgende Tabelle: | + +|400| Zahl der Fabriken. + +1856 + +2046 +152 +12 +2210 + +1861 + +2715 +163 +9 +2887 + +England und Wales +Schottland +Irland +Vereinigtes Königreich + +Anzahl der Dampfwebstühle. + +England und Wales +Schottland +Irland +Vereinigtes Königreich + +1856 + +275 590 +21624 +1633 +298 847 + +1861 + +368 125 +30110 +1757 +399 992 + +1868 + +2405 +131 +13 +2549 + +1868 + +344 719 +31864 +2 746 +379 329 + +Anzahl der Spindeln. + +England und Wales +Schottland +Irland +Vereinigtes Königreich + +25 818 576 +2 041129 +150 512 +28010217 + +28 352125 +1915 398 +119 944 +30 387 467 + +30 478 228 +1397 546 +124240 +32 000014 + +Anzahl der beschäftigten Personen. + +England und Wales +Schottland +Irland +Vereinigtes Königreich + +341170 +34 698 +3 345 +379213 + +407 598 +41237 +2 734 +451569 + +357 052 +39 809 +4203 +401064 + +Von 1861 bis 1868 verschwanden also 338 Baumwollfabriken; d.h. pro- +duktivere und großartigere Maschinerie koncentrirte sich in den Händen +einer geringem Zahl von Kapitalisten. Die Zahl der Dampfwebstühle nahm +ab um 20 663; aber ihr Produkt hatte sich gleichzeitig vermehrt, sodaß ein +30 verbesserter Webstuhl jetzt mehr leistete als ein alter. Endlich die Spindel- +zahl wuchs um 1 6 1 2 547, während die Zahl der beschäftigten Arbeiter um +50 505 abnahm. Das „zeitweilige" Elend, womit die Baumwollkrise die Ar- +beiter erdrückte, wurde also gesteigert und befestigt durch raschen und an- +haltenden Fortschritt der Maschinerie. + +35 + +Die Maschinerie wirkt jedoch nicht nur als übermächtiger Konkurrent, +stets auf dem Sprung, den Lohnarbeiter „überflüssig" zu machen. Als ihm +feindliche Potenz wird sie laut und tendenziell vom Kapital proklamirt + +einzige Heilmittel sei, kurze Zeit, 4 Tage per Woche, zu arbeiten. Nach längerem Sträuben +mußten die selbst ernannten Industriekapitäne sich hierzu entschließen, an einigen Stellen + +40 mit, an andren ohne Lohnherabsetzung um 5%. + +391 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +und gehandhabt. Sie wird das machtvollste Kriegsmittel zur Niederschla- +gung der periodischen Arbeiteraufstände, strikes u.s.w. wider die Autokra- +tie des Kapitals 2 0 8). ||401| Nach Gaskell war gleich die Dampfmaschine ein +Antagonist der „Menschenkraft", der den Kapitalisten befähigte, die stei- +genden Ansprüche der Arbeiter niederzuschmettern, die das beginnende +Fabriksystem zur Krise zu treiben drohten 2 0 9). Man könnte eine ganze Ge- +schichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloß als Kriegsmittel des +Kapitals wider Arbeiter erneuten ins Leben traten. Wir erinnern vor allem +an die selfacting mule, weil sie eine neue Epoche des automatischen Sy- +stems eröffnet 2 1 0). + +5 + +10 + +In seiner Aussage vor der Trades' Unions Commission berichtet Nas- +myth, der Erfinder des Dampfhammers, wie folgt über die Verbeßrungen +der Maschinerie, die er einführte in Folge des großen und langen Strikes +der Maschinenarbeiter 1851: „Der bezeichnende Zug unsrer modernen me- +chanischen Verbeßrungen ist die Einführung selbstthätiger Werkzeugma- 15 +schinen. Was jetzt ein mechanischer Arbeiter zu thun hat, und was jeder +Junge thun kann, ist nicht, selbst zu arbeiten, sondern die schöne Arbeit +der Maschine zu überwachen. Die ganze von ihrer Geschicklichkeit aus- +schließlich abhängende Klasse von Arbeitern ist jetzt beseitigt. Früher be- +schäftigte ich vier Jungen auf einen Mechaniker. Dank diesen neuen me- 20 +chanischen Kombinationen habe ich die Zahl der erwachsenen Männer +von 1500 auf 750 reducirt. Die Folge war eine bedeutende Vermehrung +meines Profits." + +Ure sagt von einer Maschine zum Farbendruck in den Kattundrucke- +reien: „Endlich suchten sich die Kapitalisten von dieser unerträglichen 25 +Sklaverei (nämlich den ihnen lästigen Kontraktsbedingungen der Arbeiter) +zu befreien, indem sie die Hülfsquellen der Wissenschaft anriefen, und +bald waren sie reintegrirt in ihre legitimen Rechte, die des Kopfes über die +andern Körpertheile." Er sagt von einer Erfindung zum Kettenschlichten, +deren unmittelbarer Anlaß ein strike: „Die Horde der Unzufriednen, die 30 +sich hinter den alten Linien der Theilung der Arbeit unbesiegbar ver- +schanzt wähnte, sah sich so in die Flanke genommen und ihre Vertheidi- +gungsmittel vernichtet durch die moderne mechanische ||402| Taktik. Sie +mußten sich auf Gnade und Ungnade ergeben." Er sagt von der Erfindung + +2 0 8 ) „Das Verhältniß zwischen Meistern und Händen in den Flint- und Flaschenglas-Bläse- +reien ist ein chronischer strike." Daher der Aufschwung der Manufaktur des gepreßten Glases, +wo die Hauptoperationen durch Maschinerie ausgeführt werden. Eine Firma bei Newcastle, +die früher jährlich 350000 Pfund geblasnes Flintglas producirte, producirt jetzt statt dessen +3 000 500 Pfund gepreßtes Glas. („Ch. Empi. Comm. IV.Rep. 1865", p. 262, 263.) +2 0 9 ) Gaskell: „The Manufacturing Population of England. Lond. 1833", p.34, 35. +2 1 0 ) Einige sehr bedeutende Anwendungen von Maschinen zum Maschinenbau erfand Herr +Fairbairn in Folge von strikes in seiner eignen Maschinenfabrik. + +35 + +40 + +392 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +der selfacting mule: „Sie war berufen, die Ordnung unter den industriellen +Klassen wieder herzustellen ... Diese Erfindung bestätigt die von uns be- +reits entwickelte Doktrin, daß das Kapital, indem es die Wissenschaft in +seinen Dienst preßt, stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit +5 zwingt" 2 1 1). Obgleich Ure's Schrift 1835 erschien, also zur Zeit eines relativ +noch schwach entwickelten Fabriksystems, bleibt sie der klassische Aus- +druck des Fabrikgeists, nicht nur wegen ihres offenherzigen Cynismus, +sondern auch wegen der Naivetät, womit er die gedankenlosen Widersprü- +che des Kapitalhirns ausplaudert. Nachdem er z . B . die „Doktrin" entwik- +10 kelt, daß das Kapital mit Hülfe der von ihm in Sold genommenen Wissen- +schaft „stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit zwingt", +entrüstet er sich darüber, „daß man von gewisser Seite die mechanisch- +physische Wissenschaft anklagt, sich dem Despotismus reicher Kapitali- +sten zu leihen und zum Unterdrückungsmittel der armen Klassen herzuge- +15 ben." Nachdem er weit und breit gepredigt, wie vortheilhaft rasche +Entwicklung der Maschinerie den Arbeitern, warnt er sie, daß sie durch +ihre Widersetzlichkeit, Strikes u.s.w., die Entwicklung der Maschinerie be- +schleunigen. „Derartige gewaltsame Revolten", sagt er, „zeigen die +menschliche Kurzsichtigkeit in ihrem verächtlichsten Charakter, dem Cha- +rakter eines Menschen, der sich zu seinem eignen Henker macht." Wenige +Seiten vorher heißt es umgekehrt: „Ohne die heftigen Kollisionen und Un- +terbrechungen, verursacht durch die irrigen Ansichten der Arbeiter, hätte +sich das Fabriksystem noch viel rascher entwickelt und viel nützlicher für +alle interessirten Parteien." Dann ruft er wieder aus: „Zum Glück für die +25 Bevölkerung der Fabrikbezirke Großbritanniens finden die Verbeßrungen +in der Mechanik nur allmählig statt." „Mit Unrecht", sagt er, „klagt man +die Maschinen an, daß sie den Arbeitslohn der Erwachsnen vermindern, +indem sie einen Theil derselben verdrängen, wodurch ihre Anzahl das Be- +dürfniß nach Arbeit übersteigt. Aber sie vermehren die Nachfrage nach +30 Kinderarbeit und erhöhen damit deren Lohnrate." Derselbe Trostspender +vertheidigt andrerseits die Niedrigkeit der Kinderlöhne damit, daß „sie die +Eltern abhalten, ihre Kinder zu früh in die Fabriken zu schicken". Sein +ganzes Buch ist eine Apologie des unbeschränkten Arbeitstags und es erin- +nert seine liberale Seele an die dunkelsten ||403| Zeiten des Mittelalters, +35 wenn die Gesetzgebung verbietet, Kinder von 13 Jahren mehr als 12 Stun- +den per Tag abzurackern. Dieß hält ihn nicht ab, die Fabrikarbeiter zu +einem Dankgebet an die Vorsehung aufzufordern, die ihnen durch die Ma- +schinerie „die Muße verschafft habe, über ihre unsterblichen Interessen +nachzudenken" 2 1 2). + +20 + +40 + +2 1 1 ) Ure I.e. p.367-70. +2 1 2 ) Ure I.e. p.368, 7, 370, 280, 321, 322, 281, 475. + +393 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +6. Die Kompensationstheorie +bezüglich der durch Maschinerie verdrängten Arbeiter. + +Eine ganze Reihe bürgerlicher Oekonomen, wie James Mill, MacCulloch, +Torrens, Senior, J. St.Mill u.s.w., behauptet, daß alle Maschinerie, die Ar- +beiter verdrängt, stets gleichzeitig und nothwendig ein adäquates Kapital +zur Beschäftigung derselben identischen Arbeiter freisetzt 2 1 3). + +5 + +Man unterstelle, ein Kapitalist wende 100 Arbeiter an z . B . in einer Ta- +petenmanufaktur, den Mann zu 30 Pfd. St. jährlich. Das von ihm jährlich +ausgelegte variable Kapital beträgt also 3000 Pfd. St. Er entlasse 50 Arbei- +ter und beschäftige die übrigbleibenden 50 mit einer Maschinerie, die ihm 10 +1500 Pfd. St. kostet. Der Vereinfachung halber wird von Baulichkeiten, +Kohlen u.s.w. abgesehn. Man nimmt ferner an, das jährlich verzehrte Roh- +material koste nach wie vor 3000 Pfd. S t . 2 1 4 ) . Ist durch diese Metamorpho- +se irgend ein Kapital „freigesetzt"? In der alten Betriebsweise bestand die +ausgelegte Gesammtsumme von 6000 Pfd. St. halb aus konstantem und 15 +halb aus variablem Kapital. Sie besteht jetzt aus 4500 Pfd. St. (3000 Pfd. +St. für Rohmaterial und 1500 Pfd. St. für Maschinerie) konstantem und +1500 Pfd. St. variablem Kapital. Statt der Hälfte bildet der variable oder in +lebendige Arbeitskraft umgesetzte Kapitaltheil nur noch % des Gesammt- +kapitals. Statt der Freisetzung findet hier Bindung von Kapital in einer 20 +Form statt, worin es aufhört sich gegen Arbeitskraft auszutauschen, d. h. +Verwandlung von variablem in konstantes Kapital. Das Kapital von +6000 Pfd. St. kann, unter sonst gleichbleibenden Umständen, jetzt niemals +mehr als 50 Arbeiter beschäftigen. Mit jeder Verbeßrung der Maschinerie +beschäftigt ||404| es weniger. Kostete die neu eingeführte Maschinerie we- 25 +niger als die Summe der von ihr verdrängten Arbeitskraft und Arbeits Werk- +zeuge, also z . B . statt 1500 nur 1000 Pfd. St., so würde ein variables Kapital +von 1000 Pfd. St. in konstantes verwandelt oder gebunden, während ein +Kapital von 500 Pfd. St. freigesetzt würde. Letzteres, denselben Jahreslohn +unterstellt, bildet einen Beschäftigungsfonds für ungefähr 16 Arbeiter, 30 +während 50 entlassen sind, ja für viel weniger als 16 Arbeiter, da die +500 Pfd. St. zu ihrer Verwandlung in Kapital wieder zum Theil in konstan- +tes Kapital verwandelt werden müssen, also auch nur zum Theil in Arbeits- +kraft umgesetzt werden können. + +Indeß, gesetzt auch, die Anfertigung der neuen Maschinerie beschäftige 35 + +2 1 3 ) Ricardo theilte ursprünglich diese Ansicht, widerrief sie aber später ausdrücklich mit sei- +ner charakteristischen wissenschaftlichen Unbefangenheit und Wahrheitsliebe. Sieh 1. c. +ch. XXXI. „On Machinery". +2 1 4 ) Nb., ich gebe die Illustration ganz in der Weise der obengenannten Oekonomen. + +394 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +eine größre Anzahl Mechaniker; soll das eine Kompensation sein für die +aufs Pflaster geworfnen Tapetenmacher? Im besten Fall beschäftigt ihre +Anfertigung weniger Arbeiter, als ihre Anwendung verdrängt. Die Summe +von 1500 Pfd. St., die nur den Arbeitslohn der entlaßnen Tapetenmacher +5 darstellte, stellt jetzt, in der Gestalt von Maschinerie, dar: 1) den Werth der +zu ihrer Herstellung erforderlichen Produktionsmittel, 2) den Arbeitslohn +der sie anfertigenden Mechaniker, 3) den ihrem „Meister" zufallenden +Mehrwerth. Ferner: einmal fertig, braucht die Maschine nicht erneuert zu +werden bis nach ihrem Tod. Um also die zusätzliche Anzahl Mechaniker +10 dauernd zu beschäftigen, muß ein Tapetenfabrikant nach dem andern Ar- + +beiter durch Maschinen verdrängen. + +In der That meinen jene Apologeten auch nicht diese Art Freisetzung +von Kapital. Sie meinen die Lebensmittel der freigesetzten Arbeiter. Es +kann nicht geläugnet werden, daß im obigen Fall z.B. die Maschinerie +15 nicht nur 50 Arbeiter freisetzt und dadurch „disponibel" macht, sondern +zugleich +ihren Zusammenhang mit Lebensmitteln zum Werth von +1500 Pfd. St. aufhebt und so diese Lebensmittel „freisetzt". Die einfache +und keineswegs neue Thatsache, daß die Maschinerie den Arbeiter von Le- +bensmitteln freisetzt, lautet also ökonomisch, daß die Maschinerie Lebens- +20 mittel für den Arbeiter freisetzt oder in Kapital zu seiner Anwendung ver- +wandelt. Man sieht, es kommt alles auf die Ausdrucksweise an. Nominibus +mollire licet mala. + +Nach dieser Theorie waren die Lebensmittel zum Werth von 1500 Pfd. +St. ein durch die Arbeit der fünfzig entlaßnen Tapetenarbeiter verwertetes +25 Kapital. Dieß Kapital verliert folglich seine Beschäftigung, sobald die fünf- +zig Feiertag bekommen, und hat ||405| nicht Ruh noch Rast, bis es eine +neue „Anlage" gefunden, worin besagte fünfzig es wieder produktiv konsu- +miren können. Früher oder später müssen also Kapital und Arbeiter sich +wieder zusammenfinden, und dann ist die Kompensation da. Die Leiden +30 der durch die Maschinerie verdrängten Arbeiter sind also ebenso vergäng- + +lich wie die Reichthümer dieser Welt. + +35 + +Die Lebensmittel zum Betrag von 1500 Pfd. St. standen den entlaßnen +Arbeitern niemals als Kapital gegenüber. Was ihnen als Kapital gegenüber- +stand, waren die jetzt in Maschinerie verwandelten 1500 Pfd. St. Näher be- +trachtet repräsentirten diese 1500 Pfd. St. nur einen Theil der vermittelst +der entlaßnen 50 Arbeiter jährlich producirten Tapeten, die sie in Geld- +form statt in natura von ihrem Anwender zum Lohn erhielten. Mit den in +1500 Pfd. St. verwandelten Tapeten kauften sie Lebensmittel zu demselben +Betrag. Diese existirten für sie daher nicht als Kapital, sondern als Waaren, +40 und sie selbst existirten für diese Waaren nicht als Lohnarbeiter, sondern +als Käufer. Der Umstand, daß die Maschinerie sie von Kaufmitteln „frei- + +395 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +gesetzt" hat, verwandelt sie aus Käufern in Nicht-Käufer. Daher vermin- +derte Nachfrage für jene Waaren. Voilà tout. Wird diese verminderte Nach- +frage nicht durch vermehrte Nachfrage von andrer Seite kompensirt, so +sinkt der Marktpreis der Waaren. Dauert dieß länger und in größrem Um- +fange, so erfolgt ein Deplacement der in der Produktion jener Waaren be- +schäftigten Arbeiter. Ein Theil des Kapitals, das früher nothwendige Le- +bensmittel producirte, wird in andrer Form reproducirt. Während des Falls +der Marktpreise und des Deplacements von Kapital werden auch die in der +Produktion der nothwendigen Lebensmittel beschäftigten Arbeiter von +einem Theil ihres Lohns „freigesetzt". Statt also zu beweisen, daß die Ma- 10 +schinerie durch die Freisetzung der Arbeiter von Lebensmitteln letztere +gleichzeitig in Kapital zur Anwendung der erstren verwandelt, beweist der +Herr Apologet mit dem probaten Gesetz von Nachfrage und Zufuhr umge- +kehrt, daß die Maschinerie nicht nur in dem Produktionszweig, worin sie +eingeführt, sondern auch in den Produktionszweigen, worin sie nicht ein- +geführt wird, Arbeiter aufs Pflaster wirft. + +15 + +5 + +20 + +Die wirklichen, vom ökonomischen Optimismus travestirten Thatsachen +sind diese: Die von der Maschinerie verdrängten Arbeiter werden aus der +Werkstatt hinaus auf den Arbeitsmarkt geworfen und vermehren dort die +Zahl der schon für kapitalistische Ausbeutung disponiblen Arbeitskräfte. +Im siebenten Abschnitt wird ||406| sich zeigen, daß diese Wirkung der Ma- +schinerie, die uns hier als eine Kompensation für die Arbeiterklasse darge- +stellt wird, den Arbeiter im Gegentheil als furchtbarste Geißel trifft. Hier +nur dieß: Die aus einem Industriezweig hinausgeworfnen Arbeiter können +allerdings in irgend einem andern Beschäftigung suchen. Finden sie sol- 25 +che, und knüpft sich damit das Band zwischen ihnen und den mit ihnen +freigesetzten Lebensmitteln wieder, so geschieht dieß vermittelst eines +neuen, zuschüssigen Kapitals, das nach Anlage drängt, keineswegs aber +vermittelst des schon früher funktionirenden und jetzt in Maschinerie ver- +wandelten Kapitals. Und selbst dann, wie geringe Aussicht haben sie! Ver- 30 +krüppelt durch die Theilung der Arbeit, sind diese armen Teufel außerhalb +ihres alten Arbeitskreises so wenig werth, daß sie nur in wenigen niedrigen +und daher beständig überfüllten und unterbezahlten Arbeitszweigen Zu- +gang finden 2 1 5). Ferner attrahirt jeder Industriezweig jährlich einen neuen +Menschenstrom, der ihm sein Kontingent zum regelmäßigen Ersatz und 35 + +2 1 5 ) Ein Ricardianer bemerkt hierüber gegen die Fadaisen J . B . Say's: „Bei entwickelter Thei- +lung der Arbeit ist das Geschick der Arbeiter nur in dem besondren Zweig anwendbar, worin +sie angelernt wurden; sie selbst sind eine Art von Maschinen. Es hilft daher absolut nichts, pa- +pageimäßig zu plappern, daß die Dinge eine Tendenz haben, ihr Niveau zu finden. Wir müs- +sen um uns schauen und sehn, daß sie für lange Zeit ihr Niveau nicht finden können; daß 40 +wenn sie es finden, das Niveau niedriger steht als beim Anfang des Processes." („An Inquiry +into those Principles respecting the Nature of Demand etc. Lond. 1821", p. 72.) + +3 9 6 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +Wachsthum liefert. Sobald die Maschinerie einen Theil der bisher in +einem bestimmten Industriezweig beschäftigten Arbeiter freisetzt, wird +auch die Ersatzmannschaft neu vertheilt und in andern Arbeitszweigen ab- +sorbirt, während die ursprünglichen Opfer in der Uebergangszeit großen- +theils verkommen und verkümmern. + +5 + +15 + +Es ist eine unzweifelhafte Thatsache, daß die Maschinerie an sich nicht +verantwortlich ist für die „Freisetzung" der Arbeiter von Lebensmitteln. +Sie verwohlfeilert und vermehrt das Produkt in dem Zweig, den sie ergreift, +und läßt die in andren Industriezweigen producirte Lebensmittel-Masse +10 zunächst unverändert. Nach wie vor ihrer Einführung besitzt die Gesell- +schaft also gleichviel oder mehr Lebensmittel für die deplacirten Arbeiter, +ganz abgesehn von dem enormen Theil des jährlichen Produkts, der von +Nichtarb eitern vergeudet wird. Und dieß ist die Pointe der ökonomisti- +schen Apologetik! Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschine- +rie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existiren nicht, weil sie +nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, ||407| sondern aus ihrer kapita- +listischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Ar- +beitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag ver- +längert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre +Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die Naturkraft ist, +kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft unterjocht, +an sich den Reichthum des Producenten vermehrt, kapitalistisch ange- +wandt ihn verpaupert u.s.w., erklärt der bürgerliche Oekonom einfach, das +Ansichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, daß alle jene hand- +25 greiflichen Widersprüche bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber +an sich, also auch in der Theorie gar nicht vorhanden sind. Er spart sich so +alles weitre Kopfzerbrechen und bürdet seinem Gegner obendrein die +Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu +bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst. + +20 + +30 + +Keineswegs läugnet der bürgerliche Oekonom, daß dabei auch zeitwei- +lige Unannehmlichkeiten herauskommen; aber wo gäbe es eine Medaille +ohne Kehrseite! Eine andre als die kapitalistische Ausnutzung der Maschi- +nerie ist für ihn unmöglich. Ausbeutung des Arbeiters durch die Maschine +ist ihm also identisch mit Ausbeutung der Maschine durch den Arbeiter. +35 Wer also enthüllt, wie es um die kapitalistische Anwendung der Maschine- +rie in Wirklichkeit bestellt ist, der will ihre Anwendung überhaupt nicht, +der ist ein Gegner des sozialen Fortschritts! 2 1 6) Ganz das Raisonnement + +2 1 6 ) Ein Virtuose in diesem anmaßlichen Cretinismus ist u.a. MacCulloch. „Wenn es vortheil- +haft ist", sagt er z.B. mit der affektirten Naivetät eines Kindes von 8 Jahren, „das Geschick +40 des Arbeiters mehr und mehr zu entwickeln, so daß er fähig wird, ein stets wachsendes Waa- +renquantum mit demselben oder geringerem Arbeitsquantum zu produciren, so muß es auch + +397 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +des berühmten Gurgelschneiders Bill Sykes: „Meine Herren Geschwornen, +diesen Handlungsreisenden ist allerdings die Gurgel abgeschnitten wor- +den. Diese Thatsache aber ist nicht meine Schuld, sie ist die Schuld des +Messers. Sollen wir wegen solcher zeitweiligen Unannehmlichkeiten den +Gebrauch des Messers abschaffen? Bedenken Sie ja! Wo wäre Ackerbau +und Handwerk ohne Messer? Ist es nicht ebenso heilbringend in der Chir- +urgie wie gelehrt in der Anatomie? Dazu williger Gehülfe bei fröhlichem +Mahl? Schaffen Sie das Messer ab - Sie schleudern uns zurück in die tief- +ste B a r b a r e i " 2 1 6 a ) . | + +5 + +|408| Obwohl die Maschinerie nothwendig Arbeiter verdrängt in den Ar- 10 + +beitszweigen, wo sie eingeführt wird, so kann sie dennoch eine Zunahme +von Beschäftigung in andern Arbeitszweigen hervorrufen. Diese Wirkung +hat aber nichts gemein mit der sogenannten Kompensationstheorie. Da j e - +des Maschinenprodukt, z.B. eine Elle Maschinengeweb, wohlfeiler ist als +das von ihm verdrängte gleichartige Handprodukt, folgt als absolutes Ge- 15 +setz: Bleibt das Gesammtquantum des maschinenmäßig producirten Arti- +kels gleich dem Gesammtquantum des von ihm ersetzten handwerks- oder +manufakturmäßig producirten Artikels, so vermindert sich die Gesammt- +summe der angewandten Arbeit. Die etwa zur Produktion der Arbeitsmittel +selbst, der Maschinerie, Kohle u. s. w., erheischte Arbeitszunahme muß 20 +kleiner sein als die durch Anwendung der Maschinerie bewirkte Arbeitsab- +nahme. Das Maschinenprodukt wäre sonst eben so theuer oder theurer als +das Handprodukt. Statt aber gleich zu bleiben, wächst thatsächlich die Ge- +sammtmasse des von einer verminderten Arbeiteranzahl producirten Ma- +schinenartikels weit über die Gesammtmasse des verdrängten Handwerks- 25 +artikels. Gesetzt 400 000 Ellen Maschinengeweb würden von weniger +Arbeitern producirt als 100 000 Ellen Handgeweb. In dem vervierfachten +Produkt steckt viermal mehr Rohmaterial. Die Produktion des Rohmate- +rials muß also vervierfacht werden. Was aber die verzehrten Arbeitsmittel, +wie Baulichkeiten, Kohlen, Maschinen u. s. w. betrifft, so ändert sich die 30 +Grenze, innerhalb deren die zu ihrer Produktion erheischte zusätzliche Ar- +beit wachsen kann, mit der Differenz zwischen der Masse des Maschinen- +produkts und der Masse des von derselben Arbeiterzahl herstellbaren +Handprodukts. + +Mit der Ausdehnung des Maschinenbetriebs in einem Industriezweig 35 + +steigert sich also zunächst die Produktion in den andren Zweigen, die ihm + +vortheilhaft sein, daß er sich solcher Maschinerie zu seinem Beistande bediene, wie sie ihn +am wirksamsten in der Erreichung dieses Resultats unterstützt." (MacCulloch: „Princ. of Pol. +Econ. Lond. 1830", p. 166.) +2 1 6 a ) „Der Erfinder der Spinnmaschine hat Indien ruinirt, was uns indeß wenig rührt." 40 +A.Thiers, „De la Propriété". Herr Thiers verwechselt hier die Spinnmaschine mit dem mecha- +nischen Webstuhl, „was uns indeß wenig rührt". + +398 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +5 + +seine Produktionsmittel liefern. Wie weit dadurch die beschäftigte Arbei- +termasse wächst, hängt, Länge des Arbeitstags und Intensität der Arbeit ge- +geben, von der Zusammensetzung der verwandten Kapitale ab, d. h. vom +Verhältniß ihrer konstanten und variablen Bestandtheile. Dieß Verhältniß +seinerseits variirt sehr mit dem Umfang, worin die Maschinerie jene Ge- +werbe selbst schon ergriffen hat oder ergreift. Die Anzahl zu Kohlen- und +Metallbergwerken verurtheilter Menschen schwoll ungeheuer mit dem +Fortschritt des englischen Maschinenwesens, obgleich ihr An||409|wachs in +den letzten Decennien durch Gebrauch neuer Maschinerie für den Berg- +10 bau verlangsamt wird 2 1 7). Eine neue Arbeiter art springt mit der Maschine +ins Leben, ihr Producent. Wir wissen bereits, daß der Maschinenbetrieb +sich dieses Produktionszweigs selbst auf stets massenhafterer Stufenleiter +bemächtigt 2 1 8). Was ferner das Rohmaterial betrifft 2 1 9), so unterliegt es +z.B. keinem Zweifel, daß der Sturmmarsch der Baumwollspinnerei den +15 Baumwollbau der Vereinigten Staaten und mit ihm nicht nur den afrikani- +schen Sklavenhandel treibhausmäßig förderte, sondern zugleich die Neger- +zucht zum Hauptgeschäft der sogenannten Grenz-Sklavenstaaten machte. +Als 1790 der erste Sklavencensus in den Vereinigten Staaten aufgenom- +men ward, betrug ihre Zahl 697 000, dagegen 1861 ungefähr vier Millionen. +20 Andrerseits ist es nicht minder gewiß, daß das Aufblühen der mechani- +schen Wollfabrik mit der progressiven Verwandlung von Ackerland in +Schafweide die massenhafte Verjagung und „Ueberzähligmachung" der +Landarbeiter hervorrief. Irland macht noch in diesem Augenblick den Pro- +ceß durch, seine seit 1845 beinahe um die Hälfte verminderte Bevölkerung +25 noch weiter auf das dem Bedürfniß seiner Landlords und der englischen + +Herrn Wollfabrikanten exakt entsprechende Maß herabzudrücken. + +Ergreift die Maschinerie Vor- oder Zwischenstufen, welche ein Arbeits- +gegenstand bis zu seiner letzten Form zu durchlaufen hat, so vermehrt sich +mit dem Arbeitsmaterial die Arbeitsnachfrage in den noch handwerks- +30 oder manufakturmäßig betriebnen Gewerken, worin das Maschinenfabri- + +2 1 7 ) Nach dem Census von 1861 (Vol. IL Lond. 1863) betrug die Zahl der in den Kohlenberg- +werken von England und Wales beschäftigten Arbeiter 246 613, wovon 73 546 unter und +173 067 über 20 Jahre. Zur ersten Rubrik gehören 835 fünf- bis zehnjährige, 30 701 zehn- bis +fünfzehnjährige, 42 010 fünfzehn- bis neunzehnjährige. Die Zahl der in Eisen-, Kupfer-, Blei-, + +35 Zinn- und allen andren Metallminen Beschäftigten: 319222. + +2 1 8 ) In England und Wales 1861 in der Produktion von Maschinerie beschäftigt: 60 807 Per- +sonen, eingezählt die Fabrikanten sammt ihren Kommis u.s.w., ditto alle Agenten und Han- +delsleute in diesem Fach. Ausgeschlossen dagegen die Producenten kleinerer Maschinen, wie +Nähmaschinen, u.s.w., ebenso die Producenten der Werkzeuge für die Arbeitsmaschinen, wie + +40 Spindeln u.s.w. Zahl sämmtlicher Civilingenieure betrug 3329. + +2 1 9 ) Da Eisen einer der wichtigsten Rohstoffe, so sei hier bemerkt, daß 1861 in England und +Wales 125 771 Eisengießer, wovon 123 430 männlich, 2341 weiblich. Von den erstem 30 810 +unter und 92 620 über 20 Jahre. + +399 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +kat eingeht. Die Maschinenspinnerei z.B. lieferte das Garn so wohlfeil und +so reichlich, daß die Handweber zunächst, ohne vermehrte Auslage, volle +Zeit arbeiten konnten. ||410| So stieg ihr Einkommen 2 2 0). Daher Men- +schenzufluß in die Baumwollweberei, bis schließlich die von Jenny, +Throstle und Mule in England z.B. ins Leben gerufnen 8 0 0 0 0 0 Baumwoll- +weber wieder vom Dampfwebstuhl erschlagen wurden. So wächst mit dem +Ueberfluß der maschinenmäßig producirten Kleidungsstoffe die Zahl der +Schneider, Kleidermacherinnen, Näherinnen u.s.w., bis die Nähmaschine +erscheint. + +5 + +Entsprechend der steigenden Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten, Ar- 10 + +beitsinstrumenten u.s.w., die der Maschinenbetrieb mit relativ geringer Ar- +beiterzahl liefert, sondert sich die Bearbeitung dieser Rohstoffe und Halb- +fabrikate in zahllose Unterarten, wächst also die Mannigfaltigkeit der +gesellschaftlichen Produktionszweige. Der Maschinenbetrieb treibt die ge- +sellschaftliche Theilung der Arbeit ungleich weiter als die Manufaktur, 15 +weil er die Produktivkraft der von ihm ergriffnen Gewerbe in zugleich höh- +rem Grad vermehrt. + +Das nächste Resultat der Maschinerie ist, den Mehrwerth und zugleich +die Produktenmasse, worin er sich darstellt, also mit der Substanz, wovon +die Kapitalistenklasse sammt Anhang zehrt, diese Gesellschaftsschichten 20 +selbst zu vergrößern. Ihr wachsender Reichthum und die relativ beständig +fallende Anzahl der zur Produktion der ersten Lebensmittel erheischten +Arbeiter erzeugen mit neuem Luxusbedürfniß zugleich neue Mittel seiner +Befriedigung. Ein größrer Theil des gesellschaftlichen Produkts verwandelt +sich in Surplusprodukt und ein größrer Theil des Surplusprodukts wird in 25 +verfeinerten und vermannigfachten Formen reproducirt und verzehrt. In +andren Worten: Die Luxusproduktion wächst 2 2 1). Die Verfeinerung und +Vermannigfachung der Produkte entspringt ebenso aus den neuen welt- +marktlichen Beziehungen, welche die große Industrie schafft. Es werden +nicht nur mehr ausländische Genußmittel gegen das heimische Produkt 30 +ausgetauscht, sondern es geht auch eine größre Masse fremder Rohstoffe, +Ingredienzien, Halbfabrikate u.s.w. als Produktionsmittel in die heimische +Industrie ein. Mit diesen weltmarktlichen Beziehungen steigt die Arbeits-1 + +2 2 0 ) „Eine Familie von 4 erwachsnen Personen (Baumwollwebern) mit zwei Kindern als win- +ders gewann Ende des letzten und Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts 4 Pfd. St. per 35 +Woche bei lOstündiger Tagesarbeit; war die Arbeit sehr dringend, so konnten sie mehr verdie- +nen ... Früher hatten sie immer gelitten von mangelnder Garnzufuhr." (Gaskell. 1. c. p. 24, +26.) +2 2 1 ) F.Engels in „Lage u. s.w." weist den jämmerlichen Zustand eines großen Theils grade +dieser Luxusarbeiter nach. Massenhafte neue Belege hierzu in den Berichten der ,,Child. 40 +Empi. Comm." + +400 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +|411 !nachfrage in der Transportindustrie und spaltet sich letztere in zahl- +reiche neue Unterarten 2 2 2). + +10 + +Die Vermehrung von Produktions- und Lebensmitteln bei relativ abneh- +mender Arbeiterzahl treibt zur Ausdehnung der Arbeit in Industriezwei- +5 gen, deren Produkte, wie Kanäle, Waarendocks, Tunnels, Brücken u. s. w. +nur in fernrer Zukunft Früchte tragen. Es bilden sich, entweder direkt auf +der Grundlage der Maschinerie, oder doch der ihr entsprechenden allge- +meinen industriellen Umwälzung, ganz neue Produktionszweige und daher +neue Arbeitsfelder. Ihr Raumantheil an der Gesammtproduktion ist jedoch +selbst in den meist entwickelten Ländern keineswegs bedeutend. Die An- +zahl der von ihnen beschäftigten Arbeiter steigt im direkten Verhältniß, +worin die Nothwendigkeit rohster Handarbeit reproducirt wird. Als Haupt- +industrien dieser Art kann man gegenwärtig Gaswerke, Télégraphie, Photo- +graphie, Dampfschifffahrt und Eisenbahnwesen betrachten. Der Census +15 von 1861 (für England und Wales) ergibt in der Gasindustrie (Gaswerke, +Produktion der mechanischen Apparate, Agenten der Gaskompagnien +u . s . w . ) 15 211 Personen, Télégraphie 2399, Photographie 2366, Dampf- +schiffdienst 3570 und Eisenbahnen 70 599, worunter ungefähr 28 000 mehr +oder minder permanent beschäftigte „ungeschickte" Erdarbeiter nebst dem +ganzen administrativen und kommerciellen Personal. Also Gesammtzahl +der Individuen in diesen fünf neuen Industrien 9 4 1 4 5 . + +20 + +25 + +Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphä- +ren der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv ge- +steigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphä- +ren, einen stets größren Theil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden +und so namentlich die alten Haussklaven unter dem Namen der „dienen- +den Klasse", wie Bediente, Mägde, Lakaien u.s.w., stets massenhafter zu +reproduciren. Nach dem Census von 1861 zählte die Gesammtbevölkerung +von England und Wales 20 066 224 Personen, wovon 9 7 7 0 2 5 9 männlich +30 und 10 289 965 weiblich. Zieht man hiervon äb, was zu alt oder zu jung zur +Arbeit, alle „unproduktiven" Weiber, jungen Personen und Kinder, dann +die „ideologischen" Stände, wie Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär +u.s.w., ferner alle, deren ausschließliches Geschäft der Verzehr fremder Ar- +beit in der Form von Grundrente, Zins u.s.w., endlich Paupers, Vagabun- +den, Verbrecher u.s.w., so bleiben in rauher Zahl 8 Millionen beiderlei | +|412| Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, mit Einschluß +sämmtlicher irgendwie in der Produktion, dem Handel, der Finanz u. s. w. +funktionirenden Kapitalisten. Von diesen 8 Millionen kommen auf: + +35 + +l) 1861 in England und Wales 94 665 in der Handelsmarine beschäftigte Seeleute. + +401 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Ackerbauarbeiter (mit Einschluß der Hirten +und bei Pächtern wohnenden Ackersknechte +und Mägde) + +Alle in Baumwoll-, WoIl-, Worsted-, Flachs-, +Hanf-, Seide-, Jutefabriken und in der mecha- +nischen Strumpfwirkerei und Spitzenfabrika- +tion Beschäftigten + +1098 261 + +Personen. + +642 6 0 7 2 2 3 ) + +Alle in Kohlen- und Metallbergwerken Be- +schäftigten + +565 835 + +sämmtlichen Metallwerken + +In +(Hochöfen, +Walzwerke u. s. w.) und Metallmanufakturen +aller Art Beschäftigte + +Dienende Klasse + +396 9 9 8 2 2 4 ) + +1208 6 4 8 2 2 5 ) + +5 + +10 + +Rechnen wir die in allen textilen Fabriken Beschäftigten zusammen mit +dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir 1 2 0 8 442; 15 +rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Metallwerke und Ma- +nufakturen, so die Gesammtzahl 1 0 3 9 605, beidemal kleiner als die Zahl +der modernen Haussklaven. Welch erhebendes Resultat der kapitalistisch +exploitirten Maschinerie! + +7. Repulsion und Attraktion von Arbeitern +mit Entwicklung des Maschinenbetriebs. +Krisen der Baumwollindustrie. + +20 + +Alle zurechnungsfähigen Repräsentanten der politischen Oekonomie ge- +ben zu, daß neue Einführung der Maschinerie pestartig wirkt auf die Ar- +beiter in den überlieferten Handwerken und Manufakturen, womit sie zu- 25 +nächst konkurrirt. Fast alle beächzen die Sklaverei des Fabrikarbeiters. +Und was ist der große Trumpf, ||413| den alle ausspielen? Daß die Maschi- +nerie, nach den Schrecken ihrer Einführungs- und Entwicklungsperiode, +die Arbeitssklaven in letzter Instanz vermehrt, statt sie schließlich zu ver- + +2 2 3 ) Davon nur 177 596 männlichen Geschlechts über 13 Jahre. +2 2 4 ) Davon weiblichen Geschlechts 30 501. +2 2 5 ) Davon männlichen Geschlechts: 137 447. Ausgeschlossen von den 1208 648 alles Per- +sonal, das nicht in Privathäusern dient. + +Zusatz zur 2. Ausg. Von 1861 bis 1870 hat sich die Zahl männlicher Diener beinahe verdop- +pelt. Sie war angewachsen auf 267 671. Im Jahr 1847 gab es 2694 Wildhüter (für die aristokra- +tischen Wildgehege), 1869 dagegen 4921. - Die jungen, beim Londoner kleinen Spießbürger +dienenden Mädchen heißen in der Volkssprache ,,little slaveys", kleine Sklaven. + +30 + +35 + +402 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +mindern! Ja, die politische Oekonomie jubelt sich aus in dem abscheuli- +chen Theorem, abscheulich für jeden „Philanthropen", der an die ewige +Naturnothwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise glaubt, daß +selbst die bereits auf Maschinenbetrieb begründete Fabrik, nach bestimm- +ter Periode des Wachsthums, nach kürzrer oder längrer „Uebergangszeit", +mehr Arbeiter abplackt, als sie ursprünglich aufs Pflaster warf 2 2 6)! + +5 + +Zwar zeigte sich schon an einigen Beispielen, z . B . den englischen Wor- +sted- und Seidenfabriken, daß auf einem gewissen Entwicklungsgrad +außerordentliche Ausdehnung von Fabrikzweigen mit nicht nur relativer, +10 sondern absoluter Abnahme der angewandten Arbeiteranzahl verbunden +sein kann. Im Jahr 1860, als ein Specialcensus aller Fabriken des Vereinig- +ten Königreichs auf Befehl des Parlaments aufgenommen ward, zählte die +dem Fabrikinspektor R. Baker zugewiesne Abtheilung der Fabrikdistrikte +von Lancashire, Cheshire und Yorkshire 652 Fabriken; von diesen enthiel- +15 ten 570: Dampfwebstühle 85 622, Spindeln (mit Ausschluß der Dublirspin- +deln) 6 8 1 9 1 4 6 , Pferdekraft in Dampfmaschinen 27 439, in Wasserrädern +1390, beschäftigte Personen 9 4 1 1 9 . Im Jahr 1865 dagegen enthielten die- +selben Fabriken: Webstühle 95 163, Spindeln 7 025 031, Pferdekraft in +Dampfmaschinen 28 925, in Wasserrädern 1445, beschäftigte Personen +20 88 913. Von 1860 bis 1865 betrug ||414| also die Zunahme dieser Fabriken +an Dampfwebstühlen 11 %, an Spindeln 3 %, an Dampfpferdekraft 5 %, wäh- +rend gleichzeitig die Zahl der beschäftigten Personen um 5,5 % ab- +n a h m 2 2 7 ) . Zwischen 1856 und 1862 fand beträchtliches Wachsthum der +englischen Wollfabrikation statt, während die Zahl der angewandten Arbei- + +25 + +2 2 6 ) Ganilh betrachtet dagegen als Schluß-Resultat des Maschinenbetriebs absolut vermin- +derte Anzahl der Arbeitssklaven, auf deren Kosten dann eine vermehrte Anzahl der ,,gens +honnêtes" zehrt und ihre bekannte ,,perfectibilité perfectible" entwickelt. So wenig er die +Bewegung der Produktion versteht, fühlt er wenigstens, daß die Maschinerie eine sehr fatale +Institution, wenn ihre Einführung beschäftigte Arbeiter in Paupers verwandelt, während ihre +30 Entwicklung mehr Arbeitssklaven in's Leben ruft, als sie erschlagen hat. Den Cretinismus +seines eignen Standpunkts kann man nur in seinen eignen Worten ausdrücken: «Les classes +condamnées à produire et à consommer diminuent, et les classes qui dirigent le travail, qui +soulagent, consolent et éclairent toute la population, se multiplient . . . e t s'approprient tous +les bienfaits qui résultent de la diminution des frais du travail, de l'abondance des produc- +tions et du bon marché des consommations. Dans cette direction, l'espèce humaine s'élève +aux plus hautes conceptions du génie, pénètre dans les profondeurs mystérieuses de la reli- +gion, établit les principes salutaires de la morale (die darin besteht de ,,s'approprier tous les +bienfaits etc."), les lois tutélaires de la liberté (der liberté pour ,,les classes condamnées à pro- +duire"?) et du pouvoir, de l'obéissance et de la justice, du devoir et de l'humanité.» Dieß Kau- +40 derwelsch in: „Des Systèmes d'Économie Politique etc. Par M. Ch. Ganilh". 2ème éd. Paris + +35 + +1821, 1.1, p. 224. cf. ib. p. 212. +2 2 7 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 58 sq. Gleichzeitig war aber auch schon die +materielle Grundlage für Beschäftigung einer wachsenden Arbeiterzahl gegeben in 110 neuen +Fabriken mit 11625 Dampfwebstühlen, 628 576 Spindeln, 2695 Dampf- und Wasser-Pferde- + +45 kraft. (1. c.) + +403 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +ter beinahe stationär blieb. „Dieß zeigt, in wie großem Maße neu einge- +führte Maschinerie die Arbeit vorhergehender Perioden verdrängt +hatte" 2 2 8). In empirisch gegebnen Fällen ist die Zunahme der beschäftigten +Fabrikarbeiter oft nur scheinbar, d.h. nicht der Ausdehnung der bereits auf +Maschinenbetrieb beruhenden Fabrik geschuldet, sondern der allmähligen +Annexation von Nebenzweigen. Z. B. „die Zunahme der mechanischen +Webstühle und der durch sie beschäftigten Fabrikarbeiter von 1 8 3 8 - 1 8 5 6 +war in der (britischen) Baumwollfabrik einfach der Ausdehnung dieses Ge- +schäftszweigs geschuldet; in den andren Fabriken dagegen der Neuanwen- +dung von Dampfkraft auf den Teppich-, Band-, Leinenwebstuhl u.s.w., die +vorher durch menschliche Muskelkraft getrieben wurden" 2 2 9). Die Zu- +nahme dieser Fabrikarbeiter war also nur der Ausdruck einer Abnahme in +der Gesammtzahl der beschäftigten Arbeiter. Es wird hier endlich ganz da- +von abgesehn, daß überall, mit Ausnahme der Metallfabriken, jugendliche +Arbeiter (unter 18 Jahren), Weiber und Kinder das weit vorwiegende Ele- +ment des Fabrikpersonals bilden. + +Man begreift jedoch, trotz der vom Maschinenbetrieb faktisch verdräng- +ten und virtuell ersetzten Arbeitermasse, wie mit seinem eignen Wachs- +thum, ausgedrückt in vermehrter Anzahl von Fabriken derselben Art oder +den erweiterten Dimensionen vorhandner Fabriken, die Fabrikarbeiter +schließlich zahlreicher sein können als die von ihnen verdrängten Manu- +fakturarbeiter oder Handwerker. Das wöchentlich angewandte Kapital von +500 Pfd. St. bestehe ||415| z.B. in der alten Betriebsweise aus 2/ 5 konstantem +und % variablem Bestandtheil, d. h. 200 Pfd. St. seien in Produktionsmit- +teln ausgelegt, 300 Pfd. St. in Arbeitskraft, sage 1 Pfd. St. per Arbeiter. Mit +dem Maschinenbetrieb verwandelt sich die Zusammensetzung des Ge- +sammtkapitals. Es zerfällt jetzt z . B . in % konstanten und l/ 5 variablen B e - +standtheil, oder es werden nur noch 100 Pfd. St. in Arbeitskraft ausgelegt. +Zwei Drittel der früher beschäftigten Arbeiter werden also entlassen. Dehnt +sich dieser Fabrikbetrieb aus und wächst bei sonst gleichbleibenden Pro- +duktionsbedingungen das angewandte Gesammtkapital von 500 auf 1500, +so werden jetzt 300 Arbeiter beschäftigt, so viele wie vor der industriellen +Revolution. Wächst das angewandte Kapital weiter auf 2000, so werden + +2 2 8 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 79. + +Zusatz zur 2. Ausg. Ende December 1871 sagte Fabrikinspektor A. Redgrave in einem Vor- +trag, gehalten zu Bradford, in der „New Mechanics' lustitution": „Was mich seit einiger Zeit +frappirt hat, war die veränderte Erscheinung der Wollfabriken. Früher waren sie mit Weibern +und Kindern gefüllt, jetzt scheint die Maschinerie alles Werk zu thun. Auf Anfrage gab mir +ein Fabrikant folgenden Aufschluß: Unter dem alten System beschäftigte ich 63 Personen; +nach Einführung verbesserter Maschinerie reducirte ich meine Hände auf 33, und jüngst, in +Folge neuer großer Veränderungen war ich im Stande, sie von 33 auf 13 zu reduciren." +2 2 9 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1856", p. 16. + +404 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +400 Arbeiter beschäftigt, also % mehr als mit der alten Betriebsweise. Abso- +lut ist die angewandte Arbeiterzahl um 100 gestiegen, relativ, d.h. im Ver- +hältniß zum vorgeschoßnen Gesammtkapital, ist sie um 800 gefallen, denn +das Kapital von 2000 Pfd. St. hätte in der alten Betriebsweise 1200 statt +5 400 Arbeiter beschäftigt. Relative Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl +verträgt sich also mit ihrer absoluten Zunahme. Es wurde oben angenom- +men, daß mit dem Wachsthum des Gesammtkapitals seine Zusammenset- +zung konstant bleibt, weil die Produktionsbedingungen. Man weiß aber be- +reits, daß mit jedem Fortschritt des Maschinenwesens der konstante, aus +10 Maschinerie, Rohmaterial u.s.w. bestehende Kapitaltheil wächst, während +der variable, in Arbeitskraft ausgelegte fällt, und man weiß zugleich, daß in +keiner andren Betriebsweise die Verbeßrung so konstant, daher die Zusam- +mensetzung des Gesammtkapitals so variabel ist. Dieser beständige Wech- +sel ist aber ebenso beständig unterbrochen durch Ruhepunkte und bloß +15 quantitative Ausdehnung auf gegebner technischer Grundlage. Damit +wächst die Anzahl der beschäftigten Arbeiter. So betrug die Anzahl aller +Arbeiter in den Baumwoll-, WoIl-, Worsted-, Flachs- und Seidenfabriken +des Vereinigten Königreichs 1835 nur 354 684, während 1861 allein die +Zahl der Dampfweber (beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Al- +tersstufen vom 8. Jahr an) 230 564 betrug. Allerdings erscheint dieß Wachs- +thum minder groß, wenn man erwägt, daß die britischen Handbaumwoll- +weber mit den von ihnen selbst beschäftigten Familien 1838 noch 800 000 +zählten 2 3 0), ganz abgesehn von den in Asien und auf dem europäischen +Kontinent verdrängten. | + +20 + +25 + +|416| In den wenigen Bemerkungen, die über diesen Punkt noch zu ma- +chen, berühren wir zum Theil rein thatsächlich Verhältnisse, wozu unsre +theoretische Darstellung selbst noch nicht geführt hat. + +30 + +So lange sich der Maschinenbetrieb in einem Industriezweig auf Kosten +des überlieferten Handwerks oder der Manufaktur ausdehnt, sind seine Er- +folge so sicher, wie etwa der Erfolg einer mit dem Zündnadelgewehr be- +waffneten Armee gegen eine Armee von Bogenschützen wäre. Diese erste +Periode, worin die Maschine erst ihren Wirkungskreis erobert, ist entschei- +dend wichtig wegen der außerordentlichen Profite, die sie produciren hilft. +Diese bilden nicht nur an und für sich eine Quelle beschleunigter Akku- +35 mulation, sondern ziehen großen Theil des beständig neugebildeten und +nach neuer Anlage drängenden gesellschaftlichen Zusatzkapitals in die be- + +2 3°) „Die Leiden der Handweber (von Baumwolle und mit Baumwolle gemischten Stoffen) +waren Gegenstand der Untersuchung durch eine königl. Kommission, aber obgeich ihr Elend +anerkannt und bejammert wurde, überließ man die Verbeßrung (!) ihrer Lage dem Zufall und +40 dem Wechsel der Zeit, und man darf hoffen, daß diese Leiden jetzt (20 Jahre später!) beinahe +(nearly) erloschen sind, wozu die jetzige große Ausdehung der Dampfwebstühle aller Wahr- +scheinlichkeit nach beigetragen hat." (Rep. Insp. Fact. 31st Oct. 1856, p. 15.) + +405 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +günstigte Produktionssphäre. Die besondren Vortheile der ersten Sturm- +und Drangperiode wiederholen sich beständig in den Produktionszweigen, +worin die Maschinerie neu eingeführt wird. Sobald aber das Fabrikwesen +eine gewisse Breite des Daseins und bestimmten Reifegrad gewonnen hat, +sobald namentlich seine eigne technische Grundlage, die Maschinerie, +selbst wieder durch Maschinen producirt wird, sobald Kohlen- und Eisen- +gewinnung, wie die Verarbeitung der Metalle und das Transportwesen re- +volutionirt, überhaupt die der großen Industrie entsprechenden allgemei- +nen Produktionsbedingungen hergestellt sind, erwirbt diese Betriebsweise +eine Elasticität, eine plötzliche sprungweise Ausdehnungsfähigkeit, die nur 10 +an dem Rohmaterial und dem Absatzmarkt Schranken findet. Die Maschi- +nerie bewirkt einerseits direkte Vermehrung des Rohmaterials, wie z .B. der +cotton gin die Baumwollproduktion vermehrte 2 3 1). Andrerseits sind Wohl- +feilheit des Maschinenprodukts und das umgewälzte Transport- und Kom- +munikationswesen Waffen zur Erobrung fremder Märkte, Durch den Ruin 15 +ihres handwerksmäßigen Produkts verwandelt der Maschinenbetrieb sie +zwangsweise in Produktionsfelder seines Rohmaterials. So wurde Ostin- +dien zur Produktion von Baumwolle, Wolle, Hanf, ||417| Jute, Indigo u.s.w. +für Großbritannien gezwungen 2 3 2). Die beständige „Ueberzähligmachung" +der Arbeiter in den Ländern der großen Industrie befördert treibhausmä- 20 +ßige Auswandrung und Kolonisation fremder Länder, die sich in Pflanz- +stätten für das Rohmaterial des Mutterlands verwandeln, wie Australien +z . B . in eine Pflanzstätte von W o l l e 2 3 3 ) . Es wird eine neue, den Hauptsitzen +des Maschinenbetriebs entsprechende internationale Theilung der Arbeit +geschaffen, die einen Theil des Erdballs in vorzugsweis agrikoles Produk- 25 +tionsfeld für den andren als vorzugsweis industrielles Produktionsfeld um- +wandelt. Diese Revolution hängt zusammen mit Umwälzungen in der +Agrikultur, die hier noch nicht weiter zu erörtern s i n d 2 3 4 ) . + +2 3 1 ) Andre Methoden, wodurch die Maschinerie auf die Produktion des Rohmaterials ein- +wirkt, werden im Dritten Buch erwähnt. +2 3 2 ) + +Baumwollausfuhr von Ostindien nach Großbritannien. +1846 Pfd. 34 540143. 1860 Pfd. 204141 168. 1865 Pfd. 445 947 600. + +x + +0 + +Wollausfuhr von Ostindien nach Großbritannien. + +1846 Pfd. + +4 570 581. 1860 Pfd. + +20214173. 1865 Pfd. + +17105 617. + +2 3 3 ) + +Wollausfuhr vom Kap der guten Hoffnung nach Großbritannien. + +35 + +1846 Pfd. + +2 958 457. 1800 Pfd. + +16 574 345. 1865 Pfd. + +29220623. + +Wollausfuhr von Australien nach Großbritannien. + +1846 Pfd. 21789346.1860 Pfd. + +59166 616.1865 Pfd. + +109734261. + +2 3 4 ) Die ökonomische Entwicklung der Vereinigten Staaten ist selbst ein Produkt der europä- +ischen, näher englischen großen Industrie. In ihrer jetzigen Gestalt (1866) müssen sie stets, 40 +noch als Kolonialland von Europa betrachtet werden. (Zur 4. Aufl. - Seitdem haben sie sich + +406 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Auf Antrieb des Herrn Gladstone verordnete das Haus der Gemeinen +am 18. Februar 1867 eine Statistik über sämmtliche von 1 8 3 1 - 1 8 6 6 in das +Vereinigte Königreich eingeführte und ausgeführte Kornfrucht, Getreide +und Mehl aller Art. Ich gebe nachstehend das zusammenfassende Resultat. + +5 Das Mehl ist auf Quarters Korn reducirt. (S.. Tabelle auf Seite 419.) + +Die ungeheure, stoßweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und seine +Abhängigkeit vom Weltmarkt erzeugen nothwendig fîeber||418|hafte Pro- +duktion und darauf folgende Ueberfüllung der Märkte, mit deren Kontrak- +tion Lähmung eintritt. Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine +10 Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Ueberpro- +duktion, Krise und Stagnation. Die Unsicherheit und Unstetigkeit, denen +der Maschinenbetrieb die Beschäftigung und damit die Lebenslage des Ar- +beiters unterwirft, werden normal mit diesem Periodenwechsel des indu- +striellen Cyklus. Die Zeiten der Prosperität abgerechnet, rast zwischen den +15 Kapitalisten heftigster Kampf um ihren individuellen Raumantheil am +Markt. Dieser Antheil steht in direktem Verhältniß zur Wohlfeilheit des +Produkts. Außer der hierdurch erzeugten Rivalität im Gebrauch verbesser- +ter, Arbeitskraft ersetzender Maschinerie und neuer Produktionsmethoden +tritt jedesmal ein Punkt ein, wo Verwohlfeilerung der Waare durch gewalt- +samen Druck des Arbeitslohnes unter den Werth der Arbeitskraft erstrebt +wird 2 3 5). + +20 + +zum zweiten Industrieland der Welt entwickelt, ohne darum ihren Kolonialcharakter ganz +eingebüßt zu haben. - D. H.) + +Baumwollausfuhr der Vereinigten Staaten nach Großbritannien in Pfd. + +25 + +1846 401949 393. +1859 961707 264. + +765 630 544. +1852 +1860 1 115 890 608. + +Ausfuhr von Korn u.s.w. aus den Vereinigten Staaten nach Großbritannien (1850 und 1862). + +Weizen cwts. +Gerste cwts. +Hafer cwts. +Roggen cwts. +Weizenmehl cwts. +Buchweizen cwts. +Mais cwts. +Bere oder Bigg (bes. Gerstenart) cwts. +Erbsen cwts. +Bohnen cwts. +Gesammteinfuhr cwts. + +1850 +1850 +1850 +1850 +1850 +1850 +1850 +1850 +1850 +1850 +1850 + +16202 312. +3 669 653. +3174 801. +388 749. +3 819 440. +1054. +5 473161. +2 039. +811620. +1822 972. +35 365 801. + +1862 +1862 +1862 +1862 +1862 +1862 +1862 +1862 +1862 +1862 +1862 + +41033 503. +6 624 800. +4426 994. +7108. +7207113. +19571. +11694 818. +7 675. +1024722. +2 037137. +74 083 441. + +2 3 5 ) In einem Aufruf der von den Schuhfabrikanten zu Leicester durch einen „lock out" aufs +40 Pflaster geworfnen Arbeiter an die „Trade Societies of England", Juli 1866, heißt es u. a.: „Seit +etwa 10 Jahren wurde die Schuhmacherei in Leicester umgewälzt durch Einführung des Nie- +tens statt des Nähens. Gute Löhne konnten damals verdient werden. Bald dehnte sich dieß +neue Geschäft sehr aus. Große Konkurrenz zeigte sich unter den verschiednen Firmen, wel- +che den geschmackvollsten Artikel liefern könne. Kurz nachher jedoch entsprang eine + +407 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Wachsthum in der Anzahl der Fabrikarbeiter ist also bedingt durch pro- +portionell viel raschres Wachsthum des in den Fabriken angelegten Ge- +sammtkapitals. Dieser Proceß vollzieht sich aber nur innerhalb der Ebb- +und Fluthperioden des industriellen Cyklus. | [Hier folgt die Tabelle S. 409.] +|420| Er wird zudem stets unterbrochen durch den technischen Fort- +schritt, der Arbeiter bald virtuell ersetzt, bald faktisch verdrängt. Dieser +qualitative Wechsel im Maschinenbetrieb entfernt beständig Arbeiter aus +der Fabrik oder verschließt ihr Thor dem neuen Rekrutenstrom, während +die bloß quantitative Ausdehnung der Fabriken neben den Herausgeworf- +nen frische Kontingente verschlingt. Die Arbeiter werden so fortwährend 10 +repellirt und attrahirt, hin- und hergeschleudert, und dieß bei beständigem +Wechsel in Geschlecht, Alter und Geschick der Angeworbnen. + +5 + +Die Schicksale des Fabrikarbeiters werden am besten veranschaulicht +durch raschen Ueberblick der Schicksale der englischen Baumwollindu- +strie. + +15 + +Von 1770 bis 1815 Baumwollindustrie gedrückt oder stagnant 5 Jahre. +Während dieser ersten 45jährigen Periode besaßen die englischen Fabri- +kanten das Monopol der Maschinerie und des Weltmarkts. 1815 bis 1821 +gedrückt, 1822 und 1823 prosperirend, 1824 Aufhebung der Koalitionsge- +setze, allgemeine große Ausdehnung der Fabriken, 1825 Krise; 1826 großes 20 +Elend und Aufstände unter den Baumwollarbeitern; 1827 leise Beßrung, +1828 großer Anwachs von Dampfwebstühlen und Ausfuhr; 1829 übergip- +felt die Ausfuhr, besonders nach Indien, alle frühren Jahre; 1830 überfüllte +Märkte, großer Nothstand, 1831 bis 1833 fortdauernder Druck; der Handel +nach Ostasien (Indien und China) wird dem Monopol der ostindischen 25 +Kompagnie entzogen. 1834 großes Wachsthum von Fabriken und Maschi- + +schlechtre Art Konkurrenz, nämlich die, einander im Markt zu unterverkaufen (undersell). +Die schädlichen Folgen offenbarten sich bald in Lohnherabsetzung, und so reißend schnell +war der Fall im Preise der Arbeit, daß viele Firmen jetzt nur noch die Hälfte des ursprüngli- +chen Lohns zahlen. Und dennoch, obgleich die Löhne tiefer und tiefer sinken, scheinen die 30 +Profite mit jeder Aendrung des Arbeitstarifs zu wachsen." - Selbst ungünstige Perioden der +Industrie werden von den Fabrikanten benutzt, um durch übertriebne Lohnherabsetzung, d.h. +direkten Diebstahl an den nothwendigsten Lebensmitteln des Arbeiters, außerordentliche +Profite zu machen. Ein Beispiel. Es handelt sich um die Krise in der Seidenweberei zu Coven- +try: „Aus Nachweisen, die ich sowohl von Fabrikanten als Arbeitern erhielt, folgt zweifeis- 35 +ohne, daß die Löhne in einem größren Umfang verkürzt wurden, als die Konkurrenz ausländi- +scher Producenten oder andre Umstände ernöthigten. Die Majorität der Weber arbeitet zu +einer Lohnherabsetzung von 30 bis 40 %. Ein Stück Band, wofür der Weber fünf Jahre früher 6 +oder 7 sh. erhielt, bringt ihm jetzt nur 3 sh. 3 d. oder 3 sh. 6 d. ein; andre Arbeit, früher zu +4 sh. und 4 sh. 3 d. bezahlt, erhält jetzt nur 2 sh. oder 2 sh. 3 d. Die Lohnherabsetzung ist grö- 40 +ßer als zum Stachel der Nachfrage erheischt ist. In der That, bei vielen Arten von Band war +die Lohnherabsetzung nicht einmal begleitet von irgend einer Herabsetzung im Preise des Ar- +tikels." (Bericht des Kommissärs F. D. Longe in „Ch. Empi. Comm. V. Rep. 1866", p. 114, +η. I.) + +408 + + . +6 +6 +8 +1 + +r +h +a +J + +d +n +u + +n +e +d +o +i +r +e +P + +e +g +i +r +h +ä +j +f +n +ü +F + +| + +9 +1 +4 + +| + +Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +6 +6 +8 +1 + +5 +6 +8 +1 +- +1 +6 +8 +1 + +0 +6 +8 +1 +- +6 +5 +8 +1 + +5 +5 +8 +1 +- +1 +5 +8 +1 + +0 +5 +8 +1 +- +6 +4 +8 +1 + +5 +4 +8 +1 +- +1 +4 +8 +1 + +0 +4 +8 +1 +- +6 +3 +8 +1 + +5 +3 +8 +1 +- +1 +3 +8 +1 + +0 +4 +3 +7 +5 +4 +6 +1 + +1 +7 +8 +9 +0 +0 +5 +1 + +2 +1 +6 +3 +1 +9 + +0 +1 + +7 +3 +2 +5 +4 +3 +8 + +2 +5 +5 +6 +7 +7 +8 + +5 +6 +8 +3 +4 +8 +2 + +9 +2 +7 +9 +8 +3 +2 + +3 +7 +3 +6 +9 +0 +1 + +. +s +r +Q + +t +r +o +p +m + +I + +. +t +t +i +n +h +c +s +h +c +r +u +D + +r +e +h +c +i +l +r +h +ä +J + +8 +1 +2 +6 +1 +2 + +4 +5 +7 +2 +0 +3 + +0 +5 +1 +1 +4 +3 + +1 +9 +4 +7 +0 +3 + +1 +6 +4 +5 +5 +1 + +6 +5 +0 +9 +3 +1 + +0 +7 +7 +1 +5 +2 + +3 +6 +2 +5 +2 +2 + +. +s +r +Q + +t +r +o +p +x +E + +. +t +t +i +n +h +c +s +h +c +r +u +d +s +e +r +h +a +J + +5 + +2 +2 +1 +1 +4 +2 +6 +1 + +7 +1 +1 +7 +0 +7 +4 +1 + +2 +6 +4 +2 +7 +5 +0 +1 + +6 +4 +7 +7 +3 +0 +8 + +1 +9 +0 +1 +2 +6 +8 + +9 +0 +8 +4 +0 +7 +2 + +9 +5 +9 +7 +3 +1 +2 + +0 +1 +1 +1 +7 +8 + +. +e +r +h +a +j +s +t +t +i +n +h +c +s + +t +r +o +p +m + +I +n +o +v +ß +u +h +c +s +r +e +b +e +U + +- +h +c +r +u +D + +r +e +d + +t +r +o +p +x +E +r +e +b +ü + +- +s +t +t +i +n +h +c +s +h +c +r +u +D +e +h +c +i +l +r +h +ä +J + +. +n +o +i +t +a +l +u +p +o +P + +0 +1 + +4 +0 +4 +5 +3 +9 +9 +2 + +0 +6 +7 +1 +8 +3 +9 +2 + +4 +4 +5 +1 +9 +3 +8 +2 + +3 +2 +9 +2 +7 +5 +7 +2 + +8 +9 +5 +7 +9 +7 +7 +2 + +9 +5 +5 +2 +6 +2 +7 +2 + +7 +0 +5 +9 +2 +9 + +5 +2 + +7 +0 +1 +1 +2 +6 +4 +2 + +. +e +d +o +i +r +e +P +r +e +d +e +j +n +i + +l +h +a +z + +| + +3 +4 +5 +, +0 + +1 +0 +5 +, +0 + +2 +7 +3 +, +0 + +1 +9 +2 +, +0 + +0 +1 +3 +, +0 + +9 +9 +0 +, +0 + +2 +8 +0 +, +0 + +6 +3 +0 +, +0 + +. +n +o +i +t +k +u +d +o +r +P + +e +h +c +s +i +m +i +e +h + +e +i +d + +- +i +e +h +T +r +e +h +c +i +e +l +g +i +e +b + +, + +m +u +u +d + +- +e +k +l +ö +v +e +B +e +i +d +r +e +t +n +u +g +n +u +l + +r +e +b +ü +ß +u +h +c +s +r +e +b +e +U +m + +i + +, +g +n +u +r + +- +r +h +ä +j + +, +. +s +r +Q +n +i + +. +c +t +e + +n +r +o +K +n +o +v + +m +u +t +n +a +u +q +s +t +t +i +n +h +c +s +h +c +r +u +D + +- +i +v +i +d +n +I + +r +e +p +t +r +h +e +z +r +e +v +h +e +i +l + +5 +1 + +409 + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +nerie, Mangel an Händen. Das neue Armengesetz befördert die Wandrung +der Landarbeiter in die Fabrikdistrikte. Fegung der ländlichen Grafschaf- +ten von Kindern. Weißer Sklavenhandel. 1835 große Prosperität. Gleich- +zeitige Todthungrung der Baumwollhandweber. 1836 große Prosperität. +1837 und 1838 gedrückter Zustand und Krise. 1839 Wiederaufleben. 1840 +große Depression, Aufstände, Einschreiten des Militärs. 1841 und 1842 +furchtbares Leiden der Fabrikarbeiter. 1842 schließen die Fabrikanten die +Hände von den Fabriken aus, um den Widerruf der Korngesetze zu erzwin- +gen. Die Arbeiter strömen zu vielen Tausenden nach Yorkshire, vom Mili- +tär zurückgetrieben, ihre Führer vor Gericht zu Lancaster gestellt. 1843 10 +großes Elend. 1844 Wiederaufleben. 1845 große Prosperität. 1846 erst fort- +dauernder Aufschwung, dann Symptome der Reaktion. Widerruf der Korn- +gesetze. 1847 Krise. Allgemeine Herabsetzung der Löhne um 10 und mehr +Procent zur Feier des „big l o a f . 1848 fortdauernder Druck. Manchester +unter militärischem Schutz. ||421| 1849 Wiederaufleben. 1850 Prosperität. 15 +1851 fallende Waarenpreise, niedrige Löhne, häufige Strikes. 1852 begin- +nende Verbeßrung, Fortdauer der Strikes, Fabrikanten dröhn mit Import +fremder Arbeiter. 1853 steigende Ausfuhr. Achtmonatlicher Strike und +großes Elend zu Preston. 1854 Prosperität, Ueberfüllung der Märkte. 1855 +Berichte von Bankerotten strömen ein aus den Vereinigten Staaten, Ka- 20 +nada, ostasiatischen Märkten. 1856 große Prosperität. 1857 Krise. 1858 +Verbeßrung. 1859 große Prosperität, Zunahme der Fabriken. 1860 Zenith +der englischen Baumwollindustrie. +Indische, australische und andre +Märkte so überführt, daß sie noch 1863 kaum den ganzen Quark absorbirt +haben. Französischer Handelsvertrag. Enormes Wachsthum von Fabriken 25 +und Maschinerie. 1861 Aufschwung dauert Zeitlang fort, Reaktion, ameri- +kanischer Bürgerkrieg, Baumwollnoth. 1862 bis 63 vollständiger Zusam- +menbruch. + +Die Geschichte der Baumwollnoth ist zu charakteristisch, um nicht +einen Augenblick dabei zu verweilen. Aus den Andeutungen der Zustände 30 +des Weltmarkts 1860 bis 1861 ersieht man, daß die Baumwollnoth den Fa- +brikanten gelegen kam und zum Theil vortheilhaft war, eine Thatsache, an- +erkannt in Berichten der Manchester Handelskammer, im Parlament pro- +klamirt von Palmerston und Derby, durch die Ereignisse bestätigt 2 3 6). +Allerdings gab es 1861 unter den 2887 Baumwollfabriken des Vereinigten 35 +Königreichs viel kleine. Nach dem Bericht des Fabrikinspektors A. Red- +grave, dessen Verwaltungsbezirk von jenen 2887 Fabriken 2109 ein- +schließt, wendeten von letztren 392 oder 19% nur unter 10 Dampf-Pferde- +kraft an, 345 oder 16 % über 10 und unter 20, 1372 dagegen 20 und mehr + +2 3 6 ) Vgl. „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 30. + +40 + +410 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +15 + +Pferdekraft 2 3 7). Die Mehrzahl der kleinen Fabriken waren Webereien, wäh- +rend der Prosperitätsperiode seit 1858 errichtet, meist durch Spekulanten, +wovon der eine das Garn, der andre die Maschinerie, der dritte die Bau- +lichkeit lieferte, unter dem Betrieb ehemaliger overlookers oder andrer un- +5 bemittelter Leute. Diese kleinen Fabrikanten gingen meist unter. Dasselbe +Schicksal hätte ihnen die durch das Baumwollpech verhinderte Handels- +krise bereitet. Obgleich sie % der Fabrikantenzahl bildeten, absorbirten +ihre Fabriken einen ungleich geringeren Theil des in der Baumwollindu- +strie angelegten Kapitals. Was den Umfang der Lähmung betrifft, so stan- +10 den nach den authentischen Schätzungen im Oktober 1862 60,3 % der +Spindeln und 5 8 % der Webstühle ||422| still. Dieß bezieht sich auf den +ganzen Industriezweig und war natürlich sehr modifient in den einzelnen +Distrikten. Nur sehr wenige Fabriken arbeiteten volle Zeit (60 Stunden per +Woche), die übrigen mit Unterbrechungen. Selbst für die wenigen Arbei- +ter, die volle Zeit und zu dem gewohnten Stücklohn beschäftigt, schmä- +lerte sich nothwendig der Wochenlohn in Folge der Ersetzung beßrer +Baumwolle durch schlechtre, der Sea Island durch ägyptische (in Feinspin- +nereien), amerikanischer und ägyptischer durch Surat (ostindisch), und +reiner Baumwolle durch Mischungen von Baumwollabfall mit Surat. Die +20 kürzre Fiber der Suratbaumwolle, ihre schmutzige Beschaffenheit, die +größre Brüchigkeit der Fäden, der Ersatz des Mehls durch alle Art schwerer +Ingredienzien beim Schlichten des Kettengarns u. s. w. verminderten die +Geschwindigkeit der Maschinerie oder die Zahl der Webstühle, die ein +Weber überwachen konnte, vermehrten die Arbeit mit den Irrthümern der +25 Maschine und beschränkten mit der Produktenmasse den Stücklohn. Beim +Gebrauch von Surat und mit voller Beschäftigung belief sich der Verlust +des Arbeiters auf 20, 30 und mehr Procent. Die Mehrzahl der Fabrikanten +setzte aber auch die Rate des Stücklohns um 5, ll/2 und 10 Procent herab. +Man begreift daher die Lage der nur 3, 3¾, 4 Tage wöchentlich oder nur +30 6 Stunden per Tag Beschäftigten. Nachdem schon eine relative Verbeßrung +eingetreten war, 1863, für Weber, Spinner u. s.w. Wochenlöhne von 3 sh. +4 d., 3 sh. 10 d., 4 sh. 6 d., 5 sh. 1 d. u. s.w. 2 3 8 ) . Selbst unter diesen qualvol- +len Zuständen stand der Erfindungsgeist des Fabrikanten in Lohnabzügen +nicht still. Diese wurden zum Theil verhängt als Strafe für die seiner +schlechten Baumwolle, unpassenden Maschinerie u.s.w. geschuldeten Feh- +ler des Machwerks. Wo der Fabrikant aber Eigenthümer der cottages der +Arbeiter, vergütete er sich selbst für Hausrente durch Abzüge vom nomi- +nellen Arbeitslohn. Fabrikinspektor Redgrave erzählt von self-acting min- +ders (sie überwachen ein Paar selfacting mules), die „am Ende vierzehntä- + +35 + +40 + +2 3 7 ) I.e. p.18, 19. +2 3 8 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1863", p. 41-45, 51, 52. + +411 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +giger voller Arbeit 8 sh. 11 d. verdienten und von dieser Summe wurde die +Hausrente abgezogen, wovon der Fabrikant jedoch die Hälfte als Geschenk +zurückgab, so daß die minders volle 6 sh. 11 d. nach Hause trugen. Der +Wochenlohn der Weber rangirte von 2 sh. 6 d. aufwärts während der +Schlußzeit von 1 8 6 2 " 2 3 9 ) . Selbst dann wurde die Hausmiethe von den | +|423| Löhnen häufig abgezogen, wenn die Hände nur kurze Zeit arbeite- +t e n 2 4 0 ) . Kein Wunder, daß in einigen Theilen Lancashire's eine Art Hun- +gerpest ausbrach! Charakteristischer als alles dieß aber war es, wie die +Revolutionirung des Produktionsprocesses auf Kosten des Arbeiters vor +sich ging. Es waren förmliche expérimenta in corpore vili, wie die der Ana- 10 +tomen an Fröschen. „Obgleich ich", sagt Fabrikinspektor Redgrave, „die +wirklichen Einnahmen der Arbeiter in vielen Fabriken gegeben habe, muß +man nicht schließen, daß sie denselben Betrag Woche für Woche beziehn. +Die Arbeiter erliegen den größten Schwankungen wegen des beständigen +Experimentirens (,,experimentalizing") der Fabrikanten ... ihre Einkünfte 15 +steigen und fallen mit der Qualität des Baumwollgemischs; bald nähern sie +sich um 15 % ihren frühren Einnahmen, und die nächste oder zweitfol- +gende Woche fallen sie um 50 bis 60 % " 2 4 1 ) . Diese Experimente wurden +nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der Arbeiter gemacht. Mit allen +ihren fünf Sinnen hatten sie zu büßen. „Die im Oeffnen der Baumwolle 20 +Beschäftigten unterrichten mich, daß der unerträgliche Gestank sie übel +macht ... Den in den Misch-, Scribbling- und Kardirräumen Angewandten +irritirt der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen, erregt Hu- +sten und Schwierigkeit des Athmens ... Wegen der Kürze der Fiber wird +dem Garn beim Schlichten eine große Menge Stoff zugesetzt und zwar 25 +allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher Uebelkeit +und Dyspepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen des Staubs, +ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit in Folge der Irritation +der Haut durch den im Surat enthaltnen Schmutz." Andrerseits waren die +Substitute des Mehls ein Fortunatussäckel für die Herrn Fabrikanten 30 +durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten „15 Pfund Rohmate- +rial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen" 2 4 2). In dem Bericht der Fabrikinspek- +toren vom 30. April 1864 liest man: „Die Industrie verwerthet diese Hülfs- +quelle jetzt in wahrhaft unanständigem Maß. Ich weiß von guter Autorität, +daß achtpfündiges Geweb von 5¾ Pfund Baumwolle und 2% Pfund 35 +Schlichte gemacht wird. Ein andres 5 1/pfündiges Geweb enthielt zwei +Pfund Schlichte. Dieß waren ordinäre Shirtings für den Export. In andren + +2 3 9 ) „Reports etc. 31st Oct. 1863", p. 41, 42. +2 4 0 ) 1. c. p. 57. +2 4 1 ) L c p. 50, 51. +2 4 2 ) I.e. p.62, 63. + +412 + +40 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +Arten wurden manchmal 50 % Schlichte zugesetzt, so daß Fabrikanten sich +rühmen können und sich auch ||424| wirklich rühmen, daß sie reich werden +durch den Verkauf von Geweben für weniger Geld, als das nominell in +ihnen enthaltne Garn kostet" 2 4 3). Die Arbeiter aber hatten nicht nur unter +5 den Experimenten der Fabrikanten in den Fabriken, und der Municipalitä- +ten außerhalb der Fabriken, nicht nur von Lohnherabsetzung und Arbeits- +losigkeit, von Mangel und Almosen, von den Lobreden der Lords und Un- +terhäusler zu leiden. „Unglückliche Frauenzimmer, beschäftigungslos in +Folge der Baumwollnoth, wurden Auswürflinge der Gesellschaft und blie- +10 ben es ... Die Zahl junger Prostituirten hat mehr zugenommen als seit den + +letzten 25 J a h r e n " 2 4 4 ) . + +Man findet also in den ersten 45 Jahren der britischen Baumwollindu- +strie, von 1 7 7 0 - 1 8 1 5 , nur 5 Jahre der Krise und Stagnation, aber dieß war +ihres Weltmonopols. Die zweite 48jährige Periode von +die Periode +15 1 8 1 5 - 1 8 6 3 zählt nur 20 Jahre des Wiederauflebens und der Prosperität auf +28 Jahre des Drucks und der Stagnation. Von 1 8 1 5 - 1 8 3 0 beginnt die Kon- +kurrenz mit dem kontinentalen Europa und den Vereinigten Staaten. Seit +1833 wird Ausdehnung der asiatischen Märkte erzwungen durch „Zerstö- +rung der Menschenrace". Seit Widerruf der Korngesetze, von 1 8 4 6 - 1 8 6 3 , +20 auf acht Jahre mittlerer Lebendigkeit und Prosperität 9 Jahre Druck und +Stagnation. Die Lage der erwachsnen männlichen Baumwoll-Arbeiter, +selbst während der Prosperitätszeit, zu beurtheilen aus der beigefügten +N o t e 2 4 5 ) . I + +25 + +2 4 3 ) „Reports etc. 30th April 1864", p.27. +2 4 4 ) Aus Brief des Chief Constable Harris von Bolton in „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. +1865", p. 61. +2 4 5 ) In einem Aufruf der Baumwollarb eiter, Frühling 1863, zur Bildung einer Emigrationsge- +sellschaft heißt es u. a.: „Daß eine große Emigration von Fabrikarbeitern jetzt absolut noth- +wendig ist, werden nur wenige leugnen. Daß aber ein beständiger Emigrationsstrom zu allen +30 Zeiten erheischt und es ohne denselben unmöglich ist, unsre Stellung unter gewöhnlichen +Umständen zu behaupten, zeigen folgende Thatsachen: Im Jahr 1814 betrug der officielle +Werth (der nur Index der Quantität) der exportirten Baumwollgüter 17665378 Pfd. St., ihr +wirklicher Marktwerth 20 070 824 Pfd. St. im Jahr 1858 betrug der officielle Werth der expor- +tirten Baumwollgüter 182221681 Pfd. St., ihr wirklicher Marktwerth nur 43001322 Pfd. St., +so daß die Verzehnfachung der Quantität wenig mehr als Verdopplung des Aequivalents be- +wirkte. Dieß für das Land überhaupt und die Fabrikarbeiter im Besondren so unheilvolle Re- +sultat ward durch verschiedne zusammenwirkende Ursachen hervorgebracht. Eine der hervor- +stechendsten +für diesen +ist der beständige Ueberfluß von Arbeit, unentbehrlich +Geschäftszweig, der, unter Strafe der Vernichtung, beständiger Expansion des Markts bedarf. +40 Unsre Baumwollfabriken können stillgesetzt werden durch die periodische Stagnation des +Handels, welche, unter gegenwärtiger Einrichtung, so unvermeidlich ist, wie der Tod selbst. +Aber deswegen steht der menschliche Erfindungsgeist nicht still. Obgleich, niedrig angeschla- +gen, 6 Millionen dieß Land während der letzten 25 Jahre verlassen haben, befindet sich den- +noch in Folge fortwährender Verdrängung der Arbeit, um das Produkt zu verwohlfeilern, ein +45 großer Procentsatz der erwachsnen Männer selbst in den Zeiten höchster Prosperität außer +Stand, Beschäftigung irgend einer Art auf irgend welche Bedingungen in den Fabriken zu fin- + +35 + +413 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +|425| 8. Revolutionirung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit +durch die große Industrie. + +a) Aufhebung der auf Handwerk und Theilung der Arbeit +beruhenden Kooperation. + +5 + +Man hat gesehn, wie die Maschinerie die auf dem Handwerk beruhende +Kooperation und die auf Theilung der handwerksmäßigen Arbeit beru- +hende Manufaktur aufhebt. Ein Beispiel der ersten Art ist die Mähma- +schine, sie ersetzt die Kooperation von Mähern. Ein schlagendes Beispiel +der zweiten Art ist die Maschine zur Fabrikation von Nähnadeln. Nach +Adam Smith verfertigten zu seiner Zeit 10 Männer durch Theilung der Ar- 10 +beit täglich über 48 000 Nähnadeln. Eine einzige Maschine liefert dagegen +145 000 in einem Arbeitstag von 11 Stunden. Eine Frau oder ein Mädchen +überwacht im Durchschnitt 4 solche Maschinen und producirt daher mit +der Maschinerie täglich an 600 000, in der Woche über 3 000 000 Nähna- +deln 2 4 6). Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle der Koopera- 15 +tion oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur Grundlage hand- +werksmäßigen Betriebs werden. Indeß bildet diese auf Maschinerie +beruhende Reproduktion des H andwerkb e trieb s nur den Uebergang zum +Fabrikbetrieb, der in der Regel jedesmal eintritt, sobald mechanische +Triebkraft, Dampf oder Wasser, die menschlichen Muskeln in der Bewe- 20 +gung der Maschine ersetzt. Sporadisch und ebenfalls nur vorübergehend +kann kleiner Betrieb sich verbinden mit mechanischer Triebkraft durch +Miethe des Dampfs, wie in einigen Manufakturen Birmingham's, durch +Gebrauch kleiner kalorischer Maschinen, wie in gewissen Zweigen der We- +berei u.s.w. 2 4 7). In der Seidenweberei zu Coventry entwickelte sich natur- 25 +wüchsig das Experiment der ||426| „Cottage-Fabriken". In der Mitte von +Cottage-Reihen, quadratmäßig gebaut, wurde ein s.g. Engine House errich- +tet für die Dampfmaschine und diese durch Schäfte mit den Webstühlen +in den cottages verbunden. In allen Fällen war der Dampf gemiethet, z . B . +zu 2/4 sh. per Webstuhl. Diese Dampfrente war wöchentlich zahlbar, die 30 +Webstühle mochten laufen oder nicht. Jede cottage enthielt 2 - 6 Weh- +den." („Reports of Insp. of Fact. 30th April 1863", p. 51, 52.) Man wird in einem spätem Kapi- + +tel sehn, wie die Herrn Fabrikanten während der Baumwollkatastrophe die Emigration der Fa- + +brikarbeiter auf alle Art, selbst von Staatswegen, zu verhindern suchten. +2 4 6 ) „Ch. Empi. Comm. III. Report, 1864", p. 108, n. 447. +2 4 7 ) In den Vereinigten Staaten ist derartige Reproduktion des Handwerks auf Grundlage der +Maschinerie häufig. Die Koncentration, bei dem unvermeidlichen Uebergang in den Fabrik- +betrieb, wird eben deswegen, im Vergleich zu Europa und selbst zu England, dort mit Sieben- +meilenstiefeln marschiren. + +35 + +414 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Stühle, den Arbeitern gehörig, oder auf Kredit gekauft, oder gemiethet. Der +Kampf zwischen der Cottage-Fabrik und der eigentlichen Fabrik währte +über 12 Jahre. Er hat geendet mit dem gänzlichen Ruin der 300 cottage +factories 2 4 8). Wo die Natur des Processes nicht von vorn herein Produktion +5 auf großer Stufenleiter bedang, durchliefen in der Regel die in den letzten +Decennien neu aufkommenden Industrien, wie z . B . Briefcouvert-, Stahlfe- +dermachen u.s.w., erst den Handwerksbetrieb und dann den Manufaktur- +betrieb als kurzlebige Uebergangsphasen zum Fabrikbetrieb. Diese Meta- +morphose bleibt dort am schwierigsten, wo die manufakturmäßige +10 Produktion des Machwerks keine Stufenfolge von Entwicklungsprocessen, +sondern eine Vielheit disparater Processe einschließt. Dieß bildete z . B . ein +großes Hinderniß der Stahlfederfabrik. Jedoch wurde schon vor ungefähr +anderthalb Decennien ein Automat erfunden, der 6 disparate Processe auf +einen Schlag verrichtet. Das Handwerk lieferte die ersten 12 Dutzend +15 Stahlfedern 1820 zu 7 Pfd. St. 4 sh., die Manufaktur lieferte sie 1830 zu +8 sh., und die Fabrik liefert sie heute dem Großhandel zu 2 bis 6 d. 2 4 9). + +b) Rückwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Hausarbeit. + +Mit der Entwicklung des Fabrikwesen und der sie begleitenden Umwäl- +zung der Agrikultur dehnt sich nicht nur die Produktionsleiter in allen +20 andren Industriezweigen aus, sondern verändert sich auch ihr Charakter. +Das Princip des Maschinenbetriebs, den Produktionsproceß in seine kon- +stituirenden Phasen zu analysiren und die so gegebnen Probleme durch +Anwendung der Mechanik, Chemie u. s.w., kurz der Naturwissenschaften +zu lösen, wird überall bestimmend. Maschinerie drängt sich daher bald für +25 diesen, ||427| bald für jenen Theilproceß in die Manufakturen. Die feste +!Crystallisation ihrer Gliederung, der alten Theilung der Arbeit entstam- +mend, löst sich damit auf und macht fortwährendem Wechsel Platz. Abge- +sehn hiervon wird die Zusammensetzung des Gesammtarbeiters oder des +kombinirten Arbeitspersonals von Grund aus umgewälzt. Im Gegensatz +30 zur Manufakturperiode gründet sich der Plan der Arbeits theilung jetzt auf +Anwendung der Weib er arbeit, der Arbeit von Kindern aller Altersstufen, +ungeschickter Arbeiter, wo es immer thubar, kurz der ,,cheap labour", +wohlfeilen Arbeit, wie der Engländer sie charakteristisch nennt. Dieß gilt + +35 + +2 4 8 ) Vgl. „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 64. +2 4 9 ) Herr Gillott errichtete zu Birmingham die erste Stahlfedermanufaktur auf großer Stufen- +leiter. Sie lieferte schon 1851 über 180 Millionen Federn und verzehrte jährlich 120 Tonnen +Stahlblech. Birmingham, das diese Industrie im Vereinigten Königreich monopolisirt, produ- +cirt jetzt jährlich Milliarden von Stahlfedern. Die Zahl der beschäftigten Personen betrug +nach dem Census von 1861: 1428, darunter 1268 Arbeiterinnen, vom 5. Jahr an einrollirt. + +415 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +nicht nur für alle auf großer Stufenleiter kombinirte Produktion, ob sie +Maschinerie anwende oder nicht, sondern auch für die s.g. Hausindustrie, +ob ausgeübt in den Privatwohnungen der Arbeiter oder in kleinen Werk- +stätten. Diese s. g. moderne Hausindustrie hat mit der altmodischen, die +unabhängiges städtisches Handwerk, selbständige Bauernwirthschaft und +vor allem ein Haus der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts gemein als den +Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das auswärtige Departement der /Fabrik, +der Manufaktur oder des Waarenmagazins. Neben den Fabrikarbeitern, +Manufakturarbeitern und Handwerkern, die es in großen Massen räumlich +koncentrirt und direkt kommandirt, bewegt das Kapital durch unsichtbare 10 +Fäden eine andre Armee in den großen Städten und über das flache Land +zerstreuter Hausarbeiter. Beispiel: die Hemdenfabrik der Herren Tillie zu +Londonderry, Irland, die 1000 Fabrikarbeiter und 9000 auf dem Land zer- +streute Hausarbeiter beschäftigt 2 5 0). + +5 + +Die Exploitation wohlfeiler und unreifer Arbeitskräfte wird in der mo- 15 + +dernen Manufaktur schamloser als in der eigentlichen Fabrik, weil die hier +existirende technische Grundlage, Ersatz der Muskelkraft durch Maschi- +nen und Leichtigkeit der Arbeit, dort großentheils wegfällt, zugleich der +weibliche oder noch unreife Körper den Einflüssen giftiger Substanzen +u.s.w. aufs gewissenloseste preisgegeben wird. Sie wird in der s.g. Hausar- 20 +beit schamloser als in der Manufaktur, weil die Widerstandsfähigkeit der +Arbeiter mit ihrer Zersplitterung abnimmt, eine ganze Reihe räuberischer +Parasiten sich zwischen den eigentlichen Arbeitgeber und den Arbeiter +drängt, die Hausarbeit überall mit Maschinen- oder wenigstens Manufak- +turbetrieb in demselben Produktionszweig kämpft, die Armuth dem Arbei- 25 +ter die nöthigsten Arbeitsbedingungen, Raum, ||428| Licht, Ventilation +u.s.w. raubt, die Unregelmäßigkeit der Beschäftigung wächst, und endlich +in diesen letzten Zufluchtsstätten der durch die große Industrie und Agri- +kultur „überzählig" Gemachten die Arbeiterkonkurrenz nothwendig ihr +Maximum erreicht. Die durch den Maschinenbetrieb erst systematisch 30 +ausgebildete Oekonomisirung der Produktionsmittel, von vorn herein zu- +gleich rücksichtsloseste Verschwendung der Arbeitskraft und Raub an den +normalen Voraussetzungen der Arbeitsfunktion, kehrt jetzt diese ihre ant- +agonistische und menschenmörderische Seite um so mehr heraus, je weni- +ger in einem Industriezweig die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit 35 +und die technische Grundlage kombinirter Arbeitsprocesse entwickelt +sind. + +2 5°) „Ch. Empi. Comm. II. Rep. 1864", p.LXVIII, η. 415. + +416 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +c) Die moderne Manufaktur. + +15 + +Ich will nun an einigen Beispielen die oben aufgestellten Sätze erläutern. +Der Leser kennt in der That schon massenhafte Belege aus dem Abschnitt +über den Arbeitstag. Die Metallmanufakturen in Birmingham und Umge- +5 gend wenden großentheils für sehr schwere Arbeit 30 000 Kinder und junge +Personen nebst 10 000 Weibern an. Man findet sie hier in den gesundheits- +widrigen Gelbgießereien, Knopffabriken, Glasur-, Galvanisirungs- und +Lackirarbeiten 2 5 1). Die Arbeitsexcesse für Erwachsne und Unerwachsne ha- +ben verschiednen Londoner Zeitungs- und Buchdruckereien den rühmli- +10 chen Namen: „Das Schlachthaus" gesichert 2 5 1 a ) . Dieselben Excesse, deren +Schlachtopfer hier namentlich Weiber, Mädchen und Kinder, in der Buch- +binderei. Schwere Arbeit für Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit +in S alz werken, Lichter- und andren chemischen Manufakturen; mörderi- +scher Verbrauch von Jungen in Seidenwebereien, die nicht mechanisch be- +trieben werden, zum Drehen der Webstühle 2 5 2). Eine der infamsten, +schmutzigsten und schlecht bezahltesten Arbeiten, wozu mit Vorliebe +junge Mädchen und Weiber verwandt werden, ist das Sortiren der Lumpen. +Man weiß, daß Großbritannien, abgesehn von seinen eignen unzähligen +Lumpen, das Emporium für den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. +20 Sie strömen dahin von Japan, den entferntesten Staaten Südamerikas und +den kanarischen Inseln. Ihre Hauptzufuhrquellen aber sind ||429| Deutsch- +land, Frankreich, Rußland, Italien, Aegypten, Türkei, Belgien und Hol- +land. Sie dienen zur Düngung, Fabrikation von Flocken (für Bettzeug), +Shoddy (Kunstwolle), und als Rohmaterial des Papiers. Die weiblichen +25 Lumpensortirer dienen als Medien, um Pocken und andre ansteckende +Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu kolportiren 2 5 3). Als klassi- +sches Beispiel für Ueberarbeit, schwere und unpassende Arbeit, und daher +folgende Brutalisirung der von Kindesbeinen an konsumirten Arbeiter +kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion, die Ziegel- oder Back- +steinmacherei gelten, wozu in England die neuerfundene Maschine nur +noch sporadisch angewandt wird (1866). Zwischen Mai und September +dauert die Arbeit von 5 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, und, wo Trock- +nung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends. +Der Arbeitstag von 5 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends gilt für „reducirt", +35 „mäßig". Kinder beiderlei Geschlechts werden vom 6. und selbst vom + +30 + +2 5 1 ) Und nun gar Kinder im Feilenschleifen zu Sheffield! +2 5 1 a ) ) „Ch. Empi. Comm. V. Rep. 1866", p. 3, η. 24, p. 6, η. 55, 56, p. 7, η. 59, 60. +2 5 2 ) i.e. p. 114,115, n.6(cid:5)7. Der Kommissär bemerkt richtig, daß wenn sonst die Maschine den +Menschen, hier der Junge verbatim die Maschine ersetzt. +2 5 3 ) Sieh Bericht über den Lumpenhandel und zahlreiche Belege: „Public Health. VIII. Re- +port. Lond. 1866". Appendix, p. 196-208. + +40 + +417 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten dieselbe Stundenzahl, oft mehr als die Er- +wachsnen. Die Arbeit ist hart, und die Sommerhitze steigert noch die Er- +schöpfung. In einer Ziegelei zu Moxley z.B. machte ein 24jähriges Mäd- +chen 2000 Ziegel täglich, unterstützt von zwei unerwachsnen Mädchen als +Gehülfen, welche den Lehm trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese +Mädchen schleppten täglich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegel- +grube von einer Tiefe von 30 Fuß herauf und über eine Entfernung von +210 Fuß. „Es ist unmöglich für ein Kind durch das Fegfeuer einer Ziegelei +zu passiren ohne große moralische Degradation +Die nichtswürdige +Sprache, die sie vom zartesten Alter an zu hören bekommen, die unfläthi- 10 +gen, unanständigen und schamlosen Gewohnheiten, unter denen sie un- +wissend und verwildert aufwachsen, machen sie für die spätre Lebenszeit +gesetzlos, verworfen, liederlich +Eine furchtbare Quelle der Demorali- +sation ist die Art der Wohnlichkeit. Jeder moulder (Former) (der eigentlich +geschickte Arbeiter und Chef einer Arbeitergruppe) liefert seiner Bande 15 +von 7 Personen Logis und Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner +Familie gehörig oder nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in der +Hütte. Diese besteht gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3 Zimmern, +alle auf dem Erdgeschoß, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so er- +schöpft durch die große Transpiration während des Tags, daß weder Ge- 20 +sundheitsregeln, Reinlichkeit noch Anstand +| +|430| werden. Viele dieser Hütten sind wahre Modelle von Unordnung, +Schmutz und Staub .... Das größte Uebel des Systems, welches junge Mäd- +chen zu dieser Art Arbeit verwendet, besteht darin, daß es sie in der Regel +von Kindheit an für ihr ganzes spätres Leben an das verworfenste Gesindel 25 +festkettet. Sie werden rohe, bösmäulige Buben (,,rough, foul-mouthed +boys"), bevor die Natur sie gelehrt hat, daß sie Weiber sind. Gekleidet in +wenige schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblößt, Haar +und Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Sittsamkeit +und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit liegen 30 +sie auf den Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die in einem +benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagewerk endlich vollbracht, +so ziehn sie beßre Kleider an und begleiten die Männer in Bierkneipen." +Daß die größte Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser ganzen Klasse +herrscht, ist nur naturgemäß. „Das Schlimmste ist, daß die Ziegelmacher 35 +an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der Bessern zum Ka- +plan von Southallfîelds, ebensowohl versuchen den Teufel zu erheben und +zu bessern als einen Ziegler, mein Herr!" ("You might as well try to raise +and improve the devil as a brickie, Sir!") 2 5 4) + +irgendwie beobachtet + +2 5 4 ) ,,Child. Empi. Comm. V. Report 1866", XVI-XVIII, n. 86-97 und p. 130-133, n. 3 9 - 7 1 . +Vgl. auch ib. III. Rep. 1864, p. 48, 56. + +4 0 + +418 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Ueber die kapitalistische Oekonomisirung der Arbeitsbedingungen in +der modernen Manufaktur (worunter hier alle Werkstätten auf großer Stu- +fenleiter, außer eigentlichen Fabriken, zu verstehn) findet man officielles +und reichlichstes Material in dem IV. (1861) und VI. (1863) „Public +5 Health Report". Die Beschreibung der workshops (Arbeitslokale), nament- +lich der Londoner Drucker und Schneider überbietet die ekelhaftesten +Phantasien unsrer Romanschreiber. Die Wirkung auf den Gesundheitszu- +stand der Arbeiter ist selbstverständlich. Dr. Simon, der oberste ärztliche +Beamte des Privy Council und officielle Herausgeber der „Public Health +10 Reports", sagt u.a.: „In meinem vierten Bericht (1861) zeigte ich, wie es für +die Arbeiter praktisch unmöglich ist darauf zu bestehen, was ihr erstes Ge- +sundheitsrecht ist, das Recht, daß zu welchem Werk immer ihr Anwender +sie versammelt, die Arbeit, so weit es von ihm abhängt, von allen vermeid- +baren gesundheitswidrigen Umständen befreit sein soll. Ich wies nach, daß +15 während die Arbeiter praktisch unfähig sind, sich selbst diese Gesundheits- +justiz zu verschaffen, sie keinen wirksamen Beistand von den bestallten +Administratoren der Gesundheitspolizei erlangen können .... ||431| Das +Leben von Myriaden von Arbeitern und Arbeiterinnen wird jetzt nutzlos +gefoltert und verkürzt durch das endlose physische Leiden, welches ihre +20 bloße Beschäftigung erzeugt" 2 5 5). Zur Illustration des Einflusses der Ar- +beitslokale auf den Gesundheitszustand giebt Dr. Simon folgende Sterb- +lichkeitsliste: + +25 + +30 + +35 + +40 + +Personenzahl +aller Altersstufen +in den resp. +Industrien an- +gewandt. + +Industrien ver- +glichen in Bezug +auf Gesundheit. + +Sterblichkeitsrate auf 100 000 Männer +in den resp. Industrien +zu den angegebenen Altersstufen. + +958 265 +22 301 Männer Ί +12 377 Weiber J +13 803 + +Agrikult. in Eng- +land und Wales + +Lond. Schneider + +Lond. Drucker + +25. +bis +35. J. + +743 + +958 + +894 + +35. +bis +45. J. + +805 + +1262 + +1747 + +45. bis 55, + +1145 + +2093 + +2367 2 5 6) + +2 5 5 ) „Public Health". VI.Rep. Lond. 1864, p.29, 31. +2 5 6 ) I.e. p.30. Dr.Simon bemerkt, daß die Sterblichkeit der Londoner Schneider und Drucker +vom 25.-35. Jahr in der That viel größer ist, weil ihre Londoner Anwender eine große Zahl +junger Leute bis zum 30. Jahr hinauf vom Land als „Lehrlinge" und ,,improvers" (die sich in +ihrem Handwerk ausbilden wollen) erhalten. Diese figuriren im Census als Londoner, sie +schwellen die Kopfzahl, worauf die Londoner Sterblichkeitsrate berechnet wird, ohne verhält- +nißmäßig zur Zahl der Londoner Todesfälle beizutragen. Großer Theil von ihnen kehrt näm- +lich und ganz besonders in schweren Krankheitsfällen, zum Land zurück. (1. c.) + +419 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +d) Die moderne Hausarbeit. + +Ich wende mich jetzt zur sog. Hausarbeit. Um sich eine Vorstellung von +dieser auf dem Hintergrund der großen Industrie aufgebauten Exploita- +tionssphäre des Kapitals und ihren Ungeheuerlichkeiten zu machen, be- +trachte man z.B. die scheinbar ganz idyllische, in einigen abgelegnen Dör- +fern Englands betriebne Nägelmacherei 2 5 7). Hier genügen einige Beispiele +aus den noch gar nicht maschinenmäßig betriebnen oder mit Maschinen- +und Manufakturbetrieb konkurrirenden Zweigen der Spitzenfabrik und +Strohflechterei. + +5 + +Von den 150 000 Personen, die in der englischen Spitzenproduktion be- 10 + +schäftigt, fallen ungefähr 10 000 unter die Botmäßigkeit des Fabrikakts von +1861. Die ungeheure Mehrzahl der übrig bleibenden 1 4 0 0 0 0 sind Weiber, +junge Personen und Kinder beiderlei Geschlechts, obgleich das männliche +Geschlecht nur schwach vertreten ist. Der Gesundheitszustand dieses +„wohlfeilen" ||432| Exploitationsmaterials ergibt sich aus folgender Aufstel- 15 +lung des Dr. Truman, Arzt beim General Dispensary von Nottingham. Von +je 686 Patienten, Spitzenmacherinnen, meist zwischen dem 17. und +24. Jahr, waren schwindsüchtig: + +1852 1 auf 45, +1853 1 » 28, +1854 1 » 17, + +1855 1 auf 18, +1856 1 » 15, +1857 1 » 13, + +1858 1 auf 15, +9, +1859 1 » +8, +1860 1 » +8.: +1861 1 » + +20 + +Dieser Fortschritt in der Rate der Schwindsucht muß dem optimistisch- +sten Fortschrittler und lügenfauchendsten deutschen Freihandelshausir- +burschen genügen. + +25 + +Der Fabrikakt von 1861 regelt das eigentliche Machen der Spitzen, so- +weit es durch Maschinerie geschieht, und dieß ist die Regel in England. +Die Zweige, die wir hier kurz berücksichtigen, und zwar nicht, soweit die +Arbeiter in Manufakturen, Waarenhäusern u.s.w. koncentrirt, sondern nur +sofern sie sog. Hausarbeiter sind, zerfallen 1) in das finishing (letztes Zu- 30 +rechtmachen der maschinenmäßig fabricirten Spitzen, eine Kategorie, die +wieder zahlreiche Unterabtheilungen einschließt), 2) Spitzenklöppeln. + +Das Lace finishing wird als Hausarbeit betrieben entweder in sog. „Mis- +tresses Houses" oder von Weibern, einzeln oder mit ihren Kindern, in +ihren Privatwohnungen. Die Weiber, welche die „Mistresses Houses" hai- 35 + +2 5 7 ) Es handelt sich hier um gehämmerte Nägel im Unterschied von den maschinenmäßig fa- +bricirten geschnittenen Nägeln. Siehe ,,Child. Empi. Comm. III. Report", p. XI, p. XIX, +η. 125(cid:5)130, p. 52, η. 11, p. 113, 114, η. 487, p. 137, η. 674. +2 5 8 ) ,,Child. Empi. Comm. II. Report", p. XXII, η. 166. + +420 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +ten, sind selbst arm. Das Arbeitslokal bildet Theil ihrer Privatwohnung. Sie +erhalten Aufträge von Fabrikanten, Besitzern von Waarenmagazinen +u. s.w. und wenden Weiber, Mädchen und junge Kinder an, je nach dem +Umfang ihrer Zimmer und der fluktuirenden Nachfrage des Geschäfts. Die +5 Zahl der beschäftigten Arbeiterinnen wechselt von 20 zu 40 in einigen, von +10 zu 20 in andren dieser Lokale. Das durchschnittliche Minimalalter, wo- +rin Kinder beginnen, ist 6 Jahre, manche jedoch unter 5 Jahren. Die ge- +wöhnliche Arbeitszeit währt von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, mit +ll/2 Stunden für Mahlzeiten, die unregelmäßig und oft in den stinkigen Ar- +io beitslöchern selbst genommen werden. Bei gutem Geschäft währt die Ar- +beit oft von 8 Uhr (manchmal 6 Uhr) Morgens bis 10, 11 oder 12 Uhr +Nachts. In englischen Kasernen beträgt der vorschriftsmäßige Raum für j e - +den Soldaten 5 0 0 - 6 0 0 Kubikfuß, in den Militärlazarethen 1200. In jenen +Arbeitslöchern kommen 6 7 - 1 0 0 Kubikfuß auf jede Person. Gleichzeitig +15 verzehrt Gaslicht den Sauerstoff der Luft. Um die Spitzen rein zu halten, +müssen die Kinder oft die Schuhe aus||433|ziehn, auch im Winter, ob- +gleich das Estrich aus Pflaster oder Ziegeln besteht. „Es ist nichts Unge- +wöhnliches in Nottingham, 15 bis 20 Kinder in einem kleinen Zimmer von +vielleicht nicht mehr als 12 Fuß im Quadrat zusammengepökelt zu finden, +20 während 15 Stunden aus 24 beschäftigt an einer Arbeit, an sich selbst er- +schöpfend durch Ueberdruß und Monotonie, zudem unter allen nur mögli- +chen gesundheitszerstörenden Umständen ausgeübt ... Selbst die jüngsten +Kinder arbeiten mit einer gespannten Aufmerksamkeit und Geschwindig- +keit, die erstaunlich sind, fast niemals ihren Fingern Ruhe oder langsamre +25 Bewegung gönnend. Richtet man Fragen an sie, so erheben sie das Auge +nicht von der Arbeit, aus Furcht, einen Moment zu verlieren." Der „lange +Stock" dient den ,,mistresses" als Anregungsmittel im Verhältniß, worin +die Arbeitszeit verlängert wird. „Die Kinder ermüden allmählig und wer- +den so rastlos wie Vögel gegen das Ende ihrer langen Gebundenheit an +30 eine Beschäftigung, eintönig, für die Augen angreifend, erschöpfend durch +die Einförmigkeit der Körperhaltung. Es ist wahres Sklavenwerk." ("Their +work is like slavery") 2 5 9). Wo Frauen mit ihren eignen Kindern zu Hause, +d. h. im modernen Sinn, in einem gemietheten Zimmer, häufig in einer +Dachstube arbeiten, sind die Zustände wo möglich noch schlimmer. Diese +35 Art Arbeit wird 80 Meilen im Umkreis von Nottingham ausgegeben: Wenn +das in den Waarenhäusern beschäftigte Kind sie 9 oder 10 Uhr Abends ver- +läßt, gibt man ihm oft noch ein Bündel mit auf den Weg, um es zu Haus +fertig zu machen. Der kapitalistische Pharisäer, vertreten durch einen sei- +ner Lohnknechte, thut das natürlich mit der salbungsvollen Phrase: „das + +40 + +2 5 9 ) ,,Child. Empi. Comm. II. Report 1864", p. XVIII, XIX, XX, XXI. + +421 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +sei für Mutter", weiß aber sehr wohl, daß das arme Kind aufsitzen und hel- +fen m u ß 2 6 0 ) . + +5 + +10 + +Die Industrie des Spitzenklöppelns wird hauptsächlich in zwei engli- +schen Agrikulturdistrikten betrieben, dem Honiton Spitzendistrikt, 20 bis +30 Meilen längs der Südküste von Devonshire, mit Einschluß weniger +Plätze von Nord-Devon, und einem andren Distrikt, der großen Theil der +Grafschaften von Buckingham Bedford, Northampton und die benachbar- +ten Theile von Oxfordshire und Huntingdonshire umfaßt. Die cottages der +Ackerbautaglöhner bilden durchschnittlich die Arbeitslokale. Manche Ma- +nufakturherrn wenden über 3000 dieser Hausarbeiter an, hauptsächlich | +|434| Kinder und junge Personen, ausschließlich weiblichen Geschlechts. +Die beim Lace finishing beschriebnen Zustände wiederholen sich. Nur tre- +ten an die Stelle der ,,mistresses houses" die sog. „lace schools" (Spitzen- +schulen), gehalten von armen Weibern in ihren Hütten. Vom 5. Jahr an, +manchmal jünger, bis zum 12. oder 15. arbeiten die Kinder in diesen S chu- 15 +len, während des ersten Jahres die Jüngsten von 4 bis 8 Stunden, später +von 6 Uhr Morgens bis 8 und 10 Uhr Abends. „Die Zimmer sind im allge- +meinen gewöhnliche Wohnstuben kleiner cottages, der Kamin zugestopft +zur Abwehr von Luftzug, die Insassen manchmal auch im Winter nur von +ihrer eignen animalischen Wärme geheizt. In andren Fällen sind diese s.g. +Schulzimmer kleinen Vorrathskammern ähnliche Räume, ohne Feuerplatz +.... Die Ueberfüllung dieser Löcher und die dadurch bewirkte Luftverpe- +stung sind oft extrem. Dazu kommt die schädliche Wirkung von Gerinnen, +Abtritten, verwesenden Stoffen und andrem Unrath, gewöhnlich in den Zu- +gängen zu kleinren cottages." Mit Bezug auf den Raum: „In einer Spitzen- 25 +schule 18 Mädchen und Meisterin, 33 Kubikfuß für jede Person; in einer +andren, wo unerträglicher Gestank, 18 Personen, per Kopf 24½ Kubikfuß. +Man findet in dieser Industrie Kinder von 2 und 2% Jahren verwandt" 2 6 1). +Wo das Spitzenklöppeln in den ländlichen Grafschaften von Bucking- +ham und Bedford aufhört, beginnt die Strohflechterei. Sie erstreckt sich 30 +über großen Theil von Hertfordshire und die westlichen und nördlichen +Theile von Essex. Es waren 1861 beschäftigt im Strohflechten und Stroh- +hutmachen 48 043 Personen, 3815 davon männlichen Geschlechts aller Al- +tersstufen, die andren weiblichen Geschlechts, und zwar 14 913 unter +20 Jahren, davon an 6000 Kinder. An die Stelle der Spitzenschulen treten 35 +hier die ,,straw plait schools" (Strohflechtschulen). Die Kinder beginnen +hier den Unterricht im Strohflechten gewöhnlich vom 4., manchmal zwi- +schen dem 3. und 4. Jahr. Erziehung erhalten sie natürlich keine. Die Kin- +der selbst nennen die Elementarschulen „natural schools" (natürliche + +20 + +2 6°) 1. c. p.XXI, XXII. +2 6 1 ) I.e. p.XXIX, XXX. + +422 + +40 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Schulen) im Unterschied zu diesen Blutaussaugungsanstalten, worin sie +einfach an der Arbeit gehalten werden, um das von ihren halbverhungerten +Müttern vorgeschriebne Machwerk, meist 30 Yards per Tag, zu verfertigen. +Diese Mütter lassen sie dann oft noch zu Haus bis 10, 11, 12 Uhr Nachts +arbeiten. Das Stroh schneidet ihnen Finger und Mund, durch den sie es | +|435| beständig anfeuchten. Nach der von Dr.Ballard resümirten Gesammt- +ansicht der medicinischen Beamten Londons bilden 300 Kubikfuß den Mi- +nimalraum für jede Person in einem Schlaf- oder Arbeitszimmer. In den +Strohflechtschulen ist der Raum aber noch spärlicher zugemessen als in +den Spitzenschulen, „12%, 17, 18½ und unter 22 Kubikfuß für jede Per- +son". Die kleinren dieser Zahlen, sagt Kommissär White, „repräsentiren +weniger Raum als die Hälfte von dem, den ein Kind einnehmen würde, +wenn verpackt in eine Schachtel von 3 Fuß nach allen Dimensionen". Dieß +der Lebensgenuß der Kinder bis zum 12. oder 14. Jahr. Die elenden, ver- +kommenen Eltern sinnen nur darauf, aus den Kindern so viel als möglich +herauszuschlagen. Aufgewachsen fragen die Kinder natürlich keinen Deut +nach den Eltern und verlassen sie. „Es ist kein Wunder, daß Unwissenheit +und Laster überströmen in einer so aufgezüchteten Bevölkerung ... Ihre +Moral steht auf der niedrigsten Stufe .... Eine große Anzahl der Weiber +hat illegitime Kinder und manche in so unreifem Alter, daß selbst die Ver- +trauten der Kriminalstatistik darüber erstarren" 2 6 2). Und das Heimathsland +dieser Musterfamilien ist, so sagt der sicher im Christenthum kompetente +Graf Montalembert, Europa's christliches Musterland! + +Der Arbeitslohn, in den eben behandelten Industriezweigen überhaupt +jämmerlich (der ausnahmsweise Maximallohn der Kinder in den Stroh- +flechtschulen 3 sh.), wird noch tief unter seinen Nominalbetrag herabge- +drückt durch das namentlich in den Spitzendistrikten allgemein vorherr- +schende Trucksystem 2 6 3). + +e) Uebergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit +zur großen Industrie. +Beschleunigung dieser Revolution durch Anwendung der Fabrikgesetze +auf jene Betriebsweisen. + +Die Verwohlfeilerung der Arbeitskraft durch bloßen Mißbrauch weiblicher +und unreifer Arbeitskräfte, bloßen Raub aller normalen Arbeits- und Le- +bensbedingungen, und bloße Brutalität der Ueber- und Nachtarbeit, stößt +zuletzt auf gewisse nicht weiter überschreitbare Naturschranken, und mit + +2 6 2 ) 1. c. p. XXXIX, XL, XLL +2 6 3 ) ,,Child. Empi. Comm. I. Rep. 1863", p. 185. + +423 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +ihr auch die auf diesen Grundlagen beruhende Verwohlfeilerung der Waa- +ren und kapitalistische Exploitation überhaupt. Sobald dieser Punkt end- +lich erreicht ist, und es dauert lange, schlägt die Stunde für Ein||436|füh- +rung der Maschinerie und die nun rasche Verwandlung der zersplitterten +Hausarbeit (oder auch Manufaktur) in Fabrikbetrieb. + +5 + +10 + +Das kolossalste Beispiel dieser Bewegung liefert die Produktion von +,,Wearing Apparel" (zum Anzug gehörige Artikel). Nach der Klassifikation +der ,,Child. Empi. Comm." umfaßt diese Industrie Strohhut- und Damen- +hutmacher, Kappenmacher, Schneider, milliners und dressmakers 2 6 4), +Hemdenmacher und Näherinnen, Korsetten-, Handschuh-, Schuhmacher, +nebst vielen kleineren Zweigen, wie Fabrikation von Halsbinden, Halskra- +gen u. s. w. Das in England und Wales in diesen Industrien beschäftigte +weibliche Personal betrug 1861: 5 8 6 2 9 8 , wovon mindestens 115 242 unter +20, 16 560 unter 15 Jahren. Zahl dieser Arbeiterinnen im Vereinigten Kö- +nigreich (1861): 7 5 0 3 3 4 . Die Zahl der gleichzeitig in Hut-, Schuh-, Hand- 15 +Schuhmacherei und Schneiderei beschäftigten männlichen Arbeiter in +England und Wales: 437 969, wovon 14 964 unter 15 Jahren, 8 9 2 8 5 fünf- +zehn- bis zwanzigjährig, 333 117 über 20 Jahren. Es fehlen in dieser An- +gabe viele hierher gehörige kleinere Zweige. Nehmen wir aber die Zahlen, +wie sie stehn, so ergibt sich für England und Wales allein, nach dem Cen- 20 +sus von 1861, eine Summe von 1 0 2 4 2 6 7 Personen, also ungefähr so viel +wie Ackerbau und Viehzucht absorbiren. Man fängt an zu verstehn, wozu +die Maschinerie so ungeheure Produktenmassen hervorzaubern und so un- +geheure Arbeitermassen „freisetzen" hilft. + +Die Produktion des ,,Wearing Apparel" wird betrieben durch Manufak- 25 + +turen, welche in ihrem Innern nur die Theilung der Arbeit reproducirten, +deren membra disjecta sie fertig vorfanden; durch kleinere Handwerksmei- +ster, die aber nicht wie früher für individuelle Konsumenten, sondern für +Manufakturen und Waarenmagazine arbeiten, so daß oft ganze Städte und +Landstriche solche Zweige, wie Schusterei u. s. w. als Specialität ausüben; 30 +endlich im größten Umfang durch s.g. Hausarbeiter, welche das auswärtige +Departement der Manufakturen, Waarenmagazine und selbst der kleineren +Meister bilden 2 6 5). Die Massen des Arbeitsstoffs, Rohstoffs, Halbfabrikate +u.s.w. liefert die große Industrie, die Masse des wohlfeilen Menschenmate- +rials (taillable à merci et miséricorde) besteht aus den durch die große In- 35 +dustrie und Agrikultur „Frei||437|gesetzten". Die Manufakturen dieser + +2 6 4 ) Millinery bezieht sich eigentlich nur auf den Kopfputz, doch auch Damenmäntel und +Mantillen, während Dressmakers mit unsren Putzmacherinnen identisch sind. +2 6 5 ) Die englische millinery und das dressmaking werden meist in den Baulichkeiten der An- +wender, theils durch dort wohnhafte und engagirte Arbeiterinnen, theils durch auswärts woh- +nende Taglöhnerinnen betrieben. + +40 + +424 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +Sphäre verdankten ihren Ursprung hauptsächlich dem Bedürfniß des Kapi- +talisten, eine jeder Bewegung der Nachfrage entsprechende schlagfertige +Armee unter der Hand zu haben 2 6 6). Diese Manufakturen ließen jedoch ne- +ben sich den zerstreuten handwerksmäßigen und Hausbetrieb als breite +5 Grundlage fortbestehn. Die große Produktion von Mehrwerth in diesen Ar- +beitszweigen, zugleich mit der progressiven Verwohlfeilerung ihrer Artikel, +war und ist hauptsächlich geschuldet dem Minimum des zu kümmerlicher +Vegetation nöthigen Arbeitslohns, verbunden mit dem Maximum men- +schenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die Wohlfeilheit des in Waare +10 verwandelten Menschenschweißes und Menschenbluts, welche den Absatz- +markt beständig erweiterte und täglich erweitert, für England namentlich +auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische Gewohnheit und Ge- +schmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt ein. Die Grundlage +der alten Methode, bloß brutale Ausbeutung des Arbeitermaterials, mehr +15 oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitstheilung, ge- +nügte dem wachsenden Markt und der noch rascher wachsenden Konkur- +renz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der Maschinerie schlug. Die +entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämmtlichen zahllosen +Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schuste- +rei, Näherei, Hutmacherei u. s. w. gleichmäßig ergreift, ist - die Nähma- +schine. + +20 + +Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller Ma- +schinerie, welche in der Periode der großen Industrie neue Geschäfts- +zweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn der +25 Maschinenarbeiter steigt verhältnißmäßig zu dem der Hausarbeiter, wovon +viele zu „den Aermsten der Armen" (,,the poorest of the poor") gehören. +Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen die Maschine kon- +kurrirt, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind ausschließlich Mädchen +und junge Frauen. Mit Hülfe der mechanischen Kraft vernichten sie das +30 Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus +leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige +Konkurrenz erschlägt die schwächsten Handarbeiter. Das gräuliche Wachs- +thum des Hungertods (death from starvation) in London während des letz- +ten Decenniums läuft parallel ||438| mit der Ausdehnung der Maschinen- +35 näherei 2 6 7). Die neuen Arbeiterinnen an der Nähmaschine, welche von + +2 6 6 ) Kommissär White besuchte eine Manufaktur für Militärkleider, die 1000 bis 1200 Perso- +nen, fast alle weiblichen Geschlechts, beschäftigte, eine Schuhmanufaktur mit 1300 Perso- +nen, wovon beinahe die Hälfte Kinder und junge Personen u. s. w. (,,Child. Empi. Comm. II. +Rep.", p.XLVII, n.319.) +2 6 7 ) Ein Beispiel. Am 26. Februar 1864 enthält der wöchentliche Sterblichkeitsbericht des Re- +gistrar General 5 Fälle von Hungertod. Am selben Tag berichtet die Times einen neuen Fall +von Hungertod. Sechs Opfer des Hungertods in einer Woche! + +40 + +425 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +ihnen mit Hand und Fuß oder mit der Hand allein, sitzend und stehend, je +nach Schwere, Größe und Specialität der Maschine, bewegt wird, verausga- +ben große Arbeitskraft. Ihre Beschäftigung wird gesundheitswidrig durch +die Dauer des Processes, obgleich er meist kürzer als im alten System. +Ueberau, wo die Nähmaschine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen +u.s.w., ohnehin enge und überfüllte Werkstätten heimsucht, vermehrt sie +die gesundheitswidrigen Einflüsse. „Die Wirkung", sagt Kommissär Lord, +„beim Eintritt in niedrig gestochne Arbeitslokale, wo 30 bis 40 Maschinen- +arbeiter zusammenwirken, ist unerträglich ... Die Hitze, theilweis den Gas- +öfen zur Wärmung der Bügeleisen geschuldet, ist schrecklich .... Wenn 10 +selbst in solchen Lokalen s.g. mäßige Arbeitsstunden, d.h. von 8 Uhr Mor- +gens bis 6 Uhr Abends, vorherrschen, fallen dennoch jeden Tag 3 oder +4 Personen regelmäßig in Ohnmacht" 2 6 8 ) . + +5 + +Die Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise, dieß nothwendige +Produkt der Umwandlung des Produktionsmittels, vollzieht sich in einem 15 +bunten Wirrwar von Uebergangsformen. Sie wechseln mit dem Umfang, +worin, und der Zeitlänge, während welcher die Nähmaschine den einen +oder andren Industriezweig bereits ergriffen hat; mit der vorgefundnen +Lage der Arbeiter, dem Uebergewicht des Manufaktur-, Handwerks- oder +Hausbetriebs, dem Miethpreis der Arbeitslokale 2 6 9) u. s. w. In der Putzma- 20 +cherei z.B., wo die Arbeit meist schon organisirt war, hauptsächlich durch +einfache Kooperation, bildet die Nähmaschine zunächst nur einen neuen +Faktor des Manufakturbetriebs. In der Schneiderei, Hemdenmacherei, +Schusterei u.s.w. durchkreuzen sich alle Formen. Hier eigentlicher Fabrik- +betrieb. Dort erhalten Zwischenanwender das Rohmaterial vom Kapitali- 25 +sten en chef und gruppiren in „Kammern" oder „Dachstuben" 10 bis 50 +und noch mehr Lohn||439|arbeiter um Nähmaschinen. Endlich wie bei +aller Maschinerie, die kein gegliedertes System bildet, und im Zwergformat +anwendbar ist, benutzen Handwerker oder Hausarbeiter, mit eigner Fami- +lie oder Zuziehung weniger fremder Arbeiter, auch ihnen selbst gehörige 30 +Nähmaschinen 2 7 0). Thatsächlich überwiegt jetzt in England das System, +daß der Kapitalist eine größre Maschinenanzahl in seinen Baulichkeiten +koncentrirt und dann das Maschinenprodukt zur weiteren Verarbeitung +unter die Armee der Hausarbeiter vertheilt 2 7 1). Die Buntheit der Ueber- + +2 6 8 ) ,,Child. Empi. Comm." II. Rep. 1864, p.LXVII, n. 406-9, p. 84, n. 124, p.LXXIII, n. 441, 35 +p. 68, n. 6, p. 84, n. 126, p. 78, n. 85, p. 76, n. 69, p. LXXII, n. 438. +2 6 9 ) "The rental of premises required for work rooms seems the element which ultimately de- +termines the point, and consequently it is in the metropolis, that the old system of giving work +out to small employers and families has been longest retained, and earliest returned to." (I.e. +p. 83, n. 123.) Der Schlußsatz bezieht sich ausschließlich auf Schusterei. +2 7 0 ) In der Handschuhmacherei u. s.w., wo die Lage der Arbeiter von der der Paupers kaum +unterscheidbar, kömmt dieß nicht vor. +2 7 1 ) I.e. p.83, n.122. + +40 + +426 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +gangsformen versteckt jedoch nicht die Tendenz zur Verwandlung in eigent- +lichen Fabrikbetrieb. Diese Tendenz wird genährt durch den Charakter der +Nähmaschine selbst, deren mannigfaltige Anwendbarkeit zur Vereinigung +früher getrennter Geschäftszweige in derselben Baulichkeit und unter dem +5 Kommando desselben Kapitals drängt; durch den Umstand, daß vorläufi- +ges Nadelwerk und einige andre Operationen am geeignetsten am Sitz der +Maschine verrichtet werden; endlich durch die unvermeidliche Expropria- +tion der Handwerker und Hausarbeiter, die mit eignen Maschinen produci- +ren. Dieß Fatum hat sie zum Theil schon jetzt erreicht. Die stets wachs- +10 ende Masse des in Nähmaschinen angelegten Kapitals 2 7 2) spornt die +Produktion und erzeugt Marktstockungen, welche das Signal zum Verkauf +der Nähmaschinen durch die Hausarbeiter läuten. Die Ueberproduktion +von solchen Maschinen selbst zwingt ihre absatzbedürftigen Producenten, +sie auf wöchentliche Miethe zu verleihn, und schafft damit eine für die +15 kleinen Maschineneigner tödtliche Konkurrenz 2 7 3). Stets noch fortdau- +ernde Konstruktionswechsel und Verwohlfeilerung der Maschinen depre- +ciiren eben so beständig ihre alten Exemplare und lassen sie nur noch mas- +in der Hand großer Kapitalisten, +senhaft, zu Spottpreisen gekauft, +profitlich anwenden. Endlich gibt die Substitution der Dampfmaschine für +20 den Menschen, hier wie in allen ähnlichen Umwälzungsprocessen, den +Ausschlag. Die Anwendung der Dampfkraft stößt im Anfang auf rein tech- +nische Hindernisse, wie Schütteln der Maschinen, Schwierigkeit in der Be- +herrschung ihrer Geschwindigkeit, raschen Verderb der leichtern Maschi- +nen u. s. w., lauter Hindernisse, welche die Erfahrung bald ||440| über- +25 winden l e h r t 2 7 4 ) . Wenn einerseits die Koncentration vieler Arbeitsmaschi- +in größren Manufakturen zur Anwendung der Dampfkraft treibt, +nen +beschleunigt andrerseits die Konkurrenz des Dampfes mit Menschenmus- +keln Koncentration von Arbeitern und Arbeitsmaschinen in großen Fabri- +ken. So erlebt England gegenwärtig in der kolossalen Produktionssphäre +30 des ,,Wearing Apparel", wie in den meisten übrigen Gewerken, die Umwäl- +zung der Manufaktur, des Handwerks und der Hausarbeit in Fabrikbetrieb, +nachdem alle jene Formen, unter dem Einfluß der großen Industrie gänz- +lich verändert, zersetzt, entstellt, bereits längst alle Ungeheuerlichkeiten +des Fabriksystems ohne seine positiven Entwicklungsmomente reproducirt + +35 und selbst übertrieben hatten 2 7 5). + +2 7 2 ) In der für den Großverkauf producirenden Stiefel- und Schuhmacherei von Leicester al- +lein waren 1864 bereits 800 Nähmaschinen im Gebrauch. +2 7 3 ) 1. c. p. 84, n. 124. +2 7 4 ) So im Armee-Kleidungsdepot zu Pimlico, London, in der Hemdenfabrik von Tillie und +40 Henderson zu Londonderry, in der Kleiderfabrik der Firma Tait zu Limerick, die an + +1200 „Hände" vernutzt. +2 7 5 ) ,,Tendency to factory system". (I.e. p.LXVII.) "The whole employment is at this time in a + +427 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Diese naturwüchsig vorgehende industrielle Revolution wird künstlich +beschleunigt durch die Ausdehnung der Fabrikgesetze auf alle Industrie- +zweige, worin Weiber, junge Personen und Kinder arbeiten. Die zwangsmä- +ßige Regulation des Arbeitstags nach Länge, Pausen, Anfangs- und End- +punkt, das System der Ablösung für Kinder, der Ausschluß aller Kinder +unter einem gewissen Alter u.s.w. ernöthigen einerseits vermehrte Maschi- +nerie 2 7 6) und Ersatz von Muskeln durch Dampf als Triebkraft 2 7 7). Andrer- +seits, um im Raum zu gewinnen, was in der Zeit verloren geht, findet +Streckung der gemeinschaftlich vernutzten Produktionsmittel statt, der +Oefen, Baulichkeiten u.s.w., also in einem Wort größre Koncentration der 10 +Produktionsmittel und entsprechende größre Konglomeration von Arbei- +tern. Der leidenschaftlich wiederholte Haupteinwand ||441| jeder mit dem +Fabrikgesetz bedrohten Manufaktur ist in der That die Nothwendigkeit +größrer Kapitalauslage, um das Geschäft in seinem alten Umfang fortzu- +führen. Was aber die Zwischenformen zwischen Manufaktur und Hausar- 15 +beit und letztre selbst betrifft, so versinkt ihr Boden mit der Schranke des +Arbeitstags und der Kinderarbeit. Schrankenlose Ausbeutung wohlfeiler +Arbeitskräfte bildet die einzige Grundlage ihrer Konkurrenzfähigkeit. + +5 + +Wesentliche Bedingung des Fabrikbetriebs, namentlich sobald er der +Regulation des Arbeitstags unterliegt, ist normale Sicherheit des Resultats, 20 +d. h. Produktion eines bestimmten Quantums Waare oder eines bezweck- +ten Nutzeffekts in gegebnem Zeitraum. Die gesetzlichen Pausen des regu- +lirten Arbeitstags unterstellen ferner plötzlichen und periodischen Still- +stand der Arbeit ohne Schaden für das im Produktionsproceß befindliche +Machwerk. Diese Sicherheit des Resultats und Unterbrechungsfähigkeit 25 +der Arbeit sind natürlich in rein mechanischen Gewerken leichter erzielbar +als dort, wo chemische und physikalische Processe eine Rolle spielen, wie +z . B . in Töpferei, Bleicherei, Färberei, Bäckerei, den meisten Metallmanu- +fakturen. Mit dem Schlendrian des unbeschränkten Arbeitstags, der Nacht- +arbeit und freier Menschenverwüstung, gilt jedes naturwüchsige Hinderniß 30 + +state of transition, and is undergoing the same change as that effected in the lace trade, weav- +ing etc." (1. c. n. 405.) „A complete Revolution". (1. c. p. XLVI, n. 318.) Zur Zeit der ,,Child. +Empi. Comm." von 1840 war die Strumpfwirkerei noch Handarbeit. Seit 1846 wurde verschie- +denartige Maschinerie eingeführt, jetzt durch Dampf getrieben. Die Gesammtzahl der in der +englischen Strumpfwirkerei beschäftigten Personen beiderlei Geschlechts und aller Altersstu- 35 +fen vom 3. Jahr an betrug 1862 ungefähr 120 000 Personen. Davon, nach Parliamentary Return +vom 11. Februar, 1862 doch nur 4063 unter der Botmäßigkeit des Fabrikakts. +2 7 6 ) So z.B. in der Töpferei berichtet die Firma Cochran von der ,,Britain Pottery, Glasgow": +"To keep up our quantity, we have gone extensively into machines wrought by unskilled la- +bour, and every day convinces us that we can produce a greater quantity than by the old 40 +method." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 13.) „Die Wirkung des Fabrikakts ist, +zu weitrer Einführung von Maschinerie zu treiben." (1. c. p. 13, 14.) +2 7 7 ) So nach Einführung des Fabrikakts in die Töpferei große Zunahme der power jiggers statt +der handmoved jiggers. + +428 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +5 + +10 + +bald für eine ewige „Naturschranke" der Produktion. Kein Gift vertilgt Un- +geziefer sichrer als das Fabrikgesetz solche „Naturschranken". Niemand +schrie lauter über „Unmöglichkeiten" als die Herren von der Töpferei. +1864 wurde ihnen das Fabrikgesetz oktroyirt und alle Unmöglichkeiten wa- +ren schon 16 Monate später verschwunden. Die durch das Fabrikgesetz +hervorgerufne „verbesserte Methode, Töpferbrei (slip) durch Druck statt +durch Verdunstung zu machen, die neue Konstruktion der Oefen zum +Trocknen der ungebrannten Waare u.s.w. sind Ereignisse von großer Wich- +tigkeit in der Kunst der Töpferei und bezeichnen einen Fortschritt der- +selben, wie ihn das letzte Jahrhundert nicht aufweisen kann ... Die Tempe- +ratur der Oefen ist beträchtlich vermindert, bei beträchtlicher Abnahme im +Kohlenkonsum und raschrer Wirkung auf die W a a r e " 2 7 8 ) . Trotz aller Pro- +phezeiung stieg nicht der Kostenpreis des Erdenguts, wohl aber die Pro- +duktenmasse, so daß die Ausfuhr der 12 Monate von December 1864 bis +15 December 1865 einen Werthüberschuß von 138 628 Pfd. St. über den +Durchschnitt der drei vorigen Jahre ergab. In der Fabrikation von Zünd- +hölzern galt es als Naturgesetz, daß Jungen, selbst während der Herunter- +würgung ihres Mittags||442|mahls, die Hölzer in eine warme Phosphorkom- +position tunkten, deren giftiger Dampf ihnen in das Gesicht stieg. Mit der +20 Nothwendigkeit, Zeit zu Ökonomisiren, erzwang der Fabrikakt (1864) eine +,,dipping machine" (Eintauchungsmaschine), deren Dämpfe den Arbeiter +nicht erreichen können 2 7 9). So wird jetzt in den noch nicht dem Fabrikge- +setz unterworfnen Zweigen der Spitzenmanufaktur behauptet, die Mahlzei- +ten könnten nicht regelmäßig sein, wegen der verschiednen Zeitlängen, die +25 verschiedne Spitzenmaterialien zur Trocknung brauchen, und die von +3 Minuten auf eine Stunde und mehr variiren. Hierauf antworten die Kom- +missäre der ,,Children's Employment Comm.": „Die Umstände sind diesel- +ben wie in der Tapetendruckerei. Einige der Hauptfabrikanten in diesem +Zweig machten lebhaft geltend, die Natur der verwandten Materialien und +30 die Verschiedenartigkeit der Processe, die sie durchlaufen, erlaubten ohne +großen Verlust keine plötzliche Stillsetzung der Arbeit für Mahlzeiten .... +Durch die 6. Klausel der 6. Sektion des Factory Act's Extension Act (1864) +ward ihnen eine achtzehnmonatliche Frist vom Erlassungsdatum des Akts +an eingeräumt, nach deren Ablauf sie sich den durch den Fabrikakt speci- +ficirten Erfrischungspausen fügen müßten" 2 8 0). Kaum hatte das Gesetz +parlamentarische Sanktion erhalten, als die Herrn Fabrikanten auch ent- + +35 + +2 7 8 ) „Rep. Insp. Fact. 31st. Oct. 1865", p. 96 und 127. +2 7 9 ) Die Einführung dieser und andrer Maschinerie in die Zündholzfabrik hat in einem Depar- +tement derselben 230 junge Personen durch 32 Jungen und Mädchen von 14 bis 17 Jahren er- +40 setzt. Diese Ersparung von Arbeitern wurde 1865 weiter geführt durch Anwendung der + +Dampfkraft. +2 8 0 ) ,,Child. Empi. Comm. II. Rep. 1864", p. IX, η. 50. + +429 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +deckten: „Die Mißstände, die wir von der Einführung des Fabrikgesetzes +erwarteten, sind nicht eingetreten. Wir finden nicht, daß die Produktion +irgendwie gelähmt ist. In der That, wir produciren mehr in derselben +Z e i t " 2 8 1 ) . Man sieht, das englische Parlament, dem sicher Niemand Genia- +lität vorwerfen wird, ist durch Erfahrung zur Einsicht gelangt, daß ein +Zwangsgesetz alle s. g. Naturhindernisse der Produktion gegen Beschrän- +kung und Reglung des Arbeitstags einfach wegdiktiren kann. Bei Einfüh- +rung des Fabrikakts in einem Industriezweig wird daher ein Termin von 6 +bis 18 Monaten gestellt, innerhalb dessen es Sache des Fabrikanten ist, die +technischen Hindernisse wegzuräumen. Mirabeau's: «Impossible? Ne me 10 +dites jamais ce bête de mot!» gilt namentlich für die moderne Technologie. +Wenn aber das Fabrikgesetz so die zur Verwandlung des Manufakturbe- +triebs in Fabrikbetrieb nothwendigen materiellen Elemente treibhausmä- +ßig reift, beschleunigt es zugleich ||443| durch die Nothwendigkeit vergrö- +ßerter Kapitalauslage den Untergang der kleineren Meister und die 15 +Koncentration des Kapitals 2 8 2). + +5 + +in einem Tages- oder Wochenabschnitt durch 20 + +Abgesehn von den rein technischen und technisch beseitbaren Hinder- +nissen stößt die Regulation des Arbeitstags auf unregelmäßige Gewohnhei- +ten der Arbeiter selbst, namentlich wo Stücklohn vorherrscht und Ver- +bummlung der Zeit +nachträgliche Ueberarbeit oder Nachtarbeit gutgemacht werden kann, eine +Methode, die den erwachsnen Arbeiter brutalisirt, seine unreifen und weib- +lichen Genossen ruinirt 2 8 3). Obgleich diese Regellosigkeit in Verausgabung +der Arbeitskraft eine naturwüchsige rohe Reaktion gegen die Langweile +monotoner Arbeitsplackerei ist, entspringt sie jedoch in ungleich höherem 25 +Grad aus der Anarchie der Produktion selbst, die ihrerseits wieder ungezü- +gelte Exploitation der Arbeitskraft durch das Kapital voraussetzt. Neben +die allgemeinen periodischen Wechselfälle des industriellen Cyklus und +die besondren Marktschwankungen in jedem Produktionszweig, treten na- +mentlich die s. g. Saison, beruhe sie nun auf Periodicität der Schifffahrt 30 + +2 8 1 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 22. +2 8 2 ) „Die nöthigen Verbesserungen .... können in vielen alten Manufakturen nicht eingeführt +werden, ohne Kapitalauslage über die Mittel vieler gegenwärtiger Besitzer ... Eine vorüberge- +hende Desorganisation begleitet nothwendig die Einführung der Fabrikakte. Der Umfang die- +ser Desorganisation steht in direktem Verhältniß zur Größe der zu heilenden Mißst��nde." +(1. c. p. 96, 97.) +2 8 3 ) In den Hochöfen z.B. ,,work towards the end of the week is generally much increased in +duration, in consequence of the habit of the men of idling on Monday and occasionally dur- +ing a part or the whole of Tuesday also". (,,Child. Empi. Comm. III. Rep." p. VI.) "The little +masters generally have very irregular hours. They lose 2 or 3 days, and then work all night to 40 +make it up ... They always employ their own children if they have any." (1. c. p. VII.) "The +want of regularity in coming to work, encouraged by the possibility and practice of making up +for this by working longer hours." (I.e. p.XVIII.) "Enormous loss of time in Birmingham .... +idling part of the time, slaving the rest." (1. c. p. XL) + +35 + +430 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +günstiger Jahreszeiten oder auf der Mode, und die Plötzlichkeit großer und +in kürzester Frist auszuführender Ordres. Die Gewohnheit der letztern +dehnt sich mit Eisenbahnen und Télégraphie aus. „Die Ausdehnung des +Eisenbahnsystems", sagt z.B. ein Londoner Fabrikant, „durch das ganze +Land hat die Gewohnheit kurzer Ordres sehr gefördert, Käufer kommen +jetzt von Glasgow, Manchester und Edinburgh einmal in 14 Tagen oder für +den Engroskauf zu den City-Waarenhäusern, denen wir die Waaren liefern. +Sie geben Ordres, die unmittelbar ausgeführt werden müssen, statt vom La- +ger zu kaufen, wie es Gewohnheit war. In frühren Jahren waren wir stets fä- +hig, während der schlaffen Zeit für die Nachfrage der nächsten Saison vor- +auszu|14441arbeiten, aber jetzt kann Niemand vorhersagen, was dann in +Nachfrage sein wird" 2 8 4). + +In den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfnen Fabriken und Manu- +fakturen herrscht periodisch die furchtbarste Ueberarbeit während der s.g. +Saison, stoßweis in Folge plötzlicher Ordres. Im auswärtigen Departement +der Fabrik, der Manufaktur und des Waarenmagazins, in der Sphäre der +Hausarbeit, ohnehin durchaus unregelmäßig, für ihr Rohmaterial und ihre +Ordres ganz abhängig von den Launen des Kapitalisten, den hier keine +Rücksicht auf Verwerthung von Baulichkeiten, Maschinen u. s. w. bindet +und der hier nichts riskirt als die Haut der Arbeiter selbst, wird so systema- +tisch eine stets disponible, industrielle Reservearmee großgezüchtet, deci- +mirt während eines Theils des Jahrs durch unmenschlichsten Arbeits- +zwang, während des andren Theils verlumpt durch Arbeitsmangel. „Die +Anwender", sagt die ,,Child. Empi. Comm.", „exploitiren die gewohnheits- +mäßige Unregelmäßigkeit der Hausarbeit, um sie in Zeiten, wo Extrawerk +nöthig, bis 11, 12, 2 Uhr Nachts, in der That, wie die stehende Phrase lau- +tet, auf alle Stunden hinaufzuforciren", und dieß in Lokalen, „wo der Ge- +stank hinreicht, euch niederzuschmettern (the stench is enough to knock +you down). Ihr geht vielleicht bis an die Thür und öffnet sie, aber schau- +dert zurück von weitrem Vorgehn" 2 8 5). „Es sind komische Käuze, unsre +Anwender", sagt einer der verhörten Zeugen, ein Schuster, „sie glauben, es +thue einem Jungen keinen Harm, wenn er während eines halben Jahrs +todtgerackert und während der andren Hälfte fast gezwungen wird, herum- +zuludern" 2 8 6). + +Wie die technischen Hindernisse, so wurden und werden diese sog. „Ge- +schäftsgewohnheiten" (,,usages which have grown with the growth of +trade") von interessirten Kapitalisten als „Naturschranken" der Produktion + +2 8 4 ) ,,Child. Empi. Comm. IV. Rep.", p. XXXII. "The extension of the railway system is said to +have contributed greatly to this custom of giving sudden orders, and the consequent hurry, +neglect of mealtimes, and late hours of the workpeople." (I.e. p. XXXI.) +2 8 5 ) ,,Child. Empi. Comm. IV. Rep." p. XXXV, n.235 und 237. +2 8 6 ) I.e. p. 127, n.56. + +431 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +behauptet, ein Lieblingsschrei dieß der Baumwolllords zur Zeit als das F a - + +brikgesetz sie zuerst bedrohte. Obgleich ihre Industrie mehr als jede andre + +auf dem Weltmarkt und daher der Schifffahrt beruht, strafte die Erfahrung + +sie Lügen. Seitdem wird jedes angebliche „Geschäftshinderniß" von den + +englischen Fabrikinspektoren als hohle Flause b e h a n d e l t 2 8 7 ) . Die + +| + +5 + +|445| gründlich gewissenhaften Untersuchungen der ,,Child. Empi. Comm." + +beweisen in der That, daß in einigen Industrien die bereits angewandte Ar- + +beitsmasse nur gleichmäßiger über das ganze Jahr vertheilt würde durch + +die Regulation des Arbeitstags 2 8 8), daß letztre der erste rationelle Zügel für + +die menschenmörderischen, inhaltlosen und an sich dem System der gro- 10 + +ßen Industrie unangemeßnen Flatterlaunen der M o d e 2 8 9 ) , daß die Entwick- + +lung der oceanischen Schifffahrt und der Kommunikationsmittel über- + +haupt den eigentlich technischen Grund der Saison-Arbeit aufgehoben + +h a t 2 9 0 ) , daß alle andren angeblich unkontrollirbaren Umstände wegge- + +räumt werden durch weitere Baulichkeiten, zusätzliche Maschinerie, ver- 15 + +mehrte Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter 2 9 1) und von selbst + +folgenden Rückschlag auf das System des Großhandels 2 9 2). Jedoch versteht + +2 8 7 ) "With respect to the loss of trade by the non-completion of shipping orders in time, I re- +member that this was the pet argument of the factory masters in 1832 und 1833. Nothing that +can be advanced now on this subject could have the force that it had then, before steam had 20 +halved all distances and established new regulations for transit. It quite failed at that time of +proof when put to the test, and again it will certainly fail should it have to be tried." („Reports +of Insp. of Fact. 31st Oct. 1862", p. 54, 55.) +2 8 8 ) ,,Child. Empi. Comm. III. Rep.", p.XVIII, n.118. +2 8 9 ) John Bellers bemerkt schon 1699: "The uncertainty of fashions does increase necessitious 25 +Poor. It has two great mischiefs in it: 1st) The journeymen are miserable in winter for want +of work, the mercers and masterweavers not daring to lay out their stocks to keep the journey- +men imployed before the spring comes and they know what the fashion will then be; 2dly) In +the spring the journeymen are not sufficient, but the master-weavers must draw in many pren- +tices, that they many supply the trade of the kingdom in a quarter or half a year, which robs 30 +the plow of hands, drains the country of labourers, and in a great part stocks the city with beg- +gars, and starves some in winter that are ashamed to beg." („Essays about the Poor, Manufac- +tures etc.", p. 9.) +2 9 0 ) ,,Child. Empi. Comm. V. Rep.", p. 171, n. 34. +2 9 1 ) So heißt es ζ. Β. in den Zeugenaussagen von Bradforder Exporthändlern: „Unter diesen 35 +Umständen ist es klar, daß Jungen nicht länger als von 8 Uhr Morgens bis 7 oder 1% Uhr +Abends in den Waarenhäusern beschäftigt zu werden brauchen. Es ist nur eine Frage von Ex- +tra-Auslage und Extra-Händen. (Die Jungen brauchten nicht so spät in die Nacht hinein zu +arbeiten, wären einige Anwender nicht so profithungrig; eine Extramaschine kostet nur 16 +oder 18 Pfd. St.) ... Alle Schwierigkeiten entspringen aus ungenügenden Vorrichtungen und 40 +Raummangel." (1. c. p. 171. n. 35, 36 u. 38.) +2 9 2 ) 1. c. Ein Londoner Fabrikant, der übrigens die zwangsweise Regulation des Arbeitstags als +Schutzmittel der Arbeiter gegen die Fabrikanten und der Fabrikanten selbst gegen den Groß- +handel betrachtet, sagt aus: „Der Druck in unsrem Geschäft ist verursacht durch die Verschif- +fer, die z. R Waare mit einem Segelschiff verschicken wollen, um für eine bestimmte Saison 45 +an Ort und Stelle zu sein und zugleich die Frachtdifferenz zwischen Segelschiff und Dampf- +schiff einzustecken, oder von zwei Dampfschiffen das frühere wählen, um vor ihren Konkur- +renten auf dem auswärtigen Markt zu erscheinen." (1. c. p. 81, n. 32.) + +432 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +sich das Kapital, wie es wiederholt durch den Mund ||446| seiner Repräsen- +tanten erklärt, zu solcher Umwälzung „nur unter dem Druck eines allge- +meinen Parlamentsakts 2 9 3)", der den Arbeitstag zwangsgesetzlich regulirt. + +5 + +9. Fabrikgesetzgebung. + +Ihre Verallgemeinerung + +(Gesundheits- und Erziehungsklauseln.) +in England. + +Die Fabrikgesetzgebung, diese erste bewußte und planmäßige Rückwir- +kung der Gesellschaft auf die naturwüchsige Gestalt ihres Produktionspro- +cesses, ist, wie man gesehn, eben so sehr ein nothwendiges Produkt der gro- +ßen Industrie, als Baumwollgarn, Selfactors und der elektrische Telegraph. +10 Bevor wir zu ihrer Verallgemeinerung in England Übergehn, sind noch ei- +nige nicht auf die Stundenzahl des Arbeitstags bezügliche Klauseln des +englischen Fabrikakts kurz zu erwähnen. + +15 + +Abgesehn von ihrer Redaktion, welche dem Kapitalisten ihre Umgehung +erleichtert, sind die Gesundheitsklauseln äußerst mager, in der That be- +schränkt auf Vorschriften für Weißen der Wände und einige sonstige Rein- +lichkeitsmaßregeln, Ventilation und Schutz gegen gefährliche Maschine- +rie. Wir kommen im Dritten Buch auf den fanatischen Kampf der +Fabrikanten gegen die Klausel zurück, die ihnen eine geringe Ausgabe +zum Schutz der Gliedmaßen ihrer „Hände" aufoktroyirt. Hier bewährt sich +20 wieder glänzend das Freihandelsdogma, daß in einer Gesellschaft antago- +nistischer Interessen Jeder das Gemeinwohl durch Verfolgung seines Ei- +gennutzes fördert. Ein Beispiel genügt. Man weiß, daß sich während der +letztverfloßnen zwanzigjährigen Periode die Flachsindustrie und mit ihr +die scutching mills (Fabriken zum Schlagen und Brechen des Flachses) in +25 Irland sehr vermehrt haben. Es gab dort 1864 an 1800 dieser mills. Peri- +odisch im Herbst und Winter werden hauptsächlich junge Personen und +Weiber, die Söhne, Töchter und Frauen der benachbarten kleinen Pächter, +lauter mit Maschinerie ganz unbekannte Leute, von der Feldarbeit wegge- +holt, um die Walzwerke der scutching mills mit Flachs zu füttern. Die Un- +fälle sind nach Umfang und Intensität gänzlich beispiellos in der Ge- +schichte der Maschinerie. Eine einzige scutching mill zu Kildinan (bei +Cork) zählte von 1852 bis 1856 sechs Todesfälle und 60 schwere Ver- +stümmlungen, welchen allen durch die einfachsten Anstalten, zum Preis +von wenigen Schillingen, vorge||447|beugt werden konnte. Dr. W. White, +35 der certifying surgeon der Fabriken zu Downpatrick, erklärt in einem offi- +ciellen Bericht vom 16. December 1865: „Die Unfälle in scutching mills + +30 + +2 9 3 ) "This could be obviated", sagt ein Fabrikant, "at the expense of an enlargement of the +works under the pressure of a General Act of Parliament." (1. c. p.X, n. 38.) + +433 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +sind furchtbarster Art. In vielen Fällen wird ein Viertheil des Körpers vom +Rumpfe gerissen. Tod oder eine Zukunft elenden Unvermögens und Lei- +dens sind gewöhnliche Folgen der Wunden. Die Zunahme der Fabriken in +diesem Lande wird natürlich diese schauderhaften Resultate ausdehnen. +Ich bin überzeugt, daß durch geeignete Staatsüberwachung der scutching +mills große Opfer von Leib und Leben zu vermeiden sind" 2 9 4). Was könnte +die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisiren als die Noth- +wendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten +Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen? „Der Fa- +brikakt von 1864 hat in den Töpfereien über 200 Werkstätten geweißt und 10 +gereinigt, nach zwanzigjähriger oder gänzlicher Enthaltung von jeder sol- +chen Operation (dieß ist die „Abstinenz" des Kapitals!), in Plätzen, wo +27 878 Arbeiter beschäftigt sind und bisher, während übermäßiger Tages-, +oft Nachtarbeit, eine mephitische Atmosphäre einathmeten, welche eine +sonst vergleichungsweis harmlose Beschäftigung mit Krankheit und Tod 15 +schwängerte. Der Akt hat die Ventilationsmittel sehr vermehrt" 2 9 5). Zu- +gleich zeigt dieser Zweig des Fabrikakts schlagend, wie die kapitalistische +Produktionsweise ihrem Wesen nach über einen gewissen Punkt hinaus +jede rationelle Verbeßrung ausschließt. Es ward wiederholt bemerkt, daß +die englischen Aerzte aus einem Munde 500 Kubikfuß Luftraum per Per- 20 +son für kaum genügendes Minimum bei fortgesetzter Arbeit erklären. Nun +wohl! Wenn der Fabrikakt indirekt durch alle seine Zwangsmaßregeln die +Verwandlung kleinerer Werkstätten in Fabriken beschleunigt, daher indi- +rekt in das Eigenthumsrecht der kleineren Kapitalisten eingreift und den +großen das Monopol sichert, so würde die gesetzliche Aufherrschung des 25 +nöthigen Luftraums für jeden Arbeiter in der Werkstätte Tausende von +kleinen Kapitalisten mit einem Schlag direkt expropriiren! Sie würde die +Wurzel der kapitalistischen Produktionsweise angreifen, d.h. die Selbstver- +werthung des Kapitals, ob groß oder klein, durch „freien" Ankauf und Kon- +sum der Arbeitskraft. Vor diesen 500 Kubikfuß Luft geht daher der Fabrik- 30 +gesetzgebung der Athem aus. Die Gesundheitsbehörden, die industriellen +Untersuchungskommissionen, die Fabrikinspektoren wiederholen wieder +und ||448| wieder die Nothwendigkeit der 500 Kubikfuß und die Unmög- +lichkeit, sie dem Kapital aufzuoktroyiren. Sie erklären so in der That +Schwindsucht und andre Lungenkrankheiten der Arbeit für eine Lebensbe- 35 +dingung des Kapitals 2 9 6). + +2 9 4 ) I.e. p.XV, n. 72 sqq. +2 9 5 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 127. +2 9 6 ) Man hat erfahrungsmäßig gefunden, daß ungefähr 25 Kubikzoll Luft bei jeder Athmung +mittlerer Intensität von einem gesunden Durchschnittsindividuum konsumirt werden, und +ungefähr 20 Athmungen per Minute vorgehn. Der Luftkonsum eines Individuums in 24 Stun- +den ergäbe danach ungefähr 720000 Kubikzoll oder 416 Kubikfuß. Man weiß aber, daß die + +40 + +434 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Armselig wie die Erziehungsklauseln des Fabrikakts im Ganzen erschei- +nen, proklamirten sie den Elementarunterricht als Zwangsbedingung der +A r b e i t 2 9 7 ) . Ihr Erfolg bewies zuerst die Möglichkeit der Verbindung von +Unterricht und Gymnastik 2 9 8) mit Handarbeit, also auch von Handarbeit +5 mit Unterricht und Gymnastik. Die Fabrikinspektoren entdeckten bald aus +den Zeugenverhören der Schulmeister, daß die Fabrikkinder, obgleich sie +nur halb so viel Unterricht genießen als die regelmäßigen Tagesschüler, +eben so viel und oft mehr lernen. „Die Sache ist einfach. Diejenigen, die +sich nur einen halben Tag in der Schule aufhalten, sind stets frisch und +10 fast immer fähig und willig, Unterricht zu empfangen. Das System halber +Arbeit und halber Schule macht jede der beiden Beschäftigungen zur Aus- +ruhung und Erholung von der andren und folglich viel angemeßner für das +Kind als die ununterbrochne Fortdauer einer von beiden. Ein Junge, der +von Morgens früh in der Schule sitzt, und nun gar bei heißem Wetter, kann +15 unmöglich mit einem andren wetteifern, der munter und aufgeweckt von +seiner Arbeit k o m m t " 2 9 9 ) . Weitere Belege findet man in Senior's Rede auf +dem sociologischen Kongreß zu Edin||449|burgh 1863. Er zeigt hier auch +u. a. noch, wie der einseitige, unproduktive und verlängerte Schultag der +Kinder der höhern und mittlem Klassen die Arbeit der Lehrer nutzlos ver- +20 mehrt, „während er Zeit, Gesundheit und Energie der Kinder nicht nur +fruchtlos, sondern absolut schädlich verwüstet" 3 0 0). Aus dem Fabriksystem, + +einmal eingeathmete Luft nicht mehr zu demselben Proceß dienen kann, bevor sie in der gro- +ßen Werkstätte der Natur gereinigt wird. Nach den Experimenten von Valentin und Brunner +scheint ein gesunder Mann ungefähr 1300 Kubikzoll Kohlensäure per Stunde auszuathmen; +25 dieß ergäbe ungefähr 8 Unzen solider Kohle, von der Lunge in 24 Stunden abgeworfen. „Jeder + +30 + +Mann sollte wenigstens 800 Kubikfuß haben." (Huxley.) +2 9 7 ) Nach dem englischen Fabrikakt können die Eltern Kinder unter 14 Jahren nicht in die +„kontrolirten" Fabriken schicken, ohne ihnen zugleich Elementarunterricht ertheilen zu las- +sen. Der Fabrikant ist verantwortlich für die Befolgung des Gesetzes. "Factory education is +compulsory, and it is a condition of labour." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", +p . l l l . ) +2 9 8 ) Ueber die vorteilhaftesten Erfolge der Verbindung von Gymnastik (für Jungen auch mi- +litärischer Exercitien) mit Zwangsunterricht der Fabrikkinder und Armenschüler sieh die +Rede von N.W. Senior im 7. jährlichen Kongreß der „National Association for the Promotion +35 of Social Science" in „Report of Proceedings etc. Lond. 1863", p. 63, 64, ebenso den Bericht + +der Fabrikinspektoren für 31. Oct. 1865, p. 118, 119, 120, 126 sqq. +2 " ) „Reports of Insp. of Fact." I.e. p. 118, 119. Ein naiver Seidenfabrikant erklärt den Unter- +suchungskommissären der ,,Child. Empi. Comm.": „Ich bin durchaus überzeugt, daß das +wahre Geheimniß der Produktion tüchtiger Arbeiter gefunden ist in der Vereinigung der Ar- +beit mit Unterricht von der Periode der Kindheit an. Natürlich muß die Arbeit weder zu an- +strengend, noch widerlich und ungesund sein. Ich wünschte, meine eignen Kinder hätten Ar- +beit und Spiel zur Abwechslung von der Schule." (,,Child. Empi. Comm." V. Rep., p. 82, +η. 36.) +30°) Senior I.e. p. 66. Wie die große Industrie auf einem gewissen Höhegrad durch die Umwäl- +zung der materiellen Produktionsweise und der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse +auch die Köpfe umwälzt, zeigt schlagend ein Vergleich zwischen der Rede des N.W. Senior +von 1863 und seiner Philippika gegen das Fabrikgesetz von 1833, oder ein Vergleich der An- + +40 + +45 + +435 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +wie man im Detail bei Robert Owen verfolgen kann, entsproß der Keim der +Erziehung der Zukunft, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter +produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur +als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, son- +dern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Men- +sehen. + +5 + +Industrie + +jene Arbeitstheilung noch 10 + +Man hat gesehn, daß die große Industrie die manufakturmäßige Thei- +lung der Arbeit mit ihrer lebenslänglichen Annexion eines ganzen Men- +schen an eine Detailoperation technisch aufhebt, während zugleich die ka- +pitalistische Form der großen +monströser reproducirt, in der eigentlichen Fabrik durch Verwandlung des +Arbeiters in den selbstbewußten Zubehör einer Theilmaschine, überall +sonst theils durch sporadischen Gebrauch der Maschinen und der Maschi- +nenarbeit 3 0 1), theils durch ||450| Einführung von Weiber-, Kinder- und un- +geschickter Arbeit als neuer Grundlage der Arbeitstheilung. Der Wider- 15 +spruch zwischen der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit und dem +Wesen der großen Industrie macht sich gewaltsam geltend. Er erscheint +u. a. in der furchtbaren Thatsache, daß ein großer Theil der in den moder- +nen Fabriken und Manufakturen beschäftigten Kinder, vom zartesten Alter +festgeschmiedet an die einfachsten Manipulationen, Jahre lang exploitirt 20 +wird, ohne Erlernung irgend einer Arbeit, die sie später auch nur in dersel- +ben Manufaktur oder Fabrik brauchbar machte. In den englischen Buch- +druckereien z.B. fand früher ein dem System der alten Manufaktur und +des Handwerks entsprechender Uebergang der Lehrlinge von leichtren zu +inhaltsvollren Arbeiten statt. Sie machten einen Lerngang durch, bis sie 25 +fertige Drucker waren. Lesen und schreiben zu können war für alle ein +Handwerkserforderniß. Alles das änderte sich mit der Druckmaschine. Sie + +sichten des erwähnten Kongresses mit der Thatsache, daß es in gewissen ländlichen Theilen +Englands armen Eltern immer noch bei Strafe des Hungertods verboten ist, ihre Kinder zu er- +ziehen. So z.B. berichtet Herr Snell als gewöhnliche Praxis in Somersetshire, daß wenn eine 30 +arme Person Pfarreihülfe anspricht, sie gezwungen wird, ihre Kinder aus der Schule zu neh- +men. So erzählt Herr Wollaston, Pfarrer zu Feltham, von Fällen, wo alle Unterstützung gewis- +sen Familien versagt wurde, „weil sie ihre Jungen zur Schule schickten"! +3 0 1 ) Wo handwerksmäßige Maschinen, durch Menschenkraft getrieben, direkt oder indirekt +mit entwickelter und daher mechanische Triebkraft voraussetzender Maschinerie konkurri- +ren, geht eine große Umwandlung vor mit Bezug auf den Arbeiter, der die Maschine treibt. +Ursprünglich ersetzte die Dampfmaschine diesen Arbeiter, jetzt soll er die Dampfmaschine +ersetzen. Die Spannung und Verausgabung seiner Arbeitskraft wird daher monströs, und nun +gar für Unerwachsne, die zu dieser Tortur verurtheilt sind! So fand der Kommissär Longe in +Coventry und Umgebung Jungen von 10 bis 15 Jahren zum Drehn der Bandstühle verwandt, +abgesehn von jüngeren Kindern, die Stühle von kleinerer Dimension zu .drehn hatten. „Es ist +außerordentlich mühsame Arbeit. The boy is a mere substitute for steam power." (,,Child. +Empi. Comm. V. Rep. 1866", p. 114, n.6.) Ueber die mörderischen Folgen „dieses Systems der +Sklaverei", wie der officielle Bericht es nennt, 1. c. sq. + +35 + +40 + +436 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +5 + +10 + +15 + +verwendet zwei Sorten von Arbeitern, einen erwachsnen Arbeiter, den Ma- +schinenaufseher, und Maschinenjungen, meist von 1 1 - 1 7 Jahren, deren +Geschäft ausschließlich darin besteht, einen Bogen Papier der Maschine +zu unterbreiten oder ihr den gedruckten Bogen zu entziehen. Sie verrich- +ten, in London namentlich, diese Plackerei 14, 15, 16 Stunden ununterbro- +chen während einiger Tage in der Woche und oft 36 Stunden nach einan- +der mit nur zwei Stunden Rast für Mahlzeit und S c h l a f 3 0 2 ) ! Ein großer +Theil von ihnen kann nicht lesen, und sie sind in der Regel ganz verwil- +derte, abnorme Geschöpfe. „Um sie zu ihrem Werk zu befähigen, ist keine +intellektuelle Ziehung irgend einer Art nöthig; sie haben wenig Gelegen- +heit für Geschick und noch weniger für Urtheil; ihr Lohn, obgleich gewis- +sermaßen hoch für Jungen, wächst nicht verhältnißmäßig, wie sie selbst +heranwachsen, und die große Mehrzahl hat keine Aussicht auf den einträg- +licheren und verantwortlicheren Posten des Maschinenaufsehers, weil auf +jede Maschine nur ein Aufseher und oft 4 Jungen k o m m e n " 3 0 3 ) . Sobald sie +zu alt für ihre kindische Arbeit werden, also wenigstens im 17. Jahr, entläßt +man sie aus der Druckerei. Sie werden Rekruten des Verbrechens. Einige +Versuche, ihnen anderswo Beschäftigung zu verschaffen, scheiterten an +ihrer Unwissenheit, Roheit, körperlichen und geistigen Verkommenheit. | +|451| Was von der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit im Innern +der Werkstatt, gilt von der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. +So lange Handwerk und Manufaktur die allgemeine Grundlage der gesell- +schaftlichen Produktion bilden, ist die Subsumtion des Producenten unter +einen ausschließlichen Produktionszweig, die Zerreißung der ursprüngli- +25 chen Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungen 3 0 4), ein nothwendiges Ent- +wicklungsmoment. Auf jener Grundlage findet jeder besondre Produk- +tionszweig empirisch die ihm entsprechende technische Gestalt, vervoll- +kommnet sie langsam und krystallisirt sie rasch, sobald ein gewisser +Reifegrad erlangt ist. Was hier und da Wechsel hervorruft, ist außer neuem +30 Arbeitsstoff, den der Handel liefert, die allmählige Aenderung des Arbeits- +instruments. Die erfahrungsmäßig entsprechende Form einmal gewonnen, +verknöchert auch es, wie sein oft jahrtausendlanger Uebergang aus der +Hand einer Generation in die der andren beweist. Es ist charakteristisch, + +20 + +35 + +40 + +3 0 2 ) L c p.3, n.24. +3 0 3 ) L c p.7, n.59, 60. +3 0 4 ) „In einigen Theilen von Hochschottland ... erschienen viele Schafhirten und cotters mit +Frau und Kind, nach dem Statistical Account, in Schuhen, die sie selbst gemacht aus Leder, +das sie selbst gegerbt, in Kleidern, die keine Hand außer ihrer eignen angetastet, deren Mate- +rial sie selbst von den Schafen geschoren oder wofür sie den Flachs selbst gebaut hatten. In +die Zubereitung der Kleider ging kaum irgend ein gekaufter Artikel ein, mit Ausnahme von +Pfrieme, Nadel, Fingerhut und sehr wenigen Theilen des im Weben angewandten Eisenwerks. +Die Farben wurden von den Weibern selbst von Bäumen, Gesträuchen und Kräutern gewon- +nen u.s.w." (Dugald Stewart, „Works, ed. Hamilton, vol.VIII." p.327-28.) + +437 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +daß bis ins 18. Jahrhundert hinein die besondren Gewerke mysteries (mys- +tères) 3 0 5 ) hießen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Ein- +geweihte eindringen konnte. Die große Industrie zerriß den Schleier, der +den Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsproceß ver- +steckte und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige +gegen einander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Räthseln +machte. Ihr Princip, jeden Produktionsproceß, an und für sich und zu- +nächst ohne alle Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine konstitui- +renden Elemente aufzulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der +Technologie. Die buntscheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und 10 +verknöcherten Gestalten des gesellschaftlichen Produktionsprocesses lö- +sten sich auf in bewußt planmäßige ||452| und je nach dem bezweckten +Nutzeffekt systematisch besonderte Anwendungen der Naturwissenschaft. +Die Technologie entdeckte ebenso die wenigen großen Grundformen der +Bewegung, worin alles produktive Thun des menschlichen Körpers, trotz 15 +aller Mannigfaltigkeit der angewandten Instrumente, nothwendig vorgeht, +ganz so wie die Mechanik durch die größte Komplikation der Maschinerie +sich über die beständige Wiederholung der einfachen mechanischen Po- +tenzen nicht täuschen läßt. Die moderne Industrie betrachtet und behan- +delt die vorhandne Form eines Produktionsprocesses nie als definitiv. Ihre 20 +technische Basis ist daher revolutionär, während die aller früheren Produk- +tionsweisen wesentlich konservativ war 3 0 6). Durch Maschinerie, chemische +Processe und andre Methoden wälzt sie beständig mit der technischen +Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die gesell- +schaftlichen Kombinationen des Arbeitsprocesses um. Sie revolutionirt da- 25 +mit ebenso beständig die Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft +und schleudert unaufhörlich Kapitalmassen und Arbeitermassen aus + +3 0 5 ) In dem berühmten ,,Livre des métiers" des Etienne Boileau wird unter andrem vorge- +schrieben, daß ein Geselle bei seiner Aufnahme unter die Meister einen Eid leiste, „seine +Brüder brüderlich zu lieben, sie zu stützen, jeder in seinem métier, nicht freiwillig die Ge- 30 +werksgeheimnisse zu verrathen, und sogar im Interesse der Gesammtheit nicht zur Empfeh- +lung seiner eignen Waare den Käufer auf die Fehler des Machwerks von Andren aufmerksam +zu machen." +3 0 6 ) „Die Bourgeoisie kann nicht existiren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Pro- +duktionsverhältnisse, also sämmtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu révolu- 35 +tioniren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Exi- +stenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der +Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige +Unsicherheit und Bewegung zeichnen die Bourgeoisepoche vor allen früheren aus. Alle fe- +sten, eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und 40 +Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. +Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen +sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellungen, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchter- +nen Augen anzusehn." (F. Engels und Karl Marx: „Manifest der Kommunistischen Partei. +Lond. 1848", p.5.) + +45 + +438 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +10 geudung der Arbeitskräfte und den Verheerungen gesellschaftlicher + +einem Produktionszweig in den andern. Die Natur der großen Industrie be- +dingt daher Wechsel der Arbeit, Fluß der Funktion, allseitige Beweglich- +keit des Arbeiters. Andrerseits reproducirt sie in ihrer kapitalistischen +Form die alte Theilung der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitäten. +5 Man hat gesehn, wie dieser absolute Widerspruch alle Ruhe, Festigkeit, Si- +cherheit der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit dem Arbeitsmittel +beständig das Lebensmittel aus der Hand zu schlagen 3 0 7) und mit seiner +Theilfunktion ihn selbst überflüssig zu machen droht; wie dieser Wider- +spruch im ununterbrochnen Opferfest der Arbeiterklasse, maßlosester Ver- +| +|453| Anarchie sich austobt. Dieß ist die negative Seite. Wenn aber der +Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit +der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das über- +all auf Hindernisse stößt 3 0 8), macht die große Industrie durch ihre Kata- +15 Strophen selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbei- +ten und daher möglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als allgemeines +gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner normalen +Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage +von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wech- +selnde Exploitationsbedürfniß des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponi- +blen Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des +Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Theilindividuum, den +bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total ent- +wickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche Funktionen +25 einander ablösende Bethätigungsweisen sind. Ein auf Grundlage der gro- +ßen Industrie naturwüchsig entwickeltes Moment dieses Umwälzungspro- +cesses sind polytechnische und agronomische Schulen, ein andres sind die +,,écoles d'enseignement professionnel", worin die Kinder der Arbeiter eini- +gen Unterricht in der Technologie und praktischen Handhabe der ver- +schiednen Produktionsinstrumente erhalten. Wenn die Fabrikgesetzge- +bung als erste, dem Kapital nothdürftig abgerungene Koncession nur +Elementarunterricht mit fabrikmäßiger Arbeit verbindet, unterliegt es kei- + +20 + +30 + +307) + +« Y + +o + +u + +t + +a + +k + +e + +m y + +l + +i + +f + +e + +When you do take the means whereby I live." + +(Shakespeare.) + +35 + +3 0 8 ) Ein französischer Arbeiter, schreibt bei seiner Rückkehr von San-Francisco: „Ich hätte +nie geglaubt, daß ich fähig wäre, alle die Gewerbe auszuüben, die ich in Kalifornien betrieben +habe. Ich war fest überzeugt, daß ich außer zur Buchdruckerei zu nichts gut sei.... Einmal in +der Mitte dieser Welt von Abenteurern, welche ihr Handwerk leichter wechseln als ihr +Hemde, meiner Treu! Ich that wie die andren. Da das Geschäft der Minenarbeit sich nicht +40 einträglich genug auswies, verließ ich es und zog in die Stadt, wo ich der Reihe nach Typo- +graph, Dachdecker, Bleigießer u. s. w. wurde. In Folge dieser Erfahrung, zu allen Arbeiten +tauglich zu sein, fühle ich mich weniger als Molluske und mehr als Mensch." (A. Corbon: „De +l'enseignement professione!". 2ème éd. p. 50.) + +439 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +nem Zweifel, daß die unvermeidliche Eroberung der politischen Gewalt +durch die Arbeiterklasse auch dem technologischen Unterricht, theoretisch +und praktisch, seinen Platz in den Arbeiterschulen erobern wird. Es unter- +liegt eben so wenig einem Zweifel, daß die kapitalistische Form der Pro- +duktion und die ihr entsprechenden ökonomischen Arbeiterverhältnisse +im diametralsten Widerspruch stehn mit solchen Umwälzungsfermenten +und ihrem Ziel, der Aufhebung der alten Theilung der Arbeit. ||454| Die +Entwicklung der Widersprüche einer geschichtlichen Produktionsform ist +jedoch der einzig geschichtliche Weg ihrer Auflösung und Neugestaltung. +„Ne sutor ultra crepidam"!, dieß nec plus ultra handwerksmäßiger Weis- 10 +heit, wurde zur furchtbaren Narrheit von dem Moment, wo der Uhrmacher +Watt die Dampfmaschine, der Barbier Arkwright den Kettenstuhl, der Ju- +welierarbeiter Fulton das Dampfschiff erfunden hatte 3 0 9). + +5 + +Soweit die Fabrikgesetzgebung die Arbeit in Fabriken, Manufakturen +u.s.w. regulirt, erscheint dieß zunächst nur als Einmischung in die Exploi- 15 +tationsrechte des Kapitals. Jede Regulation der sog. Hausarbeit 3 1 0) stellt +sich dagegen sofort als direkter Eingriff in die patria potestas dar, d. h. mo- +dern interpretirt, in die elterliche Autorität, ein Schritt, wovor das zartfüh- +lende englische Parlament lang zurückzubeben affektirte. Die Gewalt der +Thatsachen zwang jedoch, endlich anzuerkennen, daß die große Industrie 20 +mit der ökonomischen Grundlage des alten Familienwesens und der ihr +entsprechenden Familienarbeit auch die alten Familienverhältnisse selbst +auflöst. Das Recht der Kinder mußte proklamirt werden. „Unglücklicher +Weise", heißt es im Schlußbericht der ,,Child. Empi. Comm." von 1866, +„leuchtet aus der Gesammtheit der Zeugenaussagen hervor, daß die Kinder 25 +beiderlei Geschlechts gegen Niemand so sehr des Schutzes bedürfen als ge- +gen ihre Eltern." Das System der maßlosen Exploitation der Kinderarbeit +überhaupt und der Hausarbeit im Besondern wird dadurch „erhalten, daß +die Eltern über ihre jungen und zarten Sprößlinge eine willkürliche und + +3 0 9 ) John Bellers, ein wahres Phänomen in der Geschichte der politischen Oekonomie, begriff 30 +schon Ende des 17. Jahrhunderts mit vollster Klarheit die nothwendige Aufhebung der jetzi- +gen Erziehung und Arbeitseintheilung, welche Hypertrophie und Atrophie auf beiden Extre- +men der Gesellschaft, wenn auch in entgegengesetzter Richtung, erzeugen. Er sagt u. a. schön: +"An idle learning being little better than the Learning of Idleness ... Bodily Labour, it's a pri- +mitive institution of God .... Labour being as proper for the bodies health, as eating is for its 35 +living; for what pains a man saves by Ease, he will find in Disease ... Labour adds oyl to the +lamp of life when thinking inflames it ... A childish silly employ (dieß ahnungsvoll gegen die +Basedows und ihre modernen Nachstümper), leaves the children's minds silly." (,,Proposals +for raising a Colledge of Industry of all useful Trades and Husbandry. Lond. 1696", p. 12, 14, +16, 18.) +3 1°) Diese geht übrigens großentheils auch in kleineren Werkstätten vor, wie wir gesehn bei +der Spitzenmanufaktur und Strohflechterei, und wie namentlich auch an den Metallmanufak- +turen in Sheffield, Birmingham u. s. w. ausführlicher gezeigt werden könnte. + +40 + +440 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +heillose Gewalt ohne Zügel oder Kontrole ausüben ... Eltern dürfen nicht +die absolute Macht besitzen, ihre Kinder zu reinen Maschinen zu machen, +um so und ||455| so viel wöchentlichen Lohn herauszuschlagen ... Kinder +und junge Personen haben ein Recht auf den Schutz der Legislatur wider +5 den Mißbrauch der elterlichen Gewalt, der ihre physische Kraft vorzeitig +bricht und sie degradirt auf der Staffel moralischer und intellektueller We- +s e n " 3 1 1 ) . Es ist jedoch nicht der Mißbrauch der elterlichen Gewalt, der die +direkte oder indirekte Exploitation unreifer Arbeitskräfte durch das Kapi- +tal schuf, sondern es ist umgekehrt die kapitalistische Exploitationsweise, +10 welche die elterliche Gewalt, durch Aufhebung der ihr entsprechenden +ökonomischen Grundlage, zu einem Mißbrauch gemacht hat. So furchtbar +und ekelhaft nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des +kapitalistischen Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große +Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Perso- +lo nen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisirten Pro- +duktionsprocessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue +ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Ver- +hältnisses beider Geschlechter. Es ist natürlich ebenso albern, die christ- +lich germanische Form der Familie für absolut zu halten als die altrömi- +sehe Form, oder die altgriechische, oder die orientalische, die übrigens +untereinander eine geschichtliche Entwicklungsreihe bilden. Ebenso +leuchtet ein, daß die Zusammensetzung des kombinirten Arbeitspersonals +aus Individuen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstu- +fen, obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen, kapitalistischen Form, wo der +25 Arbeiter für den Produktionsproceß, nicht der Produktionsproceß für den +Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entspre- +chenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung um- +schlagen m u ß 3 1 2 ) . + +20 + +Die Notwendigkeit, das Fabrikgesetz aus einem Ausnahmegesetz für +30 Spinnereien und Webereien, diese ersten Gebilde des Maschinenbetriebs, +in ein Gesetz aller gesellschaftlichen Produktion zu verallgemeinern, ent- +springt, wie man sah, aus dem geschichtlichen Entwicklungsgang der gro- +ßen Industrie, auf deren Hintergrund die überlieferte Gestalt von Manu- +die +faktur, Handwerk und Hausarbeit gänzlich umgewälzt wird, +35 Manufaktur beständig in die Fabrik, das Handwerk beständig in die Ma- +nufaktur umschlägt, und endlich die Sphären des Handwerks und der +Hausarbeit sich in relativ ||456| wunderbar kurzer Zeit zu Jammerhöhlen + +3 n ) „Child. Empi. Comm. V. Rep.", p. XXV, η. 162 und II. Rep., p. XXXVIII, η. 285, 289, +p. XXV, XXVI, η. 191. +3 1 2 ) "Factory labour may be as pure and as excellent as domestic labour, and perhaps more +so." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 129.) + +40 + +441 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +gestalten, wo die tollsten Ungeheuerlichkeiten der kapitalistischen Exploi- +tation ihr freies Spiel treiben. Es sind zwei Umstände, welche zuletzt den +Ausschlag geben, erstens die stets neu wiederholte Erfahrung, daß das Ka- +pital, sobald es der Staatskontrole nur auf einzelnen Punkten der gesell- +schaftlichen Peripherie anheimfällt, sich um so maßloser auf den andern +Punkten entschädigt 3 1 3), zweitens der Schrei der Kapitalisten selbst nach +Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, d. h. gleichen Schranken der Ar- +beitsexploitation 3 1 4). Hören wir hierüber zwei Herzensstöße. Die Herrn +W.Cooksley (Nagel-, Ketten- u.s.w. Fabrikanten zu Bristol) führten die Fa- +brikregulation freiwillig in ihrem Geschäft ein. „Da das alte, unregelmä- 10 +ßige System in den benachbarten Werken fortdauert, sind sie der Unbill +ausgesetzt, ihre Arbeitsjungen zur Fortsetzung der Arbeit anderswo nach +6 Uhr Abends verlockt (enticed) zu sehn. ,Dieß', sagen sie natürlich, ,ist +eine Ungerechtigkeit gegen uns und ein Verlust, da es einen Theil der +Kraft der Jungen erschöpft, deren voller Vortheil uns gebührt'" 3 1 5). Herr 15 +J. Simpson (Paper-Box Bag maker, London) erklärt den Kommissären der +,,Children Empi. Comm.": „Er wolle jede Petition für Einführung der Fa- +brikakte unterzeichnen. Wie es sei, fühle er sich stets rastlos des Nachts +(„he always felt restless at night"), nach Schluß seiner Werkstatt, bei dem +Gedanken, daß andre länger arbeiten ließen und ihm Aufträge vor der 20 +Nase wegschnappten" 3 1 6). „Es wäre ein Unrecht", sagt die ,,Child. Empi. +Comm." zusammenfassend, „gegen die größren Arbeitsanwender ihre Fa- +briken der Regulation zu unterwerfen, während in ihrem eignen Geschäfts- +zweig der Kleinbetrieb keiner gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit +unterliegt. Zur Ungerechtigkeit ungleicher Konkurrenzbedingungen in B e - 25 +zug auf die Arbeitsstunden bei Ausnahme kleinerer Werkstätten käme +noch der andre Nachtheil für die größren Fabrikanten hinzu, daß ihre Zu- +fuhr von jugendlicher und weiblicher Arbeit abgelenkt würde nach den +vom Gesetz verschonten Werkstätten. Endlich gäbe dieß Anstoß zur Ver- +mehrung der kleineren Werkstätten, die fast ausnahmslos die mindest gün- 30 +stigen für Gesundheit, Komfort, Erziehung und allgemeine Verbesserung +des Volks sind" 3 1 7). I + +|457| In ihrem Schlußbericht schlägt die ,,Children's Employment Com- +mission" vor, über 1 4 0 0 000 Kinder, junge Personen und Weiber, wovon +ungefähr die Hälfte vom Kleinbetrieb und der Hausarbeit exploitirt wird, 35 + +3 1 3 ) L c p.27, 32. +3 1 4 ) Massenhafte Belege dazu in den „Rep. of Insp. of Fact." +3 1 5 ) „Child. Empi. Comm. V. Rep.", p. Χ, η. 35. +3 1 6 ) L c p. IX, η. 28. +3 1 7 ) 1. c. p. XXV, η. 165(cid:5)167. Vgl. über die Vorzüge des Großbetriebes verglichen mit dem 40 +Zwergbetrieb. „Child. Empi. Comm. III. Rep.", p. 13, n. 144, p. 25, n. 121, p. 26, n. 125, p. 27, +n. 140 u.s.w. + +442 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +5 + +10 + +dem Fabrikakt zu unterwerfen 3 1 8). „Sollte", sagt sie, „das Parlament unsren +Vorschlag in seinem ganzen Umfang annehmen, so ist es zweifellos, daß +solche Gesetzgebung den wohlthätigsten Einfluß ausüben würde, nicht nur +auf die Jungen und Schwachen, mit denen sie sich zunächst beschäftigt, +sondern auf die noch größre Masse von erwachsnen Arbeitern, die direkt +(Weiber) und indirekt (Männer) unter ihren Wirkungskreis fallen. Sie +würde ihnen regelmäßige und ermäßigte Arbeitsstunden aufzwingen; sie +würde den Vorrath physischer Kraft, wovon ihr eignes Wohlergehen und +das des Landes so sehr abhängt, haushalten und häufen; sie würde die auf- +sprossende Generation vor der Ueberanstrengung in frühem Alter schüt- +zen, welche ihre Konstitution untergräbt und zu vorzeitigem Verfall führt; +sie würde schließlich, wenigstens bis zum 13. Jahr, die Gelegenheit des Ele- +mentarunterrichts bieten und damit der unglaublichen Unwissenheit ein +Ende machen, die so treu in den Kommissionsberichten geschildert ist und +15 nur mit qualvollster Empfindung und dem tiefen Gefühl nationaler Er- +niedrigung betrachtet werden k a n n " 3 1 9 ) . Das Toryministerium kündigte in +der Thronrede vom 5.Februar 1867 an, daß es die Vorschläge 3 1 9 a) der indu- +striellen Untersuchungskomi |458|mission in „Bills" formulirt habe. Dazu +hatte es eines neuen zwanzigjährigen Experimentum in corpore vili be- +20 dürft. Bereits im Jahre 1840 war eine parlamentarische Kommission zur +Untersuchung über Kinderarbeit ernannt worden. Ihr Bericht von 1842 ent- +rollte nach den Worten N.W. Senior's „das furchtbarste Gemälde von Hab- +sucht, Selbstsucht und Grausamkeit der Kapitalisten und Eltern, von +Elend, Degradation und Zerstörung der Kinder und jungen Personen, das +jemals das Auge der Welt schlug .... Man wähnt vielleicht, der Bericht be- +schreibe die Greuel eines vergangnen Zeitalters. Leider aber liegen Be- + +25 + +3 1 8 ) Die zu maßregelnden Industriezweige sind: Spitzenmanufaktur, Strumpfwirkerei, Stroh- +flechten, Manufaktur von Wearing Apparel mit ihren zahlreichen Arten, künstliche Blumen- +macherei, Schuh-, Hut- und Handschuhmacherei, Schneiderei, alle Metallfabriken, von den +30 Hochöfen bis zu den Nadelfabriken u.s.w., Papierfabrik, Glasmanufaktur, Tabaksmanufaktur, +India-Rubber Werke, Litzenfabrikation (für die Weberei), Handteppich-Weberei, Regen- +schirm- und Parasolmanufaktur, Fabrikation von Spindeln und Spulen, Buchdruckerei, Buch- +binderei, Schreibmaterialienhandel (Stationery, dazu gehörig Verfertigung von Papierschach- +teln, Karten, Papierfärben u. s. w.), Seilerei, Manufaktur von Gagatschmuck, Ziegeleien, +35 Hand-Seidenmanufaktur, Coventry-Weberei, Salz-, Talglicht- und Cementirwerke, Zuckerraf- + +finerie, Zwiebackmachen, verschiedne Holz- und andre vermischte Arbeiten. +3 1 9 ) I.e. p.XXV, n.169. +3 1 9 a ) Der Factory Acts Extension Act ging durch 12. August 1867. Er regulirt alle Metallgieße- +reien, -Schmieden und -Manufakturen, mit Einschluß der Maschinenfabriken, ferner Glas-, +40 Papier-, Guttapercha-, Kautschuk-, Tabakmanufakturen, Buchdruckereien, Buchbindereien, +endlich sämmtliche Werkstätten, worin mehr als 50 Personen beschäftigt sind. - Der Hours +of Labour Regulation Act, passirt 17. August 1867, regulirt die kleinern Werkstätten und die +sog. Hausarbeit. + +Ich komme auf diese Gesetze, auf den neuen Mining Act von 1872 etc. im II. Band zu- + +45 + +rück. + +443 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +richte vor, daß diese Greuel fortdauern, so intensiv wie j e . Eine vor zwei +Jahren von Hardwicke veröffentlichte Broschüre erklärt, die 1842 gerügten +Mißbräuche stehen heutzutage (1863) in voller Blüte .... Dieser Bericht +(von 1842) lag unbeachtet zwanzig Jahre lang, während deren man jenen +Kindern, herangewachsen ohne die geringste Ahnung weder von dem was +wir Moral nennen, noch von Schulbildung, Religion oder natürlicher Fa- +milienliebe - diesen Kindern erlaubte man, die Eltern der jetzigen Gene- +ration zu werden" 3 2 0). + +Inzwischen hatte die gesellschaftliche Lage sich geändert. Das Parla- +ment wagte nicht, die Forderungen der Kommission von 1863 ebenso zu- +rückzuweisen wie seinerzeit die von 1842. Daher wurden schon 1864, als +die Kommission erst einen Theil ihrer Berichte veröffentlicht hatte, die Er- +denwaaren-Industrie (einschließlich der Töpferei), die Fabrikation von Ta- +peten, Zündhölzern, Patronen und Zündhütchen, sowie das Sammtscheren +unter die für Textilindustrie gültigen Gesetze gestellt. In der Thronrede +vom 5. Februar 1867 kündigte das damalige Torycabinet weitere Bills an, +gegründet auf die Schlußvorschläge der Kommission, die inzwischen 1866 +ihr Werk vollendet hatte. + +Am 15. August 1867 erhielt der Factory Acts Extension Act, und am +2 1 . August der Workshops' Regulation Act, die königliche Bestätigung; der +erstre Akt regelt die großen, der letztre die kleinen Geschäftszweige. + +Der Factory Acts Extension Act regulirt die Hochöfen, Eisen- und Kup- +ferwerke, Gießereien, Maschinenfabriken, Metallwerkstätten, Fabriken für +Guttapercha, Papier, Glas, Tabak, ferner Druckereien und Buchbindereien +und überhaupt alle industriellen Werkstätten dieser Art, worin 50 oder +mehr Personen gleichzeitig während mindestens 100 Tagen im Jahr be- +schäftigt werden. | + +|459| Um eine Vorstellung zu geben von der Ausdehnung des von die- +sem Gesetz umfaßten Gebiets, folgen hier einige der darin festgestellten +Definitionen: + +»Handwerk soll (in diesem Gesetz) bedeuten: irgend welche Handarbeit, +geschäftsmäßig oder zum Erwerb betrieben bei, oder gelegentlich, der Ver- +fertigung, Veränderung, Verzierung, Reparatur oder Fertigstellung zum +Verkauf irgend eines Artikels, oder eines Theils davon." + +»Werkstatt soll bedeuten: irgend welche Stube oder Oertlichkeit, einge- +deckt oder unter freiem Himmel, worin ein ,Handwerk' betrieben wird von +irgend einem Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer, und worüber +derjenige, der solches Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer be- +schäftigt, das Recht des Zutritts und der Kontrole hat." + +3 2 0 ) Senior, Social Science Congress, p. 55 sqq. + +444 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +„Beschäftigt soll bedeuten: thätig in einem ,Handwerk', ob gegen Lohn +oder nicht, unter einem Meister oder einem der Eltern, wie unten näher +bestimmt." + +„Eltern soll bedeuten: Vater, Mutter, Vormund, oder andre Person, die +5 die Vormundschaft oder Kontrole über irgend ein ... Kind oder einen ju- + +gendlichen Arbeiter hat." + +Klausel 7, die Strafklausel für Beschäftigung von Kindern, jugendlichen +Arbeitern und Frauenzimmern entgegen den Bestimmungen dieses Geset- +zes, setzt Geldstrafen fest, nicht nur für den Inhaber der Werkstatt, ob +10 einer der Eltern oder nicht, sondern auch für „die Eltern oder andre Perso- +nen, die das Kind, den jugendlichen Arbeiter oder das Frauenzimmer un- +ter Obhut haben, oder direkten Vortheil aus dessen Arbeit ziehen". + +Der Factory Acts Extension Act, der die großen Etablissements trifft, +steht zurück gegen den Fabrikakt durch eine Menge elender Ausnahmsbe- + +15 Stimmungen und feiger Kompromisse mit den Kapitalisten. + +Der Workshops' Regulation Act, erbärmlich in allen seinen Einzelhei- +ten, blieb ein todter Buchstabe in der Hand der mit seiner Ausführung be- +auftragten städtischen und Lokalbehörden. Als das Parlament ihnen 1871 +diese Vollmacht entzog, um sie den Fabrikinspektoren zu übertragen, de- +ren Aufsichtsbezirk es so mit einem Schlage um mehr als 100 000 Werk- +stätten und allein 300 Ziegeleien vergrößerte, wurde ihr Personal sorgsam- +lichst um nur acht Assistenten vermehrt, wo es doch schon bisher viel zu +schwach besetzt war 3 2 1). | + +20 + +|460| Was also in dieser englischen Gesetzgebung von 1867 auffällt, ist +25 einerseits die dem Parlament der herrschenden Klassen aufgezwungne +Nothwendigkeit, so außerordentliche und ausgedehnte Maßregeln gegen +die Uebergriffe der kapitalistischen Exploitation im Princip anzunehmen; +andrerseits die Halbheit, der Widerwille und die mala fides, womit es diese +Maßregeln dann wirklich ins Leben rief. + +30 + +Die Untersuchungskommission von 1862 schlug ebenfalls eine neue Re- +gulirung der Bergwerksindustrie vor, einer Industrie, die sich von allen an- +dern dadurch unterscheidet, daß bei ihr die Interessen von Grundbesitzern +und industriellen Kapitalisten Hand in Hand gehn. Der Gegensatz dieser +beiden Interessen hatte die Fabrikgesetzgebung begünstigt; die Abwesen- +35 heit dieses Gegensatzes reicht hin, die Verschleppung und Chikanen bei + +der Bergwerksgesetzgebung zu erklären. + +Die Untersuchungskommission von 1840 hatte so schauderhafte und + +3 2 1 ) Das Personal der Fabrikinspektion bestand aus 2 Inspektoren, 2 Hülfsinspektoren und +41 Subinspektoren. Acht fernere Subinspektoren wurden 1871 ernannt. Die Gesammtkosten +der Vollstreckung der Fabrikgesetze in England, Schottland und Irland beliefen sich 1871-72 +auf nur £25 347, einschließlich der Gerichtskosten bei Processen gegen Uebertretungen. + +40 + +445 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +empörende Enthüllungen gemacht, und einen solchen Skandal vor ganz +Europa hervorgerufen, daß das Parlament sein Gewissen salviren mußte +durch den Mining Act von 1842, worin es sich darauf beschränkte, die Ar- +beit unter Tag von Weibern und von Kindern unter 10 Jahren zu verbieten. +Dann kam 1860 der Mines' Inspection Act, wonach Bergwerke von spe- +ciell dazu ernannten öffentlichen Beamten inspicirt werden, und Knaben +zwischen 10 und 12 Jahren nicht beschäftigt werden sollen, außer wenn sie +im Besitz eines Schulzeugnisses sind oder eine gewisse Anzahl Stunden +die Schule besuchen. Dieser Akt blieb durchaus ein todter Buchstabe in +Folge der lächerlich geringen Anzahl der ernannten Inspektoren, der Win- +zigkeit ihrer Befugnisse, und andrer Ursachen, die sich im Verlauf näher +ergeben werden. + +Eins der neusten Blaubücher über Bergwerke ist der „Report from the +Select Committee on Mines, together with ... Evidence, 23. July 1866". Er +ist das Werk eines Ausschusses von Unterhausmitgliedern, bevollmächtigt +Zeugen vorzuladen und zu verhören: ein dicker Folioband, worin der „Re- +port" selbst nur fünf Zeilen umfaßt, des Inhalts: daß der Ausschuß nichts +zu sagen weiß, und daß noch mehr Zeugen verhört werden müssen! + +Die Art der Zeugenexamination erinnert an die cross examinations vor den +englischen Gerichten, wo der Advokat durch unver||461|schämte, sinnver- +wirrende Kreuz- und Querfragen den Zeugen aus der Fassung zu bringen +und ihm die Worte im Mund zu verdrehn sucht. Die Advokaten hier sind +die parlamentarischen Examinatoren selbst, darunter Minen-Eigner und +Exploiteurs; die Zeugen Minenarbeiter, meist in Kohlenb erg werken. Die +ganze Farce ist zu charakteristisch für den Geist des Kapitals, um hier +nicht einige Auszüge zu geben. Zur leichteren Uebersicht gebe ich die R e - +sultate der Untersuchung u. s. w. in Rubriken. Ich erinnre, daß Frage und +obligate Antwort in den englischen Blue Books numerirt sind, und daß die +Zeugen, deren Aussagen hier citirt werden, Arbeiter in Kohlenbergwerken. +1) Beschäftigung der Jungen vom 10. Jahr an in den Minen. Die Arbeit +nebst obligatem Gang von und zu den Bergwerken dauert in der Regel 14 +bis 15 Stunden, ausnahmsweise länger, von 3, 4, 5 Uhr Morgens bis 4 und +5 Uhr Abends, (n. 6, 452, 83.) Die erwachsnen Arbeiter arbeiten in zwei +Gängen, oder 8 Stunden, aber kein solcher Wechsel für die Jungen, um die +Kosten zu sparen, (n. 80, 203, 204.) Die jungen Kinder hauptsächlich ver- +wandt zum Oeffnen und Schließen der Zugthüren in den verschiednen Ab- +theilungen des Bergwerks, die altern zu schwerer Arbeit, Kohlentransport +u.s.w. (n. 122, 739, 740, 1717.) Die langen Arbeitsstunden unter der Erde +dauern bis zum 18. oder 22. Jahr, wann der Uebergang zur eigentlichen Mi- +nenarbeit stattfindet, (n. 161.) Die Kinder und jungen Personen werden +irgend einer früheren Periode. +heutzutag härter abgeplackt als zu + +446 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +5 + +(n. 1 6 6 3 - 6 7 . ) Die Minenarbeiter verlangen fast einstimmig einen Parla- +mentsakt zum Verbot der Minenarbeit bis zum 14. Jahr. Und nun fragt +Mr. Bruce: „Hängt dieß Verlangen nicht von der größeren oder geringeren +Armuth der Eltern ab?" - Und Mr. Bruce: „Wäre es nicht hart, wo der Va- +ter todt, oder verstümmelt u. s. w., der Familie diese Ressource zu ent- +ziehn? Und es muß doch eine allgemeine Regel herrschen. Wollt ihr in al- +len Fällen die Beschäftigung der Kinder bis zum 14. Jahr unter der Erde +verbieten?" Antwort: „In allen Fällen." (n. 1 0 7 - 1 1 0 . ) Vivian: „Wenn die +Arbeit vor 14 Jahren in den Minen verboten, würden die Eltern die Kinder +10 nicht in Fabriken u.s.w. schicken? - In der Regel, nein." (n. 174.) Arbeiter: +„Das Auf- und Zuschließen der Thüren sieht leicht aus. Es ist ein sehr +qualvolles Geschäft. Vom beständigen Zug abgesehn, ist der Junge gefan- +gen gesetzt, ganz so gut wie in einer dunklen Kerkerzelle." Bourgeois Vi- +vian: „Kann der Junge nicht lesen während der ||462| Thürwacht, wenn er +15 ein Licht hat?" - Erstens müßte er sich die Kerzen kaufen. Aber außerdem +würde es ihm nicht erlaubt werden. Er ist da, um auf sein Geschäft aufzu- +passen, er hat eine Pflicht zu erfüllen. Ich habe nie einen Jungen in der +Grube lesen sehn." (n. 1 3 9 - 6 0 . ) + +2) Erziehung. Die Minenarbeiter verlangen Gesetz für Zwangsunterricht +20 der Kinder, wie in den Fabriken. Sie erklären die Klausel des Akts von +1860, wonach Erziehungscertifikat zur Verwendung der Jungen von +1 0 - 1 2 Jahren erfordert, für rein illusorisch. Das „peinliche" Verhörverfah- +ren der kapitalistischen Instruktionsrichter wird hier wahrhaft drollig, +(n. 115.) „Ist der Akt mehr nöthig gegen Anwender oder Eltern? - Gegen +25 Beide." (n. 116.) „Mehr gegen den einen als den andern? - Wie soll ich das +beantworten?" (n. 137.) „Zeigen die Anwender irgend ein Verlangen, die +Arbeitsstunden dem Schulunterricht anzupassen? - Niemals." (n. 211.) +„Verbessern die Minenarbeiter hinterher ihre Erziehung? - Sie verschlech- +tern sich im Allgemeinen; sie nehmen böse Gewohnheiten an; sie verlegen +sich auf Trunk und Spiel und dergleichen und werden ganz und gar schiff- +brüchig." (n.454.) „Warum nicht die Kinder in Abendschulen schicken? - +In den meisten Kohlendistrikten existiren keine. Aber die Hauptsache ist, +von der langen Ueberarbeit sind sie so erschöpft, daß ihnen die Augen vor +Müdigkeit zufallen." „Also" schließt der Bourgeois, „Ihr seid gegen Erzie- +35 hung? - Bei Leibe nicht, aber u.s.w." ( n . 4 4 1 - 4 4 3 . ) „Sind die Minenbesit- +zer u. s. w. nicht durch den Akt von 1860 gezwungen, Schulcertifikate zu +verlangen, wenn sie Kinder zwischen 10 und 12 Jahren anwenden? - +Durch das Gesetz, ja, aber die Anwender thun es nicht." (n. 444.) „Nach +eurer Ansicht ist diese Gesetzklausel nicht allgemein ausgeführt? - Sie +40 wird gar nicht ausgeführt." (n. 717.) „Interessiren sich die Minenarbeiter +sehr für die Erziehungsfrage? - Die große Mehrzahl." (n. 718.) „Sind sie + +30 + +447 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +5 + +ängstlich für Durchführung des Gesetzes? - Die große Mehrzahl." (n.720.) +„Warum denn erzwingen sie seine Durchführung nicht? - Mancher Arbei- +ter wünscht, Jungen ohne Schulcertifikat zu verweigern, aber er wird ein +gezeichneter Mann (a marked man)." (n. 721.) „Gezeichnet durch wen? - +Durch seinen Anwender." (n. 722.) „Ihr glaubt doch nicht etwa, daß die +Anwender einen Mann wegen Gehorsams gegen das Gesetz verfolgen wür- +den? - Ich glaube, sie würden es thun." (n. 723.) „Warum verweigern die +Arbeiter nicht, solche Jungen anzuwenden? - Es ist nicht ihrer Wahl über- +lassen." (n. 1634.) „Ihr verlangt Parla||463|mentsintervention? - Wenn +irgend etwas Wirksames für die Erziehung der Kinder der Grubenarbeiter +geschehen soll, so muß sie durch Parlamentsakt zwangsmäßig gemacht +werden." (n. 1636.) „Soll das für die Kinder aller Arbeiter von Großbritan- +nien gelten oder nur für Grubenarbeiter? - Ich bin hier, um im Namen der +Grubenarbeiter zu sprechen." (n. 1638.) „Warum Grubenkinder von andren +unterscheiden? - Weil sie eine Ausnahme von der Regel bilden." (n. 15 +1639.) „In welcher Hinsicht? - In physischer." (n. 1640.) „Warum sollte Er- +ziehung für sie werthvoller sein, als für Knaben von andern Klassen? - Ich +sage nicht, daß sie werthvoller für sie ist, aber wegen ihrer Ueberarbeitung +in den Minen haben sie weniger Chancen für Erziehung in Tags- und +Sonntagsschulen." (n. 1644.) „Nicht wahr, es ist unmöglich, Fragen dieser 20 +Art absolut zu behandeln?" (n. 1646.) „Sind genug Schulen in den Distrik- +ten? - Nein." (n. 1647.) „Wenn der Staat verlangte, daß jedes Kind zur +Schule geschickt, wo sollen denn die Schulen für alle die Kinder herkom- +men? - Ich glaube, sobald es die Umstände gebieten, werden die Schulen +von selbst entspringen." „Die große Mehrzahl nicht nur der Kinder, son- 25 +dem der erwachsnen Minenarbeiter kann weder schreiben, noch lesen." +(n.705, 726.) + +10 + +3) Weiberarbeit. Arbeiterinnen werden zwar seit 1842 nicht mehr unter, +wohl aber über der Erde zum Aufladen der Kohlen u.s.w., Schleppen der +Kufen zu den Kanälen und Eisenbahnwagen, Sortiren der Kohlen u. s. w. 30 +verbraucht. Ihre Anwendung hat sehr zugenommen in den letzten 3 - 4 Jah- +ren, (n. 1727.) Es sind meist Weiber, Töchter und Wittwen von Grubenar- +beitern, vom 12. bis zum 50. und 60. Jahre, (n. 647, 1779, 1781.) (n. 648.) +„Was denken die Minenarbeiter von Beschäftigung von Weibern bei Berg- +werken? - Sie verdammen sie allgemein." (n. 649.) „Warum? - Sie be- 35 +trachten es erniedrigend für das Geschlecht ... Sie tragen eine Art von +Mannskleidern. In vielen Fällen wird alle Scham unterdrückt. Manche +Weiber rauchen. Die Arbeit ist so schmutzig, wie die in den Gruben selbst. +Darunter sind viele verheirathete Frauen, die ihre häuslichen Pflichten +nicht erfüllen können." (n. 6 5 1 - 6 5 4 , 701.) (n. 709.) „Können die Wittwen 40 +ein so einträgliches Geschäft ( 8 - 1 0 sh. wöchentlich) anderswo finden? - + +448 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Ich kann darüber nichts sagen." (n. 710.) „Und dennoch (Herz von Stein!) +seid Ihr entschlossen, ihnen diesen Lebensunterhalt abzuschneiden? - Si- +cher." (n. 1715, 1717.) „Woher diese Stimmung? - Wir, Minenarbeiter, ha- +ben zu viel Respekt für das schöne Geschlecht, um es zur Kohlengrube ver- +5 dämmt zu sehn ... Diese Arbeit ist großentheils sehr schwer. ||464| Viele +dieser Mädchen heben 10 Tonnen per Tag." (n. 1732.) „Glaubt Ihr, daß die +in den Bergwerken beschäftigten Arbeiterinnen unmoralischer sind als die +in den Fabriken beschäftigten? - Der Procentsatz der Schlechten ist größer +als unter den Fabrikmädchen." (n. 1733.) „Aber Ihr seid auch mit dem +10 Stand der Moralität in den Fabriken nicht zufrieden? - Nein." (n. 1734.) +„Wollt Ihr denn auch die Weiberarbeit in den Fabriken verbieten? - Nein, +ich will nicht." (n. 1735.) „Warum nicht? - Sie ist für das weibliche Ge- +schlecht ehrenvoller und passender." (n. 1736.) „Dennoch ist sie schädlich +für ihre Moralität, meint Ihr? - Nein, lange nicht so sehr als die Arbeit an +15 der Grube. Ich spreche übrigens nicht nur aus moralischen, sondern auch +aus physischen und socialen Gründen. Die sociale Degradation der Mäd- +chen ist jammervoll und extrem. Wenn diese Mädchen Frauen der Minen- +arbeiter werden, leiden die Männer tief unter dieser Degradation, und es +treibt sie von Haus und zum Soff." (n. 1737.) „Aber gälte nicht dasselbe für +20 die bei Eisenwerken beschäftigten Weiber? - Ich kann nicht für andre Ge- +schäftszweige sprechen." (n. 1740.) „Aber welcher Unterschied ist denn +zwischen den bei Eisenwerken und Bergwerken beschäftigten Weibern? - +Ich habe mich nicht mit dieser Frage beschäftigt." (n. 1741.) „Könnt Ihr +einen Unterschied zwischen der einen oder der andern Klasse entdek- +25 ken? - Ich habe nichts darüber vergewissert, kenne aber durch Visite von +Haus zu Haus den schmählichen Zustand der Dinge in unsrem Distrikt." +(n. 1750.) „Hättet Ihr nicht große Lust, Weiberbeschäftigung überall abzu- +schaffen, wo sie degradirend ist? - Ja .... die besten Gefühle der Kinder +müssen von mütterlicher Zucht herkommen." (n. 1751.) „Aber das paßt ja +30 auch auf agrikole Beschäftigung der Weiber? - Die dauert nur zwei Sai- +sons, bei uns arbeiten sie alle vier Saisons durch, manchmal Tag und +Nacht, naß bis auf die Haut, ihre Konstitution geschwächt, ihre Gesund- +heit gebrochen." (n. 1753.) „Ihr habt die Frage (nämlich der Weiberbe- +schäftigung) nicht allgemein studirt? - Ich habe um mich her geschaut +35 und kann so viel sagen, daß ich nirgendwo etwas der weiblichen Beschäfti- +gung an den Kohlengruben Paralleles gefunden habe." [n. 1793, 1794, +1808.] „Es ist Mannsarbeit und Arbeit für starke Männer." „Die beßre +Klasse der Minenarbeiter, die sich zu heben und zu humanisiren sucht, +statt irgend Stütze an ihren Weibern zu finden, wird durch sie herunterge- +40 zerrt." Nachdem die Bourgeois noch weiter in die Kreuz und Quere ge- +fragt, kömmt endlich das Geheimniß ihres „Mitleidens" für Wittwen, arme + +449 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Familien u.s.w. ||465| heraus: „Der Kohleneigenthümer ernennt gewisse +Gentlemen zur Oberaufsicht und deren Politik ist es, um Beifall zu ernten, +alles auf den möglichst ökonomischen Fuß zu setzen und die beschäftigten +Mädchen erhalten 1 bis 1 sh. 6 d. täglich, wo ein Mann 2 sh. 6 d. erhalten +müßte." (n. 1816.) + +5 + +4) Todtenschau-Juries, (η. 360.) „Mit Bezug auf die coroner's inquests in +Euren Distrikten, sind die Arbeiter zufrieden mit dem Gerichtsverfahren, +wenn Unfälle vorkommen? - Nein, sie sind es nicht." (n. 3 6 1 - 3 7 5 . ) +„Warum nicht? - Namentlich weil man Leute zu Juries macht, die absolut +nichts von Minen wissen. Arbeiter werden nie zugezogen, außer als Zeu- 10 +gen. Im Ganzen nimmt man Krämer aus der Nachbarschaft, welche unter +dem Einfluß der Minenbesitzer, ihrer Kunden, stehn und nicht einmal die +technischen Ausdrücke der Zeugen verstehn. Wir verlangen, daß Minenar- +beiter einen Theil der Jury bilden. Im Durchschnitt steht der U r t e i l s - +spruch im Widerspruch zu den Zeugenaussagen." (n. 378.) „Sollen Juries 15 +nicht unparteiisch sein? - J a . " (n. 379.) „Würden die Arbeiter es sein? - +Ich sehe keine Motive, warum sie nicht unparteiisch sein sollten. Sie ha- +ben Sachkenntniß." (n. 380.) „Aber würden sie nicht die Tendenz haben, +im Interesse der Arbeiter ungerecht harte Urtheile zu fällen? - Nein, ich +glaube nicht." + +20 + +5) Falsches Maß und Gewicht u. s. w. Die Arbeiter verlangen wöchentli- +che statt vierzehntägiger Zahlung, Maß nach Gewicht statt nach Kubik- +raum der Kufen, Schutz gegen die Anwendung falschen Gewichts u. s. w. +(n. 1071.) „Wenn die Kufen fraudulent vergrößert werden, so kann ein +Mann ja die Mine verlassen nach 14tägiger Kündigung? - Aber, wenn er 25 +zu einem andern Platz geht, findet er dasselbe." (n. 1072.) „Aber er kann +den Platz doch verlassen, wo das Unrecht verübt wird? - Es ist allgemein +herrschend." (n. 1073.) „Aber der Mann kann seinen jedesmaligen Platz +nach 14tägiger Kündigung verlassen? - J a . " Streusand drauf! + +6) Mineninspektion. Die Arbeiter leiden nicht nur von den Zufällen 30 + +durch explodirende Gase, (n.234 sqq.) „Wir haben uns ebenso sehr zu be- +klagen über die schlechte Ventilation der Kohlengruben, so daß die Leute +kaum darin athmen können; sie werden dadurch zu jeder Art Beschäfti- +gung unfähig. So hat z.B. grade jetzt in dem Theil der Mine, wo ich ar- +beite, die Pestluft viele Leute für Wochen aufs Krankenbett geworfen. Die 35 +Hauptgänge sind meist luftig genug, aber grade nicht die Plätze, worin wir | +|466| arbeiten. Sendet ein Mann Klage über Ventilation an den Inspektor, +so wird er entlassen und ist ein ,gezeichneter' Mann, der auch sonstwo +keine Beschäftigung findet. Der ,Mining Inspecting Act' von 1860 ist ein +reiner Papierlappen. Der Inspektor, und ihre Zahl ist viel zu klein, macht 40 +vielleicht in 7 Jahren einmal eine formelle Visite. Unser Inspektor ist ein + +450 + + Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie + +ganz unfähiger, siebzigjähriger Mann, der mehr als 130 Kohlenb erg werken +vorsteht. Neben mehr Inspektoren brauchen wir Sub Inspektoren." (n.280.) +„Soll dann die Regierung solch eine Armee von Inspektoren halten, daß sie +alles, was Ihr verlangt, ohne Information der Arbeiter selbst thun kön- +nen? - Das ist unmöglich, aber sie sollen sich die Information in den Mi- +nen selbst holen kommen." (n. 285.) „Glaubt Ihr nicht, daß die Wirkung +sein würde, die Verantwortlichkeit (!) für die Ventilation u. s. w. von dem +Minenbesitzer auf die Regierungsbeamten zu wälzen? - Keineswegs; es +muß ihr Geschäft sein, die Befolgung der bereits bestehenden Gesetze zu +erzwingen." (n. 294.) „Wenn Ihr von Subinspektoren sprecht, meint Ihr +Leute mit weniger Gehalt und von niedrigerem Charakter als die gegenwär- +tigen Inspektoren? - Ich wünsche sie keineswegs niedriger, wenn Ihr sie +besser haben könnt." (n.295.) „Wollt Ihr mehr Inspektoren oder eine nied- +rigere Klasse von Leuten als die Inspektoren? - Wir brauchen Leute, die +sich in den Minen selbst umtummeln, Leute, die keine Angst für die eigne +Haut haben." (n. 297.) „Wenn man Euren Wunsch nach Inspektoren von +einer schlechtren Sorte erfüllte, würde ihr Mangel an Geschick nicht Ge- +fahren erzeugen u.s.w.? - Nein; es ist Sache der Regierung, passende Sub- +jekte anzustellen." Diese Art Examination wird endlich selbst dem Präsi- +denten des Untersuchungskomité's zu toll. [n. 298, 299.] „Ihr wollt", fährt +er dazwischen, „praktische Leute, die sich in den Minen selbst umsehn +und an den Inspektor berichten, der dann seine höhere Wissenschaft ver- +wenden kann." (n. 531.) „Würde die Ventilation aller dieser alten Werke +nicht viel Kosten verursachen? - Ja, Unkosten möchten erwachsen, aber +Menschenleben würden beschützt." (n. 581.) Ein Kohlenarbeiter protestirt +gegen die 17. Sektion des Akts von 1860: „Gegenwärtig, wenn der Minenin- +spektor irgend einen Theil der Mine in nicht bearbeitsfähigem Zustand fin- +det, muß er es an den Minenbesitzer und den Minister des Innern berich- +ten. Danach hat der Minenbesitzer 20 Tage Bedenkzeit; am Ende der +20 Tage kann er jede Veränderung verweigern. Thut er das aber, so hat er +an den Minister des Innern zu schreiben und ihm 5 Bergwerksingenieure +vorzu11467!schlagen, worunter der Minister die Schiedsrichter erwählen +muß. Wir behaupten, daß in diesem Fall der Minenbesitzer virtuell seine +eignen Richter ernennt." (n.586.) Der Bourgeoisexaminator, selbst Minen- +besitzer: „Dieß ist ein rein spekulativer Einwand." (n. 588.) „Ihr habt also +sehr geringe Ansicht von der Redlichkeit der Bergwerksingenieure? - Ich +sage, es ist sehr unbillig und ungerecht." (n.589.) „Besitzen Bergwerksinge- +nieure nicht eine Art von öffentlichem Charakter, der ihre Entscheidungen +über die von Euch befürchtete Parteilichkeit erhebt? - Ich verweigre, Fra- +gen über den persönlichen Charakter dieser Leute zu beantworten. Ich bin +überzeugt, daß sie in vielen Fällen sehr parteiisch handeln und daß diese + +451 + + Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts + +Macht ihnen genommen werden sollte, wo Menschenleben auf dem Spiel +stehn." Derselbe Bourgeois hat die Unverschämtheit, zu fragen: „Glaubt +Ihr nicht, daß auch die Minenbesitzer Verluste bei den Explosionen ha- +ben?" - Endlich (n. 1042): „Könnt Ihr Arbeiter Eure eignen Interessen +nicht selbst wahrnehmen, ohne die Hülfe der Regierung anzurufen? - +Nein." - Im Jahre 1865 gab es 3217 Kohlenb erg werke in Großbritannien +und - 12 Inspektoren. Ein Minenbesitzer von Yorkshire (Times 26. Januar +1867) berechnet selbst, daß abgesehn von ihren rein bureaukratischen Ge- +schäften, die ihre ganze Zeit absorbiren, jede Mine nur einmal in 10 Jah- +ren besichtigt werden könnte. Kein Wunder, daß die Katastrophen in den 10 +letzten Jahren (namentlich auch 1866 und 1867) progressiv in Anzahl und +Umfang (manchmal mit einem Opfer von 2 0 0 - 3 0 0 Arbeitern) zugenom- +men haben. Dieß sind die Schönheiten der „freien" kapitalistischen Pro- +duktion! + +5 + +Jedenfalls ist der Akt von 1872, so mangelhaft er ist, der erste, der die 15 + +Arbeitsstunden der in Bergwerken beschäftigten Kinder regelt, und die Ex- +ploiteure und Grubenbesitzer in gewissem Maß für so genannte Unfälle +verantwortlich macht. + +Die königliche Kommission von 1867 zur Untersuchung der Beschäfti- +gung von Kindern, jugendlichen Personen und Weibern in der Agrikultur 20 +hat einige sehr wichtige Berichte veröffentlicht. Es sind verschiedne Versu- +che gemacht worden, die Principien der Fabrikgesetzgebung, in modificir- +ter Form, auf die Agrikultur anzuwenden, aber bis jetzt schlugen sie alle +total fehl. Worauf ich hier aber aufmerksam zu machen habe, ist das B e - +stehn einer unwiderstehlichen Tendenz zur allgemeinen Anwendung die- 25 +ser Principien. + +Wenn die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung als physisches +und geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse unvermeidlich ||468| gewor- +den ist, verallgemeinert und beschleunigt sie andrerseits, wie bereits ange- +deutet, die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprocesse auf Zwergmaßstab in 30 +kombinirte Arbeitsprocesse auf großer, gesellschaftlicher Stufenleiter, also +die Koncentration des Kapitals und die Alleinherrschaft des Fabrikre- +gime's. Sie zerstört alle alterthümlichen und Uebergangsformen, wohinter +sich die Herrschaft des Kapitals noch theilweise versteckt, und ersetzt sie +durch seine direkte, unverhüllte Herrschaft. Sie verallgemeinert damit 35 +auch den direkten Kampf gegen diese Herrschaft. Während sie in den indi- +viduellen Werkstätten Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, Ordnung und +Oekonomie erzwingt, vermehrt sie durch den ungeheuren Sporn, den +Schranke und Regel des Arbeitstags der Technik aufdrücken, die Anarchie +und Katastrophen der kapitalistischen Produktion im Großen und Ganzen, +die Intensität der Arbeit und die Konkurrenz der Maschinerie mit dem Ar- + +40 + +452 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +beiter. Mit den Sphären des Kleinbetriebs und der Hausarbeit vernichtet +sie die letzten Zufluchtsstätten der „Ueberzähligen" und damit das bishe- +rige Sicherheitsventil des ganzen Gesellschaftsmechanismus. Mit den ma- +teriellen Bedingungen und der gesellschaftlichen Kombination des Pro- +5 duktionsprocesses reift sie die Widersprüche und Antagonismen seiner +kapitalistischen Form, daher gleichzeitig die Bildungselemente einer +neuen und die Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft 3 2 2). | + +15 + +20 + +3 2 2 ) Robert Owen, der Vater der Kooperativfabriken und -Boutiquen, der jedoch, wie früher +bemerkt, die Illusionen seiner Nachtreter über die Tragweite dieser isolirten Umwandlungs- +10 elemente keineswegs theilte, ging nicht nur thatsächlich in seinen Versuchen vom Fabriksy- +stem aus, sondern erklärte es auch theoretisch für den Ausgangspunkt der socialen Revolu- +tion. Herr Vissering, Professor der politischen Oekonomie an der Universität zu Leiden, +scheint so etwas zu ahnen, wenn er in seinem „Handboek van Praktische Staathuishoud- +kunde. 1860-62", welches die Plattheiten der Vulgärökonomie in entsprechendster Form vor- +trägt, für Handwerksbetrieb gegen große Industrie eifert. - (Zur 4. Aufl. - Der „neue juristi- +sche Rattenkönig" (S. 295), den die englische Gesetzgebung vermittelst der einander +widersprechenden Factory Acts, Factory Extension Act und Workshops' Act ins Leben geru- +fen, wurde endlich unerträglich und so kam im Factory and Workshop Act, 1878, eine Kodifi- +kation der ganzen betreffenden Gesetzgebung zu Stande. Eine ausführliche Kritik dieses jetzt +gültigen Industriekodex Englands kann hier natürlich nicht gegeben werden. Daher mögen +folgende Notizen genügen: Der Akt umfaßt 1) Textilfabriken. Hier bleibt so ziemlich alles +beim Alten: erlaubte Arbeitszeit für Kinder über 10 Jahren: 5¾ Stunden täglich, oder aber +6 Stunden, und dann den Samstag frei; junge Personen und Frauen: 10 Stunden an fünf Ta- +gen, höchstens 6¾ am Samstag. - 2) Nicht-Textilfabriken. Hier sind die Bestimmungen de- +25 nen von Nr. 1) mehr angenähert als früher, aber noch immer bestehn manche, den Kapitali- +sten günstige Ausnahmen, die in manchen Fällen durch Specialerlaubniß des Ministers des +Innern noch ausdehnbar sind. - 3) Workshops, definirt ungefähr wie im frühern Akt; soweit +Kinder, jugendliche Arbeiter oder Frauen darin beschäftigt, sind Workshops den nicht-texti- +len Fabriken so ziemlich gleichgestellt, doch wieder mit Erleichterungen im Einzelnen. - +30 4) Workshops, in denen keine Kinder oder jugendliche Arbeiter, sondern nur Personen bei- +derlei Geschlechts über 18 Jahren beschäftigt werden; für diese Kategorie gelten noch weitre +Erleichterungen. - 5) Domestic Workshops, wo nur Familienglieder in der Familienwohnung +beschäftigt werden; noch elastischere Bestimmungen, und gleichzeitig die Beschränkung, daß +der Inspektor ohne besondre ministerielle oder richterliche Erlaubniß nur solche Räume be- +treten darf, die nicht zugleich als Wohnräume benutzt werden, und endlich die unbedingte +Freigebung von Strohflechterei, Spitzenklöppelei und Handschuhmacherei innerhalb der Fa- +milie. Bei allen Mängeln ist der Akt immer noch, neben dem schweizerischen Bundesfabrik- +gesetz vom 23.März,1877, weitaus das beste Gesetz über den Gegenstand. Eine Vergleichung +desselben mit dem erwähnten schweizerischen Bundesgesetz ist von besondrem Interesse, +40 weil sie die Vorzüge wie die Nachtheile der beiden gesetzgeberischen Methoden - der engli- +schen, „historischen", von Fall zu Fall eingreifenden, und der kontinentalen, auf den Tradi- +tionen der französischen Revolution aufgebauten, mehr generalisirenden Methode - sehr an- +schaulich macht. Leider ist der englische Kodex in seiner Anwendung auf Workshops +großentheils noch immer todter Buchstabe - wegen unzureichendem Inspektionspersonal. - + +35 + +45 D.H.) + +453 + + Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts + +|469| 10. Große Industrie und Agrikultur. + +5 + +Die Revolution, welche die große Industrie im Ackerbau und den socialen +Verhältnissen seiner Produktionsagenten hervorruft, kann erst später dar- +gestellt werden. Hier genügt kurze Andeutung einiger vorweggenommenen +Resultate. Wenn der Gebrauch der Maschinerie im Ackerbau großentheils +frei ist von den physischen Nachtheilen, die sie dem Fabrikarbeiter zu- +fügt 3 2 3), wirkt sie hier noch intensiver und ohne Gegenstoß auf die „Ueber- +zähligmachung" der Arbeiter, wie man später im Detail sehn wird. In den +Grafschaften Cambridge und Suffolk z . B . hat sich das Areal des bebauten +Landes seit den letzten zwanzig Jahren sehr ausgedehnt, während die 10 +Landbevölkerung in derselben Periode nicht nur relativ, sondern absolut +abnahm. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ersetzten Agrikul- +tur-Maschinen einstweilen nur virtuell Arbeiter, d.h. sie erlauben dem Pro- +ducenten Bebauung einer größren Fläche, verjagen aber nicht wirklich be- +schäftigte Arbeiter. In England und Wales betrug 1861 die Zahl der in der 15 +Fabrikation von Ackerbau-Maschinen betheiligten Personen 1034, wäh- +rend die ||470| Zahl der an Dampf- und Arbeitsmaschinen beschäftigten +Agrikulturarbeiter nur 1205 betrug. + +In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revo- +lutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den 20 +„Bauer", und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die socialen Umwäl- +zungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der +Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationell- +sten Betriebs tritt bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft. +Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und 25 +Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, +wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber +zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, +des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätz- +lich ausgearbeiteten Gestalten. Mit dem stets wachsenden Uebergewicht 30 +der städtischen Bevölkerung, die sie in großen Centren zusammenhäuft, +häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewe- +gungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen +Mensch und Erde, d. h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von + +3 2 3 ) Ausführliche Darstellung der im englischen Ackerbau angewandten Maschinerie findet +man in: „Die landwirthschaftlichen Geräthe und Maschinen Englands von Dr. W. Hamm. +2. Aufl. 1856". In seiner Skizze über den Entwicklungsgang der englischen Agrikultur folgt +Herr Hamm zu kritiklos dem Herrn Léonce de Lavergne. (Zur 4. Aufl. - Jetzt natürlich veral- +tet. - D. H.) + +35 + +454 + + Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie + +Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandtheile zum B o - +den, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. Sie +zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das +geistige Leben der Landarbeiter 3 2 4). Aber sie zwingt zugleich durch die +5 Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandnen Umstände jenes Stoffwech- +sels ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produk- +tion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form +herzustellen. In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapita- +listische Umwandlung des Produktionsprocesses zugleich als Martyrologie +10 der Producenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitations- +mittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombina- +tion der Arbeitsprocesse als organisirte Unterdrückung seiner individuellen +Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landar- +beiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Wider||471 |standskraft, +15 während Koncentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der +städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Pro- +duktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwü- +stung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der +kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den +20 Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder +Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zu- +gleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. +Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von +der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, de- +25 sto rascher dieser Zerstörungsproceß 3 2 5). Die kapitalistische Produktion + +3 2 4 ) "You divide the people into two hostile camps of clownish boors and emasculated dwarfs. +Good heavens! a nation divided into agricultural and commercial interests calling itself sane, +nay styling itself enlightened and civilized, not only in spite of, but in consequence of this +monstrous and unnatural division." (David Urquhart 1. c. p. 119.) Diese Stelle zeigt zugleich +30 die Stärke und die Schwäche einer Art von Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurthei- + +len, aber nicht zu begreifen weiß. +3 2 5 ) Vgl. Liebig: „Die Chemie in ihrer Anwendung und Agrikultur und Physiologie. 7. Auflage +1862", namentlich auch im Ersten Band die „Einleitung in die Naturgesetze des Feldbaus". +Die Entwicklung der negativen Seite der modernen Agrikultur, vom naturwissenschaftlichen +35 Standpunkt, ist eins der unsterblichen Verdienste Liebig's. Auch seine historischen Aperçus +über die Geschichte der Agrikultur, obgleich nicht ohne grobe Irrthümer, enthalten Licht- +blicke. Zu bedauern bleibt, daß er aufs Grathewohl Aeußerungen wagt, wie folgende: „Durch +eine weiter getriebne Pulverisirung und häufigeres Pflügen wird der Luftwechsel im Innern +poröser Erdtheile befördert, und die Oberfläche der Erdtheile, auf welche die Luft einwirken +soll, vergrößert und erneuert, aber es ist leicht verständlich, daß die Mehrbeträge des Feldes +nicht proportionell der auf das Feld verwandten Arbeit sein können, sondern daß sie in einem +weit kleineren Verhältniß steigen. Dieses Gesetz", fügt Liebig hinzu, „ist von J. St. Mill zuerst +in seinen Princ. of Pol. Econ. v.l, p.217 in folgender Weise ausgesprochen: ,That the produce +of land increases caeteris paribus in a diminishing ratio to the increase of the labourers, em- +45 ployed, (Herr Mill wiederholt sogar das Ricardo'sche Schulgesetz in falscher Formel, denn da + +40 + +455 + + Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +entwickelt da||472|her nur die Technik und Kombination des gesellschaftli- +chen Produktionsprocesses, indem sie zugleich die Springquellen alles +Reichthums untergräbt; die Erde und den Arbeiter. + +F Ü N F T E R A B S C H N I T T . + +Die Produktion des absoluten +und relativen Mehrwerths. + +5 + +V I E R Z E H N T E S K A P I T E L . + +Absoluter und relativer Mehrwerth. + +Der Arbeitsproceß wurde (sieh fünftes Kapitel) zunächst abstrakt betrach- +tet, unabhängig von seinen geschichtlichen Formen, als Proceß zwischen 10 +Mensch und Natur. Es hieß dort: „Betrachtet man den ganzen Arbeitspro- +ceß vom Standpunkt seines Resultats, so erscheinen Beide, Arbeitsmittel +und Arbeitsgegenstand, als Produktionsmittel, und die Arbeit selbst als +produktive Arbeit." Und in Note 7 wurde ergänzt: „Diese Bestimmung pro- +duktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen Arbeitsproces- 15 +ses ergibt, reicht keineswegs hin für den kapitalistischen Produktionspro- +ceß." Dieß ist hier weiter zu entwickeln. + +Soweit der Arbeitsproceß ein rein individueller, vereinigt derselbe Arbei- +ter alle Funktionen, die sich später trennen. In der individuellen Aneig- +nung von Naturgegenständen zu seinen Lebenszwecken kontrolirt er sich + +20 + +,,the decrease of the labourers employed", die Abnahme der angewandten Arbeiter, in Eng- +land beständig Schritt hielt mit dem Fortschritt der Agrikultur, fände das für und in England +erfundne Gesetz wenigstens in England keine Anwendung) is the universal law of agricultural +industry', merkwürdig genug, da ihm dessen Grund unbekannt war." (Liebig 1. c. Bd. I, p. 143 +u. Note.) Abgesehn von irriger Deutung des Wortes „Arbeit", worunter Liebig etwas andres 25 +versteht, als die politische Oekonomie, ist es jedenfalls „merkwürdig genug", daß er Herrn +J. St. Mill zum ersten Verkünder einer Theorie macht, die James Anderson zur Zeit A. Smith's +zuerst veröffentlichte und in verschiedenen Schriften bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts +hinein wiederholte, die Malthus, überhaupt ein Meister des Plagiats (seine ganze Bevölke- +rungstheorie ist ein schamloses Plagiat), sich 1815 annexirte, die West zur selben Zeit und 30 +unabhängig von Anderson entwickelte, die Ricardo 1817 in Zusammenhang mit der allgemei- +nen Werththeorie brachte und die von da an unter dem Namen Ricardo's die Runde der Welt +gemacht hat, die 1820 von James Mill (dem Vater J. St. Mill's) vulgarisirt, und endlich u. a. +auch von Herrn J. St. Mill als bereits Gemeinplatz gewordnes Schuldogma wiederholt wird. Es +ist unläugbar, daß J. St. Mill seine jedenfalls „merkwürdige" Autorität fast nur ähnlichen qui 35 +pro quo verdankt. + +456 + + Vierzehntes Kapitel · Absoluter und relativer Mehrwert + +5 + +selbst. Später wird er kontrolirt. Der einzelne Mensch kann nicht auf die +Natur wirken ohne Bethätigung seiner eignen Muskeln unter Kontrole sei- +nes eignen Hirns. Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, +vereint der Arbeitsproceß Kopfarbeit und Handarbeit. Später scheiden sie +sich bis zum feindlichen Gegensatz. Das Produkt verwandelt sich über- +haupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Producenten in +ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesammtarbei- +ters, d.h. eines kombinirten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handha- +bung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehn. Mit dem kooperati- +10 ven Charakter des Arbeitsprocesses selbst erweitert sich daher nothwendig +der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Ar- +beiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nöthig, selbst +Hand anzulegen; ||473| es genügt, Organ des Gesammtarbeiters zu sein, +irgend eine seiner Unterfunktionen zu vollziehn. Die obige ursprüngliche +15 Bestimmung der produktiven Arbeit, aus der Natur der materiellen Pro- +duktion selbst abgeleitet, bleibt immer wahr für den Gesammtarbeiter, als +Gesammtheit betrachtet. Aber sie gilt nicht mehr für jedes seiner Glieder, +einzeln genommen. + +Andrerseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die ka- +20 pitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Waare, sie ist wesent- +lich Produktion von Mehrwerth. Der Arbeiter producirt nicht für sich, son- +dern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt +producirt. Er muß Mehrwerth produciren. Nur der Arbeiter ist produktiv, +der Mehrwerth für den Kapitalisten producirt oder zur Selbstverwerthung +25 des Kapitals dient. Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der ma- +teriellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbei- +ter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbei- +tet zur Bereicherung des Unternehmers. Daß letztrer sein Kapital in einer +Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem +30 Verhältniß. Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keines- +wegs bloß ein Verhältniß zwischen Thätigkeit und Nutzeffekt, zwischen +Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein specifisch gesellschaft- +liches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhältniß, welches den Ar- +beiter zum unmittelbaren Verwerthungsmittel des Kapitals stempelt. Pro- +35 duktiver Arbeiter zu sein, ist daher kein Glück, sondern ein Pech. Im +Vierten Buch dieser Schrift, welches die Geschichte der Theorie behandelt, +wird man näher sehn, daß die klassische politische Oekonomie von jeher +die Produktion von Mehrwerth zum entscheidenden Charakter des produk- +tiven Arbeiters machte. Mit ihrer Auffassung von der Natur des Mehr- +40 werths wechselt daher ihre Definition des produktiven Arbeiters. So erklä- +ren die Physiokraten, nur die Ackerbauarbeit sei produktiv, weil sie allein + +457 + + Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +einen Mehrwerth liefre. Für die Physiokraten existirt Mehrwerth aber aus- +schließlich in der Form der Grundrente. + +Die Verlängrung des Arbeitstags über den Punkt hinaus, wo der Arbeiter +nur ein Aequivalent für den Werth seiner Arbeitskraft producirt hätte, und +die Aneignung dieser Mehrarbeit durch das Kapital - das ist die Produk- +tion des absoluten Mehrwerths. Sie bildet die allgemeine Grundlage des +kapitalistischen Systems und den Ausgangspunkt der Produktion des rela- +tiven Mehrwerths. Bei dieser ist der Arbeitstag von vornherein in zwei +Stücke getheilt: ||474| nothwendige Arbeit und Mehrarbeit. Um die Mehr- +arbeit zu verlängern, wird die nothwendige Arbeit verkürzt durch Metho- 10 +den, vermittelst deren das Aequivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit +producirt wird. Die Produktion des absoluten Mehrwerths dreht sich nur +um die Länge des Arbeitstags; die Produktion des relativen Mehrwerths re- +volutionirt durch und durch die technischen Processe der Arbeit und die +gesellschaftlichen Gruppirungen. + +15 + +5 + +Sie unterstellt also eine specifisch kapitalistische Produktionsweise, die +mit ihren Methoden, Mitteln und Bedingungen selbst erst auf Grundlage +der formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital naturwüchsig ent- +steht und ausgebildet wird. An die Stelle der formellen tritt die reelle Sub- +sumtion der Arbeit unter das Kapital. + +20 + +Es genügt bloßer Hinweis auf Zwitterformen, worin die Mehrarbeit we- +der durch direkten Zwang dem Producenten ausgepumpt wird, noch auch +dessen formelle Unterordnung unter das Kapital eingetreten ist. Das Kapi- +tal hat sich hier noch nicht unmittelbar des Arbeitsprocesses bemächtigt. +Neben die selbständigen Producenten, die in überlieferter, urväterlicher 25 +Betriebsweise handwerkern oder ackerbauen, tritt der Wucherer oder Kauf- +mann, das Wucherkapital oder das Handelskapital, das sie parasitenmäßig +aussaugt. Vorherrschaft dieser Exploitationsform in einer Gesellschaft +schließt die kapitalistische Produktionsweise aus, zu der sie andrerseits, +wie im spätren Mittelalter, den Uebergang bilden kann. Endlich, wie das 30 +Beispiel der modernen Hausarbeit zeigt, werden gewisse Zwitterformen auf +dem Hintergrund der großen Industrie stellenweis reproducirt, wenn auch +mit gänzlich veränderter Physiognomie. + +Wenn zur Produktion des absoluten Mehrwerths die bloß formelle Sub- +sumtion der Arbeit unter das Kapital genügt, z.B. daß Handwerker, die frü- 35 +her für sich selbst oder auch als Gesellen eines Zunftmeisters arbeiteten, +nun als Lohnarbeiter unter die direkte Kontrole des Kapitalisten treten, +zeigte sich andrerseits, wie die Methoden zur Produktion des relativen +Mehrwerths zugleich Methoden zur Produktion des absoluten Mehrwerths +sind. Ja die maßlose Verlängrung des Arbeitstags stellte sich als eigenstes 40 +Produkt der großen Industrie dar. Ueberhaupt hört die specifisch kapitali- + +458 + + Vierzehntes Kapitel • Absoluter und relativer Mehrwert + +stische Produktionsweise auf, bloßes Mittel zur Produktion des relativen +Mehrwerths zu sein, sobald sie sich eines ganzen Produktionszweigs und +noch mehr, sobald sie sich aller entscheidenden Produktionszweige be- +mächtigt hat. Sie wird jetzt allgemeine, gesellschaftlich herrschende Form +5 des Produktionsprocesses. Als besondre Methode zur Produktion des relati- +ven ||475| Mehrwerths wirkt sie nur noch, erstens soweit sie dem Kapital +bisher nur formell untergeordnete Industrien ergreift, also in ihrer Propa- +ganda. Zweitens, soweit ihr bereits anheimgefallne Industrien fortwährend +revolutionirt werden durch Wechsel der Produktionsmethoden. + +10 + +Von gewissem Gesichtspunkt scheint der Unterschied zwischen absolu- +tem und relativem Mehrwerth überhaupt illusorisch. Der relative Mehr- +werth ist absolut, denn er bedingt absolute Verlängrung des Arbeitstags +über die zur Existenz des Arbeiters selbst nothwendige Arbeitszeit. Der ab- +solute Mehrwerth ist relativ, denn er bedingt eine Entwicklung der Arbeits- +15 Produktivität, welche erlaubt, die nothwendige Arbeitszeit auf einen Theil +des Arbeitstags zu beschränken. Faßt man aber die Bewegung des Mehr- +werths ins Auge, so verschwindet dieser Schein der Einerleiheit. Sobald die +kapitalistische Produktionsweise einmal hergestellt und allgemeine Pro- +duktionsweise geworden, macht sich der Unterschied zwischen absolutem +20 und relativem Mehrwerth fühlbar, sobald es gilt, die Rate des Mehrwerths +überhaupt zu steigern. Vorausgesetzt, die Arbeitskraft werde zu ihrem +Werth bezahlt, stehn wir dann vor dieser Alternative: die Produktivkraft +der Arbeit und ihren Normalgrad von Intensität gegeben, ist die Rate des +Mehrwerths nur erhöhbar durch absolute Verlängrung des Arbeitstags; +25 andrerseits, bei gegebner Grenze des Arbeitstags, ist die Rate des Mehr- +werths nur erhöhbar durch relativen Größenwechsel seiner Bestandtheile, +der nothwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, was einerseits, soll der Lohn +nicht unter den Werth der Arbeitskraft sinken, Wechsel in der Produktivi- +tät oder Intensität der Arbeit voraussetzt. + +30 + +Braucht der Arbeiter alle seine Zeit, um die zur Erhaltung seiner selbst +und seiner Race nöthigen Lebensmittel zu produciren, so bleibt ihm keine +Zeit, um unentgeltlich für dritte Personen zu arbeiten. Ohne einen gewis- +sen Produktivitätsgrad der Arbeit keine solche disponible Zeit für den Ar- +beiter, ohne solche überschüssige Zeit keine Mehrarbeit und daher keine +35 Kapitalisten, aber auch keine Sklavenhalter, keine Feudalbarone, in einem + +Wort keine Großbesitzerklasse. 1) + +So kann von einer Naturbasis des Mehrwerths gesprochen werden, aber +nur in dem ganz allgemeinen Sinn, daß kein absolutes Natur||476|hinder- + +40 + +*) "The very existence of the master-capitalists as a distinct class is dependent on the produc- +tiveness of industry." (Ramsay 1. c. p. 206.) "If each man's labour were but enough to produce +his own food, there could be no property." (Ravenstone 1. c. p. 14.) + +4 5 9 + + Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +5 + +niß den einen abhält, die zu seiner eignen Existenz nöthige Arbeit von sich +selbst ab- und einem andern aufzuwalzen, z.B. ebensowenig wie absolute +Naturhindernisse die einen abhalten, das Fleisch der andern als Nahrung +zu verwenden. l a) Es sind durchaus nicht, wie es hier und da geschehn, my- +stische Vorstellungen mit dieser naturwüchsigen Produktivität der Arbeit +zu verbinden. Nur sobald die Menschen sich aus ihren ersten Thierzustän- +den herausgearbeitet, ihre Arbeit selbst also schon in gewissem Grad verge- +sellschaftet ist, treten Verhältnisse ein, worin die Mehrarbeit des einen zur +Existenzbedingung des andern wird. In den Kulturanfängen sind die er- +worbnen Produktivkräfte der Arbeit gering, aber so sind die Bedürfnisse, +die sich mit und an den Mitteln ihrer Befriedigung entwickeln. Ferner ist +in jenen Anfängen die Proportion der Gesellschaftstheile, die von fremder +Arbeit leben, verschwindend klein gegen die Masse der unmittelbaren Pro- +ducenten. Mit dem Fortschritt der gesellschaftlichen Produktivkraft der Ar- +beit wächst diese Proportion absolut und relativ 2). Das Kapitalverhältniß 15 +entspringt übrigens auf einem ökonomischen Boden, der das Produkt eines +langen Entwicklungsprocesses ist. Die vorhandne Produktivität der Arbeit, +wovon es als Grundlage ausgeht, ist nicht Gabe der Natur, sondern einer +Geschichte, die Tausende von Jahrhunderten umfaßt. + +10 + +Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt der gesellschaftlichen 20 + +Produktion abgesehn, bleibt die Produktivität der Arbeit an Naturbedin- +gungen gebunden. Sie sind alle rückführbar auf die Natur des Menschen +selbst, wie Race u.s.w. und die ihn umgebende Natur. Die äußeren Natur- +bedingungen zerfallen ökonomisch in zwei große Klassen, natürlichen +Reichthum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit, fischreiche Gewäs- 25 +ser u. s. w., und natürlichen Reichthum an Arbeitsmitteln, wie lebendige +Wassergefälle, schiffbare Flüsse, Holz, Metalle, Kohle u. s. w. In den Kul- +turanfängen gibt die erstere, auf höherer Entwicklungsstufe die zweite Art +des natürlichen Reichthums den Ausschlag. Man vergleiche z . B . England +mit Indien oder, in der antiken Welt, Athen und Korinth mit den Uferlän- 30 +dem des schwarzen Meeres. + +Je geringer die Zahl der absolut zu befriedigenden Naturbedürf-| +|477|nisse, und je größer die natürliche Bodenfruchtbarkeit und Gunst des +Klimas, desto geringer die zur Erhaltung und Reproduktion des Producen- +ten nothwendige Arbeitszeit. Desto größer kann also der Ueberschuß sei- 35 +ner Arbeit für Andere über seine Arbeit für sich selbst sein. So bemerkt + +l a ) Nach einer kürzlich gemachten Berechnung, leben allein in den bereits erforschten Erdge- +genden mindestens noch vier Millionen Kannibalen. +2) "Among the wild Indians in America, almost every thing is the labourer's, 99 parts of an +hundred are to be put upon the account of Labour: In England, perhaps the labourer has not 40 +2/ 3." (,,The Advantages of the East India Trade etc.", p. 72, 73.) + +460 + + Vierzehntes Kapitel · Absoluter und relativer Mehrwert + +5 + +schon Diodor über die alten Aegypter: „Es ist ganz unglaublich, wie wenig +Mühe und Kosten die Erziehung ihrer Kinder ihnen verursacht. Sie ko- +chen ihnen die nächste beste einfache Speise; auch geben sie ihnen von +der Papierstaude den untern Theil zu essen, soweit man ihn im Feuer rö- +sten kann, und die Wurzel und Stengel der Sumpfgewächse, theils roh, +theils gesotten und gebraten. Die meisten Kinder gehn ohne Schuhe und +unbekleidet, da die Luft so mild ist. Daher kostet ein Kind seinen Aeltern, +bis es erwachsen ist, im Ganzen nicht über zwanzig Drachmen. Hieraus ist +es hauptsächlich zu erklären, daß in Aegypten die Bevölkerung so zahl- +reich ist und darum so viele große Werke angelegt werden konnten" 3). In- +deß sind die großen Bauwerke des alten Aegyptens dem Umfang seiner Be- +völkerung weniger geschuldet als der großen Proportion, worin sie +disponibel war. Wie der individuelle Arbeiter um so mehr Mehrarbeit lie- +fern kann, je geringer seine nothwendige Arbeitszeit, so, je geringer der zur +15 Produktion der nothwendigen Lebensmittel erheischte Theil der Arbeiter- + +10 + +bevölkerung, desto größer ihr für andres Werk disponibler Theil. + +Die kapitalistische Produktion einmal vorausgesetzt, wird, unter sonst +gleichbleibenden Umständen und bei gegebner Länge des Arbeitstags, die +Größe der Mehrarbeit mit den Naturbedingungen der Arbeit, namentlich +20 auch der Bodenfruchtbarkeit, variiren. Es folgt aber keineswegs umgekehrt, +daß der fruchtbarste Boden der geeignetste zum Wachsthum der kapitali- +stischen Produktionsweise. Sie unterstellt Herrschaft des Menschen über +die Natur. Eine zu verschwenderische Natur „hält ihn an ihrer Hand wie +ein Kind am Gängelband". Sie macht seine eigne Entwicklung nicht zu +25 einer Naturnothwendigkeit 4). Nicht das tropische Klima mit seiner | +|478| überwuchernden Vegetation, sondern die gemäßigte Zone ist das +Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des Bo- +dens, sondern seine Differenzirung, die Mannigfaltigkeit seiner natürli- +chen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Theilung +30 der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der Naturum- +stände, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner eignen Be- + +3) Diodor 1. c. 1.1, c. 80 [, S. 126.] +4) "The first (natural wealth), as it is most noble and advantageous, so doth it make the people +careless, proud, and given to all excesses; whereas the second enforceth vigilancy, literature, +35 arts and policy." (,,England's Treasure by Foreign Trade. Or the Balance of our Foreign Trade +is the Rule of our Treasure. Written by Thomas Mun, of London, Merchant, and now pub- +lished for the common good by his son John Mun. Lond. 1669", p. 181, 182.) "Nor can I con- +ceive a greater curse upon a body of people, than to be thrown upon a spot of land, where the +productions for subsistence and food were, in great measure, spontaneous, and the climate re- +40 quired or admitted little care for raiment and covering ... there may be an extreme on the +other side. A soil incapable of produce by labour is quite as bad as a soil that produces plenti- +fully without any labour." („An Inquiry into the Present High Price of Provisions. Lond. +1767", p. 10.) + +461 + + Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +dürfnisse, Fähigkeiten, Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt. Die Noth- +wendigkeit, eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontroliren, damit Haus zu +halten, sie durch Werke von Menschenhand auf großem Maßstab erst an- +zueignen oder zu zähmen, spielt die entscheidendste Rolle in der Ge- +schichte der Industrie. So z . B . die Wasserreglung in Aegypten 5), Lombar- +dei, Holland u. s.w. Oder in Indien, Persien u. s.w., wo die Ueberrieslung +durch künstliche Kanäle dem Boden nicht nur das unentbehrliche Wasser, +sondern mit dessen Geschlämme zugleich den Mineraldünger von den +Bergen zuführt. Das Geheimniß der Industrieblüthe von Spanien und Sici- +lien unter arabischer Herrschaft war die Kanalisation 6). + +5 + +10 + +Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Möglichkeit, +niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerths oder des +Mehrprodukts. Die verschiednen Naturbedingungen der Arbeit bewirken, +daß dieselbe Quantität Arbeit in verschiednen Ländern verschiedne Be- +dürfnißmassen befriedigt 7), daß also, unter ||479| sonst analogen Umstän- 15 +den, die nothwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf die Mehrarbeit wir- +ken sie nur als Naturschranke, d.h. durch die Bestimmung des Punkts, wo +die Arbeit für Andre beginnen kann. In demselben Maß, worin die Indu- +strie vortritt, weicht diese Naturschranke zurück. Mitten in der westeuropä- +ischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die Erlaubniß, für seine eigne Exi- 20 +Stenz zu arbeiten, nur durch Mehrarbeit erkauft, wird sich +leicht +eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit eingeborne Qualität, ein + +5) Die Nothwendigkeit, die Perioden der Nilbewegung zu berechnen, schuf die ägyptische +Astronomie und mit ihr die Herrschaft der Priesterkaste als Leiterin der Agrikultur. «Le sols- +tice est le moment de l'année où commence la crue du Nil, et celui que les Égyptiens ont dû 25 +observer avec le plus d'attention. .. C'était cette année tropique qu'il leur importait de mar- +quer pour se diriger dans leurs opérations agricoles. Ils durent donc chercher dans le ciel un +signe apparent de son retour.» (Cuvier: „Discours sur les révolutions du globe éd. Hoefer. Pa- +ris 1863", p. 141.) +6) Eine der materiellen Grundlagen der Staatsmacht über die zusammenhangslosen kleinen 30 +Produktionsorganismen Indiens war Reglung der Wasserzufuhr. Die muhamedanischen Herr- +scher Indiens verstanden dieß besser als ihre englischen Nachfolger. Wir erinnern nur an die +Hungersnoth von 1866, die mehr als einer Million Hindus in dem Distrikt von Orissa, Präsi- +dentschaft Bengalen, das Leben kostete. +7) "There are no two countries, which furnish an equal number of the necessaries of life in 35 +equal plenty, and with the same quantity of labour. Men's wants increase or diminish with the +severity or temperateness of the climate they live in; consequently the proportion of trade +which the inhabitants of different countries are obliged to carry on through necessity, cannot +be the same, nor is it practicable to ascertain the degree of variation farther than by the De- +grees of Heat and Cold; from whence one may make this general conclusion, that the quantity 40 +of labour required for a certain number of people is greatest in cold climates, and least in hot +ones; for in the former, men not only want more clothes, but the earth more cultivating than +in the latter." („An Essay on the Governing Causes of the Natural Rate of Interest. Lond. +1750", p. 59.) Der Verfasser dieser epochemachenden anonymen Schrift ist J. Massie. Hume +nahm daraus seine Zinstheorie. + +45 + +462 + + Vierzehntes Kapitel • Absoluter und relativer Mehrwert + +Surplusprodukt zu liefern 8). Man nehme aber z.B. den Einwohner der östli- +chen Inseln des asiatischen Archipelagus, wo der Sago wild im Walde +wächst. „Wenn die Einwohner, indem sie ein Loch in den Baum bohren, +sich davon überzeugt haben, daß das Mark reif ist, so wird der Stamm um- +5 geschlagen und in mehrere Stücke getheilt, das Mark wird herausgekratzt, +mit Wasser gemischt und geseiht, es ist dann vollkommen brauchbares Sa- +gomehl. Ein Baum giebt gemeiniglich 300 Pfund und kann 5 bis 600 Pfund +geben. Man geht dort also in den Wald und schneidet sich sein Brod, wie +man bei uns sein Brennholz schlägt" 9). Gesetzt, ein solcher ostasiatischer +10 Brodschneider brauche 12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung +aller seiner Bedürfnisse. Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar gibt, ist +viel Mußezeit. Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine +ganze Reihe geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für +fremde Personen verausgabe, ist äußrer Zwang erheischt. Würde kapitali- +15 stische Produktion eingeführt, so müßte der Brave vielleicht 6 Tage in der +Woche arbeiten, um sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. +Die Gunst der Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche ar- +beitet oder warum er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum +seine nothwendige Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. +In keinem Fall aber entspränge sein Mehrprodukt aus einer der menschli- +chen Arbeit eingebornen, occulten Qualität. | + +20 + +|480| Wie die geschichtlich entwickelten, gesellschaftlichen, so erschei- +nen die naturbedingten Produktivkräfte der Arbeit als Produktivkräfte des +Kapitals, dem sie einverleibt wird. - + +30 + +25 + +Ricardo kümmert sich nie um den Ursprung des Mehrwerths. Er behan- +delt ihn wie eine der kapitalistischen Produktionsweise, der in seinen +Augen natürlichen Form der gesellschaftlichen Produktion, inhärente Sa- +che. Wo er von der Produktivität der Arbeit spricht, da sucht er in ihr nicht +die Ursache des Daseins von Mehrwerth, sondern nur die Ursache, die +seine Größe bestimmt. Dagegen hat seine Schule die Produktivkraft der +Arbeit laut proklamirt, als die Entstehungsursache des Profits (lies: Mehr- +werths). Jedenfalls ein Fortschritt gegenüber den Merkantilisten, die +ihrerseits den Überschuß des Preises der Produkte über ihre Produktions- +kosten aus dem Austausch herleiten, aus ihrem Verkauf über ihren Werth. +35 Trotzdem hatte auch Ricardo's Schule das Problem bloß umgangen, nicht +gelöst. In der That hatten diese bürgerlichen Oekonomen den richtigen In- +stinkt, es sei sehr gefährlich, die brennende Frage nach dem Ursprung des +Mehrwerths zu tief zu ergründen. Was aber sagen, wenn ein halbes Jahr- + +40 + +8) «Tout travail doit (scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen zu gehören) laisser un +excédant. » (Proudhon.) +9) F. Schouw: „Die Erde, die Pflanze und der Mensch". 2. Aufl. Leipzig 1854, p. 148. + +463 + + Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +hundert nach Ricardo Herr John Stuart Mill würdevoll seine Ueberlegen- +heit über die Merkantilisten konstatirt, indem er die faulen Ausflüchte der +ersten Verflacher Ricardo's schlecht wiederholt? + +Mill sagt: „Die Ursache des Profits ist die, daß die Arbeit mehr produ- +cirt, als für ihren Unterhalt erforderlich ist." Soweit, nichts als die alte +Leier; aber Mill will auch Eignes hinzuthun: „Oder um die Form des Sat- +zes zu variiren: der Grund, weshalb das Kapital einen Profit liefert, ist der, +daß Nahrung, Kleider, Rohstoffe und Arbeitsmittel längere Zeit dauern als +zu ihrer Produktion erforderlich ist." Mill verwechselt hier die Dauer der +Arbeitszeit mit der Dauer ihrer Produkte. Nach dieser Ansicht würde ein 10 +Bäcker, dessen Produkte nur einen Tag dauern, aus seinen Lohnarbeitern +nie denselben Profit ziehen können wie ein Maschinenbauer, dessen Pro- +dukte zwanzig Jahre und länger dauern. Allerdings, wenn die Vogelnester +nicht längere Zeit vorhielten als zu ihrem Bau erforderlich, so würden die +Vögel sich ohne Nester behelfen müssen. + +15 + +5 + +Diese Grundwahrheit einmal festgestellt, stellt Mill seine Ueberlegen- +heit über die Merkantilisten fest: „Wir sehn also, daß der Profit entsteht, +nicht aus dem Zwischenfall der Austäusche, sondern aus der Produktiv- +kraft der Arbeit; der Gesammtprofit eines Landes ||481| ist immer be- +stimmt durch die Produktivkraft der Arbeit, gleichviel ob Austausch statt- 20 +findet, oder nicht. Bestände keine Theilung der Beschäftigungen, so gäbe +es weder Kauf noch Verkauf, aber immer noch Profit." Hier sind also Aus- +tausch, Kauf und Verkauf, die allgemeinen Bedingungen der kapitalisti- +schen Produktion, ein purer Zwischenfall, und es gibt immer noch Profit +ohne Kauf und Verkauf der Arbeitskraft! + +25 + +Weiter: „Producirt die Gesammtheit der Arbeiter eines Landes 20 % über +ihre Lohnsumme, so werden die Profite 2 0 % sein, was auch immer der +Stand der Waarenpreise". - Dieß ist einerseits eine äußerst gelungne Tau- +tologie, denn wenn Arbeiter einen Mehrwerth von 20 % für ihre Kapitali- +sten produciren, so werden sich die Profite zum Gesammtlohn der Arbeiter 30 +verhalten wie 20:100. Andrerseits ist es absolut falsch, daß die Profite „20 % +sein werden". Sie müssen immer kleiner sein, weil Profite berechnet wer- +den auf die Totalsumme des vorgeschoßnen Kapitals. Der Kapitalist habe +z . B . 500Pfd. Sterling vorgeschossen, davon 400Pfd. St. in Produktionsmit- +teln, 100 Pfd. [St.] in Arbeitslohn. Die Rate des Mehrwerths sei, wie ange- 35 +nommen, 2 0 % , so wird die Profitrate sein wie 20:500, d.h. 4% und nicht +20%. + +Folgt eine glänzende Probe, wie Mill die verschiednen geschichtlichen +Formen der gesellschaftlichen Produktion behandelt: „Ich setze überall +den gegenwärtigen Stand der Dinge voraus, der bis a u f wenige Ausnahmen 40 +überall herrscht, d.h. daß der Kapitalist alle Vorschüsse macht, die Bezah- + +464 + + Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert + +lung des Arbeiters einbegriffen." Seltsame optische Täuschung, überall +einen Zustand zu sehn, der bis jetzt nur ausnahmsweise auf dem Erdball +herrscht! Doch weiter. Mill ist gut genug zuzugeben, „es sei nicht eine ab- +solute Nothwendigkeit, daß dem so sei". Im Gegentheil. „Der Arbeiter +5 könnte, selbst mit seinem ganzen Lohnbetrage, die Zahlung abwarten, bis +die Arbeit vollständig fertig ist, wenn er die zu seiner Erhaltung in der Zwi- +schenzeit nöthigen Mittel hätte. Aber in diesem Falle wäre er in gewissem +Grade ein Kapitalist, der Kapital ins Geschäft legte, und einen Theil der zu +seiner Fortführung nöthigen Fonds lieferte." Ebensogut könnte Mill sagen, +10 der Arbeiter, der sich selbst nicht nur die Lebensmittel, sondern auch die +Arbeitsmittel vorschießt, sei in Wirklichkeit sein eigner Lohnarbeiter. Oder +der amerikanische Bauer sei sein eigner Sklave, der nur für sich selbst statt +für einen fremden Herrn frohndet. + +Nachdem uns Mill derart klärlich erwiesen, daß die kapitalistische Pro- +15 duktion, selbst wenn sie nicht existirte, dennoch immer ||482| existiren +würde, ist er nun konsequent genug zu beweisen, daß sie selbst dann nicht +existirt, wenn sie existirt: „Und selbst im vorigen Fall (wenn der Kapitalist +dem Lohnarbeiter seine sämmtlichen Subsistenzmittel vorschießt) kann +der Arbeiter unter demselben Gesichtspunkt betrachtet werden (d. h. als +20 ein Kapitalist). Denn indem er seine Arbeit unter dem Marktpreise (!) her- +gibt, kann er angesehn werden als schösse er die Differenz (?) seinem Un- +ternehmer vor u. s. w . " 9 a ) . In der thatsächlichen Wirklichkeit schießt der +Arbeiter dem Kapitalisten seine Arbeit während einer Woche u. s. w. um- +sonst vor, um am Ende der Woche u.s.w. ihren Marktpreis zu erhalten; das +25 macht ihn, nach Mill, zum Kapitalisten! In der platten Ebene erscheinen +auch Erdhaufen als Hügel; man messe die Plattheit unsrer heutigen Bour- +geoisie am Kaliber ihrer „großen Geister". + +F Ü N F Z E H N T E S K A P I T E L . + +30 + +Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft +und Mehrwerth. + +Der Werth der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Werth der gewohnheits- +mäßig nothwendigen Lebensmittel des Durchschnittsarbeiters. Die Masse +dieser Lebensmittel, obgleich ihre Form wechseln mag, ist in einer be- +stimmten Epoche einer bestimmten Gesellschaft gegeben und daher als +35 konstante Größe zu behandeln. Was wechselt, ist der Werth dieser Masse. + +9 a ) J. St. Mill, ,,Principles of Political Economy, Lond. 1868," p. 252-53, passim. - (Obige +Stellen sind nach der französischen Ausgabe des „Kapital" übersetzt. - D. H.) + +465 + + Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +Zwei andre Faktoren gehn in die Werthbestimmung der Arbeitskraft ein. +Einerseits ihre Entwicklungskosten, die sich mit der Produktionsweise än- +dern, andrerseits ihre Naturdifferenz, ob sie männlich oder weiblich, reif +oder unreif. Der Verbrauch dieser differenten Arbeitskräfte, wieder bedingt +durch die Produktionsweise, macht großen Unterschied in den Reproduk- +tionskosten der Arbeiterfamilie und dem Werth des erwachsnen männli- +chen Arbeiters. Beide Faktoren bleiben jedoch bei der folgenden Untersu- +chung ausgeschlossen. 9 0) + +5 + +Wir unterstellen, 1) daß die Waaren zu ihrem Werth verkauft werden, 2) +daß der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich über ihren Werth steigt, 10 +aber nie unter ihn sinkt. | + +|483| Dieß einmal unterstellt, fand sich, daß die relativen Größen von +Preis der Arbeitskraft und von Mehrwerth durch drei Umstände bedingt +sind: 1) die Länge des Arbeitstags oder die extensive Größe der Arbeit; 2) +die normale Intensität der Arbeit, oder ihre intensive Größe, so daß ein be- 15 +stimmtes Arbeitsquantum in bestimmter Zeit verausgabt wird; 3) endlich +die Produktivkraft der Arbeit, so daß je nach dem Entwicklungsgrad der +Produktionsbedingungen dasselbe Quantum Arbeit in derselben Zeit ein +größeres oder kleineres Quantum Produkt liefert. Sehr verschiedne Kombi- +nationen sind offenbar möglich, je nachdem einer der drei Faktoren kon- 20 +stant und zwei variabel, oder zwei Faktoren konstant und einer variabel, +oder endlich alle drei gleichzeitig variabel sind. Diese Kombinationen wer- +den noch dadurch vermannigfacht, daß bei gleichzeitiger Variation ver- +schiedner Faktoren die Größe und Richtung der Variation verschieden +sein können. Im Folgenden sind nur die Hauptkombinationen dargestellt. + +25 + +I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit + +konstant + +(gegeben), Produktivkraft der Arbeit variabel + +Unter dieser Voraussetzung sind Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth +durch drei Gesetze bestimmt. + +Erstens: Der Arbeitstag von gegebner Größe stellt sich stets in demsel- 30 + +ben Werthprodukt dar, wie auch die Produktivität der Arbeit, mit ihr die +Produktenmasse und daher der Preis der einzelnen Waare wechsle. + +Das Werthprodukt eines zwölfstündigen Arbeitstags ist 6 sh. z. B . , ob- +gleich die Masse der producirten Gebrauchswerthe mit der Produktivkraft +der Arbeit wechselt, der Werth von 6 sh. sich also über mehr oder weniger 35 +Waaren vertheilt. + +9 b ) Der S.281 behandelte Fall ist hier natürlich ebenfalls ausgeschlossen. (Note zur 3. Aufl. +D.H.) + +466 + + Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert + +Zweitens: Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth wechseln in umgekehr- +ter Richtung zu einander. Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, ihre +Zunahme oder Abnahme, wirkt in umgekehrter Richtung auf den Werth +der Arbeitskraft, und in direkter auf den Mehrwerth. + +5 + +Das Werthprodukt des zwölfstündigen Arbeitstags ist eine konstante +Größe, z . B . 6sh. Diese konstante Größe ist gleich der Summe des Mehr- +werths plus dem Werth der Arbeitskraft, den der Arbeiter durch ein Aequi- +valent ersetzt. Es ist selbstverständlich, daß von zwei Theilen einer kon- +stanten Größe keiner zunehmen kann, ohne daß der andre abnimmt. Der +10 Werth der Arbeitskraft ||484| kann nicht von 3 sh. auf 4 steigen, ohne daß +der Mehrwerth von 3 sh. auf 2 fällt, und der Mehrwerth kann nicht von 3 +auf 4 sh. steigen, ohne daß der Werth der Arbeitskraft von 3 sh. auf 2 fällt. +Unter diesen Umständen also ist kein Wechsel in der absoluten Größe, sei +es des Werths der Arbeitskraft, sei es des Mehrwerths, möglich ohne gleich- +15 zeitigen Wechsel ihrer relativen oder verhältnißmäßigen Größen. Es ist un- + +möglich, daß sie gleichzeitig fallen oder steigen. + +20 + +Der Werth der Arbeitskraft kann ferner nicht fallen, also der Mehrwerth +nicht steigen, ohne daß die Produktivkraft der Arbeit steigt, z.B. im obigen +Fall kann der Werth der Arbeitskraft nicht Ton 3 auf 2 sh. sinken, ohne daß +erhöhte Produktivkraft der Arbeit erlaubt, in 4 Stunden dieselbe Masse Le- +bensmittel zu produciren, die vorher 6 Stunden zu ihrer Produktion er- +heischten. Umgekehrt kann der Werth der Arbeitskraft nicht von 3 auf 4sh. +steigen, ohne daß die Produktivkraft der Arbeit fällt, also 8 Stunden zur +Produktion derselben Masse von Lebensmitteln erheischt sind, wozu frü- +25 her 6 Stunden genügten. Es folgt hieraus, daß die Zunahme in der Produk- +tivität der Arbeit den Werth der Arbeitskraft senkt und damit den Mehr- +werth steigert, während umgekehrt die Abnahme der Produktivität den +Werth der Arbeitskraft steigert und den Mehrwerth senkt. + +Bei Formulirung dieses Gesetzes übersah Ricardo einen Umstand: Ob- +30 gleich der Wechsel in der Größe des Mehrwerths oder der Mehrarbeit +einen umgekehrten Wechsel in der Größe des Werths der Arbeitskraft oder +der nothwendigen Arbeit bedingt, folgt keineswegs, daß sie in derselben +Proportion wechseln. Sie nehmen zu oder ab um dieselbe Größe. Das Ver- +hältniß aber, worin jeder Theil des Werthprodukts oder des Arbeitstags zu- +35 oder abnimmt, hängt von der ursprünglichen Theilung ab, die vor dem +Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit stattfand. War der Werth der Ar- +beitskraft 4sh. oder die nothwendige Arbeitszeit 8 Stunden, der Mehrwerth +2 sh. oder die Mehrarbeit 4 Stunden, und fällt, in Folge erhöhter Produktiv- +kraft der Arbeit, der Werth der Arbeitskraft auf 3 sh. oder die nothwendige +40 Arbeit auf 6 Stunden, so steigt der Mehrwerth auf 3 sh. oder die Mehrarbeit +auf 6 Stunden. Es ist dieselbe Größe von 2 Stunden oder lsh., die dort zu- + +467 + + Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +gefügt, hier weggenommen wird. Aber der proportioneile Größenwechsel +ist auf beiden Seiten verschieden. Während der Werth der Arbeitskraft von +4sh. auf 3, also um % oder 25 % sinkt, steigt der Mehrwerth von 2 sh. auf 3, +also um % oder ||485| 50 %. Es folgt daher, daß die proportioned Zu- oder +Abnahme des Mehrwerths, in Folge eines gegebnen Wechsels in der Pro- +duktivkraft der Arbeit, um so größer, je kleiner, und um so kleiner, je grö- +ßer ursprünglich der Theil des Arbeitstags war, der sich in Mehrwerth dar- +stellt. + +5 + +Drittens: Zu- oder Abnahme des Mehrwerths ist stets Folge und nie +Grund der entsprechenden Ab- und Zunahme des Werths der Arbeits- 10 +kraft 1 0). + +Da der Arbeitstag von konstanter Größe ist, sich in einer konstanten +Werthgröße darstellt, jedem Größenwechsel des Mehrwerths ein umgekehr- +ter Größenwechsel im Werth der Arbeitskraft entspricht und der Werth der +Arbeitskraft nur wechseln kann mit einem Wechsel in der Produktivkraft +der Arbeit, folgt unter diesen Bedingungen offenbar, daß jeder Größen- +wechsel des Mehrwerths aus einem umgekehrten Größenwechsel im Werth +der Arbeitskraft entspringt. Wenn man daher gesehn, daß kein absoluter +Größenwechsel im Werth der Arbeitskraft und des Mehrwerths möglich ist +ohne einen Wechsel ihrer relativen Größen, so folgt jetzt, daß kein Wech- 20 +sei ihrer relativen Werthgrößen möglich ist ohne einen Wechsel in der ab- +soluten Werthgröße der Arbeitskraft. + +15 + +Nach dem dritten Gesetz unterstellt der Größenwechsel des Mehrwerths +eine durch Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit verursachte Werthbe- +wegung der Arbeitskraft. Die Grenze jenes Wechsels ist durch die neue 25 +Werthgrenze der Arbeitskraft gegeben. Es können aber, auch wenn die +Umstände dem Gesetz zu wirken erlauben, Zwischenbewegungen stattfin- +den. Fällt z.B. in Folge erhöhter Produktivkraft der Arbeit der Werth der +Arbeitskraft von 4 sh. auf 3, oder die nothwendige Arbeitszeit von 8 Stun- +den auf 6, so könnte der Preis der Arbeitskraft nur auf 3 sh. 8 d., 3 sh. 6 d., 30 +3 sh. 2 d. u. s. w. fallen, der Mehrwerth daher nur auf 3 sh. 4 d., 3 sh. 6 d., +3 sh. 10 d. u.s.w. steigen. Der Grad des Falls, dessen Maximalgrenze 3 sh., +hängt von dem relativen ||486| Gewicht ab, das der Druck des Kapitals von + +1 0 ) Zu diesem dritten Gesetz hat MacCulloch u.A. den abgeschmackten Zusatz gemacht, daß +der Mehrwerth ohne Fall im Werth der Arbeitskraft steigen kann durch Abschaffung von +Steuern, die der Kapitalist früher zu zahlen hatte. Die Abschaffung solcher Steuern ändert ab- +solut nichts an dem Quantum Mehrwerth, das der industrielle Kapitalist in erster Hand dem +Arbeiter auspumpt. Sie ändert nur die Proportion, worin er Mehrwerth in seine eigne Tasche +steckt oder mit dritten Personen theilen muß. Sie ändert also nichts an dem Verhältniß zwi- +schen Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth. Die Ausnahme des MacCulloch beweist also +nur sein Mißverständniß der Regel, ein Malheur, das ihm in der Vulgarisation Ricardo's eben +so oft passirt als dem J. B. Say in der Vulgarisation A. Smith's. + +35 + +40 + +468 + + Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert + +der einen Seite, der Widerstand der Arbeiter von der andern Seite in die +Wagschale wirft. + +Der Werth der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Werth eines be- +stimmten Quantums von Lebensmitteln. Was mit der Produktivkraft der +5 Arbeit wechselt, ist der Werth dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse. Die +Masse selbst kann, bei steigender Produktivkraft der Arbeit, für Arbeiter +und Kapitalist gleichzeitig und in demselben Verhältniß wachsen ohne +irgend einen Größenwechsel zwischen Preis der Arbeitskraft und Mehr- +werth. Ist der ursprüngliche Werth der Arbeitskraft 3 sh. und beträgt die +10 nothwendige Arbeitszeit 6 Stunden, ist der Mehrwerth ebenfalls 3 sh. oder +beträgt die Mehrarbeit auch 6 Stunden, so würde eine Verdopplung in der +Produktivkraft der Arbeit, bei gleichbleibender Theilung des Arbeitstags, +Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth unverändert lassen. Nur stellte sich +jeder derselben in doppelt so vielen, aber verhältnißmäßig verwohlfeilerten +15 Gebrauchswerthen dar. Obgleich der Preis der Arbeitskraft unverändert, +wäre er über ihren Werth gestiegen. Fiele der Preis der Arbeitskraft, aber +nicht bis zu der durch ihren neuen Werth gegebnen Minimalgrenze von +I1Z2 sh., sondern auf 2 sh. 10 d., 2 sh. 6 d. u.s.w., so repräsentirte dieser fal- +lende Preis immer noch eine wachsende Masse von Lebensmitteln. Der +20 Preis der Arbeitskraft könnte so bei steigender Produktivkraft der Arbeit +beständig fallen mit gleichzeitigem, fortwährendem Wachsthum der Le- +bensmittelmasse des Arbeiters. Relativ aber, d. h. verglichen mit dem +Mehrwerth, sänke der Werth der Arbeitskraft beständig, und erweiterte sich +also die Kluft zwischen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist 1 1). + +25 + +30 + +Ricardo hat die oben aufgestellten drei Gesetze zuerst streng formulirt. +Die Mängel seiner Darstellung sind, 1) daß er die besondern Bedingungen, +innerhalb deren jene Gesetze gelten, für die sich von selbst verstehenden, +allgemeinen und ausschließlichen Bedingungen der kapitalistischen Pro- +duktion ansieht. Er kennt keinen Wechsel, weder in der Länge des Arbeits- +tags noch in der Intensität der Arbeit, sodaß bei ihm die Produktivität der +Arbeit ||487| von selbst zum einzigen variablen Faktor wird. - 2) aber, und +dieß verfälscht seine Analyse in viel höherem Grad, hat er ebenso wenig +wie die andern Oekonomen jemals den Mehrwerth als solchen untersucht, +d. h. unabhängig von seinen besondern Formen, wie Profit, Grundrente +35 u. s. w. Er wirft daher die Gesetze über die Rate des Mehrwerths unmittel- +bar zusammen mit den Gesetzen der Profitrate. Wie schon gesagt, ist die +Profitrate das Verhältniß des Mehrwerths zum vorgeschossenen Gesammt- +n) "When an alteration takes place in the productiveness of industry, and that either more or +less is produced by a given quantity of labour and capital, the proportion of wages may obvi- +40 ously vary, whilst the quantity, which that proportion represents, remains the same, or the +quantity may vary, whilst the proportion remains the same." (,,Outlines of Political Economy +etc.", p. 67.) + +469 + + Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +kapital, während die Mehrwerthsrate das Verhältniß ist des Mehrwerths +zum bloß variablen Theil dieses Kapitals. Nimm an, ein Kapital von +500 Pfd. St. (C) theile sich in Rohstoffe, Arbeitsmittel etc. für zusammen +400 Pfd. St. (c) und in 100 Pfd. St. Arbeitslöhne (v); daß ferner der Mehr- +100 Pfd. St. + +m + +werth = 100 Pfd. St. (m). Dann ist die Mehrwerthsrate —= Λ A n „ « n, + +5 + +ν + +100 Pfd. St. + += 100 %. Aber die Profitrate + += + +H' = 20 %. Es leuchtet außer- + +C + +500 Pia. St. + +dem ein, daß die Profitrate abhängen kann von Umständen, die keineswegs +auf die Mehrwerthsrate einwirken. Ich werde später im Dritten Buch dieser +Schrift beweisen, daß dieselbe Rate des Mehrwerths sich in den verschie- +densten Profitraten, und verschiedne Raten des Mehrwerths, unter be- 10 +stimmten Umständen, sich in derselben Profitrate ausdrücken können. + +IL Konstanter Arbeitstag, + +konstante Produktivkraft der Arbeit, + +Intensität der Arbeit variabel. + +Wachsende Intensität der Arbeit unterstellt vermehrte Ausgabe von Arbeit +in demselben Zeitraum. Der intensivere Arbeitstag verkörpert sich daher in 15 +mehr Produkten als der minder intensive von gleicher Stundenzahl. Mit er- +höhter Produktivkraft liefert zwar auch derselbe Arbeitstag mehr Produkte. +Aber im letztern Fall sinkt der Werth des einzelnen Produkts, weil es weni- +ger Arbeit als vorher kostet, im erstem Fall bleibt er unverändert, weil das +Produkt nach wie vor gleich viel Arbeit kostet. Die Anzahl der Produkte 20 +steigt hier ohne Fall ihres Preises. Mit ihrer Anzahl wächst ihre Preis- +summe, während dort dieselbe Werthsumme sich nur in vergrößerter Pro- +duktenmasse darstellt. Bei gleichbleibender Stundenzahl verkörpert sich +also der intensivere Arbeitstag in höherem Werthprodukt, also, bei gleich- +bleibendem Werth des Geldes, in mehr Geld. Sein Werthprodukt variirt 25 +mit den Ab1148 81weichungen seiner Intensität von dem gesellschaftlichen +Normalgrad. Derselbe Arbeitstag stellt sich also nicht wie vorher in einem +konstanten, sondern in einem variablen Werthprodukt dar, der intensivere, +zwölfstündige Arbeitstag z.B. in 7 sh., 8 sh. u. s. w. statt in 6 sh. wie der +zwölfstündige Arbeitstag von gewöhnlicher Intensität. Es ist klar: Variirt 30 +das Werthprodukt des Arbeitstags, etwa von 6 auf 8 sh., so können beide +Theile dieses Werthprodukts, Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth, gleich- +zeitig wachsen, sei es in gleichem oder ungleichem Grad. Preis der Arbeits- +kraft und Mehrwerth können beide zur selben Zeit von 3 sh. auf 4 wachsen, +wenn das Werthprodukt von 6 auf 8 [sh.] steigt. Preiserhöhung der Arbeits- 35 +kraft schließt hier nicht nothwendig Steigerung ihres Preises über ihren + +470 + + Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert + +Werth ein. Sie kann umgekehrt von einem Fall ihres Werths begleitet sein. +Dieß findet stets statt, wenn die Preiserhöhung der Arbeitskraft ihren be- +schleunigten Verschleiß nicht kompensirt. + +Man weiß, daß mit vorübergehenden Ausnahmen ein Wechsel in der +5 Produktivität der Arbeit nur dann einen Wechsel in der Werthgröße der +Arbeitskraft und daher in der Größe des Mehrwerths bewirkt, wenn die +Produkte der betroffenen Industriezweige in den gewohnheitsmäßigen +Konsum des Arbeiters eingehn. Diese Schranke fällt hier fort. Ob die +Größe der Arbeit extensiv oder intensiv wechsle, ihrem Größenwechsel +10 entspricht ein Wechsel in der Größe ihres Werthprodukts, unabhängig von + +der Natur des Artikels, worin sich dieser Werth darstellt. + +Steigerte sich die Intensität der Arbeit in allen Industriezweigen gleich- +zeitig und gleichmäßig, so würde der neue höhere Intensitätsgrad zum ge- +wöhnlichen gesellschaftlichen Normalgrad und hörte damit auf, als exten- +15 sive Größe zu zählen. Indeß blieben selbst dann die durchschnittlichen +Intensitätsgrade der Arbeit bei verschiednen Nationen verschieden und +modificirten daher die Anwendung des Werthgesetzes auf unterschiedne +Nationalarbeitstage. Der intensivere Arbeitstag der einen Nation stellt sich +in höherem Geldausdruck dar als der minder intensive der andren 1 2). | + +20 + +|489| + +III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant, + +Arbeitstag + +variabel. + +Der Arbeitstag kann nach zwei Richtungen variiren. Er kann verkürzt oder +verlängert werden. + +1) Verkürzung des Arbeitstags unter den gegebenen Bedingungen, d. h. +25 gleichbleibender Produktivkraft und Intensität der Arbeit, läßt den Werth +der Arbeitskraft und daher die nothwendige Arbeitszeit unverändert. Sie +verkürzt die Mehrarbeit und den Mehrwerth. Mit der absoluten Größe des +letztren fällt auch seine relative Größe, d.h. seine Größe im Verhältniß zur +gleichbleibenden Werthgröße der Arbeitskraft. Nur durch Herabdrückung +ihres Preises unter ihren Werth könnte der Kapitalist sich schadlos halten. +Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkürzung des Arbeitstags +unterstellen, daß das Phänomen sich unter den hier vorausgesetzten Um- +ständen ereignet, während in der Wirklichkeit umgekehrt Wechsel in der + +30 + +35 + +1 2 ) "All things being equal, the English manufacturer can turn out a considerably larger +amount of work in a given time than a foreign manufacturer, so much as to counterbalance +the difference of the working days, between 60 hours a week here and 72 or 80 elsewhere." +(„Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855", p. 65.) Größere gesetzliche Verkürzung des Ar- +beitstags in den kontinentalen Fabriken wäre das unfehlbarste Mittel zur Verminderung die- +ser Differenz zwischen der kontinentalen und der englischen Arbeitsstunde. + +471 + + Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +Produktivität und Intensität der Arbeit entweder der Verkürzung des Ar- +beitstags vorhergehn oder ihr unmittelbar nachfolgen 1 3). + +2) Verlängerung des Arbeitstags: Die nothwendige Arbeitszeit sei +6 Stunden oder der Werth der Arbeitskraft 3 sh., ebenso Mehrarbeit 6 Stun- +den und Mehrwerth 3 sh. Der Gesammtarbeitstag beträgt dann 12 Stunden +und stellt sich in einem Werthprodukt von 6 sh. dar. Wird der Arbeitstag +um 2 Stunden verlängert und bleibt der Preis der Arbeitskraft unverändert, +so wächst mit der absoluten die relative Größe des Mehrwerths. Obgleich +die Werthgröße der Arbeitskraft absolut unverändert bleibt, fällt sie relativ. +Unter den Bedingungen von I) konnte die relative Werthgröße der Arbeits- 10 +kraft nicht wechseln ohne einen Wechsel ihrer absoluten Größe. Hier, im +Gegentheil, ist der relative Größenwechsel im Werth der Arbeitskraft das +Resultat eines absoluten Größenwechsels des Mehrwerths. + +5 + +Da das Werthprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner +eignen Verlängerung wächst, können Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth 15 +gleichzeitig wachsen, sei es um gleiches oder ungleiches Inkrement. Dieß +gleichzeitige Wachsthum ist also in zwei ||490| Fällen möglich, bei absolu- +ter Verlängerung des Arbeitstags, und bei wachsender Intensität der Arbeit +ohne solche Verlängerung. + +Mit verlängertem Arbeitstag kann der Preis der Arbeitskraft unter ihren 20 + +Werth fallen, obgleich er nominell unverändert bleibt oder selbst steigt. +Der Tageswerth der Arbeitskraft ist nämlich, wie man sich erinnern wird, +geschätzt auf ihre normale Durchschnittsdauer oder die normale Lebens- +periode des Arbeiters, und auf entsprechenden, normalen, der Menschen- +natur angemessenen Umsatz von Lebenssubstanz in Bewegung 1 4). Bis zu 25 +einem gewissen Punkt kann der von Verlängerung des Arbeitstags untrenn- +bare größere Verschleiß der Arbeitskraft durch größeren Ersatz kompensirt +werden. Ueber diesen Punkt hinaus wächst der Verschleiß in geometrischer +Progression und werden zugleich alle normalen Reproduktions- und Bethä- +tigungsbedingungen der Arbeitskraft zerstört. Der Preis der Arbeitskraft 30 +und ihr Exploitationsgrad hören auf mit einander kommensurable Größen +zu sein. + +1 3 ) "There are compensating circumstances ... which the working of the Ten Hours' Act has +brought to light." („Reports of Insp. of Fact, for 1st December 1848", p. 7.) +1 4 ) "The amount of labour which a man had undergone in the course of 24 hours might be ap- 35 +proximatively arrived at by an examination of the chymical changes which had taken place in +his body, changed forms in matter indicating the anterior exercise of dynamic force." (Grove: +„On the Correlation of Physical Forces", [p. 308, 309.]) + +472 + + Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert + +IV. Gleichzeitige Variationen + +in Dauer, Produktivkraft + +und Intensität der Arbeit. + +Es ist hier offenbar eine große Anzahl Kombinationen möglich. Je zwei +Faktoren können variiren und einer konstant bleiben, oder alle drei kön- +5 nen gleichzeitig variiren. Sie können in gleichem oder ungleichem Grad +variiren, in derselben oder entgegengesetzter Richtung, ihre Variationen +sich daher theilweis oder ganz aufheben. Indeß ist die Analyse aller mögli- +chen Fälle nach den unter I) II) und III) gegebenen Aufschlüssen leicht. +Man findet das Resultat jeder möglichen Kombination, indem man der +10 Reihe nach je einen Faktor als variabel und die andren zunächst als kon- +stant behandelt. Wir nehmen hier daher nur noch kurze Notiz von zwei +wichtigen Fällen. + +1) Abnehmende Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger Verlänge- + +rung des Arbeitstags: + +15 Wenn wir hier von abnehmender Produktivkraft der Arbeit sprechen, so +handelt es sich von Arbeitszweigen, deren Produkte den Werth der Arbeits- +kraft bestimmen, also z . B . von abnehmender Produktivkraft der Arbeit in +Folge zunehmender Unfruchtbar||491|keit des Bodens und entsprechender +Vertheurung der Bodenprodukte. Der Arbeitstag sei zwölfstündig, sein +20 Werthprodukt 6 sh., wovon die Hälfte den Werth der Arbeitskraft ersetze, +die andre Hälfte Mehrwerth bilde. Der Arbeitstag zerfällt also in 6 Stunden +nothwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit. In Folge der Vertheurung +der Bodenprodukte steige der Werth der Arbeitskraft von 3 auf 4 sh., also +die nothwendige Arbeitszeit von 6 auf 8 Stunden. Bleibt der Arbeitstag un- +25 verändert, so fällt die Mehrarbeit von 6 auf 4 Stunden, der Mehrwerth von +3 auf 2 sh. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert, also von 12 auf +14 Stunden, so bleibt die Mehrarbeit 6 Stunden, der Mehrwerth 3 sh., aber +seine Größe fällt im Vergleich zum Werth der Arbeitskraft, gemessen +durch die nothwendige Arbeit. Wird der Arbeitstag um 4 Stunden verlän- +30 gert, von 12 auf 16 Stunden, so bleiben die proportionellen Größen von +Mehrwerth und Werth der Arbeitskraft, Mehrarbeit und nothwendiger Ar- +beit unverändert, aber die absolute Größe des Mehrwerths wächst von 3 auf +4 sh., die der Mehrarbeit von 6 auf 8 Arbeitsstunden, also um % oder +33½ %. Bei abnehmender Produktivkraft der Arbeit und gleichzeitiger Ver- +längerung des Arbeitstags kann also die absolute Größe des Mehrwerths +unverändert bleiben, während seine proportioneile Größe fällt; seine pro- +port i one d Größe kann unverändert bleiben, während seine absolute Grö- +ße wächst, und, je nach dem Grad der Verlängerung, können beide wachsen. +Im Zeiträume von 1799 bis 1815 führten die steigenden Preise der Le- + +35 + +473 + + Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +bensmittel in England eine nominelle Lohnsteigerung herbei, obwohl die + +wirklichen, in Lebensmitteln ausgedrückten, Arbeitslöhne fielen. Hieraus + +schlössen West und Ricardo, daß die Verminderung der Produktivität der + +Ackerbauarbeit ein Fallen der Mehrwerthsrate verursacht hätte, und mach- + +ten diese nur in ihrer Phantasie gültige Annahme zum Ausgangspunkt + +5 + +wichtiger Analysen über das relative Größenverhältniß von Arbeitslohn, + +Profit und Grundrente. Dank der gesteigerten Intensität der Arbeit und der + +erzwungenen Verlängerung der Arbeitszeit, war aber der Mehrwerth da- + +mals absolut und relativ gewachsen. Es war dieß die Periode, worin die + +maßlose Verlängerung des Arbeitstags sich das Bürgerrecht erwarb, 1 5) die 10 + +Periode, speciell charakterisirt ||492| durch beschleunigte Zunahme hier + +des Kapitals, dort des Pauperismus. 1 6) + +2) Zunehmende Intensität und Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeiti- + +ger Verkürzung des Arbeitstags: + +Gesteigerte Produktivkraft der Arbeit und ihre wachsende Intensität wir- + +15 + +ken nach einer Seite hin gleichförmig. Beide vermehren die in jedem Zeit- + +abschnitt erzielte Produktenmasse. Beide verkürzen also den Theil des Ar- + +beitstags, den der Arbeiter zur Produktion seiner Lebensmittel oder ihres + +Aequivalents braucht. Die absolute Minimalgrenze des Arbeitstags wird + +überhaupt gebildet durch diesen seinen nothwendigen, aber kontraktiblen + +20 + +1 5 ) "Corn and Labour rarely march quite abreast; but there is an obvious limit, beyond which +they cannot be separated. With regard to the unusual exertions made by the labouring classes +in periods of dearness, which produce the fall of wages noticed in the evidence (nämlich vor +den Parliamentary Committees of Inquiry 1814-15), they are most meritorious in the individ- +uals, and certainly favour the growth of capital. But no man of humanity could wish to see 25 +them constant and unremitted. They are most admirable as a temporary relief; but if they +were constantly in action, effects of a similar kind would result from them, as from the popu- +lation of a country being pushed to the very extreme limits of its food." (Malthus: ,,Inquiry +into the Nature and Progress of Rent. Lond. 1815", p. 48, 49 Note.) Es macht Malthus alle +Ehre, daß er den Ton legt auf die auch an andrer Stelle in seinem Pamphlet direkt besprochne 30 +Verlängerung des Arbeitstags, während Ricardo und Andre, im Angesicht der schreiendsten +Thatsachen, die konstante Größe des Arbeitstags allen ihren Untersuchungen zu Grund leg- +ten. Aber die konservativen Interessen, deren Knecht Malthus war, hinderten ihn zu sehn, +daß die maßlose Verlängerung des Arbeitstags, zugleich mit außerordentlicher Entwicklung +der Maschinerie und der Exploitation der Weiber- und Kinderarbeit, einen großen Theil der 35 +Arbeiterklasse „überzählig machen mußten, namentlich sobald die Kriegsnachfrage und das +englische Monopol des Weltmarkts aufhörten. Es war natürlich weit bequemer und den Inter- +essen der herrschenden Klassen, die Malthus acht pfaffisch idolatrisirt, viel entsprechender, +diese „Uebervölkerung" aus den ewigen Gesetzen der Natur, als aus den nur historischen Na- +turgesetzen der kapitalistischen Produktion zu erklären. +1 6 ) "A principal cause of the increase of capital, during the war, proceeded from the greater +exertions, and perhaps the greater privations of the labouring classes, the most numerous in +every society. More women and children were compelled, by necessitous circumstances, to en- +ter upon laborious occupations; and former workmen were, from the same cause, obliged to +devote a greater portion of their time to increase production." („Essays on Political Econ. in 45 +which are illustrated the Principal Causes of the Present National Distress. London 1830", +p. 248, 249.) + +40 + +474 + + Sechzehntes Kapitel • Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts + +Bestandtheil. Schrumpfte darauf der ganze Arbeitstag zusammen, so ver- +schwände die Mehrarbeit, was unter dem Regime des Kapitals unmöglich. +Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt den Arbeits- +tag auf die nothwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, +5 unter sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einer- +seits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebens- +ansprüche größer. Andrerseits würde ein Theil der jetzigen Mehrarbeit +zur ||493| nothwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines ge- +sellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nöthige Arbeit. + +10 + +Je mehr die Produktivkraft der Arbeit wächst, um so mehr kann der Ar- +beitstag verkürzt werden, und je mehr der Arbeitstag verkürzt wird, desto +mehr kann die Intensität der Arbeit wachsen. Gesellschaftlich betrachtet +wächst die Produktivität der Arbeit auch mit ihrer Oekonomie. Diese +schließt nicht nur die Oekonomisirung der Produktionsmittel ein, sondern +15 die Vermeidung aller nutzlosen Arbeit. Während die kapitalistische Pro- +duktionsweise in jedem individuellen Geschäft Oekonomie erzwingt, er- +zeugt ihr anarchisches System der Konkurrenz die maßloseste Verschwen- +dung der gesellschaftlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte, neben +einer Unzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger + +20 Funktionen. + +25 + +Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen +Produktion nothwendige Theil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so +kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftliche Bethätigung der Indivi- +duen eroberte Zeittheil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit un- +ter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft vertheilt ist, je weniger eine +Gesellschaftsschichte die Naturnothwendigkeit der Arbeit von sich selbst +ab- und einer andren Schichte zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die +Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der +Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse +30 producirt durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit. + +S E C H S Z E H N T E S K A P I T E L . + +Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerths. + +Man hat gesehn, daß die Rate des Mehrwerths sich darstellt in den For- +meln: +I) + +35 + +Mehrwerth + +/ m \ _ + +Mehrwerth + +Mehrarbeit + +Variables Kapital \ ν / Werth der Arbeitskraft Nothwendige Arbeit + +475 + + Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +Die zwei ersten Formeln stellen als Verhältniß von Werthen dar, was die +dritte als Verhältniß der Zeiten, worin diese Werthe producirt werden. +Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich streng. Man findet sie +daher wohl der Sache nach, aber nicht ||494| bewußt ausgearbeitet in der +klassischen politischen Oekonomie. Hier begegnen wir dagegen den fol- +genden abgeleiteten Formeln: + +5 + +II) + +Produktenwerth + +_ Mehrprodukt + +Mehrarbeit _ Mehrwerth +Arbeitstag +Proportion ist hier abwechselnd ausgedrückt in der Form der Arbeitszeiten, +der Werthe, worin sie sich verkörpern, der Produkte, worin diese Werthe 10 +existiren. Es wird natürlich unterstellt, daß unter Werth des Produkts nur +das Werthprodukt des Arbeitstags zu verstehn, der konstante Theil des Pro- +duktenwerths aber ausgeschlossen ist. + +Gesammtprodukt " + +dieselbe + +In allen diesen Formeln ist der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit +oder die Rate des Mehrwerths falsch ausgedrückt. Der Arbeitstag sei 15 +12 Stunden. Mit den andren Annahmen unsres früheren Beispiels stellt +sich in diesem Fall der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit dar in den +Proportionen: + +6 Stunden Mehrarbeit + +_ + +Mehrwerth von 3 sh. + +_ ^ ^ + +6 Stunden nothwendige Arbeit Variables Kapital von 3 sh. + +Nach den Formeln II) erhalten wir dagegen: +6 Stunden Mehrarbeit + +Mehrwerth von 3 sh. + +Arbeitstag von 12 Stunden Werthprodukt von 6 sh. + += 50%. + +20 + +Diese abgeleiteten Formeln drücken in der That die Proportion aus, wor- +in der Arbeitstag oder sein Werthprodukt sich zwischen Kapitalist und Ar- +beiter theilt. Gelten sie daher als unmittelbare Ausdrücke des Selbstver- +werthungsgrades des Kapitals, so gilt das falsche Gesetz: die Mehrarbeit 25 +oder der Mehrwerth kann nie 100 % erreichen 1 7). Da die Mehrarbeit stets + +1 7 ) So z.B. in: „Dritter Brief an v. Kirchmann von Rodbertus. Widerlegung der Ricardo'schen +Theorie von der Grundrente und Begründung einer neuen Rententheorie. Berlin 1851". Ich +komme später auf diese Schrift zurück, die trotz ihrer falschen Theorie von der Grundrente +das Wesen der kapitalistischen Produktion durchschaut. - (Zusatz zur 3. Aufl. - Man sieht 30 +hier, wie wohlwollend Marx seine Vorgänger beurtheilte, sobald er bei ihnen einen wirklichen +Fortschritt, einen richtigen neuen Gedanken fand. Inzwischen hat die Veröffentlichung der +Rodbertus'schen Briefe an Rud. Meyer obige Anerkennung einigermaßen eingeschränkt. Da +heißt es: „Man muß das Kapital nicht bloß vor der Arbeit, sondern auch vor sich selbst retten, +und das geschieht in der That am besten, wenn man die Thätigkeit des Unternehmer-Kapitali- 35 +sten als volks- und staatswirthschaftliche Funktionen auffaßt, die ihm durch das Kapitaleigen- +thum delegirt sind, und seinen Gewinn als eine Gehaltsform, weil wir noch keine andre so- +ciale Organisation kennen. Gehälter dürfen aber geregelt werden und auch ermäßigt, wenn sie +dem Lohn zu viel nehmen. So ist auch der Einbruch von Marx in die Gesellschaft - so +möchte ich sein Buch nennen - abzuwehren. ... Ueberhaupt ist das Marx'sche Buch nicht so- 40 +wohl eine Untersuchung über das Kapital als eine Polemik gegen die heutige Kapitalform, die + +476 + + Sechzehntes Kapitel · Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts + +nur einen aliquoten Theil ||495| des Arbeitstags oder der Mehrwerth stets + +nur einen aliquoten Theil des Werthprodukts bilden kann, ist die Mehrar- + +beit nothwendiger Weise stets kleiner als der Arbeitstag oder der Mehr- + +werth stets kleiner als das Werthprodukt. Um sich zu verhalten wie -y|jjj-, + +5 müßten sie aber gleich sein. Damit die Mehrarbeit den ganzen Arbeitstag +absorbire (es handelt sich hier um den Durchschnittstag der Arbeitswoche, +des Arbeitsjahrs u. s. w.), müßte die nothwendige Arbeit auf Null sinken. +Verschwindet aber die nothwendige Arbeit, so verschwindet auch die +Mehrarbeit, da letztre nur eine Funktion der erstem. Die Proportion +Mehrarbeit +Λ + +Mehrwerth + +,. ^ + +100 + +Λ + +. + +Λ + +TT7 kann also niemals die Grenze (cid:2)τζττ errei(cid:5) + +10 + +'j(cid:2)j(cid:2)—= λλτ + +Α 1(cid:5) +Arbeitstag Werthprodukt + +,1 + +100 + +chen und noch weniger auf + +Q X steigen. Wohl aber die Rate des Mehr- + +werths oder der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit. Nimm z.B. die + +Schätzung des Herrn L. de Lavergne, wonach der englische Ackerbauarbei- + +ter nur + +der Kapitalist (Pächter) dagegen % des Produkts 1 8) oder seines +15 Werths erhält, wie die Beute sich immer zwischen Kapitalist und Grundei- +genthümer u. s. w. nachträglich weiter vertheile. Die Mehrarbeit des engli- +schen Landarbeiters verhält sich danach zu seiner nothwendigen Arbeit += 3:1, ein Prozentsatz der Exploitation von 300%. + +Die Schulmethode, den Arbeitstag als konstante Größe zu behandeln, +20 wurde durch Anwendung der Formeln II) befestigt, weil man hier die +Mehrarbeit stets mit einem Arbeitstag von gegebner Größe vergleicht. +Ebenso, wenn die Theilung des Werthprodukts ausschließlich in's Auge ge- +faßt wird. Der Arbeitstag, der sich bereits in einem Werthprodukt vergegen- +ständlicht hat, ist stets ein Arbeitstag von gegebenen Grenzen. + +25 + +30 + +Die Darstellung von Mehrwerth und Werth der Arbeitskraft als +| +|496| Bruchtheilen des Werthprodukts - eine Darstellungsweise, die übri- +gens aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und deren +Bedeutung sich später erschließen wird - versteckt den specifîschen Cha- +rakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch des variablen Kapi- +tals mit der lebendigen Arbeitskraft und den entsprechenden Ausschluß +des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche Schein eines Äs- + +er mit dem Kapitalbegriff selbst verwechselt, woraus eben seine Irrthümer entstehn." („Briefe +etc. von Dr.Rodbertus-Jagetzow, herausgg. von Dr.Rud.Meyer, Berlin 1881", I.Bd. p . l l l , 48. +Brief von Rodbertus.) - In solchen ideologischen Gemeinplätzen versanden die in der That + +35 kühnen Anläufe der R.'sehen „sozialen Briefe". D.H.) + +1 8 ) Der Theil des Produkts, der nur das ausgelegte konstante Kapital ersetzt, ist bei dieser +Rechnung selbstverständlich abgezogen. - Herr L. de Lavergne, blinder Bewunderer Eng- +lands, gibt eher zu niedriges als zu hohes Verhältniß. + +477 + + Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts + +sociationsverhältnisses, worin Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach +dem Verhältniß seiner verschiednen Bildungsfaktoren theilen 1 9). + +Uebrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I rückverwandelbar. + +__ Λ +Haben wir z. B. + +^ Mehrarbeit von 6 Stunden +. +Arbeitstag von 12 Stunden + +A + +, + +_ +Γ Γ (cid:16) Τ Γ : — ζ — , so ist die nothwendige Ar(cid:5) + +,. + +, + +. + +beitszeit = Arbeitstag von zwölf Stunden minus Mehrarbeit von sechs +„ +Stunden, und so ergibt sich: rrr— + +Mehrarbeit von 6 Stunden +τ—τ— +Nothwendige Arbeit von 6 Stunden + +100 +TTr4.—ι— = TKTT +100 + +. Λ + +— + +Λ + +· + +Eine dritte Formel, die ich gelegentlich schon anticipirt habe, ist: +III) + +Werth der Arbeitskraft Nothwendige Arbeit + +Mehrarbeit + +Mehrwerth + +Unbezahlte Arbeit +Bezahlte Arbeit + +_ +Das Mißverstandniß, wozu die Formel — — — — — — verleiten 10 + +, Unbezahlte Arbeit + +, . ^ + +^ r , n + +Λ . n + +. . + +Bezahlte Arbeit + +könnte, als zahle der Kapitalist die Arbeit und nicht die Arbeitskraft, fällt + +« + +Λ + +„ + +, + +. ΛΛ + +n + +Unbezahlte Arbeit . + +nach der früher gegebenen Entwicklung fort. + +g e + +z + +a ^ e Arbeit + +1 + +n + +u + +r + +populärer Ausdruck für M ^ r a i " D ^ h ; + +r Kapitalist zahlt den Werth, + +D e + +Nothw. Arbeit + +resp. davon abweichenden Preis der Arbeitskraft, und erhält im Austausch +die Verfügung über die lebendige Arbeitskraft selbst. Seine Nutznießung 15 +dieser Arbeitskraft zerfällt in zwei Perioden. Während der einen Periode +producirt der Arbeiter nur einen Werth = Werth seiner Arbeitskraft, also +nur ein Aequivalent. Für den vorgeschoßnen Preis der Arbeitskraft erhält +so der Kapitalist ein Produkt vom selben Preis. Es ist, als ob er das Produkt +fertig auf dem Markt gekauft hätte. ||497| In der Periode der Mehrarbeit da- 20 +gegen bildet die Nutznießung der Arbeitskraft Werth für den Kapitalisten, +ohne ihm einen Werthersatz zu kosten 2 0). Er hat diese Flüssigmachung der +Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn kann die Mehrarbeit unbezahlte Ar- +beit heißen. + +Das Kapital ist also nicht nur Kommando über Arbeit, wie A. Smith sagt. 25 + +Es ist wesentlich Kommando über unbezahlte Arbeit. Aller Mehrwerth, in +welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente u.s.w. er sich später kry- +1 9 ) Da alle entwickelten Formen des kapitalistischen Produktionsprocesses Formen der Ko- +operation sind, ist natürlich nichts leichter, als von ihrem specifisch antagonistischen Charak- +ter zu abstrahiren und sie so in freie Associationsformen umzufabeln, wie in des Grafen A. de +Laborde: „De l'Esprit de l'Association dans tous les intérêts de la Communauté. Paris 1818". +Der Yankee H. Carey bringt dieß Kunststück mit demselben Erfolg gelegentlich selbst für die +Verhältnisse des Sklavensystems fertig. +2 0 ) Obgleich die Physiokraten das Geheimniß des Mehrwerths nicht durchschauten, war +ihnen doch so viel klar, daß er ,,une richesse indépendante et disponible, qu'il (der Besitzer 35 +davon) n'a point achetée et qu'il vend." (Turgot: ,,Réflexions sur la Formation et la Distribu- +tion des Richesses", p. 11.) + +30 + +478 + + Siebzehntes Kapitel · Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn + +stallisire, ist seiner Substanz nach Materiatur unbezahlter Arbeitszeit. Das +Geheimniß von der Selbstverwerthung des Kapitals löst sich auf in seine +Verfügung über ein bestimmtes Quantum unbezahlter fremder Arbeit. + +S E C H S T E R A B S C H N I T T . + +Der Arbeitslohn. + +S I E B Z E H N T E S K A P I T E L . + +Verwandlung von Werth, resp. Preis +der Arbeitskraft in Arbeitslohn. + +Auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft erscheint der Lohn des +10 Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein +bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird. Man spricht hier vom Werth der +Arbeit und nennt seinen Geldausdruck ihren nothwendigen oder natürli- +chen Preis. Man spricht andrerseits von Marktpreisen der Arbeit, d.h. über +oder unter ihrem nothwendigen Preis oscillirenden Preisen. + +15 + +Aber was ist der Werth einer Waare? Gegenständliche Form der in ihrer +Produktion verausgabten gesellschaftlichen Arbeit. Und wodurch messen +wir die Größe ihres Werths? Durch die Größe der in ihr enthaltnen Arbeit. +Wodurch wäre also der Werth z.B. eines zwölfstündigen Arbeitstags be- +stimmt? Durch die in einem Arbeitstag von 12 Stunden enthaltnen 12 Ar- + +20 beitsstunden, was eine abgeschmackte Tautologie i s t 2 1 ) . | + +|498| Um als Waare auf dem Markt verkauft zu werden, müßte die Arbeit +jedenfalls existiren, bevor sie verkauft wird. Könnte der Arbeiter ihr aber + +25 + +2 i ) «Mr. Ricardo, ingeniously enough, avoids a difficulty which, on a first view, threatens to +encumber his doctrine, that value depends on the quantity of labour employed in production. +If this principle is rigidly adhered to, it follows that the value of labour depends on the quan- +tity of labour employed in producing it—which is evidently absurd. By a dexterous turn, +therefore, Mr. Ricardo makes the value of labour depend on the quantity of labour required to +produce wages; or, to give him the benefit of his own language, he maintains, that the value of +labour is to be estimated by the quantity of labour required to produce wages; by which he +30 means the quantity of labour required to produce the money or commodities given to the la- +bourer. This is similar to saying, that the value of cloth is estimated, not by the quantity of la- +bour bestowed on its production, but by the quantity of labour bestowed on the production of +the silver, for which the cloth is exchanged." („A Critical Dissertation on the Nature etc. of +Value", p. 50, 51.) + +479 + + Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn + +eine selbständige Existenz geben, so würde er Waare verkaufen und nicht +Arbeit 2 2). + +5 + +Von diesen Widersprüchen abgesehn, würde ein direkter Austausch von +Geld, d.h. vergegenständlichter Arbeit, mit lebendiger Arbeit entweder das +Werthgesetz aufheben, welches sich grade erst auf Grundlage der kapitali- +stischen Produktion frei entwickelt, oder die kapitalistische Produktion +selbst aufheben, welche grade auf der Lohnarbeit beruht. Der Arbeitstag +von 12 Stunden stellt sich z.B. in einem Geldwerth von 6 sh. dar. Entweder +werden Aequivalente ausgetauscht, und dann erhält der Arbeiter für zwölf- +stündige Arbeit 6 sh. Der Preis seiner Arbeit wäre gleich dem Preis seines 10 +Produkts. In diesem Fall producirte er keinen Mehrwerth für den Käufer +seiner Arbeit, die 6 sh. verwandelten sich nicht in Kapital, die Grundlage +der kapitalistischen Produktion verschwände, aber grade auf dieser Grund- +lage verkauft er seine Arbeit und ist seine Arbeit Lohnarbeit. Oder er erhält +für 12 Stunden Arbeit weniger als 6 sh., d.h. weniger als 12 Stunden Arbeit. 15 +Zwölf Stunden Arbeit tauschen sich aus gegen 10, 6 u.s.w. Stunden Arbeit. +Diese Gleichsetzung ungleicher Größen hebt nicht nur die Werthbestim- +mung auf. Ein solcher sich selbst aufhebender Widerspruch kann über- +haupt nicht als Gesetz auch nur ausgesprochen oder formulirt werden 2 3). | + +|499| Es nützt nichts, den Austausch von mehr gegen weniger Arbeit aus 20 + +dem Formunterschied herzuleiten, daß sie das einemal vergegenständlicht, +das andremal lebendig i s t 2 4 ) . Dieß ist um so abgeschmackter, als der Werth +einer Waare nicht durch das Quantum wirklich in ihr vergegenständlichter, +sondern durch das Quantum der zu ihrer Produktion nothwendigen leben- +digen Arbeit bestimmt wird. Eine Waare stelle 6 Arbeitsstunden dar. Wer- 25 +den Erfindungen gemacht, wodurch sie in 3 Stunden producirt werden +kann, so sinkt der Werth auch der bereits producirten Waare um die +Hälfte. Sie stellt jetzt 3 statt früher 6 Stunden nothwendige gesellschaftli- + +2 2 ) "If you call labour a commodity, it is not like a commodity which is first produced in or- +der to exchange, and then brought to market where it must exchange with other commodities 30 +according to the respective quantities of each which there may be at the market in the time; +labour is created at the moment it is brought to market; nay, it is brought to market before it +is created." (,,Observations on some verbal disputes etc.", p. 75, 76.) +2 3 ) "Treating Labour as a commodity, and Capital, the produce of labour, as another, then, if +the values of those two commodities were regulated by equal quantities of labour, a given 35 +amount of labour would .... exchange for that quantity of capital which had been produced by +the same amount of labour; antecedent labour would .... exchange for the same amount as +present labour. But the value of labour, in relation to other commodities ... is determined not +by equal quantities of labour." (E.G.Wakefield in s. Edit, von A. Smith's ,,Wealth of Nations, +Lond. 1835", v.l., p.230, 231 Note.) +2 4 ) «Il a fallu convenir (auch eine Ausgabe des ,,contrat social") que toutes les fois qu'il +échangerait du travail fait contre du travail à faire, le dernier (le capitaliste) aurait une valeur +supérieure au premier (le travailleur).» (Simonde (i. e. Sismondi): „De la Richesse Commer- +ciale. Genève 1803", t.I, p. 37.) + +40 + +480 + + Siebzehntes Kapitel • Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn + +che Arbeit dar. Es ist also das zu ihrer Produktion erheischte Quantum Ar- +beit, nicht deren gegenständliche Form, wodurch ihre Werthgröße be- +stimmt wird. + +5 + +Was dem Geldbesitzer auf dem Waarenmarkt direkt gegenübertritt, ist +in der That nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist +seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits auf- +gehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden. +Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Maß der Werthe, aber sie +selbst hat keinen W e r t h 2 5 ) . + +10 + +Im Ausdruck: „Werth der Arbeit" ist der Werthbegriff nicht nur völlig +ausgelöscht sondern in sein Gegentheil verkehrt. Es ist ein imaginärer Aus- +druck wie etwa Werth der Erde. Diese imaginären Ausdrücke entspringen +jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie sind Kategorien für Er- +scheinungsformen wesentlicher Verhältnisse. Daß in der Erscheinung die +15 Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften be- + +kannt, außer in der politischen Oekonomie 2 6). | + +|500| Die klassische politische Oekonomie entlehnte dem Alltagsleben +ohne weitere Kritik die Kategorie „Preis der Arbeit", um sich dann hinter- +her zu fragen, wie wird dieser Preis bestimmt? Sie erkannte bald, daß der +20 Wechsel im Verhältniß von Nachfrage und Angebot für den Preis der Ar- +beit, wie für den jeder andren Waare, nichts erklärt außer seinem Wechsel, +d.h. die Schwankung der Marktpreise unter oder über eine gewisse Größe. +Decken sich Nachfrage und Angebot, so hört, unter sonst gleichbleibenden +Umständen, die Preisoscillation auf. Aber dann hören auch Nachfrage und +25 Angebot auf, irgend etwas zu erklären. Der Preis der Arbeit, wenn Nach- +frage und Angebot sich decken, ist ihr vom Verhältniß der Nachfrage und + +2 5 ) "Labour, the exclusive Standard of value ... the creator of all wealth, no commodity." +(Th.Hodgskin I.e. p. 186.) +2 6 ) Solche Ausdrücke dagegen für bloße licentia poetica zu erklären, zeigt nur die Ohnmacht +30 der Analyse. Gegen Proudhon's Phrase: «Le travail est dit valoir, non pas en tant que mar- +chandise lui-même, mais en vue des valeurs qu'on suppose renfermées puissanciellement en +lui. La valeur du travail est une expression figurée etc.» bemerke ich daher: «Dans le travail- +marchandise, qui est d'une réalité effrayante, il ne voit qu'une ellipse grammaticale. Donc +toute la société actuelle, fondée sur le travail marchandise, est désormais fondée sur une Ii- +35 cence poétique, sur une expression figurée. La société veut-elle < éliminer tous les inconvé- +nients), qui la travaillent, eh bien! qu'elle élimine les termes malsonnants, qu'elle change de +langage, et pour cela elle n'a qu'à s'adresser à l'Académie pour lui demander une nouvelle +édition do son dictionnaire.» (K. Marx: ,,Misère de la Philosophie", p. 34, 35.) Noch bequemer +ist es natürlich, sich unter Werth gar nichts zu denken. Man kann dann ohne Umstände alles +40 unter diese Kategorie subsumiren. So z. B. J. B. Say. Was ist ,,valeur"? Antwort: «C'est ce +qu'une chose vaut», und was ist ,,prix"? Antwort: «La valeur d'une chose exprimée en mon- +naie.» Und warum hat ,,le travail de la terre ... une valeur? Parce qu'on y met un prix". Also +Werth ist, was ein Ding werth ist, und die Erde hat einen „Werth", weil man ihren Werth „in +Geld ausdrückt". Dieß ist jedenfalls eine sehr einfache Methode, sich über das why und + +45 wherefore der Dinge zu verständigen. + +481 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +5 + +Angebot unabhängig bestimmter, ihr natürlicher Preis, der so als der +eigentlich zu analysirende Gegenstand gefunden ward. Oder man nahm +eine längere Periode der Schwankungen des Marktpreises, z.B. ein Jahr, +und fand dann, daß sich ihr Auf und Ab ausgleicht zu einer mittlem +Durchschnittsgröße, einer konstanten Größe. Sie mußte natürlich anders +bestimmt werden als die sich kompensirenden Abweichungen von ihr +selbst. Dieser über die zufälligen Marktpreise der Arbeit übergreifende und +sie regulirende Preis, der „nothwendige Preis" (Physiokraten) oder „natürli- +che Preis" der Arbeit (Adam Smith) kann, wie bei andren Waaren, nur ihr +in Geld ausgedrückter Werth sein. In dieser Art glaubte die politische 10 +Oekonomie durch die zufälligen Preise der Arbeit zu ihrem Werth vorzu- +dringen. Wie bei den andren Waaren wurde dieser Werth dann weiter +durch die Produktionskosten bestimmt. Aber was sind die Pro||501|duk- +tionskosten - des Arbeiters, d. h. die Kosten, um den Arbeiter selbst zu +produciren oder zu reproduciren? Diese Frage schob sich der politischen 15 +Oekonomie bewußtlos für die ursprüngliche unter, da sie mit den Produk- +tionskosten der Arbeit als solcher sich im Kreise drehte und nicht vom +Flecke kam. Was sie also Werth der Arbeit (value of labour) nennt, ist in +der That der Werth der Arbeitskraft, die in der Persönlichkeit des Arbeiters +existirt, und von ihrer Funktion, der Arbeit, ebenso verschieden ist, wie 20 +eine Maschine von ihren Operationen. Beschäftigt mit dem Unterschied +zwischen den Marktpreisen der Arbeit und ihrem sog. Werth, mit dem Ver- +hältniß dieses Werths zur Profitrate, zu den vermittelst der Arbeit producir- +ten Waarenwerthen u.s.w., entdeckte man niemals, daß der Gang der Ana- +lyse nicht nur von den Marktpreisen der Arbeit zu ihrem vermeintlichen 25 +Werth, sondern dahin geführt hatte, diesen Werth der Arbeit selbst wieder +aufzulösen in den Werth der Arbeitskraft. Die Bewußtlosigkeit über dieß +Resultat ihrer eignen Analyse, die kritiklose Annahme der Kategorien +„Werth der Arbeit", „natürlicher Preis der Arbeit" u.s.w. als letzter adäqua- +ter Ausdrücke des behandelten Werthverhältnisses, verwickelte, wie man 30 +später sehn wird, die klassische politische Oekonomie in unauflösbare Wir- +ren und Widersprüche, während sie der Vulgärökonomie eine sichere Ope- +rationsbasis für ihre principiell nur dem Schein huldigende Flachheit bot. + +Sehn wir nun zunächst, wie Werth und Preise der Arbeitskraft sich in + +ihrer verwandelten Form als Arbeitslohn darstellen. + +35 + +Man weiß, daß der Tageswerth der Arbeitskraft berechnet ist auf eine ge- +wisse Lebensdauer des Arbeiters, welcher eine gewisse Länge des Arbeits- +tags entspricht. Nimm an, der gewohnheitsmäßige Arbeitstag betrage +12 Stunden und der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., der Geldausdruck +eines Werths, worin sich 6 Arbeitsstunden darstellen. Erhält der Arbeiter 40 +3 sh., so erhält er den Werth seiner während 12 Stunden funktionirenden + +482 + + Siebzehntes Kapitel • Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn + +Arbeitskraft. Wird nun dieser Tageswerth der Arbeitskraft als Werth der +Tagesarbeit ausgedrückt, so ergibt sich die Formel: Die zwölfstündige Ar- +beit hat einen Werth von 3 sh. Der Werth der Arbeitskraft bestimmt so den +Werth der Arbeit oder, in Geld ausgedrückt, ihren nothwendigen Preis. +5 Weicht dagegen der Preis der Arbeitskraft von ihrem Werth ab, so ebenfalls + +der Preis der Arbeit von ihrem sog. Werth. + +Da der Werth der Arbeit nur ein irrationeller Ausdruck für ||502| den +Werth der Arbeitskraft, ergibt sich von selbst, daß der Werth der Arbeit +stets kleiner sein muß als ihr Werthprodukt, denn der Kapitalist läßt die +10 Arbeitskraft stets länger funktioniren als zur Reproduktion ihres eignen +Werths nöthig ist. Im obigen Beispiel ist der Werth der während 12 Stun- +den funktionirenden Arbeitskraft 3 sh., ein Werth, zu dessen Reproduktion +sie 6 Stunden braucht. Ihr Werthprodukt ist dagegen 6 sh., weil sie in der +That während 12 Stunden funktionirt, und ihr Werthprodukt nicht von +ihrem eignen Werthe, sondern von der Zeitdauer ihrer Funktion abhängt. +Man erhält so das auf den ersten Blick abgeschmackte Resultat, daß Ar- +beit, die einen Werth von 6 sh. schafft, einen Werth von 3 sh. besitzt 2 7). + +15 + +25 + +Man sieht ferner: der Werth von 3 sh., worin sich der bezahlte Theil des +Arbeitstags, d. h. sechsstündige Arbeit darstellt, erscheint als Werth oder +20 Preis des Gesammtarbeitstags von 12 Stunden, welcher 6 unbezahlte Stun- +den enthält. Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Theilung +des Arbeitstags in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und un- +bezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der +Frohnarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinn- +lieh, die Arbeit des Fröhners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den +Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Theil des Arbeits- +tags, worin der Sklave nur den Werth seiner eignen Lebensmittel ersetzt, +den er in der That also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Mei- +ster. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit 2 8). Bei der Lohnar- +30 beit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als +bezahlt. Dort verbirgt das Eigenthumsverhältniß das Fürsichselbstarbeiten +des Sklaven, hier das Geldverhältniß das Umsonstarbeiten des Lohnarbei- +ters. + +35 + +2 7 ) Vgl. „Zur Kritik der politischen Oekonomie", p. 40, wo ich ankündige, daß bei Betrach- +tung des Kapitals das Problem gelöst werden soll: „Wie führt Produktion auf Basis des durch +bloße Arbeitszeit bestimmten Tauschwerths zum Resultat, daß der Tauschwerth der Arbeit +kleiner ist als der Tauschwerth ihres Produkts?" +2 8 ) Der Morning Star, ein bis zur Albernheit naives Londoner Freihandelsorgan, betheuerte +während des amerikanischen Bürgerkriegs wieder und wieder mit aller menschenmöglichen +40 moralischen Entrüstung, daß die Neger in den ,,Confederate States" ganz umsonst arbeiteten. +Es hätte gefälligst die Tageskosten eines solchen Negers mit denen des freien Arbeiters im +East End von London z.B. vergleichen sollen. + +483 + + Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn + +Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von +Werth und Preis der Arbeitskraft in die Form des ||503| Arbeitslohns oder +in Werth und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das +wirkliche Verhältniß unsichtbar macht und grade sein Gegentheil zeigt, be- +ruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle My- +stificationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillu- +sionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie. + +5 + +Braucht die Weltgeschichte viele Zeit, um hinter das Geheimniß des Ar- +beitslohns zu kommen, so ist dagegen nichts leichter zu verstehn als die +Nothwendigkeit, die raisons d'être dieser Erscheinungsform. + +10 + +Der Austausch zwischen Kapital und Arbeit stellt sich der Wahrneh- +mung zunächst ganz in derselben Art dar wie der Kauf und Verkauf aller +andren Waaren. Der Käufer gibt eine gewisse Geldsumme, der Verkäufer +einen von Geld verschiednen Artikel. Das Rechtsbewußtsein erkennt hier +höchstens einen stofflichen Unterschied, der sich ausdrückt in den recht- 15 +lieh äquivalenten Formeln: Do ut des, do ut facias, facio ut des und facio +ut facias. + +Ferner: da Tauschwerth und Gebrauchswerth an und für sich inkom- +mensurable Größen sind, so scheint der Ausdruck: „Werth der Arbeit", +„Preis der Arbeit", nicht irrationeller als der Ausdruck „Werth der Baum- 20 +wolle", „Preis der Baumwolle". Es kommt hinzu, daß der Arbeiter gezahlt +wird, nachdem er seine Arbeit geliefert hat. In seiner Funktion als Zah- +lungsmittel realisirt das Geld aber nachträglich den Werth oder Preis des +gelieferten Artikels, also im gegebnen Fall den Werth oder Preis der gelie- +ferten Arbeit. Endlich ist der „Gebrauchswerth", den der Arbeiter dem Ka- 25 +pitalisten liefert, in der That nicht seine Arbeitskraft, sondern ihre Funk- +tion, eine bestimmte nützliche Arbeit, Schneiderarbeit, Schusterarbeit, +Spinnarbeit u.s.w. Daß dieselbe Arbeit nach einer andren Seite hin allge- +meines werthbildendes Element ist, eine Eigenschaft, wodurch sie sich von +allen andren Waaren unterscheidet, fällt außerhalb des Bereichs des ge- 30 +wohnlichen Bewußtseins. + +Stellen wir uns auf den Standpunkt des Arbeiters, der für zwölfstündige +Arbeit z.B. das Werthprodukt sechsstündiger Arbeit erhält, sage 3 sh., so ist +für ihn in der That seine zwölfstündige Arbeit das Kaufmittel der 3 sh. Der +Werth seiner Arbeitskraft mag variiren mit dem Werth seiner gewohnheits- 35 +mäßigen Lebensmittel von 3 auf 4 sh. oder von 3 auf 2 sh., oder bei gleich- +bleibendem Werth seiner Arbeitskraft mag ihr Preis, in Folge wechselnden +Verhältnisses von Nachfrage und Angebot, auf 4 sh. ||504| steigen oder auf +2 sh. fallen, er gibt stets 12 Arbeitsstunden. Jeder Wechsel in der Größe des +Aequivalents, das er erhält, erscheint ihm daher nothwendig als Wechsel 40 +im Werth oder Preis seiner 12 Arbeitsstunden. Dieser Umstand verleitete + +484 + + Siebzehntes Kapitel • Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn + +umgekehrt Adam Smith, der den Arbeitstag als eine konstante Größe be- +handelt 2 9), zur Behauptung, der Werth der Arbeit sei konstant, obgleich +der Werth der Lebensmittel wechsle und derselbe Arbeitstag sich daher in +mehr oder weniger Geld für den Arbeiter darstelle. + +5 + +Nehmen wir andrerseits den Kapitalisten, so will er zwar möglichst viel +Arbeit für möglichst wenig Geld erhalten. Praktisch interessirt ihn daher +nur die Differenz zwischen dem Preis der Arbeitskraft und dem Werth den +ihre Funktion schafft. Aber er sucht alle Waare möglichst wohlfeil zu kau- +fen und erklärt sich überall seinen Profit aus der einfachen Prellerei, dem +10 Kauf unter und dem Verkauf über dem Werth. Er kommt daher nicht zur +Einsicht, daß, wenn so ein Ding wie Werth der Arbeit wirklich existirte, +und er diesen Werth wirklich zahlte, kein Kapital existiren, sein Geld sich +nicht in Kapital verwandeln würde. + +20 + +Zudem zeigt die wirkliche Bewegung des Arbeitslohns Phänomene, die +15 zu beweisen scheinen, daß nicht der Werth der Arbeitskraft bezahlt wird, +sondern der Werth ihrer Funktion, der Arbeit selbst. Diese Phänomene +können wir auf zwei große Klassen zurückführen. Erstens: Wechsel des Ar- +beitslohns mit wechselnder Länge des Arbeitstags. Man könnte eben so +wohl schließen, daß nicht der Werth der Maschine, sondern der ihrer Ope- +ration bezahlt wird, weil es mehr kostet, eine Maschine für eine Woche als +für einen Tag zu dingen. Zweitens: Der individuelle Unterschied in den +Arbeitslöhnen verschiedner Arbeiter, welche dieselbe Funktion verrichten. +Diesen individuellen Unterschied findet man, aber ohne Anlaß zu Illusio- +nen, auch im System der Sklaverei, wo frank und frei, ohne Schnörkel, die +25 Arbeitskraft selbst verkauft wird. Nur fällt der Vortheil einer Arbeitskraft, +die über dem Durchschnitt, oder der Nachtheil einer Arbeitskraft, die un- +ter dem Durchschnitt steht, im Sklavensystem dem Sklaveneigner zu, im +System der Lohnarbeit dem Arbeiter selbst, weil seine Arbeitskraft in dem +einen Fall von ihm selbst, in dem andern von einer dritten Person verkauft + +30 wird. I + +35 + +15051 Uebrigens gilt von der Erscheinungsform, „Werth und Preis der Ar- +beit" oder „Arbeitslohn", im Unterschied zum wesentlichen Verhältniß, +welches erscheint, dem Werth und Preis der Arbeitskraft, dasselbe, was von +allen Erscheinungsformen und ihrem verborgnen Hintergrund. Die erste- +ren reproduciren sich unmittelbar, spontan, als gang und gäbe Denkformen, +der andre muß durch die Wissenschaft erst entdeckt werden. Die klassische +politische Oekonomie stößt annähernd auf den wahren Sachverhalt, ohne +ihn jedoch bewußt zu formuliren. Sie kann das nicht, so lange sie in ihrer +bürgerlichen Haut steckt. + +40 + +2 9 ) A. Smith spielt nur zufällig auf die Variation des Arbeitstags an bei Gelegenheit des +Stücklohns. + +485 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +A C H T Z E H N T E S K A P I T E L . + +Der Zeitlohn. + +Der Arbeitslohn nimmt selbst wieder sehr mannigfaltige Formen an, ein +Umstand, nicht erkennbar aus den ökonomischen Kompendien, die in +ihrer brutalen Interessirtheit für den Stoff jeden Formunterschied vernach- +lässigen. Eine Darstellung aller dieser Formen gehört jedoch in die spe- +cielle Lehre von der Lohnarbeit, also nicht in dieses Werk. Dagegen sind +die zwei herrschenden Grundformen hier kurz zu entwickeln. + +Der Verkauf der Arbeitskraft findet, wie man sich erinnert, stets für be- +stimmte Zeitperioden statt. Die verwandelte Form, worin der Tageswerth, +Wochenwerth u. s. w. der Arbeitskraft sich unmittelbar darstellt, ist daher +die des „Zeitlohns", also Tageslohn u. s. w. + +5 + +10 + +Es ist nun zunächst zu bemerken, daß die im fünfzehnten Kapitel darge- +stellten Gesetze über den Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und +Mehrwerth sich durch einfache Formveränderung in Gesetze des Arbeits- 15 +lohns verwandeln. Ebenso erscheint der Unterschied zwischen dem +Tauschwerth der Arbeitskraft und der Masse der Lebensmittel, worin sich +dieser Werth umsetzt, jetzt als Unterschied von nominellem und reellem +Arbeitslohn. Es wäre nutzlos, in der Erscheinungsform zu wiederholen, was +in der wesentlichen Form bereits entwickelt. Wir beschränken uns daher 20 +auf wenige, den Zeitlohn charakterisirende Punkte. + +Die Geldsumme 3 0), die der Arbeiter für seine Tagesarbeit, Wochenarbeit +u.s.w. erhält, bildet den Betrag seines nominellen ||506| oder dem Werth +nach geschätzten Arbeitslohns. Es ist aber klar, daß je nach der Länge des +Arbeitstags, also je nach der täglich von ihm gelieferten Quantität Arbeit, 25 +derselbe Tageslohn, Wochenlohn u.s.w. einen sehr verschiednen Preis der +Arbeit d. h. sehr verschiedne Geldsummen für dasselbe Quantum Arbeit +darstellen kann 3 1). Man muß also bei dem Zeitlohn wieder unterscheiden +zwischen Gesammtbetrag des Arbeitslohns, Taglohns, Wochenlohns u.s.w. +und Preis der Arbeit. Wie nun diesen Preis finden, d. h. den Geldwerth 30 +eines gegebnen Quantums Arbeit? Der durchschnittliche Preis der Arbeit +ergibt sich, indem man den durchschnittlichen Tageswerth der Arbeitskraft +durch die Stundenzahl des durchschnittlichen Arbeitstags dividirt. Ist z . B . + +3 0 ) Der Geldwerth selbst wird hier immer als konstant vorausgesetzt. +3 1 ) "The price of labour is the sum paid for a given quantity of labour." (Sir Edward West: 35 +,,Price of Corn and Wages of Labour. Lond. 1826", p. 67.) West ist der Verfasser der in der Ge- +schichte der politischen Oekonomie epochemachenden anonymen Schrift: „Essay on the Ap- +plication of Capital to Land. By a Fellow of Univ. College of Oxford. Lond. 1815". + +486 + + Achtzehntes Kapitel • Der Zeitlohn + +der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., das Werthprodukt von 6 Arbeitsstun- +den, und ist der Arbeitstag zwölfstündig, so ist der Preis einer Arbeits- + +3 sh. + +stunde = + +' = 3 d. Der so gefundene Preis der Arbeitsstunde dient als + +Einheitsmaß für den Preis der Arbeit. + +5 + +Es folgt daher, daß der Taglohn, Wochenlohn u. s. w. derselbe bleiben +kann, obgleich der Preis der Arbeit fortwährend sinkt. War z . B . der ge- +wohnheitsmäßige Arbeitstag 10 Stunden und der Tageswerth der Arbeits- +kraft 3 sh., so betrug der Preis der Arbeitsstunde 3¾ d.; er sinkt auf 3 d., +sobald der Arbeitstag zu 12 Stunden, und [auf] 2% d., sobald er zu +10 15 Stunden steigt. Tages- oder Wochenlohn bleiben trotzdem unver��ndert. +Umgekehrt kann der Taglohn oder Wochenlohn steigen, obgleich der Preis +der Arbeit konstant bleibt oder selbst sinkt. War z . B . der Arbeitstag zehn- +stündig und ist der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., so der Preis einer Ar- +beitsstunde 3¾ d. Arbeitet der Arbeiter in Folge zunehmender Beschäfti- +15 gung und bei gleichbleibendem Preise der Arbeit 12 Stunden, so steigt sein +Tageslohn nun auf 3 sh. 1% d. ohne Variation im Preise der Arbeit. Das- +selbe Resultat könnte herauskommen, wenn statt der extensiven Größe der +Arbeit ihre intensive Größe zunähme 3 2). Steigen des nominellen Tages- | +|507| oder Wochenlohns mag daher begleitet sein von gleichbleibendem +20 oder sinkendem Preis der Arbeit. Dasselbe gilt von der Einnahme der Ar- +beiterfamilie, sobald das vom Familienhaupt gelieferte Arbeitsquantum +durch die Arbeit der Familienglieder vermehrt wird. Es gibt also von der +Schmälerung des nominellen Tages- oder Wochenlohns unabhängige Me- +thoden zur Herabsetzung des Preises der Arbeit 3 3). + +25 + +Als allgemeines Gesetz aber folgt: Ist die Quantität der Tages-, Wochen- +arbeit u. s. w. gegeben, so hängt der Tages- oder Wochenlohn vom Preise + +35 + +3 2 ) "The wages of labour depend upon the price of labour and the quantity of labour per- +formed ... An increase in the wages of labour does not necessarily imply an enhancement of +the price of labour. From fuller employment, and greater exertions, the wages of labour may +30 be considerably increased, while the price of labour may continue the same." (West I.e. p. 67, +68 u. 112.) Die Hauptfrage: wie wird der ,,price of labour" bestimmt? fertigt West übrigens mit +banalen Redensarten ab. +3 3 ) Dieß fühlt der fanatischste Vertreter der industriellen Bourgeoisie des 18. Jahrhunderts, +der oft von uns citirte Verfasser des „Essay on Trade and Commerce" richtig heraus, obgleich +er die Sache konfus darstellt: "It is the quantity of labour and not the price of it (versteht dar- +unter den nominellen Tages- oder Wochenlohn), that is determined by the price of provisions +and other necessaries: reduce the price of necessaries very low, and of course you reduce the +quantity of labour in proportion ... Master-manufacturers know, that there are various ways of +raising and felling the price of labour, besides that of altering its nominal amount." (I.e. p. 48 +40 u. 61.) In seinen ,,Three Lectures on the Rate of Wages. Lond. 1830", worin Ν. W. Senior +West's Schrift benutzt, ohne sie anzuführen, sagt er u. a.: „The labourer is principally inter- +ested in the amount of wages" (p. 15). Also der Arbeiter ist hauptsächlich interessirt in dem, +was er erhält, dem nominellen Betrag des Lohns, nicht in dem, was er gibt, der Quantität der +Arbeit! + +487 + + Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn + +der Arbeit ab, der selbst variirt, entweder mit dem Werth der Arbeitskraft +oder den Abweichungen ihres Preises von ihrem Werthe. Ist dagegen der +Preis der Arbeit gegeben, so hängt der Tages- oder Wochenlohn von der +Quantität der Tages- oder Wochenarbeit ab. + +5 + +Die Maßeinheit des Zeitlohns, der Preis der Arbeitsstunde, ist der Quo- +tient des Tageswerths der Arbeitskraft, dividirt durch die Stundenzahl des +gewohnheitsmäßigen Arbeitstags. Gesetzt, letztrer betrage 12 Stunden, der +Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., das Werthprodukt von 6 Arbeitsstunden. +Der Preis der Arbeitsstunde ist unter diesen Umständen 3 d., ihr Werthpro- +dukt 6 d. Wird der Arbeiter nun weniger als 12 Stunden täglich (oder weni- 10 +ger als 6 Tage in der Woche) beschäftigt, z . B . nur 6 oder 8 Stunden, so er- +hält er, bei diesem Preise der Arbeit, nur 2 oder l%sh. Taglohn 3 4). Da er +nach der Voraussetzung im Durchschnitt ||508| 6 Stunden täglich arbeiten +muß, um nur einen dem Werth seiner Arbeitskraft entsprechenden Tag- +lohn zu produciren, da er nach derselben Voraussetzung von jeder Stunde +nur Y2 für sich selbst, Y2 aber für den Kapitalisten arbeitet, so ist es klar, daß +er das Werthprodukt von 6 Stunden nicht herausschlagen kann, wenn er +weniger als 12 Stunden beschäftigt wird. Sah man früher die zerstörenden +Folgen der Ueberarbeit, so entdeckt man hier die Quellen der Leiden, die +für den Arbeiter aus seiner Unterbeschäftigung entspringen. + +15 + +20 + +Wird der Stundenlohn in der Weise fîxirt, daß der Kapitalist sich nicht +zur Zahlung eines Tages- oder Wochenlohns verpflichtet, sondern nur zur +Zahlung der Arbeitsstunden, während deren es ihm beliebt, den Arbeiter +zu beschäftigen, so kann er ihn unter der Zeit beschäftigen, die der Schät- +zung des Stundenlohns oder der Maßeinheit für den Preis der Arbeit ur- 25 +sprünglich zu Grunde liegt. Da diese Maßeinheit bestimmt ist durch die +_> +Proportion — — ; — — + +Tageswerth der Arbeitskraft + +— > verliert sie naturlich al(cid:5) + +Λ. Λ + +—ζ + +A. + +: + +Λ + +Arbeitstag von gegebner Stundenzahl + +len Sinn, sobald der Arbeitstag aufhört, eine bestimmte Stundenzahl zu +zählen. Der Zusammenhang zwischen der bezahlten und unbezahlten Ar- +beit wird aufgehoben. Der Kapitalist kann jetzt ein bestimmtes Quantum 30 +Mehrarbeit aus dem Arbeiter herausschlagen, ohne ihm die zu seiner +Selbsterhaltung nothwendige Arbeitszeit einzuräumen. Er kann jede R e - +gelmäßigkeit der Beschäftigung vernichten und ganz nach Bequemlichkeit, +Willkür und augenblicklichem Interesse die ungeheuerste Ueberarbeit mit +3 4 ) Die Wirkung solcher anormalen Unterbeschäftigung ist durchaus verschieden von der 35 +einer allgemeinen zwangsgesetzlichen Reduktion des Arbeitstags. Erstere hat mit der absolu- +ten Länge des Arbeitstags nichts zu schaffen und kann ebensowohl bei 15stündigem als bei +6stündigem Arbeitstag eintreten. Der normale Preis der Arbeit ist im ersten Fall darauf be- +rechnet, daß der Arbeiter 15 Stunden, im zweiten darauf, daß er 6 Stunden per Tag durch- +schnittlich arbeitet. Die Wirkung bleibt daher dieselbe, wenn er in dem einen Fall nur 7½, in 40 +dem andren nur 3 Stunden beschäftigt wird. + +488 + + Achtzehntes Kapitel • Der Zeitlohn + +5 + +10 + +relativer oder gänzlicher Arbeitslosigkeit abwechseln lassen. Er kann, unter +dem Vorwand, den „normalen Preis der Arbeit" zu zahlen, den Arbeitstag, +ohne irgend entsprechende Kompensation für den Arbeiter, anormal ver- +längern. Daher der durchaus rationelle Aufstand (1860) der im Baufach be- +schäftigten Londoner Arbeiter gegen den Versuch der Kapitalisten, diesen +Stundenlohn aufzuherrschen. Die gesetzliche Beschränkung des Arbeits- +tags macht solchem Unfug ein Ende, obgleich natürlich nicht der aus Kon- +kurrenz der Maschinerie, Wechsel in der Qualität der angewandten Arbei- +ter, partiellen und allgemeinen Krisen entspringenden Unterbeschäftigung. +Bei wachsendem Tages- oder Wochenlohn kann der Preis der Arbeit no- +minell konstant bleiben und dennoch unter sein normales ||509| Niveau +sinken. Dieß findet jedesmal statt, sobald mit konstantem Preis der Arbeit, +resp. der Arbeitsstunde, der Arbeitstag über seine gewohnheitsmäßige +. Λ „ r +^ +Tageswerth der Arbeitskraft +Dauer verlängert wird. Wenn m dem Bruch + +^ + +— — — +Arbeitstag + +15 + +der Nenner wächst, wächst der Zähler noch rascher. Der Werth der Arbeits- +kraft, weil ihr Verschleiß, wächst mit der Dauer ihrer Funktion, und in ra- +scherer Proportion als das Inkrement ihrer Funktionsdauer. In vielen Indu- +striezweigen, wo Zeitlohn vorherrscht, ohne gesetzliche Schranken der +Arbeitszeit, hat sich daher naturwüchsig die Gewohnheit herausgebildet, +20 daß der Arbeitstag nur bis zu einem gewissen Punkt, z.B. bis zum Ablauf +der zehnten Stunde, als normal gilt („normal working day", ,,the day's +work", ,,the regular hours of work"). Jenseits dieser Grenze bildet die Ar- +beitszeit Ueberzeit (overtime) und wird, die Stunde als Maßeinheit genom- +men, besser bezahlt (extra pay), obgleich oft in lächerlich kleiner Propor- +t i o n 3 5 ) . Der normale Arbeitstag existirt hier als Bruchtheil des wirklichen +Arbeitstags, und der letztere währt oft während des ganzen Jahres länger +als der erstere 3 6). Das Wachsthum im Preis der Arbeit mit der Verlänge- +rung des Arbeitstags über eine gewisse Normalgrenze gestaltet sich in ver- +schiednen britischen Industriezweigen so, daß der niedrige Preis der Arbeit +30 während der sog. Normalzeit dem Arbeiter die besser bezahlte Ueberzeit +aufzwingt, will er überhaupt einen genügenden Arbeitslohn herausschla- + +25 + +3 5 ) „Die Rate der Zahlung für Ueberzeit. (in der Spitzenmanufaktur) ist so klein, ]/ 2 d. u. s. w. +per Stunde, daß sie in peinlichem Kontrast steht zur massenhaften Unbill, die sie der Ge- +sundheit und Lebenskraft der Arbeiter anthut ... Der so gewonnene kleine Ueberschuß muß +35 außerdem oft in Extra-Erfrischungsmitteln wieder verausgabt werden." (,,Child. Empi. + +Comm." IL Rep. p. XVI, η. 117.) +3 6 ) Z.B. in der Tapetendruckerei vor der neulichen Einführung des Fabrikakts. „Wir arbeite- +ten ohne Pause für Mahlzeiten, so daß das Tageswerk von 10½ Stunden um halb 5 Uhr Nach- +mittags beendet ist, und alles spätere ist Ueberzeit, die selten vor 6 Uhr Abends aufhört, so +40 daß wir in der That das ganze Jahr durch Ueberzeit arbeiten." (Mr. Smith's Evidence in + +,,Child. Empi. Comm." I. Rep., p. 125.) + +489 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +g e n 3 7 ) . Gesetzliche ||510| Beschränkung des Arbeitstags macht diesem Ver- + +gnügen ein E n d e 3 8 ) . + +Es ist allgemein bekannte Thatsache, daß, je länger der Arbeitstag in + +einem Industriezweig, um so niedriger der Arbeitslohn 3 9). Fabrikinspektor + +A. Redgrave illustrirt dieß durch eine vergleichende Uebersicht der zwan- + +5 + +zigjährigen Periode von 1 8 3 9 - 1 8 5 9 , wonach der Arbeitslohn in den dem + +Zehnstundengesetz unterworfenen Fabriken stieg, während er fiel in den + +Fabriken, wo 14 bis 15 Stunden täglich gearbeitet wird 4 0). + +Zunächst folgt aus dem Gesetz: „Bei gegebnem Preis der Arbeit hängt + +der Tages- oder Wochenlohn von der Quantität der gelieferten Arbeit ab", 10 + +daß, je niedriger der Preis der Arbeit, desto größer das Arbeitsquantum + +sein muß oder desto länger der Arbeitstag, damit der Arbeiter auch nur + +einen kümmerlichen Durchschnittslohn sichre. Die Niedrigkeit des Ar- + +beitspreises wirkt hier als Sporn zur Verlängerung der Arbeitszeit 4 1). + +Umgekehrt aber producirt ihrerseits die Verlängerung der | |5 1 1 | Arbeits- 15 + +zeit einen Fall im Arbeitspreise und damit im Tages- oder Wochenlohn. + +3 7 ) z.B. in den schottischen Bleichereien. „In einigen Theilen Schottlands wurde diese Indu- +strie (vor Einführung des Fabrikakts 1862) nach dem System der Ueberzeit betrieben, d.h. +10 Stunden galten als normaler Arbeitstag. Dafür erhielt der Mann 1 sh. 2 d. Hierzu kam aber +täglich eine Ueberzeit von 3 oder 4 Stunden, wofür 3 d. per Stunde gezahlt wurde. Folge die- 20 +ses Systems: Ein Mann, der nur die Normalzeit arbeitete, konnte nur 8 sh. Wochenlohn ver- +dienen. Ohne Ueberzeit reichte der Lohn nicht aus." („Reports of Insp. of Fact. 30th April +1863", p. 10.) Die „Extrazahlung für Ueberzeit ist eine Versuchung, der die Arbeiter nicht wi- +derstehen können." („Rep. of Insp. of Fact. 30th April 1848", p. 5.) Die Buchbinderei in der +City von London verwendet sehr viele junge Mädchen vom 14.-15. Jahr an, und zwar unter 25 +dem Lehrlingskontrakt, der bestimmte Arbeitsstunden vorschreibt. Nichtsdestoweniger arbei- +ten sie in der Schluß wo che jedes Monats bis 10, 11, 12 und 1 Uhr Nachts, zusammen mit den +älteren Arbeitern, in sehr gemischter Gesellschaft. „Die Meister verlocken (tempt) sie durch +Extralohn und Geld für ein gutes Nachtessen", das sie in benachbarten Kneipen zu sich neh- +men. Die große Liederlichkeit, so unter diesen ,,young immortals" producirt („Child. Empi. 30 +Comm." V.Rep., p. 44, η. 191), findet ihre Kompensation darin, daß von ihnen unter andrem +auch viele Bibeln und Erbauungsbücher gebunden werden. +3 8 ) Sieh „Reports of Insp. of Fact. 30th April 1863", I.e. Mit ganz richtiger Kritik des Sachver- +hältnisses erklärten die im Baufach beschäftigten Londoner Arbeiter während des großen +strike und lock-out von 1860 den Stundenlohn nur annehmen zu wollen unter zwei Bedingun- 35 +gen: 1) daß mit dem Preis der Arbeitsstunde ein Normalarbeitstag von resp. 9 und 10 Stunden +festgesetzt werde und der Preis für die Stunde des zehnstündigen Arbeitstags größer sei als für +die des neunstündigen; 2) daß jede Stunde über den Normaltag hinaus als Ueberzeit verhält- +nißmäßig höher bezahlt werde. +3 9 ) "It is a very notable thing, too, that where long hours are the rule, small wages are also so." 40 +(„Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1863", p. 9.) "The work which obtains the scanty pittance of +food is for the most part excessively prolonged." („Public Health, Sixth Rep. 1864", p. 15.) +4 0 ) „Reports of Insp. of Fact. 30th April 1860", p. 31, 32. +4 1 ) Die Hand-Nägelmacher in England haben ζ. Β. wegen des niedrigen Arbeitspreises +15 Stunden täglich zu arbeiten, um den kümmerlichsten Wochenlohn herauszuschlagen. „Es 45 +sind viele, viele Stunden des Tags, und während aller der Zeit muß er hart schanzen, um 11 d. +oder 1 sh. herauszuschlagen, und davon gehen 2% bis 3 d. ab für Verschleiß der Werkzeuge, +Feuerung, Eisenabfall." („Child. Empi. Comm. III. Rep.", p. 136, n. 671.) Die Weiber verdie- +nen bei derselben Arbeitszeit nur einen Wochenlohn von 5 sh. (1. c. p. 137, n. 674.) + +490 + + Achtzehntes Kapitel · Der Zeitlohn + +Die Bestimmung des Arbeitspreises durch + +* + +Λ. + +Λ. + +A (cid:16) i + +5 + +Λ„ + +i n Λ Λ n + +τη—j + +— ergibt, daß bloße Verlängerung des + +Tageswerth der Arbeitskraft +— Ί +Arbeitstag von gegebner Stundenzahl +Arbeitstags den Arbeitspreis senkt, wenn keine Kompensation eintritt. +Aber dieselben Umstände, welche den Kapitalisten befähigen, den Arbeits- +tag auf die Dauer zu verlängern, befähigen ihn erst und zwingen ihn +schließlich, den Arbeitspreis auch nominell zu senken, bis der Gesammt- +preis der vermehrten Stundenzahl sinkt, also der Tages- oder Wochenlohn. +Hinweis auf zwei Umstände genügt hier. Verrichtet ein Mann das Werk +von I]Z2 oder 2 Männern, so wächst die Zufuhr der Arbeit, wenn auch die +10 Zufuhr der auf dem Markt befindlichen Arbeitskräfte konstant bleibt. Die +so unter den Arbeitern erzeugte Konkurrenz befähigt den Kapitalisten, den +Preis der Arbeit herabzudrücken, während der fallende Preis der Arbeit ihn +umgekehrt befähigt, die Arbeitszeit noch weiter heraufzuschrauben 4 2). +Bald jedoch wird diese Verfügung über anormale, d.h. das gesellschaftliche +15 Durchschnittsniveau überfließende Quanta unbezahlter Arbeit zum Kon- +kurrenzmittel unter den Kapitalisten selbst. Ein Theil des Waarenpreises +besteht aus dem Preis der Arbeit. Der nicht gezahlte Theil des Arbeitsprei- +ses braucht nicht im Waarenpreis zu rechnen. Er kann dem Waarenkäufer +geschenkt werden. Dieß ist der erste Schritt, wozu die Konkurrenz treibt. +20 Der zweite Schritt, wozu sie zwingt, ist, wenigstens einen Theil des durch +die Verlängerung des Arbeitstags erzeugten anormalen Mehrwerths eben- +falls aus dem Verkaufspreis der Waare auszuschließen. In dieser Weise bil- +det sich erst sporadisch und fixirt sich nach und nach ein anormal niedri- +ger Verkaufspreis der Waare, der von nun an zur konstanten Grundlage +25 kümmerlichen Arbeitslohns bei übermäßiger Arbeitszeit wird, wie er ur- +sprünglich das Produkt dieser Umstände war. Wir deuten diese Bewegung +bloß an, da die Analyse der Konkurrenz nicht hierhin gehört. Doch mag +für einen Augenblick der Kapitalist selbst sprechen. „In Birmingham | +|512| ist die Konkurrenz unter den Meistern so groß, daß mancher von uns +30 gezwungen ist, als Arbeitsanwender zu thun, was er sich schämen würde +sonst zu thun; und dennoch wird nicht mehr Geld gemacht (and yet no +more money is made), sondern das Publikum allein hat den Vortheil da- +von" 4 3 ) . Man erinnert sich der zwei Sorten Londoner Bäcker, wovon die +eine Brod zum vollen Preise (the „fullpriced" bakers), die andre es unter +4 2 ) Wenn ein Fabrikarbeiter z.B. verweigerte, die hergebrachte lange Stundenzahl zu arbei- +ten, „he would very shortly be replaced by somebody who would work any length of time and +thus be thrown out of employment". („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1848". Evidence +p. 39, n. 58.) "If one man performs the work of two ... the rate of profits will generally be +raised ...in consequence of the additional supply of labour having diminished its price." (Se- + +35 + +40 nior 1. c. p. 15.) + +4 3 ) ,,Child. Empi. Comm." III. Rep. Evidence p. 66, n.22. + +491 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +seinem normalen Preise verkauft („the underpriced", „the undersellers"). +Die „fullpriced" denunciren ihre Konkurrenten vor der parlamentarischen +Untersuchungskommission: „Sie existiren nur, indem sie erstens das Publi- +kum betrügen (durch Fälschung der Waare) und zweitens 18 Arbeitsstun- +den aus ihren Leuten für den Lohn zwölfstündiger Arbeit herausschin- +den .... Die unbezahlte Arbeit (the unpaid labour) der Arbeiter ist das +Mittel, wodurch der Konkurrenzkampf geführt wird +Die Konkurrenz +unter den Bäckermeistern ist die Ursache der Schwierigkeit in Beseitigung +der Nachtarbeit. Ein Unterverkäufer, der sein Brod unter dem mit dem +Mehlpreis wechselnden Kostpreis verkauft, hält sich schadlos, indem er 10 +mehr Arbeit aus seinen Leuten herausschlägt. Wenn ich nur 12 Stunden +Arbeit aus meinen Leuten herausschlage, mein Nachbar dagegen 18 oder +20, muß er mich im Verkaufspreis schlagen. Könnten die Arbeiter auf Zah- +lung für Ueberzeit bestehen, so wäre es mit diesem Manöver bald zu +Ende .... Eine große Anzahl der von den Unterverkäufern Beschäftigten 15 +sind Fremde, Jungen und Andre, die fast mit jedem Arbeitslohn, den sie +kriegen können, vorlieb zu nehmen gezwungen sind" 4 4). + +5 + +Diese Jeremiade ist auch deßwegen interessant, weil sie zeigt, wie nur +der Schein der Produktionsverhältnisse sich im Kapitalistenhirn widerspie- +gelt. Der Kapitalist weiß nicht, daß auch der normale Preis der Arbeit ein 20 +bestimmtes Quantum unbezahlter Arbeit einschließt und eben diese unbe- +zahlte Arbeit die normale Quelle seines Gewinns ist. Die Kategorie der +Mehrarbeitszeit existirt überhaupt nicht für ihn, denn sie ist eingeschlos- +sen im normalen Arbeitstag, den er im Taglohn zu zahlen glaubt. Wohl +aber existirt für ihn die Ueberzeit, die Verlängerung des Arbeitstags über 25 +die dem gewohnten Preis der Arbeit entsprechende ||513| Schranke. Sei- +nem unterverkaufenden Konkurrenten gegenüber besteht er sogar auf Ex- +trazahlung (extra pay) für diese Ueberzeit. Er weiß wieder nicht, daß diese +Extrazahlung ebensowohl unbezahlte Arbeit einschließt, wie der Preis der +gewöhnlichen Arbeitsstunde. Z . B . der Preis einer Stunde des zwölfstündi- 30 +gen Arbeitstags ist 3 d., das Werthprodukt von +l/ 2 Arbeitsstunde, während +der Preis der überzeitigen Arbeitsstunde 4 d., das Werthprodukt von 2Z3 Ar- +beitsstunde. Im ersten Fall eignet sich der Kapitalist von einer Arbeits- +stunde die Hälfte, im andern l/ 3 ohne Zahlung an. + +4 4 ) „Report etc. relative to the Grievances complained of by the journeymen bakers. Lond. 35 +1862", p.LII und ib. Evidence, η. 479, 359, 27. Indeß lassen auch die fullpriced, wie früher er- +wähnt, und wie ihr Wortführer Bennett selbst zugesteht, ihre Leute „Arbeit beginnen um +11 Uhr Abends oder früher und verlängern sie oft bis 7 Uhr des folgenden Abends". (1. c. +P.22.) + +492 + + Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn + +N E U N Z E H N T E S K A P I T E L . + +Der Stücklohn. + +Der Stücklohn ist nichts als verwandelte Form des Zeitlohns, wie der Zeit- +lohn die verwandelte Form des Werthes oder Preises der Arbeitskraft. + +5 + +Beim Stücklohn sieht es auf den ersten Blick aus, als ob der vom Arbei- +ter verkaufte Gebrauchswerth nicht die Funktion seiner Arbeitskraft sei, le- +bendige Arbeit, sondern bereits im Produkt vergegenständlichte Arbeit, +und als ob der Preis dieser Arbeit nicht wie beim Zeitlohn durch die +_ +1 +Bruchzahl + +Tageswerth der Arbeitskraft +. + +— sondern durch die Lei(cid:5) + +—— + +. , + +Λ, + +. + +' + +Λ + +Λ + +Λ + +Arbeitstag von gegebner Stundenzahl + +10 + +stungsfähigkeit des Producenten bestimmt werde 4 5). + +Zunächst müßte die Zuversicht, die an diesen Schein glaubt, bereits +stark erschüttert werden durch die Thatsache, daß beide Formen des Ar- +beitslohns zur selben Zeit in denselben Geschäftszweigen neben einander +bestehn. z.B. „Die Setzer von London arbeiten in der Regel nach Stück- +lohn, während Zeitlohn bei ihnen ||514| die Ausnahme bildet. Umgekehrt +bei den Setzern in den Provinzen, wo der Zeitlohn die Regel und der +Stücklohn die Ausnahme. Die Schiffszimmerleute im Hafen von London +werden nach Stücklohn bezahlt, in allen andren englischen Häfen nach +Zeitlohn" 4 6). In denselben Londoner Sattlerwerkstätten wird oft für die- +selbe Arbeit den Franzosen Stücklohn und den Engländern Zeitlohn ge- +zahlt. In den eigentlichen Fabriken, wo Stücklohn allgemein vorherrscht, +entziehn sich einzelne Arbeitsfunktionen aus technischen Gründen dieser +Messung und werden daher nach Zeitlohn gezahlt 4 7). An und für sich ist es + +15 + +20 + +4 5 ) "The system of piece-work illustrates an epoch in the history of the working man; it is half- +25 way between the position of the mere day-labourer, depending upon the will of the capitalist, +and the cooperative artizan, who in the not distant future promises to combine the artizan +and the capitalist in his own person. Piece-workers are in fact their own masters, even whilst +working upon the capital of the employer." (John Watts: „Trade Societies and Strikes, Ma- +chinery and Cooperative Societies. Manchester 1865", p. 52, 53.) Ich citire dieß Schriftchen, +30 weil es eine wahre Gosse aller längst verfaulten, apologetischen Gemeinplätze. Derselbe Herr +Watts machte früher in Owenismus und publicirte 1842 ein andres Schriftchen: ,,Facts and +Fictions of Political Economy", worin er u. a. Property für Robbery erklärt. Es ist schon lange +her. +4 6 ) T. J. Dunning: ,,Trade's Unions and Strikes. Lond. 1860", p. 22. +4 7 ) Wie das gleichzeitige Nebeneinander dieser zwei Formen des Arbeitslohns Fabrikanten- +prellereien begünstigt: "A factory employs 400 people, the half of which work by the piece, +and have a direct interest in working longer hours. The other 200 are paid by the day, work +equally long with the others, and get no more money for their overtime ... The work of these +200 people for half an hour a day is equal to one person's work for 50 hours, or % of one per- +40 son's labour in a week, and is a positive gain to the employer." („Reports of Insp. of Fact. 31st + +35 + +493 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +jedoch klar, daß die Formverschiedenheit in der Auszahlung des Arbeits- +lohns an seinem Wesen nichts ändert, obgleich die eine Form der Entwick- +lung der kapitalistischen Produktion günstiger sein mag als die andre. + +5 + +Der gewöhnliche Arbeitstag betrage 12 Stunden, wovon 6 bezahlt, 6 un- +bezahlt. Sein Werthprodukt sei 6 sh., das einer Arbeitsstunde daher 6 d. Es +stelle sich erfahrungsmäßig heraus, daß ein Arbeiter, der mit dem Durch- +schnittsgrad von Intensität und Geschick arbeitet, in der That also nur die +gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Artikels ver- +wendet, 24 Stücke, ob diskret, oder meßbare Theile eines kontinuirlichen +Machwerks, in 12 Stunden liefert. So ist der Werth dieser 24 Stücke, nach 10 +Abzug des in ihnen enthaltnen konstanten Kapitaltheils, 6 sh. und der +Werth des einzelnen Stücks 3 d. Der Arbeiter erhält per Stück I]Z2 d. und +verdient so in 12 Stunden 3 sh. Wie es beim Zeitlohn gleichgültig ist, ob +man annimmt, daß der Arbeiter 6 Stunden für sich und 6 für den Kapitali- +sten, oder von jeder Stunde die eine Hälfte für sich und die andre für den +Kapitalisten arbeitet, so auch hier, ob man sagt, jedes einzelne Stück sei +halb bezahlt und halb unbezahlt, oder der Preis von 12 ||515| Stücken er- +setze nur den Werth der Arbeitskraft, während in den 12 andern sich der +Mehrwerth verkörpere. + +15 + +Die Form des Stücklohns ist ebenso irrationell als die des Zeitlohns. 20 + +Während z .B. zwei Stück Waare, nach Abzug des Werths der in ihnen auf- +gezehrten Produktionsmittel, als Produkt einer Arbeitsstunde 6 d. werth +sind, erhält der Arbeiter für sie einen Preis von 3 d. Der Stücklohn drückt +unmittelbar in der That kein Werthverhältniß aus. Es handelt sich nicht +darum, den Werth des Stücks durch die in ihm verkörperte Arbeitszeit zu 25 +messen, sondern umgekehrt die vom Arbeiter verausgabte Arbeit durch die +Zahl der von ihm producirten Stücke. Beim Zeitlohn mißt sich die Arbeit +an ihrer unmittelbaren Zeitdauer, beim Stücklohn am Produktenquantum, +worin Arbeit während bestimmter Zeitdauer verdichtet 4 8). Der Preis der +Arbeitszeit selbst ist schließlich bestimmt durch die Gleichung: Werth der 30 +Tagesarbeit = Tageswerth der Arbeitskraft. Der Stücklohn ist also nur eine +modificirte Form des Zeitlohns. + +Betrachten wir nun etwas näher die charakteristischen E i g e n t ü m l i c h - + +keiten des Stücklohns. + +October 1860", p. 9.) "Overworking, to a very considerable extent, still prevails; and, in most 35 +instances, with that security against detection and punishment which the law itself affords. I +have in many former reports shown ... the injury to all the workpeople who are not employed +on piece-work, but receive weekly wages." Leonard Horner in „Reports of Insp. of Fact. 30th +April 1859", p. 8, 9. +4 8 ) «Le salaire peut se mesurer de deux manières: ou sur la durée du travail, ou sur son pro- 40 +duit.» (,,Abrégé élémentaire des principes de l'Écon. Pol. Paris 1796", p. 32.) Verfasser dieser +anonymen Schrift: G. Garnier. + +494 + + Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn + +Die Qualität der Arbeit ist hier durch das Werk selbst kontrolirt, das die +durchschnittliche Güte besitzen muß, soll der Stückpreis voll bezahlt wer- +den. Der Stücklohn wird nach dieser Seite hin zu fruchtbarster Quelle von +Lohnabzügen und kapitalistischer Prellerei. + +5 + +Er bietet den Kapitalisten ein ganz bestimmtes Maß für die Intensität +der Arbeit. Nur Arbeitszeit, die sich in einem vorher bestimmten und er- +fahrungsmäßig festgesetzten Waarenquantum verkörpert, gilt als gesell- +schaftlich nothwendige Arbeitszeit und wird als solche bezahlt. In den grö- +ßeren Schneiderwerkstätten Londons heißt daher ein gewisses Stück +10 Arbeit, z.B. eine Weste u.s.w., Stunde, halbe Stunde u.s.w., die Stunde zu +6 d. Aus der Praxis ist bekannt, wie viel das Durchschnittsprodukt einer +Stunde. Bei neuen Moden, Reparaturen u.s.w. entsteht Streit zwischen An- +wender und Arbeiter, ob ein bestimmtes Arbeitsstück = einer Stunde +u.s.w., bis auch hier die Erfahrung entscheidet. Aehnlich in den Londonlsr +15 Möbelschreinereien u.s.w. Besitzt der Arbeiter nicht die durchschnittliche +Leistungsfähigkeit, kann er ||516| daher ein bestimmtes Minimum vom +Tagwerk nicht liefern, so entläßt man i h n 4 9 ) . + +25 + +Da Qualität und Intensität der Arbeit hier durch die Form des Arbeits- +lohns selbst kontrolirt werden, macht sie großen Theil der Arbeitsaufsicht +20 überflüssig. Sie bildet daher sowohl die Grundlage der früher geschilderten +modernen Hausarbeit als eines hierarchisch gegliederten Systems der Ex- +ploitation und Unterdrückung. Das letztere besitzt zwei Grundformen. Der +Stücklohn erleichtert einerseits das Zwischenschieben von Parasiten zwi- +schen Kapitalist und Lohnarbeiter, Unterverpachtung der Arbeit (sublet- +ting of labour). Der Gewinn der Zwischenpersonen fließt ausschließlich +aus der Differenz zwischen dem Arbeitspreis, den der Kapitalist zahlt, und +dem Theil dieses Preises, den sie dem Arbeiter wirklich zukommen las- +s e n 5 0 ) . Dieß System heißt in England charakteristisch das ,,Sweating Sys- +tem" (Ausschweißungssystem). Andrerseits erlaubt der Stücklohn dem Ka- +30 pitalisten mit dem Hauptarbeiter - in der Manufaktur mit dem Chef einer +Gruppe, in den Minen mit dem Ausbrecher der Kohle u.s.w., in der Fabrik +mit dem eigentlichen Maschinenarbeiter - einen Kontrakt für so viel per +Stück zu schließen, zu einem Preis, wofür der Hauptarbeiter selbst die An- +werbung und Zahlung seiner Hülfsarbeiter übernimmt. Die Exploitation + +35 + +40 + +4 9 ) "So much weight of cotton is delivered to him (the spinner), and he has to return by a cer- +tain time, in lieu of it, a given weight of twist or yarn, of a certain degree of fineness, and he is +paid so much per pound for all that he so returns. If his work is defective in quality, the penal- +ty falls on him; if less in quantity than the minimum fixed for a given time, he is dismissed +and an abler operative procured." (Ure, I.e. p.316, 317.) +5 0 ) "It is when work passes through several hands, each of which is to take a share of profits, +while only the last does the work, that the pay which reaches the workwoman is miserably dis- +proportioned." (,,Child. Empi. Comm." II. Rep., p.LXX, n. 424.) + +495 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +der Arbeiter durch das Kapital verwirklicht sich hier vermittelst der Exploi- + +tation des Arbeiters durch den Arbeiter 5 1). + +Den Stücklohn gegeben, ist es natürlich das persönliche Interesse des + +Arbeiters, seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzuspannen, was dem Ka- + +pitalisten eine Erhöhung des Normalgrads der Intensität erleichtert 5 1 a ) - Es + +5 + +ist ebenso das persönliche Inter||517|esse des Arbeiters, den Arbeitstag zu + +verlängern, weil damit sein Tages- oder Wochenlohn steigt 5 2). Es tritt da- + +mit die beim Zeitlohn bereits geschilderte Reaktion ein, abgesehn davon, + +daß die Verlängerung des Arbeitstags, selbst bei konstant bleibendem + +Stücklohn, an und für sich eine Senkung im Preise der Arbeit einschließt. 10 + +Beim Zeitlohn herrscht mit wenigen Ausnahmen gleicher Arbeitslohn + +für dieselben Funktionen, während beim Stücklohn der Preis der Arbeits- + +zeit zwar durch ein bestimmtes Produktenquantum gemessen ist, der Ta- + +ges- oder Wochenlohn dagegen wechselt mit der individuellen Verschie- + +denheit der Arbeiter, wovon der eine nur das Minimum des Produkts in 15 + +einer gegebnen Zeit liefert, der Andre den Durchschnitt, der Dritte mehr + +als den Durchschnitt. In Bezug auf die wirkliche Einnahme treten hier also + +große Differenzen ein je nach dem verschiednen Geschick, Kraft, Energie, + +Ausdauer u.s.w. der individuellen Arbeiter 5 3). Dieß ändert natürlich nichts + +5 1 ) Selbst der apologetische Watts bemerkt: "It would be a great improvement to the system of 20 +piece-work, if all the men employed on a job were partners in the contract, each according to +his abilities, instead of one man being interested in overworking his fellows for his own ben- +efit." (I.e. p.53.) Ueber die Gemeinheiten dieses Systems vgl. ,,Child. Empi. Comm." Rep.Ill, +p.66, n.22, p. 11, n. 124, p.XI, n. 13, 53, 59 u.s.w. +51 a) Diesem naturwüchsigen Resultat wird oft künstlich unter die Arme gegriffen. Z. B. im 25 +Engineering Trade von London gilt es als herkömmlicher trick, „daß der Kapitalist einen +Mann von überlegner physischer Kraft und Fertigkeit zum Chef einer Arbeiteranzahl aus- +wählt. Er zahlt ihm vierteljährlich oder in andren Terminen einen Zuschußlohn unter der +Uebereinkunft, alles mögliche aufzubieten, um seine Mitarbeiter, die nur den gewöhnlichen +Lohn erhalten, zur äußersten Nacheiferung anzustacheln ... Ohne weiteren Kommentar er- 30 +klärt dieß die Kapitalistenklage über ,Lähmung der Thätigkeit oder überlegener Geschicklich- +keit und Arbeitskraft (,,stinting the action, superior skill and working power") durch die +Trade's Unions'". (Dunning I.e. p.22, 23) Da der Verfasser selbst Arbeiter und Sekretär einer +Trade's Union, könnte dieß für Uebertreibung gelten. Aber man sehe z.B. die ,,highly respec- +table" agronomische Cyclopädie von J. Ch. Morton, Art. ,,Labourer", wo diese Methode den 35 +Pächtern als probat empfohlen wird. +5 2 ) "All those who are paid by piece-work ... profit by the transgression of the legal limits of +work. This observation as to the willingness to work overtime, is especially applicable to the +women employed as weavers and reelers." („Rep. of Insp. of Fact. 30th April 1858", p. 9.) +„Dieß Stücklohnsystem, so vortheilhaft für den Kapitalisten ... strebt direkt, den jungen Top- 40 +fer zu großer Ueberarbeit zu ermuntern, während der 4 oder 5 Jahre, worin er per Stück, aber +zu niedrigem Preis, bezahlt wird. Es ist dieß eine der großen Ursachen, denen die physische +Degeneration der Töpfer zuzuschreiben ist." (,,Child. Empi. Comm." I. Rep., p. XIII.) +5 3 ) "Where the work in any trade is paid for by the piece at so much per job ... wages may +very materially differ in amount ... But in work by the day there is generally an uniform 45 +rate ... recognized by both employer and employed as the standard of wages for the general +run of workmen in the trade." (Dunning 1. c. p. 17.) + +496 + + Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn + +an dem allgemeinen Verhältniß zwischen Kapital und Lohnarbeit. Erstens +gleichen sich die individuellen Unterschiede für die Gesammtwerkstatt +aus, so daß sie in einer bestimmten Arbeitszeit das Durchschnittsprodukt +liefert und der gezahlte Gesammtlohn ||518| der Durchschnittslohn des Ge- +5 schäftszweigs sein wird. Zweitens bleibt die Proportion zwischen Arbeits- +lohn und Mehrwerth unverändert, da dem individuellen Lohn des einzel- +nen Arbeiters die von ihm individuell gelieferte Masse von Mehrwerth +entspricht. Aber der größere Spielraum, den der Stücklohn der Individuali- +tät bietet, strebt einerseits dahin, die Individualität und damit Freiheitsge- +10 fühl, Selbständigkeit und Selbstkontrole der Arbeiter zu entwickeln, and- +rerseits ihre Konkurrenz unter und gegen einander. Er hat daher eine +Tendenz, mit der Erhebung individueller Arbeitslöhne über das Durch- +schnittsniveau dieß Niveau selbst zu senken. Wo aber bestimmter Stück- +lohn sich seit lange traditionell befestigt hatte und seine Herabsetzung da- +15 her besondre Schwierigkeiten bot, flüchteten die Meister ausnahmsweis +auch zu seiner gewaltsamen Verwandlung in Zeitlohn. Hiergegen z.B. 1860 +großer Strike unter den Bandwebern von Coventry 5 4). Der Stücklohn ist +endlich eine Hauptstütze des früher geschilderten Stundensystems 5 5). + +Aus der bisherigen Darstellung ergibt sich, daß der Stücklohn die der ka- +20 pitalistischen Produktionsweise entsprechendste Form des Arbeitslohns ist. +Obgleich keineswegs neu, - er ilgurirt neben ||519| dem Zeitlohn offiziell +u. a. in den französischen und englischen Arbeiterstatuten des vierzehnten + +25 + +5 4 ) „Die Arbeit der Handwerksgesellen regelt sich nach dem Tag oder nach dem Stück (à la +journée ou à la pièce) ... Die Meister wissen ungefähr, wie viel Werk die Arbeiter täglich in +jedem métier verrichten können, und zahlen sie daher oft im Verhältniß zum Werk, das sie +verrichten; so arbeiten diese Gesellen, so viel sie können, in ihrem eignen Interesse, ohne wei- +tere Beaufsichtigung." (Cantillon: „Essai sur la Nature du Commerce en Général". Amst. Ed. +1756, p. 185 U.202. Die erste Ausgabe erschien 1755.) Cantillon, aus dem Quesnay, Sir James +Steuart und A. Smith reichlich geschöpft haben, stellt hier also schon den Stücklohn als bloß +30 modifîcirte Form des Zeitlohns dar. Die französische Ausgabe Cantillon's kündigt sich auf +dem Titel als Uebersetzung aus dem Englischen an, aber die englische Ausgabe: „The Analy- +sis of Trade, Commerce etc. by Philip Cantillon, late of the City of London, Merchant", ist +nicht nur späteren Datums (von 1759), sondern erweist sich durch ihren Inhalt als eine spä- +tere Bearbeitung. So z.B. findet sich in der französischen Ausgabe Hume noch nicht erwähnt, +35 während umgekehrt in der englischen Petty kaum mehr figurirt. Die englische Ausgabe ist +theoretisch unbedeutender, enthält aber allerlei specifisch auf englischen Handel, Bullion- +handel u. s. w. Bezügliches, was im französischen Text fehlt. Die Worte im Titel der engli- +schen Ausgabe, wonach die Schrift ,,Taken chiefly from the Manuscript of a very ingenious +Gentleman deceased, and adapted etc.", scheinen daher mehr als bloße, damals sehr übliche, + +40 Fiktion. + +5 5 ) «Combien de fois n'avons-nous pas vu, dans certains ateliers, embaucher beaucoup plus +d'ouvriers que ne le demandait le travail à mettre en main? Souvent, dans la prévision d'un +travail aléatoire, quelquefois même imaginaire, on admet des ouvriers: comme on les paie aux +pièces, on se dit qu'on ne court aucun risque, parce que toutes les pertes de temps seront à la +charge des inoccupés.» (H. Gregoir: ,,Les Typographes devant le Tribunal Correctionnel de +Bruxelles". Bruxelles 1865, p. 9.) + +45 + +497 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +5 + +Jahrhunderts - gewinnt er doch erst größren Spielraum während der +eigentlichen Manufakturperiode. In der Sturm- und Drangperiode der gro- +ßen Industrie, namentlich von 1797 bis 1815, dient er als Hebel zur Ver- +längrung der Arbeitszeit und Herabsetzung des Arbeitslohns. Sehr wichti- +ges Material für die Bewegung des Arbeitslohns während jener Periode +findet man in den Blaubüchern: „Report and Evidence from the Select +Committee on Petitions respecting the Corn Laws" (Parlamentssession +1 8 1 3 - 1 4 ) und: „Reports from the Lords' Committee, on the state of the +Growth, Commerce, and Consumption of Grain, and all Laws relating +thereto". (Session 1 8 1 4 - 1 5 . ) Man findet hier den dokumentarischen Nach- 10 +weis für die fortwährende Senkung des Arbeitspreises seit dem Beginn des +Antijakobinerkriegs. In der Weberei z.B. war der Stücklohn so gefallen, +daß trotz des sehr verlängerten Arbeitstags der Taglohn jetzt niedriger +stand als vorher. „Die reale Einnahme des Webers ist sehr viel weniger als +früher: seine Superiorität über den gewöhnlichen Arbeiter, die erst sehr 15 +groß war, ist fast ganz verschwunden. In der That, der Unterschied in den +Löhnen geschickter und gewöhnlicher Arbeit ist jetzt viel unbedeutender +als während irgend einer früheren Periode" 5 6). Wie wenig die mit dem +Stücklohn gesteigerte Intensität und Ausdehnung der Arbeit dem ländli- +chen Proletariat fruchteten, zeige folgende einer Parteischrift für Landlords 20 +und Pächter entlehnte Stelle: „Bei weitem der größere Theil der Agrikultur- +operationen wird durch Leute verrichtet, die für den Tag oder auf Stück- +werk gedungen sind. Ihr Wochenlohn beträgt ungefähr 12 sh.; und obgleich +man voraussetzen mag, daß ein Mann bei Stücklohn, unter dem größeren +Arbeitssporn, 1 sh. oder vielleicht 2 sh. mehr verdient als beim Wochen- 25 +lohn, so findet man dennoch, bei Schätzung seiner Gesammteinnahme, +daß sein Verlust an Beschäftigung im Lauf des Jahrs diesen Zuschuß auf- +Man wird ferner im Allgemeinen finden, daß die Löhne dieser +wiegt + +Männer ein gewisses Verhältniß zum Preis der nothwendigen Lebensmittel +haben, so daß ein Mann mit zwei Kindern fähig ist, seine Familie ohne 30 +Zuflucht zur Pfarreiunterstützung zu erhalten" 5 7). Malthus bemerkte da- +mals mit Bezug auf die vom Parlament ver115201öffentlicht en Thatsachen: +„Ich gestehe, ich sehe mit Mißvergnügen die große Ausdehnung der Praxis +des Stücklohns. Wirklich harte Arbeit während 12 oder 14 Stunden des +Tags, für irgend längere Zeitperioden, ist zu viel für ein menschliches We- 35 +s e n " 5 8 ) . + +In den dem Fabrikgesetz unterworfenen Werkstätten wird Stücklohn all- + +5 6 ) ,,Remarks on the Commercial Policy of Great Britain. London 1815", p. 48. +5 7 ) ,,Considerations upon the Corn Bill ..." London 1815, p. 34. +5 8 ) Malthus, ,,Inquiry into the Nature etc. of Rent, London 1815". + +40 + +498 + + Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn + +gemeine Regel, weil das Kapital dort den Arbeitstag nur noch intensiv aus- +weiten k a n n 5 9 ) . + +5 + +Mit der wechselnden Produktivität der Arbeit stellt dasselbe Produkten- +quantum wechselnde Arbeitszeit dar. Also wechselt auch der Stücklohn, da +er Preisausdruck einer bestimmten Arbeitszeit. In unserem obigen Beispiel +wurden in 12 Stunden 24 Stück producirt, während das Werthprodukt der +12 Stunden 6 sh. war, der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., der Preis der +Arbeitsstunde 3 d. und der Lohn für ein Stück 1% d. In einem Stück war +Y2 Arbeitsstunde eingesaugt. Liefert derselbe Arbeitstag nun etwa in Folge +10 verdoppelter Produktivität der Arbeit 48 Stück statt 24, und bleiben alle +andern Umstände unverändert, so sinkt der Stücklohn von 1¾ d. a u f 3 / d., +da jedes Stück jetzt nur noch Y4 statt Y2 Arbeitsstunde darstellt. 24 x V/2 d. += 3 sh. und ebenso 48 x % d. = 3 sh. In anderen Worten: Der Stücklohn +wird in demselben Verhältniß heruntergesetzt, worin die Zahl der während +15 derselben Zeit producirten Stücke wächst 6 0), also die auf dasselbe Stück +verwandte Arbeitszeit abnimmt. Dieser Wechsel des Stücklohns, soweit +rein nominell, ruft beständige Kämpfe zwischen Kapitalist und Arbeiter +hervor. Entweder, weil der Kapitalist den Vorwand benutzt, um wirklich +den Preis der Arbeit herabzusetzen, oder weil die gesteigerte Produktivkraft +20 der Arbeit von gesteigerter ||521| Intensität derselben begleitet ist. Oder +weil der Arbeiter den Schein des Stücklohns, als ob ihm sein Produkt ge- +zahlt werde und nicht seine Arbeitskraft, ernst nimmt und sich daher ge- +gen eine Lohnherabsetzung sträubt, welcher die Herabsetzung im Ver- +kaufspreis der Waare nicht entspricht. „Die Arbeiter überwachen sorgfältig +25 den Preis des Rohmaterials und den Preis der fabricirten Güter und sind so +fähig die Profite ihrer Meister genau zu veranschlagen" 6 1). Solchen An- +spruch fertigt das Kapital mit Recht als groben Irrthum über die Natur der + +30 + +5 9 ) „Die Arbeiter auf Stücklohn bilden wahrscheinlich % aller Arbeiter in den Fabriken." +(„Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1858", p. 9.) +6 0 ) "The productive power of his spinning machine is accurately measured, and the rate of +pay for work done with it decreases with, though not as, the increase of its productive power." +(Ure Lc p. 317.) Letztre apologetische Wendung hebt Ure selbst wieder auf. Er gibt zu, daß +bei einer Verlängrung der Mule z.B. eine zusätzliche Arbeit aus der Verlängrung entspringt. +Die Arbeit nimmt also nicht in dem Maße ab, worin ihre Produktivität wächst. Ferner: "By +this increase the productive power of the machine will be augmented one-fifth. When this +event happens, the spinner will not be paid at the same rate for work done as he was before, +but as that rate will not be diminished in the ratio of one-fifth, the improvement will augment +his money-earnings for any given number of hours' work" - aber, aber - "the foregoing state- +ment requires a certain modification .... the spinner has to pay something additional for juve- +40 nile aid out of his additional sixpence, accompanied by displacing a portion of adults", (1. c. + +35 + +p. 321) was keineswegs eine Tendenz zur Steigerung des Arbeitslohns hat. +6 1 ) H. Fawcett: „The Economic Position of the British Labourer". Cambridge and London +1865, p.178, 179. + +499 + + Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn + +Lohnarbeit a b 6 2 ) . Es zetert über diese Anmaßung Steuern auf den Fort- +schritt der Industrie zu legen und erklärt rundweg, daß die Produktivität +der Arbeit den Arbeiter überhaupt nichts angeht 6 3). + +Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . + +Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne. + +5 + +Im fünfzehnten Kapitel beschäftigten uns die mannigfachen Kombinatio- +nen, welche einen Wechsel in der absoluten oder relativen (d. h. mit dem +Mehrwerth verglichenen) Werthgröße der Arbeitskraft hervorbringen kann, +während andrerseits wieder das Quantum von Lebensmitteln, worin der +Preis der Arbeitskraft realisirt wird, von dem Wechsel dieses Preises unab- 10 +hängige 6 4) oder verschiedne Bewegungen durchlaufen konnte. Wie bereits +bemerkt, verwandeln ||522| sich durch einfache Uebersetzung des Werths, +resp. Preises der Arbeitskraft in die exoterische Form des Arbeitslohns alle +jene Gesetze in Gesetze der Bewegung des Arbeitslohns. Was innerhalb +dieser Bewegung als wechselnde Kombination, kann für verschiedne Län- 15 +der als gleichzeitige Verschiedenheit nationaler Arbeitslöhne erscheinen. +Beim Vergleich nationaler Arbeitslöhne sind also alle den Wechsel in der +Werthgröße der Arbeitskraft bestimmende Momente zu erwägen, Preis und +Umfang der natürlichen und historisch entwickelten ersten Lebensbedürf- +nisse, Erziehungskosten des Arbeiters, Rolle der Weiber- und Kinderar- 20 +beit, Produktivität der Arbeit, ihre extensive und intensive Größe. Selbst +die oberflächlichste Vergleichung erheischt, zunächst den Durchschnitts- +Taglohn für dieselben Gewerbe in verschiednen Ländern auf gleich große +Arbeitstage zu reduciren. Nach solcher Ausgleichung der Taglöhne, muß + +6 2 ) Im Londoner Standard vom 26. Oktober 1861 findet man Bericht über einen Proceß der 25 +Firma John Bright et Co. vor den Rochdale Magistrates "to prosecute for intimidation the +agents of the Carpet Weavers Trades Union. Bright's partners had introduced new machinery +which would turn out 240 yards of carpet in the time and with the labour (!) previously re- +quired to produce 160 yards. The workmen had no claim whatever to share in the profits made +by the investment of their employer's capital in mechanical improvements. Accordingly, 30 +Messrs. Bright proposed to lower the rate of pay from 1½ d. per yard to 1 d., leaving the earn- +ings of the men exactly the same as before for the same labour. But there was a nominal re- +duction, of which the operatives, it is asserted, had not fair warning before hand." +6 3 ) ,,Trades Unions in ihrer Sucht, den Arbeitslohn aufrecht zu halten, suchen an dem Profit +verbesserter Maschinerie Theil zu nehmen! (Quelle horreur!) ... sie verlangen höheren Lohn, 35 +weil die Arbeit verkürzt ist... in anderen Worten, sie streben eine Steuer auf industrielle Ver- +besserungen zu legen." („On Combinations of Trades. New Edit. Lond. 1834", p. 42.) +6 4 ) "It is not accurate to say that wages (handelt sich hier von ihrem Preise) are increased, be- +cause they purchase more of a cheaper article." (David Buchanan in seiner Ausgabe von +A. Smith's, ,,Wealth etc." 1814, v. I, p. 417 Note.) + +40 + +500 + + Zwanzigstes Kapitel • Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne + +der Zeitlohn wieder in Stücklohn übersetzt werden, da nur der letztere ein +Gradmesser sowohl für die Produktivität als die intensive Größe der Ar- +beit. + +In jedem Lande gilt eine gewisse mittlere Intensität der Arbeit, unter +welcher die Arbeit bei Produktion einer Waare mehr als die gesellschaft- +lich nothwendige Zeit verbraucht, und daher nicht als Arbeit von normaler +Qualität zählt. Nur ein über den nationalen Durchschnitt sich erhebender +Intensitätsgrad ändert, in einem gegebnen Lande, das Maß des Werths +durch die bloße Dauer der Arbeitszeit. Anders auf dem Weltmarkt, dessen +integrirende Theile die einzelnen Länder sind. Die mittlere Intensität der +Arbeit wechselt von Land zu Land; sie ist hier größer, dort kleiner. Diese +nationalen Durchschnitte bilden also eine Stufenleiter, deren Maßeinheit +die Durchschnittseinheit der universellen Arbeit ist. Verglichen mit der +weniger intensiven, producirt also die intensivere nationale Arbeit in glei- +cher Zeit mehr Werth, der sich in mehr Geld ausdrückt. + +Noch mehr aber wird das Werthgesetz in seiner internationalen Anwen- +dung dadurch modifient, daß auf dem Weltmarkt die produktivere natio- +nale Arbeit ebenfalls als intensivere zählt, so oft die produktivere Nation +nicht durch die Konkurrenz gezwungen wird, den Verkaufspreis ihrer +Waare auf ihren Werth zu senken. + +Im Maß, wie in einem Lande die kapitalistische Produktion entwickelt +ist, im selben Maß erheben sich dort auch die nationale Intensität und Pro- +duktivität der Arbeit über das internationale ||523| N i v e a u 6 4 a ) . Die ver- +schiedenen Waarenquanta derselben Art, die in verschiedenen Ländern in +gleicher Arbeitszeit producirt werden, haben also ungleiche internationale +Werthe, die sich in verschiedenen Preisen ausdrücken, d.h. in je nach den +internationalen Werthen verschiednen Geldsummen. Der relative Werth +des Geldes wird also kleiner sein bei der Nation mit entwickelterer kapita- +listischer Produktionsweise als bei der mit wenig entwickelter. Folgt also, +daß der nominelle Arbeitslohn, das Aequivalent der Arbeitskraft ausge- +drückt in Geld, ebenfalls höher sein wird bei der ersten Nation als bei +der zweiten; was keineswegs besagt, daß dieß auch für den wirklichen +Lohn gilt, d. h. für die dem Arbeiter zur Verfügung gestellten Lebens- +mittel. + +Aber auch abgesehn von dieser relativen Verschiedenheit des Geld- +werths in verschiedenen Ländern, wird man häufig finden, daß der Tages-, +Wochen-, etc. Lohn bei der ersteren Nation höher ist als bei der zweiten, +während der relative Arbeitspreis, d.h. der Arbeitspreis im Verhältniß so- + +6 4 a ) An andrer Stelle werden wir untersuchen, welche Umstände, in Beziehung auf die Pro- +duktivität, dieß Gesetz für einzelne Produktionszweige modificiren können. + +501 + + Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn + +wohl zum Mehrwerth wie zum Werth des Produkts bei der zweiten Nation +höher steht als bei der ersteren 6 5). + +5 + +J . W . Cowell, Mitglied der Fabrikkommission von 1833, kam nach sorg- +fältiger Untersuchung der Spinnerei zum Ergebniß, daß „in England die +Löhne der Sache nach niedriger für den Fabrikanten sind als auf dem Kon- +tinent, obwohl sie für den Arbeiter höher sein mögen" (Ure, p. 314). Der +englische Fabrikinspektor Alexander Redgrave weist im Fabrikbericht vom +31. Oktober 1866, ||524| durch vergleichende Statistik mit den Kontinental- +staaten nach, daß trotz niedrigerem Lohn und viel längerer Arbeitszeit die +kontinentale Arbeit, verhältnißmäßig zum Produkt, theurer ist als die eng- 10 +lische. Ein englischer Direktor (manager) in einer Baumwollfabrik in Ol- +denburg erklärt, daß dort die Arbeitszeit von 5.30 Uhr Morgens bis 8 Uhr +Abends währt, Samstags eingeschlossen, und daß die dortigen Arbeiter, +wenn unter englischen Arbeitsaufsehern, während dieser Zeit nicht ganz so +viel Produkt liefern als Engländer in 10 Stunden, unter deutschen Arbeits- 15 +aufsehern aber noch viel weniger. Der Lohn stehe viel tiefer als in England, +in vielen Fällen um 50 %, aber die Zahl der Hände im Verhältniß zur Ma- +schinerie sei viel größer, in verschiedenen Departements im Verhältniß +von 5:3. Herr Redgrave gibt sehr genaue Details über die russischen Baum- +wollfabriken. Die Data sind ihm geliefert durch einen dort noch kürzlich 20 +beschäftigten englischen manager. Auf diesem russischen Boden, an allen +Infamien so fruchtbar, stehn auch die alten Greuel aus der Kindheitspe- +riode der englischen factories in vollster Blüthe. Die Dirigenten sind natür- +lich Engländer, da der eingeborene russische Kapitalist nicht für das Fa- +brikgeschäft +Nachtarbeit und schmählichster Unterzahlung der Arbeiter, vegetirt das +russische Fabrikat nur durch Prohibition des ausländischen. - Ich gebe +schließlich noch eine vergleichende Uebersicht des Herrn Redgrave über +die Durchs chnitt s - S ρ indelz ahi per Fabrik und per Spinner in verschiednen +Ländern Europas. Herr Redgrave bemerkt selbst, daß er diese Zahlen vor 30 + +taugt. Trotz aller Ueberarbeit, + +fortlaufender Tag- und 25 + +6 5 ) James Anderson bemerkt in Polemik gegen A. Smith: "It deserves likewise to be remarked, +that although the apparent price of labour is usually lower in poor countries, where the pro- +duce of the soil, and grain in general, is cheap; yet it is in fact for the most part really higher +than in other countries. For it is not the wages that is given to the labourer per day that consti- +tutes the real price of labour, although it is its apparent price. The real price is that which a 35 +certain quantity of work performed actually costs the employer; and considered in this light, +labour is in almost all cases cheaper in rich countries than in those that are poorer, although +the price of grain, and other provisions, is usually much lower in the last than in the first ... +Labour estimated by the day, is much lower in Scotland than in England ... Labour by the +piece is generally cheaper in England." (James Anderson: ,,Observations on the means of ex- 40 +citing a spirit of National Industry etc. Edinb. 1777", p. 350, 351.) - Umgekehrt producirt +ihrerseits die Niedrigkeit des Arbeitslohns Vertheurung der Arbeit. "Labour being dearer in +Ireland than it is in England ... because the wages are so much lower." (N. 2074 in Royal +Commission on Railways, Minutes. 1867.) + +502 + + Zwanzigstes Kapitel • Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne + +einigen Jahren gesammelt hat, und daß seit der Zeit die Größe der Fabri- +ken und die Spindelzahl per Arbeiter in England gewachsen seien. Er un- +terstellt aber verhältnißmäßig gleich großen Fortschritt in den aufgezählten +Kontinentalländern, so daß die Zahlenangaben ihren komparativen Werth +behalten hätten. + +Durchschnittsanzahl von Spindeln per Fabrik. + +In England Durchschnittszahl von Spindeln auf je eine Fabrik 12 600 +In der Schweiz +8 000 +In Oestreich +7 000 +In Sachsen +4 500 +In Belgien +4000 +In Frankreich +1500 +In Preußen +15001 + +15251 Durchschnittsanzahl von Spindeln per Kopf. + +In Frankreich +In Rußland +In Preußen +In Baiern +In Oestreich +In Belgien +In Sachsen +In den kleinern +deutschen Staaten +In der Schweiz +In Großbritannien + +eine Person auf 14 Spindeln + +28 » +37» +46 » +49 » +50 » +50 » + +55 » +55 » +74 » + +10 + +15 + +20 + +25 + +30 + +„Diese Vergleichung", sagt Herr Redgrave, „ist, außer andren Gründen, +besonders auch deßwegen für Großbritannien ungünstig, weil dort eine +sehr große Zahl Fabriken existirt, worin die Maschinenweberei mit der +Spinnerei verbunden ist, während die Rechnung keinen Kopf für die Web- +stuhle abzieht. Die auswärtigen Fabriken sind dagegen meist bloße Spinne- +reien. Könnten wir genau Gleiches mit Gleichem vergleichen, so könnte +ich viele Baumwollspinnereien in meinem Distrikt aufzählen, worin Mules +mit 2200 Spindeln von einem einzigen Mann (minder) und zwei Handlan- +gerinnen überwacht und täglich 220 Pfund Garn, 400 (englische) Meilen in +35 Länge, fabricirt werden." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1866", + +p. 3 1 - 3 7 passim.) + +Man weiß, daß in Osteuropa sowohl wie in Asien englische Compagnien +Eisenbahnen in Bau übernommen haben und dabei neben einheimischen +auch eine gewisse Zahl englischer Arbeiter verwenden. Durch praktische +40 Nothwendigkeit gezwungen, so den nationalen Unterschieden in der Inten- +sität der Arbeit Rechnung zu tragen, hat ihnen das keinen Schaden ge- +bracht. Ihre Erfahrung lehrt, daß wenn auch die Höhe des Lohnes mehr + +503 + + Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn + +oder weniger der mittleren Arbeitsintensität entspricht, der relative Ar- +beitspreis (im Verhältniß zum Produkt) sich im Allgemeinen im entgegen- +gesetzten Sinn bewegt. + +5 + +In „Versuch über die Rate des Arbeitslohns" 6 6), einer seiner frühsten +ökonomischen Schriften, sucht H. Carey nachzuweisen, daß die verschied- +nen nationalen Arbeitslöhne sich direkt verhalten ||526| wie die Produktivi- +tätsgrade der nationalen Arbeitstage, um aus diesem internationalen Ver- +hältniß den Schluß zu ziehen, daß der Arbeitslohn überhaupt steigt und +fällt wie die Produktivität der Arbeit. Unsre ganze Analyse der Produktion +des Mehrwerths beweist die Abgeschmacktheit dieser Schlußfolgerung, 10 +hätte Carey selbst seine Prämisse bewiesen, statt seiner Gewohnheit gemäß +unkritisch und oberflächlich zusammengerafftes statistisches Material kun- +terbunt durcheinander zu würfeln. Das Beste ist, daß er nicht behauptet, +die Sache verhalte sich wirklich so, wie sie sich der Theorie nach verhalten +sollte. Die Staatseinmischung hat nämlich das naturgemäße ökonomische 15 +Verhältniß verfälscht. Man muß daher die nationalen Arbeitslöhne so be- +rechnen, als ob der Theil derselben, der dem Staat in der Form von Steu- +ern zufällt, dem Arbeiter selbst zufiele. Sollte Herr Carey nicht weiter dar- +über nachdenken, ob diese „Staatskosten" nicht auch „naturgemäße +Früchte" der kapitalistischen Entwicklung sind? Das Raisonnement ist 20 +ganz des Mannes würdig, der die kapitalistischen Produktionsverhältnisse +erst für ewige Natur- und Vernunftsgesetze erklärte, deren frei harmoni- +sches Spiel nur durch die Staatseinmischung gestört werde, um hinterher +zu entdecken, daß Englands diabolischer Einfluß auf den Weltmarkt, ein +Einfluß, der, wie es scheint, nicht den Naturgesetzen der kapitalistischen 25 +Produktion entspringt, die Staatseinmischung nöthig macht, nämlich den +Schutz jener Natur- und Vernunftsgesetze durch den Staat, alias das Pro- +tektionssystem. Er entdeckte ferner, daß die Theoreme Ricardo's u. s. w., +worin existirende gesellschaftliche Gegensätze und Widersprüche formulirt +sind, nicht das ideale Produkt der wirklichen ökonomischen Bewegung, 30 +sondern daß umgekehrt die wirklichen Gegensätze der kapitalistischen +Produktion in England und anderswo das Resultat der Ricardo'schen +u.s.w. Theorie sind! Er entdeckte schließlich, daß es in letzter Instanz der +Handel ist, der die eingebornen Schönheiten und Harmonien der kapitali- +stischen Produktionsweise vernichtet. Noch einen Schritt weiter, und er 35 +entdeckt vielleicht, daß der einzige Mißstand an der kapitalistischen Pro- +duktion das Kapital selbst ist. Nur ein Mann von so entsetzlicher Kritiklo- +sigkeit und solcher Gelehrsamkeit de faux aloi verdiente, trotz seiner pro- + +6 6 ) „Essay on the Rate of Wages: with an Examination of the Causes of the Differences in the +Conditions of the Labouring Population throughout the World. Philadelphia 1835." + +40 + +504 + + Zwanzigstes Kapitel • Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne + +tektionistischen Ketzerei, die Geheimquelle der harmonischen Weisheit +eines Bastiat und aller andern freihändlerischen Optimisten der Gegenwart +zu werden. I + +|527| S I E B E N T E R ABSCHNITT. + +5 + +Der Akkumulationsproceß des Kapitals. + +Die Verwandlung einer Geldsumme in Produktionsmittel und Arbeitskraft +ist die erste Bewegung, die das Werthquantum durchmacht, das als Kapital +fungiren soll. Sie geht vor auf dem Markt, in der Sphäre der Cirkulation. +Die zweite Phase der Bewegung, der Produktionsproceß, ist abgeschlossen, +sobald die Produktionsmittel verwandelt sind in Waare, deren Werth den +Werth ihrer Bestandtheile übertrifft, also das ursprünglich vorgeschossene +Kapital plus eines Mehrwerths enthält. Diese Waaren müssen alsdann wie- +derum in die Sphäre der Cirkulation geworfen werden. Es gilt sie zu ver- +kaufen, ihren Werth in Geld zu realisiren, dieß Geld aufs Neue in Kapi- +tal zu verwandeln und so stets von Neuem. Dieser immer dieselben suc- +cessiven Phasen durchmachende Kreislauf bildet die Cirkulation des Ka- +pitals. + +10 + +15 + +Die erste Bedingung der Akkumulation ist, daß der Kapitalist es fertig +gebracht hat, seine Waaren zu verkaufen und den größten Theil des so er- +20 haltenen Geldes in Kapital rückzuverwandeln. Im Folgenden wird voraus- +gesetzt, daß das Kapital seinen Cirkulationsproceß in normaler Weise +durchläuft. Die nähere Analyse dieses Processes gehört ins Zweite Buch. + +25 + +Der Kapitalist, der den Mehrwerth producirt, d.h. unbezahlte Arbeit un- +mittelbar aus den Arbeitern auspumpt und in Waaren fixirt, ist zwar der er- +ste Aneigner, aber keineswegs der letzte Eigenthümer dieses Mehrwerths. +Er hat ihn hinterher zu theilen mit Kapitalisten, die andre Funktionen im +Großen und Ganzen der gesellschaftlichen Produktion vollziehn, mit dem +Grundeigenthümer u.s.w. Der Mehrwerth spaltet sich daher in verschiedne +Theile. Seine Bruchstücke fallen verschiednen Kategorien von Personen zu +30 und erhalten verschiedne, gegen einander selbständige Formen, wie Profit, +Zins, Handelsgewinn, Grundrente u. s. w. Diese verwandelten Formen des +Mehrwerths können erst im Dritten Buch behandelt werden. + +Wir unterstellen hier also einerseits, daß der Kapitalist, der die Waare +producirt, sie zu ihrem Werth verkauft, und verweilen nicht weiter bei sei- +35 ner Rückkehr zum Waarenmarkt, weder bei den neuen Formen, die dem +Kapital anschießen in der Cirkulationssphäre, noch den darin eingehüllten + +505 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +konkreten Bedingungen der ||528| Reproduktion. Andrerseits gilt uns der +kapitalistische Producent als Eigenthümer des ganzen Mehrwerths oder, +wenn man will, als Repräsentant aller seiner Theilnehmer an der Beute. +Wir betrachten also zunächst die Akkumulation abstrakt, d. h. als bloßes +Moment des unmittelbaren Produktionsprocesses. + +5 + +So weit übrigens Akkumulation stattfindet, gelingt dem Kapitalisten der +Verkauf der producirten Waare und die Rückverwandlung des aus ihr gelö- +sten Geldes in Kapital. Ferner: Der Bruch des Mehrwerths in verschiedne +Stücke ändert nichts an seiner Natur, noch an den nothwendigen Bedin- +gungen, worin er zum Element der Akkumulation wird. Welche Proportion 10 +des Mehrwerths der kapitalistische Producent immer für sich selbst fest- +halte oder an Andre abtrete, er eignet ihn stets in erster Hand an. Was also +bei unsrer Darstellung der Akkumulation unterstellt wird, ist bei ihrem +wirklichen Vorgang unterstellt. Andrerseits verdunkeln die Zerspaltung des +Mehrwerths und die vermittelnde Bewegung der Cirkulation die einfache 15 +Grundform des Akkumulationsprocesses. Seine reine Analyse erheischt +daher vorläufiges Wegsehn von allen Phänomenen, welche das innere Spiel +seines Mechanismus verstecken. + +EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL. + +Einfache Reproduktion. + +20 + +Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprocesses, er +muß kontinuirlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Stadien +durchlaufen. So wenig eine Gesellschaft aufhören kann zu konsumiren, so +wenig kann sie aufhören zu produciren. In einem stetigen Zusammenhang +und dem beständigen Fluß seiner Erneuerung betrachtet, ist jeder gesell- 25 +schaftliche Produktionsproceß daher zugleich Reproduktionsproceß. + +Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der R e - +produktion. Keine Gesellschaft kann fortwährend produciren, d. h. repro- +duciren, ohne fortwährend einen Theil ihrer Produkte in Produktionsmittel +oder Elemente der Neuproduktion rückzuverwandeln. Unter sonst gleich- 30 +bleibenden Umständen kann sie ihren Reichthum nur auf derselben Stu- +fenleiter reproduciren oder erhalten, indem sie die, während des Jahres +z. B . , verbrauchten Produktionsmittel, d. h. Arbeitsmittel, Rohmateriale +und Hülfsstoffe, in natura durch ein gleiches Quantum neuer Exemplare +ersetzt, ||529| welches von der jährlichen Produktenmasse abgeschieden 35 +und von neuem dem Produktionsproceß einverleibt wird. Ein bestimmtes +Quantum des jährlichen Produkts gehört also der Produktion. Von Haus + +506 + + Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion + +5 + +aus für die produktive Konsumtion bestimmt, existirt es großenteils in +Naturalformen, die von selbst die individuelle Konsumtion ausschließen. +Hat die Produktion kapitalistische Form, so die Reproduktion. Wie in +der kapitalistischen Produktionsweise der Arbeitsproceß nur als ein Mittel +für den Verwerthungsproceß erscheint, so die Reproduktion nur als ein +Mittel, den vorgeschoßnen Werth als Kapital zu reproduciren, d.h. als sich +verwertenden Werth. Die ökonomische Charaktermaske des Kapitalisten +hängt nur dadurch an einem Menschen fest, daß sein Geld fortwährend als +Kapital funktionirt. Hat z.B. die vorgeschoßne Geldsumme von 100 Pfd. +10 St. sich dieses Jahr in Kapital verwandelt und einen Mehrwerth von 20 Pfd. +St. producirt, so muß sie das nächste Jahr u.s.f. dieselbe Operation wieder- +holen. Als periodisches Inkrement des Kapitalwerths, oder periodische +Frucht des processirenden Kapitals, erhält der Mehrwerth die Form einer +aus dem Kapital entspringenden Revenue 1). + +15 + +Dient diese Revenue dem Kapitalisten nur als Konsumtionsfonds oder +wird sie ebenso periodisch verzehrt wie gewonnen, so findet, unter sonst +gleichbleibenden Umständen, einfache Reproduktion statt. Obgleich letz- +tere nun bloße Wiederholung des Produktionsprocesses auf derselben Stu- +fenleiter, drückt diese bloße Wiederholung oder Kontinuität dem Processe +20 gewisse neue Charaktere auf oder löst vielmehr die Scheincharaktere sei- + +nes nur vereinzelten Vorgangs auf. + +Der Produktionsproceß wird eingeleitet mit dem Kauf der Arbeitskraft +für eine bestimmte Zeit, und diese Einleitung erneuert sich beständig, so- +bald der Verkaufstermin der Arbeit fällig und damit eine bestimmte Pro- +25 duktionsperiode, Woche, Monat u.s.w. abgelaufen ist. Gezahlt wird der Ar- +beiter aber erst, nachdem seine ||530| Arbeitskraft gewirkt und sowohl ihren +eignen Werth, als den Mehrwerth, in Waaren realisirt hat. Er hat also wie +den Mehrwerth, den wir einstweilen nur als Konsumtionsfonds des Kapita- +listen betrachten, so den Fonds seiner eignen Zahlung, das variable Kapi- +tal, producirt, bevor es ihm in der Form des Arbeitslohnes zurückfließt, +und er wird nur so lange beschäftigt, als er ihn beständig reproducirt. Da- +her die im sechzehnten Kapitel unter „II" erwähnte Formel der Oekono- +men, die das Salair als Antheil am Produkt selbst darstellt 2). Es ist ein + +30 + +*) „Die Reichen, welche die Produkte der Arbeit Andrer verzehren, erhalten sie nur durch +35 Austauschakte (Waarenkäufe). Sie scheinen daher einer baldigen Erschöpfung ihrer Reserve- +fonds ausgesetzt ... Aber in der gesellschaftlichen Ordnung hat der Reichthum die Kraft er- +halten, sich durch fremde Arbeit zu reproduciren .... Der Reichthum, wie die Arbeit, und +durch die Arbeit, liefert eine jährliche Frucht, welche jedes Jahr vernichtet werden kann, ohne +daß der Reiche ärmer wird. Diese Frucht ist die Revenue, die aus dem Kapital entspringt." + +40 (Sismondi: „Nouv. Princ. d'Écon. Pol." t.I, p. 81, 82.) + +2) "Wages as well as profits are to be considered each of them as really a portion of the fin- +ished product." (Ramsay 1. c. p. 142.) „Der Antheil an dem Produkt, der dem Arbeiter unter +der Form des Salairs zukommt." (J. Mill: „Elements etc." Uebers. von Parisot, Paris 1823, +P· 34.) + +507 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Theil des vom Arbeiter selbst beständig reproducirten Produkts, das ihm in +der Form des Arbeitslohns beständig zurückfließt. Der Kapitalist zahlt ihm +den Waarenwerth allerdings in Geld. Dieß Geld ist aber nur die verwan- +delte Form des Arbeitsprodukts. Während der Arbeiter einen Theil der Pro- +duktionsmittel in Produkt verwandelt, rückverwandelt sich ein Theil seines +früheren Produkts in Geld. Es ist seine Arbeit von voriger Woche oder vom +letzten halben Jahre, womit seine Arbeit von heute oder vom nächsten hal- +ben Jahr gezahlt wird. Die Illusion, welche die Geldform erzeugt, ver- +schwindet sofort, sobald statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen +Arbeiters Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse betrachtet werden. Die Ka- +pitalistenklasse gibt der Arbeiterklasse beständig in Geldform Anweisun- +gen auf einen Theil des von der letzteren producirten und von der erstren +angeeigneten Produkts. Diese Anweisungen gibt der Arbeiter der Kapitali- +stenklasse ebenso beständig zurück und entzieht ihr damit den ihm selbst +zufallenden Theil seines eignen Produkts. Die Waarenform des Produkts +und die Geldform der Waare verkleiden die Transaktion. + +Das variable Kapital ist also nur eine besondre historische Erscheinungs- +form des Fonds von Lebensmitteln oder des Arbeitsfonds, den der Arbeiter +zu seiner Selbsterhaltung und Reproduktion bedarf, und den er in allen Sy- +stemen der gesellschaftlichen Produktion stets selbst produciren und repro- +duciren muß. Der Arbeitsfonds fließt ihm nur beständig in Form von Zah- +lungsmitteln seiner Arbeit zu, weil sein eignes Produkt sich beständig in +der Form des Kapitals von ihm entfernt. Aber diese Erscheinungsform des +Arbeitsfonds ändert nichts daran, daß dem Arbeiter seine eigne vergegen- +ständlichte Arbeit vom Kapitalisten vorgeschossen wird 3). ||531| Nehmen +wir einen Frohnbauer. Er arbeitet mit seinen eignen Produktionsmitteln +auf seinem eignen Acker z.B. 3 Tage in der Woche. Die drei andren Wo- +chentage verrichtet er Frohnarbeit auf dem herrschaftlichen Gut. Er repro- +ducirt seinen eignen Arbeitsfonds beständig, und dieser erhält ihm gegen- +über nie die Form von einem Dritten für seine Arbeit vorgeschoßner +Zahlungsmittel. Im Ersatz erhält auch niemals seine unbezahlte Zwangsar- +beit die Form freiwilliger und bezahlter Arbeit. Wenn morgen der Gutsherr +den Acker, das Zugvieh, die Samen, kurz die Produktionsmittel des Frohn- +bauern sich selbst aneignet, so hat dieser von nun an seine Arbeitskraft an +den Frohnherrn zu verkaufen. Unter sonst gleichbleibenden Umständen +wird er nach wie vor 6 Tage in der Woche arbeiten, 3 Tage für sich selbst, 3 +für den Exfrohnherrn, der jetzt in einen Lohnherrn verwandelt ist. Er wird +nach wie vor die Produktionsmittel als Produktionsmittel vernutzen und + +3) "When capital is employed in advancing to the workman his wages, it adds nothing to the +funds for the maintenance of labour." (Cazenove in Note zu seiner ed. von Malthus': ,,Defini- +tions in Polit. Econ. London 1853", p. 22.) + +508 + + Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion + +ihren Werth auf das Produkt übertragen. Nach wie vor wird ein bestimmter +Theil des Produkts in die Reproduktion eingehn. Wie aber die Frohnarbeit +die Form der Lohnarbeit, nimmt der vom Frohnbauer nach wie vor produ- +c e t e und reproducirte Arbeitsfonds die Form eines ihm vom Frohnherrn +vorgeschoßnen Kapitals an. Der bürgerliche Oekonom, dessen beschränk- +tes Hirn die Erscheinungsform von dem, was darin erscheint, nicht trennen +kann, schließt die Augen vor der Thatsache, daß selbst noch heutzutag der +Arbeitsfonds nur ausnahmsweis auf dem Erdrund in der Form von Kapital +auftritt 4). + +Allerdings verliert das variable Kapital nur den Sinn eines aus dem +eignen Fonds des Kapitalisten vorgeschoßnen Werthes 4 a), sobald wir den +kapitalistischen Produktionsproceß im beständigen Fluß seiner Erneue- +rung betrachten. Aber er muß doch irgendwo und irgendwann anfangen. +Von unsrem bisherigen Standpunkt ist es daher wahrscheinlich, daß der +Kapitalist irgend einmal durch ||532| irgend eine, von unbezahlter fremder +Arbeit unabhängige, ursprüngliche Akkumulation Geldbesitzer ward, und +daher den Markt als Käufer von Arbeitskraft beschreiten konnte. Indeß be- +wirkt die bloße Kontinuität des kapitalistischen Produktionsprocesses, oder +die einfache Reproduktion, noch andre sonderbare Wechsel, die nicht nur +den variablen Kapitaltheil ergreifen, sondern das Gesammtkapital. + +Beträgt der mit einem Kapital von 1000 Pfd. St. periodisch, z.B. jährlich, +erzeugte Mehrwerth 200 Pfd. St. und wird dieser Mehrwerth jährlich ver- +zehrt, so ist es klar, daß nach fünfjähriger Wiederholung desselben Proces- +ses die Summe des verzehrten Mehrwerths = 5 x 200 ist oder gleich dem +ursprünglich vorgeschoßnen Kapitalwerth von 1000 Pfd. St. Würde der +jährliche Mehrwerth nur theilweis verzehrt, z . B . nur zur Hälfte, so ergäbe +sich dasselbe Resultat nach zehnjähriger Wiederholung des Produktions- +processes, denn 10 x 100 = 1000. Allgemein: Der vorgeschoßne Kapital- +werth, dividirt durch den jährlich verzehrten Mehrwerth, ergibt die Jahres- +anzahl oder die Anzahl von Reproduktionsperioden, nach deren Ablauf +das ursprünglich vorgeschoßne Kapital vom Kapitalisten aufgezehrt und +daher verschwunden ist. Die Vorstellung des Kapitalisten, daß er das Pro- +dukt der fremden unbezahlten Arbeit, den Mehrwerth, verzehrt und den +ursprünglichen Kapitalwerth erhält, kann absolut nichts an der Thatsache +ändern. Nach Abfluß einer gewissen Jahreszahl ist der von ihm geeignete + +4) „Die Subsistenzmittel der Arbeiter werden noch nicht auf einem Viertel der Erde den Ar- +beitern durch Kapitalisten vorgeschossen." (Richard Jones: „Textbook of Lectures on the +Polit. Economy of Nations". Hertford 1852, p. 36.) +4 a ) "Though the manufacturer (i.e. Manufakturarbeiter) has his wages advanced to him by his +master, he in reality costs him no expense, the value of these wages being generally reserved, +together with a profit, in the improved value of the subject upon which his labour is be- +stowed." (A. Smith 1. c. Book II, ch. III, p. 355.) + +509 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Kapitalwerth gleich der Summe des während derselben Jahreszahl ohne +Aequivalent angeeigneten Mehrwerths, und die von ihm verzehrte Werth- +summe gleich dem ursprünglichen Kapitalwerth. Allerdings behält er in +der Hand ein Kapital, dessen Größe sich nicht verändert hat, wovon ein +Theil, Gebäude, Maschinen u. s. w. bereits vorhanden war, als er sein Ge- +schäft in Gang brachte. Aber hier handelt es sich vom Werth des Kapitals +und nicht von seinen materiellen Bestandteilen. Wenn Jemand sein gan- +zes Besitzthum aufzehrt dadurch, daß er Schulden aufnimmt, die dem +Werth dieses Besitzthums gleichkommen, so repräsentirt eben das ganze +Besitzthum nur die Gesammtsumme seiner Schulden. Und ebenso, wenn 10 +der Kapitalist das Aequivalent seines vorgeschoßnen Kapitals aufgezehrt +hat, repräsentirt der Werth dieses Kapitals nur noch die Gesammtsumme +des von ihm unentgeltlich angeeigneten Mehrwerths. Kein Werthatom sei- +nes alten Kapitals existirt fort. + +5 + +Ganz abgesehn von aller Akkumulation verwandelt also die bloße Konti- 15 + +nuität des Produktionsprocesses, oder die einfache Re||533|produktion, +nach kürzerer oder längerer Periode, jedes Kapital nothwendig in akkumu- +lirtes Kapital oder kapitalisirten Mehrwerth. War es selbst bei seinem Ein- +tritt in den Produktionsproceß persönlich erarbeitetes Eigenthum seines +Anwenders, früher oder später wird es ohne Aequivalent angeeigneter 20 +Werth oder Materiatur, ob in Geldform oder anders, unbezahlter fremder +Arbeit. + +Wir sahen im vierten Kapitel: Um Geld in Kapital zu verwandeln, ge- +nügte nicht das Vorhandensein von Werthproduktion und Waarencircula- +tion. Es mußten erst, hier Besitzer von Werth oder Geld, dort Besitzer der 25 +werthschaffenden Substanz; hier Besitzer von Produktions- und Lebens- +mitteln, dort Besitzer von nichts als Arbeitskraft, einander als Käufer und +Verkäufer gegenübertreten. Scheidung zwischen dem Arbeitsprodukt und +der Arbeit selbst, zwischen den objektiven Arbeitsbedingungen und der +subjektiven Arbeitskraft, war also die thatsächlich gegebne Grundlage, der 30 +Ausgangspunkt des kapitalistischen Produktionsprocesses. + +Was aber Anfangs nur Ausgangspunkt war, wird vermittelst der bloßen +Kontinuität des Processes, der einfachen Reproduktion, stets aufs Neue +producirt und verewigt als eignes Resultat der kapitalistischen Produktion. +Einerseits verwandelt der Produktionsproceß fortwährend den stofflichen 35 +Reichthum in Kapital, in Verwerthungs- und Genußmittel für den Kapita- +listen. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Proceß heraus, +wie er in ihn eintrat - persönliche Quelle des Reichthums, aber entblößt +von allen Mitteln, diesen Reichthum für sich zu verwirklichen. Da vor sei- +nem Eintritt in den Proceß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet, dem 40 +Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständ- + +510 + + Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion + +5 + +10 + +licht sie sich während des Processes beständig in fremdem Produkt. Da der +Produktionsproceß zugleich der Konsumtionsproceß der Arbeitskraft +durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht +nur fortwährend in Waare, sondern in Kapital, Werth, der die werthschöp- +fende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmit- +tel, die den Producenten anwenden 5). Der Arbeiter selbst producirt daher +beständig den objektiven Reichthum als Kapital, ihm fremde, ihn beherr- +schende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist producirt ebenso be- +ständig die Arbeitskraft als +||534| subjektive, von ihren eignen Vergegen- +ständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der +bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existirende Reichthumsquelle, kurz den +Arbeiter als Lohnarbeiter 6). Diese beständige Reproduktion oder Verewi- +gung des Arbeiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produk- +tion. + +15 + +Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst +konsumirt er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in +Produkte von höherem Werth als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Dieß +ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner +Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits ver- +20 wendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Le- +bensmittel: dieß ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die +individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der +ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapita- +listen; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen +25 außerhalb des Produktionsprocesses. Das Resultat der einen ist das Leben + +des Kapitalisten, das der andern ist das Leben des Arbeiters selbst. + +Bei Betrachtung des „Arbeitstags" u. s. w. zeigte sich gelegentlich, daß +der Arbeiter oft gezwungen ist, seine individuelle Konsumtion zu einem +bloßen Incident des Produktionsprocesses zu machen. In diesem Fall setzt +30 er sich Lebensmittel zu, um seine Arbeitskraft im Gang zu halten, wie der +Dampfmaschine Kohle und Wasser, dem Rad OeI zugesetzt wird. Seine +Konsumtionsmittel sind dann bloß Konsumtionsmittel eines Produktions- +mittels, seine individuelle Konsumtion direkt produktive Konsumtion. + +5) „Das ist eine besonders merkwürdige Eigenschaft der produktiven Konsumtion. Was pro- +35 duktiv konsumirt wird, ist Kapital und es wird Kapital durch die Konsumtion." (James Mill +I.e. p.242.) J.Mill ist jedoch dieser „besonders merkwürdigen Eigenschaft" nicht auf die Spur +gekommen. +6) "It is true indeed that the first introducing a manufacture emploies many poor, but they +cease not to be so, and the continuance of it makes many." (,,Reasons for a limited Exporta- +tion of Wool. Lond. 1677", p. 19.) "The farmer now absurdly asserts, that he keeps the poor. +They are indeed kept in misery." (,,Reasons for the late Increase of the Poor Rates: or a com- +parative view of the prices of labour and provisions. Lond. 1777", p. 31.) + +40 + +511 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Dieß erscheint jedoch als ein dem kapitalistischen Produktionsproceß un- +wesentlicher Mißbrauch 7). + +5 + +Anders sieht die Sache aus, sobald wir nicht den einzelnen Kapitalisten +und den einzelnen Arbeiter betrachten, sondern die Kapitalistenklasse und +die Arbeiterklasse, nicht den vereinzelten Produktionsproceß der Waare, +sondern den kapitalistischen Produktionsproceß in seinem Fluß und in sei- +nem gesellschaftlichen ||535| Umfang. - Wenn der Kapitalist einen Theil +seines Kapitals in Arbeitskraft umsetzt, verwertet er damit sein Gesammt- +kapital. Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Er profitirt nicht nur von +dem, was er vom Arbeiter empfängt, sondern auch von dem, was er ihm 10 +gibt. Das im Austausch gegen Arbeitskraft veräußerte Kapital wird in Le- +bensmittel verwandelt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel, Nerven, +Knochen, Hirn vorhandner Arbeiter zu reproduciren und neue Arbeiter zu +zeugen. Innerhalb der Grenzen des absolut Nothwendigen ist daher die in- +dividuelle Konsumtion der Arbeiterklasse Rückverwandlung der vom Kapi- 15 +tal gegen Arbeitskraft veräußerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploi- +tirbare Arbeitskraft. Sie +ist Produktion und Reproduktion des dem +Kapitalisten unentbehrlichsten Produktionsmittels, des Arbeiters selbst. +Die individuelle Konsumtion des Arbeiters bleibt also ein Moment der +Produktion und Reproduktion des Kapitals, ob sie innerhalb oder außer- 20 +halb der Werkstatt, Fabrik u.s.w., innerhalb oder außerhalb des Arbeitspro- +cesses vorgeht, ganz wie die Reinigung der Maschine, ob sie während des +Arbeitsprocesses oder bestimmter Pausen desselben geschieht. Es thut +nichts zur Sache, daß der Arbeiter seine individuelle Konsumtion sich +selbst und nicht dem Kapitalisten zu lieb vollzieht. So bleibt der Konsum 25 +des Lastviehs nicht minder ein notwendiges Moment des Produktionspro- +cesses, weil das Vieh selbst genießt, was es frißt. Die beständige Erhaltung +und Reproduktion der Arbeiterklasse bleibt beständige Bedingung für die +Reproduktion des Kapitals. Der Kapitalist kann ihre Erfüllung getrost dem +Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassen. Er sorgt 30 +nur dafür, ihre individuelle Konsumtion möglichst auf das Nothwendige +einzuschränken, und ist himmelweit entfernt von jener süd-amerikani- +schen Roheit, die den Arbeiter zwingt, substantiellere statt weniger sub- +stantieller Nahrungsmittel einzunehmen 8). + +7) Rossi würde nicht so emphatisch diesen Punkt verdeklamiren, wäre er wirklich in das Ge- 35 +heimniß der ,,productive consumption" eingedrungen. +8) „Die Arbeiter in den Bergwerken Südamerika^, deren tägliches Geschäft (das schwerste +vielleicht in der Welt) darin besteht, eine Last Erz, im Gewicht von 180-200 Pfund, aus einer +Tiefe von 450 Fuß auf ihren Schultern zu Tage zu fördern, leben nur noch von Brod und Boh- +nen; sie würden das Brod allein zur Nahrung vorziehn, allein ihre Herrn, welche gefunden ha- 40 +ben, daß sie mit Brod nicht so stark arbeiten können, behandeln sie wie Pferde, und zwingen +sie die Bohnen zu essen; die Bohnen sind aber verhältnißmäßig an Knochenerde weit reicher +als das Brod." (Liebig 1. c. 1. Theil, p. 194, Note.) + +512 + + Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion + +Daher betrachtet auch der Kapitalist und sein Ideolog, der politische Oe- +konom, nur den Theil der individuellen Konsumtion des ||536| Arbeiters +als produktiv, der zur Verewigung der Arbeiterklasse erheischt ist, also in +der That verzehrt werden muß, damit das Kapital die Arbeitskraft verzehre; +5 was der Arbeiter außerdem zu seinem Vergnügen verzehren mag, ist unpro- +duktive Konsumtion 9). Würde die Akkumulation des Kapitals eine Erhö- +hung des Arbeitslohns und daher Vermehrung der Konsumtionsmittel des +Arbeiters verursachen ohne Konsum von mehr Arbeitskraft durch das Ka- +pital, so wäre das zuschüssige Kapital unproduktiv konsumirt 1 0). In der +10 That: die individuelle Konsumtion des Arbeiters ist für ihn selbst unpro- +duktiv, denn sie reproducirt nur das bedürftige Individuum; sie ist produk- +tiv für den Kapitalisten und den Staat, denn sie ist Produktion der den +fremden Reichthum producirenden Kraft 1 1). + +Von gesellschaftlichem Standpunkt ist also die Arbeiterklasse, auch au- +15 ßerhalb des unmittelbaren Arbeitsprocesses, ebenso sehr Zubehör des Ka- +pitals als das todte Arbeitsinstrument. Selbst ihre individuelle Konsumtion +ist innerhalb gewisser Grenzen nur ein Moment des Reproduktionsproces- +ses des Kapitals. Der Proceß aber sorgt dafür, daß diese selbstbewußten +Produktionsinstrumente nicht weglaufen, indem er ihr Produkt beständig +20 von ihrem Pol zum Gegenpol des Kapitals entfernt. Die individuelle Kon- +sumtion sorgt einerseits für ihre eigne Erhaltung und Reproduktion, and- +rerseits durch Vernichtung der Lebensmittel für ihr beständiges Wiederer- +scheinen auf dem Arbeitsmarkt. Der römische Sklave war durch Ketten, +der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Fäden an seinen Eigenthümer ge- +25 bunden. Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den beständigen +Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris des Kontrakts +aufrecht erhalten. + +Früher machte das Kapital, wo es ihm nöthig schien, sein Eigenthums- +recht auf den freien Arbeiter durch Zwangsgesetz geltend. So war z . B . die +30 Emigration der Maschinenarbeiter in England bis 1815 bei schwerer Strafe + +verboten. | + +|537| Die Reproduktion der Arbeiterklasse schließt zugleich die Ueber- +lieferung und Häufung des Geschicks von einer Generation zur andren + +35 + +9) James Mill 1. c. p. 238 sqq. +1 0 ) „Stiege der Preis der Arbeit so hoch, daß trotz des Zuwachses von Kapital nicht mehr Ar- +beit angewandt werden könnte, so würde ich sagen, daß solcher Zuwachs von Kapital unpro- +duktiv konsumirt wird". (Ricardo 1. c. p. 163.) +n) „Die einzig produktive Konsumtion im eigentlichen Sinn ist die Konsumtion oder Zerstö- +rung von Reichthum (er meint den Verbrauch der Produktionsmittel) durch Kapitalisten zum +40 Zwecke der Reproduktion ... Der Arbeiter .... ist ein produktiver Konsument für die Person, +die ihn anwendet, und für den Staat, aber, genau gesprochen, nicht für sich selbst." (Malthus: +,,Definitions etc.", p. 30.) + +513 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +e i n 1 2 ) . Wie sehr der Kapitalist das Dasein einer solchen geschickten Arbei- +terklasse unter die ihm zugehörigen Produktionsbedingungen zählt, sie in +der That als die reale Existenz seines variablen Kapitals betrachtet, zeigt +sich, sobald eine Krise deren Verlust androht. In Folge des amerikanischen +Bürgerkriegs und der ihn begleitenden Baumwollnoth wurde bekanntlich +die Mehrzahl der Baumwollarbeiter in Lancashire u. s. w. aufs Pflaster ge- +worfen. Aus dem Schoß der Arbeiterklasse selbst, wie andrer Gesellschafts- +schichten, erhob sich der R u f nach Staatsunterstützung oder freiwilliger +Nationalkollekte, um die Emigration der „Ueberflüssigen" in englische Ko- +lonien oder die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Damals veröffent- 10 +lichte die Times (24. März 1863) einen Brief von Edmund Potter, früher +Präsident der Manchester Handelskammer. Sein Brief ward mit Recht im +Unterhaus als „das Manifest der Fabrikanten" bezeichnet 1 3). Wir geben +hier einige charakteristische Stellen, worin der Eigenthumstitel des Kapi- +tals auf die Arbeitskraft unverblümt ausgesprochen wird. + +15 + +5 + +20 + +„Den Baumwollarbeitern mag gesagt werden, daß ihre Zufuhr zu groß +ist .... sie müsse vielleicht um ein Drittheil reducirt werden, und dann +würde eine gesunde Nachfrage für die übrigen zwei Drittheile eintreten .... +Die öffentliche Meinung dringt auf Emigration .... Der Meister (d. h. der +Baumwollfabrikant) kann nicht willig seine Arbeitszufuhr entfernt sehn; er +mag denken, daß das ebenso ungerecht als unrichtig ist .... Wenn die Emi- +gration aus öffentlichen Fonds unterstützt wird, hat er ein Recht, Gehör zu +verlangen und vielleicht zu protestiren." Selbiger Potter setzt dann weiter +aus einander, wie nützlich die Baumwollindustrie, wie „sie unzweifelhaft +die Bevölkerung aus Irland und den englischen Agrikulturdistrikten weg- 25 +drainirt hat", wie ungeheuer ihr Umfang, wie sie im Jahr 1860 5/ 1 3 des gan- +zen englischen Exporthandels lieferte, wie sie nach wenigen Jahren sich +wieder ausdehnen werde durch Erweiterung des Markts, besonders Indiens, +und durch Er||538|zwingung hinreichender „Baumwollzufuhr, zu 6 d. das +Pfund". Er fährt dann fort: „Zeit - eins, zwei, drei Jahre vielleicht - wird 30 +die nöthige Quantität produciren .... Ich möchte dann die Frage stellen, ist +diese Industrie werth, sie festzuhalten, ist es der Mühe werth, die Maschi- +nerie (nämlich die lebendigen Arbeitsmaschinen) in Ordnung zu halten, +und ist es nicht die größte Narrheit, daran zu denken, sie aufzugeben! Ich +glaube das. Ich will zugeben, daß die Arbeiter nicht Eigenthum sind ("I al- 35 +low that the workers are not a property"), nicht das Eigenthum Lancashire's + +1 2 ) „Das einzige Ding, wovon man sagen kann, daß es aufgespeichert und vorher präparirt ist, +ist das Geschick des Arbeiters ... Die Akkumulation und Aufspeicherung geschickter Arbeit, +diese wichtigste Operation wird, was die große Masse der Arbeiter betrifft, ohne irgend wel- +ches Kapital vollbracht." (Hodgskin: „Labour Defended etc.", p. 12, 13.) +1 3 ) "That letter might be looked upon as the manifesto of the manufacturers." (Ferrand: Mo- +tion über den cotton famine, Sitzung des Η. ο. C vom 27. April 1863.) + +40 + +514 + + Einundzwanzigstes Kapitel · Einfache Reproduktion + +und der Meister; aber sie sind die Stärke beider; sie sind die geistige und +geschulte Kraft, die in einer Generation nicht ersetzt werden kann; die an- +dere Maschinerie dagegen, woran sie arbeiten (,,the mere machinery which +they work"), könnte zum großen Theil mit Vortheil ersetzt und verbessert +5 werden in zwölf Monaten 1 4). Ermuntert oder erlaubt (!) die Emigration der +Arbeitskraft, und was wird aus dem Kapitalisten? ("Encourage or allow the +working power to emigrate, and what of the capitalist?" Dieser Herzensstoß +erinnert an Hofmarschall Kalb.) ... Nehmt den Rahm der Arbeiter weg, +und das fixe Kapital wird in hohem Grade entwerthet und das cirkulirende +10 Kapital wird sich nicht dem Kampf mit schmaler Zufuhr einer niedrigeren +Sorte von Arbeit aussetzen .... Man sagt uns, die Arbeiter selbst wünschen +die Emigration. Es ist sehr natürlich, daß sie das thun .... Reducirt, kom- +primirt das Baumwollgeschäft durch Wegnahme seiner Arbeitskräfte (by +taking away its working power), durch Verminderung ihrer Lohnverausga- +15 bung sage um % oder 5 Millionen, und was wird dann aus der nächsten +Klasse über ihnen, den Kleinkrämern? Was aus den Grundrenten, was aus +der Miethe der cottages? ... was aus dem kleinen Pächter, dem besseren +Hausbesitzer und dem Grundeigenthümer? Und sagt nun, ob irgend ein | +|539| Plan für alle Klassen des Landes selbstmörderischer sein kann als die- +ser, die Nation zu schwächen durch den Export ihrer besten Fabrikarbeiter +und die Entwerthung eines Theils ihres produktivsten Kapitals und Reich- +thums?" „Ich rathe zu einer Anleihe von 5 bis 6 Millionen, über 2 oder +3 Jahre vertheilt, administrirt durch Specialkommissäre, beigeordnet den +Armenverwaltungen in den Baumwolldistrikten, unter speciellen gesetzli- +chen Regulationen, mit gewisser Zwangsarbeit, um die moralische Valuta +.... Kann es irgend etwas +der Almosenempfänger aufrecht zu erhalten +Schlimmeres geben für Grundeigenthümer oder Meister (,,can anything be +worse for landowners or masters") als ihre besten Arbeiter aufzugeben und +die übrigbleibenden zu demoralisiren und zu verstimmen durch eine aus- +30 gedehnte entleerende Emigration und Entleerung von Werth und Kapital + +25 + +20 + +in einer ganzen Provinz?" + +Potter, das auserwählte Organ der Baumwollfabrikanten, unterscheidet + +1 4 ) Man erinnert sich, daß dasselbe Kapital aus einem andren Loch pfeift unter gewöhnlichen +Umständen, wenn es gilt, den Arbeitslohn herabzusetzen. Dann erklären „die Meister" aus +35 einem Munde (sieh Vierter Abschnitt, Note 188, S. 389): „Fabrikarbeiter sollten in heilsamer +Erinnerung halten, daß ihre Arbeit in der That eine sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist; +daß keine leichter aneigenbar und in Anbetracht ihrer Qualität besser belohnt ist, daß keine +durch kurze Unterweisung des mindest Erfahrnen in so kurzer Zeit und in solchem Ueberfluß +zugeführt werden kann. Des Meisters Maschinerie (die, wie wir jetzt hören, in 12 Monaten +40 mit Vortheil und verbessert ersetzt werden kann) spielt in der That eine viel wichtigere Rolle +in dem Geschäft der Produktion als die Arbeit und das Geschick des Arbeiters (die jetzt in +30 Jahren nicht ersetzbar sind), die eine Erziehung von 6 Monaten lehren und jeder Bauern- +knecht lernen kann." + +515 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +doppelte „Maschinerie", deren jede dem Kapitalisten gehört, und wovon +die eine in seiner Fabrik steht, die andre des Nachts und Sonntags auswär- +tig in cottages haust. Die eine ist todt, die andre lebendig. Die todte Ma- +schinerie verschlechtert und entwerthet sich nicht nur jeden Tag, sondern +von ihrer existirenden Masse veraltet ein großer Theil durch den steten 5 +technischen Fortschritt beständig so sehr, daß sie vortheilhaft und in weni- +gen Monaten durch neuere Maschinerie ersetzbar. Die lebendige Maschi- +nerie verbessert sich umgekehrt, je länger sie währt, je mehr sie das Ge- +schick von Generationen in sich aufhäuft. Die Times antwortete dem +Fabrikmagnaten u.a.: + +1 0 + +„Herr E. Potter ist so impressionirt von der außerordentlichen und abso- + +15 + +luten Wichtigkeit der ßaumwollmeister, daß er, um diese Klasse zu erhal- +ten und ihr Metier zu verewigen, eine halbe Million der Arbeiterklasse wi- +der ihren Willen in ein großes moralisches Workhouse einsperren will. Ist +diese Industrie werth, sie festzuhalten? fragt Herr Potter. Sicher, durch alle +ehrbaren Mittel, antworten wir. Ist es der Mühe werth, die Maschinerie in +Ordnung zu halten? fragt wieder Herr Potter. Hier stutzen wir. Unter der +Maschinerie versteht Herr Potter die menschliche Maschinerie, denn er +betheuert, daß er sie nicht als absolutes Eigenthum zu behandeln vorhat. +Wir müssen gestehn, wir halten es nicht ,der Mühe werth' oder selbst für 20 +möglich, die menschliche Maschinerie in Ordnung zu halten, d. h. sie ein- +zusperren und einzuölen, bis man ihrer bedarf. Menschliche Maschinerie +hat die Eigenschaft, während der Unthätigkeit zu verrosten, ihr mögt noch +soviel dran ||540| ölen oder reiben. Zudem ist menschliche Maschinerie, +wie der Augenschein uns eben lehrt, im Stand, von eignen Stücken den 25 +Dampf anzulassen und zu platzen oder einen Veitstanz in unsren großen +Städten zu tollen. Es mag, wie Herr Potter sagt, längere Zeit zur Reproduk- +tion der Arbeiter erheischt sein, aber mit Maschinisten und Geld zur Hand +werden wir stets betriebsame, harte, industrielle Männer finden, um daraus +mehr Fabrikmeister zu fabriciren, als wir je verbrauchen können.... Herr 30 +Potter plaudert von einer Wiederbelebung der Industrie in 1, 2, 3 Jahren +und verlangt von uns, die Emigration der Arbeitskraft nicht zu ermuntern +oder nicht zu erlauben! Er sagt, es sei natürlich, daß die Arbeiter zu emi- +griren wünschen, aber er meint, daß die Nation diese halbe Million Arbei- +ter mit den 700 000, die an ihnen hängen, ihrem Verlangen zum Trotz in 35 +die Baumwolldistrikte einsperren und, eine nothwendige Konsequenz, ihr +Mißvergnügen durch Gewalt niederschlagen und sie selbst durch Almosen +fristen muß, alles das auf die Chance hin, daß die Baumwollmeister ihrer +an einem beliebigen Tag wieder bedürfen mögen.... Die Zeit ist gekom- +men, wo die große öffentliche Meinung dieser Eilande etwas thun muß, 40 +um ,diese Arbeitskraft' vor denen zu retten, die sie behandeln wollen, wie + +516 + + Einundzwanzigstes Kapitel · Einfache Reproduktion + +sie Kohle, Eisen und Baumwolle behandeln" (,,to save this ,working power4 + +from those who would deal with it as they deal with iron, coal and cot- + +t o n " . ) 1 5 ) + +Der Times-Artikel war nur ein jeu d'esprit. Die „große öffentliche Mei- + +5 nung" war in der That der Meinung des Herrn Potter, daß die Fabrikarbei- + +ter Mobiliarzubehör der Fabriken. Ihre Emigration wurde verhindert 1 6). + +Man sperrte sie in das „moralische Workhouse" der Baumwolldistrikte, + +und sie bilden nach wie vor „die Stärke (the strength) der Baumwollmeister + +von Lancashire". + +10 + +Der kapitalistische Produktionsproceß reproducirt also durch seinen + +eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und ||541| Arbeitsbe- + +dingungen. Er reproducirt und verewigt damit die Exploitationsbedingun- + +gen des Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf seiner + +Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Kapitalisten zu + +15 + +ihrem Kauf, um sich zu bereichern 1 7). Es ist nicht mehr der Zufall, welcher + +Kapitalist und Arbeiter als Käufer und Verkäufer einander auf dem Waa- + +renmarkt gegenüberstellt. Es ist die Zwickmühle des Processes selbst, die + +den Einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Waarenmarkt zu- + +rückschleudert und sein eignes Produkt stets in das Kaufmittel des Andren + +20 verwandelt. In der That gehört der Arbeiter dem Kapital, bevor er sich dem + +Kapitalisten verkauft. Seine ökonomische Hörigkeit 1 8) ist zugleich vermit- + +1 5 ) Times, 24. March 1863. +1 6 ) Das Parlament votirte keinen Farthing für Emigration, sondern nur Gesetze, welche die +Municipalitäten befähigten, die Arbeiter zwischen Leben und Sterben zu halten oder sie zu +25 exploitiren, ohne Zahlung von Normallöhnen. Als dagegen drei Jahre später die Rinderseuche +ausbrach, durchbrach das Parlament wild sogar die parlamentarische Etiquette und votirte im +Umsehn Millionen zur Schadloshaltung der Millionäre von Landlords, deren Pächter sich oh- +nehin durch Steigerung der Fleischpreise schadlos hielten. Das bestiale Gebrüll der Grundei- +genthümer bei Eröffnung des Parlaments von 1866 bewies, daß man nicht Hindu zu sein +30 braucht, um die Kuh Sabala anzubeten, noch Jupiter, um sich in einen Ochsen zu verwan- + +deln. +1 7 ) «L'ouvrier demandait de la subsistance pour vivre, le chef demandait du travail pour ga- +gner.» (Sismondi I.e. p.91.) +1 8 ) Eine bäuerlich plumpe Form dieser Hörigkeit existirt in der Grafschaft Durham. Es ist +35 dieß eine der wenigen Grafschaften, worin die Verhältnisse dem Pächter nicht unbestrittnen +Eigenthumstitel auf die Ackerbautaglöhner sichern. Die Bergwerkindustrie erlaubt letzteren +eine Wahl. Der Pächter, im Gegensatz zur Regel, übernimmt hier daher nur Pacht von Lände- +reien, worauf sich cottages für die Arbeiter befinden. Der Miethpreis der cottage bildet Theil +des Arbeitslohns. Diese cottages heißen ,,hind's houses". Sie werden den Arbeitern unter ge- +40 wissen Feudalverpflichtungen vermiethet, unter einem Vertrag, der ,,bondage" (Hörigkeit) +heißt und den Arbeiter z. B. bindet, für die Zeit, während deren er anderswo beschäftigt ist, +seine Tochter u.s.w. zu stellen. Der Arbeiter selbst heißt bondsman, Höriger. Dieß Verhältniß +zeigt auch die individuelle Konsumtion des Arbeiters als Konsumtion für das Kapital oder +produktive Konsumtion - von einer ganz neuen Seite: „Es ist merkwürdig zu beobachten, wie +selbst der Koth dieses bondsman zu den Sportein an seinen kalkulirenden Gebieter zählt .... +Der Pächter erlaubt in der ganzen Nachbarschaft keinen Abtritt außer seinem eignen und dul- +det in dieser Beziehung keinen Abschlag von seinen Suzerainrechten." („Public Health. +VII. Rep. 1864", p. 188.) + +45 + +517 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +telt und zugleich versteckt durch die periodische Erneurung seines Selbst- +verkaufs, den Wechsel seiner individuellen Lohnherrn und die Oscillation +im Marktpreise der Arbeit 1 9). + +Der kapitalistische Produktionsproceß, im Zusammenhang betrachtet, +oder als Reproduktionsproceß, producirt also nicht nur Waare, nicht nur +Mehrwerth, er producirt und reproducirt das Kapitalverhältniß selbst, auf +der einen Seite den Kapitalisten, auf der andren den Lohnarbeiter 2 0). | + +5 + +|542| ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL. + +Verwandlung von Mehrwerth in Kapital. + +1. Kapitalistischer Produktionsproceß auf erweiterter Stufenleiter. +Umschlag der Eigenthumsgesetze der Waarenproduktion +in Gesetze der kapitalistischen Aneignung. + +10 + +Früher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwerth aus dem Kapital, jetzt +wie das Kapital aus dem Mehrwerth entspringt. Anwendung von Mehr- +werth als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwerth in Kapital heißt 15 +Akkumulation des Kapitals 2 1). + +Betrachten wir diesen Vorgang zunächst vom Standpunkt des einzelnen +Kapitalisten. Ein Spinner z . B . habe ein Kapital von 10 000 Pfd. St. vorge- +schossen, wovon vier Fünftel in Baumwolle, Maschinen etc., das letzte +Fünftel in Arbeitslohn. Er producire jährlich 240 000 Pfd. Garn zum Wert 20 +von 12 000 Pfd. St. Bei einer Rate des Mehrwerths von 100 % steckt der +Mehrwerth im Mehrprodukt oder Nettoprodukt von 40 000 Pfd. Garn, +einem Sechstel des Bruttoprodukts, zum Werth von 2000 Pfd. Sterling, den +der Verkauf realisiren wird. Eine Werthsumme von 2000 Pfd. St. ist eine +Werthsumme von 2000 Pfd. St. Man riecht und sieht diesem Gelde nicht 25 + +1 9 ) Man erinnert sich, daß bei der Arbeit der Kinder u. s. w. selbst die Formalität des Selbst- +verkaufs verschwindet. +2 0 ) „Das Kapital setzt die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus. Sie bedingen +sich wechselseitig, sie bringen sich wechselseitig hervor. Ein Arbeiter in einer Baumwollfa- +brik, producirt er nur Baumwollstoffe? Nein, er producirt Kapital. Er producirt Werthe, die +von neuem dazu dienen, seine Arbeit zu kommandiren, und vermittelst derselben neue +Werthe zu schaffen." (Karl Marx: „Lohnarbeit und Kapital" in N. Rh. Z. Nr. 266, 7. April +1849.) Die unter diesem Titel in der N. Rh. Z. veröffentlichten Artikel sind Bruchstücke der +Vorlesungen, die ich über jenes Thema 1847 im deutschen Arbeiterverein zu Brüssel hielt +und deren Druck durch die Februarrevolution unterbrochen wurde. +2 1 ) ,,Accumulation of Capital: the employment of a portion of revenue as capital." (Malthus: +,,Definitions etc." ed. Cazenove p. 11.) ,,Conversion of revenue into Capital". (Malthus: +„Princ. of Pol. Econ. 2nd ed. Lond. 1836", p. 320.) + +30 + +35 + +518 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +an, daß es Mehrwerth ist. Der Charakter eines Werths als Mehrwerth zeigt, +wie er zu seinem Eigner kam, ändert aber nichts an der Natur des Werths +oder des Geldes. + +Um die neu hinzugekommne Summe von 2000 Pfd. St. in Kapital zu +5 verwandeln, wird also der Spinner, alle andern Umstände gleichbleibend, +vier Fünftel davon vorschießen im Ankauf von Baumwolle u. s.w. und ein +Fünftel im Ankauf neuer Spinnarbeiter, die auf dem Markte die Lebens- +mittel finden werden, deren Werth er ihnen vorgeschossen hat. Dann fun- +girt das neue Kapital von ||543| 2000 Pfd. St. in der Spinnerei und bringt + +10 seinerseits einen Mehrwerth von 400 Pfd. ein. + +Der Kapitalwerth war ursprünglich vorgeschossen in Geldform; der +Mehrwerth dagegen existirt von vornherein als Werth eines bestimmten +Theils des Bruttoprodukts. Wird dieses verkauft, in Geld verwandelt, so ge- +winnt der Kapitalwerth seine ursprüngliche Form wieder, aber der Mehr- +15 werth verwandelt seine ursprüngliche Daseinsweise. Von diesem Augen- +blick an sind jedoch Kapitalwerth und Mehrwerth beides Geldsummen, +und ihre Wiederverwandlung in Kapital vollzieht sich auf ganz dieselbe +Weise. Die eine wie die andre legt der Kapitalist an im Ankauf der Waa- +ren, die ihn in Stand setzen, die Verfertigung seines Artikels von Neuem +zu beginnen und zwar dießmal auf erweiterter Stufenleiter. Um aber diese +Waaren zu kaufen, muß er sie auf dem Markte vorfinden. + +20 + +25 + +Seine eignen Garne cirkuliren nur, weil er sein Jahresprodukt auf den +Markt bringt, wie das alle andern Kapitalisten mit ihren Waaren ebenfalls +thun. Aber ehe sie auf den Markt kamen, hatten sie sich schon befunden +im jährlichen Produktionsfonds, d.h. der Gesammtmasse der Gegenstände +aller Art, worin die Gesammtsumme der Einzelkapitale oder das gesell- +schaftliche Gesammtkapital im Laufe des Jahres sich verwandelt, und wo- +von jeder Einzelkapitalist nur einen aliquoten Theil in Händen hat. Die +Vorgänge auf dem Markt bewerkstelligen nur den Umsatz der einzelnen +30 Bestandtheile der Jahresproduktion, schicken sie von einer Hand in die +andre, aber sie können weder die Gesammt-Jahresproduktion vergrößern +noch die Natur der producirten Gegenstände ändern. Welcher Gebrauch +also von dem jährlichen Gesammtprodukt gemacht werden kann, das hängt +ab von seiner eignen Zusammensetzung, keineswegs aber von der Cirkula- +tion. + +35 + +Zunächst muß die Jahresproduktion alle die Gegenstände (Gebrauchs- +werthe) liefern, aus denen die im Lauf des Jahres verbrauchten sachlichen +Bestandtheile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser bleibt das +Netto- oder Mehrprodukt, worin der Mehrwerth steckt. Und woraus besteht +40 dieß Mehrprodukt? Vielleicht in Dingen, bestimmt zur Befriedigung der +Bedürfnisse und Gelüste der Kapitalistenklasse, die also in ihren Konsum- + +519 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +tionsfonds eingehn? Wäre das Alles, so würde der Mehrwerth verjubelt bis +auf die Hefen, und es fände bloß einfache Reproduktion statt. + +Um zu akkumuliren, muß man einen Theil des Mehrprodukts in Kapital +verwandeln. Aber, ohne Wunder zu thun, kann man nur solche Dinge in +Kapital verwandeln, die im Arbeitsproceß ||544| verwendbar sind, d.h. Pro- +duktionsmittel, und des Ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich er- +halten kann, d. h. Lebensmittel. Folglich muß ein Theil der jährlichen +Mehrarbeit verwandt worden sein. zur Herstellung zusätzlicher Produk- +tions- und Lebensmittel, im Ueberschuß über das Quantum, das zum Er- +satz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der 10 +Mehrwerth ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, +dessen Werth er ist, bereits die sachlichen Bestandtheile eines neuen Kapi- +tals enthält. 2 1 a) + +5 + +Um nun diese Bestandtheile thatsächlich als Kapital fungiren zu lassen, +bedarf die Kapitalistenklasse eines Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die 15 +Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter extensiv oder +intensiv +wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Dafür hat +der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, +indem er die Arbeiterklasse reproducirt als vom Arbeitslohn abhängige +Klasse, deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu si- 20 +ehern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese, ihm durch die Arbeiterklasse +auf verschiednen Altersstufen jährlich gelieferten, zuschüssigen Arbeits- +kräfte braucht das Kapital nur noch den in der Jahresproduktion schon +enthaltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Ver- +wandlung des Mehrwerths in Kapital ist fertig. Konkret betrachtet, löst sich 25 +die Akkumulation auf in Reproduktion des Kapitals auf progressiver Stu- +fenleiter. Der Kreislauf der einfachen Reproduktion verändert sich und +verwandelt sich, nach Sismondi's Ausdruck, in eine Spirale 2 1 b). + +Kehren wir jetzt zu unserm Beispiel zurück. Es ist die alte Geschichte: +Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob u.s.w. Das ursprüngliche Kapi- 30 +tal von 10 000 Pfd. St. bringt einen Mehrwerth von 2000 Pfd. St. der kapita- +lisirt wird. Das neue Kapital von 2000 Pfd. St. bringt einen Mehrwerth von +400 Pfd. St.; dieser, wiederum kapitalisirt, also in ein zweites zusätzliches +Kapital verwandelt, bringt einen neuen Mehrwerth von 80 Pfd. St., u.s.w. | + +21 a) Es wird hier abstrahirt vom Ausfuhrhandel, vermittelst dessen eine Nation Luxusartikel 35 +in Produktions- oder Lebensmittel umsetzen kann und umgekehrt. Um den Gegenstand der +Untersuchung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumständen aufzufassen, müssen +wir hier die gesammte Handelswelt als eine Nation ansehn und voraussetzen, daß die kapitali- +stische Produktion sich überall festgesetzt und sich aller Industriezweige bemächtigt hat. +2 1 b ) Sismondi's Analyse der Akkumulation hat den großen Fehler, daß er sich zu sehr mit der 40 +Phrase: „Umsetzung von Revenue in Kapital" begnügt, ohne die materiellen Bedingungen +dieser Operation zu ergründen. + +520 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel · Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +|545| Wir sehen hier ab von dem vom Kapitalisten verzehrten Theil des +Mehrwerths. Ebensowenig interessirt es uns für den Augenblick, ob die Zu- +satzkapitale zum ursprünglichen Kapital geschlagen, oder von ihm zu selb- +ständiger Verwerthung getrennt werden; ob derselbe Kapitalist sie aus- +5 nutzt, der sie akkumulirt hat, oder ob er sie Andern überträgt. Nur dürfen +wir nicht vergessen, daß neben den neugebildeten Kapitalen das ursprüng- +liche Kapital fortfährt sich zu reproduciren und Mehrwerth zu produciren, +und daß dasselbe gilt von jedem akkumulirten Kapital in Beziehung auf +das von ihm erzeugte Zusatzkapital. + +10 + +Das ursprüngliche Kapital bildete sich durch den Vorschuß von +10 000 Pfd. St. Woher hat sie ihr Besitzer? Durch seine eigne Arbeit und +die seiner Vorfahren! antworten uns einstimmig die Wortführer der politi- +schen Oekonomie 2 1 0) und ihre Annahme scheint in der That die einzige, +die zu den Gesetzen der Waarenproduktion stimmt. + +15 + +Ganz anders verhält es sich mit dem Zusatzkapital von 2000 Pfd. St. Sei- +nen Entstehungsproceß kennen wir ganz genau. Es ist kapitalisirter Mehr- +werth. Von Ursprung an enthält er nicht ein einziges Werthatom, das nicht +aus unbezahlter fremder Arbeit herstammt. Die Produktionsmittel, denen +die zuschüssige Arbeitskraft einverleibt wird, wie die Lebensmittel, von de- +20 nen diese sich erhält, sind nichts als integrirende Bestandtheile des Mehr- +produkts, des der Arbeiterklasse jährlich durch die Kapitalistenklasse ent- +rissenen Tributs. Wenn diese mit einem Theil des Tributs von jener +zusätzliche Arbeitskraft kauft, selbst zum vollen Preise, sodaß Aequivalent +sich austauscht gegen Aequivalent - es bleibt immer das alte Verfahren +25 des Eroberers, der den Besiegten Waaren abkauft mit ihrem eignen, ge- + +raubten Geld. + +Wenn das Zusatzkapital seinen eignen Producenten beschäftigt, so muß +dieser erstens fortfahren, das ursprüngliche Kapital zu verwerthen und zu- +dem den Ertrag seiner früheren Arbeit zurückkaufen mit mehr Arbeit, als +30 er gekostet hat. Als Transaktion zwischen der Kapitalistenklasse und der +Arbeiterklasse betrachtet, ändert es nichts an der Sache, wenn mit der un- +bezahlten Arbeit der bisher beschäftigten Arbeiter zuschüssige Arbeiter be- +schäftigt werden. Der Kapitalist verwandelt vielleicht auch das Zusatzkapi- +tal in eine Maschine, die den Producenten des Zusatzkapitals ||546| aufs +35 Pflaster wirft und durch ein paar Kinder ersetzt. In allen Fällen hat die Ar- +beiterklasse durch ihre dießjährige Mehrarbeit das Kapital geschaffen, das +im nächsten Jahr zuschüssige Arbeit beschäftigen wird 2 2). Das ist es, was +man nennt: Kapital durch Kapital erzeugen. +21 c) «Le travail primitif auquel son capital a dû sa naissance.» Sismondi 1. c. éd. Paris, 1.1. + +40 p. 109. + +2 2 ) „Die Arbeit schafft das Kapital, bevor das Kapital die Arbeit anwendet." ("Labour creates +capital, before capital employs labour.") E. G. Wakefield, „England and America. London +1833", v. II, p. 110. + +521 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Die Voraussetzung der Akkumulation des ersten Zusatzkapitals von +2000 Pfd. St. war eine vom Kapitalisten vorgeschoßne, ihm Kraft seiner +„ursprünglichen Arbeit" gehörige Werthsumme von 1 0 0 0 0 Pfd. St. Die +Voraussetzung des zweiten Zusatzkapitals von 400 Pfd. St. dagegen ist +nichts andres als die vorhergegangne Akkumulation des ersten, der +2000 Pfd. St., dessen kapitalisirter Mehrwerth es ist. Eigenthum an ver- +gangner unbezahlter Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung für +gegenwärtige Aneignung lebendiger unbezahlter Arbeit in stets wachsen- +dem Umfang. Jemehr der Kapitalist akkumulirt hat, destomehr kann er ak- +kumuliren. + +5 + +10 + +Insofern der Mehrwerth, woraus Zusatzkapital Nr. I besteht, das Resultat +des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Theil des Originalkapitals war, +ein Kauf, der den Gesetzen des Waarenaustausches entsprach, und, juri- +stisch betrachtet, nichts voraussetzt als freie Verfügung auf Seiten des Ar- +beiters über seine eignen Fähigkeiten, auf Seiten des Geld- oder Waaren- 15 +besitzers über ihm gehörige Werthe; sofern Zusatzkapital Nr.II u.s.w. bloß +Resultat von Zusatzkapital Nr.I, also Konsequenz jenes ersten Verhältnis- +ses; sofern jede einzelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des Waaren- +austausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft, der Ar- +beiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem 20 +wirklichen Werth, schlägt offenbar das auf Waarenproduktion und Waa- +rencirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des Privatei- +genthums durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein di- +rektes Gegentheil um. Der Austausch von Aequivalenten, der als die +ursprüngliche Operation erschien, hat sich so gedreht, daß nur zum Schein 25 +ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Ka- +pitaltheil selbst nur ein Theil des ohne Aequivalent angeeigneten fremden +Arbeitsproduktes ist, und zweitens von seinem Producenten, dem Arbeiter, +nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß. Das +Verhältniß des Austausches zwischen Kapitalist ||547| und Arbeiter wird 30 +also nur ein dem Cirkulationsproceß angehöriger Schein, bloße Form, die +dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystificirt. Der beständige Kauf +und Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, daß der Kapita- +list einen Theil der bereits vergegenständlichten fremden Arbeit, die er +sich unaufhörlich ohne Aequivalent aneignet, stets wieder gegen größeres 35 +Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns +das Eigenthumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens mußte diese +Annahme gelten, da sich nur gleichberechtigte Waarenbesitzer gegenüber- +stehn, das Mittel zur Aneignung fremder Waare aber nur die Veräußerung +der eignen Waare, und letztere nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigenthum 40 +erscheint jetzt, auf Seite des Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte + +522 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters, als Unmöglichkeit, sich +sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigenthum und +Arbeit wird zur nothwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar +von ihrer Identität ausging 2 3). + +5 + +10 + +So sehr die kapitalistische Aneignungsweise also den ursprünglichen Ge- +setzen der Waarenproduktion ins Gesicht zu schlagen scheint, so ent- +springt sie doch keineswegs aus der Verletzung, sondern im Gegentheil aus +der Anwendung dieser Gesetze. Ein kurzer Rückblick auf die Reihenfolge +der Bewegungsphasen, deren Schlußpunkt die kapitalistische Akkumula- +tion ist, stelle dieß nochmals klar. + +Zuerst haben wir gesehn, daß die ursprüngliche Verwandlung einer +Werthsumme in Kapital sich durchaus gemäß den Gesetzen des Austau- +sches vollzog. Der eine Kontrahent verkauft seine Arbeitskraft, der andre +kauft sie. Der erstre empfängt den Werth seiner Waare, deren Gebrauchs- +15 werth - die Arbeit - damit an den zweiten veräußert ist. Dieser verwandelt +nunmehr, ihm bereits gehörende, Produktionsmittel mit Hülfe von ihm +ebenfalls gehörender Arbeit in ein neues Produkt, das ihm ebenfalls von +Rechtswegen gehört. + +Der Werth dieses Produkts schließt ein: erstens den Werth der ver- +20 brauchten Produktionsmittel. Die nützliche Arbeit kann diese Produk- +tionsmittel nicht verbrauchen ohne ihren Werth auf das ||548| neue Pro- +dukt zu übertragen; um aber verkäuflich zu sein, muß die Arbeitskraft im +Stande sein, in dem Industriezweig, wo sie verwandt werden soll, nützliche +Arbeit zu liefern. + +25 + +Der Werth des neuen Produkts schließt ferner ein: das Aequivalent des +Werths der Arbeitskraft und einen Mehrwerth. Und zwar deßhalb, weil die +für einen bestimmten Zeitraum, Tag, Woche etc., verkaufte Arbeitskraft +weniger Werth besitzt als ihr Gebrauch während dieser Zeit schafft. Der +Arbeiter aber hat den Tauschwerth seiner Arbeitskraft bezahlt erhalten und +30 hat damit ihren Gebrauchswerth veräußert - wie das bei jedem Kauf und + +Verkauf der Fall. + +Daß diese besondre Waare Arbeitskraft den eigenthümlichen Ge- +brauchswerth hat, Arbeit zu liefern, also Werth zu schaffen, das kann das +allgemeine Gesetz der Waarenproduktion nicht berühren. Wenn also die +in Arbeitslohn vorgeschoßne Werthsumme sich in Produkt nicht bloß ein- +fach wieder vorfindet, sondern um einen Mehrwerth vermehrt vorfindet, so + +35 + +2 3 ) Das Eigenthum des Kapitalisten an dem fremden Arbeitsprodukt „ist strenge Konsequenz +des Gesetzes der Aneignung, dessen Fundamentalprincip umgekehrt der ausschließliche Ei- +genthumstitel jedes Arbeiters am Produkt seiner eignen Arbeit war". (Cherbuliez: „Riehe ou +40 Pauvre. Paris 1841", p. 58, wo jedoch dieser dialektische Umschlag nicht richtig entwickelt + +wird.) + +523 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +rührt dieß nicht her aus einer Uebervortheilung des Verkäufers, der ja den +Werth seiner Waare erhalten, sondern nur aus dem Verbrauch dieser +Waare durch den Käufer. + +Das Gesetz des Austausches bedingt Gleichheit nur für die Tausch- +werthe der gegen einander weggegebenen Waaren. Es bedingt sogar von +vornherein Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerthe, und hat absolut nichts +zu schaffen mit ihrem Verbrauch, der erst nach geschloßnem und vollzog- +nem Handel beginnt. + +Die ursprüngliche Verwandlung des Geldes in Kapital vollzieht sich also +im genauesten Einklang mit den ökonomischen Gesetzen der Waarenpro- +duktion und mit dem daraus sich ableitenden Eigenthumsrecht. Trotzdem +aber hat sie zum Ergebniß: + +1) daß das Produkt dem Kapitalisten gehört und nicht dem Arbeiter; +2) daß der Werth dieses Produkts, außer dem Werth des vorgeschoßnen +Kapitals, einen Mehrwerth einschließt, der dem Arbeiter Arbeit, dem Kapi- +talisten aber nichts gekostet hat, und der dennoch das rechtmäßige Eigen- +thum des Kapitalisten wird; + +3) daß der Arbeiter seine Arbeitskraft forterhalten hat und sie aufs neue + +verkaufen kann, wenn er einen Käufer findet. + +Die einfache Reproduktion ist nur die periodische Wiederholung dieser +ersten Operation; jedesmal wird, stets von neuem, Geld in Kapital verwan- +delt. Das Gesetz wird also nicht gebrochen, im Gegentheil es erhält nur +Gelegenheit sich dauernd zu bethätigen. ||549| «Plusieurs échanges succes- +sifs n'ont fait du dernier que le représentant du premier.» (Sismondi, 1. c. +p. 70.) + +Und dennoch haben wir gesehn, daß die einfache Reproduktion hin- +reicht, um dieser ersten Operation - soweit sie als isolirter Vorgang gefaßt +war - einen total veränderten Charakter aufzuprägen. «Parmi ceux qui se +partagent le revenue national, les uns (die Arbeiter) y acquièrent chaque +année un nouveau droit par un nouveau travail, les autres (die Kapitali- +sten) y ont acquis antérieurement un droit permanent par un travail primi- +tif.» (Sismondi, I.e. p. 111.) Das Gebiet der Arbeit ist bekanntlich nicht das +einzige, wo die Erstgeburt Wunder thut. + +Es verschlägt auch nichts, wenn die einfache Reproduktion ersetzt wird +durch die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter, durch die Akkumula- +tion. Bei jener vermöbelt der Kapitalist den gesammten Mehrwerth, bei +dieser beweist er seine Bürgertugend durch Verzehrung nur eines Theils, +und Verwandlung des Restes in Geld. + +Der Mehrwerth ist sein Eigenthum, er hat nie einem Andern gehört. +Schießt er ihn zur Produktion vor, so macht er, ganz wie am Tag, wo er zu- +erst den Markt beschritt, Vorschüsse aus seinem eignen Fonds. Daß dieser + +524 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel · Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +Fonds dießmal aus der unbezahlten Arbeit seiner Arbeiter stammt, thut +absolut nichts zur Sache. Wird Arbeiter B beschäftigt mit dem Mehrwerth, +den Arbeiter A producirt hat, so hat erstens A diesen Mehrwerth geliefert, +ohne daß man ihm den gerechten Preis seiner Waare um einen Heller ver- +5 kürzt hat, und zweitens geht dieß Geschäft dem B überhaupt nichts an. +Was B verlangt und das Recht hat zu verlangen, ist, daß der Kapitalist ihm +den Werth seiner Arbeitskraft zahle. «Tous deux gagnaient encore; +l'ouvrier parce qu'on lui avançait les fruits de son travail (soll heißen: du +travail gratuit d'autres ouvriers) avant qu'il fût fait (soll heißen: avant que +le sien ait porté de fruit); le maître, parceque le travail de cet ouvrier valait +plus que le salaire» (soll heißen: produisait plus de valeur que celle de son +salaire). (Sismondi, 1. c. p. 135.) + +10 + +15 + +Allerdings sieht die Sache ganz anders aus, wenn wir die kapitalistische +Produktion im ununterbrochnen Fluß ihrer Erneuerung betrachten, und +statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen Arbeiters, die Ge- +sammtheit, die Kapitalistenklasse und ihr gegenüber die Arbeiterklasse ins +Auge fassen. Damit aber würden wir einen Maßstab anlegen, der der Waa- +renproduktion total fremd ist. + +In der Waarenproduktion stehn sich nur, von einander unab||550|hängig, +20 Verkäufer und Käufer gegenüber. Ihre gegenseitigen Beziehungen sind zu +Ende mit dem Verfalltag des zwischen ihnen abgeschloßnen Vertrags. Wie- +derholt sich das Geschäft, denn in Folge eines neuen Vertrags, der mit dem +vorhergehenden nichts zu thun hat, und bei dem nur ein Zufall denselben +Käufer mit demselben Verkäufer wieder zusammenbringt. + +25 + +Soll also die Waarenproduktion oder ein ihr angehöriger Vorgang nach +ihren eignen ökonomischen Gesetzen beurtheilt werden, so müssen wir j e - +den Austauschakt für sich betrachten, außerhalb alles Zusammenhangs +mit dem Austauschakt, der ihm vorherging, wie mit dem der ihm nach- +folgt. Und da Käufe und Verkäufe nur zwischen einzelnen Individuen ab- +30 geschlossen werden, so ist es unzulässig, Beziehungen zwischen ganzen + +Gesellschaftsklassen darin zu suchen. + +Wie lang auch die Reihenfolge der periodischen Reproduktionen und +vorhergegangnen Akkumulationen, die das heute funktionirende Kapital +durchgemacht hat, es bewahrt immer seine ursprüngliche Jungfräulichkeit. +35 So lange bei jedem Austauschakt - einzeln genommen - die Gesetze des +Austausches eingehalten werden, kann die Aneignungsweise eine totale +Umwälzung erfahren ohne das, der Waarenproduktion gemäße, Eigen- +thumsrecht irgendwie zu berühren. Dieses selbe Recht steht in Kraft, wie +am Anfang, wo das Produkt dem Producenten gehört, und wo dieser, +40 Aequivalent gegen Aequivalent austauschend, sich nur durch eigne Arbeit +bereichern kann, so auch in der kapitalistischen Periode, wo der gesell- + +525 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +schaftliche Reichthum in stets steigendem Maß das Eigenthum derer wird, +die in der Lage sind, sich stets aufs Neue die unbezahlte Arbeit Andrer an- +zueignen. + +5 + +Dieß Resultat wird unvermeidlich, sobald die Arbeitskraft durch den Ar- +beiter selbst als Waare frei verkauft wird. Aber auch erst von da an verallge- +meinert sich die Waarenproduktion und wird sie typische Produktions- +form; erst von da an wird jedes Produkt von vornherein für den Verkauf +producirt, und geht aller producirte Reichthum durch die Cirkulation hin- +durch. Erst da, wo die Lohnarbeit ihre Basis, zwingt die Waarenproduktion +sich der gesammten Gesellschaft auf; aber auch erst da entfaltet sie alle 10 +ihre verborgnen Potenzen. Sagen, daß die Dazwischenkunft der Lohnarbeit +die Waarenproduktion fälscht, heißt sagen, daß die Waarenproduktion, will +sie unverfälscht bleiben, sich nicht entwickeln darf. Im selben Maß, wie +sie nach ihren eignen immanenten Gesetzen sich zur kapitalistischen Pro- +duktion fortbildet, in demselben ||551| Maß schlagen die Eigenthums- 15 +gesetze der Waarenproduktion um in Gesetze der kapitalistischen Aneig- +nung 2 4). + +Man sah, daß selbst bei einfacher Reproduktion alles vorgeschoßne Ka- +pital, wie immer ursprünglich erworben, sich in akkumulirtes Kapital oder +kapitalisirten Mehrwerth verwandelt. Aber im Strom der Produktion wird 20 +überhaupt alles ursprünglich vorgeschoßne Kapital eine verschwindende +Größe (magnitudo evanescens im mathematischen Sinn) verglichen mit +dem direkt akkumulirten Kapital, d. h. dem in Kapital rückverwandelten +Mehrwerth oder Mehrprodukt, ob nun funktionirend in der Hand, die ak- +kumulirt hat, oder in fremder Hand. Die politische Oekonomie stellt das 25 +Kapital daher überhaupt dar als „akkumulirten Reichthum" (verwandelten +Mehrwerth oder Revenue) „der von neuem zur Produktion von Mehrwerth +verwandt wird" 2 5), oder auch den Kapitalisten als „Besitzer des Mehrpro- +dukts" 2 6 ) . Dieselbe Anschauungsweise besitzt nur andre Form in dem Aus- +druck, daß alles vorhandne Kapital akkumulirter oder kapitalisirter Zins 30 +sei, denn der Zins ist ein bloßes Bruchstück des Mehrwerths 2 7). + +2 4 ) Man bewundere daher die Pfiffigkeit Proudhon's, der das kapitalistische Eigenthum ab- +schaffen will, indem er ihm gegenüber - die ewigen Eigenthumsgesetze der Waarenproduk- +tion geltend macht! +2 5 ) "Capital, viz: accumulated wealth employed with a view to profit." Malthus 1. c. "Capi- 35 +tal ... consists of wealth saved from revenue, and used with a view to profit." (R.Jones: „Text- +book etc., Hertford 1852", p. 16.) +2 6 ) "The possessors of surplusproduce or capital." (,,The Source and Remedy of the National +Difficulties. A Letter to Lord John Russell. Lond. 1821", [p. 4.]) +2 7 ) "Capital, with compound interest on every portion of capital saved, is so all engrossing, 40 +that all the wealth in the world from which income is derived, has long ago become the inter- +est on capital." (London Economist, 19. July, 1851.) + +526 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +2. + +Irrige Auffassung der Reproduktion + +auf erweiterter Stufenleiter +seitens der politischen Oekonomie. + +Bevor wir nun auf einige nähere Bestimmungen der Akkumulation oder +5 der Rückverwandlung von Mehrwerth in Kapital eingehn, ist eine von der + +klassischen Oekonomie ausgeheckte Zweideutigkeit zu beseitigen. + +So wenig die Waaren, die der Kapitalist mit einem Theil des Mehrwerths +für seine eigne Konsumtion kauft, ihm als Produktions- und Verwer- +thungsmittel dienen, so wenig ist die Arbeit, die er zur Befriedigung seiner +10 natürlichen und socialen Bedürfnisse kauft, produktive Arbeit. Statt durch +den Kauf jener Waaren und Arbeit ||552| den Mehrwerth in Kapital zu ver- +wandeln, verzehrt oder verausgabt er ihn umgekehrt als Revenue. Gegen- +über der altadlichen Gesinnung, die, wie Hegel richtig sagt, „im Verzehren +des Vorhandenen besteht" und namentlich auch im Luxus persönlicher +15 Dienste sich breit macht, war es für die bürgerliche Oekonomie entschei- +dend wichtig, die Akkumulation des Kapitals als erste Bürgerpflicht zu ver- +künden und unermüdlich zu predigen: man kann nicht akkumuliren, wenn +man seine ganze Revenue aufißt, statt einen guten Theil davon zu veraus- +gaben in Werbung zuschüssiger produktiver Arbeiter, die mehr einbringen, +20 als sie kosten. Andrerseits hatte sie gegen das Volksvorurtheil zu polemisi- +ren, welches die kapitalistische Produktion mit der Schatzbildung verwech- +selt 2 8) und daher wähnt, akkumulirter Reichthum sei Reichthum, welcher +der Zerstörung in seiner vorhandnen Naturalform, also dem Verbrauch +entzogen oder auch vor der Cirkulation gerettet werde. Verschluß des GeI- +25 des gegen die Cirkulation wäre grade das Gegentheil seiner Verwerthung +als Kapital, und Waarenakkumulation im schatzbildnerischen Sinn reine +Narrheit 2 8 a ) . Akkumulation von Waaren in großen Massen ist Resultat +einer Cirkulationsstockung oder der Ueberproduktion 2 9). Allerdings läuft +in der Volksvorstellung einerseits das Bild der im Konsumtionsfonds der +30 Reichen gehäuften, langsam sich verzehrenden Güter unter, andrerseits +die Vorrathbildung, ein Phänomen, das allen Produktionsweisen angehört + +2 8 ) "No political economist of the present day can by saving mean mere hoarding: and beyond +this contracted and insufficient proceeding, no use of the term in reference to the national +wealth can well be imagined, but that which must arise from a different application of what is +saved, founded upon a real distinction between the different kinds of labour maintained by +it." (Malthus I.e. p.38, 39.) +2 8 a ) So ist bei Balzac, der alle Schattirungen des Geizes so gründlich studirt hatte, der alte +Wucherer Gobseck schon verkindischt als er anfangt sich einen Schatz aus aufgehäuften +Waaren zu bilden. +2 9 ) "Accumulation of stocks ... non-exchange .... overproduction." (Th. Corbet I.e. p. 104.) + +35 + +40 + +527 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +und wobei wir einen Augenblick in der Analyse des Cirkulationsprocesses +verweilen werden. + +5 + +Soweit also ist die klassische Oekonomie im Recht, wenn sie den Ver- +zehr von Mehrprodukt durch produktive Arbeiter statt durch unproduktive +als charakteristisches Moment des Akkumulationsprocesses betont. Aber +hier beginnt auch ihr Irrthum. A. Smith hat es zur Mode gemacht, die Ak- +kumulation bloß als Konsumtion des Mehrprodukts durch produktive Ar- +beiter oder die Kapitalisirung des Mehrwerths als dessen bloßen Umsatz in +Arbeits115531kraft darzustellen. Hören wir z.B. Ricardo: „Man muß ver- +stehn, daß alle Produkte eines Landes konsumirt werden; aber es macht 10 +den größten Unterschied, den man denken kann, ob sie konsumirt werden +durch solche, die einen andren Werth reproduciren, oder durch solche, die +ihn nicht reproduciren. Wenn wir sagen, daß Revenue erspart und zum Ka- +pital geschlagen wird, so meinen wir, daß der Theil der Revenue, von dem +es heißt, er sei zum Kapital geschlagen, durch produktive statt durch un- 15 +produktive Arbeiter verzehrt wird. Es gibt keinen größern Irrthum als zu +unterstellen, daß Kapital durch Nicht-Konsum vermehrt wird" 3 0). Es gibt +keinen größern Irrthum als der dem A. Smith von Ricardo und allen späte- +ren nachgeplauderte, daß „der Theil der Revenue, von dem es heißt, er sei +zum Kapital geschlagen, von produktiven Arbeitern verzehrt wird". Nach 20 +dieser Vorstellung würde aller Mehrwerth, der in Kapital verwandelt wird, +zu variablem Kapital. Er theilt sich vielmehr, wie der ursprünglich vorge- +schoßne Werth, in konstantes Kapital und variables Kapital, in Produk- +tionsmittel und Arbeitskraft. Arbeitskraft ist die Form, worin das variable +Kapital innerhalb des Produktionsprocesses existirt. In diesem Proceß wird 25 +sie selbst vom Kapitalisten verzehrt. Sie verzehrt durch ihre Funktion - +die Arbeit - Produktionsmittel. Zugleich verwandelt sich das im Ankauf +der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel, die nicht von der „produk- +tiven Arbeit", sondern vom „produktiven Arbeiter" verzehrt werden. +A. Smith gelangt durch eine grundverkehrte Analyse zu dem abgeschmack- 30 +ten Resultat, daß wenn auch jedes individuelle Kapital sich in konstanten +und variablen Bestandtheil theilt, das gesellschaftliche Kapital sich in nur +variables Kapital auflöst oder nur in Zahlung von Arbeitslohn verausgabt +wird. z.B. ein Tuchfabrikant verwandle 2000 Pfd. St. in Kapital. Er legt +einen Theil des Geldes im Ankauf von Webern aus, den andern Theil in 35 +Wollengarn, Wollenmaschinerie u. s. w. Aber die Leute, von denen er das +Garn und die Maschinerie kauft, zahlen wieder mit einem Theil davon Ar- +beit u. s. w., bis die ganzen 2000 Pfd. St. in Zahlung von Arbeitslohn ver- +ausgabt sind, oder das ganze durch die 2000 Pfd. St. repräsentirte Produkt +durch produktive Arbeiter verzehrt ist. Man sieht: die ganze Wucht dieses 40 +3 0 ) Ricardo 1. c. p. 163, Note. + +528 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +Arguments liegt in dem Wort „u. s. w.", das uns von Pontius zu Pilatus + +schickt. In der That, Α. Smith bricht die Untersuchung grade da ab, wo ihre +Schwierigkeit beginnt 3 1). | + +|554| Solange man nur den Fonds der Gesammt(cid:5)Jahresproduktion ins + +5 Auge faßt, ist der jährliche Reproduktionsproceß leicht verständlich. Aber + +alle Bestandtheile der Jahresproduktion müssen auf den Waarenmarkt ge- + +bracht werden, und da beginnt die Schwierigkeit. Die Bewegungen der Ein- + +zelkapitale und persönlichen Revenuen kreuzen, vermengen, verlieren sich + +in einem allgemeinen Stellenwechsel, - der Cirkulation des gesellschaftli- + +10 chen Reichthums - der den Blick verwirrt und der Untersuchung sehr ver- + +wickelte Aufgaben zu lösen gibt. Im dritten Abschnitt des zweiten Buches + +werde ich die Analyse des wirklichen Zusammenhanges geben. - Es ist das + +große Verdienst der Physiokraten, in ihrem Tableau économique zum er- + +sten Mal den Versuch gemacht zu haben, ein Bild der Jahresproduktion zu + +15 geben in der Gestalt, in welcher sie aus der Cirkulation hervorgeht 3 2). + +Es versteht sich übrigens von selbst, daß die politische Oekonomie nicht + +verfehlt hat, im Interesse der Kapitalistenklasse A. Smith's Satz auszubeu- + +ten: daß der ganze in Kapital verwandelte Theil des Nettoprodukts von der + +Arbeiterklasse verzehrt wird. + +20 + +3. Theilung des Mehrwerths + +in Kapital und Revenue. + +- + +Die A bstinenztheorie. + +Im vorigen Kapitel betrachteten wir den Mehrwerth, resp. das Mehrpro- + +dukt, nur als individuellen Konsumtionsfonds des Kapitalisten, in diesem + +Kapitel bisher nur als einen Akkumulationsfonds. Er ist aber weder nur das + +25 + +3 1 ) Trotz seiner „Logik" kommt Herr J. St. Mill nirgendswo auch nur solcher fehlerhaften +Analyse seiner Vorgänger auf die Sprünge, welche selbst innerhalb des bürgerlichen Hori- +zonts, vom reinen Fachstandpunkt aus, nach Berichtigung schreit. Ueberau registrirt er mit +schülermäßigem Dogmatismus die Gedankenwirren seiner Meister. Auch hier: "The capital +itself in the long run becomes entirely wages, and when replaced by the sale of produce be- + +30 comes wages again." + +3 2 ) A. Smith hat in der Darstellung des Reproduktionsprocesses, daher auch der Akkumula- +tion, nach mancher Seite hin nicht nur keine Fortschritte, sondern entschiedene Rückschritte +gemacht im Vergleich zu seinen Vorgängern, namentlich den Physiokraten. Mit seiner im +Text erwähnten Illusion hängt das ebenfalls von ihm der politischen Oekonomie vererbte, +35 wahrhaft fabelhafte Dogma zusammen, daß der Preis der Waaren aus Arbeitslohn, Profit +(Zins) und Grundrente, also bloß aus Arbeitslohn und Mehrwerth zusammengesetzt ist. Von +dieser Basis ausgehend, gesteht wenigstens Storch naiv: «Il est impossible de résoudre le prix +nécessaire dans ses éléments les plus simples. » (Storch 1. c. Petersb. Edit. 1815, t. II, p. 141, +Note.) Eine schöne ökonomische Wissenschaft, die es für unmöglich erklärt, den Preis der +40 Waaren in seine einfachsten Elemente aufzulösen! Das Nähere hierüber wird man erörtert + +finden im 3. Abschn. des zweiten und im 7. Abschn. des dritten Buchs. + +529 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +eine, noch das andre, sondern ||555| beides zugleich. Ein Theil des Mehr- +werths wird vom Kapitalisten als Revenue verzehrt 3 3), ein andrer Theil als +Kapital angewandt oder akkumulirt. + +Bei gegebner Masse des Mehrwerths wird der eine dieser Theile um so +größer sein, je kleiner der andre ist. Alle andern Umstände als gleichblei- +bend genommen, bestimmt das Verhältniß, worin diese Theilung sich voll- +zieht, die Größe der Akkumulation. Wer aber diese Theilung vornimmt, +das ist der Eigenthümer des Mehrwerths, der Kapitalist. Sie ist also sein +Willensakt. Von dem Theil des von ihm erhobnen Tributs, den er akkumu- +lirt, sagt man, er spare ihn, weil er ihn nicht aufißt, d.h. weil er seine Funk- 10 +tion als Kapitalist ausübt, nämlich die Funktion, sich zu bereichern. + +5 + +15 + +Nur soweit der Kapitalist personificirtes Kapital ist, hat er einen histori- +schen Werth und jenes historische Existenzrecht, das, wie der geistreiche +Lichnowski sagt, keinen Datum nicht hat. Nur soweit steckt seine eigne +transitorische Nothwendigkeit in der transitorischen Nothwendigkeit der +kapitalistischen Produktionsweise. Aber soweit sind auch nicht Gebrauchs- +werth und Genuß, sondern Tauschwerth und dessen Vermehrung sein trei- +bendes Motiv. Als Fanatiker der Verwerthung des Werths zwingt er rück- +sichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher +zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und zur 20 +Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die +reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grund- +princip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist. Nur als Per- +sonifikation des Kapitals ist der Kapitalist respektabel. Als solche theilt er +mit dem Schatzbildner den absoluten Bereicherungstrieb. Was aber bei 25 +diesem als individuelle Manie erscheint, ist beim Kapitalisten Wirkung des +gesellschaftlichen Mechanismus, worin er nur ein Triebrad ist. Außerdem +macht die Entwicklung der kapitalistischen Produktion eine fortwährende +Steigerung des in einem industriellen Unternehmen angelegten Kapitals +zur Nothwendigkeit, und die Konkurrenz herrscht jedem individuellen Ka- 30 +pitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise +als äußere Zwangsgesetze auf. Sie ||556| zwingt ihn, sein Kapital fortwäh- +rend auszudehnen, um es zu erhalten, und ausdehnen kann er es nur ver- +mittelst progressiver Akkumulation. + +Soweit daher sein Thun und Lassen nur Funktion des in ihm mit Willen 35 + +und Bewußtsein begabten Kapitals, gilt ihm sein eigner Privatkonsum als + +3 3 ) Der Leser wird bemerken, daß das Wort Revenue doppelt gebraucht wird, erstens um den +Mehrwerth als periodisch aus dem Kapital entspringende Frucht, zweitens um den Theil die- +ser Frucht zu bezeichnen, der vom Kapitalisten periodisch verzehrt oder zu seinem Konsum- +tionsfonds geschlagen wird. Ich behalte diesen Doppelsinn bei, weil er mit dem Sprachge- 40 +brauch der englischen und französischen Oekonomen harmonirt. + +530 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +ein Raub an der Akkumulation seines Kapitals, wie in der italienischen + +Buchhaltung Privatausgaben auf der Debetseite des Kapitalisten gegen das + +Kapital figuriren. Die Akkumulation ist Eroberung der Welt des gesell- + +schaftlichen Reichthums. Sie dehnt mit der Masse des exploitirten Men- + +5 + +schenmaterials zugleich die direkte und indirekte Herrschaft des Kapitali- + +sten aus 3 4). + +Aber die Erbsünde wirkt überall. Mit der Entwicklung der kapitalisti- + +schen Produktionsweise, der Akkumulation, und des Reich||557|thums, + +hört der Kapitalist auf, bloße Inkarnation des Kapitals zu sein. Er fühlt ein + +10 „menschliches Rühren" für seinen eignen Adam und wird so gebildet, die + +Schwärmerei für Ascese als Vorurtheil des altmodischen Schatzbildners zu + +belächeln. Während der klassische Kapitalist den individuellen Konsum + +als Sünde gegen seine Funktion und „Enthaltung" von der Akkumulation + +brandmarkt, ist der modernisirte Kapitalist im Stande, die Akkumulation + +15 als „Entsagung" seines Genußtriebs aufzufassen. „Zwei Seelen wohnen, + +ach! in seiner Brust, die eine will sich von der andren trennen!" + +In den historischen Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise - + +und jeder kapitalistische Parvenü macht dieß historische Stadium indivi- + +30 + +3 4 ) In der altmodischen, wenn auch stets erneuten, Form des Kapitalisten, im Wucherer ver- +20 anschaulicht Luther sehr gut die Herrschsucht als Element des Bereicherungstriebs. „Die Hei- +den haben können aus der Vernunfft rechnen, dass ein Wucherer, sey ein vierfaltiger Dieb +und Mörder. Wir Christen aber halten sie in solchen ehren, das wir sie schier anbeten umb +ihres Geldes willen ... Wer einem andern seine Narung aussauget, raubet und stilet, der thut +eben so grossen Mord (so viel an jm ligt) als der einen Hungers sterbet und zu Grunde verter- +25 bet. Solches thut aber ein Wucherer, und sitzet die weil auf seinem Stuel sicher, so er billi- +cher hangen solt am Galgen, und von soviel Raben gefressen werden, als er gülden gestolen +hatte, wo anders so viel fleisches an jm were, das so viel Raben sich drein stücken und teilen +kündten. Dieweil hanget man die kleinen Diebe ... Kleine Diebe ligen in Stöcken gefangen, +grosse Diebe gehn in gold und seiden prangen ... Also ist auch kein grösser Menschenfeind +auff Erden (nach dem Teuffei) denn ein Geitshals und Wucherer, denn er will über alle men- +schen Gott sein. Türcken, Krieger, Tyrannen sind auch böse Menschen, doch müssen sie las- +sen die Leute leben und bekennen, dass sie Böse und Feinde sind, Und können, ja müssen +wol zu weilen sich über etliche erbarmen. Aber ein Wucherer und Geitzwanst, der wilt das +alle Welt im müsste in Hunger und Durst, Trauer und Not verderben, so viel an jm ist, auff +35 das ers alles allein möcht haben, und jedermann von jm, als von einem Gott empfahen und +ewiglich sein Leibeigener sein. Schauben, güldne Kette, Ringe tragen, das maul wischen, sich +für einen theuren, frommen Mann lassen ansehen und rhümen ... Wucher ist ein gros und +ungeheur monstrum, wie ein Beerwolff, der alles wüstet, mehr den kein Cacus, Gerion oder +Antus. Und schmückt sich doch und wil fromm sein, das man nicht sehen sol, wo die Ochsen, +40 die er rücklings in sein Loch zieht, hinkommen. Aber Hercules sol der Ochsen und der Ge- +fangenen Geschrey hören und den Cacum suchen auch in Klippen und Felsen, die Ochsen +wider lösen, von dem Bösewicht. Denn Cacus heisst ein Bösewicht, der ein frommer Wuche- +rer ist, stilet, raubet, frissi alles. Und wils doch nicht gethan haben, und sol ja nimand finden, +weil die Ochsen rücklings in sein Loch gezogen, schein und fusstapffen geben, als seien sie +45 herausgelassen. Also wil der Wucherer auch die Welt effen, als nütze er und gebe der weit +ochsen, so er sie doch zu sich allein reisst und frisst ... Und so man die Strassenräuber, Mör- +der und Beuheder, redert und köpffet, wie viel mehr solt man alle Wucherer redern und +edern ... verjagen, verfluchen und kÖpffen." (Martin Luther I.e.) + +531 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +duell durch - herrschen Bereicherungstrieb und Geiz als absolute Leiden- +schaften vor. Aber der Fortschritt der kapitalistischen Produktion schafft +nicht nur eine Welt von Genüssen. Er öffnet mit der Spekulation und dem +Kreditwesen tausend Quellen plötzlicher Bereicherung. Auf einer gewissen +Entwickelungshöhe wird ein konventioneller Grad von Verschwendung, +die zugleich Schaustellung des Reichthums und daher Kreditmittel ist, so- +gar zu einer Geschäftsnothwendigkeit des „unglücklichen" Kapitalisten. +Der Luxus geht in die Repräsentationskosten des Kapitals ein. Ohnehin +bereichert sich der Kapitalist nicht, gleich dem Schatzbildner, im Verhält- +niß seiner persönlichen Arbeit und seines persönlichen Nichtkonsums, +sondern im Maß, worin er fremde Arbeitskraft aussaugt und dem Arbeiter +Entsagung aller Lebensgenüsse aufzwingt. Obgleich daher die Verschwen- +dung des Kapitalisten nie den bona fide Charakter der Verschwendung des +flotten Feudalherrn besitzt, in ihrem Hintergrund vielmehr stets schmut- +zigster Geiz und ängstlichste Berechnung lauern, wächst dennoch seine +Verschwendung mit seiner Akkumulation, ohne daß die eine die andre zu +beabbruchen braucht. Damit entwickelt sich gleichzeitig in der Hochbrust +des Kapitalindividuums ein faustischer Konflikt zwischen Akkumulations- +und Genußtrieb. + +5 + +10 + +15 + +„Die Industrie von Manchester", heißt es in einer Schrift, die Dr. Aikin 20 + +25 + +1795 veröffentlichte, „kann in vier Perioden getheilt werden. In der ersten +waren die Fabrikanten gezwungen, hart für ihren Lebensunterhalt zu arbei- +ten." Sie bereicherten sich besonders durch Bestehlung der Eltern, die +ihnen Jungen als apprentices (Lehrlinge) zuwiesen und dafür schwer ble- +chen mußten, während die Lehrlinge ausgehungert wurden. Andrerseits +waren die Durchschnittsprofite niedrig und die Akkumulation verlangte +große Sparsamkeit. Sie lebten wie Schatzbildner und verzehrten bei wei- +tem ||558| nicht einmal die Zinsen ihres Kapitals. „In der zweiten Periode +hatten sie begonnen, kleine Vermögen zu erwerben, arbeiteten aber ebenso +hart als zuvor", denn die unmittelbare Exploitation der Arbeit kostet Ar- 30 +beit, wie jeder Sklaventreiber weiß, „und lebten nach wie vor in demselben +frugalen Styl .... In der dritten Periode begann der Luxus, und das Ge- +schäft wurde ausgedehnt durch Aussendung von Reitern (berittenen Com- +mis Voyageurs) für Ordres in jeder Marktstadt des Königreichs. Es ist +wahrscheinlich, daß wenige oder keine Kapitale von 3000 bis 4000 Pfd. St., 35 +in der Industrie erworben, vor 1690 existirten. Um diese Zeit jedoch oder +etwas später hatten die Industriellen schon Geld akkumulirt und begannen +steinerne Häuser statt der von Holz und Mörtel aufzuführen .... Noch in +den ersten Decennien des 18. Jahrhunderts setzte sich ein Manchester Fa- +brikant, der eine Pint fremden Weins seinen Gästen vorsetzte, den Glossen 40 +und dem Kopfschütteln aller seiner Nachbarn aus." Vor dem Aufkommen + +532 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +der Maschinerie betrug der abendliche Konsum der Fabrikanten in den +Kneipen, wo sie zusammenkamen, nie mehr als 6 d. für ein Glas Punsch +und 1 d. für eine Rolle Tabak. Erst 1758, und dieß macht Epoche, sah man +„eine im Geschäft wirklich engagirte Person mit eigner Equipage"! „Die +5 vierte Periode", das letzte Drittheil des 18. Jahrhunderts, „ist die von gro- +ßem Luxus und Verschwendung, unterstützt durch die Ausdehnung des +Geschäfts" 3-). Was würde der gute Dr. Aikin sagen, wenn er heutzutag in +Manchester auferstände! + +Akkumulirt, Akkumulirt! Das ist Moses und die Propheten! „Die Indu- +10 strie liefert das Material, welches die Sparsamkeit akkumulirt" 3 6). Also +spart, spart, d. h. rückverwandelt möglichst großen Theil des Mehrwerths +oder Mehrprodukts in Kapital! Akkumulation um der Akkumulation, Pro- +duktion um der Produktion willen, in dieser Formel sprach die klassische +Oekonomie den historischen Beruf der Bourgeoisperiode aus. Sie täuschte +15 sich keinen Augenblick über die Geburtswehn des Reichthums 3 7), aber was +nützt der Jammer über historische Nothwendigkeit? Wenn der klassi- +schen ||559| Oekonomie der Proletarier nur als Maschine zur Produktion +von Mehrwerth, gilt ihr aber auch der Kapitalist nur als Maschine zur Ver- +wandlung dieses Mehrwerths in Mehrkapital. Sie nimmt seine historische +20 Funktion in bitterm Ernst. Um seinen Busen vor dem unheilvollen Kon- +flikt zwischen Genußtrieb und Bereicherungstrieb zu feien, vertheidigte +Malthus, im Anfang der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, eine Thei- +lung der Arbeit, welche dem wirklich in der Produktion begriffenen Kapita- +listen das Geschäft der Akkumulation, den andren Theilnehmern am +25 Mehrwerth, der Landaristokratie, Staats-, Kirchenpfründnern u. s. w. das +Geschäft der Verschwendung zuweist. Es ist von der höchsten Wichtigkeit, +sagt er, „die Leidenschaft für Ausgabe und die Leidenschaft für Akkumula- +tion („the passion for expenditure and the passion for accumulation") ge- +trennt zu halten" 3 8). Die Herrn Kapitalisten, seit lange in Lebe- und WeIt- +30 manner verwandelt, schrieen auf. Was, rief einer ihrer Wortführer, ein +Ricardianer, Herr Malthus predigt hohe Grundrenten, hohe Steuern u.s.w., +um dem Industriellen einen fortwährenden Stachel durch unproduktive +Konsumenten aufzudrücken! Allerdings Produktion, Produktion auf stets +erweiterter Stufenleiter, lautet das Schiboleth, aber „Produktion wird durch + +35 + +3 5 ) Dr. Aikin: ,,Description of the Country from 30 to 40 miles round Manchester. Lond. +1795", p. 181 sqq. +3 6 ) A. Smith 1. c. b.II, ch. III. +3 7 ) Selbst J . B . Say sagt: «Les épargnes des riches se font aux dépens des pauvres.» „Der römi- +sche Proletarier lebte fast ganz auf Kosten der Gesellschaft... Man könnte fast sagen, daß die +40 moderne Gesellschaft auf Kosten der Proletarier lebt, von dem Theil, den sie auf Belohnung + +der Arbeit ihnen entzieht." (Sismondi: ,,Études etc." 1.1, p.24.) +3 8 ) Malthus 1. c. p. 325, 326. + +533 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +einen solchen Proceß weit mehr gehemmt als gefördert. Auch ist es nicht +ganz billig (nor is it quite fair), eine Anzahl Personen so im Müßiggang zu +erhalten, nur um andre zu kneipen, aus deren Charakter man schließen +darf (,,who are likely, from their characters"), daß, wenn ihr sie zu funktio- +niren zwingen könnt, sie mit Erfolg funktioniren" 3 9). So unbillig er es fin- +det, den industriellen Kapitalisten zur Akkumulation zu stacheln, indem +man ihm das Fett von der Suppe wegschöpft, so nothwendig dünkt ihm, +den Arbeiter möglichst auf den Minimallohn zu beschränken, „um ihn ar- +beitsam zu erhalten". Auch verheimlicht er keinen Augenblick, daß Aneig- +nung unbezahlter Arbeit das Geheimniß der Plusmacherei ist. „Vermehrte 10 +Nachfrage von Seite der Arbeiter meint durchaus nichts als ihre Geneigt- +heit, weniger von ihrem eignen Produkt für sich selbst zu nehmen und +einen größren Theil davon ihren Anwendern zu überlassen; und wenn man +sagt, daß dieß, durch Verminderung der Konsumtion (auf Seiten der Arbei- +ter) glut (Marktüberfüllung, ||560| Ueberproduktion) erzeugt, so kann ich 15 +nur antworten, daß glut synonym mit hohem Profit i s t " 4 0 ) . + +5 + +Der gelehrte Zank, wie die dem Arbeiter ausgepumpte Beute förderlichst +für die Akkumulation zu vertheilen sei zwischen industriellem Kapitalist +und müßigem Grundeigenthümer u. s. w., verstummte vor der Julirevolu- +tion. Kurz nachher läutete das städtische Proletariat die Sturmglocke zu 20 +Lyon und ließ das Landproletariat den rothen Hahn in England fliegen. +Dießseits des Kanals grassirte der Owenismus, jenseits St. Simonismus und +Fourierismus. Die Stunde der Vulgärökonomie hatte geschlagen. Grade +ein Jahr, bevor Nassau W. Senior zu Manchester ausfand, daß der Profit +(incl. Zins) des Kapitals das Produkt der unbezahlten „letzten zwölften Ar- 25 +beitsstunde" ist, hatte er der Welt eine andre Entdeckung angekündigt. +„Ich", sagte er feierlich, „ich ersetze das Wort Kapital, als Produktionsin- +strument betrachtet, durch das Wort Abstinenz (Enthaltung) " 4 1 ) . Ein un- + +; + +3 9 ) „An Inquiry into those principles respecting the Nature of Demand etc.", p. 67. +4 0 ) 1. c. p. 59. +4 1 ) Senior: ,,Principes fondamentaux de l'Écon. Pol." trad. Arrivabene. Paris 1836, p. 309. +Dieß war den Anhängern der alten klassischen Schule doch etwas zu toll. „Herr Senior +schiebt dem Ausdruck Arbeit und Kapital den Ausdruck Arbeit und Abstinenz unter ... Ab- +stinenz ist eine bloße Negation. Es ist nicht die Abstinenz, sondern der Gebrauch des produk- +tiv verwandten Kapitals, welcher die Quelle des Profits bildet." (John Cazenove 1. c. p. 130, 35 +Note.) Herr John St. Mill excerpirt dagegen auf der einen Seite Ricardo's Profittheorie und +annexirt auf der andren Senior's ,,remuneration of abstinence". So fremd ihm der Hegel'sche +„Widerspruch", die Springquelle aller Dialektik, so heimisch ist er in platten Widersprü- +chen. + +30 + +Zusatz zur 2. Ausg. Der Vulgärökonom hat nie die einfache Reflexion angestellt, daß jede 40 + +menschliche Handlung als „Enthaltung" von ihrem Gegentheil aufgefaßt werden kann. Essen +ist Enthaltung von Fasten, Gehn Enthaltung von Stehn, Arbeiten Enthaltung von Faullenzen, +Faullenzen Enthaltung von Arbeiten etc. Die Herren thäten wohl, einmal nachzudenken über +Spinoza's: Determinatio est negatio. + +534 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel · Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +übertroffenes Muster dieß von den „Entdeckungen" der Vulgärökonomie ! +Sie ersetzt eine ökonomische Kategorie durch eine sykophantische Phrase. +Voilà tout. „Wenn der Wilde", docirt Senior, „Bogen fabricirt, so übt er +eine Industrie aus, aber er prakticirt nicht die Abstinenz." Dieß erklärt uns, +5 wie und warum in früheren Gesellschaftszuständen „ohne die Abstinenz" +des Kapitalisten Arbeitsmittel fabricirt wurden. „Je mehr die Gesellschaft +fortschreitet, um so mehr Abstinenz erfordert s i e " 4 2 ) , nämlich von denen, +welche die Industrie ausüben, sich die fremde Industrie und ihr Produkt +anzueignen. Alle Bedingungen des Arbeitsprocesses verwandeln sich von +10 nun in ebenso viele Abstinenzpraktiken des Kapitalisten. Daß ||561| Korn +nicht nur gegessen, sondern auch gesät wird, Abstinenz des Kapitalisten! +Daß der Wein die Zeit erhält, auszugähren, Abstinenz des Kapitalisten! 4 3) +Der Kapitalist beraubt seinen eignen Adam, wenn er die „Produktionsin- +strumente dem Arbeiter leiht" (!), alias sie durch Einverleibung der Ar- +15 beitskraft als Kapital verwerthet, statt Dampfmaschinen, Baumwolle, +Eisenbahnen, Dünger, Zugpferde u. s. f. aufzuessen oder, wie der Vulgär- +ökonom sich das kindlich vorstellt, „ihren Werth" in Luxus und andren +Konsumtionsmitteln zu verprassen 4 4). Wie die Kapitalistenklasse das an- +stellen soll, ist ein von der Vulgärökonomie bisher hartnäckig bewahrtes +20 Geheimniß. Genug, die Welt lebt nur noch von der Selbstkasteiung dieses +modernen Büßers des Wischnu, des Kapitalisten. Nicht nur die Akkumula- +tion, die einfache „Erhaltung eines Kapitals erheischt beständige Kraftan- +strengung, um der Versuchung zu widerstehn, es aufzuessen" 4 5). Die einfa- +che Humanität gebeut also offenbar, den Kapitalisten von Martyrthum und +25 Versuchung zu erlösen, in derselben Weise, wie der georgische Sklavenhal- +ter jüngst durch Abschaffung der Sklaverei von dem schmerzlichen Di- +lemma erlöst ward, ob das dem Negersklaven ausgepeitschte Mehrprodukt +ganz in Champagner zu verjubeln oder auch theilweis in mehr Neger und +mehr Land rückzuverwandeln. + +30 + +In den verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen findet + +4 2 ) Senior 1. c. p.342, 343. +4 3 ) "No one ... will sow his wheat, f.i., and allow it to remain a twelvemonth in the ground, or +leave his wine in a cellar for years, instead of consuming these things or their equivalent at +once—unless he expects to acquire additional value etc." (Scrope: „Polit. Econ." edit, von + +35 A.Potter, New-York 1841, p. 133.) + +4 4 ) «La privation que s'impose le capitaliste, en prêtant (dieser Euphemismus gebraucht, um +nach probater vulgärökonomischer Manier den vom industriellen Kapitalisten exploitirten +Lohnarbeiter mit dem industriellen Kapitalisten selbst zu identificiren, welcher vom Geld +verleihenden Kapitalisten pumpt!) ses instruments de production au travailleur au lieu d'en +consacrer la valeur à son propre usage, en la transformant en objets d'utilité ou d'agrément. » +(G. de Molinari 1. c. p. 36.) +4 5 ) «La conservation d'un capital exige .... un effort constant peur résister à la tentation de le +consommer.» (Courcelle-Seneuil I.e. p.20.) + +40 + +535 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumuiationsprozeß des Kapitals + +5 + +nicht nur einfache Reproduktion statt, sondern, obgleich auf verschiednem +Maßstab, Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter. Es wird progressiv +mehr producirt und mehr konsumirt, also auch mehr Produkt in Produk- +tionsmittel verwandelt. Dieser Proceß erscheint aber nicht als Akkumula- +tion von Kapital und daher auch nicht als Funktion des Kapitalisten, so +lange dem Arbeiter seine Produktionsmittel, daher auch sein Produkt und +seine Lebensmittel, ||562| noch nicht in der Form von Kapital gegenüber- +stehn 4 6). Der vor einigen Jahren verstorbene Richard Jones, Nachfolger von +Malthus auf dem Lehrstuhl der politischen Oekonomie am ostindischen +College zu Haileybury, erörtert dieß gut an zwei großen Thatsachen. Da 10 +der zahlreichste Theil des indischen Volks selbstwirthschaftende Bauern, +existirt ihr Produkt, ihre Arbeits- und Lebensmittel, auch nie „in der Form +(„in the shape") eines Fonds, der aus fremder Revenue erspart wird (,,saved +from Revenue") und daher einen vorläufigen Proceß der Akkumulation („a +previous process of accumulation") durchlaufen h a t " 4 7 ) . Andrerseits wer- 15 +den die nicht-agrikolen Arbeiter in den Provinzen, wo die englische Herr- +schaft das alte System am wenigsten aufgelöst hat, direkt von den Großen +beschäftigt, denen eine Portion des ländlichen Mehrprodukts als Tribut +oder Grundrente zufließt. Ein Theil dieses Produkts wird in Naturalform +von den Großen verzehrt, ein andrer Theil für sie von den Arbeitern in Lu- 20 +xus- und sonstige Konsumtionsmittel verwandelt, während der Rest den +Lohn der Arbeiter bildet, die Eigenthümer ihrer Arbeitsinstrumente sind. +Produktion und Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter gehn hier ihren +Gang ohne alle Dazwischenkunft jenes wunderlichen Heiligen, jenes Rit- +ters von der traurigen Gestalt, des „entsagenden" Kapitalisten. + +25 + +4 6 ) "The particular classes of income which yield the most abundantly to the progress of na- +tional capital, change at different stages of their progress, and are therefore entirely different +in nations occupying different positions in that progress ... Profits ... unimportant source of +accumulation, compared with wages and rents, in the earlier stages of society ... When a con- +siderable advance in the powers of national industry has actually taken place, profits rise into 30 +comparative importance as a source of accumulation." (Richard Jones: „Textbook etc.", p. 16, +20, 21.) +4 7 ) I.e. p.36 sq. (Zur 4.Aufl. - Muß ein Versehen sein, die Stelle ist nicht gefunden worden.- +D.H.) + +536 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +4. Umstände, welche unabhängig von der proportionalen Theilung + +des Mehrwerths + +in Kapital und Revenue + +den Umfang der Akkumulation bestimmen: + +Exploitationsgrad der Arbeitskraft. + +- Produktivkraft der Arbeit. + +- + +Wachsende Differenz zwischen angewandtem + +und konsumirtem Kapital. + +- + +Größe des vorgeschoßnen Kapitals. + +Das Verhältniß, wonach der Mehrwerth sich in Kapital und Revenue spal- +tet, als gegeben vorausgesetzt, richtet sich die Größe des akkumulirten Ka- +pitals offenbar nach der absoluten Größe des ||563| Mehrwerths. Angenom- +men, 80 % würden kapitalisirt und 20 % aufgegessen, so wird das +akkumulirte Kapital 2400 Pfd. St. oder 1200 Pfd. St. betragen, je nachdem +der Gesammt-Mehrwerth sich auf 3000 oder auf 1500 Pfd. St. belaufen hat. +Demnach wirken bei Bestimmung der Größe der Akkumulation alle die +Umstände mit, die die Masse des Mehrwerths bestimmen. Wir fassen sie +hier nochmals zusammen, aber nur insofern sie mit Bezug auf die Akku- +mulation neue Gesichtspunkte bieten. + +Man erinnert sich, daß die Rate des Mehrwerths in erster Instanz ab- +hängt vom Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Die politische Oekonomie +würdigt diese Rolle so sehr, daß sie gelegentlich die Beschleunigung der +Akkumulation durch erhöhte Produktionskraft der Arbeit identificirt mit +ihrer Beschleunigung durch erhöhte Exploitation des Arbeiters 4 8). In den +Abschnitten über die Produktion des Mehrwerths ward beständig unter- +stellt, daß der Arbeitslohn wenigstens gleich dem Werth der Arbeitskraft +ist. Die gewaltsame Herabsetzung des Arbeitslohns unter diesen Werth +spielt jedoch in der praktischen Bewegung eine zu wichtige Rolle, um uns +nicht einen Augenblick dabei aufzuhalten. Sie verwandelt faktisch, inner- +halb gewisser Grenzen, den nothwendigen Konsumtionsfonds des Arbei- +ters in einen Akkumulationsfonds von Kapital. + +„Arbeitslöhne", sagt J. St. Mill, „haben keine Produktivkraft; sie sind der +Preis einer Produktivkraft; Arbeitslöhne tragen nicht, neben der Arbeit + +4 8 ) „Ricardo sagt: ,In verschiednen Stadien der Gesellschaft ist die Akkumulation des Kapi- +tals oder der Mittel Arbeit anzuwenden (sc. zu exploitiren) mehr oder weniger rasch und muß +in allen Fällen von den Produktivkräften der Arbeit abhängen. Die Produktivkräfte der Arbeit +sind im Allgemeinen am größten, wo Ueberfluß von fruchtbarem Boden existirt.' Bedeuten in +diesem Satz die Produktivkräfte der Arbeit die Kleinheit des aliquoten Theils jedes Produkts, +der denen zufällt, deren Handarbeit es producirt, so ist der Satz tautologisch, weil der übrig +bleibende Theil der Fonds ist, woraus, wenn es seinem Eigner beliebt (,,if the owner pleases"), +Kapital akkumulirt werden kann. Aber dieß ist meistens nicht der Fall, wo das Land am +fruchtbarsten ist." (,,Observations on certain verbal disputes etc." p. 74.) + +537 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +selbst, zur Waarenproduktion bei, sowenig als der Preis der Maschinerie +selbst. Könnte Arbeit ohne Kauf gehabt werden, so wären Arbeitslöhne +überflüssig" 4 9). Wenn aber die Arbeiter von der Luft leben könnten, so wä- +ren sie auch um keinen Preis zu kaufen. Ihr Nichtkosten ist also eine +Grenze im mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets annä- +herbar. Es ist die beständige Tendenz des Kapitals, sie auf diesen nihilisti- +schen Standpunkt herabzudrücken. Ein oft von mir citirter ||564| Schrift- +steller des 18. Jahrhunderts, der Verfasser des „Essay on Trade and +Commerce", verräth nur das innerste Seelengeheimniß des englischen Ka- +pitals, wenn er es für die historische Lebensaufgabe Englands erklärt, den 10 +englischen Arbeitslohn auf das französische und holländische Niveau her- +abzudrücken 5 0). Er sagt u. a. naiv: „Wenn aber unsre Armen (Kunstaus- +druck für Arbeiter) luxuriös leben wollen ... muß ihre Arbeit natürlich +theuer sein. ... Man betrachte nur die haarsträubende Masse von Ueber- +flüssigkeiten (,,heap of superfluities"), die unsre Manufakturarbeiter ver- +zehren, als da sind Branntwein, Gin, Thee, Zucker, fremde Früchte, starkes +Bier, gedruckte Leinwand, Schnupf- und Rauchtabak e t c . " 5 1 ) . Er citirt die +Schrift eines Fabrikanten von Northamtonshire, der mit himmelwärts +schielendem Blick jammert: „Arbeit ist ein ganzes Drittheil wohlfeiler in +Frankreich als in England: denn die französischen Armen arbeiten hart 20 +und fahren hart an Nahrung und Kleidung und ihr Hauptkonsum sind +Brod, Früchte, Kräuter, Wurzeln und getrockneter Fisch; denn sie essen +sehr selten Fleisch, und wenn der Weizen theuer ist, sehr wenig B r o d " 5 2 ) . +„Wozu", fährt der Essayist fort, „wozu noch kömmt, daß ihr Getränk aus +Wasser besteht oder ähnlichen schwachen Likören, so daß sie in der That 25 +erstaunlich wenig Geld ausgeben .... Ein derartiger Zustand der Dinge ist +sicherlich schwer herbeizuführen, aber er ist nicht unerreichbar, wie seine +Existenz sowohl in Frankreich als Holland schlagend beweist" 5 3). Zwei + +15 + +30 + +4 9 ) J. St. Mill: „Essays on some unsettled Questions of Polit. Economy. Lond. 1844", p. 90, +91. +5 0 ) „An Essay on Trade and Commerce. Lond. 1770", p. 43, 44. Aehnlich brachte die Times +vom December 1866 und Januar 1867 Herzensergießungen englischer Minenbesitzer, worin +der glückliche Zustand der belgischen Minenarbeiter geschildert ward, die nicht mehr ver- +langten und nicht mehr erhielten, als strikt nöthig, um für ihre.„masters" zu leben. Die belgi- +schen Arbeiter dulden viel, aber als Musterarbeiter in der Times zu fîguriren! Anfang Februar 35 +1867 antwortete der mit Pulver und Blei unterdrückte Strike der belgischen Minenarbeiter +(bei Marchienne). +5 1 ) I.e. p.44, 46. +5 2 ) Der Fabrikant von Northamptonshire begeht eine im Herzensdrang entschuldbare pia +fraus. Er vergleicht angeblich das Leben englischer und französischer Manufakturarbeiter, +schildert aber, wie er später in seiner Verdadderung selbst gesteht, mit den eben citirten Wor- +ten französische Agrikulturarbeiter! +5 3 ) 1. c. p. 70, 71. Note zur dritten Auflage. Heute sind wir, Dank der seitdem hergestellten +Weltmarktskonkurrenz, ein gut Stück weiter. „Wenn China", erklärt das Parlamentsmitglied + +40 + +538 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +Jahrzehnte ||565| später verfolgte ein amerikanischer Humbug, der baroni- +sirte Yankee Benjamin Thompson (alias Graf Rumford), dieselbe Philan- +thropielinie mit großem Wohlgefallen vor Gott und den Menschen. Seine +„Essays" sind ein Kochbuch mit Recepten aller Art, um Surrogate an die +5 Stelle der theuren Normalspeisen des Arbeiters zu setzen. Ein besonders +gelungnes Recept dieses wunderlichen „Philosophen" ist folgendes: „Fünf +Pfund Gerste, fünf Pfund Mais, für 3 d. Häringe, 1 d. Salz, 1 d. Essig, 2 d. +Pfeffer und Kräuter - Summa von 20¾ d. gibt eine Suppe für 64 Men- +schen, ja mit den Durchschnittspreisen von Korn kann die Kost auf % d. +10 per Kopf (noch nicht 3 Pfennige) herabgedrückt werden" 5 4). Mit dem Fort- +schritt der kapitalistischen Produktion hat die Waarenfälschung Thomp- +son's Ideale überflüssig gemacht 5 5). + +15 + +Ende des 18. und während der ersten Decennien des 19. Jahrhunderts er- +zwangen die englischen Pächter und Landlords das absolute Minimalsa- +lair, indem sie den Ackerbautaglöhnern weniger als das Minimum in der +Form des Arbeitslohns, den Rest aber in der Form von Pfarreiunterstüt- +zung auszahlten. Ein Beispiel der Possenreißerei, womit die englischen +Dogberries in ihrer „legalen" Festsetzung des Lohntarifs verfuhren: „Als +die Squires die Arbeitslöhne für Speenhamland 1795 festsetzten, hatten sie +20 zu Mittag gespeist, dachten aber offenbar, daß die Arbeiter nicht desglei- +chen nöthig hätten .... Sie entschieden, der Wochenlohn solle 3 sh. per +Mann sein, wenn der Laib Brod von 8 Pfund 11 Unzen auf ||566| 1 sh. +stünde, und er solle regelmäßig wachsen, bis der Laib 1 sh. 5 d. koste. So- + +Stapleton seinen Wählern, „wenn China ein großes Industrieland wird, so sehe ich nicht ein, +25 wie die europäische Arbeiterbevölkerung den Kampf aushalten könnte, ohne auf das Niveau +ihrer Konkurrenten herabzusteigen." (Times, 9. Sept. 1873.) - Nicht mehr kontinentale, nein, +chinesische Löhne, das ist jetzt das ersehnte Ziel des englischen Kapitals. +5 4 ) Benjamin Thompson: „Essays, political, economical, and philosophical etc. 3 vol. Lond. +1796-1802", vol. I, p. 294. In seinem „The State of the Poor, or an History of the Labouring +30 Classes in England etc." empfiehlt Sir F.M. Eden die Rumford'sche Bettelsuppe bestens den +Vorstehern von Workhouses und mahnt die englischen Arbeiter vorwurfsvoll, daß „es bei den +Schotten viele Familien gibt, die, statt von Weizen, Roggen und Fleisch, Monate lang von +Hafergrütze und Gerstenmehl, nur mit Salz und Wasser gemischt, leben und das obendrein +noch sehr komfortabel" („and that very comfortably too"). (I.e. v.I, b.II, ch.II, p.503.) Aehnli- +35 che „Fingerzeige" im 19. Jahrhundert. „Die englischen Ackerbauarbeiter", heißt es z.B., „wol- +len keine Mischungen niederer Kornarten essen. In Schottland, wo die Erziehung besser ist, +ist dieß Vorurtheil wahrscheinlich unbekannt." (Charles H.Parry M.D.: „The Question of the +Necessity of the existing Cornlaws considered. Lond. 1816", p. 68, 69.) Derselbe Parry klagt je- +doch, daß der englische Arbeiter jetzt (1815) sehr heruntergekommen sei, verglichen mit + +40 Eden's Zeit (1797). + +5 5 ) Aus den Berichten der letzten parlamentarischen Untersuchungskommission über Fäl- +schung von Lebensmitteln sieht man, daß selbst die Fälschung der Arzneistoffe in England +nicht Ausnahme, sondern Regel bildet. Z.B. die Examination von 34 Proben von Opium, ge- +kauft in eben so viel verschiednen Londoner Apotheken, ergab, daß 31 verfälscht waren mit +45 Mohnkapsel, Weizenmehl, Gummischleim, Thon, Sand u. s. w. Viele enthielten kein Atom + +Morphin. + +539 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +bald er über diesen Preis stiege, sollte der Lohn proportioneil abnehmen, +bis der Preis des Laibes 2 sh. erreicht hätte; und dann sollte die Nahrung +des Mannes % weniger als vorher s e i n " 5 6 ) . Vor dem Untersuchungscomité +des House of Lords, 1814, wird ein gewisser A. Bennett, großer Pächter, +Magistrat, Armenhausverwalter und Lohnregulator, gefragt: „Wird irgend +eine Proportion zwischen dem Werth der Tagesarbeit und der Pfarreiunter- +stützung der Arbeiter beobachtet?" Antwort: „Ja. Das wöchentliche Ein- +kommen jeder Familie wird über ihren Nominallohn hinaus voll gemacht +bis zum Gallonlaib Brod (8 Pf. 11 Unzen) und 3 d. per K o p f . . . . Wir unter- +stellen den Gallonlaib hinreichend für die Erhaltung jeder Person in der 10 +Familie während der Woche; und die 3 d. sind für Kleider; und wenn es +der Pfarrei beliebt, die Kleider selbst zu stellen, werden die 3 d. abgezogen. +Diese Praxis herrscht nicht nur im ganzen Westen von Wiltshire, sondern, +wie ich glaube, im ganzen L a n d " 5 7 ) . „So", ruft ein Bourgeoisschriftsteller +jener Zeit, „haben die Pächter Jahre lang eine respektable Klasse ihrer 15 +Landsleute degradirt, indem sie dieselben zwangen, zum Workhouse ihre +Zuflucht zu nehmen ... Der Pächter hat seine eignen Gewinne vermehrt, +indem er selbst die Akkumulation des unentbehrlichsten Konsumfonds auf +Seite der Arbeiter verhinderte" 5 8). Welche Rolle heutzutag der direkte +Raub am nothwendigen Konsumtionsfonds des Arbeiters in der Bildung 20 +des Mehrwerths und daher des Akkumulationsfonds des Kapitals spielt, +hat beispielsweis die sog. Hausarbeit (S. Kap. X V , 8, c.) gezeigt. Weitere +Thatsachen im Verlauf dieses Abschnitts. + +Obschon in allen Industriezweigen der aus Arbeitsmitteln bestehende +Theil des konstanten Kapitals genügen muß für eine gewisse, durch die 25 +Größe der Anlage bestimmte Anzahl Arbeiter, so braucht er doch keines- +wegs immer in demselben Verhältniß zu wachsen, wie die beschäftigte Ar- +beitsmenge. In einer Fabrikanlage mögen hundert Arbeiter bei achtstündi- +ger Arbeit 800 Arbeitsstunden liefern. Will der Kapitalist diese Summe um +die Hälfte ||567| steigern, so kann er 50 neue Arbeiter anstellen; dann muß 30 +er aber auch ein neues Kapital vorschießen, nicht nur für Löhne, sondern +auch für Arbeitsmittel. Er kann aber auch die alten 100 Arbeiter 12 Stun- +den arbeiten lassen statt 8, und dann genügen die schon vorhandnen Ar- +beitsmittel, die sich dann bloß rascher verschleißen. So kann durch höhere +Anspannung der Arbeitskraft erzeugte, zusätzliche Arbeit das Mehrpro- 35 + +5 6 ) G.L. Newnham (barrister at law): „A Review of the Evidence before the Committees of the +two Houses of Parliament on the Cornlaws. Lond. 1815", p. 20, Note. +5 7 ) 1. c. p. 19, 20. +5 8 ) Ch. H. Parry 1. c. p. 77, 69. Die Herrn Landlords ihrerseits „indemnificirten" sich nicht nur +für den Antijakobinerkrieg, den sie im Namen Englands führten, sondern bereicherten sich +enorm. „Ihre Renten verdoppelten, verdreifachten, vervierfachten und, in Ausnahmsfällen, +versechsfachten sich in 18 Jahren." (1. c. p. 100, 101.) + +40 + +540 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +dukt und den Mehrwerth, die Substanz der Akkumulation, steigern ohne +verhältnißmäßige Steigerung des konstanten Kapitaltheils. + +In der extraktiven Industrie, den Bergwerken z. B . , bilden die Rohstoffe +keinen Bestandtheil des Kapitalvorschusses. Der Arbeitsgegenstand ist hier +5 nicht Produkt vorhergegangner Arbeit, sondern von der Natur gratis ge- +schenkt. So Metallerz, Minerale, Steinkohlen, Steine etc. Hier besteht das +konstante Kapital fast ausschließlich in Arbeitsmitteln, die ein vermehrtes +Arbeitsquantum sehr gut vertragen können (Tag- und Nacht-Schicht von +Arbeitern z . B . ) . Alle andern Umstände gleichgesetzt, wird aber Masse und +10 Werth des Produkts steigen in direktem Verhältniß der angewandten Ar- +beit. Wie am ersten Tag der Produktion, gehn hier die ursprünglichen Pro- +duktbildner, daher auch die Bildner der stofflichen Elemente des Kapitals, +Mensch und Natur, zusammen. Dank der Elasticität der Arbeitskraft, hat +sich das Gebiet der Akkumulation erweitert ohne vorherige Vergrößerung + +15 des konstanten Kapitals. + +In der Agrikultur kann man das bebaute Land nicht ausdehnen ohne +Vorschuß von zusätzlichem Samen und Dünger. Aber dieser Vorschuß ein- +mal gemacht, übt selbst die rein mechanische Bearbeitung des Bodens eine +wunderthätige Wirkung auf die Massenhaftigkeit des Produkts. Eine grö- +20 ßere Arbeitsmenge, geleistet von der bisherigen Anzahl Arbeiter, steigert +so die Fruchtbarkeit, ohne neuen Vorschuß an Arbeitsmitteln zu erfordern. +Es ist wieder direkte Wirkung des Menschen auf die Natur, welche zur un- +mittelbaren Quelle gesteigerter Akkumulation wird, ohne Dazwischen- +kunft eines neuen Kapitals. + +25 + +Endlich in der eigentlichen Industrie setzt jede zusätzliche Ausgabe an +Arbeit eine entsprechende Zusatzausgabe an Rohstoffen voraus, aber nicht +nothwendig auch an Arbeitsmitteln. Und da die extraktive Industrie und +Agrikultur der fabricirenden Industrie ihre eignen Rohstoffe und die ihrer +Arbeitsmittel liefern, kommt dieser auch der Produktenzuschuß zugute, + +30 den jene ohne zusätzlichen Kapitalzuschuß erzeugt haben. | + +|568| Allgemeines Resultat: Indem das Kapital sich die beiden Urbildner +des Reichthums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine Expan- +sionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudeh- +nen jenseits der scheinbar durch seine eigne Größe gesteckten Grenzen, +35 gesteckt durch den Werth und die Masse der bereits producirten Produk- + +tionsmittel, in denen es sein Dasein hat. + +Ein andrer wichtiger Faktor in der Akkumulation des Kapitals ist der + +Produktivitätsgrad der gesellschaftlichen Arbeit. + +40 + +Mit der Produktivkraft der Arbeit wächst die Produktenmasse, worin +sich ein bestimmter Werth, also auch Mehrwerth von gegebner Größe dar- +stellt. Bei gleichbleibender und selbst bei fallender Rate des Mehrwerths, + +541 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +sofern sie nur langsamer fallt, als die Produktivkraft der Arbeit steigt, +wächst die Masse des Mehrprodukts. Bei gleichbleibender Theilung dessel- +ben in Revenue und Zusatzkapital kann daher die Konsumtion des Kapita- +listen wachsen ohne Abnahme des Akkumulationsfonds. Die proportio- +neile Größe des Akkumulationsfonds kann selbst auf Kosten des +Konsumtionsfonds wachsen, während die Verwohlfeilerung der Waaren +dem Kapitalisten eben so viele oder mehr Genußmittel als vorher zur Ver- +fügung stellt. Aber mit der wachsenden Produktivität der Arbeit geht, wie +man gesehn, die Verwohlfeilerung des Arbeiters, also wachsende Rate des +Mehrwerths, Hand in Hand, selbst wenn der reelle Arbeitslohn steigt. Er 10 +steigt nie verhältnißmäßig mit der Produktivität der Arbeit. Derselbe varia- +ble Kapitalwerth setzt also mehr Arbeitskraft und daher mehr Arbeit in +Bewegung. Derselbe konstante Kapitalwerth stellt sich in mehr Produk- +tionsmitteln, d. h. mehr Arbeitsmitteln, Arbeitsmaterial und Hülfsstoffen +dar, liefert also sowohl mehr Produktbildner als Werthbildner, oder Ar- 15 +beitseinsauger. Bei gleichbleibendem und selbst abnehmendem Werth des +Zusatzkapitals findet daher beschleunigte Akkumulation statt. Nicht nur +erweitert sich die Stufenleiter der Reproduktion stofflich, sondern die Pro- +duktion des Mehrwerths wächst schneller als der Werth des Zusatzkapitals. + +Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit reagirt auch auf das Ori- 20 + +ginalkapital oder das bereits im Produktionsproceß befindliche Kapital. +Ein Theil des funktionirenden konstanten Kapitals besteht aus Arbeitsmit- +teln, wie Maschinerie u.s.w., die nur in längeren Perioden konsumirt und +daher reproducirt oder durch neue Exemplare derselben Art ersetzt wer- +den. Aber jedes Jahr stirbt ein Theil dieser Arbeitsmittel ab, oder erreicht 25 +das Endziel ||569| seiner produktiven Funktion. Er befindet sich daher j e - +des Jahr im Stadium seiner periodischen Reproduktion oder seines Ersat- +zes durch neue Exemplare derselben Art. Hat die Produktivkraft der Arbeit +sich in der Geburtsstätte dieser Arbeitsmittel erweitert, und sie entwickelt +sich fortwährend mit dem ununterbrochenen Fluß der Wissenschaft und 30 +der Technik, so tritt wirkungsvollere und, ihren Leistungsumfang betrach- +tet, wohlfeilere Maschine, Werkzeug, Apparat u. s. w. an die Stelle der al- +ten. Das alte Kapital wird in einer produktiveren Form reproducirt, abge- +sehn von der fortwährenden Detailveränderung an den vorhandnen +Arbeitsmitteln. Der andre Theil des konstanten Kapitals, Rohmaterial und 35 +Hülfsstoffe, wird fortwährend innerhalb des Jahrs, der der Agrikultur ent- +stammende meist jährlich reproducirt. Jede Einführung beßrer Methoden +u. s.w. wirkt hier also fast gleichzeitig auf Zuschußkapital und bereits in +Funktion begriffnes Kapital. Jeder Fortschritt der Chemie vermaniiigfacht +nicht nur die Zahl der nützlichen Stoffe und die Nutzanwendungen der 40 +schon bekannten, und dehnt daher mit dem Wachsthum des Kapitals seine + +542 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +Anlagesphären aus. Er lehrt zugleich die Exkremente des Produktions- und +Konsumtionsprocesses in den Kreislauf des Reproduktionsprocesses zu- +rückschleudern, schafft also ohne vorherige Kapitalauslage neuen Kapital- +stoff. Gleich vermehrter Ausbeutung des Naturreichthums durch bloß hö- +5 here Spannung der Arbeitskraft, bilden Wissenschaft und Technik eine von +der gegebnen Größe des funktionirenden Kapitals unabhängige Potenz sei- +ner Expansion. Sie reagirt zugleich auf den in sein Erneuerungsstadium +eingetretenen Theil des Originalkapitals. In seine neue Form einverleibt es +gratis den hinter dem Rücken seiner alten Form vollzogenen gesellschaftli- +chen Fortschritt. Allerdings ist diese Entwicklung der Produktivkraft zu- +gleich begleitet von theilweiser Depreciation funktionirender Kapitale. So- +weit diese Depreciation sich durch die Konkurrenz akut fühlbar macht, +fällt die Hauptwucht auf den Arbeiter, in dessen gesteigerter Exploitation +der Kapitalist Schadenersatz sucht. + +10 + +15 + +20 + +Die Arbeit überträgt auf das Produkt den Werth der von ihr konsumirten +Produktionsmittel. Andrerseits wächst Werth und Masse der durch ge- +gebne Arbeitsmenge in Bewegung gesetzten Produktionsmittel im Verhält- +niß wie die Arbeit produktiver wird. Setzt also auch dieselbe Arbeitsmenge +ihren Produkten immer nur dieselbe Summe Neuwerth zu, so wächst doch +der alte Kapitalwerth, den sie ihnen gleichzeitig überträgt, mit steigender +Produktivität der Arbeit. | + +25 + +30 + +|570| Ein englischer und ein chinesischer Spinner z.B. mögen dieselbe +Stundenzahl mit derselben Intensität arbeiten, so werden beide in einer +Woche gleiche Werthe erzeugen. Trotz dieser Gleichheit besteht ein unge- +heurer Unterschied zwischen dem Werth des Wochenprodukts des Englän- +ders, der mit einem gewaltigen Automaten arbeitet, und des Chinesen, der +nur ein Spinnrad hat. In derselben Zeit, wo der Chinese ein Pfund Baum- +wolle, verspinnt der Engländer mehrere Hundert Pfund. Eine um mehrere +Hundert Mal größere Summe alter Werthe schwellt den Werth seines Pro- +dukts an, in welchem sie in neuer nutzbarer Form erhalten werden und so +von Neuem als Kapital funktioniren können. „1782", belehrt uns F.Engels, +„lag die ganze Wollernte der vorhergehenden drei Jahre (in England) aus +Mangel an Arbeitern noch unverarbeitet da und hätte liegen bleiben müs- +sen, wenn nicht die neu erfundne Maschinerie zu Hülfe gekommen wäre +35 und sie versponnen hätte" 5 9). Die in der Form von Maschinerie vergegen- +ständlichte Arbeit stampfte natürlich unmittelbar keinen Menschen aus +dem Boden, aber sie erlaubte einer geringen Arbeiteranzahl durch Zusatz +von relativ wenig lebendiger Arbeit nicht nur die Wolle produktiv zu kon- +sumiren und ihr Neuwerth zuzusetzen, sondern in der Form von Garn + +40 + +5 9 ) F. Engels: „Lage der arbeitenden Klasse in England", p, 20. + +543 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +u.s.w. ihren alten Werth zu erhalten. Sie lieferte damit zugleich Mittel und +Sporn zur erweiterten Reproduktion von Wolle. Es ist die Naturgabe der le- +bendigen Arbeit, alten Werth zu erhalten, während sie Neuwerth schafft. +Mit dem Wachsthum von Wirksamkeit, Umfang und Werth ihrer Produk- +tionsmittel, also mit der die Entwicklung ihrer Produktivkraft begleitenden 5 +Akkumulation erhält und verewigt die Arbeit daher in stets neuer Form +einen stets schwellenden Kapitalwerth 6 0). 115711 Diese Naturkraft der Arbeit + +15 + +6 0 ) Die klassische Oekonomie hat wegen mangelhafter Analyse des Arbeits- und Verwer- +thungsprocesses dieß wichtige Moment der Reproduktion nie ordentlich begriffen, wie man +z.B. bei Ricardo sehn kann. Er sagt z.B.: Welches immer der Wechsel der Produktivkraft, 10 +„Eine Million Menschen producirt in den Fabriken stets denselben Werth." Dieß richtig, +wenn Extension und Intensivgrad ihrer Arbeit gegeben. Es verhindert aber nicht, und Ricardo +übersieht dieß in gewissen Schlußfolgerungen, daß eine Million Menschen sehr verschiedne +Massen von Produktionsmitteln, bei verschiedner Produktivkraft ihrer Arbeit, in Produkt ver- +wandelt, daher sehr verschiedne Werthmassen in ihrem Produkt erhält, die von ihr gelieferten +Produktenwerthe also sehr verschieden sind. Ricardo hat, nebenbei bemerkt, an jenem Bei- +spiel umsonst versucht, dem J . B . Say den Unterschied zwischen Gebrauchswerth (den er hier +wealth nennt, stofflichen Reichthum) und Tauschwerth klar zu machen. Say antwortet: +« Quant à la difficulté qu'élève Mr. Ricardo en disant que, par des procédés mieux entendus, +un million de personnes peuvent produire deux fois, trois fois autant de richesses, sans pro- 20 +duire plus de valeurs, cette difficulté n'est pas une lorsque l'on considère, ainsi qu'on le doit, +la production comme un échange dans lequel on donne les services productifs de son travail, +de sa terre, et de ses capitaux, pour obtenir des produits. C'est par le moyen de ces services +productifs que nous acquérons tous les produits qui sont au monde. Or ... nous sommes +d'autant plus riches, nos services productifs ont d'autant plus de valeur, qu'ils obtiennent 25 +dans l'échange appelé production, une plus grande quantité de choses utiles.» (J.B. Say: ,,Let- +tres à M.Malthus. Paris 1820", p. 168, 169.) Die ,,difficulté" - sie existirt für ihn, nicht für Ri- +cardo - die Say erklären soll, ist die: Warum vermehrt sich nicht der Werth der Gebrauchs- +werthe, wenn ihre Quantität in Folge gesteigerter Produktivkraft der Arbeit wächst? Antwort: +Die Schwierigkeit wird dadurch gelöst, daß man den Gebrauchswerth gefälligst Tauschwerth 30 +nennt. Tauschwerth ist ein Ding, das one way or another mit Austausch zusammenhängt. +Man nenne also die Produktion einen „Austausch" von Arbeit und Produktionsmitteln gegen +das Produkt, und es ist klar wie Wasser, daß man um so mehr Tauschwerth erhält, je mehr Ge- +brauchswerth einem die Produktion liefert. In andren Worten: Je mehr Gebrauchswerthe, z.B. +Strümpfe, ein Arbeitstag dem Strumpffabrikanten liefert, desto reicher ist er an Strümpfen. 35 +Pl��tzlich fällt Say jedoch ein, daß „mit der größern Quantität" der Strümpfe ihr „Preis" (der +natürlich nichts mit dem Tauschwerth zu thun hat) fällt, ,,parce que la concynencQ les (les +producteurs) oblige à donner les produits pour ce qu'ils leur coûtent". Aber wo denn kommt +der Profit her, wenn der Kapitalist die Waaren zu dem Preis verkauft, den sie ihm kosten? +Doch never mind. Say erklärt, daß in Folge der gesteigerten Produktivität jeder im Ersatz für 40 +dasselbe Aequivalent jetzt zwei statt früher ein paar Strümpfe u.s.w. erhält. Das Resultat, wo- +bei er anlangt, ist grade der Satz Ricardos, den er widerlegen wollte. Nach dieser gewaltigen +Denkanstrengung apostrophirt er Malthus triumphirend mit den Worten: «Telle est, mon- +sieur, la doctrine bien liée sans laquelle il est impossible, je le déclare, d'expliquer les plus +grandes difficultés de l'économie politique et notamment, comment il se peut qu'une nation 45 +soit plus riche lorsque ses produits diminuent de valeur, quoique la richesse soit de la valeur. » +(I.e. p. 170.) Ein englischer Oekonom bemerkt über ähnliche Kunststücke in Say's ,,Lettres": +„Diese affektirten Manieren zu schwatzen (,,those affected ways of talking") bilden im Gan- +zen das, was Herr Say seine Doktrin zu nennen beliebt und die er dem Malthus ans Herz legt +zu Hertford zu lehren, wie das schon ,dans plusieurs parties de l'Eurqpe' geschehe. Er sagt: < Si 50 +vous trouvez une physionomie de paradoxe â toutes ces propositions, voyez les choses qu'elles + +544 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +erscheint als Selbsterhaltungskraft des Kapitals, dem sie einverleibt ist, +ganz wie ihre gesellschaftlichen Produktivkräfte als seine Eigenschaften, +und wie die beständige Aneignung der Mehrarbeit durch den Kapitalisten +als beständige Selbstverwerthung des Kapitals. Alle Kräfte der Arbeit pro- +5 jektiren sich als Kräfte des Kapitals, wie alle Werthformen der Waare als + +Formen des Geldes. + +Mit dem Wachsthum des Kapitals wächst die Differenz zwischen ange- +wandtem und konsumirtem Kapital. In andren Worten: Es ||572| wächst die +Werth- und Stoffmasse der Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Maschinerie, +10 Drainirungsröhren, Arbeitsvieh, Apparate jeder Art, die während längerer +oder kürzerer Periode, in beständig wiederholten Produktionsprocessen, +ihrem ganzen Umfang nach funktioniren, oder zur Erzielung bestimmter +Nutzeffekte dienen, während sie nur allmählig verschleißen, daher ihren +Werth nur stückweis verlieren, also auch nur stückweis auf das Produkt +15 übertragen. Im Verhältniß, worin diese Arbeitsmittel als Produktbildner +dienen, ohne dem Produkt Werth zuzusetzen, also ganz angewandt, aber +nur theilweis konsumirt werden, leisten sie, wie früher erwähnt, denselben +Gratisdienst wie Naturkräfte, Wasser, Dampf, Luft, Elektricität u.s.w. Die- +ser Gratisdienst der vergangnen Arbeit, wenn ergriffen und beseelt von der +lebendigen Arbeit, akkumulirt mit der wachsenden Stufenleiter der Akku- +mulation. + +20 + +Da die vergangne Arbeit sich stets in Kapital verkleidet, d. h. das Passi- +vum der Arbeit von A, B, C u. s. w. in das Aktivum des Nichtarbeiters X, +sind Bürger und politische Oekonomen voll des Lobes für die Verdienste +25 der vergangnen Arbeit, welche nach dem schottischen Genie MacCulloch +sogar einen eignen Sold (Zins, Profit u. s. w.) beziehn m u ß 6 1 ) . Das stets +wachsende Gewicht der im lebendigen Arbeitsproceß unter der Form von +Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem +Arbeiter selbst, dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfremde- +ten Gestalt zugeschrieben, ihrer Kapitalgestalt. Die praktischen Agenten +der kapitalistischen Produktion und ihre ideologischen Zungendrescher ' +sind ebenso unfähig, das Produktionsmittel von der antagonistischen ge- +sellschaftlichen Charaktermaske, die ihm heutzutag anklebt, getrennt zu +denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst von seinem Charakter als + +30 + +35 Sklave. + +Bei gegebnem Exploitationsgrad der Arbeitskraft ist die Masse des + +expriment, et j'ose croire qu'elles vous paraîtront fort simples et fort raisonnables.) Zweifels- +ohne, und zugleich werden sie in Folge desselben Processes alles andere, nur nicht original +oder wichtig erscheinen." („An Inquiry into those Principles respecting the Nature of Demand +etc.", p. 110.) +6 1 ) MacCulloch löste das Patent auf ,,wages of past labour", lange bevor Senior das Patent auf +die ,,wages of abstinence". + +40 + +545 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Mehrwerths bestimmt durch die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Ar- +beiter, und diese entspricht, obgleich in wechselndem Verhältniß, der +Größe des Kapitals. Jemehr also das Kapital vermittelst successiver Akku- +mulationen wächst, desto mehr wächst auch die Werthsumme, die sich in +Konsumtionsfonds und Akkumulationsfonds spaltet. Der Kapitalist kann +daher flotter leben und zugleich mehr „entsagen". Und schließlich spielen +alle Springfedern der Produktion um so energischer, je mehr ihre +| +|573| Stufenleiter sich erweitert mit der Masse des vorgeschossenen Kapi- +tals. + +5. Der sogenannte Arbeitsfonds. + +5 + +10 + +Es ergab sich im Verlauf dieser Untersuchung, daß das Kapital keine fixe +Größe ist, sondern ein elastischer und mit der Theilung des Mehrwerths in +Revenue und Zusatzkapital beständig fluktuirender Theil des gesellschaft- +lichen Reichthums. Man sah ferner, daß selbst bei gegebner Größe des +funktionirenden Kapitals, die ihm einverleibte Arbeitskraft, Wissenschaft 15 +und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zuthat des Menschen von Natur +vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn sind) elastische Potenzen des- +selben bilden, die ihm innerhalb gewisser Grenzen einen von seiner eignen +Größe unabhängigen Spielraum gestatten. Es wurde dabei von allen Ver- +hältnissen des Cirkulationsprocesses abgesehn, die sehr verschiedne Wir- 20 +kungsgrade derselben Kapitalmasse verursachen. Es wurde, da wir die +Schranken der kapitalistischen Produktion voraussetzen, also eine rein na- +turwüchsige Gestalt des gesellschaftlichen Produktionsprocesses, abgesehn +von jeder mit den vorhandnen Produktionsmitteln und Arbeitskräften un- +mittelbar und planmäßig bewirkbaren rationelleren Kombination. Die 25 +klassische Oekonomie liebte es von jeher, das gesellschaftliche Kapital als +eine fixe Größe von fixem Wirkungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurtheil +ward erst zum Dogma befestigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, +dieß nüchtern pedantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürger- +verstandes des 19. Jahrhunderts 6 2). Bentham ist unter den Philosophen, was 30 +Martin Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabricir- +bar 6 3). Mit seinem Dogma werden die gewöhnlichsten Erschei||574|nungen + +6 2 ) Vgl. u.a.: J.Bentham: „Theorie des Peines et des Récompenses, trad. Et. Dumont. 3eme +éd." Paris 1826, t. II, 1. IV, ch. II. +6 3 ) Jeremias Bentham ist ein rein englisches Phänomen. Selbst unsern Philosophen Christian 35 +Wolf nicht ausgenommen, hat zu keiner Zeit und in keinem Land der hausbackenste Ge- +meinplatz sich jemals so selbstgefällig breit gemacht. Das Nützlichkeitsprincip war keine Er- +findung Bentham's. Er reproducirte nur geistlos, was Helvetius und andere Franzosen des +18. Jahrhunderts geistreich gesagt hatten. Wenn man z.B. wissen will, was ist einem Hunde +nützlich?, so muß man die Hundenatur ergründen. Diese Natur selbst ist nicht aus dem 40 + +546 + + Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital + +10 + +des Produktionsprocesses, wie z.B. dessen plötzliche Expansionen und +Kontraktionen, ja sogar die Akkumulation, völlig unbegreifbar 6 4). Das +Dogma wurde sowohl von Bentham selbst als von Malthus, James Mill, +MacCulloch u. s. w. zu apologetischen Zwecken vernutzt, namentlich um +5 einen Theil des Kapitals, das variable oder in Arbeitskraft umsetzbare Ka- +pital als eine fixe Größe darzustellen. Die stoffliche Existenz des variablen +Kapitals, d.h. die Masse der Lebensmittel, die es für den Arbeiter repräsen- +tirt, oder der sog. Arbeitsfonds, wurde in einen durch Naturketten abge- +ringten und unüberschreitbaren Sondertheil des gesellschaftlichen Reich- +thums verfabelt. Um den Theil des gesellschaftlichen Reichthums, der als +konstantes Kapital oder, stofflich ausgedrückt, als Produktionsmittel funk- +tioniren soll, in Bewegung zu setzen, ist eine bestimmte Masse lebendiger +Arbeit erheischt. Diese ist technologisch gegeben. Aber weder ist die An- +zahl der Arbeiter gegeben, erheischt um diese Arbeitsmasse flüssig zu ma- +15 chen, denn das wechselt mit dem Exploitationsgrad der individuellen Ar- +beitskraft, noch der Preis dieser Arbeitskraft, sondern nur seine zudem sehr +elastische Minimals ehr anke. Die Thatsachen, die dem Dogma zu Grund +liegen, sind die. Einerseits hat der Arbeiter nicht mitzusprechen bei der +Theilung des gesellschaftlichen Reichthums in Genußmittel der Nichtar- +20 beiter und in Produktionsmittel. Andrerseits kann er nur in günstigen | +15751 Ausnahmsfällen den sog. „Arbeitsfonds" auf Kosten der „Revenue" +des Reichen erweitern 6 5). + +„Nützlichkeitsprincip" zu konstruiren. Auf den Menschen angewandt, wenn man alle +menschliche That, Bewegung, Verhältnisse u.s.w. nach dem Nützlichkeitsprincip beurtheilen +25 will, handelt es sich erst um die menschliche Natur im Allgemeinen und dann um die in jeder +Epoche historisch modificirte Menschennatur. Bentham macht kein Federlesens. Mit der +naivsten Trockenheit unterstellt er den modernen Spießbürger, speciell den englischen Spieß- +bürger, als den Normalmenschen. Was diesem Kauz von Normalmensch und seiner Welt +nützlich, ist an und für sich nützlich. An diesem Maßstab beurteilt er dann Vergangenheit, +30 Gegenwart und Zukunft. Z.B. die christliche Religion ist „nützlich", weil sie dieselben Misse- +thaten religiös verpönt, die der Strafcodex juristisch verdammt. Kunstkritik ist „schädlich", +weil sie ehrbare Leute in ihrem Genuß an Martin Tupper stört u.s.w. Mit solchem Schund hat +der brave Mann, dessen Devise: ,,nulla dies sine linea", Berge von Büchern gefüllt. Wenn ich +die Courage meines Freundes H. Heine hätte, würde ich Herrn Jeremias ein Genie in der bür- + +35 gerlichen Dummheit nennen. + +40 + +6 4 ) „Politische Oekonomen sind zu geneigt, eine bestimmte Quantität von Kapital und eine +bestimmte Anzahl Arbeiter als Produktionsinstrumente von gleichförmiger Kraft und als mit +einer gewissen gleichförmigen Intensität wirkend zu behandeln. ... Diejenigen, die behaup- +ten, daß Waaren die einzigen Agenten der Produktion sind, beweisen, daß die Produktion +überhaupt nicht erweitert werden kann, denn zu einer solchen Erweiterung müßten Lebens- +mittel, Rohmaterialien und Werkzeuge vorher vermehrt werden, was in der That darauf hin- +aus kommt, daß kein Wachsthum der Produktion ohne ihr vorheriges Wachsthum stattfinden +kann, oder, in andren Worten, daß jedes Wachsthum unmöglich ist." (S. Bailey: ,,Money and +its Vicissitudes", p. 58 u. 70.) Bailey kritisirt das Dogma hauptsächlich vom Standpunkt des + +45 Cirkulationsprocesses. + +6 5 ) J. St. Mill sagt in seinen ,,Principles of Polit. Economy": „Das Produkt der Arbeit wird + +547 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Zu welch abgeschmackter Tautologie es führt, die kapitalistische +Schranke des Arbeitsfonds in seine gesellschaftliche Naturschranke umzu- +dichten, zeige u. a. Professor Fawcett: „Das cirkulirende Kapital 6 6) eines +Landes", sagt er, „ist sein Arbeitsfonds. Um daher den durchschnittlichen +Geldlohn, den jeder Arbeiter erhält, zu berechnen, haben wir nur einfach +dieß Kapital durch die Anzahl der Arbeiterbevölkerung zu dividiren" 6 7). +D. h. also, erst rechnen wir die wirklich gezahlten individuellen Arbeits- +löhne in eine Summe zusammen, dann behaupten wir, daß diese Addition +die Werthsumme des von Gott und Natur oktroyirten „Arbeitsfonds" bil- +det. Endlich dividiren wir die so erhaltne Summe durch die Kopfzahl der 10 +Arbeiter, um hinwiederum zu entdecken, wie viel jedem Arbeiter individu- +ell im Durchschnitt zufallen kann. Eine ungemein pfiffige Procedur dieß. +Sie verhindert Herrn Fawcett nicht, im selben Athemzug zu sagen: „Der in +England jährlich akkumulirte Gesammtreichthum wird in zwei Theile +getheilt. Ein Theil wird in England zur Erhaltung unsrer eignen Industrie 15 +verwandt. Ein andrer Theil wird in andre Länder exportirt ... Der in unsrer +Industrie angewandte Theil bildet keine bedeutende Portion des jährlich in +diesem Land akkumulirten Reichthums" 6 8). Der größere Theil des jährlich +zuwachsenden Mehrprodukts, dem englischen Arbeiter ohne Aequivalent +entwandt, wird also nicht in England, sondern in fremden Ländern verkapi- 20 +talisirt. Aber mit ||576| dem so exportirten Zusatzkapital wird ja auch ein +Theil des von Gott und Bentham erfundnen „Arbeitsfonds" exportirt 6 9). + +heutzutag vertheilt im umgekehrten Verhältniß zur Arbeit - der größte Theil an die, die nie- +mals arbeiten, der nächst größte an die, deren Arbeit fast nur nominell ist, und so, auf abstei- +gender Skala, schrumpft die Belohnung zusammen, im Maße wie die Arbeit härter und unan- 25 +genehmer wird, bis die ermüdendste und erschöpfendste körperliche Arbeit nicht mit +Sicherheit auch nur auf Gewinnung der Lebensbedürfnisse rechnen kann." Zur Vermeidung +von Mißverständniß bemerke ich, daß, wenn Männer wie J. St. Mill u.s.w. wegen des Wider- +spruchs ihrer altökonomischen Dogmen und ihrer modernen Tendenzen zu rügen sind, es +durchaus unrecht wäre, sie mit dem Troß der vulgärökonomischen Apologeten zusammenzu- 30 +werfen. +6 6 ) H. Fawcett, Prof. of Polit. Econ. at Cambridge: „The Economic Position of the British La- +bourer. Lond. 1865", p. 120. +6 7 ) Ich erinnere hier den Leser, daß die Kategorien: variables und konstantes Kapital von mir +zuerst gebraucht werden. Die politische Oekonomie seit A. Smith wirft die darin enthaltenen 35 +Bestimmungen mit den aus dem Cirkulationsproceß entspringenden Formunterschieden von +fixem und cirkulirendem Kapital kunterbunt zusammen. Das Nähere darüber im Zweiten +Buch, zweiter Abschnitt. +6 8 ) Fawcett I.e. p.123, 122. +6 9 ) Man könnte sagen, daß nicht nur Kapital, sondern auch Arbeiter, in Form der Emigration, 40 +jährlich aus England exportirt werden. Im Text ist jedoch gar nicht die Rede vom Peculium +der Auswanderer, die zum großen Theil keine Arbeiter sind. Die Pächterssöhne liefern große +Portion. Das jährlich zur Verzinsung ins Ausland versandte englische Zusatzkapital steht in +ungleich größerem Verhältniß zur jährlichen Akkumulation als die jährliche Auswanderung +zum jährlichen Zuwachs der Bevölkerung. + +45 + +548 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +D R E I U N D Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . + +Das allgemeine Gesetz +der kapitalistischen Akkumulation. + +5 + +1. Wachsende Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkumulation, +bei gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals. + +Wir behandeln in diesem Kapital den Einfluß, den das Wachsthum des +Kapitals auf das Geschick der Arbeiterklasse ausübt. Der wichtigste Faktor +bei dieser Untersuchung ist die Zusammensetzung des Kapitals und die +Veränderungen, die sie im Verlauf des Akkumulationsprocesses durch- + +10 macht. + +Die Zusammensetzung des Kapitals ist in zweifachem Sinn zu fassen. +Nach der Seite des Werths bestimmt sie sich durch das Verhältniß, worin +es sich theilt in konstantes Kapital oder Werth der Produktionsmittel und +variables Kapital oder Werth der Arbeitskraft, Gesammtsumme der Ar- +15 beitslöhne. Nach der Seite des Stoffs, wie er im Produktionsproceß fungirt, +theilt sich jedes Kapital in Produktionsmittel und lebendige Arbeitskraft; +diese Zusammensetzung bestimmt sich durch das Verhältniß zwischen der +Masse der angewandten Produktionsmittel einerseits und der zu ihrer An- +wendung erforderlichen Arbeitsmenge andrerseits. Ich nenne die erstere +20 die Werthzusammensetzung, die zweite die technische Zusammensetzung +des Kapitals. Zwischen beiden besteht enge Wechselbeziehung. Um diese +auszudrücken, nenne ich die Werthzusammensetzung des Kapitals, inso- +fern sie durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und de- +ren Aenderungen wiederspiegelt: die organische Zusammensetzung des +25 Kapitals. Wo von der Zusammensetzung des Kapitals kurzweg die Rede, + +ist stets seine organische Zusammensetzung zu verstehn. + +Die zahlreichen in einem bestimmten Produktionszweig ange||577|leg- +ten Einzelkapitale haben unter sich mehr oder weniger verschiedne Zu- +sammensetzung. Der Durchschnitt ihrer Einzelzusammensetzungen ergibt +30 uns die Zusammensetzung des Gesammtkapitals dieses Produktions- +zweigs. Endlich ergibt uns der Gesammtdurchschnitt der Durchschnittszu- +sammensetzungen sämmtlicher Produktionszweige die Zusammensetzung +des gesellschaftlichen Kapitals eines Landes, und von dieser allein in letz- +ter Instanz ist im Folgenden die Rede. + +35 Wachsthum des Kapitals schließt Wachsthum seines variablen oder in +Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheils ein. Ein Theil des in Zusatzkapital +verwandelten Mehrwerths muß stets rückverwandelt werden in variables + +549 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Kapital oder zuschüssigen Arbeitsfonds. Unterstellen wir, daß, nebst sonst +gleichbleibenden Umständen, die Zusammensetzung des Kapitals unver- +ändert bleibt, d. h. eine bestimmte Masse Produktionsmittel oder konstan- +tes Kapital stets dieselbe Masse Arbeitskraft erheischt, um in Bewegung ge- +setzt zu werden, so wächst offenbar die Nachfrage nach Arbeit und der +Subsistenzfonds der Arbeiter verhältnißmäßig mit dem Kapital und um so +rascher, je rascher das Kapital wächst. Da das Kapital jährlich einen Mehr- +werth producirt, wovon ein Theil jährlich zum Originalkapital geschlagen +wird, da dieß Inkrement selbst jährlich wächst mit dem zunehmenden Um- +fang des bereits in Funktion begriffenen Kapitals, und da endlich, unter 10 +besondrem Sporn des Bereicherungstriebs, wie z.B. Oeffnung neuer +Märkte, neuer Sphären der Kapitalanlage in Folge neu entwickelter gesell- +schaftlicher Bedürfnisse u. s. w., die Stufenleiter der Akkumulation plötz- +lich ausdehnbar ist durch bloß veränderte Theilung des Mehrwerths oder +Mehrprodukts in Kapital und Revenue, können die Akkumulationsbedürf- 15 +nisse des Kapitals das Wachsthum der Arbeitskraft oder der Arbeit er an- +zahi, die Nachfrage nach Arbeitern ihre Zufuhr überflügeln, und daher die +Arbeitslöhne steigen. Dieß muß sogar schließlich der Fall sein bei unverän- +derter Fortdauer obiger Voraussetzung. Da in jedem Jahr mehr Arbeiter +beschäftigt werden als im vorhergehenden, so muß früher oder später der 20 +Punkt eintreten, wo die Bedürfnisse der Akkumulation anfangen über die +gewöhnliche Zufuhr von Arbeit hinauszuwachsen, wo also Lohnsteigerung +eintritt. Klage hierüber ertönt in England während des ganzen fünfzehnten +und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Die mehr oder min- +der günstigen Umstände, worin sich die Lohnarbeiter erhalten und vermeh- 25 +ren, ändern jedoch nichts am Grundcharakter der kapitalistischen Produk- +tion. Wie die einfache ||578| Reproduktion fortwährend das Kapitalverhält- +niß selbst reproducirt, Kapitalisten auf der einen Seite, Lohnarbeiter auf +der andren, so reproducirt die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter +oder die Akkumulation das Kapitalverhältniß auf erweiterter Stufenleiter, 30 +mehr Kapitalisten oder größere Kapitalisten auf diesem Pol, mehr Lohnar- +beiter auf jenem. Die Reproduktion der Arbeitskraft, die sich dem Kapital +unaufhörlich als Verwerthungsmittel einverleiben muß, nicht von ihm los- +kommen kann, und deren Hörigkeit zum Kapital nur versteckt wird durch +den Wechsel der individuellen Kapitalisten, woran sie sich verkauft, bildet 35 +in der That ein Moment der Reproduktion des Kapitals selbst. Akkumula- +tion des Kapitals ist also Vermehrung des Proletariats 7 0). + +7 0 ) Karl Marx I.e. - «A égalité d'oppression des masses, plus un pays a de prolétaires et plus +il est riche.» (Colins: "L'Économie Politique, Source des Révolutions et des Utopies préten- +dues Socialistes. Paris 1857", t. Ill, p. 331.) Unter „Proletarier" ist ökonomisch nichts zu ver- 40 + +550 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Die klassische Oekonomie begriff diesen Satz so wohl, daß A. Smith, Ri - +cardo u.s.w., wie früher erwähnt, die Akkumulation sogar fälschlich identi- +fieiren mit Konsum des ganzen kapitalisirten Theils des Mehrprodukts +durch produktive Arbeiter, oder mit seiner Verwandlung in zuschüssige +5 Lohnarbeiter. Schon 1696 sagt John Bellers: „Wenn Jemand 100 000 Acres +hätte und eben so viele Pfunde Geld und eben so viel Vieh, was wäre der +reiche Mann ohne den Arbeiter außer selbst ein Arbeiter? Und wie die Ar- +beiter Leute reich machen, so desto mehr Arbeiter, desto mehr Reiche ... +Die Arbeit des Armen ist die Mine des R e i c h e n " 7 1 ) . So Bernard de Mande- +10 ville im Anfang des 18. Jahrhunderts: „Wo das Eigenthum hinreichend ge- +schützt ist, wäre es leichter ohne Geld zu leben als ohne Arme, denn wer +würde die Arbeit thun? ... Wie die Arbeiter vor Aushungerung zu bewah- +ren sind, so sollten sie nichts erhalten, was der Ersparung werth ist. Wenn +hier und da Einer aus der ||579| untersten Klasse durch ungewöhnlichen +15 Fleiß und Bauchkneipen sich über die Lage erhebt, worin er aufgewachsen +war, so muß ihn keiner daran hindern: ja es ist unläugbar der weiseste Plan +für jede Privatperson, für jede Privatfamilie in der Gesellschaft, frugal zu +sein; aber es ist das Interesse aller reichen Nationen, daß der größte Theil +der Armen nie unthätig sei und sie dennoch stets verausgaben, was sie ein- +20 nehmen ... Diejenigen, die ihr Leben durch ihre tägliche Arbeit gewinnen, +haben nichts, was sie anstachelt dienstlich zu sein außer ihren Bedürfnis- +sen, welche es Klugheit ist zu lindern, aber Narrheit wäre zu kuriren. Das +einzige Ding, das den arbeitenden Mann fleißig machen kann, ist ein mä- +ßiger Arbeitslohn. Ein zu geringer macht ihn je nach seinem Temperament +25 kleinmüthig oder verzweifelt, ein zu großer insolent und faul ... Aus dem +bisher Entwickelten folgt, daß in einer freien Nation, wo Sklaven nicht er- +laubt sind, der sicherste Reichthum aus einer Menge arbeitsamer Armen +besteht. Außerdem daß sie die nie versagende Zufuhrquelle für Flotte und +Armee, gäbe es ohne sie keinen Genuß und wäre das Produkt keines Lan- +30 des verwerthbar. Um die Gesellschaft (die natürlich aus den Nichtarbeitern +besteht) glücklich und das Volk selbst in kümmerlichen Zuständen zufrie- + +35 + +40 + +stehn als der Lohnarbeiter, der „Kapital" producirt und verwerthet und aufs Pflaster geworfen +wird, sobald er für die Verwerthungsbedürfnisse des „Monsieur Capital", wie Pecqueur diese +Person nennt, überflüssig ist. „Der kränkliche Proletarier des Urwalds" ist ein artiges Ro- +scher'sches Phantom. Der Urwäldler ist Eigenthümer des Urwalds und behandelt den Urwald, +ganz so ungenirt wie der Orang Utang, als sein Eigenthum. Er ist also nicht Proletarier. Dieß +wäre nur der Fall, wenn der Urwald ihn, statt er den Urwald exploitirte. Was seinen Gesund- +heitszustand betrifft, steht solcher wohl den Vergleich aus nicht nur mit dem des modernen +Proletariers, sondern auch dem der syphilitischen und skrophulösen „Ehrbarkeit". Doch ver- +steht Herr Wilhelm Roscher unter Urwald wahrscheinlich die stammverwandte Lüneburger +Haide. +7 1 ) "As the Labourers make men rich, so the more Labourers, there will be the more rich +men ... the Labour of the Poor being the Mines of the Rich." (John Béliers I.e. p.2.) + +551 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +den zu machen, ist es nöthig, daß die große Majorität sowohl unwissend als +arm bleibt. Kenntniß erweitert und vervielfacht unsere Wünsche, und je +weniger ein Mann wünscht, desto leichter können seine Bedürfnisse befrie- +digt werden" 7 2). Was Mandeville, ein ehrlicher Mann und heller Kopf, +noch nicht begreift, ist, daß der Mechanismus des Akkumulationsprocesses +selbst mit dem Kapital die Masse der „arbeitsamen Armen" vermehrt, d.h. +der Lohnarbeiter, die ihre Arbeitskraft in wachsende Verwerthungskraft +des wachsenden Kapitals verwandeln und eben dadurch ihr Abhängigkeits- +verhältniß von ihrem eignen, im Kapitalisten personificirten Produkt ver- +ewigen müssen. Mit Bezug auf dieß Abhängigkeitsverhältniß bemerkt Sir 10 +F. M. Eden in seiner „Lage der Armen, oder Geschichte der arbeitenden +Klasse Englands": „Unsere Zone erfordert Arbeit zur Befriedigung der Be- +dürfnisse, und deßhalb muß wenigstens ein Theil der Gesellschaft uner- +müdet ||580| arbeiten ... Einige, die nicht arbeiten, haben dennoch die Pro- +dukte des Fleißes zu ihrer Verfügung. Das verdanken diese Eigenthümer 15 +aber nur der Civilisation und Ordnung; sie sind reine Kreaturen der bür- +gerlichen Institutionen 7 3). Denn diese haben es anerkannt, daß man die +Früchte der Arbeit auch anders als durch Arbeit sich aneignen kann. Die +Leute von unabhängigem Vermögen verdanken ihr Vermögen fast ganz der +Arbeit Andrer, nicht ihrer eignen Fähigkeit, die durchaus nicht besser ist 20 +als die der Andren; es ist nicht der Besitz von Land und Geld, sondern das +Kommando über Arbeit (,,the command of labour"), das die Reichen von +den Armen unterscheidet .... Was dem Armen zusagt, ist nicht eine ver- +worfene oder servile Lage, sondern ein bequemes und liberales Abhängig- +keitsverhältniß („a state of easy and liberal dependence"), und für die 25 +Leute von Eigenthum hinreichender Einfluß und Autorität über die, die +für sie arbeiten ... Ein solches Abhängigkeitsverhältniß ist, wie jeder Ken- +ner der menschlichen Natur weiß, nothwendig für den Komfort der Arbei- +ter selbst" 7 4). Sir F. M. Eden, beiläufig bemerkt, ist der einzige Schüler +Adam Smith's, der während des achtzehnten Jahrhunderts etwas Bedeuten- 30 +des geleistet h a t 7 5 ) . | + +7 2 ) B. de Mandeville („The Fable of the Bees. 5th ed. Lond. 1728", Remarks, p.212, 213, 328.) +„Mäßiges Leben und beständige Arbeit sind für den Armen derWeg zum materiellen Glücke +(worunter er möglichst langen Arbeitstag und möglichst wenig Lebensmittel versteht) und +zum Reichthum für den Staat (nämlich Grundeigenthümer, Kapitalisten und ihre politischen +Würdeträger und Agenten)." („An Essay on Trade and Commerce. Lond. 1770", p. 54.) +7 3 ) Eden hätte fragen sollen, wessen Kreatur sind denn „die bürgerlichen Institutionen"? Vom +Standpunkt der juristischen Illusion betrachtet er nicht das Gesetz als Produkt der materiel- +len Produktionsverhältnisse, sondern umgekehrt die Produktionsverhältnisse als Produkt des +Gesetzes. Linguet warf Montesquieu's illusorischen „Esprit des Lois" mit dem einen Wort 40 +über den Haufen: «L'esprit des lois, c'est la propriété.» +7 4 ) Eden 1. c. v.I, 1.1, ch.I, p. 1, 2 und Preface p. XX. +7 5 ) Sollte der Leser an Malthus erinnern, dessen „Essay on Population" 1798 erschien, so er- + +35 + +5 5 2 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +|581| Unter den bisher unterstellten, den Arbeitern günstigsten Akku- +| +mulationsbedingungen kleidet sich ihr Abhängigkeitsverhältniß vom +|582| Kapital in erträgliche oder, wie Eden sagt, „bequeme und liberale" + +20 + +innere ich, daß diese Schrift in ihrer ersten Form nichts als ein schülerhaft oberflächliches +5 und pfäffisch verdeklamirtes Plagiat aus De Foe, Sir James Steuart, Townsend, Franklin, Wal- +lace u.s.w. ist und nicht einen einzigen selbstgedachten Satz enthält. Das große Aufsehn, das +dieß Pamphlet erregte, entsprang lediglich Parteiinteressen. Die französische Revolution hatte +im britischen Königreich leidenschaftliche Vertheidiger gefunden; das „Populationsprinzip", +langsam im 18. Jahrhundert herausgearbeitet, dann mitten in einer großen socialen Krisis mit +10 Pauken und Trompeten verkündet als das unfehlbare Gegengift gegen die Lehren von Con- +dorcet U.A., wurde jubelnd begrüßt von der englischen Oligarchie als der große Austilger aller +Gelüste nach menschlicher Fortentwicklung. Malthus, über seinen Erfolg hocherstaunt, gab +sich dann daran, oberflächlich kompilirtes Material in das alte Schema zu stopfen und neues, +aber nicht von Malthus entdecktes, sondern nur annexirtes, zuzufügen. - Nebenbei bemerkt. +15 Obgleich Malthus Pfaffe der englischen Hochkirche, hatte er das Mönchsgelübde des Cölibats +abgelegt. Dieß ist nämlich eine der Bedingungen der fellowship der protestantischen Universi- +tät zu Cambridge. „Socios collegiorum maritos esse non permittimus, sed statim postquam +quis uxorem duxerit, socius collegii desinai esse." („Reports of Cambridge University Com- +mission", p. 172.) Dieser Umstand unterscheidet Malthus vortheilhaft von den andren prote- +stantischen Pfaffen, die das katholische Gebot des Priestercölibats von sich selbst abgeschüt- +telt und das „Seid fruchtbar und mehret euch" in solchem Maß als ihre specifisch biblische +Mission vindicirt haben, daß sie überall in wahrhaft unanständigem Grad zur Vermehrung +der Bevölkerung beitragen, während sie gleichzeitig den Arbeitern das „Populationsprincip" +predigen. Es ist charakteristisch, daß der ökonomisch travestirte Sündenfall, der Adamsapfel, +25 der „urgent appetite", ,,the checks which tend to blunt the shafts of Cupid", wie Pfaff +Townsend munter sagt, daß dieser kitzlige Punkt von den Herrn von der protestantischen +Theologie oder vielmehr Kirche monopolisirt ward und wird. Mit Ausnahme des venetiani- +schen Mönches Ortes, eines originellen und geistreichen Schriftstellers, sind die meisten Po- +pulationslehrer protestantische Pfaffen. So Bruckner: „Theorie du Système animal, Leyde +30 1767", worin die ganze moderne Bevölkerungstheorie erschöpft ist und wozu der vorüberge- +hende Zank zwischen Quesnay und seinem Schüler, Mirabeau père, über dasselbe Thema +Ideen lieferte, dann Pfaffe Wallace, Pfaffe Townsend, Pfaffe Malthus und sein Schüler, der +Erzpfaff Th. Chalmers, von kleineren pfäffischen Skribenten in this line gar nicht zu reden. +Ursprünglich ward die politische Oekonomie betrieben von Philosophen, wie Hobbes, Locke, +35 Hume, Geschäfts- und Staatsleuten, wie Thomas Morus, Temple, Sully, de Witt, North, Law, +Vanderlint, Cantillon, Franklin, und theoretisch namentlich, und mit dem größten Erfolg, von +Medicinern wie Petty, Barbon, Mandeville, Quesnay. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts ent- +schuldigt sich Rev. Mr. Tucker, ein bedeutender Oekonom für seine Zeit, daß er sich mit dem +. Mammon beschäftigte. Später und zwar mit dem „Bevölkerungsprincip" schlug die Stunde +40 der protestantischen Pfaffen. Als ob er diese Geschäftsverpfuschung geahnt, sagt Petty, der die +Population als Basis des Reichthums behandelt, und, gleich Adam Smith, abgesagter Pfaffen- +feind: „Die Religion blüht am besten, wenn die Priester am meisten kasteit werden, wie das +Recht am besten, wo die Advokaten verhungern." Er räth daher den protestantischen Pfaffen, +wenn sie einmal dem Apostel Paulus nicht folgen und sich nicht durch das Cölibat „abtödten" +45 wollen, „doch ja nicht mehr Pfaffen zu hecken („not to breed more Churchmen") als die vor- +handenen Pfründen (benefices) absorbiren können; d.h. wenn es nur 12 000 Pfründen in Eng- +land und Wales gibt, ist es unweis 24 000 Pfaffen zu hecken (,,it will not be safe to breed +24 000 ministers"), denn die 12 000 Unversorgten werden stets einen Lebensunterhalt zu ge- +winnen suchen, und wie könnten sie das leichter thun, als indem sie unter das Volk gehn und +50 es überreden, die 12 000 Pfründner vergifteten die Seelen, und hungerten selbige Seelen aus, +und zeigten ihnen den Holzweg zum Himmel?" (Petty: „A Treatise on Taxes and Contribu- +tions. Lond. 1667", p. 57.) Adam Smith's Stellung zum protestantischen Pfaffenthum seiner +Zeit ist durch folgendes charakterisirt. In: „A Letter to A. Smith, L. L. D. On the Life, Death + +553 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Formen. Statt intensiver zu werden mit dem Wachsthum des Kapitals, wird + +es nur extensiver, d. h. die Exploitations- und Herrschaftssphäre des Kapi- + +tals dehnt sich nur aus mit seiner eigenen Dimension und der Anzahl sei- + +ner Unterthanen. Von ihrem eignen anschwellenden und schwellend in + +Zusatzkapital verwandelten Mehrprodukt strömt ihnen ein größerer Theil + +5 + +in der Form von Zahlungsmitteln zurück, so daß sie den Kreis ihrer Ge- + +nüsse erweitern, ihren Konsumtionsfonds von Kleidern, Möbeln u. s. w. + +besser ausstatten und kleine Reservefonds von Geld bilden können. So we- + +nig aber bessere Kleidung, Nahrung, Behandlung und ein größeres Pecu- + +lium das Abhängigkeitsverhältniß und die Exploitation des Sklaven aufhe- 10 + +ben, so wenig die des Lohnarbeiters. Steigender Preis der Arbeit in Folge + +der Akkumulation des Kapitals besagt in der That nur, daß der Umfang + +und die Wucht der goldnen Kette, die der Lohnarbeiter sich selbst bereits + +geschmiedet hat, ihre losere Spannung erlauben. In den Kontroversen über + +diesen Gegenstand hat man meist die Hauptsache übersehn, nämlich die + +15 + +differentia specifica der kapitalistischen Produktion. Arbeitskraft wird hier + +gekauft, nicht um durch ihren Dienst oder ihr Produkt die persönlichen + +Bedürfnisse des Käufers zu befriedigen. Sein Zweck ist Verwerthung seines + +Kapitals, Produktion von Waaren, die mehr Arbeit enthalten, als er zahlt, + +also einen Werththeil enthalten, der ihm nichts kostet und dennoch durch 20 + +and Philosophy of his Friend David Hume. By One of the People called Christians. 4th ed. +Oxford 1784", kanzelt Dr. Hörne, hochkirchlicher Bischof von Norwich, den A. Smith ab, weil +er in einem öffentlichen Sendschreiben an Herrn Strahan, seinen „Freund David (sc. Hume) +einbalsamire", weil er dem Publikum erzähle, wie „Hume auf seinem Sterbebett sich mit Lu- +cian und Whist amüsirte", und sogar die Frechheit hatte zu schreiben: „Ich habe Hume stets, 25 +sowohl während seines Lebens wie nach seinem Tode so nahe dem Ideal eines vollkommen +weisen und tugendhaften Mannes betrachtet, als die Schwäche der menschlichen Natur er- +laubt." Der Bischof ruft entrüstet: „Ist es recht von Ihnen, mein Herr, uns als vollkommen +weise und tugendhaft den Charakter und Lebenswandel eines Menschen zu schildern, der von +einer unheilbaren Antipathie besessen war wider alles, was Religion heißt, und der jeden Nerv 30 +anspannte, um, so viel an ihm, selbst ihren Namen aus dem Gedächtniß der Menschen zu lö- +schen?" (I.e. p.8.) „Aber laßt euch nicht entmuthigen, Liebhaber der Wahrheit, der Atheismus +ist kurzlebig." (p. 17.) Adam Smith „hat die gräßliche Ruchlosigkeit (,,the atrocious wicked- +ness") den Atheismus durch das Land zu propagandiren (nämlich durch seine ,,Theory of mo- +ral sentiments") ... Wir kennen Eure Schliche, Herr Doktor! Ihr meint's gut, rechnet aber 35 +dießmal ohne den Wirth. Ihr wollt uns durch das Beispiel von David Hume, Esq., weisma- +chen, daß Atheismus der einzige Schnaps („cordial") für ein niedergeschlagnes Gemüth und +das einzige Gegengift wider Todesfurcht ist ... Lacht nur über Babylon in Ruinen und be- +glückwünscht nur den verhärteten Bösewicht Pharao!" (I.e. p.20, 21, 22.) Ein orthodoxer Kopf +unter A. Smith's Kollegienbesuchern schreibt nach dessen Tod: ,,Smith's Freundschaft für 40 +Hume verhinderte ihn ein Christ zu sein . . . E r glaubte Hume alles aufs Wort. Wenn Hume +ihm gesagt, der Mond sei ein grüner Käs, er hätt's geglaubt. Er glaubte ihm daher auch, daß es +keinen Gott und keine Wunder gebe ...In seinen politischen Principien streifte er an Repu- +blikanismus." („The Bee". By James Anderson. 18 vis. Edinb. 1791-93, vol. 3 p. 166, 165.) +Pfaff Th. Chalmers hat A. Smith in Verdacht, daß er aus reiner Malice die Kategorie der „un- 45 +produktiven Arbeiter" eigens für die protestantischen Pfaffen erfand, trotz ihrer gesegneten +Arbeit im Weinberg des Herrn. + +554 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +den Waarenverkauf realisirt wird. ||583| Produktion von Mehrwerth oder +Plusmacherei ist das absolute Gesetz dieser Pro duktions weis e. Nur soweit +sie die Produktionsmittel als Kapital erhält, ihren eignen Werth als Kapital +reproducirt und in unbezahlter Arbeit eine Quelle von Zuschußkapital lie- +fert, ist die Arbeitskraft verkaufbar 7 6). Die Bedingungen ihres Verkaufs, ob +mehr oder minder günstig für den Arbeiter, schließen also die Notwendig- +keit ihres steten Wiederverkaufs und die stets erweiterte Reproduktion des +Reichthums als Kapital ein. Der Arbeitslohn, wie man gesehn, bedingt sei- +ner Natur nach, stets Lieferung eines bestimmten Quantums unbezahlter +10 Arbeit auf Seiten des Arbeiters. Ganz abgesehn vom Steigen des Arbeits- +lohns mit sinkendem Preis der Arbeit u.s.w., besagt seine Zunahme im be- +sten Fall nur quantitative Abnahme der unbezahlten Arbeit, die der Arbei- +ter leisten muß. Diese Abnahme kann nie bis zum Punkt fortgehn, wo sie +das System selbst bedrohen würde. Abgesehn von gewaltsamen Konflikten +15 über die Rate des Arbeitslohns, und Adam Smith hat bereits gezeigt, daß +im Großen und Ganzen in solchem Konflikt der Meister stets Meister +bleibt, unterstellt ein aus Akkumulation des Kapitals entspringendes Stei- +gen des Arbeitspreises folgende Alternative. + +25 + +Entweder fährt der Preis der Arbeit fort zu steigen, weil seine Erhöhung +20 den Fortschritt der Akkumulation nicht stört; es liegt darin nichts Wunder- +bares, denn, sagt A. Smith, „selbst bei gesunknem Profit vermehren sich die +Kapitale dennoch; sie wachsen selbst rascher als vorher .. Ein großes Kapi- +tal wächst selbst bei kleinerem Profit im Allgemeinen rascher als ein klei- +nes Kapital bei großem Profit". (l.c.I, p. 189.) In diesem Falle ist es augen- +scheinlich, daß +eine Verminderung der unbezahlten Arbeit die +Ausdehnung der Kapitalherrschaft keineswegs beeinträchtigt. - Oder, das +ist die andre Seite der Alternative, die Akkumulation erschlafft in Folge +des steigenden Arbeitspreises, weil der Stachel des Gewinns abstumpft. +Die Akkumulation nimmt ab. Aber mit ihrer Abnahme verschwindet die +30 Ursache ihrer Abnahme, nämlich die Disproportion zwischen Kapital und +exploitabler Arbeitskraft. Der Mechanismus des kapitalistischen Produk- +tionsprocesses beseitigt ||584| also selbst die Hindernisse, die er vorüberge- +hend schafft. Der Arbeitspreis fällt wieder auf ein den Verwerthungsbedürf- +nissen des Kapitals entsprechendes Niveau, ob dieses nun unter, über, oder +35 gleich mit dem Niveau, welches vor Eintritt des Lohnzuwachses als normal +galt. Man sieht: Im ersten Fall ist es nicht die Abnahme im absoluten oder + +7 6 ) Note zur 2. Ausgabe. „Die Grenze jedoch der Beschäftigung von industriellen wie von +ländlichen Arbeitern ist dieselbe: nämlich die Möglichkeit für den Unternehmer einen Profit +aus ihrem Arbeitsprodukt herauszuschlagen. Steigt die Rate des Arbeitslohns so hoch, daß +der Gewinn des Meisters unter den Durchschnittsprofit fällt, so hört er auf sie zu beschäftigen +oder beschäftigt sie nur unter der Bedingung, daß sie eine Herabsetzung des Arbeitslohns zu- +lassen." (John Wade 1. c. p. 240.) + +40 + +555 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +proportioneilen Wachsthum der Arbeitskraft oder Arbeiterbevölkerung, +welche das Kapital überschüssig, sondern umgekehrt die Zunahme des Ka- +pitals, welche die exploitable Arbeitskraft unzureichend macht. Im zweiten +Fall ist es nicht die Zunahme im absoluten oder proportioneilen Wachs- +thum der Arbeitskraft oder der Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital +unzureichend, sondern umgekehrt die Abnahme des Kapitals, welche die +exploitable Arbeitskraft, oder vielmehr ihren Preis, überschüssig macht. Es +sind diese absoluten Bewegungen in der Akkumulation des Kapitals, wel- +che sich als relative Bewegungen in der Masse der exploitablen Arbeits- +kraft wiederspiegeln und daher der eignen Bewegung der letztren geschul- +det scheinen. Um mathematischen Ausdruck anzuwenden: die Größe der +Akkumulation ist die unabhängige Variable, die Lohngröße die abhängige, +nicht umgekehrt. So drückt sich in der Krisenphase des industriellen Cy- +klus der allgemeine Fall der Waarenpreise als Steigen des relativen Geld- +werths, und in der Prosperitätsphase das allgemeine Steigen der Waaren- +preise als Fall des relativen Geldwerths aus. Die sog. Currency-Schule +schließt daraus, daß bei hohen Preisen zu viel, bei niedrigen zu wenig Geld +cirkulirt. Ihre Ignoranz und völlige Verkennung der Thatsachen 7 7) finden +würdige Parallele in den Oekonomen, welche jene Phänomene der Akku- +mulation dahin deuten, daß das einemal zu wenig und das andremal zu +viel Lohnarbeiter existiren. + +Das Gesetz der kapitalistischen Produktion, das dem angeblichen „na- +türlichen Populationsgesetz" zu Grunde liegt, kommt einfach auf dieß her- +aus: Das Verhältniß zwischen Kapital, Akkumulation und Lohnrate ist +nichts als das Verhältniß zwischen der unbezahlten, in Kapital verwandel- +ten Arbeit, und der zur Bewegung des Zusatzkapitals erforderlichen zu- +schüssigen Arbeit. Es ist also keineswegs ein Verhältniß zweier von einan- +der unabhängigen Größen, einerseits der Größe des Kapitals, andrerseits +der Zahl der Arb eit erb e völkerung, es ist vielmehr in letzter Instanz nur das +Verhältniß zwischen der unbezahlten und der bezahlten Arbeit der-| +|585|selben Arbeiterbevölkerung. Wächst die Menge der von der Arbeiter- +klasse gelieferten und von der Kapitalistenklasse akkumulirten, unbezahl- +ten Arbeit rasch genug, um nur durch einen außergewöhnlichen Zuschuß +bezahlter Arbeit sich in Kapital verwandeln zu können, so steigt der Lohn, +und alles Andre gleichgesetzt, nimmt die unbezahlte Arbeit im Verhältniß +ab. Sobald aber diese Abnahme den Punkt berührt, wo die das Kapital er- +nährende Mehrarbeit nicht mehr in normaler Menge angeboten wird, so +tritt eine Reaktion ein: ein geringerer Theil der Revenue wird kapitalisirt, +die Akkumulation erlahmt und die steigende Lohnbewegung empfängt + +5 + +10 + +15 + +20 + +25 + +30 + +35 + +7 7 ) Vgl. Karl Marx: „Zur Kritik der politischen Oekonomie", p. 165 sqq. + +40 + +5 5 6 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +einen Gegenschlag. Die Erhöhung des Arbeitspreises bleibt also einge- +bannt in Grenzen, die die Grundlagen des kapitalistischen Systems nicht +nur unangetastet lassen, sondern auch seine Reproduktion auf wachsender +Stufenleiter sichern. Das in ein Naturgesetz mystificirte Gesetz der kapita- +listischen Akkumulation drückt also in der That nur aus, daß ihre Natur +jede solche Abnahme im Exploitationsgrad der Arbeit oder jede solche +Steigerung des Arbeitspreises ausschließt, welche die stetige Reproduktion +des Kapitalverhältnisses und seine Reproduktion auf stets erweiterter Stu- +fenleiter ernsthaft gefährden könnte. Es kann nicht anders sein in einer +10 Produktionsweise, worin der Arbeiter für die Verwerthungsbedürfnisse vor- +handner Werthe, statt umgekehrt der gegenständliche Reichthum für die +Entwicklungsbedürfnisse des Arbeiters da ist. Wie der Mensch in der Reli- +gion vom Machwerk seines eignen Kopfes, so wird er in der kapitalisti- +schen Produktion vom Machwerk seiner eignen Hand beherrscht 7 7 a). + +15 + +20 + +2. Relative Abnahme des variablen Kapitalteils +im Fortgang der Akkumulation +und der sie begleitenden Koncentration. + +Nach den Oekonomen selbst ist es weder der vorhandne Umfang des ge- +sellschaftlichen Reichthums, noch die Größe des bereits erworbnen Kapi- +tals, die eine Lohnerhöhung herbeiführen, sondern lediglich das fortge- +setzte Wachsen der Akkumulation und der Ge115 8 61schwindigkeitsgrad +ihres Wachsthums (A. Smith, B u c h i , Kap, 8). Bisher haben wir nur eine be- +sondre Phase dieses Processes betrachtet, diejenige, in der der Kapitalzu- +wachs stattfindet bei gleichbleibender technischer Zusammensetzung des + +25 Kapitals. Aber der Proceß schreitet über diese Phase hinaus. + +Die allgemeinen Grundlagen des kapitalistischen Systems einmal gege- +ben, tritt im Verlauf der Akkumulation jedesmal ein Punkt ein, wo die Ent- +wicklung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der mächtigste He- +bel der Akkumulation wird. „Dieselbe Ursache", sagt A. Smith, „die die +30 Löhne erhöht, nämlich die Zunahme des Kapitals, treibt zur Steigerung + +77 a) „Gehen wir aber nun auf unsere erste Untersuchung zurück, wo nachgewiesen ist... daß +das Kapital selbst nur das Erzeugniß menschlicher Arbeit ist... so scheint es ganz unbegreif- +lich, daß der Mensch unter die Herrschaft seines eigenen Produkts - das Kapital - gerathen +und diesem untergeordnet werden könne; und da dieß in der Wirklichkeit doch unläugbar der +35 Fall ist, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf: wie hat der Arbeiter aus dem Beherrscher +des Kapitals - als Schöpfer desselben - zum Sklaven des Kapitals werden können?" (Von +Thünen: „Der isolirte Staat. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung. Rostock 1863", p. 5, 6.) Es ist +das Verdienst Thünen's, gefragt zu haben. Seine Antwort ist einfach kindisch. + +557 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +der produktiven Fähigkeiten der Arbeit und setzt eine kleinere Arbeits- +menge in Stand, eine größere Menge von Produkten zu erzeugen." + +5 + +Abgesehn von Naturbedingungen, wie Fruchtbarkeit des Bodens u.s.w., +und vom Geschick unabhängiger und isolirt arbeitender Producenten, das +sich jedoch mehr qualitativ in der Güte als quantitativ in der Masse des +Machwerks bewährt, drückt sich der gesellschaftliche Produktivgrad der +Arbeit aus im relativen Größenumfang der Produktionsmittel, welche ein +Arbeiter, während gegebner Zeit, mit derselben Anspannung von Arbeits- +kraft, in Produkt verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel, womit er +funktionirt, wächst mit der Produktivität seiner Arbeit. Diese Produktions- 10 +mittel spielen dabei eine doppelte Rolle. Das Wachsthum der einen ist +Folge, das der andren Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. +Z . B . mit der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit und der Anwendung +von Maschinerie wird in derselben Zeit mehr Rohmaterial verarbeitet, tritt +also größere Masse von Rohmaterial und Hülfsstoffen in den Arbeitspro- 15 +ceß ein. Das ist die Folge der wachsenden Produktivität der Arbeit. Andrer- +seits ist die Masse der angewandten Maschinerie, Arbeitsviehs, minerali- +schen Düngers, Drainirungsröhren u. s. w. Bedingung der wachsenden +Produktivität der Arbeit. Ebenso die Masse der in Baulichkeiten, Riesen- +öfen, Transportmitteln u.s.w. koncentrirten Produktionsmittel. Ob aber B e - 20 +dingung oder Folge, der wachsende Größenumfang der Produktionsmittel +im Vergleich zu der ihnen einverleibten Arbeitskraft drückt die wachsende +Produktivität der Arbeit aus. Die Zunahme der letzteren erscheint also in +der Abnahme der Arbeitsmasse verhältnißmäßig zu der von ihr bewegten +Masse von Produktionsmitteln, oder in der Größenabnahme des subjekti- 25 +ven Faktors des Arbeitsprocesses verglichen mit seinen objektiven Fak- +toren. I + +|587| Diese Veränderung in der technischen Zusammensetzung des Ka- +pitals, das Wachsthum in der Masse der Produktionsmittel, verglichen mit +der Masse der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt sich wieder in seiner 30 +Werthzusammensetzung, in der Zunahme des konstanten Bestandtheils +des Kapitalwerths auf Kosten seines variablen Bestandtheils. Es werden +z.B. von einem Kapital, procentweis berechnet, ursprünglich je 50 % in Pro- +duktionsmitteln und je 50 % in Arbeitskraft ausgelegt, später, mit der Ent- +wicklung des Produktivgrads der Arbeit, je 80 % in Produktionsmitteln und 35 +je 2 0 % in Arbeitskraft u.s.w. Dieß Gesetz des steigenden Wachsthums des +konstanten Kapitalteils im Verhältniß zum variablen wird auf jedem +Schritt bestätigt (wie schon oben entwickelt) durch die vergleichende Ana- +lyse der Waarenpreise, gleichviel ob wir verschiedne ökonomische Epo- +chen bei einer einzigen Nation vergleichen oder verschiedne Nationen in 40 +derselben Epoche. Die relative Größe des Preiselements, welches nur den + +558 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Werth der verzehrten Produktionsmittel oder den konstanten Kapitaltheil +vertritt, wird in direktem, die relative Größe des andern, die Arbeit bezah- +lenden oder den variablen Kapitaltheil vertretenden Preiselements, wird im +Allgemeinen in umgekehrtem Verhältniß stehn zum Fortschritt der Akku- + +5 mulation. + +Die Abnahme des variablen K a p i t a l t e i l s gegenüber dem konstanten, +oder die veränderte Zusammensetzung des Kapitalwerths, zeigt jedoch nur +annähernd den Wechsel in der Zusammensetzung seiner stofflichen Be- +standtheile an. Wenn z.B. heute der in der Spinnerei angelegte Kapital- +10 werth zu % konstant und % variabel ist, während er Anfang des 18. Jahrhun- +derts Y2 konstant und Y2 variabel war, so ist dagegen die Masse von +Rohstoff, Arbeitsmitteln u.s.w., die ein bestimmtes Quantum Spinnarbeit +heute produktiv konsumirt, viel hundertmal größer als im Anfang des +18. Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, daß mit der wachsenden Pro- +15 duktivität der Arbeit nicht nur der Umfang der von ihr vernutzten Produk- +tionsmittel steigt, sondern deren Werth, verglichen mit ihrem Umfang, +sinkt. Ihr Werth steigt also absolut, aber nicht proportionell mit ihrem Um- +fang. Das Wachsthum der Differenz zwischen konstantem und variablem +Kapital ist daher viel kleiner als das der Differenz zwischen der Masse der +20 Produktionsmittel, worin das konstante, und der Masse Arbeitskraft, worin +das variable Kapital umgesetzt wird. Die erstere Differenz nimmt zu mit +der letzteren, aber in geringerem Grad. + +Uebrigens wenn der Fortschritt der Akkumulation die relative +| +|588| Größe des variablen K a pi t a l t e i l s vermindert, schließt er damit die +25 Steigerung ihrer absoluten Größe keineswegs aus. Gesetzt ein Kapitalwerth +spalte sich anfangs in 50 % konstantes und 50 % variables Kapital, später in +80 % konstantes und 20 % variables. Ist inzwischen das ursprüngliche Kapi- +tal, sage 6000Pfd. St. gewachsen auf 18 000Pfd. St., so ist sein variabler B e - +s t a n d t e i l auch um Y 5 gewachsen. Er war 3000 Pfd. St., er beträgt jetzt +30 3600 Pfd. St. Wo aber früher ein Kapitalzuwachs von 20 % genügt hätte, die +Nachfrage nach Arbeit um 2 0 % zu steigern, erfordert das jetzt Verdreifa- +chung des ursprünglichen Kapitals. + +Im vierten Abschnitt wurde gezeigt, wie die Entwicklung der gesell- +schaftlichen Produktivkraft der Arbeit Kooperation auf großer Stufenleiter +35 voraussetzt, wie nur unter dieser Voraussetzung Theilung und Kombina- +tion der Arbeit organisirt, Produktionsmittel durch massenhafte Koncen- +tration ökonomisirt, schon stofflich nur gemeinsam anwendbare Arbeits- +mittel, z . B . System der Maschinerie u.s.w., ins Leben gerufen, ungeheure +Naturkräfte in den Dienst der Produktion gepreßt und die Verwandlung +40 des Produktionsprocesses in technologische Anwendung der Wissenschaft +vollzogen werden können. Auf Grundlage der Waarenproduktion, wo die + +559 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Produktionsmittel Eigenthum von Privatpersonen sind, wo der Handarbei- +ter daher entweder isolirt und selbständig Waaren producirt oder seine Ar- +beitskraft als Waare verkauft, weil ihm die Mittel zum Selbstbetrieb fehlen, +realisirt sich jene Voraussetzung nur durch das Wachsthum der individuel- +len Kapitale, oder im Maße, worin die gesellschaftlichen Produktions- und +Lebensmittel in das Privateigenthum von Kapitalisten verwandelt werden. +Der Boden der Waarenproduktion kann die Produktion auf großer Stufen- +leiter nur in kapitalistischer Form tragen. Eine gewisse Akkumulation von +Kapital in den Händen individueller Waarenproducenten bildet daher die +Voraussetzung der specifisch kapitalistischen Produktionsweise. Wir muß- 10 +ten sie deshalb unterstellen bei dem Uebergang aus dem Handwerk in den +kapitalistischen Betrieb. Sie mag die ursprüngliche Akkumulation heißen, +weil sie statt historisches Resultat historische Grundlage der specifisch ka- +pitalistischen Produktion ist. Wie sie selbst entspringt, brauchen wir hier +noch nicht zu untersuchen. Genug, sie bildet den Ausgangspunkt. Aber 15 +alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Ar- +beit, die auf dieser Grundlage erwachsen, sind zugleich Methoden der ge- +steigerten Produktion des Mehrwerths oder Mehrprodukts, welches seiner- +seits das Bildungselement der ||589| Akkumulation. Sie sind also zugleich +Methoden der Produktion von Kapital durch Kapital oder Methoden seiner 20 +beschleunigten Akkumulation. Die kontinuirliche Rückverwandlung von +Mehrwerth in Kapital stellt sich dar als wachsende Größe des in den Pro- +duktionsproceß eingehenden Kapitals. Diese wird ihrerseits Grundlage +einer erweiterten Stufenleiter der Produktion, der sie begleitenden Metho- +den zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, und beschleunigter Pro- 25 +duktion von Mehrwerth. Wenn also ein gewisser Grad der Kapitalakkumu- +lation als Bedingung der specifisch kapitalistischen Produktionsweise +erscheint, verursacht die letztere rückschlagend eine beschleunigte Akku- +mulation des Kapitals. Mit der Akkumulation des Kapitals entwickelt sich +daher die specifisch kapitalistische Produktionsweise und mit der speci- 30 +fisch kapitalistischen Produktionsweise die Akkumulation des Kapitals. +Diese beiden ökonomischen Faktoren erzeugen, nach dem zusammenge- +setzten Verhältniß des Anstoßes, den sie sich gegenseitig ertheilen, den +Wechsel in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, durch wel- +chen der variable Bestandtheil immer kleiner und kleiner wird verglichen 35 +mit dem konstanten. + +Jedes individuelle Kapital ist eine größere oder kleinere Koncentration +von Produktionsmitteln mit entsprechendem Kommando über eine grö- +ßere oder kleinere Arbeiterarmee. Jede Akkumulation wird das Mittel +neuer Akkumulation. Sie erweitert mit der vermehrten Masse des als Kapi- 40 +tal funktionirenden Reichthums seine Koncentration in den Händen indi- + +5 6 0 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +vidueller Kapitalisten, daher die Grundlage der Produktion auf großer Stu- +fenleiter und der specifisch kapitalistischen Produktionsmethoden. Das +Wachsthum des gesellschaftlichen Kapitals vollzieht sich im Wachsthum +vieler individuellen Kapitale. Alle andren Umstände als gleichbleibend +5 vorausgesetzt, wachsen die individuellen Kapitale, und mit ihnen die Kon- +centration der Produktionsmittel, im Verhältniß, worin sie aliquote Theile +des gesellschaftlichen Gesammtkapitals bilden. Zugleich reißen sich Able- +ger von den Originalkapitalen los und funktioniren als neue selbständige +Kapitale. Eine große Rolle spielt dabei unter anderm die Theilung des Ver- +10 mögens in Kapitalistenfamilien. Mit der Akkumulation des Kapitals +wächst daher auch mehr oder minder die Anzahl der Kapitalisten. Zwei +Punkte charakterisiren diese Art Koncentration, welche unmittelbar auf +der Akkumulation beruht oder vielmehr mit ihr identisch ist. Erstens: Die +wachsende Koncentration der gesellschaftlichen Produktionsmittel in den +15 Händen individueller Kapitalisten ist, unter ||590| sonst gleichbleibenden +Umständen, beschränkt durch den Wachsthumsgrad des gesellschaftlichen +Reichthums. Zweitens: Der in jeder besondren Produktionssphäre ansäs- +sige Theil des gesellschaftlichen Kapitals ist vertheilt unter viele Kapitali- +sten, welche einander als unabhängige und mit einander konkurrirende +20 Waarenproducenten gegenüberstehn. Die Akkumulation und die sie be- +gleitende Koncentration sind also nicht nur auf viele Punkte zersplittert, +sondern das Wachsthum der funktionirenden Kapitale ist durchkreuzt +durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale. Stellt sich die +Akkumulation daher einerseits dar als wachsende Koncentration der Pro- +25 duktionsmittel und des Kommando's über Arbeit, so andrerseits als Repul- + +sion vieler individueller Kapitale von einander. + +Dieser Zersplitterung des gesellschaftlichen Gesammtkapitals in viele +individuelle Kapitale oder der Repulsion seiner Bruchtheile von einander +wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist dieß nicht mehr einfache, mit der Ak- +30 kumulation identische Koncentration von Produktionsmitteln und Kom- +mando über Arbeit. Es ist Koncentration bereits gebildeter Kapitale, Auf- +hebung ihrer individuellen Selbständigkeit, Expropriation von Kapitalist +durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleineren in weniger größere Kapi- +tale. Dieser Proceß unterscheidet sich von dem ersten dadurch, daß er nur +35 veränderte Vertheilung der bereits vorhandnen und funktionirenden Kapi- +tale voraussetzt, sein Spielraum also durch das absolute Wachsthum des +gesellschaftlichen Reichthums oder die absoluten Grenzen der Akkumula- +tion nicht beschränkt ist. Das Kapital schwillt hier in einer Hand zu großen +Massen, weil es dort in vielen Händen verloren geht. Es ist die eigentliche + +40 Centralisation im Unterschied zur Akkumulation und Koncentration. + +Die Gesetze dieser Centralisation der Kapitale oder der Attraktion von + +561 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Kapital durch Kapital können hier nicht entwickelt werden. Kurze t a t - +sächliche Andeutung genügt. Der Konkurrenzkampf wird durch Verwohl- +feilerung der Waaren geführt. Die Wohlfeilheit der Waaren hängt, caeteris +paribus, von der Produktivität der Arbeit, diese aber von der Stufenleiter +der Produktion ab. Die größeren Kapitale schlagen daher die kleineren. +Man erinnert sich ferner, daß mit der Entwicklung der kapitalistischen Pro- +duktionsweise der Minimalumfang des individuellen Kapitals wächst, das +erheischt ist, um ein Geschäft unter seinen normalen Bedingungen zu be- +treiben. Die kleineren Kapitale drängen sich daher in Produktionssphären, +deren sich die große Industrie nur ||591| noch sporadisch oder unvollkom- 10 +men bemächtigt hat. Die Konkurrenz rast hier im direkten Verhältniß zur +Anzahl und im umgekehrten Verhältniß zur Größe der rivalisirenden Kapi- +tale. Sie endet stets mit Untergang vieler kleineren Kapitalisten, deren Ka- +pitale theils in die Hand des Siegers Übergehn, theils untergehn. Abgesehn +hiervon bildet sich mit der kapitalistischen Produktion eine ganz neue 15 +Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen, als be- +scheidne Beihülfe der Akkumulation, sich einschleicht, durch unsichtbare +Fäden die über die Oberfläche der Gesellschaft in größern oder kleinern +Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller oder associir- +ter Kapitalisten zieht, aber bald eine neue und furchtbare Waffe im Kon- 20 +kurrenzkampf wird, und sich schließlich in einen ungeheuren sozialen Me- +chanismus zur Centralisation der Kapitale verwandelt. + +Im Maß wie die kapitalistische Produktion und Akkumulation, im sel- +ben Maß entwickeln sich Konkurrenz und Kredit, die beiden mächtigsten +Hebel der Centralisation. Daneben vermehrt der Fortschritt der Akkumula- 25 +tion den centralisirbaren Stoff, d. h. die Einzelkapitale, während die Aus- +weitung der kapitalistischen Produktion, hier das gesellschaftliche Bedürf- +niß, dort die technischen Mittel jener gewaltigen industriellen Unterneh- +mungen schafft, deren Durchführung an eine vorgängige Centralisation des +Kapitals gebunden ist. Heutzutage ist also die gegenseitige Attraktionskraft 30 +der Einzelkapitale und die Tendenz zur Centralisation stärker als je zuvor. +Wenn aber auch die relative Ausdehnung und Energie der centralisirenden +Bewegung in gewissem Grad bestimmt ist durch die schon erreichte Größe +des kapitalistischen Reichthums und die Ueberlegenheit des ökonomi- +schen Mechanismus, so hängt doch der Fortschritt der Centralisation kei- 35 +neswegs ab von dem positiven Größenwachsthum des gesellschaftlichen +Kapitals. Und dieß speciell unterscheidet die Centralisation von der Kon- +centration, die nur ein andrer Ausdruck für die Reproduktion auf erweiter- +ter Stufenleiter ist. Die Centralisation kann erfolgen durch bloße verän- +derte Vertheilung schon bestehender Kapitale, durch einfache Verande- 40 +rung der quantitativen Gruppirung der Bestandtheile des gesellschaftlichen + +562 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Kapitals. Das Kapital kann hier zu gewaltigen Massen in einer Hand an- +wachsen, weil es dort vielen einzelnen Händen entzogen wird. In einem ge- +gebnen Geschäftszweig hätte die Centralisation ihre äußerste Grenze er- +reicht, wenn alle darin angelegten Kapitale zu einem Einzelkapital +5 verschmolzen wären 7 7 b). ||592| In einer gegebnen Gesellschaft wäre diese +Grenze erreicht erst in dem Augenblick, wo das gesammte gesellschaftliche +Kapital vereinigt wäre in der Hand, sei es eines einzelnen Kapitalisten, sei +es einer einzigen Kapitalistengesellschaft. + +10 + +Die Centralisation ergänzt das Werk der Akkumulation, indem sie die +industriellen Kapitalisten in Stand setzt die Stufenleiter ihrer Operationen +auszudehnen. Sei dieß letztre Resultat nun Folge der Akkumulation oder +der Centralisation; vollziehe sich die Centralisation auf dem gewaltsamen +Weg der Annexion - wo gewisse Kapitale so überwiegende Gravitations- +centren für andre werden, daß sie deren individuelle Kohäsion brechen +15 und dann die vereinzelten Bruchstücke an sich ziehn - oder geschehe die +Verschmelzung einer Menge bereits gebildeter, resp. in der Bildung begriff- +ner Kapitale vermittelst des glatteren Verfahrens der Bildung von Aktien- +gesellschaften - die ökonomische Wirkung bleibt dieselbe. Die gewachsne +Ausdehnung der industriellen Etablissements bildet überall den Ausgangs- +20 punkt für eine umfassendere Organisation der Gesammtarbeit Vieler, für +eine breitre Entwicklung ihrer materiellen Triebkräfte, d. h. für die fort- +schreitende Umwandlung vereinzelter und gewohnheitsmäßig betriebner +Produktionsprocesse in gesellschaftlich combinirte und wissenschaftlich +disponirte Produktionsprocesse. + +25 + +Es ist aber klar, daß die Akkumulation, die allmählige Vermehrung des +Kapitals durch die aus der Kreisform in die Spirale übergehende Repro- +duktion ein gar langsames Verfahren ist, im Vergleich mit der Centralisa- +tion, die nur die quantitative Gruppirung der integrirenden Theile des ge- +sellschaftlichen Kapitals zu ändern braucht. Die Welt wäre noch ohne +30 Eisenbahnen, hätte sie solange warten müssen bis die Akkumulation ei- +nige Einzelkapitale dahin gebracht hätte dem Bau einer Eisenbahn ge- +wachsen zu sein. Die Centralisation dagegen hat dieß, vermittelst der Ak- +tiengesellschaften, im Handumdrehn fertig gebracht. Und während die +Centralisation so die Wirkungen der Akkumulation steigert und beschleu- +35 nigt, erweitert und beschleunigt sie gleichzeitig die Umwälzungen in der +technischen Zusammensetzung des Kapitals, die dessen konstanten Theil +vermehren auf Kosten seines variablen Theils, und damit die relative +Nachfrage nach Arbeit vermindern. + +7 7 b ) (Zur 4. Aufl. - Die neuesten englischen und amerikanischen „Trusts" streben dieß Ziel +40 bereits an, indem sie versuchen wenigstens sämmtliche Großbetriebe eines Geschäftszweigs + +zu einer großen Aktiengesellschaft mit praktischem Monopol zu vereinigen. - D. H.) + +5 6 3 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +| +Die durch die Centralisation über Nacht zusammengeschweißten +|593| Kapitalmassen reproduciren und vermehren sich wie die andren, nur +rascher, und werden damit zu neuen mächtigen Hebeln der gesellschaftli- +chen Akkumulation. Spricht man also vom Fortschritt der gesellschaftli- +chen Akkumulation, so sind darin - heutzutage - die Wirkungen der Cen- +tralisation stillschweigend einbegriffen. + +Die im Lauf der normalen Akkumulation gebildeten Zusatzkapitale (s. +Kap. X X I I , 1) dienen vorzugsweise als Vehikel zur Exploitation neuer Er- +findungen und Entdeckungen, überhaupt industrieller Vervollkommnun- +gen. Aber auch das alte Kapital erreicht mit der Zeit den Moment seiner +Erneuerung an Haupt und Gliedern, wo es sich häutet und ebenfalls wie- +dergeboren wird in der vervollkommneten technischen Gestalt, worin eine +geringere Masse Arbeit genügte, eine größere Masse Maschinerie und Roh- +stoffe in Bewegung zu setzen. Die hieraus nothwendig folgende absolute +Abnahme der Nachfrage nach Arbeit wird selbstredend um so größer, je +mehr die diesen Erneuerungsproceß durchmachenden Kapitale bereits zu +Massen angehäuft sind vermöge der centralisirenden Bewegung. + +Einerseits attrahirt also das im Fortgang der Akkumulation gebildete +Zuschußkapital, verhältnißmäßig zu seiner Größe, weniger und weniger +Arbeiter. Andrerseits repellirt das periodisch in neuer Zusammensetzung +reproducirte alte Kapital mehr und mehr früher von ihm beschäftigte Ar- +beiter. + +3. Progressive Produktion einer relativen Uebervölkerung + +oder + +industriellen Reservearmee. + +Die Akkumulation des Kapitals, welche ursprünglich nur als seine quanti- 25 +tative Erweiterung erschien, vollzieht sich, wie wir gesehn, in fortwähren- +dem qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in beständiger Zu- +nahme seines konstanten auf Kosten seines variablen B e s t a n d t e i l s 7 7 0 ) . + +Die specifisch kapitalistische Produktionsweise, die ihr entsprechende +Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, der dadurch verursachte Wech- 30 +sei in der organischen Zusammensetzung des Kapitals halten nicht nur +Schritt mit dem Fortschritt der Akkumu11594|lation oder dem Wachsthum +des gesellschaftlichen Reichthums. Sie schreiten ungleich schneller, weil + +7 7 c ) Note zur 3. Auflage. - In Marx' Handexemplar steht hier die Randbemerkung: „Hier für +Späteres zu bemerken: Ist die Erweiterung nur quantitativ, so verhalten sich bei größerem und +kleinerem Kapital in demselben Geschäftszweig die Profite wie die Größen der vorgeschosse- +nen Kapitale. Wirkt die quantitative Erweiterung qualitativ, so steigt zugleich die Rate des +Profits für das größre Kapital." (D.H.) + +35 + +564 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +15 + +% % + +die einfache Akkumulation oder die absolute Ausdehnung des Gesammt- +kapitals von der Centralisation seiner individuellen Elemente, und die +technische Umwälzung des Zusatzkapitals von technischer Umwälzung des +Originalkapitals begleitet sind. Mit dem Fortgang der Akkumulation wan- +5 delt sich also das Verhältniß von konstantem zu variablem Kapitaltheil, +wenn ursprünglich 1:1, in 2:1, 3:1, 4:1, 5:1, 7:1 u. s. w., so daß, wie das Kapi- +tal wächst, statt % seines Gesammtwerths progressiv nur +% +u.s.w. in Arbeitskraft, dagegen % %, %, %, % u.s.w. in Produktionsmittel +umgesetzt wird. Da die Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang +10 des Gesammtkapitals, sondern durch den seines variablen Bestandtheils +bestimmt ist, fällt sie also progressiv mit dem Wachsthum des Gesammtka- +pitals, statt, wie vorhin unterstellt, verhältnißmäßig mit ihm zu wachsen. +Sie fällt relativ zur Größe des Gesammtkapitals und in beschleunigter Pro- +gression mit dem Wachsthum dieser Größe. Mit dem Wachsthum des Ge- +sammtkapitals wächst zwar auch sein variabler Bestandtheil, oder die ihm +einverleibte Arbeitskraft, aber in beständig abnehmender Proportion. Die +Zwischenpausen, worin die Akkumulation als bloße Erweiterung der Pro- +duktion auf gegebner technischer Grundlage wirkt, verkürzen sich. Nicht +nur wird eine in wachsender Progression beschleunigte Akkumulation des +20 Gesammtkapitals erheischt, um eine zusätzliche Arbeiterzahl von gegeb- +ner Größe zu absorbiren oder selbst, wegen der beständigen Metamorphose +des alten Kapitals, die bereits funktionirende zu beschäftigen. Ihrerseits +schlägt diese wachsende Akkumulation und Centralisation selbst wieder +um in eine Quelle neuer Wechsel der Zusammensetzung des Kapitals oder +25 abermalig beschleunigter Abnahme seines variablen Bestandtheils vergli- +chen mit dem konstanten. Diese mit dem Wachsthum des Gesammtkapi- +tals beschleunigte und rascher als sein eignes Wachsthum beschleunigte +relative Abnahme seines variablen Bestandtheils scheint auf der andren +Seite umgekehrt stets rascheres absolutes Wachsthum der Arbeiterbevölke- +rung als das des variablen Kapitals oder ihrer Beschäftigungsmittel. Die ka- +pitalistische Akkumulation producirt vielmehr, und zwar im Verhältniß zu +ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d.h. für die mitt- +leren Verwerthungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüs- +sige oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung. + +30 + +35 + +Das gesellschaftliche Gesammtkapital betrachtet, ruft die Be||595|we- +gung seiner Akkumulation bald periodischen Wechsel hervor, bald verthei- +len sich ihre Momente gleichzeitig über die verschiednen Produktions- +sphären. In einigen Sphären findet Wechsel in der Zusammensetzung des +Kapitals statt ohne Wachsthum seiner absoluten Größe, in Folge bloßer +40 Koncentration; in andren ist das absolute Wachsthum des Kapitals mit ab- +soluter Abnahme seines variablen Bestandtheils oder der von ihm absorbir- + +565 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +ten Arbeitskraft verbunden; in andren wächst das Kapital bald auf seiner +gegebnen technischen Grundlage fort und attrahirt zuschüssige Arbeits- +kraft im Verhältniß seines Wachsthums, bald tritt organischer Wechsel ein +und kontrahirt sich sein variabler Bestandtheil; in allen Sphären ist das +Wachsthum des variablen K a p i t a l t e i l s und daher der beschäftigten Arbei- +ter ζ ahi stets verbunden mit heftigen Fluktuationen und vorübergehender +Produktion von Uebervölkerung, ob diese nun die auffallendere Form von +Repulsion bereits beschäftigter Arbeiter annimmt oder die mehr unschein- +bare, aber nicht minder wirksame, erschwerter Absorption der zuschüssi- +gen Arbeiterbevölkerung in ihre gewohnten Abzugskanäle 7 8). Mit der 10 +Größe des bereits funktionirenden Gesellschaftskapitals und dem Grad sei- +nes Wachsthums, mit der Ausdehnung der Produktionsleiter und der +Masse der in Bewegung gesetzten Arbeiter, mit der Entwicklung der Pro- +duktivkraft ihrer Arbeit, mit dem breiteren und volleren Strom aller +Springquellen des Reichthums dehnt sich auch die Stufenleiter, worin grö- +ßere Attraktion der Arbeiter durch das Kapital mit größerer Repulsion der- +selben verbunden ist, nimmt die Raschheit ||596| der Wechsel in der orga- +nischen Zusammensetzung des Kapitals und seiner technischen Form zu, +und schwillt der Umkreis der Produktionssphären, die bald gleichzeitig, +bald abwechselnd davon ergriffen werden. Mit der durch sie selbst produ- +cirten Akkumulation des Kapitals producirt die Arbeiterbevölkerung also +in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Ueberzähligma- +chung 7 9). Es ist dieß ein der kapitalistischen Produktionsweise eigenthüm- + +15 + +20 + +7 8 ) Der Census für England und Wales zeigt u. a.: + +Alle in der Agrikultur beschäftigten Personen (Eigenthümer, Pächter, Gärtner, Hirten 25 + +u.s.w. eingeschlossen): 1851: 2 011447, 1861: 1924110, Abnahme: 87 337. Worsted Manufak- +tur: 1851: 102 714 Personen, 1861: 79242; Seidenfabrik: 1851: 111940, 1861: 101678; Kat- +tundrucker: 1851: 12 098, 1861: 12 556, welche geringe Zunahme trotz des enorm ausgedehn- +ten Geschäfts große proportionelle Abnahme in der Zahl der beschäftigten Arbeiter bedingt. +Hutmacher: 1851: 15 957, 1861: 13 814; Strohhut- und Bonnetmacher: 1851: 20393, 1861: 30 +18176; Malzer: 1851: 10 566, 1861: 10 677; Lichtgießer: 1851: 4949, 1861: 4686. Diese Ab- +nahme ist u. a. der Zunahme der Gasbeleuchtung geschuldet. Kammmacher: 1851: 2038. +1861: 1478; Holzsäger: 1851: 30 552. 1861: 31647, geringe Zunahme in Folge des Auf- +schwungs von Sägemaschinen; Nagelmacher: 1851: 26 940. 1861: 26130, Abnahme in Folge +der Maschinenkonkurrenz; Arbeiter in Zinn- und Kupferbergwerken: 1851; 31360, 1861: 35 +32 041. Dagegen: Baumwollspinnereien und Webereien: 1851: 371777, 1861: 456 646; Koh- +lenbergwerke: 1851: 183 389, 1861: 246 613. „Die Zunahme von Arbeitern ist im Allgemeinen +am größten seit 1851 in solchen Zweigen, worin die Maschinerie bisher noch nicht mit Erfolg +angewandt worden." (,,Census of England and Wales for 1861", vol.111. Lond. 1863, p. 36.) +7 9 ) Das Gesetz der progressiven Abnahme der relativen Größe des variablen Kapitals, nebst 40 +seinen Wirkungen auf die Lage der Lohnarbeiterklasse, ist von einigen ausgezeichneten Oe- +konomen der klassischen Schule mehr geahnt als begriffen worden. Das größte Verdienst hier- +in gebührt John Barton, obwohl er wie alle anderen, das konstante Kapital mit dem fixen, das +variable mit dem cirkulirenden zusammenwirft. Er sagt: "The demand for labour depends on +the increase of circulating and not of fixed capital. Were it true that the proportion between 45 +these two sorts of capital is the same at all times, and in all circumstances, then, indeed, it fol- + +566 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +liches Populationsgesetz, wie in der That jede besondre historische Produk- +tionsweise ihre besondren, historisch gültigen Populationsgesetze hat. Ein +abstraktes Populationsgesetz existirt nur für Pflanze und Thier, soweit der +Mensch nicht geschichtlich eingreift. + +5 + +Wenn aber eine Surplusarbeiterpopulation nothwendiges Produkt der +Akkumulation oder der Entwicklung des Reichthums auf kapitalistischer +Grundlage ist, wird diese Uebervölkerung umgekehrt zum Hebel der kapi- +talistischen Akkumulation, ja zu einer Existenz11597|bedingung der kapita- +listischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible industrielle Reser- +10 vearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine +eignen Kosten großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Ver- +werthungsbedürfnisse das stets bereite exploitable Menschenmaterial, un- +abhängig von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme. Mit +der Akkumulation und der sie begleitenden Entwicklung der Produktiv- +15 kraft der Arbeit wächst die plötzliche Expansionskraft des Kapitals, nicht +nur, weil die Elasticität des funktionirenden Kapitals wächst, und der abso- +lute Reichthum, wovon das Kapital nur einen elastischen Theil bildet, +nicht nur, weil der Kredit, unter jedem besondren Reiz, im Umsehn unge- +wöhnlichen Theil dieses Reichthums der Produktion als Zusatzkapital zur +20 Verfügung stellt. Die technischen Bedingungen des Produktionsprocesses +selbst, Maschinerie, Transportmittel u. s. w. ermöglichen, auf größter Stu- +fenleiter, die rascheste Verwandlung von Mehrprodukt in zuschüssige Pro- +duktionsmittel. Die mit dem Fortschritt der Akkumulation überschwel- +lende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des gesellschaftlichen +25 Reichthums drängt sich mit Frenesie in alte Produktionszweige, deren + +lows that the number of labourers employed is in proportion to the wealth of the state. But +such a proposition has not the semblance of probability. As arts are cultivated, and civiliza- +tion is extended, fixed capital bears a larger and larger proportion to circulating capital. The +amount of fixed capital employed in the production of a piece of British muslin is at least a +30 hundred, probably a thousand times greater than that employed in a similar piece of Indian +muslin. And the proportion of circulating capital is a hundred or thousand times less ... the +whole of the annual savings, added to the fixed capital, would have no effect in increasing the +demand for labour." (John Barton: ,,Observations on the circumstances which influence the +Condition of the Labouring Classes of Society". Lond. 1817, p. 16, 17.) "The same cause +35 which may increase the net revenue of the country may at the same time render the popula- +tion redundant, and deteriorate the condition of the labourer." (Ricardo I.e. p.469.) Mit der +Zunahme des Kapitals ,,the demand (for labour) will be in a diminishing ratio". (1. c. p. 480, +Note.) "The amount of capital devoted to the maintenance of labour may vary, independently +of any changes in the whole amount of capital... Great fluctuations in the amount of employ- +40 ment, and great suffering may become more frequent as capital itself becomes more plenti- +ful." (Richard Jones: „An Introductory Lecture on Pol. Econ. Lond. 1833", p. 52.) "Demand +(for labour) will rise ... not in proportion to the accumulation of the general capital ... Every +augmentation, therefore to the national stock destined for reproduction, comes, in the prog- +ress of society, to have less and less influence upon the condition of the labourer." (Ramsay + +45 I.e. p.90, 91.) + +567 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Markt sich plötzlich erweitert, oder in neu eröffnete, wie Eisenbahnen +u.s.w., deren Bedürfniß aus der Entwicklung der alten entspringt. In allen +solchen Fällen müssen große Menschenmassen plötzlich und ohne Ab- +bruch der Produktionsleiter in andren Sphären auf die entscheidenden +Punkte werfbar sein. Die Uebervölkerung liefert sie. Der charakteristische +Lebenslauf der modernen Industrie, die Form eines durch kleinere +Schwankungen unterbrochnen zehnjährigen Cyklus von Perioden mittlerer +Lebendigkeit, Produktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht +auf der beständigen Bildung, größern oder geringem Absorption und Wie- +derbildung der industriellen Reservearmee oder Uebervölkerung. Ihrerseits +rekrutiren die Wechselfälle des industriellen Cyklus die Uebervölkerung +und werden zu einem ihrer energischsten Reproduktionsagentien. + +Dieser eigenthümliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in +keinem frühern Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der Kind- +heitsperiode der kapitalistischen Produktion unmöglich. Die Zusammen- +setzung des Kapitals veränderte sich nur sehr allmählig. Seiner Akkumula- +tion entsprach also +im Ganzen verhältnißmäßiges Wachsthum der +Arbeitsnachfrage. Langsam wie der Fortschritt seiner Akkumulation, ver- +glichen mit der modernen Epoche, stieß er auf Naturschranken der exploi- +tablen Arbeiter||598|bevölkerung, welche nur durch später zu erwähnende +Gewaltmittel wegräumbar waren. Die plötzliche und ruckweise Expansion +der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; +letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne +disponibles Menschenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachsthum der +Bevölkerung unabhängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen +durch den einfachen Proceß, der einen Theil der Arbeiter beständig „frei- +setzt", durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im +Verhältniß zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungs- +form der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwand- +lung eines Theils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbe- +schäftigte Hände. Die Oberflächlichkeit der politischen Oekonomie zeigt +sich u. a. darin, daß sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das +bloße Symptom der Wechselperioden des industriellen Cyklus, zu deren +Ursache macht. Ganz wie Himmelskörper, einmal in eine bestimmte B e - +wegung geschleudert, dieselbe stets wiederholen, so die gesellschaftliche +Produktion, sobald sie einmal in jene Bewegung wechselnder Expansion +und Kontraktion geworfen ist. Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen +und die Wechselfälle des ganzen Processes, der seine eignen Bedingungen +stets reproducirt, nehmen die Form der Periodicität an. Ist letztere einmal +konsolidirt, so begreift selbst die politische Oekonomie die Produktion +einer relativen, d.h. mit Bezug auf das mittlere Verwerthungsbedürfniß des + +568 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Kapitals überschüssigen Bevölkerung, als Lebensbedingung der modernen +Industrie. + +„Gesetzt", sagt H.Merivale, früher Professor der politischen Oekonomie +zu Oxford, später Beamter des englischen Kolonialministeriums, „gesetzt, +5 bei Gelegenheit einer Krise raffe die Nation sich zu einer Kraftanstren- +gung auf, um durch Emigration einige 100 000 überflüssige Arme los zu +werden, was würde die Folge sein? Daß bei der ersten Wiederkehr der Ar- +beitsnachfrage ein Mangel vorhanden wäre. Wie rasch immer die Repro- +duktion von Menschen sein mag, sie braucht jedenfalls den Zwischenraum +10 einer Generation zum Ersatz erwachsner Arbeiter. Nun hängen die Profite +unsrer Fabrikanten hauptsächlich von der Macht ab, den günstigen Mo- +ment lebhafter Nachfrage zu exploitiren und sich so für die Periode der Er- +lahmung schadlos zu halten. Diese Macht ist ihnen nur gesichert durch +Kommando über Maschinerie und Handarbeit. Sie müssen disponible +15 Hände vorfinden; sie müssen fähig sein, die Aktivität ihrer Operationen, +wenn nöthig, höher zu ||599| spannen oder abzuspannen, je nach dem +Stand des Markts, oder sie können platterdings nicht in der Hetzjagd der +Konkurrenz das Uebergewicht behaupten, auf das der Reichthum dieses +Landes gegründet i s t " 8 0 ) . Selbst Malthus erkennt in der Uebervölkerung, +20 die er, nach seiner bornirten Weise, aus absolutem Ueberwuchs der Arbei- +terbevölkerung, nicht aus ihrer relativen Ueberzähligmachung deutet, eine +Nothwendigkeit der modernen Industrie. Er sagt: „Weise Gewohnheiten in +Bezug auf die Ehe, wenn zu einer gewissen Höhe getrieben unter der Ar- +beiterklasse eines Landes, das hauptsächlich von Manufaktur und Handel +25 abhängt, würden ihm schädlich sein ... Der Natur der Bevölkerung gemäß, +kann ein Zuwachs von Arbeitern nicht zu Markt geliefert werden, in Folge +besondrer Nachfrage, bis nach Verlauf von 16 oder 18 Jahren, und die Ver- +wandlung von Revenue in Kapital durch Ersparung kann sehr viel rascher +platzgreifen; ein Land ist stets dem ausgesetzt, daß sein Arbeitsfonds ra- +30 scher wächst als die Bevölkerung" 8 1). Nachdem die politische Oekonomie + +8 0 ) H.Merivale: ,,Lectures on Colonization and Colonies". Lond. 1841 and 1842, v.I, p. 146. +8 1 ) "Prudential habits with regard to marriage carried to a considerable extent among the la- +bouring class of a country mainly depending upon manufactures and commerce might injure +it... From the nature of a population, an increase of labourers cannot be brought into market, +in consequence of a particular demand, till after the lapse of 16 or 18 years, and the conver- +sion of revenue into capital, by saving, may take place much more rapidly; a country is always +liable to an increase in the quantity of the funds for the maintenance of labour faster than the +increase of population." (Malthus: „Princ. of Pol. Econ.", p. 215, 319, 320.) In diesem Werk +entdeckt Malthus endlich, vermittelst Sismondi's, die schöne Dreieinigkeit der kapitalisti- +schen Produktion: Ueberproduktion - Ueberpopulation - Ueberkonsumtion, three very del- +icate monsters, indeed! Vgl. F. Engels: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" 1. c. +p. 107 sqq. + +569 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +so die beständige Produktion einer relativen Uebervölkerung von Arbeitern +für eine Notwendigkeit der kapitalistischen Akkumulation erklärt hat, +legt sie, und zwar adäquat in der Figur einer alten Jungfer, dem ,,beau +idéal" ihres Kapitalisten folgende Worte an die durch ihre eigne Schöpfung +von Zusatzkapital aufs Pflaster geworfnen „Ueberzähligen" in den Mund: +„Wir Fabrikanten thun für euch, was wir können, indem wir das Kapital +vermehren, von dem ihr subsistiren müßt; und ihr müßt das Uebrige thun, +indem ihr eure Zahl den Subsistenzmitteln anpaßt" 8 2). + +5 + +Der kapitalistischen Produktion genügt keineswegs das Quantum dispo- +nibler Arbeitskraft, welches der natürliche Zuwachs der Be||600|völkerung 10 +liefert. Sie bedarf zu ihrem freien Spiel einer von dieser Naturschranke un- +abhängigen industriellen Reservearmee. + +Bisher wurde unterstellt, daß der Zu- oder Abnahme des variablen Kapi- +tals genau die Zu- oder Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl ent- +spricht. + +15 + +Bei gleichbleibender oder selbst verminderter Zahl der von ihm kom- +mandirten Arbeiter wächst jedoch das variable Kapital, wenn der individu- +elle Arbeiter mehr Arbeit liefert und daher sein Arbeitslohn wächst, ob- +gleich der Arbeitspreis gleichbleibt, oder selbst sinkt, nur langsamer als die +Arbeitsmasse steigt. Der Zuwachs des variablen Kapitals wird dann Index 20 +von mehr Arbeit, aber nicht von mehr beschäftigten Arbeitern. Jeder Kapi- +talist hat das absolute Interesse, ein bestimmtes Arbeitsquantum aus klei- +nerer, statt eben so wohlfeil oder selbst wohlfeiler aus größerer Arbeiterzahl +auszupressen. In dem letzten Fall wächst die Auslage von konstantem Ka- +pital verhältnißmäßig zur Masse der in Fluß gesetzten Arbeit, im ersten 25 +Fall viel langsamer. Je größer die Stufenleiter der Produktion, desto ent- +scheidender dieß Motiv. Seine Wucht wächst mit der Akkumulation des +Kapitals. + +Man hat gesehn, daß die Entwicklung der kapitalistischen Produktions- +weise und Produktivkraft der Arbeit - zugleich Ursache und Wirkung der 30 +Akkumulation - den Kapitalisten befähigt, mit derselben Auslage von va- +riablem Kapital mehr Arbeit durch größere extensive oder intensive Ex- +ploitation der individuellen Arbeitskräfte flüssig zu machen. Man hat fer- +ner gesehn, daß er mit demselben Kapitalwerth mehr Arbeitskräfte kauft, +indem er progressiv geschicktere Arbeiter durch ungeschicktere, reife 35 +durch unreife, männliche durch weibliche, erwachsne Arbeitskraft durch +jugendliche oder kindliche verdrängt. + +Einerseits macht also, im Fortgang der Akkumulation, größeres variables +Kapital mehr Arbeit flüssig, ohne mehr Arbeiter zu werben, andrerseits + +8 2 ) Harriet Martineau: „The Manchester Strike. 1832", p. 101. + +40 + +570 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +macht variables Kapital von derselben Größe mehr Arbeit mit derselben + +Masse Arbeitskraft flüssig und endlich mehr niedere Arbeitskräfte durch + +Verdrängung höherer. + +Die Produktion einer relativen Uebervölkerung oder die Freisetzung von + +5 Arbeitern geht daher noch rascher voran als die ohnehin mit dem Fort- + +schritt der Akkumulation beschleunigte technische Umwälzung des Pro- + +duktionsprocesses und die entsprechende proportionelle Abnahme des va- + +riablen K a p i t a l t e i l s gegen den konstanten. Wenn die Produktionsmittel, + +wie sie an Umfang und Wirkungskraft zunehmen, in geringerem Grad B e - + +10 schäftigungsmittel der ||601| Arbeiter werden, wird dieß Verhältniß selbst + +wieder dadurch modificirt, daß im Maß wie die Produktivkraft der Arbeit + +wächst, das Kapital seine Zufuhr von Arbeit rascher steigert als seine + +Nachfrage nach Arbeitern. Die Ueberarbeit des beschäftigten Theils der + +Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der + +15 vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere + +ausübt, diese zur Ueberarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Ka- + +pitals zwingt. Die Verdammung eines Theils der Arbeiterklasse zu er- + +zwungnem Müßiggang durch Ueberarbeit des andren Theils, und umge- + +kehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten 8 3) und + +20 beschleunigt zugleich die Produktion der industriellen Reservearmee auf + +einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation entsprechen- + +den Maßstab. Wie wichtig dieß Moment in der Bildung der relativen Ue- + +8 3 ) Selbst während der Baumwollnoth von 1863 findet man in einem Pamphlet der Baumwoll- +spinner von Blackburn heftige Denunciation gegen die Ueberarbeit, die kraft des Fabrikgeset- +25 zes natürlich nur erwachsne männliche Arbeiter traf. "The adult operatives at this mill have +been asked to work from 12 to 13 hours per day, while there are hundreds who are compelled +to be idle who would willingly work partial time, in order to maintain their families and save +their brethren from a premature grave through being overworked." „Wir", heißt es weiter, +„möchten fragen, ob diese Praxis, Ueberzeit zu arbeiten, irgend wie erträgliche Verhältnisse +30 zwischen Meistern und ,Dienern' möglich macht? Die Opfer der Ueberarbeit fühlen die Un- +bill eben so sehr als die dadurch zu erzwungnem Müßiggang Verdammten (condemned to +forced idleness). In diesem Distrikt reicht das zu verrichtende Werk hin, um alle theilweis zu +beschäftigen, würde die Arbeit billig vertheilt. Wir verlangen nur ein Recht, indem wir die +Meister auffordern, allgemein nur kurze Zeit zu arbeiten, wenigstens so lange der jetzige +35 Stand der Dinge währt, statt einen Theil zu überarbeiten, während der andre durch Arbeits- +mangel gezwungen wird, von der Wohlthätigkeit seine Existenz zu fristen." („Reports of Insp. +of Fact. 31st Oct. 1863", p. 8.) - Die Wirkung einer relativen Uebervölkerung auf die beschäf- +tigten Arbeiter begreift der Verfasser des „Essay on Trade and Commerce" mit seinem ge- +wohnten unfehlbaren Bourgeoisinstinkt. „Eine andre Ursache der Faullenzerei (idleness) in +40 diesem Königreich ist der Mangel einer hinreichenden Anzahl arbeitender Hände. So oft +durch irgend eine ungewöhnliche Nachfrage für Fabrikate die Arbeitsmasse ungenügend +wird, fühlen die Arbeiter ihre eigne Wichtigkeit und wollen sie ihren Meistern ebenfalls fühl- +bar machen; es ist erstaunlich; aber so depravirt ist die Gesinnung dieser Kerle, daß in sol- +chen Fällen Gruppen von Arbeitern sich kombinirt haben, um ihre Meister dadurch in Verle- +45 genheit zu setzen, daß sie einen ganzen Tag durch faullenzten." („Essay etc.", p.27, 28.) Die + +Kerle verlangten nämlich Lohnerhöhung. + +571 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +bervölkerung, beweist z.B. England. Seine technischen Mittel zur „Erspa- +rung" von Arbeit sind kolossal. Dennoch, würde morgen allgemein die +Arbeit auf ein rationelles Maß beschränkt, und für die verschiednen +Schichten der Arbeiterklasse wieder entsprechend nach Alter und Ge- +schlecht abgestuft, so wäre die vorhandne ||602| Arbeiterbevölkerung abso- +lut unzureichend zur Fortführung der nationalen Produktion auf ihrer jet- +zigen Stufenleiter. Die große Mehrheit der jetzt „unproduktiven" Arbeiter +müßte in „produktive" verwandelt werden. + +Im Großen und Ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeits- +lohns ausschließlich regulirt durch die Expansion und Kontraktion der in- +dustriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen +Cyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die Bewegung der +absoluten Anzahl der Arbeiterbevölkerung, sondern durch das wechselnde +Verhältniß, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und Reservearmee +zerfällt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der +Uebervölkerung, durch den Grad, worin sie bald absorbirt, bald wieder frei- +gesetzt wird. Für die moderne Industrie mit ihrem zehnjährigen Cyklus +und seinen periodischen Phasen, die außerdem im Fortgang der Akkumu- +lation durch stets rascher auf einander folgende unregelmäßige Oscillatio- +nen durchkreuzt werden, wäre es in der That ein schönes Gesetz, welches +die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion und Kon- +traktion des Kapitals, also nach seinen jedesmaligen Verwerthungsbedürf- +nissen regelte, so daß der Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil +das Kapital sich expandirt, bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, +sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals von der absoluten Bewe- +gung der Bevölkerungsmenge abhängig machte. Dieß jedoch ist das ökono- +mische Dogma. Nach demselben steigt in Folge der Kapitalakkumulation +der Arbeitslohn. Der erhöhte Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermeh- +rung der Arb eit erb e völkerung und diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt +überfüllt, also das Kapital relativ zur Arbeiterzufuhr unzureichend gewor- +den ist. Der Arbeitslohn sinkt, und nun die Kehrseite der Medaille. Durch +den fallenden Arbeitslohn wird die Arbeiterbevölkerung nach und nach de- +cimirt, so daß ihr gegenüber das Kapital wieder überschüssig wird, oder +auch, wie Andre es erklären, der fallende Arbeitslohn und die entspre- +chende erhöhte Exploitation des Arbeiters beschleunigt wieder die Akku- +mulation, während gleichzeitig der niedere Lohn das Wachsthum der Ar- +beiterklasse in Schach hält. So tritt wieder das Verhältniß ein, worin die +Arbeitszufuhr niedriger als die Arbeitsnachfrage, der Lohn steigt u. s. w. +Eine schöne Bewegungsmethode dieß für die entwickelte kapitalistische +Produktion! Bevor in Folge der Lohnerhöhung irgend ein positives Wachs- +thum der wirklich arbeitsfähigen Bevölkerung eintreten könnte, wäre die + +572 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Frist aber und abermal ||603| abgelaufen, worin der industrielle Feldzug ge- +führt, die Schlacht geschlagen und entschieden sein muß. + +10 + +Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen, +eine praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhöhung in den englischen +5 Agrikulturdistrikten ein, z . B . in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7 auf +8 sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. u. s. w. Es war dieß Folge des +übergewöhnlichen Abflusses der agrikolen Uebervölkerung, verursacht +durch Kriegsnachfrage, massenhafte Ausdehnung der Eisenbahnbauten, +Fabriken, Bergwerke etc. Je niedriger der Arbeitslohn, desto höher drückt +sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben in Procentzahlen aus. +Ist der Wochenlohn z.B. 20 sh. und steigt er auf 22, so um 10 %; ist er dage- +gen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um 28% %, was sehr erklecklich klingt. J e - +denfalls heulten die Pächter und schwatzte sogar der „London Economist" +ganz ernsthaft von „a general and substantial advance" 8 4) mit Bezug auf +15 diese Hungerlöhne. Was thaten nun die Pächter? Warteten sie, bis die +Landarbeiter sich in Folge dieser brillanten Zahlung so vermehrt hatten, +daß ihr Lohn wieder fallen mußte, wie die Sache sich im dogmatisch öko- +nomischen Hirn zuträgt? Sie führten mehr Maschinerie ein, und im Um- +sehn waren die Arbeiter wieder „überzählig" in einem selbst den Pächtern +20 genügenden Verhältniß. Es war jetzt „mehr Kapital" in der Agrikultur an- +gelegt als vorher und in einer produktiveren Form. Damit fiel die Nach- +frage nach Arbeit nicht nur relativ, sondern absolut. + +Jene ökonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die allge- +meine Bewegung des Arbeitslohns oder das Verhältniß zwischen Arbeiter- +25 klasse, d. h. Gesammtarbeitskraft und gesellschaftlichem Gesammtkapital +regeln, mit den Gesetzen, welche die Arbeiterbevölkerung unter die be- +sondren Produktionssphären vertheilen. Wenn z.B. in Folge günstiger Kon- +junktur die Akkumulation in einer bestimmten Produktionssphäre beson- +lebhaft, die Profite hier größer als die Durchschnittsprofite, +ders +30 Zuschußkapital dahin drängt, so steigt natürlich Arbeitsnachfrage und Ar- +beitslohn. Der höhere Arbeitslohn zieht einen größeren Theil der Arbeiter- +bevölkerung in die begünstigte Sphäre, bis sie mit Arbeitskraft gesättigt ist, +und der Lohn auf die Dauer wieder auf sein früheres Durchschnittsniveau +oder unter dasselbe fällt, falls der Zudrang zu groß war. Dann hört nicht +35 nur die Einwanderung ||604| von Arbeitern in den fraglichen Geschäfts- +zweig auf, sie macht sogar ihrer Auswanderung Platz. Hier glaubt der poli- +tische Oekonom zu sehn, „wo und wie", mit Zunahme des Lohns eine ab- +solute Zunahme von Arbeitern, und mit der absoluten Zunahme der +Arbeiter eine Abnahme des Lohns, aber er sieht in der That nur die lokale +40 Oscillation des Arbeitsmarkts einer besondren Produktionssphäre, er sieht + +8 4 ) Economist, Jan. 21, 1860. + +573 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +nur Phänomene der Vertheilung der Arbeiterbevölkerung in die verschied- +nen Anlagssphären des Kapitals, je nach seinen wechselnden Bedürfnissen. +Die industrielle Reservearmee drückt während der Perioden der Stagna- +tion und mittleren Prosperität auf die aktive Arbeiterarmee und hält ihre +Ansprüche während der Periode der Ueberproduktion und des Paroxysmus +im Zaum. Die relative Uebervölkerung ist also der Hintergrund, worauf das +Gesetz der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt. Sie zwängt den +Spielraum dieses Gesetzes in die der Exploitationsgier und Herrschsucht +des Kapitals absolut zusagenden Schranken ein. Es ist hier der Ort auf eine +der Großthaten der ökonomischen Apologetik zurückzukommen. Man er- 10 +innert sich, daß wenn durch Einführung neuer oder Ausdehnung alter Ma- +schinerie ein Stück variables Kapital in konstantes verwandelt wird, der +ökonomische Apologet diese Operation, welche Kapital „bindet" und eben +dadurch Arbeiter „freisetzt", umgekehrt so deutet, daß sie Kapital für den +Arbeiter freisetzt. Erst jetzt kann man die Unverschämtheit des Apologeten 15 +vollständig würdigen. Was freigesetzt wird, sind nicht nur die unmittelbar +durch die Maschine verdrängten Arbeiter, sondern ebenso ihre Ersatz- +mannschaft und das, bei gewohnter Ausdehnung des Geschäfts auf seiner +alten Basis, regelmäßig absorbirte Zuschußkontingent. Sie sind jetzt alle +„freigesetzt", und jedes neue funktionslustige Kapital kann über sie verfü- 20 +gen. Ob es sie oder andre attrahirt, die Wirkung auf die allgemeine Arbeits- +nachfrage wird Null sein, so lange dieß Kapital gerade hinreicht, um den +Markt von ebensoviel Arbeitern zu befreien, als die Maschinen auf ihn +geworfen. Beschäftigt es eine geringere Zahl, so wächst die Menge der +Ueberzähligen; beschäftigt es eine größere, so wächst die allgemeine 25 +Arbeitsnachfrage nur um den Ueberschuß der Beschäftigten über die „Frei- +gesetzten". Der Aufschwung, den anlagesuchende Zusatzkapitale sonst der +allgemeinen Arbeitsnachfrage gegeben hätten, ist also in jedem Fall inso- +weit neutralisirt, wie die von der Maschine aufs Pflaster geworfnen Arbeiter +reichen. D.h. also, der Mechanis||605|mus der kapitalistischen Produktion 30 +sorgt dafür, daß der absolute Zuwachs von Kapital von keiner entsprechen- +den Steigerung der allgemeinen Arbeitsnachfrage begleitet ist. Und dieß +nennt der Apologet eine Kompensation für das Elend, die Leiden und den +möglichen Untergang der deplacirten Arbeiter während der Uebergangspe- +riode, welche sie in die industrielle Reservearmee bannt! Die Nachfrage 35 +nach Arbeit ist nicht identisch mit Wachsthum des Kapitals, die Zufuhr +der Arbeit nicht mit dem Wachsthum der Arbeiterklasse, so daß zwei von +einander unabhängige Potenzen auf einander einwirkten. Les dés sont pi- +pés. Das Kapital agirt auf beiden Seiten zugleich. Wenn seine Akkumula- +tion einerseits die Nachfrage nach Arbeit vermehrt, vermehrt sie andrer- 40 +seits die Zufuhr von Arbeitern durch deren „Freisetzung", während + +574 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +zugleich der Druck der Unbeschäftigten die Beschäftigten zur Flüssigma- +chung von mehr Arbeit zwingt, also in gewissem Grad die Arbeitszufuhr +von der Zufuhr von Arbeitern unabhängig macht. Die Bewegung des Ge- +setzes der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit auf dieser Basis vollendet die +5 Despotie des Kapitals. Sobald daher die Arbeiter hinter das Geheimniß +kommen, wie es angeht, daß im selben Maß, wie sie mehr arbeiten, mehr +fremden Reichthum produciren, und die Produktivkraft +ihrer Arbeit +wächst, sogar ihre Funktion als Verwerthungsmittel des Kapitals immer +prekärer für sie wird; sobald sie entdecken, daß der Intensitätsgrad der +10 Konkurrenz unter ihnen selbst ganz und gar von dem Druck der relativen +Uebervölkerung abhängt; sobald sie daher durch Trades' Unions u. s. w. +eine planmäßige Zusammenwirkung zwischen den Beschäftigten und Un- +beschäftigten zu organisiren suchen, um die ruinirenden Folgen jenes Na- +turgesetzes der kapitalistischen Produktion auf ihre Klasse zu brechen oder +15 zu schwächen, zetert das Kapital und sein Sykophant, der politische Oeko- +nom, über Verletzung des „ewigen" und so zu sagen „heiligen" Gesetzes +der Nachfrage und Zufuhr. Jeder Zusammenhalt zwischen den Beschäftig- +ten und Unbeschäftigten stört nämlich das „reine" Spiel jenes Gesetzes. +Sobald andrerseits, in den Kolonien z.B., widrige Umstände die Schöpfung +20 der industriellen Reservearmee und mit ihr die absolute Abhängigkeit der +Arbeiterklasse von der Kapitalistenklasse verhindern, rebellirt das Kapital, +sammt seinem gemeinplätzlichen Sancho Pansa, gegen das „heilige" Ge- +setz der Nachfrage und Zufuhr und sucht ihm durch Zwangsmittel unter +die Arme zu greifen. | + +25 + +16061 4. Verschiedne Existenzformen der relativen Uebervölkerung. +Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. + +Die relative Uebervölkerung existirt in allen möglichen Schattirungen. J e - +der Arbeiter gehört ihr an während der Zeit, wo er halb oder gar nicht be- +schäftigt ist. Abgesehn von den großen, periodisch wiederkehrenden For- +30 men, welche der Phasenwechsel des industriellen Cyklus ihr aufprägt, so +daß sie bald akut in den Krisen erscheint, bald chronisch in den Zeiten +flauen Geschäfts, besitzt sie fortwährend drei Formen: flüssige, latente und +stockende. + +35 + +In den Centren der modernen Industrie - Fabriken, Manufakturen, Hüt- +ten und Bergwerken u.s.w. - werden Arbeiter bald repellirt, bald in größe- +rem Umfang wieder attrahirt, so daß im Großen und Ganzen die Zahl der +Beschäftigten zunimmt, wenn auch in stets abnehmendem Verhältniß zur +Produktionsleiter. Die Uebervölkerung existirt hier in fließender Form. + +575 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Sowohl in den eigentlichen Fabriken wie in allen großen Werkstätten, +wo Maschinerie als Faktor eingeht oder auch nur die moderne Theilung +der Arbeit durchgeführt ist, braucht man massenhaft männliche Arbeiter +bis zur Zurücklegung des Jugendalters. Dieser Termin einmal erreicht, +bleibt nur eine sehr geringe Anzahl in denselben Geschäftszweigen ver- +wendbar, während die Mehrzahl regelmäßig entlassen wird. Sie bildet ein +Element der fließenden Uebervölkerung, das mit dem Umfang der Indu- +strie wächst. Ein Theil davon wandert aus und reist in der That nur dem +auswandernden Kapital nach. Eine der Folgen ist, daß die weibliche Bevöl- +kerung rascher wächst als die männliche, teste England. Daß der natürliche +Zuwachs der Arbeitermasse die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals +nicht sättigt und sie dennoch zugleich überschreitet, ist ein Widerspruch +seiner Bewegung selbst. Es braucht größere Massen Arbeiter im früheren +Alter, geringere im männlichen. Der Widerspruch ist nicht schreiender als +der andre, daß über Mangel an Händen geklagt wird zur selben Zeit, wo +viele Tausende auf dem Pflaster liegen, weil die Theilung der Arbeit sie an +einen bestimmten Geschäftszweig kettet 8 5). Der Konsum der Arbeitskraft +durch das Kapital ist ||607| zudem so rasch, daß der Arbeiter von mittlerem +Alter sich meist schon mehr oder minder überlebt hat. Er fällt in die Rei- +hen der Ueberzähligen, oder wird von einer höheren auf eine niedrigere +Staffel hinabgedrängt. Gerade bei den Arbeitern der großen Industrie sto- +ßen wir auf die kürzeste Lebensdauer. „Dr. Leigh, der Gesundheitsbeamte +von Manchester, hat festgestellt, daß in jener Stadt die mittlere Lebens- +dauer der wohlhabenden Klasse 38, die der Arbeiterklasse nur 17 Jahre ist. +In Liverpool beträgt sie 35 Jahre für die erstere, 15 für die zweite. Es folgt +also, daß die privilegirte Klasse eine Anweisung aufs Leben hat (have a +lease of life) mehr als doppelt so groß als die ihrer weniger begünstigten +Mitbürger" 8 5 a). Unter diesen Umständen erheischt das absolute Wachs- +thum dieser Fraktion des Proletariats eine Form, welche ihre Zahl schwellt, +obgleich ihre Elemente sich schnell abnutzen. Also rasche Ablösung der +Arbeitergenerationen. (Dasselbe Gesetz gilt nicht für die übrigen Klassen +der Bevölkerung.) Dieß gesellschaftliche Bedürfniß wird befriedigt durch +frühe Ehen, nothwendige Folge der Verhältnisse, worin die Arbeiter der +großen Industrie leben, und durch die Prämie, welche die Exploitation der +Arbeiterkinder auf ihre Produktion setzt. + +8 5 ) Während im letzten Halbjahr von 1866 80-90 000 Arbeiter in London außer Arbeit gewor- +fen wurden, heißt es im Fabrikbericht über dasselbe Halbjahr: "It does not appear absolutely +true to say that demand will always produce supply just at the moment when it is needed. It +has not done so with labour, for much machinery has been idle last year for want of hands." +(„Report of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1866", p. 81.) +8 5 a ) Eröffnungsrede der sanitären Konferenz, Birmingham 15. Jan. 1875, von J. Chamberlain, +damals Mayor der Stadt, jetzt (1883) Handelsminister. + +576 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +Sobald sich die kapitalistische Produktion der Agrikultur, oder im Grad, +worin sie sich derselben bemächtigt hat, nimmt mit der Akkumulation des +hier funktionirenden Kapitals die Nachfrage für die ländliche Arbeiterbe- +völkerung absolut ab, ohne daß ihre Repulsion, wie in der nicht agrikolen +Industrie, durch größere Attraktion ergänzt wäre. Ein Theil der Landbevöl- +kerung befindet sich daher fortwährend auf dem Sprung, in städtisches +oder Manufakturproletariat überzugehn, und in der Lauer auf dieser Ver- +wandlung günstige Umstände. (Manufaktur hier im Sinn aller nichtagriko- +len Industrie) 8 6). Diese Quelle der relativen Ueber||608|völkerung fließt +10 also beständig. Aber ihr beständiger Fluß nach den Städten setzt auf dem +Lande selbst eine fortwährend latente Uebervölkerung voraus, deren Um- +fang nur sichtbar wird, sobald sich die Abzugskanäle ausnahmsweise weit +öffnen. Der Landarbeiter wird daher auf das Minimum des Salairs herabge- +drückt und steht mit einem Fuß stets im Sumpf des Pauperismus. + +15 + +Die dritte Kategorie der relativen Uebervölkerung, die stockende, bildet +einen Theil der aktiven Arbeiterarmee, aber mit durchaus unregelmäßiger +Beschäftigung. Sie bietet so dem Kapital einen unerschöpflichen Behälter +disponibler Arbeitskraft. Ihre Lebenslage sinkt unter das durchschnittliche +Normalniveau der arbeitenden Klasse und grade dieß macht sie zur breiten +20 Grundlage eigner Exploitationszweige des Kapitals. Maximum der Arbeits- +zeit und Minimum des Salairs charakterisiren sie. Wir haben unter der Ru- +brik der Hausarbeit ihre Hauptgestalt bereits kennen gelernt. Sie rekrutirt +sich fortwährend aus den Ueberzähligen der großen Industrie und Agrikul- +tur, und namentlich auch aus untergehenden Industriezweigen, wo der +25 Handwerksbetrieb dem M anufakturb e trieb, letztrer dem Maschinenbetrieb +erliegt. Ihr Umfang dehnt sich, wie mit Umfang und Energie der Akkumu- +lation die „Ueberzähligmachung" fortschreitet. Aber sie bildet zugleich ein +sich selbst reproducirendes und verewigendes Element der Arbeiterklasse, +das verhältnißmäßig größeren Antheil am Gesammtwachsthum derselben +30 nimmt als die übrigen Elemente. In der That steht nicht nur die Masse der +Geburten und Todesfälle, sondern die absolute Größe der Familien in um- +gekehrtem Verhältniß zur Höhe des Arbeitslohns, also zur Masse der Le- +bensmittel, worüber die verschiednen Arbeiterkategorien verfügen. Dieß + +8 6 ) „781 Städte" sind aufgezählt im Census von 1861 für England und Wales „mit 10 960 998 +35 Einwohnern, während die Dörfer und Landkirchspiele nur 9105 226 zählen ... Im Jahr 1851 +figurirten 580 Städte im Census, deren Bevölkerung ungefähr gleich der Bevölkerung der sie +umgebenden Landdistrikte war. Während aber in den letzteren die Bevölkerung während der +folgenden 10 Jahre nur um eine halbe Million wuchs, wuchs sie in den 580 Städten um +1554 067. Der Bevölkerungszuwachs in den Landkirchspielen ist 6,5 %, in den Städten 17,3 %. +40 Der Unterschied in der Rate des Wachsthums ist der Wanderung vom Land in die Stadt ge- +schuldet. Drei Viertel des Gesammtwachsthums der Bevölkerung gehört den Städten." (,,Cen- +sus etc.", v.III, p . l l , 12.) + +577 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Gesetz der kapitalistischen Gesellschaft klänge unsinnig unter Wilden, +oder selbst civilisirten Kolonisten. Es erinnert an die massenhafte Repro- +duktion individuell schwacher und vielgehetzter Thierarten 8 7). + +5 + +Der tiefste Niederschlag der relativen Uebervölkerung endlich ||609| be- +haust die Sphäre des Pauperismus. Abgesehn von Vagabunden, Verbre- +ehern, Prostituirten, kurz dem eigentlichen Lumpenproletariat, besteht +diese Gesellschaftsschichte aus drei Kategorien. Erstens Arbeitsfähige. +Man braucht die Statistik des englischen Pauperismus nur oberflächlich +anzusehn, und man findet, daß seine Masse mit jeder Krise schwillt und +mit jeder Wiederbelebung des Geschäfts abnimmt. Zweitens: Waisen- und 10 +Pauperkinder. Sie sind Kandidaten der industriellen Reservearmee und +werden in Zeiten großen Aufschwungs, wie 1860 z . B . , rasch und massen- +haft in die aktive Arbeiterarmee einrollirt. Drittens: Verkommene, Ver- +lumpte, Arbeitsunfähige. Es sind namentlich Individuen, die an ihrer +durch die Theilung der Arbeit verursachten Unbeweglichkeit untergehn, 15 +solche, die über das Normalalter eines Arbeiters hinausleben, endlich die +Opfer der Industrie, deren Zahl mit gefährlicher Maschinerie, Bergwerks- +bau, chemischen Fabriken etc. wächst, Verstümmelte, Verkrankte, Witt- +wen etc. Der Pauperismus bildet das Invalidenhaus der aktiven Arbeiterar- +mee und das todte Gewicht der industriellen Reservearmee. Seine 20 +Produktion ist eingeschlossen in der Produktion der relativen Uebervölke- +rung, seine Nothwendigkeit in ihrer Nothwendigkeit, mit ihr bildet er eine +Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion und Entwicklung des +Reichthums. Er gehört zu den faux frais der kapitalistischen Produktion, +die das Kapital jedoch großentheils von sich selbst ab auf die Schultern der 25 +Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse zu wälzen weiß. + +Je größer der gesellschaftliche Reichthum, das funktionirende Kapital, +Umfang und Energie seines Wachsthums, also auch die absolute Größe +des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die indu- +strielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ur- 30 +Sachen entwickelt, wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnißmä- +ßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen +des Reichthums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältniß zur akti- +ven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidirte Uebervölkerung, + +8 7 ) "Poverty seems favourable to generation." (A. Smith.) Dieß ist sogar eine besonders weise 35 +Einrichtung Gottes nach dem galanten und geistreichen Abbé Galiani: «Iddio fa che gli uo- +mini che esercitano mestieri di prima utilità nascono abbondantemente.» (Galiani I.e. p.78.) +"Misery, up to the extreme point of famine and pestilence, instead of checking, tends to in- +crease population." (S. Laing: „National Distress. 1844", p. 69.) Nachdem Laing dieß stati- +stisch illustrirt, fährt er fort: „Befände sich alle Welt in bequemen Umständen, so wäre die 40 +Welt bald entvölkert," ("If the people were all in easy circumstances, the world would soon be +depopulated.") + +578 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +10 + +deren Elend im umgekehrten Verhältniß zu ihrer Arbeitsqual steht. Je grö- +ßer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle R e - +servearmee, desto größer der officielle Pauperismus. Dieß ist das absolute, +allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen and- +ren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände mo- +difient, deren Analyse nicht hierher gehört. | + +|610| Man begreift die Narrheit der ökonomischen Weisheit, die den Ar- +beitern predigt, ihre Zahl den Verwerthungsbedürfnissen des Kapitals an- +zupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Akkumu- +lation paßt diese Zahl beständig diesen Verwerthungsbedürfnissen an. +Erstes Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Uebervöl- +kerung oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets +wachsender Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das todte Gewicht +des Pauperismus. + +15 + +Das Gesetz, wonach eine immer wachsende Masse von Produktionsmit- +teln, Dank dem Fortschritt in der Produktivität der gesellschaftlichen Ar- +beit, mit einer progressiv abnehmenden Ausgabe von Menschenkraft in Be- +wegung gesetzt werden kann - dieß Gesetz drückt sich auf kapitalistischer +Grundlage, wo nicht der Arbeiter die Arbeitsmittel, sondern die Arbeits- +20 mittel den Arbeiter anwenden, darin aus, daß, je höher die Produktivkraft +der Arbeit, desto größer der Druck der Arbeiter auf ihre Beschäftigungsmit- +tel, desto prekärer also ihre Existenzbedingung: Verkauf der eignen Kraft +zur Vermehrung des fremden Reichthums oder zur Selbstverwerthung des +Kapitals. Rascheres Wachsthum der Produktionsmittel und der Produktivi- +tat der Arbeit als der produktiven Bevölkerung drückt sich kapitalistisch +also umgekehrt darin aus, daß die Arbeiterbevölkerung stets rascher wächst +als das Verwerthungsbedürfniß des Kapitals. + +25 + +30 + +Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen +Mehrwerths: innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle Me- +thoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf +Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Pro- +duktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Pro- +ducenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Theilmenschen, entwürdi- +gen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner +35 Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitspro- +cesses, im selben Maße, worin letzterem die Wissenschaft als selbständige +Potenz einverleibt wird; sie verunstalten die Bedingungen, innerhalb deren +er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeitsprocesses der kleinlichst +gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit, schleu- +40 dem sein Weib und Kind unter das Juggernautrad des Kapitals. Aber alle +Methoden zur Produktion des Mehrwerths sind zugleich Methoden der Ak- + +579 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +kumulation und jede Ausdehnung der Akkumulation wird umgekehrt Mit- +tel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie | +|611| Kapital akkumulirt, die Lage des Arbeiters, welches immer seine +Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, +welches die relative Uebervölkerung oder industrielle Reservearmee stets +mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmie- +det den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des +Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital +entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reich- +thum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Ar- 10 +beitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisirung und moralischer Degra- +dation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt +als Kapital producirt. + +5 + +Dieser antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation 8 8) +ist in verschiednen Formen von politischen Oekonomen ausgesprochen, 15 +obgleich sie zum Theil zwar analoge, aber dennoch wesentlich verschie- +dene Erscheinungen vorkapitalistischer Produktionsweisen damit zusam- +menwerfen. + +Der venetianische Mönch Ortes, einer der großen ökonomischen Schrift- +steller des 18. Jahrhunderts, faßt den Antagonismus der kapitalistischen 20 +Produktion als allgemeines Naturgesetz des gesellschaftlichen Reichthums. +„Das ökonomisch Gute und ökonomisch Böse halten sich in einer Nation +stets das Gleichgewicht (il bene ed il male economico in una nazione sem- +pre all' istessa misura), die Fülle der Güter für Einige ist immer gleich dem +Mangel derselben für Andre (la copia dei beni in alcuni sempre eguale alla 25 +mancanza di essi in altri). Großer Reichthum von Einigen ist stets beglei- +tet von absoluter Beraubung des Nothwendigen bei viel mehr andren. Der +Reichthum einer Nation entspricht ihrer Bevölkerung, und ihr Elend ent- +spricht ihrem Reichthum. Die Arbeitsamkeit in Einigen erzwingt den Mü- +ßiggang in Andren. Die Armen und Müßigen sind eine nothwendige 30 +Frucht der Reichen und Thätigen" u.s.w. 8 9). In ganz grober Weise verherr- +lichte ||612| ungefähr 10 Jahre nach Ortes der hochkirchliche protestanti- + +8 8 ) «De jour en jour il devient donc plus clair que les rapports.de production dans lesquels se +meut la bourgeoisie n'ont pas un caractère un, un caractère simple, mais un caractère de du- +plicité; que dans les mêmes rapports dans lesquels se produit la richesse, la misère se produit 35 +aussi; que dans les mêmes rapports dans lesquels il y a développement des forces productives, +il y a une force productive de répression; que ces rapports ne produisent la richesse bour- +geoise, c'est à dire la richesse de la classe bourgeoise, qu'en anéantissant continuellement la +richesse des membres intégrants de cette classe et en produisant un prolétariat toujours crois- +sant.» (Karl Marx: ,,Misère de la Philosophie", p. 116.) +8 9 ) G. Ortes: „Deila Economia Nazionale libri sei 1774", bei Custodi. Parte Moderna, t. XXI, +p.6, 8, 9, 2 3 - 2 5 . Ortes sagt I.e. p.32: «In luogo di progettar sistemi inutili per la felicità de' +popoli, mi limiterò a investigare la ragione della loro infelicità.» + +40 + +580 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +sehe Pfaffe Townsend die Armuth als nothwendige Bedingung des Reich- +thums. „Gesetzlicher Zwang zur Arbeit ist verbunden mit zu viel Mühe, +Gewaltsamkeit und Geräusch, während der Hunger nicht nur ein friedli- +cher, schweigsamer, unaufhörlicher Druck, sondern als natürlichstes Motiv +zur Industrie und Arbeit die machtvollste Anstrengung hervorruft." Alles +kommt also darauf an, den Hunger unter der Arbeiterklasse permanent zu +machen, und dafür sorgt, nach Townsend, das Bevölkerungsprineip, das be- +sonders unter den Armen thätig ist. „Es scheint ein Naturgesetz, daß die +Armen zu einem gewissen Grad leichtsinnig (improvident) sind (nämlich +10 so leichtsinnig auf die Welt zu kommen ohne goldne Löffel im Mund), so +daß stets welche da sind (that there always may be some) zur Erfüllung der +servilsten, schmutzigsten und gemeinsten Funktionen des Gemeinwesens. +Der Fonds von menschlichem Glück (the fund of human happiness) wird +dadurch sehr vermehrt, die Delikateren (the more delicate) sind von der +15 Plackerei befreit und können höherem Beruf u.s.w. ungestört nachgehn. ... +Das Armengesetz hat die Tendenz, die Harmonie und Schönheit, die Sym- +metrie und Ordnung dieses Systems, welches Gott und die Natur in der +Welt errichtet haben, zu zerstören" 9 0). Fand der venetianische Mönch in +dem Schicksalsschluß, der das Elend verewigt, die Existenzberechtigung +20 der christlichen Wohlthätigkeit, des Cölibats, der Klöster und frommen +Stiftungen, so findet im Gegentheil der protestantische Pfründner darin +den Vorwand, die Gesetze zu verdammen, kraft deren der Arme ein Recht +auf kärgliche öffentliche Unterstützung besaß. - „Der Fortschritt des ge- +sellschaftlichen Reichthums", sagt Storch, „erzeugt jene nützliche +| +|613| Klasse der Gesellschaft ... welche die langweiligsten, gemeinsten und +ekelhaftesten Beschäftigungen ausübt, in einem Wort alles, was das Leben +unangenehmes und knechtendes hat, auf ihre Schultern nimmt und eben +dadurch den andren Klassen die Zeit, die Heiterkeit des Geistes und die +konventionelle (c'est bon!) Charakterwürde verschafft e t c . " 9 1 ) . Storch fragt +sich, welches denn eigentlich der Vorzug dieser kapitalistischen Civilisa- + +25 + +30 + +9 0 ) „A Dissertation on the Poor Laws. By a Wellwisher of Mankind, (The Rev. Mr. J. Town- +send.) 1786", republished Lond. 1817, p. 15, 39, 41. Dieser „delikate" Pfaffe, dessen eben an- +geführte Schrift, nebst seiner Reise durch Spanien, Malthus oft Seiten lang abschreibt, ent- +lehnte den größten Theil seiner Doktrin aus Sir J.Steuart, den er jedoch verdreht. Z.B. wenn +35 Steuart sagt: „Hier, in der Sklaverei, existirte eine gewaltsame Methode die Menschheit ar- +beitsam (für die Nichtarb eiter) zu machen ... Die Menschen wurden damals zur Arbeit (d. h. +zur Gratisarbeit für Andere) gezwungen, weil sie Sklaven von andren waren; die Menschen +sind jetzt zur Arbeit (d.h. zur Gratisarbeit für Nichtarbeiter) gezwungen, weil sie die Sklaven +ihrer eignen Bedürfnisse sind", so schließt er deßwegen nicht, wie der fette Pfründner, daß - +40 die Lohnarbeiter stets am Hungertuch nagen sollen. Er will umgekehrt ihre Bedürfnisse ver- +mehren und die wachsende Zahl ihrer Bedürfnisse zugleich zum Sporn ihrer Arbeit für „die +Delikateren" machen. +9 1 ) Storch 1.c. t i l i , p.223. + +581 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +tion mit ihrem Elend und ihrer Degradation der Massen vor der Barbarei? +Er findet nur eine Antwort - die Sicherheit! - „Durch den Fortschritt der +Industrie und Wissenschaft", sagt Sismondi, „kann jeder Arbeiter jeden +Tag viel mehr produciren als er zu seinem Konsum braucht. Aber zu glei- +cher Zeit, während seine Arbeit den Reichthum producirt, würde der +Reichthum, wäre er berufen, ihn selbst zu konsumiren, ihn wenig geeignet +zur Arbeit machen." Nach ihm „würden die Menschen (d.h. die Nichtar- +beiter) wahrscheinlich auf alle Vervollkommnungen der Künste verzichten, +wie auf alle Genüsse, die die Industrie uns verschafft, müßten sie diese +durch anhaltende Arbeit, wie die des Arbeiters, erkaufen.... Die Anstren- 10 +gungen sind heute geschieden von ihrer Belohnung; es ist nicht derselbe +Mensch, der erst arbeitet und sich dann ausruht: im Gegentheil, eben weil +der Eine arbeitet, muß der Andre sich ausruhn.... Die endlose Vervielfälti- +gung der Produktivität der Arbeit kann also kein andres Resultat haben als +die Zunahme des Luxus und der Genüsse der müßigen R e i c h e n " 9 2 ) . - Des- 15 +tutt de Tracy endlich, der fischblütige Bourgeoisdoktrinär, spricht es brutal +aus: „Die armen Nationen sind die, wo das Volk gut dran ist, und die rei- +chen Nationen sind die, wo es gewöhnlich arm i s t " 9 3 ) . + +5 + +5. Illustration des allgemeinen Gesetzes + +der kapitalistischen Akkumulation. + +20 + +a) England von 1 8 4 6 - 1 8 6 6 . + +Keine Periode der modernen Gesellschaft ist so günstig für das Studium +der kapitalistischen Akkumulation als die Periode der letztverflossenen +20 Jahre. Es ist, als ob sie den Fortunatussäckel gefunden hätte. Von allen +Ländern aber bietet England wieder das klassische Beispiel, weil es den er- 25 +sten Rang auf dem Welt||614|markt behauptet, die kapitalistische Produk- +tionsweise hier allein völlig entwickelt ist, und endlich die Einführung des +tausendjährigen Reichs des Freihandels seit 1846 der Vulgärökonomie den +letzten Schlupfwinkel abgeschnitten hat. Der titanische Fortschritt der Pro- +duktion, so daß die letzte Hälfte der zwanzigjährigen Periode die erste wie- 30 +der weit überflügelt, ward bereits im vierten Abschnitt hinreichend ange- +deutet. + +Obgleich das absolute Wachsthum der englischen Bevölkerung im letz- +ten halben Jahrhundert sehr groß war, fiel das verhältnißmäßige Wachs- + +9 2 ) Sismondi I.e. t.I, p.79, 80, 85. +9 3 ) Destutt de Tracy I.e. p.231: «Les nations pauvres, c'est là où le peuple est à son aise; et les +nations riches, c'est là où il est ordinairement pauvre. » + +35 + +582 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +thum oder die Rate des Zuwachses fortwährend, wie folgende dem officiel- +len Census entlehnte Tabelle zeigt: + +Jährlicher procentmäßiger Zuwachs der Bevölkerung + +von England und Wales + +in Decimalzahlen. + +1 8 1 1 -•1821 +1 8 2 1 -•1831 +1 8 3 1 -•1841 +1 8 4 1 -•1851 +1 8 5 1 -•1861 + +1,533 % +1,446 % +1,326% +1,216% +1,141 %. + +10 + +Betrachten wir nun andrerseits das Wachsthum des Reichthums. Den si- +chersten Anhaltspunkt bietet hier die Bewegung der der Einkommensteuer +unterworfenen Profite, Grundrenten u.s.w. Der Zuwachs der steuerpflichti- +gen Profite (Pächter und einige andre Rubriken nicht eingeschlossen) be- +trug für Großbritannien von 1853 bis 1864 50,47 % (oder 4,58% im jährli- +15 chen Durchschnitt) 9 4), der der Bevölkerung während derselben Periode +ungefähr 12 %. Die Zunahme der besteuerbaren Renten von Land (Häuser, +Eisenbahnen, Minen, Fischereien u.s.w. eingeschlossen) betrug von 1853 +bis 1864 38 %, oder 35/u% jährlich, woran folgende Rubriken den stärksten +Antheil nahmen: + +20 + +Ueberschuß +des +von 1864 über 1853. + +j ährlichen Einkommens Jahr, + +Zunahme per + +Von Häusern: + +55 + +Steinbrüchen: + +55 Minen: + +55 + +55 + +55 + +55 + +Eisenhütten: +Fischereien: +Gaswerken: +Eisenbahnen: + +38,60% +84,76% +68,85% +39,92 % +57,37% +126,02 % +83,29% + +3,50% +7,70% +6,26 % +3,63 % +5,21% +11,45% + +7,57% 9 5) + +30 + +35 + +|615| Vergleicht man je vier Jahre der Periode von 1 8 5 3 - 1 8 6 4 , so wächst +der Zunahmegrad der Einkommen fortwährend. Er ist z . B . für die aus Pro- +fit stammenden von 1 8 5 3 - 1 8 5 7 jährlich 1,73 %, 1 8 5 7 - 1 8 6 1 jährlich 2,74 %, +und 9,30% jährlich für 1 8 6 1 - 1 8 6 4 . Die Gesammtsumme der der Einkom- +mensteuer unterworfenen Einkommen des Vereinigten Königreichs betrug +1856: 307 068 898Pfd. St., 1859: 328 127416Pfd. St., 1862: 3 5 1 7 4 5 2 4 1 Pfd. + +9 4 ) ,,Tenth Report of the Commissioners of H.M.'s Inland Revenue. Lond. 1866", p. 38. +9 5 ) ibidem. + +583 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +S t , 1863: 359142 897 Pfd. S t , 1864: 362 462 279 Pfd. S t , 1865: + +385 530 020Pfd. S t . 9 6 ) . + +5 + +Die Akkumulation des Kapitals war zugleich von seiner Koncentration +und Centralisation begleitet. Obgleich keine officielle Agrikulturstatistik +für England (wohl aber für Irland) existirte, ward sie von 10 Grafschaften +freiwillig geliefert. Sie ergab hier das Resultat, daß von 1851 bis 1861 die +Pachten unter 100 Acres von 3 1 5 8 3 auf 26 567 vermindert, also 5016 mit +größeren Pachten zusammengeschlagen waren 9 7). Von 1815 bis 1825 fiel +kein Mobiliarvermögen über 1 Million Pfd. St. unter die Erbschaftssteuer, +von 1825 bis 1855 dagegen 8, von 1855 bis Juni 1859, d.h. in 4½ Jahren, 10 +4 9 8 ) . Die Centralisation wird man jedoch am besten ersehn aus einer kur- +zen Analyse der Einkommensteuer für Rubrik D (Profite mit Ausschluß +von Pächtern u. s.w.) in den Jahren 1864 und 1865. Ich bemerke vorher, +daß Einkommen aus dieser Quelle bis zu 60 Pfd. St. hinab Income Tax +zahlen. Diese steuerpflichtigen Einkommen betrugen in England, Wales 15 +und Schottland 1864: 95 844222 Pfd. St. und 1865: 105 435 787 Pfd. S t . 9 9 ) , +die Zahl der Besteuerten 1864: 308 416 Personen auf eine Gesammtbevöl- +kerung von 23 8 9 1 0 0 9 , 1865: 332 431 Personen auf ||616| Gesammtbevöl- +kerung von 2 4 1 2 7 003. Ueber die Vertheilung dieser Einkommen in beiden +Jahren folgende Tabelle: +Jahr, endend 5. April 1864. + +Jahr, endend 5. April 1865. + +20 + +Einkommen von Profit + +Personen + +Einkommen von Profit Personen + +Gesammteinkommen: Pfd. St. 95 844222 308 416 +Pfd. St. 57 028 290 22 334 +Davon: +3 619 +Pfd. St. 36415 225 +Davon: +822 +Pfd. St. 22 809 781 +Davon: +91 +Pfd. St. 8 744 762 +Davon: + +Pfd. St. 105 435 787 +Pfd. St. 64 554197 +Pfd. St. 42 535 576 +Pfd. St. 27555313 +Pfd. St. 11077 238 + +332 431 +24075 +4021 +973 +107 + +25 + +Es wurden im Vereinigten Königreich 1855 producirt 6 1 4 5 3 079 Tonnen +Kohlen zum Werth von 16113 267 Pfd. S t , 1864: 92 787 873 Tonnen zum +Werth von 23 197 968 Pfd. S t , 1855: 3 218 154 Tonnen Roheisen zum 30 +Werth von 8 045 385 Pfd. S t , 1864: 4 767 951 Tonnen zum Werth von + +9 6 ) Diese Zahlen sind hinreichend für die Vergleichung, aber, absolut betrachtet, falsch, da +vielleicht 100 Millionen Pfd. St. Einkommen jährlich, „verschwiegen" werden. Die Klage der +Commissioners of Inland Revenue über systematischen Betrug, namentlich von kommerciel- +ler und industrieller Seite, wiederholt sich in jedem ihrer Berichte. So heißt es z.B.: „Eine Ak- 35 +tiengesellschaft gab ihre besteuerbaren Profite auf 6000 Pfd. St. an, der Taxator veranschlagte +sie zu 88 000 Pfd. St., und für diese Summe ward schließlich die Steuer gezahlt. Eine andre +Kompagnie gab 190000 Pfd.St. an, sie ward gezwungen zu gestehn, daß der wirkliche Betrag +250 000 Pfd.St." (ibid. p.42.) +9 7 ) Census etc. I.e. p.29. John Bright's Behauptung, daß 150 Grundherren die Hälfte des eng- 40 +lischen und 12 die Hälfte des schottischen Bodens eignen, ist nicht widerlegt worden. +9 8 ) ,,Fourth Report etc. of Inland Revenue. Lond. 1860", p. 17. +9 9 ) Es sind dieß die Reineinkommen, also nach gewissen gesetzlich gültigen Abzügen. + +584 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +1 1 9 1 9 877Pfd. St. 1854 betrug die Länge der im Vereinigten Königreich im +Betrieb befindlichen Eisenbahnen 8054 Meilen, mit eingezahltem Kapital +von 286 068 794 Pfd. St., 1864 die Meilenlänge 12 789 mit aufgezahltem +Kapital von 425 719 613 Pfd. St. 1854 betrug Gesammtexport und Import +5 des Vereinigten Königreichs 268 2 1 0 1 4 5 Pfd. S t , 1865: 489 993 285. Fol- + +gende Tabelle zeigt die Bewegung des Exports: + +10 + +1847 +1849 +1856 +1860 +1865 +1866 + +58 842 377 Pfd. St. +63 5 9 6 0 2 5 - +115 826 948 » +135 842 817 " +165 862 402 » +188 917 536 " + +î o œ + +20 + +Man begreift nach diesen wenigen Angaben den Triumphschrei des Ge- +neralregistrators des brit. Volks: „Rasch wie die Bevölkerung anwuchs, hat +15 sie nicht Schritt gehalten mit dem Fortschritt der Industrie und des Reich- +thums" 1 0 1 ) . Wenden wir uns jetzt zu den unmittelbaren Agenten dieser In- +dustrie oder den Producenten dieses Reichthums, zur Arbeiterklasse. „Es +ist einer der melancholischsten Charakterzüge im sozialen Zustand des +Landes", sagt Gladstone, ||617| „daß mit einer Abnahme in der Konsum- +tionsmacht des Volks und einer Zunahme in den Entbehrungen und dem +Elend der arbeitenden Klasse, gleichzeitig eine beständige Akkumulation +von Reichthum in den höhern Klassen und ein beständiger Anwachs von +Kapital stattfinden" 1 0 2). So sprach dieser salbungsvolle Minister im Hause +der Gemeinen am 13.Februar 1843. Am 16. April 1863, zwanzig Jahre spä- +ter, in der Rede, worin er sein Budget vorlegt: „Von 1842 bis 1852 wuchs +das besteuerbare Einkommen dieses Landes um 6% ... In den 8 Jahren +von 1853 bis 1861 wuchs es, wenn wir von der Basis von 1853 ausgehn, um +2 0 % . Die Thatsache ist so erstaunlich, daß sie beinahe unglaublich ist ... +Diese berauschende Vermehrung von Reichthum und Macht ... ist ganz +30 und gar auf die besitzenden Klassen beschränkt, aber ... aber, sie muß von + +25 + +1 0°) In diesem Augenblick, März 1867, ist der indisch-chinesische Markt durch die Konsigna- +tionen der britischen Baumwollfabrikanten schon wieder völlig überführt. Lohnherabsetzung +um 5 % begann unter den Baumwollarbeitern 1866, 1867 in Folge ähnlicher Operation Strike +von 20 000 Mann in Preston. (Es war dieß das Vorspiel der Krise, die gleich darauf herein- + +35 brach. - D. H.) + +1 0 1 ) Census etc. 1. c. p. 11. +1 0 2 ) Gladstone im Hause der Gemeinen, 13. Febr. 1843: "It is one of the most melancholy fea- +tures in the social state of this country that we see, beyond the possibility of denial, that while +there is at this moment, a decrease in the consuming powers of the people, an increase of the +40 pressure of privations and distress; there is at the same time a constant accumulation of +wealth in the upper classes, an increase in the luxuriousness of their habits, and of their +means of enjoyment." (Times, 14. Febr. 1843. - Hansard, 13. Febr.) + +585 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +indirektem Vortheil für die Arbeiterbevölkerung sein, weil sie die Artikel +der allgemeinen Konsumtion verwohlfeilert - während die Reichen rei- +cher, sind die Armen jedenfalls weniger arm geworden. Daß die Extreme +der Armuth sich vermindert haben, wage ich nicht zu sagen" 1 0 3). Welch +lahmer Antiklimax! Wenn die Arbeiterklasse „arm" geblieben ist, nur „we- 5 +niger arm" im Verhältniß, worin sie eine „berauschende Vermehrung von +Reichthum und Macht" für die Klasse des Eigenthums producirte, so ist +sie relativ gleich arm geblieben. Wenn die Extreme der Armuth sich nicht +vermindert haben, haben sie sich vermehrt, weil die Extreme des Reich- +thums. Was die Verwohlfeilerung der Lebensmittel betrifft, so zeigt die of- 10 +fîcielle Statistik, z . B . die Angaben des London Orphan Asylum, eine Ver- +theurung von 2 0 % für den Durchschnitt der drei Jahre von 1860 ||618| bis +1862, verglichen mit 1 8 5 1 - 1 8 5 3 . In den folgenden 3 Jahren 1 8 6 3 - 1 8 6 5 +progressive Vertheurung von Fleisch, Butter, Milch, Zucker, Salz, Kohlen +und einer Masse andrer nothwendiger Lebensmittel 1 0 4). Gladstone's fol- 15 +gende Budgetrede, vom 7. April 1864, ist ein pindarischer Dithyrambus auf +den Fortschritt der Plusmacherei und das durch „Armuth" gemäßigte +Glück des Volks. Er spricht von Massen „am Rand des Pauperismus", von +den Geschäftszweigen, „worin der Lohn nicht gestiegen", und faßt schließ- +lich das Glück der Arbeiterklasse zusammen in den Worten: „das mensch- 20 +liehe Leben ist in neun Fällen von zehn ein bloßer Kampf um die Exi- +stenz" 1 0 5 ) . Professor Fawcett, nicht wie Gladstone durch officielle + +1 0 3 ) "From 1842 to 1852 the taxable income of the country increased by 6per cent ... In the +8 years from 1853 to 1861, it had increased from the basis taken in 1853, 20per cent! The fact +is so astonishing as to be almost incredible ... this intoxicating augmentation of wealth and +power ... entirely confined to classes of property ... must be of indirect benefit to the labour- +ing population, because it cheapens the commodities of general consumption—while the rich +have been growing richer the poor have been growing less poor! at any rate, whether the ex- +tremes of poverty are less, I do not presume to say." Gladstone im Η. ο. C. 16. April 1863. +Morning Star, 17. April. +1 0 4 ) Sieh die officiellen Angaben in dem Blaubuch: ,,Miscellaneous Statistics of the Un. King- +dom. Part VL Lond. 1866", p.260(cid:5)273 passim. Statt der Statistik der Waisenanstalten u.s.w. +könnten auch die Deklamationen ministerieller Journale zur Bevorwortung der Aussteuer der +Kinder des königlichen Hauses als Beleg dienen. Die Theurung der Lebensmittel wird nie dar- +in vergessen. +1 0 5 ) "Think ofthose who are on the border of that region (pauperism)", "wages ... in others +not increased ... human life is but, in nine cases out often, a struggle for existence." (Glad- +stone, H.o.C. 7. April 1864.) Die Version bei Hansard lautet: "Again; and yet more at large, +what is human life but, in the majority of cases, a struggle for existence." - Die fortlaufenden, +schreienden Widersprüche in Gladstone's Budgetreden von 1863 und 1864 charakterisirt ein +englischer Schriftsteller durch folgendes Citat aus Boileau: + +30 + +35 + +40 + +«Voilà l'homme en effet. Il va du blanc au noir. +Il condamne au matin ses sentiments du soir. +Importun à tout autre, à soi même incommode, +Il change à tous moments d'esprit comme de mode. » + +(,,The Theory of Exchanges etc. Lond. 1864", p. 135.) + +586 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Rücksicht gebunden, erklärt rund heraus: „Ich läugne natürlich nicht, daß +der Geldlohn mit dieser Vermehrung des Kapitals (in den letzten Decen- +nien) gestiegen ist, aber dieser scheinbare Vortheil geht in großem Umfang +wieder verloren, weil viele Lebensbedürfnisse beständig theurer werden (er +5 glaubt, wegen Werthfall der edlen Metalle) ... Die Reichen werden rasch +reicher (the rich grow rapidly richer), während keine Zunahme im Komfort +der arbeitenden Klassen wahrnehmbar i s t . . . Die Arbeiter werden fast Skla- +ven der Krämer, deren Schuldner sie s i n d " 1 0 6 ) . + +10 + +15 + +In den Abschnitten über den Arbeitstag und die Maschinerie enthüllten +sich die Umstände, unter welchen die britische Arbeiterklasse eine „berau- +schende Vermehrung von Reichthum und Macht" für die besitzenden +Klassen schuf. Jedoch beschäftigte uns damals ||619| vorzugsweise der Ar- +beiter während seiner gesellschaftlichen Funktion. Zur vollen Beleuchtung +der Gesetze der Akkumulation ist auch seine Lage außerhalb der Werkstatt +ins Auge zu fassen, sein Nahrungs- und Wohnungszustand. Die Grenze +dieses Buchs gebietet uns hier vor Allem den schlechtest bezahlten Theil +des industriellen Proletariats und der Ackerbauarbeiter zu berücksichtigen, +d.h. die Majorität der Arbeiterklasse. + +25 + +Vorher noch ein Wort über den officiellen Pauperismus oder den Theil +20 der Arbeiterklasse, der seine Existenzbedingung, Verkauf der Arbeitskraft, +eingebüßt hat und von öffentlichen Almosen vegetirt. Die officielle Pau- +perliste zählte in England 1 0 7) 1855: 851 369 Personen, 1856: 877 767, 1865: +9 7 1 4 3 3 . In Folge der Baumwollnoth schwoll sie in den Jahren 1863 und +1864 zu 1 0 7 9 382 und 1 0 1 4 978. Die Krise von 1866, die London am +schwersten traf, schuf in diesem Sitz des Weltmarkts, einwohnerreicher als +das Königreich Schottland, für 1866 einen Pauperzuwachs von 19,5 %, ver- +glichen mit 1865, und von 24,4 %, verglichen mit 1864, einen noch größren +Zuwachs für die ersten Monate von 1867, verglichen mit 1866. Bei Analyse +der Pauperstatistik sind zwei Punkte hervorzuheben. Einerseits spiegelt die +30 Bewegung im Ab und Zu der Paupermasse die periodischen Wechselfälle +des industriellen Cyklus wieder. Andrerseits trügt die officielle Statistik +mehr und mehr über den wirklichen Umfang des Pauperismus im Grad, +worin mit der Akkumulation des Kapitals der Klassenkampf und daher das +Selbstgefühl der Arbeiter sich entwickeln. Z . B . die Barbarei in der Behand- +lung der Paupers, worüber die englische Presse (Times, Pall Mall Gazette +etc.) während der letzten zwei Jahre so laut schrie, ist alten Datums. F. En- + +35 + +1 0 6 ) H.Fawcett I.e. p.67, 82. Was die wachsende Abhängigkeit der Arbeiter von dem Krämer +betrifft, so ist sie Folge der zunehmenden Schwankungen und Unterbrechungen ihrer Be- +schäftigung. +1 0 7 ) In England ist immer Wales eingeschlossen, in Großbritannien England, Wales und +Schottland, im Vereinigten Königreich jene drei Länder und Irland. + +40 + +587 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +gels konstatirt 1844 ganz dieselben Greuel und ganz dasselbe vorüberge- +hende, scheinheilige zur „Sensationsliteratur" gehörige Gezeter. Aber die +furchtbare Zunahme des Hungertods (,,deaths by starvation") in London, +während des letzten Decenniums, beweist unbedingt den zunehmenden +Abscheu der Arbeiter vor der Sklaverei des Workhouse, 1 0 8) dieser Strafan- +stalt des Elends. | + +5 + +|620| b) Die schlechtbezahlten Schichten +der britischen industriellen Arbeiterklasse. + +Wenden wir uns jetzt zu den schlechtbezahlten Schichten der industriellen +Arbeiterklasse. Während der Baumwollnoth, 1862, wurde Dr. Smith von 10 +Privy Council mit einer Untersuchung über den Nahrungsstand der ver- +kümmerten Baumwollarbeiter in Lancashire und Cheshire beauftragt. +Langjährige frühere Beobachtung hatte ihn zum Resultat geführt, daß „um +Hungerkrankheiten (starvation diseases) zu vermeiden", die tägliche Nah- +rung eines Durchschnitts-Frauenzimmers mindestens 3900 Gran Kohlen- 15 +stoff mit 180 Gran Stickstoff enthalten müsse, die tägliche Nahrung eines +Durchschnitts-Mannes mindestens 4300 Gran Kohlenstoff mit 200 Gran +Stickstoff, für die Frauenzimmer ungefähr so viel Nahrungsstoff als in zwei +Pfund gutem Weizenbrod enthalten ist, für Männer +l/ 9 mehr, für den Wo- +chendurchschnitt von weiblichen und männlichen Erwachsnen mindestens 20 +28 600 Gran Kohlenstoff und 1330 Gran Stickstoff. Seine Berechnung ward +praktisch in überraschender Weise bestätigt durch ihre Uebereinstimmung +mit der kümmerlichen Nahrungsmenge, worauf der Nothstand die Kon- +sumtion der Baumwollarbeiter herabgedrückt hatte. Sie erhielten im De- +cember 1862: 2 9 2 1 1 Gran Kohlenstoff und 1295 Gran Stickstoff wöchent- 25 +lieh. + +Im Jahre 1863 verordnete der Privy Council eine Untersuchung über den +Nothstand des schlechtestgenährten Theils der englischen Arbeiterklasse. +Dr. Simon, der ärztliche Beamte des Privy Council, erkor zu dieser Arbeit +den obenerwähnten Dr. Smith. Seine Untersuchung erstreckt sich auf die 30 +Agrikulturarbeiter einerseits, andrerseits auf Seidenweber, Nähterinnen, +Lederhandschuhmacher, Strumpfwirker, Handschuhweber und Schuster. +Die letzteren Kategorien sind, mit Ausnahme der Strumpfwirker, aus- +schließlich städtisch. Es wurde zur Regel der Untersuchung gemacht, die + +1 0 8 ) Es wirft ein eignes Licht auf den seit A. Smith zurückgelegten Fortschritt, daß ihm das 35 +Wort workhouse gelegentlich noch gleichwerthig mit manufactory. Z.B. Eingang seines Kapi- +tels über Theilung der Arbeit: "those employed in every different branch of the work can often +be collected into the same workhouse." + +588 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +gesundesten und relativ bestgestellten Familien in jeder Kategorie auszu- +wählen. + +Als allgemeines Resultat ergab sich, daß „nur in einer der untersuchten +Klassen der städtischen Arbeiter die Zufuhr von Stickstoff das absolute +5 Minimalmaß, unter welchem Hungerkrankheiten eintreten, ein wenig +überschritt, daß in zwei Klassen Mangel, und zwar in der einen sehr großer +Mangel, an der Zufuhr von sowohl Stickstoff- wie kohlenstoffhaltiger Nah- +rung stattfand, daß von den untersuchten Ackerbaufamilien mehr als ein +Fünftheil weniger als die unentbehrliche Zufuhr von kohlenstoffhaltiger +10 Nahrung erhielt, mehr als % weniger als die unentbehrliche Zufuhr stick- +stoffhaltiger ||621| Nahrung, und daß in drei Grafschaften (Berkshire, Ox- +fordshire und Somersetshire) Mangel an dem Minimum der stickstoffhalti- +gen Nahrung durchschnittlich herrschte" 1 0 9). Unter den Agrikulturarbei- +tern waren die von England, dem reichsten Theile des Vereinigten +15 Königreichs, die schlechtest genährten 1 1 0). Die Unternahrung fiel unter +den Landarbeitern überhaupt hauptsächlich auf Frau und Kinder, denn +„der Mann muß essen, um sein Werk zu verrichten". Noch größerer Man- +gel wüthete unter den untersuchten städtischen Arbeiterkategorien. „Sie +sind so schlecht genährt, daß viele Fälle grausamer und gesundheitsruini- +render Entbehrung („Entsagung" des Kapitalisten alles dieß! nämlich Ent- +sagung auf Zahlung der zur bloßen Vegetation seiner Hände unentbehrli- +chen Lebensmittel!) vorkommen müssen" 1 1 1). + +20 + +Folgende Tabelle zeigt das Verhältniß des Nahrungsstandes der oben er- +wähnten rein städtischen Arbeiterkategorien zu dem von Dr. Smith ange- +25 nommenen Minimalmaß und zum Nahrungsmaß der Baumwollarbeiter + +während der Zeit ihrer größten Noth: + +Beide Geschlechter. + +Wochendurchschnitt Wochendurchschnitt +an Kohlenstoff. + +an Stickstoff. + +Fünf städtische Geschäftszweige +30 Arbeitslose Lancashire Fabrikarbeiter + +28 876 Gran +29211 Gran + +1192 Gran +1295 Gran + +Minimalquantum, vorgeschlagen für die +Lancashire Arbeiter auf gleiche Zahl +männlicher und weiblicher + +28 600 Gran + +1330 Gran 1 1 2) + +Eine Hälfte, 6 % 2 5 , der untersuchten industriellen Arbeiterkategorien er- +35 hielt absolut kein Bier, 28 % keine Milch. Der Wochendurchschnitt der +flüssigen Nahrungsmittel in den Familien schwankte von 7 Unzen bei den +Nähterinnen auf 24¾ Unzen bei Strumpfwirkern. Die Mehrzahl derer, die + +1 0 9 ) „Public Health. Sixth Report etc. for 1863. Lond. 1864", p. 13. +n o ) 1. c. p. 17. +m ) I.e. p.13. +1 1 2 ) I.e. Appendix, p.232. + +40 + +589 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +keine Milch erhielten, bestand aus den Nähterinnen von London. Die +Quantität der wöchentlich konsumirten Brodstoffe wechselte von 1% Pfund +bei den Nähterinnen zu 11¾ Pfund bei den Schustern und ergab einen To- +taldurchschnitt von 9,9 Pfund wöchentlich auf den Erwachsnen. Zucker +(Syrup etc.) wechselte von 4 Unzen wöchentlich für die Lederhandschuh- +macher auf 11 Unzen für Strumpfwirker; der Totaldurchschnitt per Woche +für alle Kategorien, per Erwachsnen, 8 Unzen. Gesammter Wochendurch- +schnitt von Butter (Fett u. s.w.) ||622| 5 Unzen per Erwachsnen. Der Wo- +chendurchschnitt von Fleisch (Speck u. s. w.) schwankte, per Erwachsnen, +von 1% Unzen bei den Seidenwebern auf 18¾ Unzen bei den Lederhand- 10 +Schuhmachern; Gesammtdurchschnitt für die verschiednen Kategorien +13.6 Unzen. Die wöchentliche Kost für Nahrung per Erwachsnen ergab fol- +gende allgemeine Durchschnittszahlen: Seidenweber 2 sh. 2l/2 d., Nähterin- +nen 2 sh. 7 d., Lederhandschuhmacher 2 sh. 9% d., Schuster 2 sh. 1% d., +Strumpfwirker 2 sh. 6% d. Für die Seidenweber von Macclesfield betrug der 15 +Wochendurchschnitt nur 1 sh. 8½ d. Die schlechtestgenährten Kategorien +waren die Nähterinnen, die Seidenweber und die Lederhandschuhma- +cher 1 1 3). + +5 + +Dr. Simon sagt in seinem allgemeinen Gesundheitsbericht über diesen +Nahrungszustand: „Daß die Fälle zahllos sind, worin Nahrungsmangel 20 +Krankheiten erzeugt oder verschärft, wird Jeder bestätigen, der mit medici- +nischer Armenpraxis oder mit den Patienten der Spitäler, seien sie Insas- +sen oder außerhalb wohnend, vertraut ist ... Jedoch kommt hier vom sani- +tären Standpunkt noch ein andrer, sehr entscheidender Umstand hinzu ... +Man muß sich erinnern, daß Beraubung an Nahrungsmitteln nur sehr wi- 25 +derstrebend ertragen wird, und daß in der Regel große Dürftigkeit der Diät +nur im Gefolge andrer, vorhergegangner Entbehrungen nachhinkt. Lange +bevor der Nahrungsmangel hygienisch ins Gewicht fällt, lange bevor der +Physiolog daran denkt, die Grane Stickstoff und Kohlenstoff zu zählen, +zwischen denen Leben und Hungertod schwebt, wird der Haushalt von al- 30 +lem materiellen Komfort ganz und gar entblößt sein. Kleidung und Hei- +zung werden noch dürftiger gewesen sein als die Speise. Kein hinreichen- +der Schutz wider die Härte des Wetters; Abknappung des Wohnraums zu +einem Grad, der Krankheiten erzeugt oder verschärft; kaum eine Spur von +Hausgeräth oder Möbeln; die Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder 35 +schwierig geworden sein. Werden noch aus Selbstachtung Versuche ge- +macht, sie aufrecht zu erhalten, so repräsentirt jeder solcher Versuch zu- +schüssige Hungerpein. Die Häuslichkeit wird dort sein, wo Obdach am +wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren, wo die Gesundheitspolizei die ge- +ringste Frucht trägt, das jämmerlichste Gerinne, wenigster Verkehr, der 40 +1 1 3 ) I.e. p.232, 233. + +590 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +meiste öffentliche Unrath, kümmerlichste oder schlechteste Wasserzufuhr, +und, in Städten, größter Mangel an Licht und Luft. Dieß sind die Gesund- +heitsgefahren, denen die Armuth unvermeidlich ausgesetzt ||623| ist, wenn +diese Armuth Nahrungsmangel einschließt. Wenn die Summe dieser Ue- +5 bei von furchtbarer Größe für das Leben ist, so ist der bloße Nahrungsman- +gel an sich selbst entsetzlich ... Dieß sind qualvolle Gedanken, namentlich +wenn man sich erinnert, daß die Armuth, wovon es sich handelt, nicht die +selbstverschuldete Armuth des Müßiggangs ist. Es ist die Armuth von Ar- +beitern. Ja, mit Bezug auf die städtischen Arbeiter, ist die Arbeit, wodurch +10 der knappe Bissen Nahrung erkauft wird, meist über alles Maß verlängert. +Und dennoch kann man nur in sehr bedingtem Sinn sagen, daß diese Ar- +beit selbsterhaltend ist .... Auf sehr großem Maßstab kann der nominelle +Selbsterhalt nur ein kürzerer oder längerer Umweg zum Pauperismus +s e i n " 1 1 4 ) . + +25 + +15 + +20 + +Der innere Zusammenhang zwischen Hungerpein der fleißigsten Arbei- +terschichten und auf kapitalistischer Akkumulation begründetem, grobem +oder raffinirtem Verschwendungskonsum der Reichen, enthüllt sich nur +mit Kenntniß der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Wohnungszu- +stand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, daß je massenhafter die Centra- +lisation der Produktionsmittel, desto größer die entsprechende Anhäufung +von Arbeitern auf demselben Raum, daß daher, je rascher die kapitalisti- +sche Akkumulation, desto elender der Wohnungszustand der Arbeiter. Die +den Fortschritt des Reichthums begleitende „Verbesserung" (improve- +ments) der Städte durch Niederreißen schlecht gebauter Viertel, Errich- +tung von Palästen für Banken, Waarenhäuser u.s.w., Streckung der Straßen +für Geschäftsverkehr und Luxuskarossen, Einführung von Pferdebahnen +u.s.w. verjagt augenscheinlich die Armen in stets schlechtere und dichter +gefüllte Schlupfwinkel. Andrerseits weiß jeder, daß die Theuerkeit der +Wohnungen im umgekehrten Verhältniß zu ihrer Güte steht und daß die +30 Minen des Elends von Häuserspekulanten mit mehr Profit und weniger +Kosten ausgebeutet werden als jemals die Minen von Potosi. Der antagoni- +stische Charakter der kapitalistischen Akkumulation und daher der kapita- +listischen Eigenthumsverhältnisse überhaupt 1 1 5) wird hier so handgreifbar, +daß selbst die officiellen englischen Berichte über diesen Gegenstand wim- +35 mein von heterodoxen Ausfällen auf das „Eigenthum und seine Rechte". +Das ||624| Uebel hielt solchen Schritt mit der Entwicklung der Industrie, + +1 1 4 ) I.e. p.14, 15. +1 1 5 ) „Nirgendwo sind so offen und so schamlos die Rechte der Person dem Recht des Eigen- +thums geopfert worden, als in den Wohnungsverhältnissen der arbeitenden Klasse. Jede große +40 Stadt ist eine Stätte des Menschenopfers, ein Altar, worauf Tausende jährlich dem Moloch + +der Habsucht geschlachtet werden." (S. Laing 1. c. p. 150.) + +5 9 1 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +der Akkumulation des Kapitals, dem Wachsthum und der „Verschöne- +rung" der Städte, daß die bloße Furcht vor ansteckenden Krankheiten, wel- +che auch der „Ehrbarkeit" nicht schonen, von 1847 bis 1864 nicht weniger +als 10 gesundheitspolizeiliche Parlamentsakte ins Leben rief, und die er- +schreckte Bürgerschaft in einigen Städten wie Liverpool, Glasgow u. s. w. +durch ihre Municipalitäten eingriff. Denoch, ruft Dr. Simon in seinem B e - +richt von 1865: „Allgemein zu sprechen, sind die Uebelstände in England +unkontrolirt." Auf Befehl des Privy Council fand 1864 Untersuchung über +die Wohnungsverhältnisse der Landarbeiter, 1865 über die der ärmeren +Klassen in den Städten statt. Die meisterhaften Arbeiten des Dr. Julian 10 +Hunter findet man im siebenten und achten Bericht über „Public Health". +Auf die Landarbeiter komme ich später. Für den städtischen Wohnungszu- +stand schicke ich eine allgemeine Bemerkung des Dr. Simon voraus: „Ob- +gleich mein officieller Gesichtspunkt", sagt er, „ausschließlich ärztlich ist, +erlaubt die gewöhnlichste Humanität nicht die andre Seite dieses Uebels 15 +zu ignoriren. In seinem höheren Grad bedingt es fast nothwendig eine sol- +che Verläugnung aller Delikatesse, so schmutzige Konfusion von Körpern +und körperlichen Verrichtungen, solche Bloßstellung geschlechtlicher +Nacktheit, die bestial, nicht menschlich sind. Diesen Einflüssen unterwor- +fen zu sein ist eine Erniedrigung, die sich vertieft, je länger sie fortwirkt. 20 +Für die Kinder, die unter diesem Fluch geboren sind, ist er Taufe in Infa- +mie (baptism into infamy). Und über alles Maß hoffnungslos ist der +Wunsch, daß unter solche Umstände gestellte Personen in andren Hinsich- +ten nach jener Atmosphäre der Civilisation aufstreben sollten, deren We- +sen in physischer und moralischer Reinheit besteht" 1 1 6). + +25 + +Den ersten Rang in überfüllten oder auch für menschliche Behausung +absolut unmöglichen Wohnlichkeiten nimmt London ein. „Zwei Punkte", +sagt Dr. Hunter, „sind sicher; erstens gibt es ungefähr 20 große Kolonien in +London, jede ungefähr 10 000 Personen stark, deren elende Lage alles über- +steigt, was jemals anderswo in England gesehen worden ist, und sie ist fast 30 +ganz das Resultat ihrer schlechten Hausakkommodation; zweitens, der +überfüllte und verfallne Zustand der Häuser dieser Kolonien ist viel +schlechter als 20 Jahre zuvor" 1 1 7). „Es ist nicht zu viel zu sagen, ||625| daß +das Leben in vielen Theilen von London und Newcastle höllisch i s t " 1 1 8 ) . + +1 1 6 ) „Public Health. Eighth Report. Lond. 1866", p. 14, Note. +1 1 7 ) 1. c. p. 89. Mit Bezug auf die Kinder in diesen Kolonien sagt Dr. Hunter: „Wir wissen +nicht, wie Kinder vor diesem Zeitalter dichter Agglomeration der Armen aufgebracht worden, +und er wäre ein kühner Prophet, der vorhersagen wollte, welches Betragen zu erwarten von +Kindern, die unter Zuständen ohne Parallele in diesem Land jetzt ihre Erziehung für künftige +Praxis als gefährliche Klassen durchmachen, indem sie die halbe Nacht aufsitzen mit Perso- +nen jeden Alters, trunken, obscön und zanksüchtig." (1. c. p. 56.) +1 1 8 ) L c p.62. + +35 + +40 + +592 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +10 + +Auch der besser gestellte Theil der Arbeiterklasse, zusammt Kleinkrä- +mern und andren Elementen der kleinen Mittelklasse, fällt in London +mehr und mehr unter den Fluch dieser nichtswürdigen Behausungsverhält- +nisse, im Maße, wie die „Verbesserungen" und mit ihnen die Niederrei- +5 ßung alter Straßen und Häuser fortschreiten, wie Fabriken und Menschen- +zustrom in der Metropole wachsen, endlich die Hausmiethen mit der +städtischen Grundrente steigen. „Die Hausmiethen sind so übermäßig ge- +worden, daß wenige Arbeiter mehr als ein Zimmer zahlen können" 1 1 9). Es +giebt fast kein Londoner Hauseigenthum, das nicht mit einer Unzahl von +,,middlemen" belastet wäre. Der Preis des Bodens in London steht nämlich +stets sehr hoch im Vergleich zu seinen jährlichen Einkünften, indem jeder +Käufer darauf spekulirt, ihn früher oder später zu einem Jury Price (durch +Geschworene festgesetzte Taxe bei Expropriationen) wieder loszuschlagen +oder durch Nähe irgend eines großen Unternehmens außerordentliche +15 Wertherhöhung zu erschwindeln. Folge davon ist ein regelmäßiger Handel +im Ankauf von Miethkontrakten, die ihrem Verfall nahen. „Von den Gen- +tlemen in diesem Geschäft kann man erwarten, daß sie handeln, wie sie +handeln, so viel wie möglich aus den Hausbewohnern herausschlagen und +das Haus selbst in so elendem Zustand wie möglich ihren Nachfolgern +20 überlassen" 1 2 0). Die Miethen sind wöchentlich, und die Herren laufen kein +Risico. In Folge der Eisenbahnbauten innerhalb der Stadt „sah man kürz- +lich im Osten Londons eine Anzahl aus ihren alten Wohnungen verjagter +Familien umherwandern eines Samstags Abends mit ihren wenigen weltli- +chen Habseligkeiten auf dem Rücken, ohne irgend einen Haltplatz außer +25 dem Workhouse" m ) . Die Workhouses sind bereits überfüllt und die vom +Parlament bereits bewilligten „Verbesserungen" sind erst im Beginn ihrer | +|626| Ausführung. Werden die Arbeiter verjagt durch Zerstörung ihrer alten +Häuser, so verlassen sie nicht ihr Kirchspiel, oder siedeln sich höchstens +an seiner Grenze, im nächsten fest. „Sie suchen natürlich möglichst in der +30 Nähe ihrer Arbeitslokale zu hausen. Folge, daß an der Stelle von zwei Zim- +mern, eins die Familie aufnehmen muß. Selbst zu erhöhter Miethe wird +die Wohnlichkeit schlechter als die schlechte, woraus man sie verjagt. Die +Hälfte der Arbeiter im Strand braucht bereits zwei Meilen Reise zum Ar- +beitslokal." Dieser Strand, dessen Hauptstraße auf den Fremden einen im- +35 posanten Eindruck vom Reichthum Londons macht, kann als Beispiel der +Londoner Menschenverpackung dienen. In einer Pfarrei desselben zählte +der Gesundheitsbeamte 581 Personen auf den Acre, obgleich die Hälfte +der Themse mit eingemessen war. Es versteht sich von selbst, daß jede ge- + +40 + +1 1 9 ) „Report of the Officer of Health of St. Martin's in the Fields. 1865." +1 2 0 ) „Public Health. Eighth Report. Lond. 1866," p. 91. +m ) I.e. p.88. + +593 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +sundheitspolizeiliche Maßregel, die, wie das bisher in London der Fall, +durch Niederschleifen untauglicher Häuser die Arbeiter aus einem Viertel +verjagt, nur dazu dient, sie in ein andres desto dichter zusammen zu drän- +gen. „Entweder", sagt Dr. Hunter, „muß die ganze Procedur als eine Abge- +schmacktheit nothwendig zum Stillstand kommen, oder die öffentliche +Sympathie (!) muß erwachen für das, was man jetzt ohne Uebertreibung +eine nationale Pflicht nennen kann, nämlich Obdach für Leute zu ver- +schaffen, welche aus Mangel an Kapital sich selbst keins verschaffen, wohl +aber durch periodische Zahlung die Vermiether entschädigen können" 1 2 2). +Man bewundre die kapitalistische Justiz! Der Grundeigenthümer, Hauseig- 10 +ner, Geschäftsmann, wenn expropriirt durch ,,improvements", wie Eisen- +bahnen, Neubau der Straßen u.s.w., erhält nicht nur volle Entschädigung. +Er muß für seine erzwungne „Entsagung" von Gott und Rechts wegen noch +obendrein durch einen erklecklichen Profit getröstet werden. Der Arbeiter +wird mit Frau und Kind und Habe aufs Pflaster geworfen und - wenn er zu +massenhaft nach Stadtvierteln drängt, wo die Municipalität auf Anstand +hält, gesundheitspolizeilich verfolgt! + +15 + +5 + +Außer London gab es Anfang des 19. Jahrhunderts keine einzige Stadt in +England, die 100 000 Einwohner zählte. Nur fünf zählten mehr als 50 000. +Jetzt existiren 28 Städte mit mehr als 5 0 0 0 0 Einwohnern. „Das Resultat 20 +dieses Wechsels war nicht nur enormer Zuwachs der städtischen Bevölke- +rung, sondern die alten dichtgepackten kleinen Städte sind nun Centra, die +von allen ||627| Seiten umbaut sind, nirgendwo mit freiem Luftzutritt. Da +sie für die Reichen nicht länger angenehm sind, werden sie von ihnen für +die amüsanteren Vorstädte verlassen. Die Nachfolger dieser Reichen be- 25 +ziehn die größeren Häuser, eine Familie, oft noch mit Untermiethern, für +jedes Zimmer. So ward eine Bevölkerung gedrängt in Häuser, nicht für sie +bestimmt, und wofür sie durchaus unpassend, mit einer Umgebung, die +wahrhaft erniedrigend für die Erwachsnen und ruinirend für die Kinder +i s t " 1 2 3 ) . Je rascher das Kapital in einer industriellen oder kommerciellen 30 +Stadt akkumulirt, um so rascher der Zustrom des exploitablen Menschen- +materials, um so elender die improvisirten Wohnlichkeiten der Arbeiter. +Newcastle-upon-Tyne, als Centrum eines fortwährend ergiebigeren Koh- +len- und Bergbaudistrikts, behauptet daher nach London die zweite Stelle +in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als 34 000 Menschen hausen dort 35 +in Einzelkammern. In Folge absoluter Gemeinschädlichkeit sind kürzlich +in Newcastle und Gateshead Häuser in bedeutender Anzahl von Polizei +wegen zerstört worden. Der Bau der neuen Häuser geht sehr langsam vor- +an, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war daher 1865 überfüllter als je zu- + +1 2 2 ) 1. c. p. 89. +1 2 3 ) I.e. p.56. + +594 + +40 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +vor. Kaum eine einzelne Kammer war zu vermiethen. Dr. Embleton vom +Newcastle Fieberhospital sagt: „Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der +Fortdauer und Verbreitung des Typhus in der Ueberhäufung menschlicher +Wesen und der Unreinlichkeit ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die +5 Arbeiter häufig leben, liegen in abgeschloßnen Winkelgassen und Höfen. +Sie sind mit Bezug auf Licht, Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster +von Mangelhaftigkeit und Ungesundheit, eine Schmach für jedes civilisirte +Land. Dort liegen Männer, Weiber und Kinder des Nachts zusammenge- +hudelt. Was die Männer angeht, folgt die Nachtschicht der Tagesschicht in +10 ununterbrochnem Strom, so daß die Betten kaum Zeit zur Abkühlung fin- +den. Die Häuser sind schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit +Abtritten, unfläthig, unventilirt, pestilenzialisch" 1 2 4). Der Wochenpreis +solcher Löcher steigt von 8 d. zu 3 sh. „Newcastle-upon-Tyne", sagt +Dr. Hunter „bietet das Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Lands- +leute, der durch die äußern Umstände von Behausung und Straße oft in +eine beinah wilde Entartung versunken i s t " 1 2 5 ) . + +15 + +20 + +In Folge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit ||628| mag der +Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen +wird er abscheulich. Oder die städtische Aedilität mag endlich sich aufge- +rafft haben zur Beseitigung der ärgsten Mißstände. Morgen wandert ein +Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen eng- +lischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und Speicher +oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis, worin das +Personal so rasch wechselt wie die Einquartierung während des dreißigjäh- +25 rigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Municipalphilister eben mit +Stadtreform beschäftigt. Zudem gab es daselbst 1861 noch 1751 unbe- +wohnte Häuser. Aber nun das gute Geschäft, worüber der sanft liberale +Herr Forster, der Negerfreund, jüngst so artig gekräht hat. Mit dem guten +Geschäft natürlich Ueberfluthung durch die Wellen der stets wogenden +30 „Reservearmee" oder „relativen Uebervölkerung". Die scheußlichen Keller- +wohnungen und Kammern, registrirt in der Liste (Note 1 2 6)), die Dr. Hunter + +1 2 4 ) I.e. p.149. +1 2 5 ) 1. c. p. 50. +1 2 6 ) Liste des Agenten einer Arbeiter-Assekuranzgesellschaft zu Bradford. + +35 + +40 + +Vulcanstreet. Nr. 122 +Lumleystreet. Nr. 13 +Bowerstreet. Nr. 41 +Portlandstreet. Nr. 112 +Hardystreet. Nr. 17 +Northstreet. Nr. 18 +ditto Nr. 17 +Wymerstreet. Nr. 19 +Jowettstreet. Nr. 56 + +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer + +16 Personen +11 Personen +11 Personen +10 Personen +10 Personen +16 Personen +13 Personen +8 Erwachsne + +12 Personen + +595 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulatiönsprozeß des Kapitals + +5 + +vom Agenten einer Assekuranzgesellschaft erhielt, waren meist von gutbe- +zahlten Arbeitern bewohnt. Sie erklärten, sie würden gern bessere Woh- +nungen zahlen, wenn sie zu haben wären. Unterdeß ||629| verlumpen und +verkranken sie mit Mann und Maus, während der sanftliberale Forster, +M.P., Thränen vergießt über die Segnungen des Freihandels und die Pro- +fite der eminenten Bradforder Köpfe, die in Worsted machen. Im Bericht +vom 5. September 1865 erklärt Dr.Bell, einer der Armenärzte von Bradford, +die furchtbare Sterblichkeit der Fieberkranken seines Bezirks aus ihren +Wohnungsverhältnissen: „In einem Keller von 1500 Kubikfuß wohnen +10 Personen ... Die Vincentstraße, Green Air Place und the Leys bergen 10 +223 Häuser mit 1450 Einwohnern, 435 Betten und 36 Abtritten ... Die Bet- +ten, und darunter verstehe ich jede Rolle von schmutzigen Lumpen oder +Handvoll von Hobelspänen, halten jedes im Durchschnitt 3,3 Personen, +manches 5 und 6 Personen. Viele schlafen ohne Bett auf nacktem Boden in +ihren Kleidern, junge Männer und Weiber, verheirathet und unverheira- 15 +thet, alles kunterbunt durch einander. Ist es nöthig hinzuzufügen, daß +diese Hausungen meist dunkle, feuchte, schmutzige Stinkhöhlen sind, +ganz und gar unpassend für menschliche Wohnung? Es sind die Centra, +wovon Krankheit und Tod ausgehn und ihre Opfer auch unter den Gutge- +stellten (of good circumstances) packen, welche diesen Pestbeulen erlaubt 20 +haben in unsrer Mitte zu eitern" 1 2 7). + +Bristol behauptet den dritten Rang nach London im Wohnungselend. +„Hier, in einer der reichsten Städte Europa's, größter Ueberfluß an barster +Armuth („blank poverty") und häuslichem E l e n d " 1 2 8 ) . + +Georgestreet. Nr. 150 +Rifle-Court, Marygate. Nr. 11 +Marshallstreet. Nr. 28 +ditto Nr. 49 +Georgestreet. Nr. 128 +ditto Nr. 130 +Edwardstreet. Nr. 4 +Yorkstreet. Nr. 34 +Salt Piestreet + +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +3 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +1 Zimmer +2 Zimmer + +Regent Square. +Acrestreet. +Robert's Court. Nr. 33 +Back Prattstreet, vernutzt als +Kupferschmiedewerkstatt. +Ebenezerstreet. Nr. 27 + +Keller. + +1 Keller +1 Keller +1 Keller + +1 Keller +1 Keller + +3 Familien +11 Personen +10 Personen +3 Familien +18 Personen +16 Personen +17 Personen +2 Familien +26 Personen + +8 Personen +7 Personen +7 Personen + +7 Personen +6 Personen (1. c. p. 111). + +25 + +30 + +35 + +40 + +1 2 7 ) I.e. p.114. +1 2 8 ) I.e. p.50. + +596 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +c) Das Wandervolk. + +10 + +importirt sie + +in die Orte, + +Wir wenden uns nun zu einer Volksschicht, deren Ursprung ländlich, de- +ren Beschäftigung großentheils industriell ist. Sie bildet die leichte Infan- +terie des Kapitals, die es je nach seinem Bedürfniß bald auf diesen Punkt +5 wirft, bald auf jenen. Wenn nicht auf dem Marsch, „kampirt" sie. Die Wan- +derarbeit wird verbraucht für verschiedne Bau- und Drainirungsoperatio- +nen, Backsteinmachen, Kalkbrennen, Eisenbahnbau u. s. w. Eine wan- +in deren +delnde Säule der Pestilenz +Nachbarschaft sie ihr Lager aufschlägt, Pocken, Typhus, Cholera, Schar- +lachfieber u.s.w. 1 2 9). In Unternehmen von bedeutender Kapitalauslage, wie +Eisenbahnbau u. s. w., liefert meist der Unternehmer selbst seiner Armee +Holzhütten oder dergl., improvisirte Dörfer ohne alle Gesundheitsvorkeh- +rung, jenseits der Kontrole der Lokal|1630|behörden, sehr profitlich für den +Herrn Kontraktor, der die Arbeiter doppelt ausbeutet, als Industriesoldaten +15 und als Miether. Je nachdem die Holzhütte 1, 2 oder 3 Löcher enthält, hat +ihr Insasse, Erdarbeiter u. s.w., 2, 3, 4sh. wöchentlich zu zahlen 1 3 0). Ein +Beispiel genüge. Im September 1864, berichtet Dr. Simon, ging dem Mini- +ster des Innern, Sir George Grey, folgende Denunciation Seitens des Vor- +stehers des Nuisance Removal Committee der Pfarrei von Sevenoaks zu: +20 „Pocken waren dieser Pfarrei ganz unbekannt bis etwa vor 12 Monaten. +Kurz vor dieser Zeit wurden Arbeiten für eine Eisenbahn von Lewisham +nach Tunbridge eröffnet. Außerdem daß die Hauptarbeiten in der unmit- +telbaren Nachbarschaft dieser Stadt ausgeführt wurden, ward hier auch das +Hauptdepot des ganzen Werks errichtet. Große Personenzahl daher hier +25 beschäftigt. Da es unmöglich war, sie alle in Cottages unterzubringen, ließ +der Kontraktor, Herr Jay, längs der Linie der Bahn auf verschiednen Punk- +ten Hütten aufschlagen zur Behausung der Arbeiter. Diese Hütten besaßen +weder Ventilation noch Abzugsgerinne und waren außerdem nothwendig +überfüllt, weil jeder Miether andre Logirer aufnehmen mußte, wie zahl- +reich immer seine eigne Familie, und obgleich jede Hütte nur zweizimm- +rig. Nach dem ärztlichen Bericht, den wir erhielten, war die Folge, daß +diese armen Leute zur Nachtzeit alle Qualen der Erstickung zu erdulden +hatten, zur Vermeidung der pestilenzialischen Dünste von dem schmutzi- +gen stehenden Wasser und den Abtritten dicht unter den Fenstern. End- +lieh wurden unsrem Comité Klagen eingehändigt von einem Arzte, der Ge- +legenheit hatte diese Hütten zu besuchen. Er sprach über den Zustand +dieser sog. Wohnlichkeiten in den bittersten Ausdrücken und befürchtete + +30 + +35 + +1 2 9 ) „Public Health. Seventh Report. Lond. 1865", p. 18. +1 3°) 1. c. p. 165. + +597 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +sehr ernsthafte Folgen, falls nicht einige Gesundheitsvorkehrungen getrof- +fen würden. Ungefähr vor einem Jahr verpflichtete sich p. p. Jay ein Haus +einzurichten, worin die von ihm beschäftigten Personen, beim Ausbruch +ansteckender Krankheiten, sofort entfernt werden sollten. Er wiederholte +dieß Versprechen Ende letzten Juli's, that aber nie den geringsten Schritt +zur Ausführung, obgleich seit diesem Datum verschiedne Fälle von Pocken +und in Folge davon zwei Todesfälle vorkamen. Am 9. September berichtete +mir Arzt Kelson weitere Pockenfälle in denselben Hütten und beschrieb +ihren Zustand als entsetzlich. Zu Ihrer (des Ministers) Information muß +ich hinzufügen, daß unsere Pfarrei ein isolirtes Haus besitzt, das sog. Pest-| 10 +|631|haus, wo die Pfarreigenossen, die von ansteckenden Krankheiten lei- +den, verpflegt werden. Dieß Haus ist jetzt seit Monaten fortwährend mit +Patienten überfüllt. In einer Familie starben fünf Kinder an Pocken und +Fieber. Vom 1. April bis 1. September dieses Jahres kamen nicht weniger +als 10 Todesfälle an Pocken vor, 4 in den besagten Hütten, den Pestquel- 15 +len. Es ist unmöglich, die Zahl der Krankheitsfälle anzugeben, da die +heimgesuchten Familien sie so geheim als möglich halten" 1 3 1). + +5 + +Die Arbeiter in Kohlen- und anderen Bergwerken gehören zu den best- +bezahlten Kategorien des britischen Proletariats. Zu welchem Preis sie +ihren Lohn erkaufen, wurde an einer früheren Stelle gezeigt 1 3 2). Ich werfe 20 +hier einen raschen Blick auf ihre Wohnlichkeitsverhältnisse. In der Regel +errichtet der Exploiteur des Bergwerks, ob Eigenthümer oder Miether des- +selben, eine Anzahl Cottages für seine Hände. Sie erhalten Cottages und +Kohlen zur Feuerung „umsonst", d. h. letztre bilden einen in natura gelie- +ferten Theil des Lohns. Die nicht in dieser Art Unterbringbaren erhalten 25 +zum Ersatz 4 Pfd. St. per Jahr. Die Bergwerksdistrikte ziehn rasch eine +große Bevölkerung an, zusammengesetzt aus der Minenbevölkerung selbst +und den Handwerkern, Krämern u. s. w., die sich um sie gruppiren. Wie +überall, wo die Bevölkerung dicht, ist die Bodenrente hier hoch. Der Berg- +bauunternehmer sucht daher auf möglichst engem Bauplatz am Mund der +Gruben so viel Cottages aufzuwerfen, als grade nöthig sind, um seine +Hände und ihre Familien zusammenzupacken. Werden neue Gruben in +der Nähe eröffnet oder alte wieder in Angriff genommen, so wächst das Ge- + +30 + +1 3 1 ) 1. c. p. 18, Note. Der Armenpfleger der Chapel-en-le-Frith-Union berichtet an den Regi- +strar General: „Zu Doveholes hat man eine Anzahl kleiner Aushöhlungen in einem großen 35 +Hügel von Kalkasche gemacht. Diese Höhlen dienen den Erd- und andren am Eisenbahnbau +beschäftigten Arbeitern zur Wohnung. Die Höhlen sind eng, feucht, ohne Abzug für Unrei- +nigkeiten und ohne Abtritte. Sie entbehren aller Ventilationsmittel, mit Ausnahme eines +Lochs durch die Wölbung, das zugleich als Schornstein dient. Die Pocken wüthen und haben +schon verschiedne Todesfälle (unter den Troglodyten) verursacht." (1. c. Note 2.) +1 3 2 ) Die auf S.460 ff. gegebnen Einzelheiten beziehn sich namentlich auf Arbeiter in Kohlen- +bergwerken. Ueber den noch schlechteren Zustand in den Metallminen vgl. den gewissenhaf- +ten Bericht der Royal Commission von 1864. + +40 + +598 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +15 + +dränge. Bei der Konstruktion der Cottages waltet nur ein Gesichtspunkt, +„Entsagung" des Kapitalisten auf alle nicht absolut unvermeidliche Aus- +gabe von Baarem. „Die Wohnungen der Gruben- und andrer Arbeiter, die +mit den Bergwerken von Northumberland ||632| und Durham verknüpft +sind", sagt D r . Julian Hunter, „sind vielleicht im Durchschnitt das Schlech- +teste und Theuerste, was England auf großer Stufenleiter in dieser Art bie- +tet, mit Ausnahme jedoch ähnlicher Distrikte in Monmouthshire. Die ex- +treme Schlechtigkeit liegt in der hohen Menschenzahl, die ein Zimmer +füllt, in der Enge des Bauplatzes, worauf eine große Häusermasse geworfen +10 wird, im Wassermangel und Abwesenheit von Abtritten, in der häufig an- +gewandten Methode, ein Haus über ein andres zu stellen oder sie in flats +(so daß die verschiednen Cottages vertikal über einander liegende Stock- +werke bilden) zu vertheilen ... Der Unternehmer behandelt die ganze Ko- +lonie, als ob sie nur kampire, nicht residire" 1 3 3). „In Ausführung meiner +Instruktionen", sagt Dr. Stevens, „habe ich die meisten großen Bergwerks- +dörfer der Durham Union besucht ... Mit sehr wenigen Ausnahmen gilt +von allen, daß jedes Mittel zur Sicherung der Gesundheit der Einwohner +vernachlässigt wird... Alle Grubenarbeiter sind an den Pächter (,,lessee") +oder Eigenthümer des Bergwerks für 12 Monate gebunden („bound", Aus- +20 druck, der wie bondage aus der Zeit der Leibeigenschaft stammt). Wenn +sie ihrer Unzufriedenheit Luft machen oder in irgend einer Art den Aufse- +her (,,viewer") belästigen, so setzt er eine Marke oder ein Memorandum +hinter ihre Namen im Aufsichtsbuch und entläßt sie bei der jährlichen +Neu-Bindung . . . E s scheint mir, daß kein Theil des Trucksystems schlech- +ter sein kann als das in diesen dichtbevölkerten Distrikten herrschende. +Der Arbeiter ist gezwungen, als Theil seines Lohns ein mit pestilenziali- +schen Einflüssen umgebnes Haus zu empfangen. Er kann sich nicht selbst +helfen. Er ist in jeder Rücksicht ein Leibeigner (he is to all intents and pur- +poses a serf). Es scheint fraglich, ob jemand sonst ihm helfen kann außer +seinem Eigenthümer, und dieser Eigenthümer zieht vor allem sein Bilanz- +konto zu Rath, und das Resultat ist ziemlich unfehlbar. Der Arbeiter erhält +von dem Eigenthümer auch seine Zufuhr an Wasser. Es sei gut oder +schlecht, es werde geliefert oder zurückgehalten, er muß dafür zahlen oder +sich vielmehr einen Lohnabzug gefallen lassen" 1 3 4). + +25 + +30 + +35 + +Im Konflikt mit der „öffentlichen Meinung" oder auch der Gesundheits- +polizei genirt sich das Kapital durchaus nicht, die theils gefährlichen, +theils entwürdigenden Bedingungen, worin es Funktion und Häuslichkeit +des Arbeiters bannt, damit zu „rechtfertigen", das sei ||633| nöthig, um ihn +profitlicher auszubeuten. So, wenn es entsagt auf Vorrichtungen zum +40 Schutz gegen gefährliche Maschinerie in der Fabrik, auf Ventilations- und + +1 3 3 ) L c p.180, 182. +1 3 4 ) L c p.515, 517. + +599 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Sicherheitsmittel in den Minen u.s.w. So hier mit der Behausung der Mi- +nenarbeiter. „Als Entschuldigung", sagt Dr. Simon, der ärztliche Beamte +des Privy Council, in seinem officiellen Bericht, „als Entschuldigung für +die nichtswürdige Hauseinrichtung wird angeführt, daß Minen gewöhnlich +pachtweise exploitirt werden, daß die Dauer des Pachtkontrakts (in Koh- +lenwerken meist 21 Jahre) zu kurz ist, damit der Minenpächter es der +Mühe werth halte, gute Hauseinrichtung für das Arbeitsvolk und die Ge- +werbsleute u. s. w. zu liefern, welche die Unternehmung anzieht; hätte er +selbst die Absicht, nach dieser Seite hin liberal zu verfahren, so würde sie +vereitelt werden durch den Grundeigenthümer. Der habe nämlich die Ten- 10 +denz, sofort exorbitante Zuschußrente zu verlangen für das Privilegium, +ein anständiges und komfortables Dorf auf der Grundoberfläche zu errich- +ten zur Behausung der Bearbeiter des unterirdischen Eigenthums. Dieser +prohibitorische Preis, wenn nicht direkte Prohibition, schrecke ebenfalls +andre ab, welche sonst wohl bauen möchten ... Ich will den Werth dieser 15 +Entschuldigung nicht weiter untersuchen, auch nicht, auf wen denn in +letzter Hand die zuschüssige Ausgabe für anständige Wohnlichkeit fallen +würde, auf den Grundherrn, den Minenpächter, die Arbeiter oder das Pu- +blikum ... Aber Angesichts solcher schmählichen Thatsachen, wie die bei- +gefügten Berichte (des Dr.Hunter, Stevens u.s.w.) sie enthüllen, muß ein 20 +Heilmittel angewandt werden ... Grundeigenthumstitel werden so benutzt, +um ein großes öffentliches Unrecht zu begehn. In seiner Eigenschaft als +Mineneigner ladet der Grundherr eine industrielle Kolonie zur Arbeit auf +seiner Domaine ein, und macht dann, in seiner Eigenschaft als Eigen- +thümer der Grundoberfläche, den von ihm versammelten Arbeitern un- 25 +möglich, die zu ihrem Leben unentbehrliche, geeignete Wohnlichkeit +zu finden. Der Minenpächter (der kapitalistische Exploiteur) hat kein +Geldinteresse, dieser Theilung des Handels zu widerstehn, da er wohl weiß, +daß wenn die letztern Ansprüche exorbitant sind, die Folgen nicht auf ihn +fallen, daß die Arbeiter, auf die sie fallen, zu unerzogen sind, um ihre Ge- 30 +sundheitsrechte zu kennen, und daß weder obscönste Wohnlichkeit noch +faulstes Trinkwasser jemals Anlaß zu einem Strike liefern" 1 3 5). | + +|634| d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Theil +der Arbeiterklasse. + +Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern übergehe, soll an einem 35 +Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst auf den bestbezahlten +Theil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man erinnert sich: +1 3 5 ) I.e. p.16. + +600 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +das Jahr 1857 brachte eine der großen Krisen, womit der industrielle Cy- +klus jedesmal abschließt. Der nächste Termin wurde 1866 fällig. Bereits +diskontirt in den eigentlichen Fabrikdistrikten durch die Baumwollnoth, +welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphäre zu den großen Cen- +tralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise dießmal einen vorwiegend +finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866 wurde signalisirt +durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der Zusammensturz zahl- +loser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem Fuß nachfolgte. Einer +der großen Londoner Geschäftszweige, welche die Katastrophe traf, war der +10 eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses Geschäfts hatten während der +Schwindelzeit nicht nur maßlos überproducirt, sondern zudem enorme +Lieferungskontrakte übernommen, auf die Spekulation hin, daß die Kredit- +quelle gleich reichlich fort fließen werde. Jetzt trat eine furchtbare Reak- +tion ein, die auch in andren Londoner Industrien 1 3 6) bis zur Stunde, Ende +15 März 1867, fortdauert. Zur Charakteristik der Lage der Arbeiter folgende +Stelle aus dem ausführlichen Bericht eines Korrespondenten des Morning +Star, welcher Anfang 1867 die Hauptsitze des Leidens besuchte. „Im Osten +von London, den Distrikten von Poplar, Millwall, Greenwich, Deptford, +Limehouse und Canning Town befinden sich mindestens 15 000 Arbeiter +sammt Familien in einem Zustand äußerster Noth, darunter über 3000 ge- +schickte Mechaniker. Ihre Reservefonds sind erschöpft in Folge sechs- +oder achtmonatiger Arbeitslosigkeit ... Ich hatte große ||635| Mühe, zum +Thor des Workhouse (von Poplar) vorzudringen, denn es war belagert von +einem ausgehungerten Haufen. Er wartete auf Brodbillets, aber die Zeit +25 zur Vertheilung war noch nicht gekommen. Der Hof bildet ein großes Qua- +drat mit einem Pultdach, das rings um seine Mauern läuft. Dichte Schnee- +haufen bedeckten die Pflastersteine in der Mitte des Hofes. Hier waren ge- +wisse kleine Plätze mit Weidengeflecht abgeschlossen, gleich Schafhürden, +worin die Männer bei besserem Wetter arbeiten. Am Tage meines Besuchs +30 waren die Hürden so verschneit, daß Niemand in ihnen sitzen konnte. Die +Männer waren jedoch unter dem Schutz der Dachvorsprünge mit Macada- + +20 + +35 + +1 3 6 ) „Massenhafte Verhungerung der Londoner Armen! ("Wholesale starvation of the London +Poor!") ... Während der letzten Tage waren die Mauern Londons überklebt mit großen Plaka- +ten, die folgende merkwürdige Anzeige bringen: „Fette Ochsen, verhungernde Menschen! Die +fetten Ochsen haben ihre Glaspaläste verlassen, um die Reichen in ihren Luxusgemächern zu +mästen, während die verhungernden Menschen in ihren Jammerhöhlen verderben und ster- +ben." Die Plakate mit dieser unheilkündenden Inschrift werden beständig erneuert. Kaum ist +eine Partie ausgemerzt und überklebt, wenn sofort eine neue Partie an demselben oder einem +gleich öffentlichen Platz wiedererscheint ... Das erinnert an die omina, die das französische +40 Volk auf die Ereignisse von 1789 vorbereiteten ...In diesem Augenblick, während englische +Arbeiter mit Weib und Kind an Kälte und Hunger sterben, werden Millionen von englischem +Geld, dem Produkt englischer Arbeit, in russischen, spanischen, italienischen und andren +fremden Anleihen angelegt." (,,Reynolds's Newspaper", 20. Jan. 1867.) + +601 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +misirung von Pflastersteinen beschäftigt. Jeder hatte einen dicken Pflaster- +stein zum Sitz und klopfte mit schwerem Hammer auf den frostbedeckten +Granit, bis er 5 Bushel davon abgehauen hatte. Dann war sein Tagewerk +verrichtet und erhielt er 3 d. (2 Silbergroschen, 6 Pfennige) und ein Billet +für Brod. In einem andren Theil des Hofes stand ein rhachitisches kleines +Holzhaus. Beim Oeffnen der Thür fanden wir es gefüllt mit Männern, +Schulter an Schulter gedrängt, um einander warm zu halten. Sie zupften +Schiffstau und stritten mit einander, wer von ihnen mit einem Minimum +von Nahrung am längsten arbeiten könne, denn Ausdauer war der point +d'honneur. In diesem einen Workhouse allein erhielten 7000 Unterstüt- 10 +zung, darunter viele Hunderte, die 6 oder 8 Monate zuvor die höchsten +Löhne geschickter Arbeit in diesem Land verdienten. Ihre Zahl wäre dop- +pelt so groß gewesen, gäbe es nicht so viele, welche nach Erschöpfung ihrer +ganzen Geldreserve dennoch vor Zuflucht zur Pfarrei zurückbeben, so +lange sie noch irgend etwas zu versetzen haben ... Das Workhouse verlas- 15 +send, machte ich einen Gang durch die Straßen von meist einstöckigen +Häusern, die in Poplar so zahlreich. Mein Führer war Mitglied des Comité +für die Arbeitslosen. Das erste Haus, worin wir eintraten, war das eines +Eisenarbeiters, seit 27 Wochen außer Beschäftigung. Ich fand den Mann +mit seiner ganzen Familie in einem Hinterzimmer sitzend. Das Zimmer 20 +war noch nicht ganz von Möbeln entblößt, und es war Feuer darin. Dieß +war nöthig, um die nackten Füße der jungen Kinder vor Frost zu schützen, +denn es war ein grimmig kalter Tag. Auf einem Teller gegenüber dem +Feuer lag ein Quantum Werg, welches Frau und Kinder zupften in Erstat- +tung des Brods vom Workhouse. Der Mann arbeitete in einem der oben be- 25 +schriebenen Höfe für ein Brodbillet und 3 d. per Tag. Er kam jetzt nach +Haus zum Mittagessen, sehr hungrig, wie er uns mit ||636| einem bittern +Lächeln sagte, und sein Mittagessen bestand aus einigen Brodschnitten +mit Schmalz und einer Tasse milchlosen Thees ... Die nächste Thür, an +der wir anklopften, wurde geöffent durch ein Frauenzimmer mittleren Al- 30 +ters, die, ohne ein Wort zu sagen, uns in ein kleines Hinterzimmer führte, +wo ihre ganze Familie saß, schweigend, die Augen auf ein rasch ersterben- +des Feuer geheftet. Solche Verödung, solche Hoffnungslosigkeit hing um +diese Leute und ihr kleines Zimmer, daß ich nicht wünsche, je eine ähnli- +che Scene wieder zu sehn. ,Nichts haben sie verdient, mein Herr', sagte die 35 +Frau, auf ihre Jungen zeigend, ,nichts für 26 Wochen, und all unser Geld +ist hingegangen, alles Geld, das ich und der Vater in den beßren Zeiten zu- +rücklegten, in dem Wahn, einen Rückhalt während schlechten Geschäfts +zu sichern. Sehn sie es', schrie sie fast wild, indem sie ein Bankbuch her- +vorholte mit allen seinen regelmäßigen Nachweisen über eingezahltes und 40 +rückerhaltnes Geld, so daß wir sehn konnten, wie das kleine Vermögen be- + +602 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +gönnen hatte mit dem ersten Deposit von 5 Shilling, wie es nach und nach +zu 20 Pfd. St. aufwuchs und dann wieder zusammenschmolz, von Pfunden +zu Shillingen, bis der letzte Eintrag das Buch so werthlos machte, wie ein +leeres Stück Papier. Diese Familie erhielt ein nothdürftiges Mahl täglich +5 vom Workhouse ... Unsere folgende Visite war zur Frau eines Irländers, +der an den Schiffswerften gearbeitet hatte. Wir fanden sie krank von Nah- +rungsmangel, in ihren Kleidern auf eine Matratze gestreckt, knapp bedeckt +mit einem Stück Teppich, denn alles Bettzeug war im Pfandhaus. Die elen- +den Kinder warteten sie und sahen aus, als bedürften sie umgekehrt der +10 mütterlichen Pflege. Neunzehn Wochen erzwungnen Müßiggangs hatten +sie so weit heruntergebracht, und während sie die Geschichte der bittern +Vergangenheit erzählte, stöhnte sie, als ob alle Hoffnung auf eine bessere +Zukunft verloren wäre ... Beim Austritt aus dem Hause rannte ein junger +Mann auf uns zu und bat uns, in sein Haus zu gehn und zu sehn, ob irgend +15 etwas für ihn geschehen könne. Ein junges Weib, zwei hübsche Kinder, ein +Kluster von Pfandzetteln und ein ganz kahles Zimmer war alles, was er zu +zeigen hatte." + +Ueber die Nachwehen der Krise von 1866 folgender Auszug aus einer to- +rystischen Zeitung. Man muß nicht vergessen, daß der Osttheil Londons, +20 um den es sich hier handelt, nicht nur Sitz der im Text des Kapitels er- +wähnten eisernen Schiffsbauer, sondern auch einer stets unter dem Mini- +mum bezahlten sog. „Hausarbeit" ist. „Ein entsetzliches Schauspiel ent- +rollte sich gestern in einem ||637| Theil der Metropole. Obgleich die +arbeitslosen Tausende des Ostendes mit schwarzen Trauerflaggen nicht in +25 Masse paradirten, war der Menschenstrom imposant genug. Erinnern wir +uns, was diese Bevölkerung leidet. Sie stirbt vor Hunger. Das ist die einfa- +che und furchtbare Thatsache. Es sind ihrer 40 000 . . . I n unsrer Gegen- +wart, in einem Viertel dieser wundervollen Metropole, dicht neben der +enormsten Akkumulation von Reichthum, welche die Welt je sah, dicht +30 dabei 40 000 hülflos verhungernd! Diese Tausende brechen jetzt ein in die +andren Viertel; sie, in allen Zeiten halbverhungert, schreien uns ihr Weh +ins Ohr, sie schreien es zum Himmel, sie erzählen uns von ihren elendge- +schlagenen Wohnungen, daß es unmöglich für sie, Arbeit zu finden und +nutzlos, zu betteln. Die lokalen Armensteuerpflichtigen sind durch die +35 Forderungen der Pfarreien selbst an den Rand des Pauperismus getrieben." + +(Standard. 5. April, 1867.) + +Da es Mode unter den englischen Kapitalisten ist, Belgien als das Para- +dies des Arbeiters zu schildern, weil „die Freiheit der Arbeit" oder, was +dasselbe ist, „die Freiheit des Kapitals", dort weder durch den Despotismus +40 der Trades' Unions noch durch Fabrikgesetze verkümmert sei, hier ein +paar Worte über das „Glück" des belgischen Arbeiters. Sicher war niemand + +603 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +tiefer eingeweiht in die Mysterien dieses Glücks als der verstorbene Herr +Ducpétiaux, Generalinspektor der belgischen Gefängnisse und Wohlthätig- +keitsanstalten, und Mitglied der Centraikommission für belgische Statistik. +Nehmen wir sein Werk: „Budgets économiques des classes ouvrières en +Belgique, Bruxelles 1855". Hier finden wir u. A. eine belgische Normalar- +beiterfamilie, deren jährliche Ausgaben und Einnahmen nach sehr ge- +nauen Daten berechnet, und deren Nahrungsverhältnisse dann mit denen +des Soldaten, des Flottenmatrosen und des Gefangnen verglichen werden. +Die Familie „besteht aus Vater, Mutter und vier Kindern". Von diesen +sechs Personen „können vier das ganze Jahr durch nützlich beschäftigt 10 +werden"; es wird vorausgesetzt, „daß es weder Kranke noch Arbeitsunfä- +hige darunter gibt", noch „Ausgaben für religiöse, moralische und intellek- +tuelle Zwecke, ausgenommen ein sehr Geringes für Kirchenstühle", noch +„Beiträge zu Sparkassen oder Altersversorgungskassen", noch „Luxus- oder +sonstige überflüssige Ausgaben". Doch sollen der Vater und der älteste 15 +Sohn Tabak rauchen und Sonntags das Wirthshaus besuchen dürfen, wofür +ihnen ganze 86 Centimen die Woche ausgesetzt sind. „Aus der Gesammt- +zusammenstellung der den Arbeitern der ver||638|schiednen Geschäfts- +zweige bewilligten Löhne folgt ... daß der höchste Durchschnitt des tägli- +chen Lohns ist: 1 fr. 56 c. für Männer, 89 c. für Frauen, 56 c. für Knaben 20 +und 55 c. für Mädchen. Hiernach berechnet, würden sich die Einkünfte der +Familie allerhöchstens auf 1068 fr. jährlich belaufen . . . I n der als typisch +angenommenen Haushaltung haben wir alle möglichen Einkünfte zusam- +mengerechnet. Wenn wir aber der Mutter einen Arbeitslohn anrechnen, +entziehen wir dadurch die Haushaltung ihrer Leitung; wer besorgt das 25 +Haus, wer die kleinen Kinder? Wer soll kochen, waschen, flicken? Dieß Di- +lemma tritt jeden Tag vor die Arbeiter." +Der Budget der Familie ist demnach: + +Der Vater, +Die Mutter +Der Junge +Das Mädchen + +300 Arbeitstage zu fr. 1,56 +" 0,89 +» 0,56 +» 0,55 + +fr. 468,- +» 267,- +» 168,- +» 165,- +fr. 1068,— + +Total + +Die Jahresausgabe der Familie und ihr Deficit würden ausmachen, falls + +der Arbeiter die Nahrung hätte: + +Des Flottenmatrosen +Des Soldaten +Des Gefangenen + +fr. 1828,— +» 1473,— +» 1112,— + +Deficit fr. 760,— +» 405,—. +» +44,—. +» +» + +30 + +35 + +„Man sieht, daß wenig Arbeiterfamilien sich die Nahrung verschaffen +können, nicht etwa des Matrosen oder des Soldaten, sondern selbst des Ge- 40 +fangnen. Im Durchschnitt hat jeder Gefangne 1847/49 in Belgien 63 c. täg- + +604 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +lieh gekostet, was gegen die täglichen Unterhaltungskosten des Arbeiters +einen Unterschied von 13 c. ergibt. Die Verwaltungs- und Ueberwachungs- +kosten gleichen sich aus dagegen, daß der Gefangne keine Miethe +Wie aber geht es zu, daß eine große Zahl, wir könnten sagen die +zahlt +5 große Mehrzahl der Arbeiter in noch sparsameren Verhältnissen lebt? Nur +indem sie zu Nothbehelfen flüchtet, wovon der Arbeiter allein das Ge- +heimniß hat; indem sie an der täglichen Ration abknappt; Roggenbrod +statt Weizenbrod ißt; weniger oder gar kein Fleisch ißt; ebenso mit Butter +und Gewürzen; indem sie die Familie in eine oder zwei Kammern packt, +10 wo Mädchen und Jungen zusammen schlafen, oft auf demselben Stroh- +sack; indem sie an der Kleidung spart, der Wäsche, den Reinigungsmitteln; +indem sie den Sonntagsvergnügungen entsagt, kurz sich zu den schmerz- +lichsten Entbehrungen entschließt. Ein||639|mal bei dieser letzten Grenze +angelangt, vermehrt der geringste Preisaufschlag der Lebensmittel, eine Ar- +15 beitsstockung, eine Krankheit das Elend des Arbeiters und ruinirt ihn voll- +ständig. Die Schulden häufen sich, der Kredit wird versagt, die Kleider, die +nothwendigsten Möbel wandern ins Pfandhaus, und schließlich bittet die +Familie um Einschreibung in die Armenliste." 1 3 7) In der That folgt in die- +sem „Paradiese der Kapitalisten" auf die geringste Aenderung im Preise +20 der nothwendigsten Lebensmittel eine Aenderung in der Zahl der Todes- +fälle und Verbrechen! (Sieh Manifest der Maatschappij: „De Viamingen +Vooruit! Brüssel 1860", p. 13,14.) Ganz Belgien zählt 9 3 0 0 0 0 Familien, da- +von, nach officieller Statistik: 90 000 Reiche (Wähler) = 4 5 0 0 0 0 Personen; +390 000 Familien der kleinen Mittelklasse, in Stadt und Dorf, großer Theil +fallend, = 1 9 5 0 000 Personen. Endlich +4 5 0 0 0 0 Arbeiterfamilien = 2 2 5 0 0 0 0 Personen, von welchen die Musterfa- +milien das durch Ducpétiaux geschilderte Glück genießen. Unter den +450 000 Arbeiterfamilien über 2 0 0 0 0 0 auf der Armenliste! + +ins Proletariat + +25 davon + +stets + +e) Das britische Ackerbauproletariat. + +30 Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Produktion und Akku- +mulation bewährt sich nirgendwo brutaler als in dem Fortschritt des engli- +schen Landbaus (Viehzucht eingeschlossen) und dem Rückschritt des eng- +lischen Landarbeiters. Bevor ich zu seiner gegenwärtigen Lage übergehe, +ein rascher Rückblick. Die moderne Agrikultur datirt in England von der +35 Mitte des 18. Jahrhunderts, obgleich die Umwälzung der Grundeigen- +thumsverhältnisse, wovon die veränderte Produktionsweise als Grundlage +ausgeht, viel früheren Datums. +1 3 7 ) Ducpétiaux, I.e. p. 151, 154, 155, 156. + +605 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Nehmen wir Arthur Young's, eines genauen Beobachters, obgleich ober- +flächlichen Denkers, Angaben über den Landarbeiter von 1771, so spielt +letztrer eine sehr elende Rolle, verglichen mit seinem Vorgänger Ende des +14. Jahrhunderts, „wo er in Fülle leben und Reichthum akkumuliren +konnte" 1 3 8), gar nicht zu sprechen vom 15. Jahrhundert, „dem goldnen +Zeitalter der eng||640|lischen Arbeiter in Stadt und Land". Wir brauchen +jedoch nicht soweit zurückzugehn. In einer sehr gehaltreichen Schrift von +1777 liest man: „Der große Pächter hat sich beinahe erhoben zum Niveau +des Gentleman, während der arme Landarbeiter fast zu Boden gedrückt +i s t . . . Seine unglückliche Lage zeigt sich klar durch eine vergleichende Ue- 10 +bersicht seiner Verhältnisse von heute und von 40 Jahr früher. ... Grundei- +genthümer und Pächter wirken Hand in Hand zur Unterdrückung des Ar- +beiters" 1 3 9). Es wird dann +im Detail nachgewiesen, daß der reelle +Arbeitslohn auf dem Lande von 1737 bis 1777 um beinahe 1X oder 25 % ge- +fallen ist. „Die moderne Politik", sagt gleichzeitig Dr. Richard Price, „be- 15 +günstigt die höheren Volksklassen; die Folge wird sein, daß früher oder +später das ganze Königreich nur aus Gentlemen und Bettlern, aus Granden +und Sklaven besteht" 1 4 0). + +Dennoch ist die Lage des englischen Landarbeiters von 1770 bis 1780, +sowohl was seine Nahrungs- und Wohnlichkeitszustände, als sein Selbstge- 20 +fühl, Belustigungen u.s.w. betrifft, ein später nie wieder erreichtes Ideal. In +Pints Weizen ausgedrückt betrug sein Durchschnittslohn 1770 bis 1771 +90 Pints, zu Eden's Zeit (1797) nur noch 65, 1808 aber 6 0 1 4 1 ) . + +Der Zustand der Landarbeiter Ende des Antijakobinerkriegs, während +dessen Grundaristokraten, Pächter, Fabrikanten, Kaufleute, Banquiers, 25 +Börsenritter, Armeelieferanten u. s. w. sich so außerordentlich bereichert, +ward bereits früher angedeutet. Der nominelle Lohn stieg in Folge theils +der Banknoten-Depreciation, theils einer hiervon unabhängigen Zunahme +im Preis der ersten Lebensmittel. Die wirkliche Lohnbewegung ist aber auf + +1 3 8 ) James E.Th. Rogers (Prof. of Polit. Econ. in the University of Oxford): „A History of Agri- 30 +culture and Prices in England. Oxford 1866", v.I, p. 690. Dieß fleißig gearbeitete Werk umfaßt +in den bisher erschienenen zwei ersten Bänden nur noch die Periode von 1259-1400. Der +zweite Band enthält blos statistisches Material. Es ist die erste authentische ,,History of +Prices", die wir für jene Zeit besitzen. +1 3 9 ) ,,Reasons for the late Increase of the Poor-Rates; or, a comparative view of the price of la- 35 +bour and provisions. Lond. 1777", p. 5, 11. +1 4 0 ) Dr. Richard Price: ,,Observations on Reversionary Payments, 6. ed. By W. Morgan. Lond. +1803", v. II, p. 158. Price bemerkt p. 159: "The nominal price of day labour is at present no +more than about four times, or at most five times higher than it was in the year 1514. But the +price of corn is seven times, and of flesh-meat and raiment about fifteen times higher. So far, +therefore, has the price of labour been even from advancing in proportion to the increase in +the expences of living, that it does not appear that it bears now half the proportion to those ex- +pences that it did bear." +1 4 1 ) Barton 1. c. p. 26. Für Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Eden 1. c. + +40 + +606 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +sehr einfache Art zu konstatiren, ohne Zuflucht zu hier unzulässigen De- +tails. Das Armengesetz und seine Administration waren 1795 und 1814 +dieselben. Man erinnert sich, wie dieß Gesetz auf dem Land gehandhabt +wurde: in der Gestalt von Almosen ergänzte ||641| die Pfarrei den Nominal- +lohn bis zu der für bloße Vegetation des Arbeiters erheischten Nominal- +summe. Das Verhältniß zwischen dem vom Pächter gezahlten Lohn und +dem von der Pfarrei gutgemachten Lohndeficit zeigt uns zweierlei, erstens +die Senkung des Arbeitslohns unter sein Minimum, zweitens den Grad, +worin der Landarbeiter aus Lohnarbeiter und Pauper zusammengesetzt +10 war, oder den Grad, worin man ihn in einen Leibeignen seiner Pfarrei ver- +wandelt hatte. Wir wählen eine Grafschaft, die das Durchschnittsverhältniß +in allen andren Grafschaften repräsentirt. 1795 betrug der durchschnittli- +che Wochenlohn in Northamptonshire 7 sh. 6 d., die jährliche Totalaus- +gabe einer Familie von 6 Personen 36 Pfd. St. 12 sh. 5 d., ihre Totalein- +15 nähme 29 Pfd. St. 18 sh., das von der Pfarrei gut gemachte Deficit: 6 Pfd. +St. 14 sh. 5 d. In derselben Grafschaft betrug 1814 der Wochenlohn 12 sh. +2 d., die jährliche Totalausgabe einer Familie von 5 Personen 54 Pfd. St. +18 sh. 4 d., ihre Totaleinnahme 36 Pfd. St. 2 sh., das von der Pfarrei gutge- +machte Deficit: 18 Pfd. St. 6 sh. 4 d . 1 4 2 ) , 1795 betrug das Deficit weniger als +20 Y4 des Arbeitslohns, 1814 mehr als die Hälfte. Es versteht sich von selbst, +daß unter diesen Umständen die geringen Komforts, die Eden noch in der +Cottage des Landarbeiters fand, 1814 verschwunden waren 1 4 3). Unter allen +Thieren, die der Pächter hält, blieb von nun an der Arbeiter, das instru- +mentum vocale, das meist geplackte, schlechtest gefütterte und brutalst be- + +25 handelte. + +30 + +Derselbe Zustand der Dinge dauerte ruhig fort, bis „die Swing Aufstände +1830 uns (d.h. den herrschenden Klassen) beim Lichtflammen der Korn- +schober enthüllten, daß Elend und dunkle aufrührerische Unzufriedenheit +eben so wild unter der Oberfläche des agrikolen als des industriellen Eng- +lands lodre" 1 4 4). Sadler taufte damals im Unterhaus die Landarbeiter +„weiße Sklaven" („white slaves"), ein Bischof hallte das Epithet im Ober- +haus wieder. Der bedeutendste politische Oekonom +jener Periode, +E.G.Wakefield, sagt: „Der Landarbeiter Südenglands ist kein Sklave, er ist +kein freier Mann, er ist ein Pauper" 1 4 5). + +35 + +Die Zeit unmittelbar vor der Aufhebung der Korngesetze warf neues +Licht auf die Lage der Landarbeiter. Einerseits lag es im ||642| Interesse +der bürgerlichen Agitatoren nachzuweisen, wie wenig jene Schutzgesetze + +1 4 2 ) Parry 1. c. p. 80. +1 4 3 ) id. p.213. +1 4 4 ) S.Laing I.e. p.62. +1 4 5 ) „England and America. Lond. 1833", v.I, p.47. + +40 + +607 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +den wirklichen Kornproducenten beschützten. Andrerseits schäumte die +industrielle Bourgeoisie auf von Ingrimm über die Denunciation der Fa- +brikzustände seitens der Grundaristokraten, über die affektirte Sympathie +dieser grundverdorbnen, herzlosen und vornehmen Müßiggänger mit den +Leiden des Fabrikarbeiters, und ihren „diplomatischen Eifer" für Fabrikge- +setzgebung. Es ist ein altes englisches Sprichwort, daß wenn zwei Diebe +sich in die Haare fallen, immer etwas Nützliches geschieht. Und in der +That, der geräuschvolle, leidenschaftliche Zank zwischen den zwei Fraktio- +nen der herrschenden Klasse über die Frage, welche von beiden den Arbei- +ter am schamlosesten ausbeute, wurde rechts und links Geburtshelfer der 10 +Wahrheit. Graf Shaftesbury, alias Lord Ashley, war Vorkämpfer im aristo- +kratischen Antifabrikphilanthropiefeldzug. Er bildet daher 1844 bis 1845 +ein Lieblingsthema in den Enthüllungen des Morning Chronicle über die +Zustände der Agrikulturarbeiter. Jenes Blatt, damals das bedeutendste li- +berale Organ, schickte in die Landdistrikte eigne Kommissäre, welche sich 15 +keineswegs mit allgemeiner Schilderung und Statistik begnügten, sondern +die Namen sowohl der untersuchten Arbeiterfamilien als ihrer Grundherrn +veröffentlichten. Die folgende Liste gibt Löhne, gezahlt auf drei Dörfern, +in der Nachbarschaft von Blanford, Wimbourne und Poole. Die Dörfer +sind Eigenthum des Mr. G. Bankes und des Grafen von Shaftesbury. Man 20 +wird bemerken, daß dieser Pabst der „low church", dieß Haupt der engli- +schen Pietisten, ebenso wie p.p.Bankes von den Hundelöhnen der Arbeiter +wieder einen bedeutenden Theil unter dem Vorwand von Hausrente ein- +steckt. + +Erstes Dorf. + +e) +Wochen- + +einnahme + +der + +Gesammt- + +fàmilie. + +8sh. + +8sh. + +8sh. + +8sh. + +10 sh. 6 d. + +f) +Wöchent- + +liche + +Haus- + +miethe. + +g) + +h) + +Gesammt- Wochen- + +wochenlohn + +lohn + +nach Abzug per Kopf, + +der Haus- + +miethe. + +2 s h . + +6sh. + +1 sh. 6 d. + +1 sh. 6 d. + +6 sh. 6 d. + +1 sh. 3½ d. + +l s h . + +l s h . + +2 s h . + +7sh. + +7sh. + +8 sh. 6 d. + +5 sh. 8 d. + +1 sh. 9 d. + +1 sh. 9 d. + +1 sh. 0 3/ 4 d. +l s h . 1 ½ d . I + +25 + +30 + +35 + +1 sh. 6 d. + +2 sh. + +7sh. + +1 sh. 4 d. + +|643| Zweites Dorf. + +1 sh. 6 d. + +1 sh. 6 d. + +10 sh. + +7 s h . + +7 s h . + +7 s h . + +7 s h . + +1 sh. 6 d. +1 sh. 3% d. +1 sh. 3 / 2 d. +1 sh. 6% d. +1 sh. 6% d. + +8 sh. 6 d. + +1 sh. 0 3/ 4 d. + +5 sh. 8½ d. + +0 sh. 8½ d. + +40 + +5 s h . 8%d. + +Osh. 7 d . + +5 sh. 5½ d. + +Osh. 11 d. + +5 s h . 5 1 ^ d . + +l s h . + +I d . + +a) +Kinder. + +b) + +Zahl + +der + +c) +Wöchent- + +licher + +Familien- + +Arbeits- + +glieder. + +lohn der + +Männer. + +d) + +Wöchent- + +licher- + +Kinder- + +lohn. + +4 + +5 + +4 + +4 + +10 + +6 + +5 + +8sh. + +8sh. + +8sh. + +8sh. + +7sh. + +7sh. + +7sh. + +7sh. + +7sh. + +7sh. + +7sh. + +608 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +[a) + +[b) + +Kinder.] Zahl + +[C) +W ö c h e n t - W ö c h e n t - W o c h e n - + +[d) + +[e) + +[f) +W ö c h e n t - + +[g) +Gesammt- + +[h) +W o c h e n - + +der + +licher + +Familien- Arbeits- + +licher- + +Kinder- + +einnähme + +liehe + +der + +Haus- + +wochenlohn + +nach Abzug + +lohn + +per + +5 + +glieder.] + +lohn der + +lohn.] + +Gesammt- + +miethe.] + +der Haus- + +Kopf.] + +Männer.] + +familie.] + +miethe.] + +Drittes Dorf. + +10 + +l s h . + +l s h . + +6 +5 +2 + +4 +3 +0 + +7 s h . +7 s h . +5 s h . + +2 s h . +2 s h . 6 d . + +1 sh. +2Sh-I1Xd. +2 s h . 1 4 6 ) . + +6 s h . +10 sh. 8 d. +4 s h . + +7 s h . +11 sh. 6 d. Osh. 10 d. +5 sh. +Die Abschaffung der Korngesetze gab dem englischen Landbau einen +ungeheuren Ruck. Drainirung auf der größten Stufenleiter 1 4 7), neues Sy- +stem der Stallfütterung und des Anbaus der künstlichen Futterkräuter, +Einführung mechanischer Düngapparate, neue Behandlung der Thonerde, +15 gesteigerter Gebrauch mineralischer Düngmittel, Anwendung der Dampf- +maschine und aller Art neuer Arbeitsmaschinerie u.s.w., intensivere Kul- +tur überhaupt charakterisiren diese Epoche. Der Präsident der königlichen +Gesellschaft für Agrikultur, Herr Pusey, behauptet, daß die (relativen) +Wirthschaftskosten durch die neu eingeführte Maschinerie beinahe um die +20 Hälfte verringert worden sind. Andrerseits ward der positive Bodenertrag +rasch erhöht. Größere Kapitalauslage per Acre, also auch beschleunigte +Koncentration der Pachten, war Grundbedingung der neuen Methode 1 4 8). +Zugleich dehnte sich das Areal der Bebauung von 1846 bis 1856 um +4 6 4 1 1 9 Acres aus, nicht zu sprechen von den großen Flächen der östlichen +25 Grafschaften, welche aus Kaninchengeheg und armer Viehweide in üppige +Kornfelder umgezaubert wurden. Man weiß bereits, daß gleichzeitig die +Gesammtzahl der in der Agrikultur betheiligten Personen abnahm. Was +die eigentlichen Ackerbauer, beiderlei Geschlechts ||644| und aller Alters- +stufen, betrifft, so sank ihre Zahl von 1 2 4 1 2 6 9 im Jahr 1851 auf 1163 227 +im Jahr 1 8 6 1 1 4 9 ) . Wenn der englische Generalregistrator daher mit Recht +bemerkt: „Der Zuwachs von Pächtern und Landarbeitern seit 1801 steht in +gar keinem Verhältniß zum Zuwachs des agrikolen Produkts" 1 5 ° ) , so gilt +1 4 6 ) London Economist. 29. März 1845, p.290. +1 4 7 ) Die Grundaristokratie schoß sich selbst zu diesem Zweck Fonds, natürlich per Parlament, +35 aus der Staatskasse vor, zu sehr niedrigem Zins, welchen die Pächter ihr doppelt zu erstatten + +30 + +haben. +1 4 8 ) Die Abnahme der mittleren Pächter ersieht man namentlich aus den Rubriken des Cen- +sus: „Pächters Sohn, Enkel, Bruder, Neffe, Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte", kurz der +vom Pächter beschäftigten Glieder seiner eignen Familie. Diese Rubriken zählten 1851: +40 216 851 Personen, 1861 nur 176 151. Von 1851 bis 1871 haben in England die Pachthöfe von +unter 20 Acres sich um mehr als 900 verringert; die zwischen 50 und 75 Acres sind von 8253 +auf 6370 gefallen; ähnlich bei allen andern Pachthöfen unter 100 Acres. Dagegen hat sich +während derselben 20 Jahre die Zahl der großen Pachthöfe vermehrt; die von 300-500 Acres +sind gestiegen von 7771 auf 8410, die von mehr als 500 Acres von 2755 auf 3914, die von + +45 mehr als 1000 Acres, von 492 auf 582. + +1 4 9 ) Die Zahl der Schafhirten wuchs von 12 517 auf 25 559. +1 5°) Census etc. I . e . p.36. + +609 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +dieß Mißverhältniß noch viel mehr von der letzten Periode, wo positive Ab- +nahme der ländlichen Arbeiterbevölkerung Hand in Hand ging mit Aus- +dehnung des bebauten Areals, intensiverer Kultur, unerhörter Akkumula- +tion des dem Böden einverleibten und des seiner Bearbeitung gewidmeten +Kapitals, Steigerung des Bodenprodukts ohne Parallele in der Geschichte +der englischen Agronomie, strotzenden Rentrollen der Grundeigenthümer +und schwellendem Reichthum der kapitalistischen Pächter. Nimmt man +dieß zusammen mit der ununterbrochnen raschen Erweiterung des städti- +schen Absatzmarkts und der Herrschaft des Freihandels, so war der Land- +arbeiter post tot discrimina rerum endlich in Verhältnisse gestellt, die ihn, +secundum artem, glückstoll machen mußten. + +Professor Rogers gelangt dagegen zum Resultat, daß der englische Land- +arbeiter heutigen Tags, gar nicht zu sprechen von seinem Vorgänger in der +letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert, sondern nur +verglichen mit seinem Vorgänger aus der Periode 1 7 7 0 - 1 7 8 0 , seine Lage +außerordentlich verschlechtert hat, daß „er wieder ein Leibeigner geworden +ist" und zwar schlecht gefütterter und behauster Leibeigner 1 5 1). Dr. Julian +Hunter, in seinem epochemachenden Bericht über die Wohnlichkeit der +Landarbeiter, sagt: „Die Existenzkosten des hind (der Zeit der Leibeigen- +schaft angehöriger Name für den Landarbeiter) sind fixirt zu dem mög- +lichst niedrigen Betrag, womit er leben kann ... sein Lohn und Obdach +sind nicht berechnet auf den aus ihm herauszuschlagenden Profit. Er ist +eine Null in den Berechnungen des Pächters 1 5 2) ... Seine Subsistenzmittel +werden stets als eine fixe ||645| Quantität behandelt" 1 5 3). „Was irgend eine +weitere Reduktion seines Einkommens angeht, so kann er sagen: nihil ha- +beo, nihil euro. Er hat keine Furcht für die Zukunft, weil er über nichts +verfügt außer dem, was zu seiner Existenz absolut unentbehrlich ist. Er hat +den Gefrierpunkt erreicht, von dem die Berechnungen des Pächters als Da- +tum ausgehn. Komme was wolle, er hat keinen Antheil an Glück oder Un- +glück" 1 5 4). + +Im Jahre 1863 fand eine officielle Untersuchung über die Verpflegungs- +und Beschäftigungszustände der zu Transportation und öffentlicher + +1 5 1 ) Rogers 1. c. p. 693. "The peasant has again become a serf." 1. c. p. 10. Herr Rogers gehört +zur liberalen Schule, ist persönlicher Freund von Cobden und Bright, also kein laudator tem- +poris acti. +1 5 2 ) „Public Health. Seventh Report. Lond. 1865", p.242. "The cost of the hind is fixed at the +lowest possible amount on which he can live ... the supplies of wages or shelter are not calcu- +lated on the profit to be derived from him. He is a zero in farming calculations." Es ist daher +nichts ungewöhnliches, daß entweder der Hausvermiether die Miethe für einen Arbeiter er- +höht, sobald er hört, daß derselbe etwas mehr verdient, oder daß der Pächter den Lohn des Ar- +beiters heruntersetzt, „weil dessen Frau Beschäftigung gefunden hat". (I.e.) +1 5 3 ) I.e. p.135. +1 5 4 ) I.e. p.134. + +610 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Zwangsarbeit verurtheilten Verbrecher statt. Die Resultate sind in zwei +dickleibigen Blaubüchern niedergelegt. „Eine sorgfältige Vergleichung", +heißt es unter anderem, „zwischen der Diät der Verbrecher in den Gefäng- +nissen von England und der der Paupers in Workhouses und der freien +5 Landarbeiter desselben Landes zeigt unstreitig, daß die erstem viel besser +genährt sind als irgend eine der beiden andren K l a s s e n " 1 5 5 ) , während „die +Arbeitsmasse, die von einem zu öffentlicher Zwangsarbeit Verurtheilten +verlangt wird, ungefähr die Hälfte der vom gewöhnlichen Landarbeiter ver- +richteten beträgt" 1 5 6). Einige wenige charakteristische Zeugenaussagen: +10 John Smith, Direktor des Gefängnisses zu Edinburg, verhört. Nr. 5056: +„Die Diät in den englischen Gefängnissen ist viel besser als die der ge- +wöhnlichen Landarbeiter." Nr. 5057: „Es ist Thatsache, daß die gewöhnli- +chen Agrikulturarbeiter Schottlands sehr selten irgend welches Fleisch er- +halten." Nr. 3047: „Kennen Sie irgend einen Grund für die Nothwendig- +15 keit, die Verbrecher viel besser (much better) zu nähren als gewöhnliche +Landarbeiter? - Sicher nicht." Nr. 3048: „Halten Sie es für angemessen, +weitere Experimente zu machen, um die Diät zu öffentlichen Zwangsarbei- +ten verurtheilter Gefangenen der Diät freier Landarbeiter nahe zu brin- +gen?" 1 5 7 ) . „Der Landarbeiter", heißt es, „könnte sagen: Ich arbeite hart und +20 habe nicht genug zu essen. Als ich im Gefängniß war, arbeitete ich nicht so +hart und hatte Essen in Fülle, und darum ist es besser für mich im Gefäng- +niß als im Freien zu s e i n " 1 5 8 ) . Aus den dem ersten Band des Berichts | +|646| angehängten Tabellen ist eine vergleichende Uebersieht zusammen- +gestellt. + +25 + +Wöchentlicher + +Nahrungsbetrag.15**) + +Stickstoff- +haltige +Bestand- +theile. + +Stickstoff- +freie +Bestand- +theile. + +Mineralische +Bestand- +theile. + +Gesamn +summe. + +Unzen. + +Unzen. + +Unzen. + +Unzen. + +Verbrecher im Gefängniß +von Portland +Matrose in der königl. Marine +Soldat +Kutschenmacher (Arbeiter) +Setzer +Landarbeiter + +28,95 +29,63 +25,55 +24,53 +21,24 +17,73 + +150,06 +152,91 +114,49 +162,06 +100,83 +118,06 + +4,68 +4,52 +3,94 +4,23 +3,12 +3,29 + +183,69 +187,06 +143,98 +190,82 +125,19 +139,08 + +40 + +1 5 5 ) „Report of the Commissioners ... relating to Transportation and Penal Servitude. Lond. +1863", p. 42, n.50. +1 5 6 ) 1. c. p. 77. Memorandum by the Lord Chief Justice. +1 5 7 ) 1. c. v. II. Evidence. +1 5 8 ) 1. c. v. I. Appendix p. 280. +1 5 8 a ) 1. c. p. 274, 275. + +611 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Das allgemeine Resultat der ärztlichen Untersuchungskommission von +1863 über den Nahrungszustand der schlechter genährten Volksklassen ist +dem Leser bereits bekannt. Er erinnert sich, daß die Diät eines großen +Theils der Landarbeiterfamilien unter dem Minimalmaß „zur Abwehr von +Hungerkrankheiten" steht. Es ist dies namentlich der Fall in allen rein +agrikolen Distrikten von Cornwall, Devon, Somerset, Wilts, Stafford, Ox- +ford, Berks und Herts. „Die Nahrung, die der Landarbeiter erhält", sagt +Dr. Simon, „ist größer, als das Durchschnittsquantum anzeigt, da er selbst +einen viel größeren, für seine Arbeit unentbehrlichen, Theil der Lebens- +mittel erhält als seine übrigen Familienglieder, in den ärmeren Distrikten 10 +fast alles Fleisch oder Speck. Das Quantum Nahrung, das der Frau zufällt, +und ebenso den Kindern in ihrer Periode raschen Wachsthums, ist in vie- +len Fällen, und zwar in fast allen Grafschaften, mangelhaft, hauptsächlich +an Stickstoff' 1 5 9). Die bei den Pächtern selbst wohnenden Knechte und +Mägde werden reichlich genährt. Ihre Zahl fiel von 288 272 im Jahre 1851 15 +auf 204 962 im Jahr 1861. „Die Arbeit der Weiber auf freiem Feld", sagt +Dr. Smith, „von welchen sonstigen Nachtheilen auch immer begleitet, ist +unter gegenwärtigen Umständen von großem Vortheil für die Familie, +denn sie liefert derselben Mittel für Beschuhung, Kleidung, Zahlung der +Hausrente, und befähigt sie so besser zu essen" 1 6 0). Eins der merkwürdig- 20 +sten Resultate dieser Untersuchung ||647| war, daß der Landarbeiter in +England bei weitem schlechter genährt ist als in den andren Theilen des +Vereinigten Königreichs (,,is considerably the worst fed"), wie die Tabelle +zeigt. + +Wöchentlicher Konsum von Kohlenstoff und Stickstoff +durch den ländlichen Durchschn ittsarbeiter. + +England +Wales +Schottland +Irland + +Kohlenstoff. + +Stickstoff. + +40 673 Gran +48 354 Gran +48 980 Gran +43 366 Gran + +1594 Gran +2 031 Gran +2 348 Gran +2 434 Gran 1 6 1) | + +25 + +30 + +1 5 9 ) „Public Health. Sixth Report. 1863", p.238, 249, 261, 262. +1 6°) I.e. p.262. +1 6 1 ) 1. c. p. 17. Der englische Landarbeiter erhält nur X/A SO viel Milch und nur % so viel Brod- +stoff als der irische. Den besseren Nahrungsstand der letzteren bemerkte schon A. Young, in 35 +seiner „Tour through Ireland" Anfang dieses Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, daß der +arme irische Pächter ungleich humaner ist als der reiche englische. Mit Bezug auf Wales gilt +die Textangabe nicht für seinen Südwesten. „Alle dortigen Aerzte stimmen überein, daß die +Zunahme der Sterblichkeitsrate durch Tuberkulose, Skropheln etc. an Intensität wächst mit +der Verschlechterung des physischen Zustandes der Bevölkerung, und alle schreiben diese +Verschlechterung der Armuth zu. Der tägliche Unterhalt des Landarbeiters wird dort auf 5 d. +veranschlagt, in vielen Distrikten zahlt der Pächter (selbst elend) weniger. Ein Bissen gesalz- +nes Fleisch, getrocknet zur Härte von Mahagoni und kaum werth des schwierigen Processes +der Verdauung, oder Speck dient zur Würze einer großen Quantität von Brühe, von Mehl und +Lauch, oder Haferbrei, und Tag nach Tag ist dieß das Mittagsmahl des Landarbeiters ... Der 45 + +40 + +612 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +|648| „Jede Seite von Dr.Hunters Bericht", sagt Dr. Simon in seinem offî- + +ciellen Gesundheitsbericht, „gibt Zeugniß von der unzureichenden Quan- + +tität und elenden Qualität der Wohnlichkeit unsres Landarbeiters. Und seit + +vielen Jahren hat sich sein Zustand progressiv in dieser Hinsicht ver- + +schlechtert. Es ist jetzt viel schwerer für ihn, Hausraum zu finden, und, + +wenn gefunden, ist er seinen Bedürfnissen viel weniger entsprechend, als + +vielleicht seit Jahrhunderten der Fall war. Besonders innerhalb der letzten + +30 oder 20 Jahre ist das Uebel in raschem Wachsthum begriffen, und die + +Wohnlichkeitsverhältnisse des Landmanns sind jetzt im höchsten Grad + +kläglich. Außer soweit diejenigen, die seine Arbeit bereichert, es der Mühe + +werth halten, ihn mit einer Art von mitleidiger Nachsicht zu behandeln, ist + +er ganz hülflos in der Sache. Ob er Behausung findet auf dem Land, wel- + +ches er bebaut, ob sie menschlich oder schweinisch ist, ob mit kleinem + +Garten, der den Druck der Armuth so sehr erleichtert, alles das hängt nicht + +Fortschritt der Industrie hatte die Folge für ihn, in diesem harten und feuchten Klima, das so- +lide hausgesponnene Tuch durch wohlfeile Baumwollzeuge zu verdrängen und stärkere Ge- +tränke durch „nominellen" Thee ... Nach langstündiger Aussetzung an Wind und Regen, +kehrt der Ackerbauer zurück zu seiner Cottage, um niederzusitzen bei einem Feuer von Torf +oder Ballen, die aus Lehm und Kohlenabfall zusammengesetzt sind und Wolken von Kohlen- +und Schwefelsäure ausqualmen. Die Wände der Hütte bestehn aus Lehm und Steinen, das +Estrich aus der nackten Erde, welche da war vor Erbauung der Hütte, das Dach ist eine Masse +losen und aufgedunsenen Strohs. Jeder Spalt ist verstopft zur Erhaltung der Wärme, und in +einer Atmosphäre von diabolischem Gestank, einen Schlammboden unter sich, oft mit seinen +einzigen Kleidern trocknend auf seinem Leibe, nimmt er sein Abendbrot mit Weib und Kin- +dern. Geburtshelfer, gezwungen einen Theil der Nacht in diesen Hütten zuzubringen, haben +beschrieben, wie ihre Füße im Schlamm des Fußbodens versanken, und wie sie gezwungen +waren, leichte Arbeit!, ein Loch durch die Wand zu bohren, um sich eine kleine Privatrespira- +tion zu verschaffen. Zahlreiche Zeugen von verschiednem Rang bezeugen, daß der unterge- +nährte (underfed) Bauer diesen und andren gesundheitswidrigen Einflüssen jede Nacht ausge- +setzt ist, und für das Resultat, ein geschwächtes und skrophulöses Volk, fehlt es wahrhaftig +nicht an Beweisen ... Die Mittheilungen der Pfarreibeamten von Carmarthenshire und Cardi- +ganshire zeigen schlagend denselben Zustand der Dinge. Es kommt hinzu eine noch größere +Pest, das Umsichgreifen des Idiotismus. Nun noch die klimatischen Verhältnisse. Heftige +Südwestwinde durchblasen das ganze Land während 8 bis 9 Monaten im Jahr, in ihrem Ge- +folg Regen-Sturzbäche, die sich hauptsächlich auf die westlichen Abhänge der Hügel entla- +den. Bäume sind selten, außer in gedeckten Plätzen; wo unbeschützt, werden sie aus aller +Form zerblasen. Die Hütten kriechen unter irgend eine Bergterrasse, oft auch in eine +Schlucht oder einen Steinbruch, nur die winzigsten Schafe und einheimisches Hornvieh kön- +nen auf den Weiden leben ... Die jungen Leute wandern nach dem östlichen Minendistrikte +von Glamorgan und Monmouth ... Carmarthenshire ist die Pflanzschule der Minenbevölke- +rung und ihr Invalidenhaus ... Die Bevölkerung erhält ihre Zahl nur mühsam. So in Cardi- +ganshire: + +1851 + +Männlichen Geschlechts: 45 155 +Weiblichen Geschlechts: 52 459 + +1861 + +44446 +52 955 + +97 614 97 401." + +(Dr. Hunter's Report in: „Public Health. Seventh Report. 1864, Lond. 1865", p. 498-502 + +passim.) + +613 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +von seiner Breitheit oder Fähigkeit zur Zahlung einer angemeßnen Miethe +ab, sondern von dem Gebrauch, den Andre von ,dem Recht mit ihrem Ei- +genthum zu thun, was sie wollen' zu machen belieben. Eine Pachtung mag +noch so groß sein, es existirt kein Gesetz, daß auf ihr eine bestimmte An- +zahl von Arbeiterwohnungen, und nun gar anständigen, stehen muß; eben- +sowenig behält das Gesetz dem Arbeiter auch nur das kleinste Recht auf +den Boden vor, für welchen seine Arbeit so nothwendig ist wie Regen und +Sonnenschein ... Ein notorischer Umstand wirft noch ein schweres Ge- +wicht in die Wagschale gegen ihn +der Einfluß des Armengesetzes mit +seinen Bestimmungen über Niederlassung und Belastung zur Armen- +steuer 1 6 2). Unter seinem Einfluß hat jede Pfarrei ein Geldinteresse, +| +|649| die Zahl ihrer residirenden Landarbeiter auf ein Minimum zu be- +schränken; denn unglücklicher Weise führt die Landarbeit, statt sichre und +permanente Unabhängigkeit dem hartschanzenden Arbeiter und seiner Fa- +milie zu verbürgen, meist nur auf längerem oder kürzerem Umweg zum +Pauperismus, einem Pauperismus, der während des ganzen Wegs so nahe +ist, daß jede Krankheit oder irgend ein vorübergehender Mangel an Be- +schäftigung unmittelbar die Zuflucht zur Pfarreihülfe ernöthigt; und daher +ist alle Ansässigkeit einer Ackerbaubevölkerung in einer Pfarrei augen- +scheinlich ein Zuschuß zu ihrer Armensteuer ... Große Grundeigenthü- +m e r 1 6 3 ) haben nur zu beschließen, daß keine Arbeiterwohnungen auf ihren +Gütern stehn sollen, und sie befreien sich sofort von der Hälfte ihrer Ver- +antwortlichkeit für die Armen. Wie weit die englische Konstitution und +das Gesetz dieser Art unbedingtes Grundeigenthum beabsichtigten, wel- +ches einen Landlord, der „mit seinem Eignen thut was er will", befähigt, +die Bebauer des Bodens wie Fremde zu behandeln und sie von seinem Ter- +ritorium zu verjagen, ist eine Frage, deren Diskussion nicht in meinen Be- +reich fällt ... Diese Macht der Eviktion ist keine bloße Theorie. Sie wird +praktisch auf der größten Stufenleiter geltend gemacht. Sie ist einer der +Umstände, welche die Wohnlichkeitsverhältnisse des Landarbeiters beherr- +schen ... Den Umfang des Uebels mag man aus dem letzten Census beur- +theilen, wonach die Zerstörung von Häusern, trotz vermehrter lokaler +Nachfrage für dieselben, während der letzten 10 Jahre, in 821 verschiednen +Distrikten von England fortschritt, so daß, abgesehn von den Personen, die +gezwungen wurden, Nichtresidirende (nämlich in dem Kirchspiel, worin +sie arbeiten) zu werden, 1861 verglichen mit 1851 eine um 5¾% größere + +1 6 2 ) 1865 ist dieß Gesetz etwas verbessert worden. Man wird bald durch Erfahrung lernen, daß +dergleichen Pfuscherei nichts hilft. +1 6 3 ) Zum Verständniß des folgenden: Close Villages (geschlossne Dörfer) heißen die, deren +Grundeigenthümer ein oder ein paar große Landlords; Open Villages (offne Dörfer) die, deren +Boden vielen kleineren Eigenthümern gehört. Es sind die letzteren Orte, wo Bauspekulanten +Cottages und Logirhäuser errichten können. + +614 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +10 + +Bevölkerung in einen um 4¾ % kleineren Hausraum gedrängt wurde ... So- +bald der Entvölkerungsproceß sein Ziel erreicht hat, ist das Resultat, sagt +Dr. Hunter, ein Schaudorf (show-village), wo die Cottages auf wenige redu- +cirt sind und wo niemand leben darf außer Schafhirten, Gärtnern und +5 Wildhütern, reguläre Bediente, welche die in ihrer Klasse gewohnheitsmä- +ßige gute Behandlung von der gnädigen Herrschaft erhalten 1 6 4). Aber das | +|650| Land bedarf der Bebauung, und man wird finden, daß die darauf be- +schäftigten Arbeiter keine Haussassen des Grundeigenthümers sind, +sondern von einem offnen Dorf herkommen, vielleicht 3 Meilen weit ent- +fernt, wo eine zahlreiche kleine Hauseigenthümerschaft sie aufnahm, nach +Zerstörung ihrer Cottages in den geschloßnen Dörfern. Wo die Dinge die- +sem Resultat zustreben, bezeugen die Cottages meist durch ihr elendes +Aussehn das Schicksal, zu dem sie verdammt sind. Man findet sie auf den +verschiednen Stufen natürlichen Verfalls. So lange das Obdach zusammen- +15 hält, wird dem Arbeiter erlaubt, Rente dafür zu zahlen, und er ist oft sehr +froh, dieß thun zu dürfen, selbst wenn er den Preis einer guten Wohnung +zu zahlen hat. Aber keine Reparatur, keine Ausbesserung, außer die der +pfenniglose Inhaber leisten kann. Wird es endlich zuletzt ganz unbewohn- +bar, so ist es nur eine zerstörte Cottage mehr und so viel künftige Armen- +20 Steuer weniger. Während die großen Eigenthümer die Armensteuer so von +sich abwälzen durch Entvölkerung des von ihnen kontrolirten Grund und +Bodens, nimmt das nächste Landstädtchen oder offne Ortschaft die hin- +ausgeworfnen Arbeiter auf; die nächste, sage ich, aber dieß „nächste" mag +3 oder 4 Meilen vom Pachthof sein, wo der Arbeiter sich täglich abzuplak- +25 ken hat. So wird seinem Tageswerk, als ob es gar nichts sei, die Nothwen- +digkeit eines täglichen Marsches von 6 oder 8 Meilen zur Verdienung sei- +nes +täglichen Brodes hinzugefügt. Alle von seiner Frau und seinen +Kindern verrichtete Landarbeit geht jetzt unter denselben erschwerenden +Umständen vor. Und dieß ist nicht das ganze Uebel, welches ihm die Ent- +fernung verursacht. In der offnen Ortschaft kaufen Bauspekulanten Boden- +fetzen, welche sie so dicht wie möglich mit den wohlfeilsten aller mögli- +chen Spelunken besäen. Und in diesen elenden Wohnlichkeiten, die sogar, +wenn sie auf das offne Land münden, die ungeheuerlichsten Charakter- +züge der schlechtesten Stadtwohnungen theilen, locken die Ackerbauarbei- + +30 + +35 + +1 6 4 ) Ein solches Schaudorf sieht sehr nett aus, aber es ist so unreal, wie die Dörfer, welche +Katharina II. auf der Reise nach der Krim sah. In der letzteren Zeit wird auch der Schafhirt +häufig aus diesen show-villages verbannt. Z.B. bei Market Harborough ist eine Schäferei von +ungefähr 500 Acres, die nur die Arbeit eines Mannes erheischt. Zur Verminderung der langen +Märsche über diese weiten Flächen, die schönen Weiden von Leicester und Northampton, +40 pflegte der Hirt eine Cottage auf der Meierei zu erhalten. Jetzt gibt man ihm einen dreizehn- + +ten Schilling für Logis, das er weitab in dem offnen Dorf suchen muß. + +615 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +ter Englands 1 6 5) . . . Andrerseits ||651| muß man sich nur nicht einbilden, + +daß selbst der auf dem Grund und Boden, den er bebaut, behauste Arbeiter + +eine Wohnlichkeit findet, wie sie sein Leben produktiver Industrie ver- + +dient. Selbst auf den fürstlichsten Gütern ist seine Cottage oft von der + +allerjämmerlichsten Art. Es gibt Landlords, die einen Stall gut genug für + +5 + +ihre Arbeiter und deren Familien glauben, und die es dennoch nicht ver- + +schmähn, aus ihrer Miethe so viel Baares als möglich herauszuschlagen 1 6 6). + +Es mag nur eine verfallende Hütte mit einer Schlafstube sein, ohne Feuer- + +herd, ohne Abtritt, ohne offenbare Fenster, ohne Wasserzufuhr außer dem + +Graben, ohne Garten, der Arbeiter ist hülflos gegen die Unbill. Und unsre 10 + +gesundheitspolizeilichen Gesetze (The Nuisances Removal Acts) sind ein + +todter Buchstabe. Ihre Ausführung ist ja grade den Eigenthümern anver- + +traut, welche solche Löcher vermiethen . . . Man muß sich ||652| durch aus- + +nahmsweise lichtvollere Scenen nicht blenden lassen über das erdrückende + +Uebergewicht der Thatsachen, die ein Schandfleck der englischen Civilisa- 15 + +tion sind. Schauderhaft muß in der That die Lage der Dinge sein, wenn, + +1 6 5 ) „Die Häuser der Arbeiter (in den offnen Ortschaften, die natürlich stets überfüllt sind) +sind gewöhnlich in Reihen gebaut, mit dem Rücken auf der äußersten Kante des Bodenfet- +zens, den der Bauspekulant sein nennt. Sie sind daher ohne Zutritt von Licht und Luft, außer +von der Frontseite." (Dr. Hunter's Report 1. c. p. 135.) Sehr oft ist der Bierwirth oder Krämer 20 +des Dorfs zugleich Hausvermiether. In diesem Fall findet der Landarbeiter in ihm einen zwei- +ten Herrn neben dem Pächter. Er muß zugleich sein Kunde sein. „Mit 10 sh. per Woche, mi- +nus einer jährlichen Rente von 4 Pfd. St., ist er verpflichtet, sein modicum von Thee, Zucker, +Mehl, Seife, Kerzen und Bier zu den vom Krämer beliebten Preisen zu kaufen." (1. c. p. 132.) +Diese offnen Dorfschaften bilden in der That die „Strafkolonien" des englischen Ackerbau- 25 +proletariats. Viele der Cottages sind reine Logirhäuser, wo alles vagabundirende Gesindel der +Umgegend durchpassirt. Der Landmann und seine Familie, die oft wahrhaft wunderbar in +den schmutzigsten Verhältnissen Tüchtigkeit und Reinheit des Charakters bewahrt hatten, +gehn hier platterdings zum Teufel. Es ist natürlich Mode unter den vornehmen Shylocks über +die Bauspekulanten und die kleinen Eigenthümer und die offnen Orte pharisäisch die Achsel 30 +zu zucken. Sie wissen sehr wohl, daß ihre „geschloßnen Dörfer und Schaudörfer" die Geburts- +stätten der „offnen Orte" sind und ohne dieselben nicht existiren könnten. „Ohne die kleinen +Eigenthümer der offnen Orte müßte der größte Theil der Landarbeiter unter den Bäumen der +Güter schlafen, worauf sie arbeiten." (I.e. p. 135.) Das System der „offnen" und „geschloßnen" +Dörfer herrscht in allen Midlands und im ganzen Osten Englands. +1 6 6 ) „Der Hausvermiether (der Pächter oder Landlord) bereichert sich direkt oder indirekt +durch die Arbeit eines Mannes, dem er 10 sh. per Woche zahlt, und zwackt dann wieder von +diesem armen Teufel 4 oder 5 Pfd. St. jährliche Miethe für Häuser ab, die keine 20 Pfd. St. +auf offnem Markt werth sind, aber auf ihrem künstlichen Preis erhalten werden durch die +Macht des Eigenthümers zu sagen: ,Nimm mein Haus, oder pack' Dich und suche anderswo 40 +ein Unterkommen, ohne Arbeitszeugniß von mir' ... Wünscht ein Mann sich zu verbessern +und als Schienenleger zu einer Eisenbahn zu gehn oder einem Steinbruch, wieder ist dieselbe +Macht bereit mit einem: ,Arbeite für mich zu diesem niedrigen Arbeitslohn, oder pack' Dich +auf eine Woche Kündigung; nimm Dein Schwein mit Dir, wenn Du eins hast, und schau zu, +was Du aus den Kartoffeln herausschlägst, die in Deinem Garten wachsen.' Steht jedoch das 45 +Interesse nach der andren Seite, so zieht in solchen Fällen der Eigenthümer (resp. Pächter) +manchmal eine erhöhte Hausmiethe vor als Strafe für die Desertion aus seinem Dienst." (Dr. +Hunter 1. c. p. 132.) + +35 + +616 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +trotz der augenfälligen Ungeheuerlichkeit der gegenwärtigen Behausung, +kompetente Beobachter einstimmig zu dem Schlußresultat gelangen, daß +selbst die allgemeine Nichtswürdigkeit der Wohnungen noch ein unend- +lich minder drückendes Uebel ist als ihr bloß numerischer Mangel. Seit +Jahren war die Ueberstopfung der Wohnungen der Landarbeiter ein Ge- +genstand tiefen Kummers nicht nur für Personen, die auf Gesundheit, +sondern für alle, die auf anständiges und moralisches Leben halten. Denn, +wieder und wieder, in Ausdrücken so gleichförmig, daß sie stereotypic zu +sein scheinen, denunciren die Berichterstatter über die Verbreitung epide- +10 mischer Krankheiten in den ländlichen Distrikten Hausüberfüllung als +eine Ursache, die jeden Versuch, den Fortschritt einer einmal eingeführten +Epidemie aufzuhalten, durchaus vereitelt. Und wieder und wieder ward +nachgewiesen, daß den vielen gesunden Einflüssen des Landlebens zum +Trotz die Agglomeration, welche das Umsichgreifen ansteckender Krank- +15 heiten so sehr beschleunigt, auch die Entstehung nicht ansteckender Krank- +heiten fördert. Und die Personen, welche diesen Zustand denuncirt ha- +ben, verschwiegen weitres Unheil nicht. Selbst wo ihr ursprüngliches +Thema nur die Gesundheitspflege betraf, waren sie beinahe gezwungen, +auf die andren Seiten des Gegenstandes einzugehn. Indem sie nachwiesen, +20 wie häufig es sich ereignet, daß erwachsne Personen beiderlei Geschlechts, +verheirathet und unverheirathet, zusammengehudelt (huddled) werden in +engen Schlafstuben, mußten ihre Berichte die Ueberzeugung hervorrufen, +daß unter den beschriebenen Umständen Scham- und Anstandsgefühl aufs +gröbste verletzt und alle Moralität fast nothwendig ruinirt wird 1 6 7). ... Z . B . +im Appendix meines letzten Berichts erwähnt ||653| Dr. Ord, in seinem Be- +richt über den Fieberausbruch zu Wing in Buckinghamshire, wie ein +junger Mann von Wingrave mit Fieber dorthin kam. In den ersten Tagen +seiner Krankheit schlief er mit 9 andren Personen in einem Gemach zu- +sammen. In zwei Wochen wurden verschiedne Personen ergriffen, im Ver- +lauf weniger Wochen verfielen 5 von den 9 Personen dem Fieber und eine +starb! Gleichzeitig berichtete mir Dr. Harvey von St. George's Spital, der +Wing während der Epidemiezeit in Angelegenheiten seiner Privatpraxis be- + +25 + +30 + +35 + +1 6 7 ) „Jung verheirathete Paare sind kein erbauliches Studium für erwachsne Brüder und +Schwestern in derselben Schlafstube; und obgleich Beispiele nicht registrirt werden dürfen, +liegen hinreichende Data vor, um die Bemerkung zu rechtfertigen, daß großes Leid und oft +der Tod das Loos der weiblichen Theilnehmer am Verbrechen der Blutschande ist." (Dr. Hun- +ter 1. c. p. 137.) Ein ländlicher Polizeibeamter, der viele Jahre durch als Detektiv in den +schlechtesten Vierteln von London funktionirt hatte, sagt von den Mädchen seines Dorfs aus: +„Ihre grobe Immoralität im frühen Alter, ihre Frechheit und Schamlosigkeit habe ich niemals +40 während meines Polizeilebens in den schlechtesten Theilen von London erreicht gesehn ... +Sie leben wie Schweine, große Jungen und Mädchen, Mütter und Väter, alles schläft zusam- +men in derselben Stube." (,,Child. Empi. Comm. Sixth Report. Lond. 1867", Appendix, p. 77, +n. 155.) + +617 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +suchte, in demselben Sinne: „Ein junges, fieberkrankes Frauenzimmer +schlief Nachts in derselben Stube mit Vater, Mutter, ihrem Bastardkind, +zwei jungen Männern, ihren Brüdern, und ihren zwei Schwestern, jede mit +einem Bastard, in allem 10 Personen. Wenige Wochen vorher schliefen +13 Kinder in demselben R ä u m e " 1 6 8 ) . + +Dr. Hunter untersuchte 5375 Landarbeiter-Cottages, nicht nur in den +reinen Agrikulturdistrikten, sondern in allen Grafschaften Englands. Unter +diesen 5375 hatten 2195 nur eine Schlafstube (oft zugleich Wohnstube), +2930 nur 2 und 250 mehr als 2. Ich will für ein Dutzend Grafschaften eine +kurze Blüthenlese geben. + +5 + +10 + +1) Bedfordshire. +Wrestlingworth: Schlafzimmer ungefähr 12 Fuß lang und 10 breit, ob- +gleich viele kleiner sind. Die kleine einstöckige Hütte wird oft durch Bret- +ter in zwei Schlafstuben getheilt, oft ein Bett in einer Küche 5 Fuß 6 Zoll +hoch. Miethe 3 Pfd. St. Die Miether haben ihre eignen Abtritte zu bauen, 15 +der Hauseigenthümer liefert nur ein Loch. So oft einer einen Abtritt baut, +wird letzterer von der ganzen Nachbarschaft benutzt. Ein Haus Namens +Richardson von unerreichbarer Schöne. Seine Mörtelwände bauschten aus +wie ein Damenkleid beim Knix. Ein Giebelende war konvex, das andre +konkav, und auf dem letztren stand unglücklicher Weise ein Schornstein, 20 +ein krummes Rohr von Lehm und Holz gleich einem Elephantenrüssel. +Ein langer Stock diente als Stütze, um den Fall des Schornsteins zu ver- +hindern, Thür und Fenster rautenförmig. Von 17 besuchten Häusern nur 4 +mit mehr als 1 Schlafzimmer und diese 4 überstopft. Die einschläfrigen +Cots bargen 3 Erwachsne mit 3 Kindern, ein verheirathetes Paar mit 25 +6 Kindern u. s. w. + +Dunton: Hohe Hausrenten, von 4 bis 5 Pfd. St., Wochenlohn der Män- +ner 10 sh. Sie hoffen durch Strohflechten der Familie ||654| die Miethe her- +auszuschlagen. Je höher die Hausmiethe, desto größer die Zahl, die sich +zusammenthun muß, um sie zu zahlen. Sechs Erwachsne, die mit 4 Kin- 30 +dem in einer Schlafstube, zahlen dafür 3 Pfd. 10 sh. Das wohlfeilste Haus +in Dunton, von der Außenseite 15 Fuß lang, 10 breit, vermiethet für 3 Pfd. +St. Nur eins von den 14 untersuchten Häusern hatte zwei Schlafstuben. Et- +was vor dem Dorf ein Haus, von den Insassen bekothet vor seinen Außen- +wänden, die untern 9 Zoll der Thür verschwunden durch reinen Verfau- 35 +lungsproceß, einige Ziegelsteine von innen sinnreich des Abends beim +Zuschließen vorgeschoben und mit etwas Matte verhangen. Ein halbes +Fenster, sammt Glas und Rahmen, war ganz den Weg alles Fleisches ge- +gangen. Hier, ohne Möbel, hudelten 3 Erwachsne und 5 Kinder zusam- +men. Dunton ist nicht schlimmer als der Rest der Biggleswade Union. +1 6 8 ) „Public Health. Seventh Report. 1864", p.9-14 passim. + +40 + +618 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +2) Berkshire. +Beenham: Juni 1864 lebte ein Mann, Frau, 4 Kinder in einem Cot (ein- +stöckigen Cottage). Eine Tochter kam heim aus dem Dienst mit Scharlach- +fieber. Sie starb. Ein Kind erkrankte und starb. Die Mutter und ein Kind +litten am Typhus, als Dr. Hunter gerufen wurde. Der Vater und ein Kind +schliefen auswärts, aber die Schwierigkeit, Isolirung zu sichern, zeigte sich +hier, denn im vollgepropften Markt des elenden Dorfs lag das Leinen des +fiebergeschlagnen Hauses, auf Wäsche wartend. - Die Miethe von H.'s +Haus 1 sh. wöchentlich; das eine Schlafzimmer für ein Paar und 6 Kinder. +10 Ein Haus vermiethet zu 8 d. (wöchentlich), 14 Fuß 6 Zoll lang, 7 Fuß breit, +Küche 6 Fuß hoch; das Schlafzimmer ohne Fenster, Feuerplatz, Thür, +noch Oeffnung, außer nach dem Gang zu, kein Garten. Ein Mann lebte +hier vor kurzem mit zwei erwachsnen Töchtern und einem aufwachsenden +Sohn; Vater und Sohn schliefen auf dem Bett, die Mädchen auf dem Haus- +15 gang. Jede hatte ein Kind, so lange die Familie hier lebte, aber eine ging + +zum Workhouse für ihre Entbindung und kehrte dann heim. + +3) Buckinghamshire. +30 Cottages + +- auf 1000 Acres Land + +- enthalten hier ungefähr +1 3 0 - 1 4 0 Personen. Die Pfarrei von Bradenham umfaßt 1000 Acres; sie +20 hatte 1851 36 Häuser und eine Bevölkerung von 84 Manns- und 54 Weibs- +personen. Diese geschlechtliche Ungleichheit geheilt 1861, wo sie 98 +männlichen und 87 weiblichen Geschlechts zählte, Zuwachs in 10 Jahren +von 14 Männern und ||655| 33 Weibern. Unterdeß hatte die Häuserzahl um +1 abgenommen. + +25 Winslow: Großer Theil davon neu gebaut in gutem Styl; Nachfrage nach +Häusern scheint bedeutend, weil sehr armselige Cots vermiethet zu 1 sh. +und 1 sh. 3 d. per Woche. + +Water Eaton: Hier haben die Eigenthümer im Angesicht wachsender Be- +völkerung ungefähr 20 % der existirenden Häuser zerstört. Ein armer Ar- +30 beiter, der ungefähr 4 Meilen zu seinem Werk zu gehn hatte, antwortete +auf die Frage, ob er kein Cot näher finden könnte: „Nein, sie werden sich +verdammt hüten, einen Mann mit meiner großen Familie aufzuneh- +men." + +Tinker's End, bei Winslow: Eine Schlafstube, worin 4 Erwachsne und +35 5 Kinder, 11 Fuß lang, 9 Fuß breit, 6 Fuß 5 Zoll hoch am höchsten Punkt; +ein andres 11 Fuß 7 Zoll lang, 9 Fuß breit, 5 Fuß 10 Zoll hoch, beherbergte +6 Personen. Jede dieser Familien hatte weniger Raum als nöthig für einen +Galeerensträfling. Kein Haus hatte mehr als ein Schlafzimmer, keins eine +Hinterthür, Wasser sehr selten. Wochenmiethe von 1 sh. 4 d. zu 2 sh. In 16 +40 untersuchten Häusern nur ein einziger Mann, der 10 sh. wöchentlich ver- +diente. Das Luftreservoir, jeder Person in dem erwähnten Falle gegönnt, + +619 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +entspricht dem, das ihr zu gut käme, wenn des Nachts eingeschlossen in +eine Schachtel von 4 Fuß Kubik. Allerdings bieten die alten Hütten eine +Masse naturwüchsiger Ventilation. + +4) Cambridgeshire. +Gamblingay gehört verschiednen Eigenthümern. Es enthält die lumpig- +sten Cots, die man irgendwo finden kann. Viel Strohflechterei. Eine tödt- +liche Mattheit, eine hoffnungslose Ergebung in Schmutz beherrscht Gam- +blingay. Die Vernachlässigung in seinem Centrum wird zur Tortur an den +Extremitäten, Nord und Süd, wo die Häuser stückweis abfaulen. Die abwe- +senden Landlords lassen dem armen Nest flott zur Ader. Die Miethen sind 10 +sehr hoch; 8 bis 9 Personen gepackt in ein einschläfriges Zimmer, in zwei +Fällen 6 Erwachsne mit je 1 und 2 Kindern in einer kleinen Schlafstube. + +5 + +5) Essex. +In dieser Grafschaft gehn in vielen Pfarreien Abnahme von Personen +und Cottages Hand in Hand. In nicht weniger als 22 Pfarreien hat jedoch 15 +die Häuserzerstörung den Bevölkerungsanwachs nicht aufgehalten, oder +nicht die Expulsion bewirkt, ||656| welche unter dem Namen: „Wanderung +nach den Städten" überall vorgeht. In Fingringhoe, einer Pfarrei von +3443 Acres, standen 1851 145 Häuser, 1861 nur noch 110, aber das Volk +wollte nicht fort und brachte es fertig, selbst unter dieser Behandlung zuzu- 20 +nehmen. Zu Ramsden Crays bewohnten 1851 252 Personen 61 Häuser, +aber 1861 waren 262 Personen in 49 Häuser gequetscht. In Basildon lebten +1851 auf 1827 Acres 157 Personen in 35 Häusern, am Ende des Decenni- +ums 180 Personen in 27 Häusern. In den Pfarreien von Fingringhoe, South +Fambridge, Widford, Basildon und Ramsden Crays lebten 1851 auf 25 +8449 Acres 1392 Personen in 316 Häusern, 1861 auf demselben Areal +1473 Personen in 249 Häusern. + +6) Herefordshire. +Diese kleine Grafschaft hat mehr gelitten vom „Evictionsgeist" als ir- +gend eine andre in England. Zu Madley gehören die überstopften Cottages, 30 +meist mit 2 Schlafzimmern, großentheils den Pächtern. Sie vermiethen +selbe leicht zu 3 oder 4 Pfd. St. per Jahr und zahlen Wochenlohn von 9 sh.! + +7) Huntingdonshire. +Hartford hatte 1851 87 Häuser, kurz nachher 19 Cottages zerstört in +dieser kleinen Pfarrei von 1720 Acres; Einwohnerschaft 1831: 452 Per- 35 +sonen, 1851: 382 und 1861: 341. Vierzehn einschläfrige Cots untersucht. In +einem 1 verheirathetes Paar, 3 erwachsne Söhne, 1 erwachsnes Mädchen, +4 Kinder, zusammen 10; in einem andren 3 Erwachsne, 6 Kinder. Eine +dieser Stuben, worin 8 Personen schliefen, war 12 Fuß 10 Zoll lang, 12 Fuß +2 Zoll breit, 6 Fuß 9 Zoll hoch; Durchschnittsmaß, ohne Abzug der Vor- 40 +Sprünge, ergab ungefähr 130 Kubikfuß per Kopf. In den 14 Schlafstuben + +620 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +34 Erwachsne und 33 Kinder. Diese Cottages selten mit Gärtchen versehn, +aber viele der Insassen konnten kleine Fetzen Land, 10 oder 12 sh. per +rood (Y4 Acre) pachten. Diese allotments sind entfernt von den abtrittslosen +Häusern. Die Familie muß entweder zu ihrer Parcelle gehn, um ihre Exkre- +5 mente abzulagern, oder, wie es, mit Respekt zu melden hier geschieht, die +Schublade eines Schranks damit füllen. Sobald sie voll, wird sie ausge- +zogen und dort entleert, wo ihr Inhalt nöthig ist. In Japan geht der Cirkel- +lauf der Lebensbedingungen reinlicher von statten. + +10 + +8) Lincolnshire. +Langtoft: Ein Mann wohnt hier in Wright's Haus mit seiner ||657| Frau, +ihrer Mutter und 5 Kindern; das Haus hat Vorderküche, Spülkammer, +Schlafzimmer über der Vorderküche; Vorderküche und Schlafstube 12 Fuß +2 Zoll lang, 9 Fuß 5 Zoll breit, die ganze Grundfläche 21 Fuß 3 Zoll lang, +9 Fuß 5 Zoll breit. Die Schlafstube ist ein Dachraum, die Wände laufen +15 zuckerhutig an der Decke zusammen, und ein Klappfenster öffnet sich in +der Front. Warum wohnte er hier? Garten? Außerordentlich winzig. +Miethe? Hoch, 1 sh. 3 d. per Woche. Nah seiner Arbeit? Nein, 6 Meilen +entfernt, so daß er täglich 12 Meilen hin und her vermarschirt. Er wohnte +da, weil es ein vermietbares Cot war, und weil er ein Cot für sich allein +20 haben wollte, irgendwo, zu irgend einem Preis, in irgend einem Zustand. +Folgendes ist die Statistik von 12 Häusern in Langtoft mit 12 Schlafstuben, +38 Erwachsnen und 36 Kindern: + +12 Häuser in Langtoft. + +Häuser. Schlaf- Er- + +. + +Kinder. Per- + +Häuser. Schlaf- Er- + +Kinder. Per- + +25 + +stuben wachsne. + +sonen- +zahl. + +stuben. wachsne. + +sonen- +zahl. + +30 + +9) Kent. +Kennington, höchst traurig überfüllt 1859, als die Diptherie erschien +35 und der Kirchspielsarzt eine amtliche Untersuchung über die Lage der är- +meren Volksklasse veranstaltete. Er fand, daß in dieser Ortschaft, wo viel +Arbeit nöthig, verschiedne Cots zerstört und keine neuen erbaut worden +waren. In einem Bezirk standen 4 Häuser, birdcages (Vogelkäfige) be- +namst; jedes hatte 4 Zimmer mit den folgenden Dimensionen in Fuß und + +40 Zoll: + +621 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Küche +Spülkammer +Schlafzimmer +Schlafzimmer + +9 , 5 X 8 , 1 1 X 6 , 6 +8,6 x 4,6 x 6,6 +8 , 5 X 5 , 1 0 X 6 , 3 +8,3 x 8,4 x 6,3 + +5 + +10) Northamptonshire. +Brixworth, Pitsford und Floore: In diesen Dörfern lungern im Winter +2 0 - 3 0 Mann aus Arbeitsmangel auf den Straßen herum. ||658| Die Pächter +bestellen nicht immer hinreichend das Korn- und Wurzelland, und der +Landlord hat es passend gefunden, alle seine Pachten in 2 oder 3 zusam- +menzuwerfen. Daher Mangel an Beschäftigung. Während von der einen 10 +Seite des Grabens das Feld nach Arbeit schreit, werfen ihm die geprellten +Arbeiter von der andren Seite sehnsüchtige Blicke zu. Fieberhaft überar- +beitet im Sommer und halbverhungert im Winter, ist es kein Wunder, +wenn sie in ihrem eignen Dialekt sagen, daß ,,the parson and gentlefolks +seem + +them" 1 6 8 + +death + +frit + +a ) . + +to + +15 + +at + +Zu Floore Beispiele von Paaren mit 4, 5, 6 Kindern in einer Schlafstube +kleinster Ausgabe, ditto 3 Erwachsne mit 5 Kindern, ditto ein Paar mit +Großvater und 6 scharlachkranken Kindern etc.; +in 2 Häusern mit +2 Schlafstuben 2 Familien von je 8 und 9 Erwachsnen. + +11) Wiltshire. +Strattoni 31 Häuser besucht, 8 mit nur einer Schlafstube; Penhill in der- +selben Pfarrei. Ein Cot vermiethet zu 1 sh. 3 d. wöchentlich an 4 Erwachsne +und 4 Kinder, hatte außer guten Wänden nichts Gutes an sich, vom Estrich +aus rauhgehaunen Steinen bis zum faulen Strohdach. + +20 + +12) Worcestershire. +Hauszerstörung hier nicht ganz so arg; doch von 1 8 5 1 - 1 8 6 1 vermehrte + +25 + +sich das Personal per Haus von 4,2 zu 4,6 Individuen. + +Badsey: Viele Cots und Gärtchen hier. Einige Pächter erklären die Cots +„a great nuisance here, because they bring the poor". (Die Cots großer Miß- +stand, weil sie die Armen herbringen.) Auf die Aeußerung eines Gentie- 30 +man: „Die Armen sind deßwegen um nichts besser dran; wenn man +500 Cots baut, gehn sie wie die Wecken ab, in der That je mehr man davon +baut, desto mehr sind nöthig" - die Häuser bringen nach ihm die Einwoh- +ner hervor, die naturgesetzlich auf „die Mittel der Behausung" drücken -, +bemerkt Dr. Hunter: „Nun, diese Armen müssen irgend woher kommen, 35 +und da keine besondre Attraktion, wie milde Gaben, in Badsey existirt, +muß Repulsion von einem noch unbequemeren Platz existiren, der sie +hierhin treibt. Könnte jeder ein Cot und ein Stückchen Land in der Nähe + +1 6 8 a ) „Pfaff und Edelmann scheinen verschworen sie todt zu hetzen." + +6 2 2 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +seines Arbeitsplatzes finden, so würde er solche sicher Badsey vorziehn, wo +er für seine Handvoll Boden zweimal soviel zahlt als der Pächter für den +seinen." | + +|659| Die beständige Emigration nach den Städten, die beständige „Ue- +5 berzähligmachung" auf dem Land durch Koncentration von Pachtungen, +Verwandlung von Acker in Weide, Maschinerie u.s.w., und die beständige +Eviktion der Landbevölkerung durch Zerstörung der Cottages gehn Hand +in Hand. Je menschenleerer der Distrikt, desto größer seine „relative Ue- +bervölkerung", desto größer ihr Druck auf die Beschäftigungsmittel, desto +10 größer der absolute Ueberschuß des Landvolks über seine Behausungsmit- +tel, desto größer also in den Dörfern die lokale Ueberpopulation und die +pestilenzialischste Menschenzusammenpackung. Die Verdichtung des +Menschenknäuels in zerstreuten kleinen Dörfern und Marktflecken ent- +spricht der gewaltsamen Menschenentleerung auf der Oberfläche des Lan- +15 des. Die ununterbrochne „Ueberzähligmachung" der Landarbeiter trotz +ihrer abnehmenden Anzahl und mit der wachsenden Masse ihres Produkts, +ist die Wiege ihres Pauperismus. Ihr eventueller Pauperismus ist ein Motiv +ihrer Eviktion und die Hauptquelle ihrer Wohnlichkeitsmisère, welche die +letzte Widerstandsfähigkeit bricht und sie zu reinen Sklaven der Grund- +20 herrn 1 6 9) und Pächter macht, so daß das Minimum des Arbeitslohns sich +zum Naturgesetz für sie befestigt. Andrerseits ist das Land trotz seiner be- +ständigen „relativen Uebervölkerung" zugleich untervölkert. Dies zeigt +sich nicht nur lokal auf solchen Punkten, wo der Menschenabfluß nach +den Städten, Minen, Eisenbahnbauten u. s. w. zu rasch vorgeht, es zeigt +sich überall sowohl zur Erntezeit als im Frühling und Sommer während +der zahlreichen Momente, wo die sehr sorgfältige und intensive englische +Agrikultur Extrahände braucht. Es sind der Landarbeiter stets zu viel für +die mittleren und stets zu wenig für die ausnahmsweisen oder temporären +Bedürfnisse des Landbaus 1 7 0). Da||660|her findet man in den officiellen Do- + +25 + +30 + +1 6 9 ) "The heaven-born employment of the hind gives dignity even to his position. He is not a +slave, but a soldier of peace, and deserves his place in married man's quarters, to be provided +by the landlord, who has claimed a power of enforced labour similar to that the country de- +mands of a military soldier. He no more receives market-price for his work than does a sol- +dier. Like the soldier he is caught young, ignorant, knowing only his own trade and his own lo- +35 cality. Early marriage and the operation of the various laws of settlement affect the one as +enlistment and the Mutiny Act affect the other." (Dr. Hunter I.e. p. 132.) Manchmal erweicht +sich irgend ein ausnahmsweis schwachherziger Landlord über die von ihm geschaffene Ein- +öde. „Es ist ein melancholisch Ding allein in seinem Land zu sein", sagte der Graf von Lei- +cester, als man ihm zum Fertigbau von Holkham gratulirte: „ich schaue um mich und sehe +40 kein Haus außer meinem eignen. Ich bin der Riese vom Riesenthurm und habe alle meine + +Nachbarn aufgegessen." +1 7°) Aehnliche Bewegung seit den letzten Decennien in Frankreich, im Maß wie sich dort die +kapitalistische Produktion der Agrikultur bemächtigt und die „überzählige" Landbevölkerung +nach den Städten treibt. Ebenso hier verschlechterte Wohnlichkeits- und sonstige Verhält- + +6 2 3 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +kumenten die widerspruchsvolle Klage derselben Orte über gleichzeitigen +Arbeitsmangel und Arbeitsüberfluß registrirt. Der temporäre oder lokale +Arbeitsmangel bewirkt keine Erhöhung des Arbeitslohns, sondern Pressung +von Weibern und Kindern in den Feldbau und Herabsteigen zu stets nied- +rigeren Altersstufen. Sobald die Weiber- und Kinderausbeutung größeren +Spielraum gewinnt, wird sie ihrerseits ein neues Mittel zur Ueberzähligma- +chung des männlichen Landarbeiters und Niederhaltung seines Lohns. Im +Osten Englands blüht eine schöne Frucht dieses cercle vicieux - das sog. +Gangsystem (Gang- oder Bandensystem), worauf ich hier kurz zurück- +k o m m e 1 7 1 ) . + +5 + +10 + +Das Gangsystem haust fast ausschließlich in Lincolnshire, Huntingdon- +shire, Cambridgeshire, Norfolk, Suffolk und Nottinghamshire, sporadisch +in den benachbarten Grafschaften von Northampton, Bedford und Rut- +land. Als Beispiel diene hier Lincolnshire. Ein großer Theil dieser Graf- +schaft ist neu, früheres Moor oder auch, wie in andren der genannten östli- 15 +chen Grafschaften, der See erst abgewonnenes Land. Die Dampfmaschine +hat für die Entwässerung Wunder gewirkt. Früherer Morast und Sandbo- +den trägt jetzt ein üppiges Kornmeer und die höchsten Grundrenten. Das- +selbe gilt von dem künstlich gewonnenen Alluvialland, wie in der Insel von +Axholme und den andren Pfarreien am Ufer des Trent. Im Maß wie die 20 +neuen Pachten entstanden, wurden nicht nur keine neuen Cottages gebaut, +sondern alte niedergerissen, die Arbeitszufuhr aber verschafft aus den mei- +lenweit entfernten offnen Dörfern längs den Landstraßen, die an Hügelrük- +ken vorbeischlängeln. Dort hatte die Bevölkerung früher allein Schutz vor | +|661| den langanhaltenden Winterüberschwemmungen gefunden. Auf den 25 +Pachten von 400 bis 1000 Acres ansässige Arbeiter (sie heißen hier ,,con- +fined labourers") dienen ausschließlich zur permanenten schweren und +mit Pferden verrichteten Landarbeit. Auf je 100 Acres (1 Acre = +40,49 Aren oder 1,584 preußische Morgen) kommt im Durchschnitt kaum +eine Cottage. Ein Fenlandpächter z.B. sagt aus vor der Untersuchungskom- 30 + +nisse an der Quelle der „Ueberzähligen". Ueber das eigenthümliche „Proletariat foncier", wel- +ches das Parcellensystem ausgebrütet hat, sieh u. a. die früher citirte Schrift von Colins und +Karl Marx: Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg 1869, p.56 sqq. +1846 betrug die städtische Bevölkerung in Frankreich 24,42, die ländliche 75,58 %, 1861 die +städtische 28,86, die ländliche 71,14%. In den letzten 5 Jahren ist die Abnahme der ländli- 35 +chen Procenttheile der Bevölkerung noch größer. Schon 1846 sang Pierre Dupont in seinen +,,Ouvriers": + +«Mal vêtus, logés dans des trous, +Sous les combles, dans les décombres, +Nous vivons avec les hiboux +Et les larrons, amis des ombres.» + +40 + +m) Der sechste und schließliche Report der Child. Empi. Comm., publicirt Ende März 1867, +behandelt nur das agrikole Gangsystem. + +624 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +mission: „Meine Pachtung erstreckt sich über 320 Acres, alles Kornland. +Sie hat keine Cottage. Ein Arbeiter wohnt jetzt bei mir. Ich habe vier Pfer- +demänner in der Umgegend logirend. Das leichte Werk, wozu zahlreiche +Hände nöthig, wird durch Gänge vollbracht" 1 7 2). Der Boden erheischt viel +leichtes Feldwerk wie Ausjäten des Unkrauts, Behackung, gewisse Dünger- +operationen, Auflesen der Steine u.s.w. Es wird verrichtet durch die Gänge +oder organisirten Banden, deren Wohnsitz in den offnen Ortschaften. + +5 + +Der Gang besteht aus 10 bis 40 oder 50 Personen, nämlich Weibern, jun- +gen Personen beiderlei Geschlechts ( 1 3 - 1 8 Jahr), obgleich Jungen meist +10 mit dem 13. Jahr ausscheiden, endlich Kindern beiderlei Geschlechts +( 6 - 1 3 Jahr). An der Spitze steht der Gangmaster (Gangmeister), immer ein +gewöhnlicher Landarbeiter, meist ein sog. schlechter Kerl, Liederjahn, un- +stät, versoffen, aber mit einem gewissen Unternehmungsgeist und savoir +faire. Er wirbt den Gang, der unter ihm arbeitet, nicht unter dem Pächter. +15 Mit letztrem akkordirt er meist auf Stückwerk, und sein Einkommen, das +im Durchschnitt nicht sehr hoch über das eines gewöhnlichen Landarbei- +ters steigt 1 7 3), hängt fast ganz ab vom Geschick, womit er in kürzester Zeit +möglichst viel Arbeit aus seiner Bande flüssig zu machen weiß. Die Päch- +ter haben entdeckt, daß Frauenzimmer nur unter männlicher Diktatur or- +20 dentlich arbeiten, daß aber Frauenzimmer und Kinder, wenn einmal im +Zug, mit wahrem Ungestüm, was schon Fourier wußte, ihre Lebenskraft +verausgaben, während der erwachsne männliche Arbeiter so heimtückisch +ist damit, soviel er kann, hauszuhalten. Der Gangmeister zieht von einem +Gut zum andren und beschäftigt so seine Bande 6 - 8 Monate im Jahr. +25 Seine Kundschaft ist daher viel einträglicher und sicherer für die Arbeiter- +familien als die des einzelnen Pächters, welcher nur gelegentlich Kinder +beschäftigt. ||662| Dieser Umstand befestigt seinen Einfluß in den offnen +Ortschaften so sehr, daß Kinder meist nur durch seine Vermittlung dingbar +sind. Individuelles Verpumpen der letztren, getrennt vom Gang, bildet sein + +30 Nebengeschäft. + +Die „Schattenseiten" des Systems sind die Ueberarbeit der Kinder und +jungen Personen, die ungeheuren Märsche, die sie täglich zu und von den +5, 6 und manchmal 7 Meilen entfernten Gütern zurücklegen, endlich die +Demoralisation des „Gangs". Obgleich der Gangmeister, der in einigen +35 Gegenden „the driver" (Treiber) heißt, mit einem langen Stabe ausgerüstet +ist, wendet er solchen jedoch nur selten an, und Klage über brutale B e - +handlung ist Ausnahme. Er ist ein demokratischer Kaiser oder eine Art +Rattenfänger von Hameln. Er bedarf also der Popularität unter seinen Un- + +40 + +m) Child. Empi. Comm. VI. Report. Evidence, p. 37, η. 173. (cid:5) Fenland = Marschland. +1 7 3 ) Einzelne Gangmeister jedoch haben sich zu Pächtern von 500 Acres oder Besitzern gan- +zer Häuserreihen heraufgearbeitet. + +625 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +terthanen und fesselt sie an sich durch das unter seinen Auspicien blü- +hende Zigeunerthum. Rohe Ungebundenheit, lustige Ausgelassenheit und +obscönste Frechheit leihen dem Gang Flügel. Meist zahlt der Gangmeister +in einer Kneipe aus und kehrt dann wohl wankend, rechts und links ge- +stützt auf ein stämmiges Frauenmensch, an der Spitze des Zugs heim, die +Kinder und jungen Personen hinterher tollend, Spott und Zotenlieder sin- +gend. Auf dem Rückweg ist das, was Fourier „Phanerogamie" nennt, an der +Tagesordnung. Die Schwängerung dreizehn- und vierzehnjähriger Mäd- +chen durch ihre männlichen Altersgenossen ist häufig. Die offnen Dörfer, +welche das Kontingent des Gangs stellen, werden Sodoms und Gomor- +r h a s 1 7 4 ) und liefern doppelt so viel uneheliche Geburten als der Rest des +Königreichs. Was in dieser Schule gezüchtete Mädchen als verheirathete +Frauen in der Moralität leisten, ward schon früher angedeutet. Ihre Kinder, +soweit Opium ihnen nicht den Garaus macht, sind geborne Rekruten des +Gangs. + +Der Gang in seiner eben beschriebenen klassischen Form heißt öffentli- +cher, gemeiner, oder Wandergang (public, common or tramping gang). Es +giebt nämlich auch Privatgänge (private gangs). Sie sind zusammengesetzt +wie der Gemeingang, zählen aber weniger Köpfe und arbeiten, statt unter +dem Gangmeister, unter einem alten Bauernknecht, den der Pächter nicht +besser zu verwenden weiß. Der Zigeunerhumor verschwindet hier, aber +nach allen Zeugenaussagen verschlechtern sich Zahlung und Behandlung +der Kinder. | + +5 + +10 + +15 + +20 + +|663| Das Gangsystem, das sich seit den letzten Jahren beständig aus- +dehnt 1 7 5), existirt offenbar nicht dem Gangmeister zu lieb. Es existirt zur 25 +Bereicherung der großen Pächter 1 7 6), resp. Grundherrn 1 7 7). Für den Pächter +giebt's keine sinnreichere Methode, sein Arbeiterpersonal tief unter dem +normalen Niveau zu halten und dennoch für alles Extrawerk stets die Ex- +trahand bereit zu haben, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Arbeit +herauszuschlagen 1 7 8) und den erwachsnen männlichen Arbeiter „überzäh- + +30 + +1 7 4 ) „Die Hälfte der Mädchen von Ludford ist ruinirt worden durch den Gang." I.e. Appendix, +p. 6, n. 32. +1 7 5 ) „Das System hat sehr zugenommen in den letzten Jahren. In einigen Plätzen ist es erst +seit kurzem eingeführt, in andren, wo es älter, werden mehr und jüngere Kinder in den Gang +einrollirt." (1. c. p. 79, n. 174.) +1 7 6 ) „Kleine Pächter wenden die Gangarbeit nicht an." „Sie wird nicht angewandt auf armem +Land, sondern auf Land, was 2 Pfd. St. bis 2 Pfd. St. 10 sh. Rente per Acre bringt." (I.e. p. 17 u. +14.) +1 7 7 ) Einem dieser Herrn schmecken seine Renten so gut, daß er der Untersuchungskommis- +sion entrüstet erklärt, der ganze Schrei sei nur dem Namen des Systems geschuldet. Wenn 40 +man es statt „Gang" dahingegen Jugendliche industriell-agrikol-kooperative Selbsterhal- +tungsassociation" taufe, so wäre alles all right. +1 7 8 ) „Gangarbeit ist wohlfeiler als andre Arbeit, das ist die Ursache, warum sie angewandt + +35 + +6 2 6 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +lig" zu machen. Nach der früheren Auseinandersetzung versteht man, +wenn einerseits die größere oder geringere Beschäftigungslosigkeit des +Landmanns zugestanden, andrerseits zugleich das Gangsystem wegen +Mangels an männlicher Arbeit und ihrer Wanderung nach den Städten für +5 „nothwendig" erklärt wird 1 7 9). Das unkrautreine Feld und das Menschen- +unkraut von Lincolnshire u. s. w. sind Pol und Gegenpol der kapitalisti- +schen Produktion 1 8 0). | + +wird", sagt ein ehemaliger Gangmeister. (1. c. p. 17, n. 14.) „Das Gangsystem ist entschieden +das wohlfeilste für den Pächter und eben so entschieden das verderblichste für die Kinder", + +10 sagt ein Pächter. (1. c. p. 16, n. 3.) + +15 + +1 7 9 ) „Zweifelsohne vieles jetzt von den Kindern in Gängen verrichtete Werk wurde früher von +Männern und Weibern verrichtet. Wo Weiber und Kinder angewandt werden, sind jetzt mehr +Männer arbeitslos (more men are out of work) als früher." (I.e. p. 43, n. 202.) Dagegen u.a.: +„Die Arbeitsfrage (labour question) in vielen Agrikulturdistrikten, besonders den kornprodu- +cirenden, wird so ernsthaft in Folge der Auswanderung und der Leichtigkeit, welche die +Eisenbahnen zur Entfernung nach den großen Städten bieten, daß ich (das „Ich" ist das des +Landagenten eines großen Herrn) die Kinderdienste für absolut unentbehrlich halte." (1. c. +p. 80, n. 180.) The Labour Question (die Arbeitsfrage) bedeutet nämlich in den englischen +Agrikulturdistrikten, im Unterschied von der übrigen civilisirten Welt, the landlords' and far- +20 mers' Question (Grundherren- und Pächterfrage): wie, trotz stets vermehrtem Abzug der +Landleute, eine genügende „relative Uebervölkerung" auf dem Land und dadurch das „Mini- +mum des Arbeitslohns" für den Landarbeiter zu verewigen sei? +180) D e r früher von mir citirte „Public Health Report ", worin bei Gelegenheit der Kinder- +sterblichkeit vorübergehend vom Gangsystem gehandelt wird, blieb der Presse und daher dem +25 englischen Publikum unbekannt. Dagegen bot der letzte Bericht der „Child. Empi. Comm." +willkommenes, ,,sensational" Preßfutter. Während die liberale Presse frug, wie doch die feinen +Gentlemen und Ladies und Staatskirchpfründner, womit Lincolnshire schwärmt, ein solches +System auf ihren Gütern, unter ihren Augen aufwachsen lassen konnten, Personagen, die +eigne „Missionen zur. Sittenverbesserung der Südseewilden" nach den Antipoden entsenden, +stellte die feinere Presse ausschließlich Betrachtungen an über die rohe Verdorbenheit der +Landleute, die fähig sind, ihre Kinder in solche Sklaverei zu verkaufen! Unter den fluchwür- +digen Umständen, worin „die Delikateren" den Landmann gebannt, wäre es erklärlich, wenn +er seine eignen Kinder aufäße. Was wirklich wunderbar, ist die Charaktertüchtigkeit, die er +großentheils bewahrt hat. Die officiellen Berichterstatter beweisen, daß die Eltern selbst in +35 den Gangdistrikten das Gangsystem verabscheuen. „Man findet reichlichen Beweis in den +von uns gesammelten Zeugenaussagen, daß die Eltern in vielen Fällen dankbar sein würden +für ein Zwangsgesetz, welches sie befähigen würde, den Versuchungen und dem Druck zu wi- +derstehn, denen sie oft unterworfen sind. Bald treibt sie der Pfarreibeamte, bald der Anwender +unter Androhung ihrer eignen Entlassung, die Kinder auf den Verdienst, statt in die Schule +40 zu schicken ... Alle verwüstete Zeit und Kraft, alles Leid, welches außerordentliche und nutz- +lose Ermüdung für den Landmann und seine Familie producirt, jeder Fall, worin die Eltern +den moralischen Ruin ihres Kindes auf die Ueberfüllung der Cottages oder die besudelnden +Einflüsse des Gangsystems zurückleiten, stacheln in der Brust der arbeitenden Armen Ge- +fühle auf, die man wohl verstehn wird, und die es unnöthig ist zu detailliren. Sie haben ein +45 Bewußtsein darüber, daß ihnen viel körperliche und geistige Qual angethan wird durch Um- +stände, wofür sie in keiner Weise verantwortlich sind, welchen sie, wäre es in ihrer Macht ge- +wesen, niemals ihre Zustimmung gegeben hätten, und wider welche anzukämpfen sie ohn- +mächtig sind." (1. c. p. XX, n. 82 und XXIII, n. 96.) + +30 + +627 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +|664| f) Irland. + +Zum Schluß dieses Abschnitts müssen wir noch einen Augenblick nach Ir- +land wandern. Zunächst die Thatsachen, worauf es hier ankommt. + +5 + +Irlands Bevölkerung war 1841 auf 8 222 664 Personen angewachsen, 1851 +auf 6 623 985 zusammengeschmolzen, 1861 auf 5 850 3 0 9 , 1 8 6 6 auf 5 1^MiI- +lion, ungefähr auf ihr Niveau von 1801. Die Abnahme begann mit dem +Hungerjahr 1846, so daß Irland in weniger als 20 Jahren mehr als 5/ 1 6 seiner +Volksmenge verlor 1 8 1). Seine Gesammtemigration von Mai 1851 bis Juli +1865 zählte 1 5 9 1 4 8 7 Personen, die Emigration während der letzten +5 Jahre 1 8 6 1 - 1 8 6 5 mehr als eine halbe Million. Die Zahl der bewohnten 10 +Häuser verminderte sich von 1 8 5 1 - 1 8 6 1 um 52 990. Von 1 8 5 1 - 1 8 6 1 +wuchs die Zahl der Pachthöfe von 1 5 - 3 0 Acres um 6 1 0 0 0 , die der Pacht- +höfe über 30 Acres um 1 0 9 0 0 0 , während die Gesammtzahl aller Pachten +um 1 2 0 0 0 0 abnahm, eine Ab||665|nahme, die also ausschließlich der Ver- +nichtung von Pachten unter 15 Acres, alias ihrer Centralisation geschuldet 15 +ist. + +Die Abnahme der Volksmenge war natürlich im Großen und Ganzen +von einer Abnahme der Produktenmasse begleitet. Für unsren Zweck ge- +nügt es, die 5 Jahre 1 8 6 1 - 1 8 6 5 zu betrachten, während deren über % Mil- +lion emigrirte und die absolute Volkszahl um mehr als % Million sank. 20 +(s.Tab.A.) + +Jahr. + +Pferde. + +Hornvieh. + +Tabelle A. +Viehstand. + +Gesammt- +zahl. + +619811 +614232 +602 894 +579 +562 158 +547 867 + +978 + +Abnahme. + +22 + +5 579 +11338 +916 +17 820 +14291 + +1860 +1861 +1862 +1863 +1864 +1865 + +Gesammt- +zahl. + +3 606 374 +3 471688 +3 254 890 +3144231 +3 262 294 +3 493 414 + +Abnahme. Zunahme. + +134686 +216 798 +110 659 + +118 063 +231120 + +m) Bevölkerung von Irland: 1801: 5 319 867 Personen, 1811: 6 084 996, 1821: 6 869 544, 1831: +7 828 347, 1841: 8 222 664. + +628 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Jahr. + +1860 +1861 +1862 +1863 +1864 +1865 + +Schafe. + +- • - — ^ ^ + +Schweine. + +-A- + +Abnahme. Zunahme. + +Gesammt- Abnahme. Zunahme. +zahl. + +99 918 +147 928 + +13 970 + +58 737 +321801 + +1271072 +1102 042 +1154 324 +1067458 +1058 480 +1299 893 + +169030 + +86 866 +8 978 + +52 282 + +241413 + +^f-——— + +Gesammt- +zahl. + +3 542 080 +3 556050 +3 456132 +3 308 204 +3 366 941 +3 688 742 + +Aus der vorhergehenden Tabelle ergiebt sich: + +Pferde. + +Hornvieh. + +Schafe. + +Schweine. + +Absolute Abnahme. +71944 + +Absolute Abnahme. +112 960 + +Absolute Zunahme. +146 662 + +Absolute Zunahme. +28 821 1 8 2) + +Wenden wir uns jetzt zum Ackerbau, der die Lebensmittel für + +| + +|666| Vieh und Mensch liefert. In der folgenden Tabelle ist Ab- oder Zu- + +nahme für jedes einzelne Jahr mit Bezug auf das unmittelbar vorherge- + +hende berechnet. Die Kornfrucht umfaßt Weizen, Hafer, Gerste, Roggen, + +Bohnen und Erbsen, die Grünfrucht Kartoffeln, Turnips, Mangold- und + +Runkelrübe, Kohl, gelbe Rüben, Parsnips, Wicke u. s. w. + +Tabelle B. +Zu- oder Abnahme des zum Fruchtbau und als Wiese (resp. Weide) + +benutzten Bodenareals + +in Acres. + +Korn- +frucht. + +Grünfrucht. + +Grasland +und Klee. + +Flachs. + +Alles zu +Ackerbau +und Viehzucht +dienende Land. + +Jahr. + +1861 +1862 +1863 +1864 +1865 +1861-1865 + +Zu- +Ab- Ab- +nahme, nähme, nähme, nähme, nähme. +Acres + +Acres Acres Acres Acres + +Zu- + +r +Ab- + +15 701 36 974 +72 734 74 +19358 +144 719 +122 437 2317 +72 +428 041 + +108 013 + +450 + +47 969 +6 + +785 + +47 + +25 421 + +623 +7 724 +486 +68 970 +82 834 + +Zu- + +Zu- Ab- + +Ab- +nahme, nähme, nähme, nähme. +Acres Acres +19271 +2 055 +63 922 +87 761 + +81373 +138 841 +92 431 + +Acres Acres + +10493 + +50159 + +28218 +122 850 330 370 + +Im Jahr 1865 kamen unter der Rubrik „Grasland" 127 470 Acres hinzu, + +hauptsächlich weil das Areal unter der Rubrik „unbenutztes wüstes Land + +1 8 2 ) Das Ergebniß würde sich ungünstiger stellen, wenn wir weiter zurückgingen. So Schafe +1865: 3 688 742, aber 1856: 3 694294, Schweine 1865: 1299 893, aber 1858: 1409 883. + +629 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +und Bog (Torfmoor)" um 101543 Acres abnahm. Vergleichen wir 1865 mit +1864, so Abnahme in Kornfrucht 246 667 Qrs., wovon 48 999 Weizen, +166 605 Hafer, 29 892 Gerste u.s.w.; Abnahme an Kartoffeln, obgleich das +Areal ihrer Bebauung 1865 wuchs, 446 398 Tonnen u.s.w. ( S . T a b . C ) + +Von der Bewegung der Bevölkerung und Bodenproduktion Irlands gehn +wir über zur Bewegung in der Börse seiner Landlords, größeren Pächter +und industriellen Kapitalisten. Sie spiegelt sich im Ab und Zu der Ein- +kommensteuer. Zum Verständniß der folgenden Tabelle D sei bemerkt, +daß Rubrik D (Profite mit Ausnahme der Pächterprofite) auch sog. „profes- +sionelle" Profite einbegreift, d.h. die Einkommen von Advokaten, Aerzten 10 +u.s.w., die nicht besonders aufgezählten Rubriken C und E aber die Ein- +nahmen von Beamten, Offizieren, Staatssinekuristen, Staatsgläubigern +u. s.w. I + +5 + +[Hier folgt die Tabelle S. 6 3 1 . ] + +|668| Tabelle D. +Der Einkommensteuer unterliegende Einkommen in Pfd. St. + +1860. + +1861. + +1862. + +1863. + +1864. + +1865. + +12 893 829 13 003 554 13 398 938 13 494091 13 470 700 13 801616 + +2 765 387 + +2 773 644 + +2 937 899 + +2 938 923 + +2 930 874 + +2 946 072 + +4 891652 + +4836203 + +4 858 800 + +4 846 497 + +4 546147 + +4 850199 + +15 + +20 + +25 + +22 962 885 22 998 394 23 597 574 23 658 631 23 236 298 23 930 340 1 8 4) + +Rubrik A. +Grundrente. + +Rubrik B. +Pächterprof. + +Rubrik D. +Industrielle +etc. Profite. +Sämmtliche +Rubriken +A bis E. + +Unter Rubrik D betrug die Zunahme des Einkommens im Jahresdurch- +schnitt von 1 8 5 3 - 1 8 6 4 nur 0,93, während sie in derselben Periode in Groß- +britannien 4,58 betrug. Die folgende Tabelle zeigt die Vertheilung der Pro- 30 +fite (mit Ausschluß der Pächterprofite) für die Jahre 1864 und 1865: + +1 8 4 ) Tenth Report of the Commissioners of Inland Revenue. Lond. 1866. + +630 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +. +q + +1 +7 +1 +1 + +. +q + +2 +9 +8 +9 +2 + +. +q + +4 +8 +6 + +5 + +9 +8 +9 + +3 +1 + +4 +6 +3 + +8 +1 + +. +q + +0 +6 +1 +5 +1 + +. +q + +0 +8 +6 + +2 +1 + +6 +, +1 + +8 +, +4 +1 + +4 +, +6 +1 + +C + +e +r +e +B + +9 +, +1 + +4 +, +0 +1 + +5 +, +8 + +C +n +e +g +g +o +R + +7 +1 +0 + +2 +3 +7 + +. + +q + +9 +0 +9 +1 +6 +7 + +, + +0 +1 + +, + +9 +4 +1 + +, + +9 +5 +1 + +C + +e +t +s +r +e +G + +2 +0 +4 +4 + +2 +0 +1 +7 +7 +1 + +0 +0 +7 +2 +7 +1 + +C +e +l +l +e +b +a +T +\ +1 +6 +6 +\ + +. +t +k +u +d +o +r +p +t +m +m +a +s +e +G + +m +e +d + +d +n +u + +, +e +r +c +A +r +e +p + +t +k +u +d +o +r +P + +m +e +d + +, +s +n +e +d +o +B + +n +e +t +u +a +b +e +b + +s +e +d + +l +a +e +r +A +m +e +d + +n +i + +e +m +h +a +n +b +A +r +e +d +o + +(cid:2) +u +Z + +. +4 +6 +8 +1 + +t +i + +m + +n +e +h +c +i +l +g +r +e +v + +5 +6 +8 +1 + +. +e +m +h +ä +n + +, +e +m +h +ä +n + +. +5 +6 +8 +1 + +* + +(cid:5) +b +A + +(cid:5) +u +Z + +Λ + +. +5 +6 +8 +1 + +. +4 +6 +8 +1 + +e +m +h +a +n +b +A + +. +5 +6 +8 +1 + +. +4 +6 +8 +1 + +(cid:5) + ++ + +5 +6 +8 +1 + +4 +6 +8 +1 + +' + +d +n +u + +* + +Λ + +' + +. + +5 +6 +8 +1 + +e +m +h +ä +n + +* + +Λ + +' + +5 + +. +t +k +u +d +o +r +p +l +a +t +o +T + +e +m +h +a +n +u +Z + +. +e +r +c +A +r +e +p +t +k +u +d +o +r +P + +(cid:5) +b +A +r +e +d +o + +(cid:5) +u +Z + +. +d +n +a +L +s +e +t +u +a +b +e +b + +s +e +r +c +A + +t +k +u +d +o +r +P + +. +5 +6 +8 +1 + +. +q + +9 +9 +9 + +8 +4 + +3 +8 +7 + +6 +2 +8 + +. +s +r +q + +2 +8 +7 +5 +7 +8 + +3 + +, + +0 + +, + +0 +3 +1 + +, + +3 +3 +1 + +C +n +e +z +i +e + +W + +4 +9 +4 +9 + +9 +8 +9 +6 +6 +2 + +3 +8 +4 +6 +7 +2 + +n +e +z +i +e + +W + +. + +q + +5 +0 +6 +6 +6 +1 + +7 +2 +7 +9 +5 +6 + +7 + +. + +q + +2 +3 +3 +6 +2 +8 + +7 + +2 +, +0 + +3 +, +2 +1 + +1 +, +2 +1 + +. + +C + +r +e +f +a +H + +8 +5 +6 +9 +6 + +8 +2 +2 +5 +4 +7 +1 + +6 +8 +8 +4 +1 +8 +1 + +r +e +f +a +H + +0 +1 + +. + +T + +8 +9 +3 + +6 +4 +4 + +. + +T +6 +7 +9 + +5 +6 +1 + +0 +9 +9 + +5 +6 +8 + +3 +8 +6 +1 +0 +3 + +3 + +3 + +. + +T + +8 +8 +3 +2 +1 +3 +4 + +5 +, +0 + +» + +9 +5 +6 +7 +6 +4 + +3 + +4 +, +0 + +6 +, +3 + +9 +, +9 + +1 +, +4 + +3 +, +0 +1 + +n + +l +e +f +f +o +t +r +a +K + +n +e +n +n +o +T + +- +d +l +o +g +n +a +M + +. + +T +s +p +i + +n +r +u +T + +3 +4 +1 + +3 + +2 +1 +2 +4 +3 +3 + +5 +5 +3 +7 +3 +3 + +6 +3 +5 +6 +2 + +0 +6 +2 +6 +6 +0 +1 + +4 +2 +7 +9 +3 +0 +1 + +n + +l +e +f +f +o +t +r +a +K + +. + +T + +3 +5 +6 +4 +4 + +» + +7 +7 +8 + +2 +5 + +7 +3 +9 +1 +9 +1 + +2 +5 +2 +0 +5 +3 + +» + +4 +8 +2 +7 +4 +1 + +» + +5 +7 +3 +7 +9 +2 + +8 +, +2 + +3 +, +3 +1 + +5 +, +0 +1 + +. + +T + +l +e +z +r +u +w + +1 +, +1 + +4 +, +0 +1 + +3 +, +9 + +. + +T + +l + +h +o +K + +6 +1 +3 + +9 +8 +3 +4 +1 + +1 +0 +8 +1 + +2 +2 +6 +3 +3 + +3 +7 +0 +4 +1 + +1 +2 +8 +1 +3 + +s +e +n +o +t +S +( + +s +h +c +a +l +F + +Γ + +1 + +e +t +s +r +e +G + +e +r +e +B + +n +e +g +g +o +R + +5 +1 + +(cid:5) +d +l +o +g +n +a +M + +s +p +i + +n +r +u +T + +l +e +z +r +u +w + +l + +h +o +K + +0 +2 + +| + +. +) +3 +8 +1 + +. + +T +4 +5 +5 +1 +6 +4 + +7 +0 +7 + +8 +6 +0 + +3 + +» + +3 +5 +1 +7 +0 +6 +2 + +2 +, +0 + +8 +, +1 + +6 +, +1 + +. + +n +n +o +T +u +e +H + +4 +2 +9 + +8 +6 + +3 +9 +4 +8 +7 +6 +1 + +9 +6 +5 +9 +0 +6 +1 + +. + +T + +5 +4 +9 +4 +2 + +1 +6 +5 +9 +3 + +» + +6 +0 +5 +4 +6 + +0 +, +9 + +2 +, +5 +2 + +2 +, +4 +3 + +) +. +1 +4 +1 + +. +v + +0 +6 +2 +0 +5 + +3 +3 +4 +1 +5 +2 + +3 +9 +6 +1 +0 +3 + +s +h +c +a +l +F + +u +e +H + +e +r +h +a +J + +e +i +d + +r +ü +f + +" +n + +i +l +b +u +D + +, +s +t +c +a +r +t +s +b +A + +l +a +r +e +n +e +G + +. +d +n +a +l +e +r +I + +, +s +c +i +t +s +i +t +a +t +S + +l +a +r +u +t +l +u +c +i +r +g +A + +, +, + +: +r +e +d + +l +a +i +r +e +t +a + +M +m +e +d + +s +u +a + +t +l +l +e +t +s +e +g +n +e +m +m +a +s +u +z + +d +n + +i +s + +s +e +t +x +e +T +s +e +d + +n +e +b +a +g +n +A +e +i +D + +) +3 +8 +1 + +- +f +o + +k +i +t +s +i +t +a +t +S + +e +s +e +i +d + +ß +a +d + +, + +ß +i +e +w +n +a + +M + +. +" +6 +6 +8 +1 + +n +i +l +b +u +D + +. +c +t +e + +e +c +u +d +o +r +P + +e +g +a +r +e +v +A +d +e +t +a +m + +i +t +s +E +e +h +t + +g +n +i +w +o +h +s + +s +e +l +b +a +T + +. +d +n +a +l +e +r +I + +. +s +c +i +t +s +i +t +a +t +S + +l +a +r +u +t +l +u +c +i +r +g +A + +, +, + +d +n +u + +, +. +q +q +s + +0 +6 +8 +1 + +5 +2 + +. + +d +r +i + +w + +t +g +e +l +e +g +r +o +v + +h +c +i +l +r +h +ä +j + +t +n +e +m +a +l +r +a +P +m +e +d + +d +n +u + +t +s +i + +l +l +e +i +c +i +f + +n +o +v + +- + +1 +7 +8 +1 + +t +i + +m +n +e +h +c +i +l +g +r +e +v + +- + +s +n +e +d +o +B + +n +e +t +u +a +b +e +b + +s +e +d + +l +a +e +r +A +m + +i + +e +m +h +a +n +b +A +e +n +i +e + +2 +7 +8 +1 + +r +h +a +J + +s +a +d + +r +ü +f + +t +g +i +e +z + +k +i +t +s +i +t +a +t +S + +e +l +l +e +i +z +i +f +f +o + +e +i +D + +. +g +s +u +A + +. +2 + +r +u +z + +z +t +a +s +u +Z + +s +n +e +d +o +B +n +e +t +u +a +b +e +b + +s +e +d + +l +a +e +r +A +m + +i + +" +e +m +h +a +n +b +A +„ + +; +. +l +g +r +e +d + +. +u + +l +e +z +r +u +w +d +l +o +g +n +a + +M + +, +s +p +i +n +r +u +T + +- + +, +t +h +c +u +r +f +n +ü +r +G +n +o +v + +u +a +b +n +A +m + +i + +t +t +a +t +s + +" +e +m +h +a +n +u +Z +„ + +d +n +a +f + +s +E + +. +s +e +r +c +a + +5 +1 +9 +4 +3 +1 + +d +n +u + +s +h +c +a +l +F + +r +ü +f + +s +e +r +c +a + +7 +6 +6 +4 +3 + +, +n +l +e +f +f +o +t +r +a +K + +r +ü +f + +s +e +r +c +a + +2 +3 +6 +6 +6 + +, +n +e +g +g +o +R + +d +n +u + +e +t +s +r +e +G + +r +ü +f + +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +4 + +, +r +e +f +a +H + +r +ü +f + +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +4 +1 + +, +n +e +z +i +e + +W + +r +ü +f + +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +6 +1 + +n +o +v + +2 +7 +8 +1 + +r +ü +F + +. +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 + +8 +2 +2 + +- + +2 +7 +8 +1 + +; +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +4 +4 +2 + +- + +1 +7 +8 +1 + +; +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +9 +5 +2 + +- + +0 +7 +8 +1 + +; +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +0 +8 +2 + +- + +9 +6 +8 +1 + +; +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +5 +8 +2 + +- + +8 +6 +8 +1 + +: +r +e +t +i +e +l +n +e +f +u +t + +S + +e +d +n +e +m +h +e +n + +- +b +a + +e +d +n +e +g +l +o +f + +e +r +h +a +J + +5 + +n +e +t +z +t +e +l + +e +i +d + +r +ü +f + +t +g +i +e +z + +n +e +d +o +B +e +h +c +i +l +d +n +i +f +e +b + +r +u +t +l +u +k +n +e +z +i +e + +W + +r +e +t +n +u + +r +e +D + +. +n +e +m +a +s +b +ü +R +d +n +u + +e +k +c +i + +W + +, +e +e +l +K + +, +n +e +s +e +i + +W +n +i + +r +e +g +i +n +e +w +s +e +r +c +a + +0 +0 +0 +0 +3 + +0 +3 + +. +n +e +n +i +e +w +h +c +S + +0 +0 +0 +6 +3 +2 + +n +o +v + +e +m +h +a +n +b +A +e +n +i +e + +d +n +u + +n +e +f +a +h +c +S + +2 +8 +6 +8 +2 + +, + +h +e +i +v +n +r +o +H +0 +0 +0 +0 +8 + +, + +n +e +d +r +e +f +P + +0 +0 +6 +2 + +n +o +v + +e +m +h +a +n +u +Z + +e +n +i +e + +l +h +a +Z + +r +e +d +n +u +r + +n +i + +r +i + +w +n +e +d +n +i +f + +631 + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + Siebenter Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Rubrik D. Einkommen aus Profiten (über 60Pfd. St.) in Irland. + +Tabelle E. + +Jährliche +Gesammt- +einnähme von: +Jährliche +Einkommen +über 60 und +unter 100 +Pfd. St. + +Von der jährl. +Gesammt- +einnahme: + +Rest der jährl. +Gesammt- +einnahme von: + +Davon: + +1864. + +Pfd. St. + +1865. + +Pfd. St. + +4 368 610 vertheilt unter 17 467 Pers. 4 669 979 vertheilt unter 18 081 P. + +238 726 + +5 015 » + +222 575 = + +4703 » + +10 + +1979066 » + +11321» + +2 028 571 = + +12184 » + +15 + +2150 818 » +1073 906 » +1076 912 » +430 535 » +646 377 » +262 819 » + +1131» +1010 » +121» +95 » +26 » +3 » + +2418833 » +1097 927 » +1320 906 » +584458 » +736448 » +274 528 » + +1194 » +1044» +150 » +122 » +28 » + +20 + +England, ein Land entwickelter kapitalistischer Produktion und Vorzugs- +weis industriell, wäre verblutet an einem Volksaderlaß, ||669| gleich dem iri- 25 +sehen. Aber Irland ist gegenwärtig nur ein durch einen breiten Wassergra- +ben abgezäunter Agrikulturdistrikt Englands, dem es Korn, Wolle, Vieh, +industrielle und militärische Rekruten liefert. + +Die Entvölkerung hat viel Land außer Bebauung geworfen, das Boden- +produkt sehr vermindert 1 8 6), und, trotz des erweiterten Areals der Vieh- 30 +zucht, in einigen ihrer Zweige absolute Abnahme erzeugt, in andren kaum +nennenswerthen, durch beständige Rückschritte unterbrochnen Fort- +schritt. Dennoch stiegen mit dem Fall der Volksmasse fortwährend Boden- +renten und Pachtprofite, obgleich letztere nicht so konstant wie die erstren. +Der Grund ist leicht verständlich. Einerseits verwandtelte sich mit der Zu- 35 +sammenwerfung der Pachtungen und der Verwandlung von Ackerland in +Viehweide ein größerer Theil des Gesammtprodukts in Mehrprodukt. Das +Mehrprodukt wuchs, obgleich das Gesammtprodukt, wovon es einen + +1 8 5 ) Das jährliche Gesammteinkommen unter Rubrik D weicht hier von der vorigen Tabelle +ab, wegen gewisser gesetzlich zulässiger Abzüge. +1 8 6 ) Wenn das Produkt auch verhältnißmäßig pro Acre abnimmt, vergesse man nicht, daß +England seit \ l/ 2 Jahrhunderten den Boden von Irland indirekt exportirt hat, ohne seinen Be- +bauern auch nur die Mittel zum Ersatz der Bodenbestandtheile zu gönnen. + +40 + +632 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Bruchtheil bildet, abnahm. Andrerseits stieg der Geldwerth dieses Mehr- +produkts noch rascher als seine Masse, in Folge der seit den letzten 20 und +ganz besonders seit den letzten 10 Jahren steigenden englischen Markt- +preise für Fleisch, Wolle u. s. w. + +5 + +10 + +Zersplitterte Produktionsmittel, die den Producenten selbst als Beschäf- +tigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung +fremder Arbeit zu verwerthen, sind eben so wenig Kapital als das von sei- +nem eigenen Producenten verzehrte Produkt Waare ist. Wenn mit der +Volksmasse auch die Masse der in der Agrikultur angewandten Produk- +tionsmittel abnahm, so nahm die Masse des in ihr angewandten Kapitals +zu, weil ein Theil früher zersplitterter Produktionsmittel in Kapital verwan- +delt ward. + +15 + +Das außerhalb der Agrikultur, in Industrie und Handel angelegte Ge- +sammtkapital Irlands akkumulirte während der letzten zwei Decennien +langsam und unter beständiger großer Fluktuation. Um so rascher entwik- +kelte sich dagegen die Koncentration seiner individuellen Bestandtheile. +Endlich, wie gering immerhin sein absolutes Wachsthum, relativ, im Ver- +hältniß zur zusammengeschmolzenen Volkszahl, war es angeschwollen. + +25 + +Hier entrollt sich also, unter unsren Augen, auf großer Stufenleiter, ein +20 Proceß, wie die orthodoxe Oekonomie ihn nicht schöner wünschen konnte +zur Bewähr ihres Dogmas's, wonach das Elend aus absoluter Uebervölke- +rung entspringt und das Gleichgewicht ||670| durch Entvölkerung wieder +hergestellt wird. Es ist dies ein ganz anderes wichtiges Experiment als die +von den Malthusianern so sehr verherrlichte Pest in der Mitte des vierzehn- +ten Jahrhunderts. Nebenbei bemerkt. War es an sich schulmeisterlich naiv, +den Produktions- und entsprechenden Bevölkerungsverhältnissen des +19. Jahrhunderts den Maßstab des 14. Jahrhunderts anzulegen, so übersah +diese Naivetät noch obendrein, daß wenn jener Pest und der sie begleiten- +den Decimation diesseits des Kanals, in England, Befreiung und Bereiche- +rung des Landvolks, ihr jenseits, in Frankreich, größere Knechtung und er- +höhtes Elend auf dem Fuß nachfolgten 1 8 6 a ) - + +30 + +Die Hungersnoth erschlug 1846 in Irland über eine Menschenmillion, +aber nur arme Teufel. Sie that dem Reichthum des Landes nicht den ge- +ringsten Abbruch. Der nachfolgende zwanzigjährige und stets noch an- +35 schwellende Exodus decimirte nicht, wie etwa der dreißigjährige Krieg, mit +den Menschen zugleich ihre Produktionsmittel. Das irische Genie erfand + +i 8 6 a ) j j a Irland a l s das gelobte Land des „Bevölkerungsprincipes" angesehn wird, erließ +Th. Sadler, vor der Veröffentlichung seines Werks über Bevölkerung, sein berühmtes Buch: +Ireland, its Evils and their Remedies, 2nd ed. London 1829, worin er durch Vergleichung der +40 Statistik der einzelnen Provinzen, und in jeder Provinz der einzelnen Grafschaften, nach- +weist, daß das Elend dort herrscht nicht, wie Malthus will, im Verhältniß zur Bevölkerungs- +zahl, sondern im umgekehrten Verhältniß zu ihr. + +633 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +eine ganz neue Methode, ein armes Volk tausende von Meilen vom Schau- +platz seines Elends wegzuhexen. Die in die Vereinigten Staaten übergesie- +delten Auswanderer schicken jährlich Geldsummen nach Haus, Reisemit- +tel für die Zurückgebliebenen. Jeder Trupp, der dieses Jahr auswandert, +zieht nächstes Jahr einen andren Trupp nach. Statt Irland etwas zu kosten, +bildet die Auswanderung so einen der einträglichsten Zweige seines Ex- +portgeschäftes. Sie ist endlich ein systematischer Proceß, der nicht etwa +vorübergehend ein Loch in die Volksmasse bohrt, sondern aus derselben +jährlich mehr Menschen auspumpt, als der Nachwuchs ersetzt, so daß das +absolute Bevölkerungsniveau von Jahr zu Jahr s i n k t 1 8 6 b ) . + +Welches waren die Folgen für die zurückbleibenden, von der Uebervöl- +kerung befreiten Arbeiter Irlands? Daß die relative Uebervölkerung heute +so groß ist wie vor 1846, daß der Arbeitslohn eben so niedrig steht und die +Arbeitsplackerei zugenommen hat, daß die Misère auf dem Land wieder zu +einer neuen Krise ||671| drängt. Die Ursachen sind einfach. Die Revolution +in der Agrikultur hielt Schritt mit der Emigration. Die Produktion der rela- +tiven Uebervölkerung hielt mehr als Schritt mit der absoluten Entvölke- +rung. Ein Blick auf Tabelle B zeigt, wie die Verwandlung von Ackerbau in +Viehweide in Irland noch akuter wirken muß als in England. Hier wächst +mit der Viehzucht der Bau von Grünfrucht, dort nimmt er ab. Während +große Massen früher bestellter Aecker brachgelegt oder in permanentes +Grasland verwandelt werden, dient ein großer Theil des früher unbenutz- +ten wüsten Landes und Torfmoors zur Ausdehnung der Viehzucht. Die +kleineren und mittleren Pächter - ich rechne dazu alle, die nicht über +100 Acres bebauen - machen immer noch ungefähr s / 1 0 der Gesammtzahl +a u s 1 8 6 c ) . Sie werden progressiv in ganz andrem Grad als zuvor von der Kon- +kurrenz des kapitalistisch betriebenen Ackerbaus erdrückt und liefern da- +her der Klasse der Lohnarbeiter beständig neue Rekruten. Die einzige +große Industrie Irlands, die Leinenfabrikation, braucht verhältnißmäßig +wenig erwachsne Männer und beschäftigt überhaupt, trotz ihrer Expansion +seit der Vertheuerung der Baumwolle 1 8 6 1 - 6 6 , nur einen verhältnißmäßig +unbedeutenden Theil der Bevölkerung. Gleich jeder andren großen Indu- +strie producirt sie durch stete Schwankungen in ihrer eignen Sphäre be- +ständig eine relative Uebervölkerung, selbst bei absolutem Wachsthum der +von ihr absorbirten Menschenmasse. Die Misère des Landvolks bildet das +Piédestal riesenhafter Hemdenfabriken etc., deren Arbeiterarmee zum + +zeit von 1851 bis 1874 beläuft sich die Gesammtzahl der Auswanderer auf + +i 8 6 b ) p u r +2 325 922. +1 8 6 c ) Note z. 2. Ausg. Nach einer Tabelle in Murphy's: ,,Ireland, Industrial, Political, and So- +cial, 1870", bilden 94,6 % des Bodens Pachten bis zu 100 acres, und 5,4 % Pachten über +100 acres. + +634 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +5 + +größten Theil über das flache Land zerstreut ist. Wir finden hier das früher +geschilderte System der Hausarbeit wieder, welches in Unterzahlung und +Ueberarbeit seine methodischen Mittel der „Ueberzähligmachung" besitzt. +Endlich, obschon die Entvölkerung nicht zerstörende Folgen hat, wie in +einem Land entwickelter kapitalistischer Produktion, vollzieht sie sich +nicht ohne beständigen Rückschlag auf den innern Markt. Die Lücke, wel- +che die Auswanderung hier schafft, verengert nicht nur die lokale Arbeits- +nachfrage, sondern auch die Einkünfte der Kleinkrämer, Handwerker, klei- +nen Gewerbsleute überhaupt. Daher der Rückgang der Einkommen + +10 zwischen 60 und 100 Pfd. St. in Tabelle E. + +Eine durchsichtige Darstellung der Lage der ländlichen Tagelöhner in +Irland findet sich in den Berichten der irischen Armenver||672|waltungs- +Inspektoren ( 1 8 7 0 ) 1 8 6 d ) . Beamte einer Regierung, die sich nur durch die +Bayonnete und den bald offnen, bald verhüllten Belagerungszustand hält, +15 müssen sie alle die Rücksichten der Sprache beobachten, die ihre Kollegen +in England verachten; trotzdem aber erlauben sie ihrer Regierung nicht, +sich in Illusionen zu wiegen. Nach ihnen hat sich die, immer noch sehr +niedrige Lohnrate auf dem Lande, in den lezten 20 Jahren doch um +5 0 - 6 0 % erhöht und steht jetzt im Durchschnitt auf 6 - 9 sh. die Woche. +20 Hinter dieser scheinbaren Erhöhung aber verbirgt sich ein wirkliches Fal- +len des Lohns, denn sie gleicht nicht einmal den inzwischen erfolgten +Preisaufschlag der nothwendigen Lebensmittel aus; Beweis folgender Aus- +zug aus den amtlichen Rechnungen eines irischen Workhouse: + +25 + +Jahr. + +Nahrung. + +Kleidung. + +Zusammen. + +Wochendurchschnitt der Unterhaltungskosten pr. Kopf. + +29. Sept. 1848 bis 29. Sept. 1849 +29. Sept. 1868 bis 29. Sept. 1869 + +1 sh. 3¼ d. +2 sh. 7½ d. + +0 sh. 3 d. +0 sh. 6 d. + +1 sh. 6% d. +3 sh. 1% d. + +Der Preis der nothwendigen Lebensmittel ist also beinah zweimal, und + +der der Kleidung genau zweimal so hoch als vor zwanzig Jahren. + +30 Selbst abgesehen von diesem Miß verhältniß, ergäbe bloße Vergleichung +der in Geld ausgedrückten Lohnrate noch lange kein richtiges Resultat. +Vor der Hungersnoth wurde die große Masse der ländlichen Löhne in na- +tura entrichtet, in Geld nur der kleinste Theil; heute ist Geldzahlung Re- +gel. Schon daraus folgt daß, welches auch die Bewegung des wirklichen +35 Lohns, seine Geldrate steigen mußte. „Vor der Hungersnoth besaß der Ak- +kerbautagelöhner ein Stückchen Land, worauf er Kartoffeln baute und +Schweine und Geflügel zog ... Heutzutage muß er nicht nur alle seine Le- +bensmittel kaufen, sondern es entgehn ihm auch die Einnahmen aus dem + +186d) Reports from the Poor Law Inspectors on the wages of Agricultural Labourers in Ireland. + +40 Dublin 1870. - Vgl. auch Agricultural Labourers (Ireland) Return etc. 8. March 1861. + +635 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Verkauf von Schweinen, Geflügel und E i e r n " 1 8 7 ) . In der That flössen frü- +her die Landarbeiter zusammen mit den kleinen Pächtern und bildeten +meistens nur den Nachtrab der mittleren und großen Pachtungen, auf de- +nen sie Beschäftigung fanden. Erst seit der Katastrophe von 1846 hatten sie +angefangen einen Bruchtheil der Klasse reiner Lohnarbeiter zu bilden, +einen ||673| besonderen Stand, der mit seinen Lohnherren nur noch durch +Geldverhältnisse verknüpft ist. + +5 + +Man weiß, was ihr Wohnungszustand von 1846 war. Seitdem hat er sich +noch verschlimmert. Ein Theil der Landtaglöhner, der indeß von Tag zu +Tag abnimmt, wohnt noch auf den Ländereien der Pächter in überfüllten 10 +Hütten, deren Scheußlichkeiten das Schlimmste weit übertreffen, das uns +die englischen Landdistrikte in dieser Art vorführten. Und das gilt allge- +mein, mit Ausnahme einiger Striche von Ulster; im Süden in den Graf- +schaften Cork, Limerick, Kilkenny etc.; im Osten in Wicklow, Wexford +etc.; im Centrum in King's und Queen's County, Dublin etc.; im Norden in 15 +Down, Antrim, Tyrone etc.; im Westen in Sligo, Roscommon, Mayo, Gal- +way etc. „Es ist", ruft einer der Inspektoren aus, „es ist eine Schande für +die Religion und die Civilisation dieses Landes" 1 8 7 a ) . Um den Taglöhnern +die Wohnlichkeit ihrer Höhlen erträglicher zu machen, konfiscirt man sy- +stematisch die seit undenklicher Zeit dazu gehörigen Stückchen Land. 20 +„Das Bewußtsein dieser Art von Acht, in die sie von den Grundherrn und +ihren Verwaltern gethan sind, hat bei den Landtaglöhnern entsprechende +Gefühle des Gegensatzes und Hasses hervorgerufen gegen die, welche sie +als eine rechtlose Race behandeln" 1 8 7 a). + +Der erste Akt der Ackerbaurevolution war, auf allergrößtem Maßstab 25 + +und wie nach einem von oben gegebenen Losungswort, die auf dem Ar- +beitsfeld gelegenen Hütten wegzufegen. Viele Arbeiter wurden so gezwun- +gen, in Dörfern und Städten Schutz zu suchen. Dort warf man sie wie +Schund in Dachkammern, Löcher, Keller und in die Schlupfwinkel der +schlechtesten Viertel. Tausende irischer Familien, die sich selbst nach dem 30 +Zeugniß von, in nationalen Vorurtheilen befangnen, Engländern durch +ihre seltne Anhänglichkeit an den heimischen Herd, durch ihre sorglose +Heiterkeit und durch häusliche Sittenreinheit auszeichneten, fanden sich +so plötzlich verpflanzt in die Treibhäuser des Lasters. Die Männer müssen +jetzt Arbeit suchen bei benachbarten Pächtern und werden nur auf den Tag +gemiethet, also in der prekärsten Lohnform; dabei „haben sie jetzt weite +Wege zur Pachtung und zurück zu machen, oft naß wie die Ratten, und +andren Unbilden ausgesetzt, die häufig Abschwächung, Krankheit und da- +mit Mangel herbeiführen". 1 8 7 b) | + +35 + +] 7 ) I.e. p.29, 1. 1 8 7 a ) I.e. p.12. 1 8 7 b ) I.e. p.25. + +40 + +636 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +|674| „Die Städte hatten Jahr um Jahr aufzunehmen, was als Ueberschuß +von Arbeitern in den Landdistrikten galt" 1 8 7 c ) , und dann wundert man sich +noch, „daß in den Städten und Dörfern Ueberschuß, und auf dem Lande +Mangel an Arbeitern herrscht!" 1 8 7 d). Die Wahrheit ist, daß dieser Mangel +5 nur fühlbar wird „zur Zeit dringlicher Ackerbauarbeiten, im Frühjahr und +Herbst, während den Rest des Jahres viele Hände müßig bleiben" 1 8 7 6 ) ; daß +„nach der Ernte, vom Oktober bis zum Frühling, es kaum Beschäftigung +für sie g i e b t " 1 8 7 f ) , und daß sie auch während der beschäftigten Zeit „häufig +ganze Tage verlieren und Arbeitsunterbrechungen aller Art ausgesetzt + +10 s i n d " 1 8 7 g ) . + +Diese Folgen der agrikolen Revolution, d. h. der Verwandlung von Ak- +kerland in Viehweide, der Anwendung von Maschinerie, der strengsten Ar- +beitsersparung etc. - werden noch verschärft durch die Muster-Grundher- +ren, solche die statt ihre Renten im Ausland zu verzehren, so gnädig sind +in Irland auf ihren Domainen zu wohnen. Damit das Gesetz von Nach- +frage und Angebot ganz ungekränkt bleibe, ziehen diese Herren J e t z t fast +ihren ganzen Arbeitsbedarf aus ihren kleinen Pächtern, die so gezwungen +sind für ihre Grundherrn zu schanzen für einen im Allgemeinen geringe- +ren Lohn als der der gewöhnlichen Taglöhner, und das ohne alle Rücksicht +auf die Unbequemlichkeiten und Verluste, die daraus entstehn, daß sie zur +kritischen Zeit der Saat oder Ernte ihre eignen Felder vernachlässigen +müssen". 1 8 7 h) + +15 + +20 + +25 + +Die Unsicherheit und Unregelmäßigkeit der Beschäftigung, die häufige +Wiederkehr und lange Dauer der Arbeitsstockungen, alle diese Symptome +einer relativen Uebervölkerung figuriren also in den Berichten der Armen- +verwaltungs-Inspectoren als ebensoviel Beschwerden des irischen Acker- +bauproletariats. Man erinnert sich, daß wir beim englischen Landproleta- +riat ähnlichen Erscheinungen begegnet sind. Aber der Unterschied ist, daß +in England, einem industriellen Lande, die industrielle Reserve sich auf +30 dem Lande rekrutirt, während in Irland, einem Ackerbauland, die Acker- +baureserve sich in den Städten, den Zufluchtsorten der vertriebenen Land- +arbeiter, rekrutirt. Dort verwandeln sich die Ueberzähligen des Landbaus +in Fabrikarbeiter; hier bleiben die in die Städte ||675| Gejagten, während +sie gleichzeitig auf den städtischen Lohn drücken, Landarbeiter und wer- + +35 den beständig aufs Land auf Arbeitsuche zurückgeschickt. + +Die amtlichen Berichterstatter fassen die materielle Lage der Ackerbau- + +1 8 7 c ) L c p.27. +1 8 7 d ) p.26. +1 8 7 e ) p.l. +1 8 7 f ) p.32. +7 S ) p.25. +1 8 7 h ) p.30. + +8 + +1 + +40 + +637 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +taglöhner zusammen, wie folgt: „Obwohl sie mit der äußersten Frugalität +leben, reicht ihr Lohn doch kaum hin, ihnen und ihren Familien Nahrung +und Wohnung zu bestreiten; für Kleidung bedürfen sie weiterer Einnah- +men ... Die Atmosphäre ihrer Wohnungen, im Verein mit andern Entbeh- +rungen, setzt diese Klasse in ganz besondrem Grade dem Typhus und der +Schwindsucht a u s " 1 8 7 i ) . Hiernach ist es kein Wunder, daß, nach dem ein- +stimmigen Zeugniß der Berichterstatter, ein finstres Mißvergnügen die +Reihen dieser Klasse durchdringt, daß sie die Vergangenheit zurück- +wünscht, die Gegenwart verabscheut, an der Zukunft verzweifelt, „sich den +verwerflichen Einflüssen von Demagogen hingiebt" und nur die eine fixe +Idee hat, nach Amerika auszuwandern. Das ist das Schlaraffenland, worin +das große malthusische Allerweltsheilmittel, die Entvölkerung, das grüne +Erin verwandelt hat! + +Welches Wohlleben die irischen Manufakturarbeiter führen, dafür ge- + +nügt ein Beispiel: + +5 + +10 + +15 + +„Bei meiner neulichen Inspektion des Nordens von Irland", sagt der eng- +lische Fabrikinspektor Robert Baker, „frappirte mich die Bemühung eines +geschickten irischen Arbeiters, aus den allerdürftigsten Mitteln seinen Kin- +dern Erziehung zu verschaffen. Ich gebe seine Aussage wörtlich, wie ich sie +aus seinem Mund erhielt. Daß er eine geschickte Fabrikhand, weiß man, 20 +wenn ich sage, daß man ihn zu Artikeln für den Manchester Markt verwen- +det. Johnson: Ich bin ein beetler und arbeite von 6 Uhr Morgens bis 11 Uhr +in der Nacht, von Montag bis Freitag; Samstag endigen wir um 6 Uhr +Abends und haben 3 Stunden für Mahlzeit und Erholung. Ich habe 5 Kin- +der. Für diese Arbeit erhalte ich 10 sh. 6 d. wöchentlich; meine Frau arbei- 25 +tet auch und verdient 5 sh. die Woche. Das älteste Mädchen, zwölfjährig, +wartet das Haus. Sie ist unsre Köchin und einzige Gehülfin. Sie macht die +jüngeren zur Schule fertig. Meine Frau steht mit mir auf und geht mit mir +fort. Ein Mädchen, welches unser Haus entlang geht, weckt mich um halb +6 Uhr Morgens. Wir essen nichts, bevor wir zur Arbeit gehn. Das zwölfjäh- 30 +rige Kind sorgt für ||676| die Kleineren des Tags über. Wir frühstücken um +8 und gehn dazu nach Hause. Wir haben Thee einmal die Woche; sonst +haben wir einen Brei (stirabout), manchmal von Hafermehl, manchmal +von Maismehl, je nachdem wir fähig sind es zu beschaffen. Im Winter ha- +ben wir ein wenig Zucker und Wasser zu unsrem Maismehl. Im Sommer 35 +ernten wir einige Kartoffeln, womit wir selbst ein Bodenfetzchen bepflan- +zen, und wenn sie zu Ende sind, kehren wir zum Brei zurück. So geht's Tag +aus Tag ein, Sonntag und Werkeltag, das ganze Jahr durch. Ich bin stets +sehr müde des Abends nach vollbrachtem Tagwerk. Einen Bissen Fleisch +sehn wir ausnahmsweis, aber sehr selten. Drei unsrer Kinder besuchen 40 + +1 8 7 i ) p.21, 13. + +638 + + Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation + +Schule, wofür wir 1 d. per Kopf wöchentlich zahlen. Unsre Hausmiethe ist +9 d. die Woche, Torf und Feuerung kosten mindestens 1 sh. 6 d. vierzehntä- +g i g " 1 8 8 ) . Das sind irische Löhne, das ist irisches Leben! + +In der That, das Elend Irlands ist wieder Tagesthema in England. Ende +5 1866 und Anfang 1867 machte sich in der Times einer der irischen Land- +magnaten, Lord Dufferin, an die Lösung. „Wie menschlich von solch' gro- +ßem Herrn!" + +Aus Tabelle E sah man, daß während 1864 von 4 368 610 Pfd. St. Ge- +sammtprofit 3 Plusmacher nur 262 819, dieselben 3 Virtuosen der „Entsa- +10 gung" 1865 von 4 669 979 Pfd. St. Gesammtprofit dagegen 274 528 Pfd. St. +einsteckten, 1864: 26 Plusmacher 646 377 Pfd. St., 1865: 28 Plusmacher +736 44.8Pfd. St., 1864: 121 Plusmacher 1 0 7 6 912Pfd. St., 1865: 150 Plusma- +cher 1 3 2 0 906 Pfd. St., 1864: 1131 Plusmacher 2 150 818 Pfd. St., beinahe +jährlichen Gesammtprofits, 1865: 1194 Plusmacher +die Hälfte des +15 2 418 833 Pfd. St., mehr als die Hälfte des jährlichen Gesammtprofits. Der +Löwenantheil aber, welchen eine verschwindend kleine Anzahl Landma- +gnaten in England, Schottland und Irland vom jährlichen Nationalrental +verschlingt, ist so monströs, daß die englische Staatsweisheit es angemes- +sen findet, für die Vertheilung der Grundrente nicht dasselbe statistische +20 Material zu liefern wie für die Vertheilung des Profits. Lord Dufferin ist +einer dieser Landmagnaten. Daß Rentrollen und Profite jemals „überzäh- +lig" sein können, oder daß ihre Plethora mit der Plethora des Volkselends +irgendwie zusammenhängt, ist natürlich eine ebenso „irrespektable" als +„ungesunde" (unsound) Vorstellung. Er hält sich an Thatsachen. Die That- +25 sache ist, daß wie die irische Volkszahl ||677| abnimmt, die irischen Rent- +rollen schwellen, daß die Entvölkerung dem Grundeigenthümer „wohl- +thut", also auch dem Grund und Boden, also auch dem Volk, das nur +Zubehör des Bodens. Er erklärt also, Irland sei immer noch übervölkert +und der Strom der Emigration fließe stets noch zu trag. Um vollständig +30 glücklich zu sein, müsse Irland wenigstens noch % Million Arbeitsmen- +schen ablassen. Man wähne nicht, dieser obendrein noch poetische Lord +sei ein Arzt aus der Schule Sangrado's, der, so oft er seinen Kranken nicht +besser fand, Aderlaß verordnete, neuen Aderlaß, bis der Patient mit seinem +Blut auch seine Krankheit verlor. Lord Dufferin verlangt einen neuen +35 Aderlaß von nur % Million, statt von ungefähr 2 Millionen, ohne deren Ab- +laß in der That das Millennium in Erin nicht herstellbar ist. Der Beweis ist +leicht geliefert. + +1 8 8 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1866", p. 96. + +639 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Anzahl und Umfang der Pachten in Irland 1864. + +1. +Pachten +nicht über 1 Acre. + +Anzahl +48 653 + +Acres +25 394 + +5. +Pachten über 30, +nicht über 50 Acres. + +Pachten über I5 +nicht über 5 Acres. + +Pachten über 5, +nicht über 15 Acres. + +Pachten über 15, +nicht über 30 Acres. + +Anzahl +82 037 + +Acres +288 916 + +Anzahl +176 368 + +Acres +1836 310 + +Anzahl Acres +136 578 3 051343 + +Pachten über 50, +nicht über 100 Acres. + +7. +Pachten +über 100 Acres. + +8. + +Anzahl +71961 + +Acres +2 906274 + +Anzahl +54247 + +Acres +3 983 880 + +Anzahl +31927 + +Acres +8 227 807 + +Gesammtareal. + +1O1 + +Die Centralisation hat von 1851 bis 1861 hauptsächlich Pachten der er- + +20 319 924 Acr. 1 8 8 a) + +sten drei Kategorien, unter 1 und nicht über 15 Acres, vernichtet. Sie müs- + +sen vor allem verschwinden. Dies giebt 307 058 „überzählige" Pächter, und + +die . Familie zum niedrigen Durchschnitt von 4 Köpfen gerechnet, + +1 2 2 8 232 Personen. Unter der extravaganten Unterstellung, daß % davon + +nach vollbrachter agrikoler Revolution wieder absorbirbar, bleiben auszu- + +wandern: 9 2 1 1 7 4 Personen. Die Kategorien 4, 5, 6, von über 15 und nicht + +über 100 Acres, sind, wie man längst in England weiß, für den kapitalisti- + +schen Kornbau zu klein, für Schafzucht aber fast verschwindende Größen. + +Unter denselben Unterstellungen wie vorher sind also fernere 788 358 Per- + +sonen auszuwandern, Summe: 1 7 0 9 532. Und, comme ||678| l'appétit vient + +en mangeant, werden die Augen der Rentrolle bald entdecken, daß Irland + +mit 3¾ Millionen immer noch elend, und elend, weil übervölkert ist, also + +seine Entvölkerung noch viel weiter gehn muß, damit es seinen wahren B e - + +ruf erfülle, den einer englischen Schaftrift und Viehweide 1 8 8 1 3). + +i s s a ) D a s Gesammtareal schließt auch „Torfmoor und wüstes Land" ein. +i 8 8 b ) die Hungersnoth und die von ihr herbeigeführten Umstände sowohl von den einzel- +nen Grundeigenthümern als auch von der englischen Gesetzgebung planmäßig ausgebeutet +wurden, um die Agrikulturrevolution gewaltsam durchzusetzen und die Bevölkerung Irlands +auf das den Landlords zusagende Maß zu verdünnen, werde ich in Buch III dieser Schrift, im +Abschnitt über das Grundeigenthum, ausführlicher nachweisen. Ich komme daselbst auch zu- +rück auf die Verhältnisse der kleinen Pächter und Landarbeiter. Hier nur ein Citat. Nassau +W. Senior sagt u. a. in seiner nachgelaßnen Schrift: Journals, Conversations and Essays rela- +ting to Ireland. 2 vols., London 1868, v.II, p.282: „Treffend bemerkte Dr. G., wir haben unser +Armengesetz und es ist ein großes Werkzeug, um den Landlords den Sieg zu geben; ein and- +res ist die Emigration. Kein Freund Irlands kann wünschen, daß der Krieg (zwischen den +Landlords und den kleinen celtischen Pächtern) sich verlängere, - noch weniger, daß er mit +dem Sieg der Pächter ende. ... Je rascher er (dieser Krieg) vorüber, je rascher Irland ein Wei- +deland (grazing country) wird mit der verhältnißmäßig geringen Volkszahl, die ein Weideland +erheischt, desto besser für alle Klassen." Die englischen Korngesetze von 1815 sicherten Ir- +land das Monopol der freien Korneinfuhr nach Großbritannien. Sie begünstigten also künst- +lich den Kornbau. Dies Monopol wurde 1846 mit Abschaffung der Korngesetze plötzlich be- +seitigt. Von allen andern Umständen abgesehn, reicht dies Ereigniß allein hin, der +Verwandlung von irischem Ackerland in Viehweide, der Koncentration der Pachthöfe und der + +15 + +20 + +25 + +30 + +35 + +40 + +45 + +640 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Diese einbringliche Methode hat wie alles Gute in dieser Welt ihren +Mißstand. Mit der Akkumulation der Grundrente in Irland hält Schritt die +Akkumulation der Irländer in Amerika. Der durch Schaf und Ochs besei- +tigte Ire ersteht auf der andren Seite des Oceans als Fenier. Und gegenüber +5 der alten Seekönigin erhebt sich drohend und drohender die junge Riesen- + +republik. + +Acerba fata Romanos agunt. +Scelusque fraternae necis. | + +| 6 7 9 | V I E R U N D Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . + +10 + +Die sog. ursprüngliche Akkumulation. + +1. Das Geheimniß der ursprünglichen Akkumulation. + +Man hat gesehn, wie Geld in Kapital verwandelt, durch Kapital Mehrwerth +und aus Mehrwerth mehr Kapital gemacht wird. Indeß setzt die Akkumula- +tion des Kapitals den Mehrwerth, der Mehrwerth die kapitalistische Pro- +15 duktion, diese aber das Vorhandensein größerer Massen von Kapital und +Arbeitskraft in den Händen von Waarenproducenten voraus. Diese ganze +Bewegung scheint sich also in einem fehlerhaften Kreislauf herumzudrehn, +aus dem wir nur hinauskommen, indem wir eine der kapitalistischen Ak- +kumulation vorausgehende „ursprüngliche" Akkumulation (,,previous ac- +ÎO cumulation" bei Adam Smith) unterstellen, eine Akkumulation, welche +nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern ihr +Ausgangspunkt. + +Diese ursprüngliche Akkumulation spielt in der politischen Oekonomie +ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie. Adam biß in +!5 den Apfel und damit kam über das Menschengeschlecht die Sünde. Ihr Ur- +sprung wird erklärt, indem er als Anekdote der Vergangenheit erzählt wird. +In einer längst verfloßnen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleißige, in- +telligente und vor Allem sparsame Elite und auf der andren faulenzende, +ihr Alles, und mehr, verjubelnde Lumpen. Die Legende vom theologischen +ο Sündenfall erzählt uns allerdings, wie der Mensch dazu verdammt worden +sei, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu essen; die Historie vom + +Vertreibung der Kleinbauern einen mächtigen Aufschwung zu geben. Nachdem man von +1815 bis 1846 die Fruchtbarkeit des irischen Bodens gerühmt und laut erklärt, er sei von der +Natur selbst zum Weizenbau bestimmt, entdecken von da an plötzlich die englischen Agrono- +5 men, Oekonomen, Politiker, daß er zu nichts passe als Grünfutter zu produciren! Herr Léonce +de Lavergne hat sich beeilt dies jenseits des Kanals zu wiederholen. Es gehört ein „ernsthaf- +ter" Mann à la Lavergne dazu, sich von solchen Kindereien fangen zu lassen. + +641 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +ökonomischen Sündenfall aber enthüllt uns, wieso es Leute giebt, die das +keineswegs nöthig haben. Einerlei. So kam es, daß die ersten Reichthum +akkumulirten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als +ihre eigne Haut. Und von diesem Sündenfall datirt die Armuth der großen +Masse, die immer noch, aller Arbeit zum Trotz, nichts zu verkaufen hat als +sich selbst, und der Reichthum der Wenigen, der fortwährend wächst, ob- +gleich sie längst aufgehört haben zu arbeiten. Solche fade Kinderei kaut +Herr Thiers z.B. noch mit staatsfeierlichem Ernst, zur Vertheidigung der +propriété, den einst so geistreichen Franzosen vor. Aber sobald die Eigen- +thumsfrage ins Spiel kommt, wird es heilige Pflicht, den Standpunkt der 10 +Kinderfibel als den allen Altersklassen und Entwicklungsstufen allein ge- +rechten 116801 festzuhalten. In der wirklichen Geschichte spielen bekannt- +lich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die große Rolle. In +der sanften politischen Oekonomie herrschte von jeher die Idylle. Recht +und „Arbeit" waren von jeher die einzigen Bereicherungsmittel, natürlich 15 +mit jedesmaliger Ausnahme von „diesem Jahr". In der That sind die Me- +thoden der ursprünglichen Akkumulation alles andre, nur nicht idyl- +lisch. + +5 + +Geld und Waare sind nicht von vornherein Kapital, so wenig wie Pro- +duktions- und Lebensmittel. Sie bedürfen der Verwandlung in Kapital. 20 +Diese Verwandlung selbst aber kann nur unter bestimmten Umständen +vorgehn, die sich dahin zusammenspitzen: Zweierlei sehr verschiedne Sor- +ten von Waarenbesitzern müssen sich gegenüber und in Kontakt treten, ei- +nerseits Eigner von Geld, Produktions- und Lebensmitteln, denen es gilt +die von ihnen geeignete Werthsumme zu verwerthen durch Ankauf frem- 25 +der Arbeitskraft; andrerseits freie Arbeiter, Verkäufer der eignen Arbeits- +kraft und daher Verkäufer von Arbeit. Freie Arbeiter in dem Doppelsinn, +daß weder sie selbst unmittelbar zu den Produktionsmitteln gehören, wie +Sklaven, Leibeigne u.s.w., noch auch die Produktionsmittel ihnen gehören, +wie beim selbstwirthschaftenden Bauer u.s.w., sie davon vielmehr frei, los 30 +und ledig sind. Mit dieser Polarisation des Waarenmarkts sind die Grund- +bedingungen der kapitalistischen Produktion gegeben. Das Kapitalverhält- +niß setzt die Scheidung zwischen den Arbeitern und dem Eigenthum an +den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit voraus. Sobald die kapitalisti- +sche Produktion einmal auf eignen Füßen steht, erhält sie nicht nur jene 35 +Scheidung, sondern reproducirt sie auf stets wachsender Stufenleiter. Der +Proceß, der das Kapitalverhältniß schafft, kann also nichts andres sein als +der Scheidungsproceß des Arbeiters vom Eigenthum an seinen Arbeitsbe- +dingungen, ein Proceß, der einerseits die gesellschaftlichen Lebens- und +Produktionsmittel in Kapital verwandelt, andrerseits die unmittelbaren 40 +Producenten in Lohnarbeiter. Die sog. ursprüngliche Akkumulation ist + +642 + + Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +also nichts als der historische Scheidungsproceß von Producent und Pro- +duktionsmittel. Er erscheint als „ursprünglich", weil er die Vorgeschichte +des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise bildet. + +Die ökonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft ist hervorge- +5 gangen aus der ökonomischen Struktur der feudalen Gesellschaft. Die Auf- + +lösung dieser hat die Elemente jener freigesetzt. + +Der unmittelbare Producent, der Arbeiter, konnte erst dann über +| +|681| seine Person verfügen, nachdem er aufgehört hatte an die Scholle ge- +fesselt und einer andern Person leibeigen oder hörig zu sein. Um freier +10 Verkäufer von Arbeitskraft zu werden, der seine Waare überall hinträgt, wo +sie einen Markt findet, mußte er ferner der Herrschaft der Zünfte, ihren +Lehrlings- und Gesellenordnungen und hemmenden Arbeitsvorschriften +entronnen sein. Somit erscheint die geschichtliche Bewegung, die die Pro- +ducenten in Lohnarbeier verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von +15 Dienstbarkeit und Zunftzwang; und diese Seite allein existirt für unsre +bürgerlichen Geschichtsschreiber. Andrerseits aber werden die Neubefrei- +ten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel +und alle durch die alten feudalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer +Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist in +20 die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und + +Feuer. +Die + +industriellen Kapitalisten, diese neuen Potentaten, mußten +ihrerseits nicht nur die zünftigen Handwerksmeister verdrängen, sondern +auch die im Besitz der Reichthumsquellen befindlichen Feudalherren. +25 Von dieser Seite stellt sich ihr Emporkommen dar als Frucht eines siegrei- +chen Kampfes gegen die Feudalmacht und ihre empörenden Vorrechte, so- +wie gegen die Zünfte und die Fesseln, die diese der freien Entwicklung der +Produktion und der freien Ausbeutung des Menschen durch den Men- +schen angelegt. Die Ritter von der Industrie brachten es jedoch nur fertig, +30 die Ritter vom Degen zu verdrängen, dadurch daß sie Ereignisse ausbeute- +ten, an denen sie ganz unschuldig waren. Sie haben sich emporgeschwun- +gen durch Mittel, ebenso gemein wie die, wodurch der römische Freigelas- +sene sich einst zum Herrn seines patronus gemacht hat. + +Der Ausgangspunkt der Entwicklung, die sowohl den Lohnarbeiter wie +35 den Kapitalisten erzeugt, war die Knechtschaft des Arbeiters. Der Fortgang +bestand in einem Formwechsel dieser Knechtung, in der Verwandlung der +feudalen in kapitalistische Exploitation. Um ihren Gang zu verstehn, brau- +chen wir gar nicht so weit zurück zu greifen. Obgleich die ersten Anfänge +kapitalistischer Produktion uns schon im 14. und 15. Jahrhundert in eini- +40 gen Städten am Mittelmeer sporadisch entgegentreten, datirt die kapitali- +stische Aera erst vom 16. Jahrhundert. Dort wo sie auftritt, ist die Aufhe- + +643 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +bung der Leibeigenschaft längst vollbracht und der Glanzpunkt des +Mittelalters, der Bestand souverainer Städte, seit geraumer Zeit im Erblei- +chen. + +| +Historisch epochemachend in der Geschichte der ursprünglichen +|682| Akkumulation sind alle Umwälzungen, die der sich bildenden Kapi- +talistenklasse als Hebel dienen; vor Allem aber die Momente, worin große +Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Subsistenzmitteln +losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleu- +dert werden. Die Expropriation des ländlichen Producenten, des Bauern, +von Grund und Boden bildet die Grundlage des ganzen Processes. Ihre Ge- 10 +schichte nimmt in verschiedenen Ländern verschiedene Färbung an und +durchläuft die verschiedenen Phasen in verschiedener Reihenfolge und in +verschiedenen Geschichtsepochen. Nur in England, das wir daher als Bei- +spiel nehmen, besitzt sie klassische F o r m 1 8 9 ) . + +5 + +2. Expropriation des Landvolks von Grund und Boden. + +15 + +In England war die Leibeigenschaft im letzten Theil des 14. Jahrhunderts +faktisch verschwunden. Die ungeheure Mehrzahl der Bevölkerung 1 9 0) be- +stand damals und noch mehr im 15. Jahrhundert aus freien, selbstwirth- +schaftenden Bauern, durch welch feudales Aushängeschild ihr Eigenthum +immer versteckt sein mochte. Auf den größeren herrschaftlichen Gütern 20 +war der früher selbst leibeigne bailiff (Vogt) durch den freien Pächter ver- +drängt. Die Lohnarbeiter der Agrikultur bestanden theils aus Bauern, die + +1 8 9 ) In Italien, wo die kapitalistische Produktion sich am frühsten entwickelt, findet auch die +Auflösung der Leibeigenschaftsverhältnisse am frühsten statt. Der Leibeigne wird hier eman- +cipirt, bevor er irgend ein Recht der Verjährung an Grund und Boden gesichert hat. Seine 25 +Emancipation verwandelt ihn also sofort in einen vogelfreien Proletarier, der überdem in den +meist schon aus der Römerzeit überlieferten Städten die neuen Herren fertig vorfindet. Als +die Revolution des Weltmarkts seit Ende des 15. Jahrhunderts die Handelssuprematie Nord- +italiens vernichtete, entstand eine Bewegung in umgekehrter Richtung. Die Arbeiter der +Städte wurden massenweise aufs Land getrieben und gaben dort der nach Art des Gartenbaus +getriebnen, kleinen Kultur einen niegesehenen Aufschwung. +1 9°) „Die kleinen Grundeigenthümer, die ihre eignen Felder mit eigner Hand bebauten und +eines bescheidnen Wohlstands sich erfreuten, ... bildeten damals einen weit wichtigeren +Theil der Nation als jetzt ... Nicht weniger als 160 000 Grundeigenthümer, die mit ihren Fa- +milien mehr als ι/Ί der Gesammtbevölkerung ausgemacht haben müssen, lebten von der Be- 35 +wirthschaftung ihrer kleinen Freehold Hufen (Freehold ist vollfreies Eigenthum). Das Durch- +schnittseinkommen dieser kleinen Grundbesitzer wird auf 60 bis 70 Pfd. St. geschätzt. Es +wurde berechnet, daß die Zahl derer, die ihren eignen Grundbesitz bebauten, größer war als +die der Pächter auf fremdem Boden." „Macaulay, Hist, of England, 10th ed. London 1854", I, +333-34. - Noch im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts waren % der englischen Volksmasse 40 +agrikol (I.e. p.413). - Ich citire Macaulay, weil er als systematischer Geschichtsfälscher derar- +tige Thatsachen möglichst „beschneidet". + +30 + +644 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +ihre Mußezeit durch Arbeit bei großen Grundeigentümern verwerteten, | +|683| theils aus einer selbständigen, relativ und absolut wenig zahlreichen +Klasse eigentlicher Lohnarbeiter. Auch letztre waren faktisch zugleich +selbstwirthschaftende Bauern, indem sie außer ihrem Lohn Ackerland zum +5 Belauf von 4 und mehr Acres nebst Cottages angewiesen erhielten. Sie ge- +nossen zudem mit den eigentlichen Bauern die Nutznießung des Gemein- +delandes, worauf ihr Vieh weidete und das ihnen zugleich die Mittel der +Feuerung, Holz, Torf u.s.w. b o t 1 9 1 ) . In allen Ländern Europa's ist die feu- +dale Produktion durch Theilung des Bodens unter möglichst viele Unter- +10 sassen charakterisirt. Die Macht des Feudalherrn, wie die jedes Souverains, +beruhte nicht auf der Länge seiner Rentrolle, sondern auf der Zahl seiner +Unterthanen, und letztre hing von der Zahl selbstwirthschaftender Bauern +a b 1 9 2 ) . Obgleich der englische Boden daher nach der normannischen Erobe- +rung in riesenhafte Baronien vertheilt ward, wovon eine einzige oft 900 alte +15 angelsächsische Lordschaften einschloß, war er besät von kleinen Bauern- +wirthschaften, nur hier und da durchbrochen von größeren herrschaftli- +chen Gütern. Solche Verhältnisse, bei gleichzeitiger Blüthe des Städte- +wesens, wie sie das 15. Jahrhundert auszeichnet, erlaubten jenen Volks- +reichthum, den der Kanzler Fortescue so beredt in seinen „Laudibus + +20 Legum Angliae" schildert, aber sie schlössen den Kapitalreichthum aus. + +Das Vorspiel der Umwälzung, welche die Grundlage der kapitalisitschen +Produktionsweise schuf, ereignet sich im letzten Drittheil des 15. und den +ersten Decennien des 16. Jahrhunderts. Eine Masse vogelfreier Proletarier +ward auf den Arbeitsmarkt geschleudert durch die Auflösung der feudalen +25 Gefolgschaften, die, wie Sir James Steuart richtig bemerkt, „überall nutzlos +Haus und Hof füllten". Obgleich die königliche Macht, selbst ein Produkt +der bürgerlichen Entwicklung, in ihrem Streben nach absoluter Sou-| +|684|verainität die Auflösung dieser Gefolgschaften gewaltsam beschleu- +nigte, war sie keineswegs deren einzige Ursache. Vielmehr im trotzigsten +30 Gegensatz zu Königthum und Parlament, schuf der große Feudalherr ein +ungleich größeres Proletariat durch gewaltsame Verjagung der Bauerschaft +von dem Grund und Boden, worauf sie denselben feudalen Rechtstitel be- + +1 9 1 ) Man muß nie vergessen, daß selbst der Leibeigne nicht nur Eigenthümer, wenn auch tri- +butpflichtiger Eigenthümer, der zu seinem Haus gehörigen Bodenparcellen war, sondern auch +35 Miteigenthümer des Gemeindelandes. «Le paysan y (en Silésie) est serf.» Nichtsdestoweniger +besitzen diese serfs Gemeindegüter. «On n'a pas pu encore engager les Silésiens au partage +des communes, tandis que dans la nouvelle Marche, il n'y a guère de village où ce partage ne +soit exécuté avec le plus grand succès.» (Mirabeau: „De la Monarchie Prussienne. Londres +1788", t.II, p. 125, 126.) +1 9 2 ) Japan, mit seiner rein feudalen Organisation des Grundeigenthums und seiner entwickel- +ten Kleinbauernwirthschaft, liefert ein viel treueres Bild des europäischen Mittelalters als +unsre sämmtlichen, meist von bürgerlichen Vorurtheilen diktirten Geschichtsbücher. Es ist +gar zu bequem, auf Kosten des Mittelalters „liberal" zu sein. + +40 + +645 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +saß wie er selbst, und durch Usurpation ihres Gemeindelandes. Den un- +mittelbaren Anstoß dazu gab in England namentlich das Aufblühn der +flandrischen Wollmanufaktur und das entsprechende Steigen der Woll- +preise. Den alten Feudaladel hatten die großen Feudalkriege verschlungen, +der neue war ein Kind seiner Zeit, für welche Geld die Macht aller Mächte. +Verwandlung von Ackerland in Schafweide ward also sein Losungswort. +Harrison, in seiner +,,Description of England. Prefixed to Holinshed's +Chronicles", beschreibt, wie die Expropriation der kleinen Bauern das +Land ruinirt. "What care our great incroachers!" (Was fragen unsre großen +Usurpatoren danach?) Die Wohnungen der Bauern und die Cottages der +Arbeiter wurden gewaltsam niedergerissen oder dem Verfall geweiht. +„Wenn man", sagt Harrison, „die älteren Inventarien jedes Ritterguts ver- +gleichen will, so wird man finden, daß unzählige Häuser und kleine Bau- +ernwirthschaften verschwunden sind, daß das Land viel weniger Leute +nährt, daß viele Städte verfallen sind, obgleich einige neue aufblühn .... +Von Städten und Dörfern, die man für Schaftriften zerstört hat, und worin +nur noch die Herrschaftshäuser stehn, könnte ich etwas erzählen." Die Kla- +gen jener alten Chroniken sind immer übertrieben, aber sie zeichnen ge- +nau den Eindruck der Revolution in den Produktionsverhältnissen auf die +Zeitgenossen selbst. Ein Vergleich zwischen den Schriften der Kanzler +Fortescue und Thomas Morus veranschaulicht die Kluft zwischen dem 15. +und 16. Jahrhundert. Aus ihrem goldnen Zeitalter, wie Thornton richtig +sagt, stürzte die englische Arbeiterklasse ohne alle Zwischenübergänge in +das eiserne. + +Die Gesetzgebung erschrak vor dieser Umwälzung. Sie stand noch nicht +auf der Civilisationshöhe, wo ,,Wealth of the Nation", d. h. Kapitalbildung +und rücksichtslose Exploitation und Verarmung der Volksmasse als ultima +Thüle aller Staatsweisheit gelten. In seiner Geschichte Heinrich's VII. sagt +Baco: „Um diese Zeit (1489) mehrten sich die Klagen über Verwandlung +von Ackerland in Weide (zur Schaftrift u.s.w.), leicht zu versehn durch we- +nige Hirten; und Pachtungen auf Zeit, auf Lebzeit und auf jährliche Kün- +digung (wovon ein großer Theil der Yeomen lebte) wurden||685| in Doma- +nialgüter verwandelt. Dies brachte einen Verfall des Volks hervor und, in +Folge dessen einen Verfall von Städten, Kirchen, Zehnten . . . I n der Kur +dieses Mißstandes war die Weisheit des Königs und des Parlaments zu die- +ser Zeit bewundernswerth ... Sie ergriffen Maßregeln wider diese entvöl- +kernde Usurpation der Gemeindeländereien (depopulating inclosures) und +die ihr auf dem Fuß folgende entvölkernde Weidewirthschaft (depopula- +ting pasture)." Ein Akt Heinrich des Siebenten, 1488, c. 19, verbot die Zer- +störung aller Bauernhäuser, zu denen wenigstens 20 Acres Land gehörten. +In einem Akt 25, Heinrich VIII., wird dasselbe Gesetz erneuert. Es heißt + +646 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +u. a., daß „viele Pachtungen und große Viehheerden, besonders Schafe, +sich in wenigen Händen aufhäufen, wodurch die Grundrenten sehr ge- +wachsen und der Ackerbau (tillage) sehr verfallen, Kirchen und Häuser +niedergerissen, wunderbare Volksmassen verunfähigt seien, sich selbst und +5 Familien zu erhalten." Das Gesetz verordnet daher den Wiederbau der ver- +f a l l e n Hofstätten, bestimmt das Verhältniß zwischen Kornland und Wei- +deland u. s. w. Ein Akt von 1533 klagt, daß manche Eigenthümer +24 000 Schafe besitzen, und beschränkt deren Zahl auf 2 0 0 0 1 9 3 ) . Die Volks- +klage und die seit Heinrich dem VII. an 150 Jahre fortdauernde Gesetzge- +10 bung wider die Expropriation der kleinen Pächter und Bauern waren gleich +fruchtlos. Das Geheimniß ihrer Erfolglosigkeit verräth uns Baco wider Wis- +sen. „Der Akt Heinrich's des Siebenten", sagt er in seinen „Essays, civil +and moral" Sect. 20, „war tief und bewunderungswürdig, indem er Land- +wirtschaften und Ackerbauhäuser von bestimmtem Normalmaß schuf, +15 d.h. eine Proportion von Land für sie erhielt, die sie befähigte, Untertha- +nen von genügendem Reichthum und ohne servile Lage auf die Welt zu +setzen und den Pflug in der Hand von Eigenthümern, nicht von Miethlin- +gen zu halten" (,,to keep the plough in the hand of the owners and not hire- +lings") 1 9 3 a ) . Was ||686| das kapitalistische System erheischte, war umge- +20 kehrt servile Lage der Volksmasse, ihre eigne Verwandlung in Miethlinge, +und Verwandlung ihrer Arbeitsmittel in Kapital. Während dieser Ueber- +gangsperiode suchte die Gesetzgebung auch die 4 Acres Land bei der Cot- +tage des ländlichen Lohnarbeiters zu erhalten, und verbot ihm die Auf- +nahme von Miethsleuten in seine Cottage. Noch 1627, unter KarlL, wurde +25 Roger Crocker von Fontmill verurtheilt wegen Bau's einer Cottage im Man- +or von Fontmill ohne 4 Acres Land als beständiges Annex an dieselbe; + +1 9 3 ) In seiner ,,Utopia" spricht Thomas Morus von dem sonderbaren Land, wo „Schafe die +Menschen auffressen". Utopia, transi. Robinson, ed. Arber, London 1869, p.41. +1 9 3 a) Baco setzt den Zusammenhang zwischen einer freien wohlhabenden Bauerschaft und +30 guter Infanterie auseinander. „Es war dies wundervoll wichtig für die Macht und Haltung des +Königreichs, Pachtung zu haben von genügendem Maß, um tüchtige Männer außer Noth zu +halten, und einen großen Theil des Bodens des Königreichs festzubinden im Besitz der +Yeomanry oder von Leuten mittlerer Lage zwischen Edelleuten und Häuslern (cottagers) und +Bauernknechten ... Denn es ist die allgemeine Meinung der kompetentesten Kriegskenner ... +35 daß die Hauptstärke einer Armee in der Infanterie oder dem Fußvolk besteht. Aber um eine +gute Infanterie zu bilden, braucht man Leute, die nicht in serviler oder dürftiger Weise, son-^ +dem frei und in einer gewissen Wohlhabenheit aufgewachsen sind. Wenn ein Staat daher all- +zumeist in Edelleute und feine Herren ausschlägt, während Landleute und Pflüger deren +bloßes Arbeitsvolk oder Ackerknechte sind, oder auch Häusler, d. h. behauste Bettler, mögt +ihr eine gute Reiterei haben, aber niemals gutes standhaftes Fußvolk ... Man sieht dies in +Frankreich und Italien und einigen andren auswärtigen Gegenden, wo in der That alles Adel +oder elende Bauerschaft .... so sehr, daß sie gezwungen sind Lohnbanden von Schweizern +u. dgl. für ihre Infanteriebataillone anzuwenden: woher es auch kommt, daß diese Nationen +viel Volk und wenig Soldaten haben." („The Reign of Henry VII etc. Verbatim Reprint from + +40 + +45 Kennet's England, ed. 1719, Lond. 1870", p. 308.) + +647 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +noch 1638, unter Karl L, wurde eine königliche Kommission ernannt, um +die Durchführung der alten Gesetze, namentlich auch über die 4 Acres +Land, zu erzwingen; noch Cromwell verbot Erbauung eines Hauses in +10 Meilen weitem Umkreis von London ohne Ausstattung desselben mit +4 Acres Land. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird geklagt, +wenn die Cottage des Landarbeiters kein Zubehör von 1 bis 2 Acres hat. +Heutzutag ist er glücklich, wenn sie mit einem Gärtchen ausgestattet ist, +oder wenn er weitab von ihr ein Paar Ruthen Land miethen kann. „Grund- +herren und Pächter", sagt Dr. Hunter, „handeln hier Hand in Hand. We- +nige Acres zur Cottage würden den Arbeiter zu unabhängig m a c h e n " 1 9 4 ) . + +5 + +10 + +Einen neuen furchtbaren Anstoß erhielt der gewaltsame Expropriations- +proceß der Volksmasse im 16. Jahrhundert durch die Reformation und, in +ihrem Gefolge, den kolossalen Diebstahl der Kirchengüter. Die katholische +Kirche war zur Zeit der Reformation Feudaleigenthümerin eines großen +Theils des englischen Grund und Bodens. Die Unterdrückung der Klöster 15 +u. s. w. schleuderte deren Einwohner ins Proletariat. Die Kirchengüter +selbst wurden ||687| großentheils an raubsüchtige königliche Günstlinge +verschenkt oder zu einem Spottpreis an spekulirende Pächter und Stadt- +bürger verkauft, welche die alten erblichen Untersassen massenhaft verjag- +ten und ihre Wirthschaften zusammenwarfen. Das gesetzlich garantirte Ei- 20 +genthum verarmter Landleute an einem Theil der Kirchenzehnten ward +stillschweigend konfiscirt 1 9 5). „Pauper ubique jacet", rief Königin Elisabeth +nach einer Rundreise durch England. Im 43. Jahre ihrer Regierung war +man endlich gezwungen, den Pauperismus officiell anzuerkennen durch +Einführung der Armensteuer. „Die Urheber dieses Gesetzes schämten sich, +seine Gründe auszusprechen, und schickten es daher, wider alles Herkom- +men, ohne irgend ein preamble (Eingangsmotivirung) in die W e l t " 1 9 6 ) . +Durch 16. Car. L, 4 wurde es perpetuell erklärt und erhielt in der That erst +1834 eine neue härtere F o r m 1 9 7 ) . Diese unmittelbaren Wir||688|kungen der + +25 + +1 9 4 ) Dr. Hunter 1. c. p. 134. - "The quantity of land assigned (in den alten Gesetzen) would 30 +now be judged too great for labourers, and rather äs likely to convert them into small farmers." +(George Roberts: ,,The Social History of the People of the Southern Counties of England in +past centuries. Lond. 1856", p. 184.) +1 9 5 ) "The right of the poor to share in the tithe, is established by the tenour of ancient stat- +utes." (Tuckett 1. c. v. II, p. 804, 805.) +1 9 6 ) William Cobbett: A History of the Protestant Reformation, §. 471. +1 9 7 ) Den protestantischen „Geist" ersieht man u.a. aus folgendem. Im Süden Englands steck- +ten verschiedne Grundeigenthümer und wohlhabende Pächter die Köpfe zusammen und setz- +ten über die richtige Interpretation des Armengesetzes der Elisabeth 10 Fragen auf, welche sie +einem berühmten Juristen jener Zeit, Sergeant Snigge (später Richter unter Jakob I.), zum 40 +Gutachten vorlegten. „Neunte Frage: Einige der reichen Pächter der Pfarrei haben einen klu- +gen Plan ausgeheckt, wodurch alle Wirre in Ausübung des Akts beseitigt werden kann. Sie +schlagen den Bau eines Gefängnisses in der Pfarrei vor. Jedem Armen, der sich nicht in vor- +besagtes Gefängniß einsperren lassen will, soll die Unterstützung versagt werden. Es soll dann + +35 + +x + +648 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Reformation waren nicht ihre nachhaltigsten. Das Kircheneigenthum bil- + +dete das religiöse Bollwerk der altherthümlichen Grundeigenthumsverhält- + +nisse. Mit seinem Fall waren sie nicht länger haltbar 1 9 8). + +Noch in den letzten Decennien des 17. Jahrhunderts war die Yeomanry, + +5 eine unabhängige Bauerschaft, zahlreicher als die Klasse der Pächter. Sie + +hatte die Hauptstärke Cromwell's gebildet und stand, selbst nach Macau- + +lay's Geständniß, in vortheilhaftem Gegensatz zu den versoffnen Mistjun- + +kern und ihren Bedienten, den Landpfaffen, welche die herrschaftliche + +„Lieblingsmagd" unter die Haube bringen mußten. Noch waren selbst die + +10 + +ländlichen Lohnarbeiter Mitbesitzer am Gemeindeeigenthum. 1750 unge- + +fähr war die Yeomanry verschwunden 1 9 9), und in den letzten Decennien + +des 18. Jahrhunderts die letzte Spur von Gemeindeeigenthum der Acker- + +der Nachbarschaft Anzeige gemacht werden, daß wenn irgend eine Person geneigt, die Armen +dieser Pfarrei zu pachten, sie versiegelte Vorschläge eingeben soll, an einem bestimmten Tag, +15 zum niedrigsten Preis, wozu sie selbe uns abnehmen will. Die Urheber dieses Plans unterstel- +len, daß es in den Nachbargrafschaften Personen giebt, die unwillig sind zu arbeiten, und +ohne Vermögen oder Kredit, um eine Pacht oder ein Schiff zu erwerben, so daß sie ohne Ar- +beit leben könnten („so as to live without labour"). Solche dürften geneigt sein, der Pfarrei +sehr vortheilhafte Vorschläge zu machen. Sollten hier und da Arme unter des Kontraktors Ob- +20 hut kaput gehn, so wird die Sünde an seiner Thür liegen, da die Pfarrei ihre Pflichten gegen +selbige Arme erfüllt hätte. Wir fürchten jedoch, daß der gegenwärtige Akt keine Klugheits- +maßregel (,,prudential measure") dieser Art erlaubt; aber Sie müssen wissen, daß der Rest +der freeholders dieser Grafschaft und der anliegenden sich uns anschließen wird, um ihre Un- +terhausmitglieder zur Vorlage eines Gesetzes anzutreiben, welches Einsperrung und Zwangs- +25 arbeit der Armen gestattet, so daß jede Person, welche sich der Einsperrung widersetzt, zu kei- +ner Unterstützung berechtigt sein soll. Dies, so hoffen wir, wird Personen im Elend abhalten, +Unterstützung zu beanspruchen („will prevent persons in distress from wanting relief ) . " +(R. Blakey: „The History of Political Literature from the earliest times. Lond. 1855", v. II, +p. 84, 85.) - In Schottland fand die Abschaffung der Leibeigenschaft Jahrhunderte später statt +30 als in England. Noch 1698 erklärte Fletcher von Saltoun im schottischen Parlament: „Die +Zahl der Bettler ist in Schottland auf nicht weniger als 200 000 geschätzt. Das einzige Hülfs- +mittel, welches ich, ein Republikaner von Princip, vorschlagen kann, ist, den alten Zustand +der Leibeigenschaft zu restauriren und aus allen denen Sklaven zu machen, die unfähig sind, +für ihre eigne Subsistenz zu sorgen." So Eden I.e. b.I, ch.I p.60, 61: „Von der Freiheit der Ak- +35 kerbauer datirt der Pauperismus ... Manufakturen und Handel sind die wahren Aeltern unsrer +nationalen Armen." Eden, wie jener schottische Republikaner von Princip, irrt nur darin, daß +nicht die Aufhebung der Leibeigenschaft, sondern die Aufhebung des Eigenthums des Acker- +bauers an Grund und Boden ihn zum Proletarier, resp. Pauper machte. - Englands Armenge- +setzen entspricht in Frankreich, wo sich die Expropriation in andrer Weise vollzog, die Or- + +40 donnanz von Moulins, 1566, und das Edikt von 1656. + +1 9 8 ) Herr Rogers, obgleich damals Professor der politischen Oekonomie an der Universität zu +Oxford, dem Stammsitz protestantischer Orthodoxie, betont in seiner Vorrede zur ,,History of +Agriculture" die Pauperisirung der Volksmasse durch die Reformation. +1 9 9 ) „A Letter to Sir T.C.Bunbury, Brt.: On the High Price of Provisions. By a Suffolk Gentle- +45 man. Ipswich 1795", p. 4. Selbst der fanatische Vertheidiger des großen Pachtwesens, der Ver- +fasser der ,,Inquiry into the Connection of large farms etc. Lond. 1773", p. 139, sagt: "I most +lament the loss of our yeomanry, that set of men, who really kept up the independence of this +nation; and sorry I am to see their lands now in the hands of monopolizing lords, tenanted out +to small farmers, who hold their leases on such conditions as to be little better than vassals +ready to attend a summons on every mischievous occasion." + +50 + +649 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +bauer. Wir sehn hier ab von den rein ökonomischen Triebfedern der Agri- +kulturrevolution. Wir fragen nach ihren gewaltsamen Hebeln. + +Unter der Restauration der Stuarts setzten die Grundeigenthümer eine +Usurpation gesetzlich durch, die sich überall auf dem Kontinent auch +ohne gesetzliche Weitläufigkeit vollzog. Sie hoben die Feudalverfassung +des Bodens auf, d. h. sie schüttelten seine Leistungspflichten an den Staat +ab, „entschädigten" den Staat durch Steuern auf die Bauerschaft und +übrige Volksmasse, vindi||689|cirten modernes Privateigenthum an Gütern, +worauf sie nur Feudaltitel besaßen, und oktroyirten schließlich jene Nie- +derlassungsgesetze (laws of settlement), die, mutatis mutandis, auf die eng- 10 +lischen Ackerbauer wirkten, wie des Tataren Boris Godunof Edikt auf die +russische Bauerschaft. + +5 + +Die ,,glorious Revolution" (glorreiche Revolution) brachte mit dem Ora- +nier Wilhelm I I I . 2 0 0 ) die grundherrlichen und kapitalistischen Plusmacher +zur Herrschaft. Sie weihten die neue Aera ein, indem sie den bisher nur +bescheiden betriebenen Diebstahl an den Staatsdomänen auf kolossaler +Stufenleiter ausübten. Diese Ländereien wurden verschenkt, zu Spottprei- +sen verkauft, oder auch durch direkte Usurpation an Privatgüter anne- +x i r t 2 0 1 ) . Alles das geschah ohne die geringste Beobachtung gesetzlicher Eti- +quette. Das so fraudulent angeeignete Staatsgut sammt dem Kirchenraub, +so weit er während der republikanischen Revolution nicht abhanden ge- +kommen, bildet die Grundlage der heutigen fürstlichen Domänen der eng- +lischen Oligarchie 2 0 2). Die bürgerlichen Kapitalisten begünstigten die Ope- +ration, u. a. um den Grund und Boden in einen reinen Handelsartikel zu +verwandeln, das Gebiet des agrikolen Großbetriebs auszudehnen, ihre Zu- +fuhr vogelfreier Proletarier vom Lande zu vermehren u.s.w. Zudem war die +neue Grundaristokratie die natürliche Bundesgenossin der neuen Banko- +kratie, der eben aus dem Ei gekrochnen hohen Finanz und der damals auf +Schutzzölle sich stützenden großen Manufakturisten. Die englische Bour- + +15 + +20 + +25 + +2 0 0 ) Ueber die Privatmoral dieses bürgerlichen ,Helden u. a.: „The large grant of lands in Ire- 30 +land to Lady Orkney, in 1695, is a public instance of the king's affection, and the lady's influ- +ence ... Lady Orkney's endearing offices, are supposed to have been - foeda labiorum mini- +steria." (In der Sloane Manuscript Collection, auf dem britischen Museum, Nr. 4224. Das +Manuskript ist betitelt: „The character and behaviour of King William, Sunderland etc. as re- +presented in Original Letters to the Duke of Shrewsbury from Somers, Halifax, Oxford, Secre- 35 +tary Vernon etc." Es ist voller Kuriosa.) +2 0 1 ) „Die illegale Veräußerung der Krongüter, theils durch Verkauf und theils durch Schen- +kung, bildet ein skandalöses Kapitel in der englischen Geschichte ... eine gigantische Prelle- +rei der Nation (gigantic fraud on the nation)." (F. W. Newman: ,,Lectures on Political Econ. +Lond. 1851", p. 129, 130.) - (Wie die heutigen englischen Großgrundbesitzer zu ihrem Besitz 40 +kamen, im Einzelnen nachzusehn in „Our old Nobility. By Noblesse Oblige. London 1879". - +D.H.) +2 0 2 ) Man lese z. B. E. Burke's Pamphlet über das herzogliche Haus von Bedford, dessen +Sprosse Lord John Russell, „the tomtit of liberalism". + +650 + + Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +geoisie handelte für ihr Interesse ganz so richtig wie die schwedischen +Stadtbürger, die umgekehrt, Hand in Hand mit ihrem ökonomischen Boll- +werk, der Bauerschaft, die ||690| Könige in der gewaltsamen Resumption +der Kronländereien von der Oligarchie (seit 1604, später unter KarlX. und + +5 Karl X L ) unterstützten. + +15 + +10 + +Das Gemeindeeigenthum - durchaus verschieden von dem eben be- +trachteten Staatseigenthum - war eine altgermanische Einrichtung, die +unter der Decke der Feudalität fortlebte. Man hat gesehn, wie die gewaltsa- +me Usurpation desselben, meist begleitet von Verwandlung des Ackerlands +in Viehweide, Ende des 15. Jahrhunderts beginnt und im 16. Jahrhundert +fortdauert. Aber damals vollzog sich der Proceß als individuelle Gewalt- +t a t , wogegen die Gesetzgebung 150 Jahre lang vergeblich ankämpft. Der +Fortschritt des 18. Jahrhunderts offenbart sich darin, daß das Gesetz selbst +jetzt zum Vehikel des Raubs am Volksland wird, obgleich die großen Päch- +ter nebenbei auch ihre kleinen unabhängigen Privatmethoden anwen- +den 2 0 3). Die parlamentarische Form des Raubs ist die der „Bills for Inclo- +sures of Commons" (Gesetze für Einhegung des Gemeindelandes), in andren +Worten Dekrete, wodurch die Grundherrn Volksland sich selbst als Privat- +eigenthum schenken, Dekrete der Volksexpropriation. Sir F. M. Eden wi- +20 derlegt sein pfiffiges Advokatenplaidoyer, worin er das Gemeindeeigen- +thum als Privateigenthum der an die Stelle der Feudalen getretenen großen +Grundeigenthümer darzustellen sucht, indem er selbst einen „allgemeinen +Parlamentsakt für Einhegung der Gemeindeländereien" verlangt, also zu- +giebt, daß ein parlamentarischer Staatsstreich zu ihrer Verwandlung in Pri- +25 vateigenthum nöthig ist, andrerseits aber von der Legislatur „Schadener- + +satz" für die expropriirten Armen fordert 2 0 4). + +Während an die Stelle der unabhängigen Yeomen tenants-atwill traten, +kleinere Pächter auf einjährige Kündigung, eine servile und von der Will- +kühr der Landlords abhängige Rotte, half, neben dem Raub der Staatsdo- +30 mänen, namentlich der systematisch betriebne Diebstahl des Gemeindeei- +genthums jene großen Pachten anschwellen, die man im 18. Jahrhundert +Kapital-Pachten 2 0 5) oder ||691| Kaufmanns-Pachten 2 0 6) nannte, und das +Landvolk als Proletariat für die Industrie „freisetzen". + +35 + +40 + +2 0 3 ) „Die Pächter verbieten den cottagers (Häuslern) irgend eine lebendige Kreatur außer sich +selbst zu erhalten, unter dem Vorwand, daß wenn sie Vieh oder Geflügel hielten, sie von den +Scheunen Futter stehlen würden. Sie sagen auch, haltet die Cottagers arm, und ihr haltet sie +fleißig. Die wirkliche Thatsache aber ist, daß die Pächter so das ganze Recht an den Gemein- +deländereien usurpiren." („A Political Enquiry into the Consequences of enclosing Waste +Lands. Lond. 1785", p. 75.) +2 0 4 ) Eden 1. c. Preface. +2 0 5 ) „Capital farms". (,,Two Letters on the Flour Trade and the Dearness of Corn. By a Person +in Business. Lond. 1767", p. 19, 20.) +2 0 6 ) ,,Merchant-farms". „An Inquiry into the Present High Prices of Provisions. Lond. 1767", + +651 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Das 18. Jahrhundert begriff jedoch noch nicht in demselben Maß wie das +19. die Identität zwischen Nationalreichthum und Volksarmuth. Daher +heftigste Polemik in der ökonomischen Literatur jener Zeit über die „inclo- +sure of commons". Ich gebe aus dem massenhaften Material, das mir vor- +liegt, einige wenige Stellen, weil dadurch lebhaft die Zustände veranschau- +licht werden. + +5 + +15 + +„In vielen Pfarreien von Hertfordshire", schreibt eine entrüstete Feder, +„sind 24 im Durchschnitt 5 0 - 1 5 0 Acres zählende Pachten in 3 Pachten zu- +sammengeschmolzen" 2 0 7 ) . „In Northamptonshire und Leicestershire hat +die Einhegung der Gemeindeländereien sehr vorgeherrscht und die mei- 10 +sten aus den Einhegungen entsprungnen neuen Lordschaften sind in +Weide verwandelt; in Folge davon haben viele Lordschaften jetzt nicht +50 Acres unter dem Pflug, wo früher 1500 gepflügt wurden ... Ruinen frü- +herer Wohnhäuser, Scheunen, Ställe u.s.w." sind die einzigen Spuren der +früheren Einwohner. „Hundert Häuser und Familien sind an manchen +Plätzen zusammengeschrumpft .... auf 8 oder 10 +Der Grundeigenthü- +mer in den meisten Pfarreien, wo die Einhegung erst seit 15 oder 20 Jahren +vorging, sind sehr wenige in Vergleich zu den Zahlen, von denen das Land +im offnen Feldzustand bebaut wurde. Es ist nichts Ungewöhnliches, 4 oder +5 reiche Viehmäster große, jüngst eingehegte Lordschaften usurpiren zu 20 +sehn, die sich früher in der Hand von 2 0 - 3 0 Pächtern und von ebenso vie- +len kleineren Eigenthümern und Insassen befanden. Alle diese sind mit +ihren Familien aus ihrem Besitzthum herausgeworfen, nebst vielen andren +Familien, die durch sie beschäftigt und erhalten wurden" 2 0 8). Es war nicht +nur brachliegendes, sondern oft, unter bestimmter Zahlung an die Ge- 25 +meinde, oder gemeinschaftlich bebautes Land, das unter dem Vorwand der +Einhegung vom angrenzenden Landlord annexirt wurde. „Ich spreche hier +vom Einschluß offner Felder und Ländereien, die bereits bebaut sind. +Selbst die Schriftsteller, welche die Inclosures vertheidigen, geben zu, daß +letztre das Monopol großer Pachtungen ||692| vermehren, die Preise der Le- 30 +bensmittel erhöhen und Entvölkerung produciren ... und selbst die Einhe- +gung wüster Ländereien, wie jetzt betrieben, raubt dem Armen einen Theil +seiner Subsistenzmittel und schwellt Pachtungen auf, die bereits zu groß +s i n d " 2 0 9 ) . „Wenn", sagt Dr. Price, „das Land in die Hände einiger weniger +p. 111, Note. Diese gute Schrift, die anonym erschien, verfaßt von dem Rev. Nathaniel For- 35 +ster. +2 0 7 ) Thomas Wright: „A short address to the Public on the Monopoly of small farms. 1795", +p.2 5 3. +2 0 8 ) Rev. Addington: ,,Enquiry into the Reasons for or against enclosing open fields. Lond. +1772", p. 37-43 passim. +2 0 9 ) Dr. R.Price I.e. v.II, p. 155, 156. Man lese Forster, Addington, Kent, Price and James An- +derson, und vergleiche das elende Sykophantengeschwätz MacCulloch's in seinem Katalog: +The Literature of Political Economy. Lond. 1845. + +40 + +652 + + Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +10 + +großen Pächter geräth, werden die kleinen Pächter (früher von ihm be- +zeichnet als „eine Menge kleiner Eigenthümer und Pächter, die sich selbst +und Familien erhalten durch das Produkt des von ihnen bestellten Landes, +durch Schafe, Geflügel, Schweine u. s. w., die sie auf das Gemeindeland +5 schicken, so daß sie wenig Anlaß zum Kauf von Subsistenzmitteln haben") +verwandelt in Leute, die ihre Subsistenz durch Arbeit für Andre gewinnen +müssen und gezwungen sind, für alles, was sie brauchen, zu Markt zu gehn +.... Es wird vielleicht mehr Arbeit verrichtet, weil mehr Zwang dazu +herrscht... Städte und Manufakturen werden wachsen, weil mehr Leute zu +ihnen verjagt werden, welche Beschäftigung suchen. Dies ist der Weg, wo- +rin die Koncentration der Pachtungen naturgemäß wirkt, und worin sie, +seit vielen Jahren, in diesem Königreich thatsächlich gewirkt h a t " 2 1 0 ) . Er +faßt die Gesammtwirkung der inclosures so zusammen: „Im Ganzen hat +sich die Lage der niederen Volksklassen fast in jeder Hinsicht verschlech- +tert, die kleineren Grundbesitzer und Pächter sind herabgedrückt auf den +Stand von Taglöhnern und Miethlingen; und zur selben Zeit ist der Le- +bensgewinn in diesem Zustand schwieriger geworden" 2 1 1). In der That +wirkten Usurpation des Gemeindelands ||693| und die sie begleitende R e - +volution der Agrikultur so akut auf die Ackerbauarbeiter, daß, nach Eden +20 selbst, zwischen 1765 und 1780 ihr Lohn anfing unter das Minimum zu fal- +len und durch officielle Armenunterstützung ergänzt zu werden. Ihr Ar- +beitslohn, sagt er, „genügte nur noch eben für die absoluten Lebensbedürf- +nisse". + +15 + +Hören wir noch einen Augenblick einen Vertheidiger der enclosures und +25 Gegner des Dr. Price. „Es ist kein richtiger Schluß, daß Entvölkerung vor- +handen, weil man Leute nicht länger ihre Arbeit im offnen Feld ver- +schwenden sieht. ... Wenn nach Verwandlung kleiner Bauern in Leute, die +2 1 0 ) I.e. p. 147, 148. +2 n ) I.e. p. 159, 160. Man erinnert sich an das alte Rom. „Die Reichen hatten sich des größten +Theils der ungetheilten Ländereien bemächtigt. Sie vertrauten den Zeitumständen, daß sie +ihnen nicht mehr abgenommen würden, und kauften daher die in ihrer Nähe gelegenen +Stücke der Armen, zum Theil mit deren Willen, zum Theil nahmen sie sie ihnen mit Gewalt, +so daß sie nur mehr weit ausgedehnte Domänen statt einzelner Felder bebauten. Sie ge- +brauchten dabei Sklaven zum Landbau und zur Viehzucht, weil ihnen freie Leute weg von +der Arbeit zum Kriegsdienst genommen worden wären. Der Besitz von Sklaven brachte ihnen +auch insofern großen Gewinn, als sich diese wegen ihrer Befreiung vom Kriegsdienst unge- +fährdet vermehren konnten und eine Menge Kinder bekamen. So zogen die Mächtigen durch- +aus allen Reichthum an sich und die ganze Gegend wimmelte von Sklaven. Der Italer dage- +gen wurden immer weniger, aufgerieben wie sie waren durch Armuth, Abgaben und +Kriegsdienst. Traten aber auch Zeiten des Friedens ein, so waren sie zu vollkommner Unthä- +tigkeit verdammt, weil die Reichen im Besitze des Bodens waren, und statt freier Leute Skla- +ven zum Ackerbau brauchten." (Appian: Römische Bürgerkriege I, 7.) Diese Stelle bezieht +sich auf die Zeit vor dem licinischen Gesetze. Der Kriegsdienst, der den Ruin der römischen +Plebejer so sehr beschleunigte, war auch ein Hauptmittel, wodurch Karl der Große die Ver- +wandlung freier deutscher Bauern in Hörige und Leibeigne treibhausmäßig förderte. + +35 + +40 + +653 + +i + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +für andre arbeiten müssen, mehr Arbeit flüssig gemacht wird, so ist das ja +ein Vortheil, den die Nation (wozu die Verwandelten natürlich nicht gehö- +ren) wünschen muß ... Das Produkt wird größer sein, wenn ihre kombinirte +Arbeit auf einer Pachtung angewandt wird: so wird Surplusprodukt für die +Manufakturen gebildet, und dadurch werden Manufakturen, eine der +Goldgruben dieser Nation, im Verhältniß zum producirten Kornquantum +vermehrt" 2 1 2). + +5 + +10 + +Die stoische Seelenruhe, womit der politische Oekonom frechste Schän- +dung des „heiligen Rechts des Eigenthums" und gröbste Gewaltthat wider +Personen betrachtet, sobald sie erheischt sind, um die Grundlage der kapi- +talistischen Produktionsweise herzustellen, zeigt uns u. a. der überdem +noch torystisch gefärbte und „philanthropische" Sir F . M . Eden. Die ganze +Reihe von Raubthaten, Greueln und Volksdrangsalen, welche die gewaltsa- +me Volksexpropriation vom letzten Drittel des 15. bis zum Ende des +18. Jahrhunderts begleiten treibt ihn nur zur „komfortablen" Schlußrefle- 15 +xion: „Die richtige (due) Proportion zwischen Acker- und Viehland mußte +hergestellt werden. Noch im ganzen 14. und größten Theil des 15. Jahrhun- +derts kam 1 Acre Viehweide auf 2, 3 und selbst 4 Acres Ackerland. In +Mitte des 16. Jahrhun||694|derts verwandelte sich die Proportion in 3 Acres +Viehland auf 2, später von 2 Acres Viehweide auf 1 Acre Ackerland, bis 20 +endlich die richtige Proportion von 3 Acres Viehland auf 1 Acre Ackerland +herauskam." + +Im 19. Jahrhundert verlor sich natürlich selbst die Erinnerung des Zu- +sammenhangs zwischen Ackerbauer und Gemeindeeigenthum. Von späte- +rer Zeit gar nicht zu reden, welchen Farthing Ersatz erhielt das Landvolk 25 +jemals für die 3 5 1 1 7 7 0 Acres Gemeindeland, die ihm zwischen 1801 und +1831 geraubt und parlamentarisch den Landlords von den Landlords ge- +schenkt wurden? + +Der letzte große Expropriationsproceß der Ackerbauer von Grund und +Boden endlich ist das sog. Clearing of Estates (Lichten der Güter, in der 30 +That Wegfegung der Menschen von denselben). Alle bisher betrachteten +englischen Methoden kulminirten im „Lichten". Wie man bei der Schilde- +rung des modernen Zustands im vorigen Abschnitt sah, geht es jetzt, wo +keine unabhängigen Bauern mehr wegzufegen sind, bis zum „Lichten" der +Cottages fort, so daß die Ackerbauarbeiter auf dem von ihnen bestellten 35 +Boden selbst nicht mehr den nöthigen Raum zur eignen Behausung fin- + +2 1 2 ) „An Inquiry into the Connection between the present Price of Provisions etc.", p. 124, +125, 128, 129. Aehnlich, aber mit entgegengesetzter Tendenz: "Working men are driven from +their cottages, and forced into the towns to seek for employment; - but then a larger surplus is +obtained, and thus Capital is augmented." (,,The Perils of the Nation. 2nd. ed. Lond. 1843", 40 +p. XIV.) + +654 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +den. Was aber „Clearing of estates" im eigentlichen Sinne bedeutet, das +lernen wir nur kennen im gelobten Lande der modernen Romanliteratur, +in Hochschottland. Dort zeichnet sich der Vorgang aus durch seinen syste- +matischen Charakter, durch die Größe der Stufenleiter, worauf er mit +5 einem Schlag vollzogen wird (in Irland haben Grundherrn es dahin ge- +braucht, mehrere Dörfer gleichzeitig wegzufegen; in Hochschottland han- +delt es sich um Bodenflächen von der Größe deutscher Herzogthümer) - +und endlich durch die besondre Form des unterschlagenen Grundeigen- +thums. + +10 + +Die Celten Hochschottlands bestanden aus Clans, deren Jeder Eigenthü- +mer des von ihm besiedelten Bodens war. Der Repräsentant des Clans, sein +Chef oder „großer Mann", war nur Titulareigenthümer dieses Bodens, ganz +wie die Königin von England Titulareigenthümerin des nationalen Ge- +sammtbodens ist. Als der englischen Regierung gelungen war, die inneren +15 Kriege dieser „großen Männer" und ihre fortwährenden Einfälle in die nie- +derschottischen Ebenen zu unterdrücken, gaben die Clanchefs ihr altes +Räuberhandwerk keineswegs auf; sie änderten nur die Form. Aus eigner +Autorität verwandelten sie ihr Titular-Eigenthumsrecht in Privateigen- +thumsrecht, und da sie bei den Clanleuten auf Widerstand stießen, be- +20 schlössen sie diese mit offner Gewalt zu ||695| vertreiben. „Ein König von +England könnte mit demselben Recht sich anmaßen, seine Unterthanen in +die See zu jagen", sagt Professor Newman 2 1 3). Diese Revolution, welche in +Schottland nach der letzten Schilderhebung des Prätendenten begann, +kann man in ihren ersten Phasen verfolgen bei Sir James Steuart 2 1 4) und +25 James Anderson 2 1 5). Im 18. Jahrhundert wurde zugleich den vom Land ver- +jagten Gaelen die Auswanderung verboten, um sie gewaltsam nach Glas- +gow und andren Fabrikstädten zu treiben 2 1 6). Als Beispiel der im 19. Jahr- +hundert herrschenden Methode 2 1 7) genügen hier die „Lichtungen" der + +2 1 3 ) "A king of England might as well claim to drive his subjects into the sea." (F.W.Newman + +30 L c p. 132.) + +2 1 4 ) Steuart sagt: „Die Rente dieser Länder (er überträgt irrthümlich diese ökonomische Kate- +gorie auf den Tribut der taksmen an den Clanchef) ist durchaus unbedeutend im Vergleich zu +ihrem Umfang, aber, was die Personenzahl betrifft, welche eine Pacht erhält, wird man viel- +leicht finden, daß ein Stück Boden in den Hochlanden von Schottland zehnmal mehr Leute +35 ernährt, als Land von demselben Werth in den reichsten Provinzen." (1. c. v.I, ch.XVI, p. 104.) +2 1 5 ) James Anderson: ,,Observations on the means of exciting a spirit of National Industry etc. +Edinburgh 1777". +2 1 6 ) 1860 wurden gewaltsam Expropriirte nach Kanada exportirt unter falschen Versprechun- +gen. Einige flohen in die Berge und benachbarten Eilande. Sie wurden von Policisten verfolgt, +kamen zum Handgemenge mit ihnen und entkamen. +2 1 7 ) „In den Hochlanden", sagt Buchanan, der Kommentator A. Smith's, 1814, „wird der alte +Eigenthumszustand täglich gewaltsam umgewälzt ... Der Landlord, ohne Rücksicht auf die +Erbpächter (auch dies ist hier irrig angewandte Kategorie), bietet das Land dem höchsten Bie- +ter an, und wenn dieser ein Verbesserer (improver) ist, führt er unmittelbar ein neues Kultur- + +40 + +655 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Herzogin von Sutherland. Diese ökonomisch geschulte Person beschloß +gleich bei ihrem Regierungsantritt eine ökonomische Radikalkur vorzu- +nehmen und die ganze Grafschaft, deren Einwohnerschaft durch frühere, +ähnliche Processe bereits auf 15 000 zusammengeschmolzen war, ||696| in +Schaftrift zu verwandeln. Von 1811 bis 1820 wurden diese 15 000 Einwoh- +ner, ungefähr 3000 Familien, systematisch verjagt und ausgerottet. Alle +ihre Dörfer wurden zerstört und niedergebrannt, alle ihre Felder in Weide +verwandelt. Britische Soldaten wurden zur Exekution kommandirt und ka- +men zu Schlägen mit den Eingebornen. Eine alte Frau verbrannte in den +Flammen der Hütte, die sie zu verlassen sich weigerte. So eignete sich 10 +diese Madame 794 000 Acres Land an, das seit undenklichen Zeiten dem +Clan gehörte. Den vertriebnen Eingebornen wies sie am Seegestad unge- +fähr 6000 Acres zu, 2 Acres per Familie. Die 6000 Acres hatten bisher wüst +gelegen und den Eigenthümern kein Einkommen abgeworfen. Die Herzo- +gin ging in ihrem Nobelgefühl so weit, den Acre im Durchschnitt zu 2 sh. 15 +6 d. Rente zu verpachten an die Clanleute, die seit Jahrhunderten ihr Blut +für die Familie vergossen hatten. Das ganze geraubte Clanland theilte sie +in 29 große Schafpachtungen, jede bewohnt von einer einzigen Familie, +meist englische Pächterknechte. Im Jahre 1820 waren die 15 000 Gaelen +bereits ersetzt durch 1 3 1 0 0 0 Schafe. Der an das Seegestad geworfne Theil 20 +der Aborigines suchte vom Fischfang zu leben. Sie wurden Amphibien und +lebten, wie ein englischer Schriftsteller sagt, halb auf dem Land und halb +auf dem Wasser und lebten mit alledem nur halb von beiden 2 1 8). + +Aber die braven Gaelen sollten noch schwerer ihre bergromantische Ido- + +system ein. Der Boden, früher übersät mit kleinen Bauern, war im Verhältniß zu seinem Pro- 25 +dukt bevölkert; unter dem neuen System verbesserter Kultur und vermehrter Renten, wird +größtmöglichstes Produkt zu möglichst geringen Kosten erhalten und zu diesem Behufe wer- +den die nun nutzlos gewordenen Hände entfernt.... Die Auswürflinge des Heimlands suchen +Subsistenz in den Fabrikstädten u.s.w." (David Buchanan: ,,Observations on etc. A. Smith's +Wealth of Nations. Edinb. 1814", vol. IV, p. 144.) „Die schottischen Großen haben Familien 30 +expropriirt, wie sie Unkraut ausroden würden, sie haben Dorfschaften und ihre Bevölkerung +behandelt, wie die Indier in ihrer Rache die Höhlen wilder Bestien ... Der Mensch wird ver- +schachert für ein Schafvließ oder eine Hammelkeule, ja für weniger ... Bei dem Einfall in die +Nordprovinzen China's schlug man im Mongolenrath vor, die Einwohner auszurotten und ihr +Land in Weide zu verwandeln. Diesen Vorschlag haben viele hochschottische Landlords in +ihrem eignen Land gegen ihre eignen Landsleute ausgeführt." (George Ensor: „An Inquiry +concerning the Population of Nations. Lond. 1818", p. 215, 216.) +2 1 8 ) Als die jetzige Herzogin von Sutherland die Mrs. Beecher-Stowe, Verfasserin von ,,Uncle +Tom's Cabin", mit großem Prunk in London empfing, um ihre Sympathie für die Negerskla- +ven der amerikanischen Republik auszustellen - was sie, nebst ihren Mitaristokratinnen, +wohlweise während des Bürgerkriegs unterließ, wo jedes „noble" englische Herz für die Skla- +venhalter schlug - stellte ich in der New-York Tribune die Verhältnisse der Sutherlandschen +Sklaven dar. (Stellenweis ausgezogen von Carey in „The Slave Trade. Philadelphia 1853", +p. 202, 203.) Mein Artikel ward in einem schottischen Blatt abgedruckt und rief eine artige +Polemik zwischen letzterem und den Sykophanten der Sutherlands hervor. + +35 + +40 + +45 + +656 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +latrie für die „großen Männer" des Clans abbüßen. Der Fischgeruch stieg +den großen Männern in die Nase. Sie witterten etwas Profitliches dahinter +und verpachteten das Seegestade den großen Fischhändlern von London. +Die Gaelen wurden zum zweitenmal verjagt 2 1 9). + +5 + +Endlich aber wird ein Theil der Schaftriften rückverwandelt ||697| in +Jagdrevier. Man weiß, daß es keine eigentlichen Wälder in England giebt. +Das Wild in den Parks der Großen ist konstitutionelles Hausvieh, fett wie +Londoner Aldermen. Schottland ist daher das letzte Asyl der ��noblen Pas- +sion". „In den Hochlanden", sagt Somers, 1848, „sind die Waldungen sehr +10 ausgedehnt worden. Hier auf der einen Seite von Gaick habt ihr den neuen +Wald von Glenfeshie und dort auf der andren Seite den neuen Wald von +Ardverikie. In derselben Linie habt ihr den Black-Mount, eine ungeheure +Wüste, neulich errichtet. Von Ost zu West, von der Nachbarschaft von +Aberdeen bis zu den Klippen von Oban, habt ihr jetzt eine fortlaufende +15 Waldlinie, während sich in andren Theilen der Hochlande die neuen Wäl- +der von Loch Archaig, Glengarry, Glenmoriston etc. befinden ... Die Ver- +wandlung ihres Landes in Schafweide .... trieb die Gaelen auf unfruchtba- +rem Boden. Jetzt fängt Rothwild an das Schaf zu ersetzen und treibt jene +in noch zermalmenderes Elend ... Die Wildwaldungen 2 1 9 a) und das Volk +20 können nicht neben einander existiren. Eins oder das andre muß jedenfalls +den Platz räumen. Laßt die Jagden in Zahl und Umfang im nächsten Vier- +teljahrhundert wachsen wie im vergangenen, und ihr werdet keinen Gaelen +mehr auf seiner heimischen Erde finden. Diese Bewegung unter den Höch- +lands-Eigenthümern ist theils der Mode geschuldet, aristokratischem Kit- +25 zel, Jagdliebhaberei u.s.w., theils aber betreiben sie den Wildhandel aus- +schließlich mit einem Auge auf den Profit. Denn es ist Thatsache, daß ein +Stück Bergland, in Jagdung angelegt, in vielen Fällen ungleich profitabler +ist denn als Schaftrift ... Der Liebhaber, der ein Jagdrevier sucht, be- +schränkt sein Angebot nur durch die Weite seiner Börse ... Leiden sind +30 über die Hochlande verhängt worden nicht minder grausam, als die Politik +normannischer Könige sie über England verhing. Rothwild hat freieren +Spielraum erhalten, während die Menschen in engen und engern Zirkel ge- +hetzt wurden ... Eine Freiheit des Volks nach der andren ward ihm ge- +raubt ... Und die Unterdrückung wächst noch täglich. Lichtung und Ver- +treibung des Volks werden von den Eigenthümern als festes Princip + +35 + +2 1 9 ) Interessantes über diesen Fischhandel findet man in Herrn David Urquhart's: Portfolio. +New Series. - Nassau W. Senior kennzeichnet in seiner oben citirten nachgelaßnen Schrift +„die Procedur in Sutherlandshire als eine der wohlthätigsten Lichtungen (clearings) seit +Menschengedenken". (1. c.) +2 1 9 a ) Die „deer forests" (Wildwaldungen) von Schottland enthalten keinen einzigen Baum. +Man treibt die Schafe weg und die Hirsche hin auf die nackten Berge und nennt das einen +„deer forest". Also nicht einmal Waldkultur! + +40 + +657 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +verfolgt, als eine agrikole Nothwendigkeit, ganz wie Bäume und Gesträuch +in den Wildnissen ||698| Amerikas und Australiens weggefegt werden, und +die Operation geht ihren ruhigen, geschäftsmäßigen G a n g " 2 2 0 ) . | + +5 + +2 2 0 ) Robert Somers: „Letters from the Highlands; or, the Famine of 1847. Lond. 1848", +p. 12-28 passim. Diese Briefe erschienen ursprünglich in der Times. Die englischen Oekono- +men erklärten natürlich die Hungersnoth der Gaelen von 1847 aus ihrer - Uebervölkerung. +Jedenfalls „drückten" sie auf ihre Nahrungsmittel. - Das „Clearing of Estates", oder, wie es in +Deutschland hieß, „Bauernlegen", machte sich hier besonders geltend nach dem dreißigjähri- +gen Krieg und rief noch 1790 in Kursachsen Bauernaufstände hervor. Es herrschte nament- +lich in Ostdeutschland. In den meisten Provinzen Preußens sicherte erst Friedrich IL den 10 +Bauern Eigenthumsrecht. Nach der Eroberung Schlesiens zwang er die Grundherrn zur Wie- +derherstellung der Hütten, Scheunen u.s.w., zur Ausstattung der Bauerngüter mit Vieh und +Geräth. Er brauchte Soldaten für seine Armee und Steuerpflichtige für seinen Staatsschatz. +Welches angenehme Leben übrigens der Bauer unter Friedrich's Finanzunwesen und Regie- +rungsmischmasch von Despotismus, Bureaukratie und Feudalismus führte, mag man aus fol- 15 +gender Stelle seines Bewunderers Mirabeau ersehn: «Le lin fait donc une des grandes ri- +chesses du cultivateur dans le Nord de l'Allemagne. Malheureusement pour l'espèce +humaine, ce n'est qu'une ressource contre la misère, et non un moyen de bien-être. Les im- +pôts directs, les corvées, les servitudes de tout genre, écrasent le cultivateur allemand, qui paie +encore des impôts indirects dans tout ce qu'il achète ... et pour comble de ruine, il n'ose pas 20 +vendre ses productions où et comme il le veut; il n'ose pas acheter ce dont il a besoin aux +marchands qui pourraient le lui livrer au meilleur prix. Toutes ces causes le ruinent insensi- +blement, et il se trouverait hors d'état de payer les impôts directs à l'échéance sans la filerie; +elle lui offre une ressource, en occupant utilement sa femme, ses enfants, ses servants, ses va- +lets, et lui-même: mais quelle pénible vie, même aidée de ce secours! En été, il travaille 25 +comme un forçat au labourage et à la récolte; il se couche à 9 heures et se lève à deux, pour +suffire aux travaux; en hiver il devrait réparer ses forces par un plus grand repos; mais il man- +quera de grains pour le pain et les semailles, s'il se défait des denrées qu'il faudrait vendre +pour payer les impôts. Il faut donc filer pour suppléer à ce vide ... il faut y apporter la plus +grande assiduité. Aussi le paysan se couche-t-il en hiver à minuit, une heure, et se lève à cinq 30 +ou six; ou bien il se couche à neuf, et se lève à deux, et cela tous les jours de sa vie si ce n'est +le dimanche. Cet excès de veille et de travail usent la nature humaine, et de là vient +qu'hommes et femmes vieillissent beaucoup plutôt dans les campagnes que dans les villes.» +(Mirabeau 1. c. t. Ill, p. 212 sqq.) + +Zusatz zur 2. Ausg. Im März 1866, 18 Jahre nach der Veröffentlichung der oben citirten 35 + +Schrift von Robert Somers, hielt Professor Leone Levi einen Vortrag in der Society of Arts +über die Verwandlung der Schaftriften in Wildwaldungen, worin er den Fortschritt der Verwü- +stung in den schottischen Hochlanden schildert. Er sagt u. a.: „Entvölkerung und Verwand- +lung in bloße Schaftrift boten das bequemste Mittel zu einem Einkommen ohne Auslage ... +An der Stelle der Schaftrift ein deer forest wurde gewöhnlicher Wechsel in den Hochlanden. 40 +Die Schafe werden vertrieben durch wilde Thiere, wie man zuvor die Menschen vertrieb, um +den Schafen Platz zu machen ... Man kann marschiren von den Gütern des Grafen von DaI- +housie in Forfarshire bis zu John ο'Groats ohne je das Waldland zu verlassen. (cid:5) In vielen +(dieser Waldungen) sind der Fuchs, die wilde Katze, der Marder, der Iltis, das Wiesel, und der +Alpenhase eingebürgert; während das Kaninchen, das Eichhorn und die Ratte seit kurzem 45 +ihren Weg dahin gefunden haben. Ungeheure Landstriche, welche in der Statistik Schottlands +als Weiden von ausnahmsweiser Fruchtbarkeit und Ausdehnung figurirten, sind jetzt von +aller Kultur und Verbesserung ausgeschlossen und einzig dem Jagdplaisir weniger Personen - +und dies dauert nur für eine kurze Periode während des Jahrs - gewidmet." + +Der Londoner Economist vom 2. Juni 1866 sagt: „Ein schottisches Blatt berichtet letzte Wo- 50 + +che unter andren Neuigkeiten: ,Eine der besten Schafpachten in Sutherlandshire, wofür +jüngst, beim Verfall des laufenden Pachtkontrakts, eine Jahresrente von 1200 Pfd. St. geboten +ward, wird in einen deer forest verwandelt!' Die feudalen Instinkte bethätigen sich ... wie zur + +658 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +|699| Der Raub der Kirchengüter, die fraudulente Veräußerung der +Staatsdomänen, der Diebstahl des Gemeindeeigenthums, die usurpatori- +sche und mit rücksichtslosem Terrorismus vollzogne Verwandlung von feu- +dalem und Claneigenthum in modernes Privateigenthum, es waren ebenso +5 viele idyllische Methoden der ursprünglichen Akkumulation. Sie eroberten +das Feld für die kapitalistische Agrikultur, einverleibten den Grund und +Boden dem Kapital und schufen der städtischen Industrie die nöthige Zu- +fuhr von vogelfreiem Proletariat. + +3. Blutgesetzgebung gegen die Expropriirten seit Ende des 15. Jahrhunderts. +Gesetze zur Herabdrückung des Arbeitslohns. + +10 + +Die durch Auflösung der feudalen Gefolgschaften und durch stoßweise, ge- +waltsame Expropriation von Grund und Boden Verjagten, dies vogelfreie +Proletariat konnte unmöglich eben so rasch von der aufkommenden Ma- +nufaktur absorbirt werden, als es auf die Welt gesetzt ward. Andrerseits +15 konnten die plötzlich aus ihrer gewohnten Lebensbahn Herausgeschleuder- +ten sich nicht eben so plötzlich in die Disciplin des neuen Zustandes fin- +den. Sie ver||700|wandelten sich massenhaft in Bettler, Räuber, Vagabun- +den, zum Theil aus Neigung, in den meisten Fällen durch den Zwang der +Umstände. Ende des 15. und während des ganzen 16. Jahrhunderts daher +in ganz Westeuropa eine Blutgesetzgebung wider Vagabundage. Die Väter +der jetzigen Arbeiterklasse wurden zunächst gezüchtigt für die ihnen ange- +thane Verwandlung in Vagabunden und Paupers. Die Gesetzgebung be- +handelte sie als „freiwillige" Verbrecher und unterstellte, daß es von ihrem +guten Willen abhänge, in den nicht mehr existirenden alten Verhältnissen +fortzuarbeiten. + +20 + +25 + +In England begann jene Gesetzgebung unter Heinrich V I I . +HeinrichVIII., 1530: Alte und arbeitsunfähige Bettler erhalten eine Bet- + +Zeit wo der normannische Erobrer ... 36 Dorfschaften zerstörte, um den New Forest zu schaf- +fen ... Zwei Millionen Acres, welche einige der fruchtbarsten Ländereien Schottlands einbe- +greifen, sind ganz und gar wüst gelegt. Das natürliche Gras von Glen Tilt zählte zu den nahr- +haftesten der Grafschaft Perth; der deer forest von Ben Aulder war der beste Grasgrund im +weiten Distrikt von Badenoch; ein Theil des Black Mount forest war das vorzüglichste schotti- +sche Weideland für schwarzgesichtige Schafe. Von der Ausdehnung des für Jagdliebhaberei +wüstgelegten Grund und Bodens mag man sich eine Vorstellung bilden aus der Thatsache, +daß er einen viel größeren Flächenraum umfaßt als die ganze Grafschaft Perth. Den Verlust +des Landes an Produktionsquellen in Folge dieser gewaltsamen Verödung mag man daraus +schätzen, daß der Boden des forest von Ben Aulder 15 000 Schafe nähren konnte und daß er +nur Y30 des gesammten Jagdreviers von Schottland beträgt ... All dies Jagdland ist durchaus +unproduktiv ... es hätte ebensowohl in die Fluthen der Nordsee versenkt werden können. SoI- +chen improvisirten Einöden oder Wüsten sollte die starke Hand der Gesetzgebung den Gar- +aus machen." + +30 + +35 + +40 + +659 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +tellicenz. Dagegen Auspeitschung und Einsperrung für handfeste Vaga- +bunden. Sie sollen an einen Karren hinten angebunden und gegeißelt wer- +den, bis das Blut von ihrem Körper strömt, dann einen Eid schwören, zu +ihrem Geburtsplatz, oder dorthin, wo sie die letzten drei Jahre gewohnt, +zurückzukehren und „sich an die Arbeit zu setzen" (to put himself to la- +bour). Welche grausame Ironie! 27 Heinrich VIII. wird das vorige Statut +wiederholt, aber durch neue Zusätze verschärft. Bei zweiter Ertappung auf +Vagabundage soll die Auspeitschung wiederholt und das halbe Ohr abge- +schnitten, bei drittem Rückfall aber der Betroffne als schwerer Verbrecher +und Feind des Gemeinwesens hingerichtet werden. + +Edward VI.: Ein Statut aus seinem ersten Regierungsjahr, 1547, verord- +net, daß wenn Jemand zu arbeiten weigert, soll er als Sklave der Person zu- +geurtheilt werden, die ihn als Müßiggänger denuncirt hat. Der Meister soll +seinen Sklaven mit Brod und Wasser nähren, schwachem Getränk und sol- +chen Fleischabfällen, die er passend dünkt. Er hat das Recht, ihn zu jeder +auch noch so eklen Arbeit durch Auspeitschung und Ankettung zu treiben. +Wenn sich der Sklave für 14 Tage entfernt, ist er zur Sklaverei auf Lebens- +zeit verurtheilt und soll auf Stirn oder Backen mit dem Buchstaben S ge- +brandmarkt, wenn er zum drittenmal fortläuft, als Staatsverräther hinge- +richtet werden. Der Meister kann ihn verkaufen, vermachen, als Sklaven +ausdingen, ganz wie andres bewegliches Gut und Vieh. Unternehmen die +Sklaven etwas gegen die Herrschaft, so sollen sie ebenfalls hingerichtet +werden. Friedensrichter sollen auf Information den Kerls nachspüren. Fin- +det sich, daß ein Herumstreicher drei Tage gelungert hat, so soll er nach +seinem Geburtsort gebracht, mit rothglühendem Eisen auf die Brust mit +dem Zeichen V gebrandmarkt, und dort in Ketten auf der ||701| Straße +oder zu sonstigen Diensten verwandt werden. Gibt der Vagabund einen fal- +schen Geburtsort an, so soll er zur Strafe der lebenslängliche Sklave dieses +Orts, der Einwohner oder Korporation sein und mit S gebrandmarkt wer- +den. Alle Personen haben das Recht, den Vagabunden ihre Kinder wegzu- +nehmen und als Lehrlinge, Jungen bis zum 24. Jahr, Mädchen bis zum +20. Jahr zu halten. Laufen sie weg, so sollen sie bis zu diesem Alter die +Sklaven der Lehrmeister sein, die sie in Ketten legen, geißeln etc. können, +wie sie wollen. Jeder Meister darf einen eisernen Ring um Hals, Arme oder +Beine seines Sklaven legen, damit er ihn besser kennt und seiner sicherer +i s t 2 2 1 ) . Der letzte Theil dieses Statuts sieht vor, daß gewisse Arme von dem + +2 2 1 ) Der Verfasser des „Essay on Trade etc. 1770" bemerkt: „Unter der Regierung Ed- +ward's VL scheinen sich die Engländer in der That mit vollem Ernst auf Encouragirung der +Manufakturen und Beschäftigung der Armen verlegt zu haben. Dies ersehn wir aus einem +merkwürdigen Statut, worin es heißt, daß alle Vagabunden gebrandmarkt werden sollen" +u.s.w. (1.c. p.5.) + +660 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Ort oder den Individuen beschäftigt werden sollen, die ihnen zu essen und + +zu trinken geben und Arbeit für sie finden wollen. Diese Sorte Pfarreiskla- + +ven hat sich bis tief ins 19. Jahrhundert in England erhalten unter dem Na- + +men roundsmen (Umgeher). + +5 + +Elisabeth, 1572: Bettler ohne Licenz und über 14 Jahre alt sollen hart ge- + +peitscht und am rechten Ohrlappen gebrandmarkt werden, falls sie keiner + +für ein Jahr in Dienst nehmen will; im Wiederholungsfall, wenn über + +18 Jahre alt, sollen sie - hingerichtet werden, falls sie Niemand für zwei + +Jahre in Dienst nehmen will, bei dritter Recidive aber ohne Gnade als + +10 Staatsverräther hingerichtet werden. Aehnliche Statute: 18 Elisabeth c. 3 + +und 1 5 9 7 2 2 1 a ) . | + +|702| Jakob I: Eine herumwandernde und bettelnde Person wird für + +einen Landstreicher und Vagabunden erklärt. Die Friedensrichter in den + +Petty Sessions sind bevollmächtigt, sie öffentlich auspeitschen zu lassen + +15 und bei erster Ertappung 6 Monate, bei zweiter 2 Jahre ins Gefängniß zu + +sperren. Während des Gefängnisses soll sie so oft und so viel gepeitscht + +werden, als die Friedensrichter für gut halten . . . Die unverbesserlichen + +und gefährlichen Landstreicher sollen auf der linken Schulter mit R ge- + +brandmarkt und an die Zwangsarbeit gesetzt, und wenn man sie wieder auf + +25 + +20 2 2 1 a) Thomas Morus sagt in seiner Utopia: „So geschieht's, daß ein gieriger und unersättlicher +Vielfraß, die wahre Pest seines Geburtslandes, Tausende von Acres Land zusammenpacken +und innerhalb einer Umpfählung oder einer Hecke einzäunen, oder durch Gewalt und Unbill +ihre Eigner so abhetzen kann, daß sie gezwungen sind alles zu verkaufen. Durch ein Mittel +oder das andre, es mag biegen oder brechen, werden sie genöthigt fortzutrollen - arme, einfäl- +tige, elende Seelen! Männer, Weiber, Gatten, Frauen, vaterlose Kinder, Wittwen, jammernde +Mütter mit ihren Säuglingen, und der ganze Haushalt, gering an Mitteln und zahlreich an +Köpfen, da der Ackerbau vieler Hände bedurfte. Weg schleppen sie sich, sage ich, aus der be- +kannten und gewohnten Heimstätte, ohne einen Ruheplatz zu finden; der Verkauf von all +ihrem Hausgeräth, obgleich von keinem großen Werth, würde unter andren Umständen einen +30 gewissen Erlös geben; aber plötzlich an die Luft gesetzt, müssen sie ihn zu Spottpreisen los- +schlagen. Und wenn sie umhergeirrt, bis der letzte Heller verzehrt ist, was anders können sie +thun außer stehlen und dann, bei Gott, in aller Form Rechtens gehangen werden, oder auf +den Bettel ausgehn? Und auch dann werden sie ins Gefängnis geschmissen, als Vagabunden, +weil sie sich herumtreiben und nicht arbeiten; sie, die kein Mensch an die Arbeit setzen will, +sie mögen sich noch so eifrig dazu erbieten." Von diesen armen Flüchtlingen, von denen Tho- +mas Morus sagt, daß man sie zum Diebstahl zwang, „wurden 72 000 große und kleine Diebe +hingerichtet unter der Regierung Heinrich des Achten". (Holinshed, ,,Description of Eng- +land", v.I, p. 186.) Zu Elisabeth's Zeiten wurden „Landstreicher reihenweise aufgeknüpft; in- +deß verstrich gewöhnlich kein Jahr, worin nicht 300 oder 400 an einem Platz oder dem andren +40 dem Galgen anheimfielen". (Strype's „Annais of the Reformation und Establishment of Reli- +gion, and other Various Occurrences in the Church of England during Queen Elisabeth's +Happy Reign, 2nd ed. 1725" vol. II.) Nach demselben Strype wurden in Somersetshire, in +einem einzigen Jahr, 40 Personen hingerichtet, 35 gebrandmarkt, 37 ausgepeitscht und 183 +„verzweifelte Bösewichter" freigegeben. Dennoch, sagt er, „schließt diese große Zahl der An- +45 geklagten nicht l/ s der peinlichen Verbrechen ein, Dank der Fahrlässigkeit der Friedensrichter +und dem albernen Mitleid des Volkes". Er fügt hinzu: „Die andren Grafschaften in England +waren in keiner beßren Lage als Sommersetshire und viele selbst in einer schlechteren." + +35 + +661 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +dem Bettel ertappt, ohne Gnade hingerichtet werden. Diese Anordnungen, +gesetzlich bis in die erste Zeit des 18. Jahrhunderts, wurden erst aufgeho- +ben durch 12 Anna c. 23. + +Aehnliche Gesetze in Frankreich, wo sich Mitte des 17. Jahrhunderts ein +Vagabundenkönigreich (royaume des truands) zu Paris etablirt hatte. Noch +in der ersten Zeit Ludwigs X V I . (Ordonnanz vom 13. Juli 1777) sollte jeder +gesund gebaute Mensch vom 16. bis 60. Jahr, wenn ohne Existenzmittel +und Ausübung einer Profession, auf die Galeeren geschickt werden. Aehn- +lich das Statut Karl's V. für die Niederlande vom Oktober 1531, das erste +Edikt der Staaten und Städte von Holland vom 19. März 1614, das Plakat +der Vereinigten Provinzen vom 25. Juni 1649 u.s.w. + +So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriirte, verjagte +und zum Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk-terroristische Ge- +setze in eine dem System der Lohnarbeit nothwendige Disciplin hineinge- +peitscht, -gebrandmarkt, -gefoltert. + +Es ist nicht genug, daß die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als +Kapital treten und auf den andren Pol Menschen, welche ||703| nichts zu +verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Es genügt auch nicht sie zu zwingen, +sich freiwillig zu verkaufen. Im Fortgang der kapitalistischen Produktion +entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohn- +heit, die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Na- +turgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen +Produktionsprocesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung +einer relativen Uebervölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nach- +frage nach Arbeit, und daher den Arbeitslohn, in einem den Verwerthungs- +bedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der +ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über +den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer +noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang +der Dinge kann der Arbeiter den „Naturgesetzen der Produktion" überlas- +sen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entsprin- +genden, durch sie garantirten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital. +Anders während der historischen Genesis der kapitalistischen Produktion. +Die aufkommende Bourgeoisie braucht und verwendet die Staatsgewalt, +um den Arbeitslohn zu „reguliren", d.h. innerhalb der Plusmacherei zusa- +gender Schranken zu zwängen, um den Arbeitstag zu verlängern und den +Arbeiter selbst in normalem Abhängigkeitsgrad zu erhalten. Es ist dies ein +wesentliches Moment der sog. ursprünglichen Akkumulation. + +Die Klasse der Lohnarbeiter, die in der letzten Hälfte des 14. Jahrhun- +derts entstand, bildete damals und im folgenden Jahrhundert nur einen +sehr geringen Volksbestandtheil, der in seiner Stellung stark beschützt war + +662 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +5 + +durch die selbständige Bauernwirthschaft auf dem Land und die Zunftor- +ganisation der Stadt. In Land und Stadt standen sich Meister und Arbeiter +social nahe. Die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital war nur for- +mell, d.h. die Produktionsweise selbst besaß noch keinen specifisch kapita- +listischen Charakter. Das variable Element des Kapitals wog sehr vor über +sein konstantes. Die Nachfrage nach Lohnarbeit wuchs daher rasch mit j e - +der Akkumulation des Kapitals, während die Zufuhr von Lohnarbeit nur +langsam nachfolgte. Ein großer Theil des nationalen Produkts, später in +Akkumulationsfonds des Kapitals verwandelt, ging damals noch ein in den + +10 Konsumtionsfonds des Arbeiters. + +Die Gesetzgebung über die Lohnarbeit, von Haus aus auf Exploitation +des Arbeiters gemünzt und ihm in ihrem Fortgang stets ||704| gleich feind- +l i c h 2 2 2 ) , wird in England eröffnet durch das Statute of Labourers Ed- +ward's III., 1349. Ihm entspricht in Frankreich die Ordonnanz von 1350, +15 erlassen im Namen des Königs Jean. Die englische und französische Ge- +setzgebung laufen parallel und sind dem Inhalt nach identisch. Soweit die +Arbeiterstatuten Verlängerung des Arbeitstags zu erzwingen suchen, +komme ich nicht auf sie zurück, da dieser Punkt früher (8. Kapitel, 5) erör- +tert. + +25 + +20 + +Das Statute of Labourers wurde erlassen auf dringende Klage des Hauses +der Gemeinen. „Früher", sagt naiv ein Tory, „verlangten die Armen so ho- +hen Arbeitslohn, daß sie Industrie und Reichthum bedrohten. Jetzt ist ihr +Lohn so niedrig, daß er ebenfalls Industrie und Reichthum bedroht, aber +anders und vielleicht gefährlicher als damals" 2 2 3 ) . Ein gesetzlicher Lohnta- +rif ward festgesetzt für Stadt und Land, für Stückwerk und Tagwerk. Die +ländlichen Arbeiter sollen sich aufs Jahr, die städtischen „auf offnem +Markt" verdingen. Es wird bei Gefängnißstrafe untersagt, höheren als den +statutarischen Lohn zu zahlen, aber der Empfang höheren Lohns wird stär- +ker bestraft als seine Zahlung. So wird auch noch in Sect. 18 und 19 des +30 Lehrlingsstatuts von Elisabeth zehntägige Gefängnißstrafe über den ver- +hängt, der höheren Lohn zahlt, dagegen einundzwangzigtägige Gefängniß- +strafe über den, der ihn nimmt. Ein Statut von 1360 verschärfte die Strafen +und ermächtigte den Meister sogar, durch körperlichen Zwang Arbeit zum +gesetzlichen Lohntarif zu erpressen. Alle Kombinationen, Verträge, Eide +35 u.s.w., wodurch sich Maurer und Zimmerleute wechselseitig banden, wer- +den für null und nichtig erklärt. Arbeiterkoalition wird als schweres Ver- + +222) "Whenever the legislature attempts to regulate the differences between masters and their +workmen, its counsellors are always the masters", sagt A. Smith. «L'esprit des lois, c'est la pro- +priété», sagt Linguet. +2 2 3 ) ,,Sophisms of Free Trade. By a Barrister. Lond. 1850", p. 206. Er setzt malitiös hinzu: +„Wir waren stets bei der Hand für den Anwender einzuschreiten. Kann nichts geschehn für +den Angewandten?" + +40 + +663 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +brechen behandelt vom 14. Jahrhundert bis 1825, dem Jahr der Abschaf- +fung der Antikoalitionsgesetze. Der Geist des Arbeiterstatuts von 1349 und +seiner Nachgeburten leuchtet hell daraus hervor, daß zwar ein Maximum +des Arbeitslohns von Staats wegen diktirt wird, aber bei Leibe kein Mini- +mum. + +Im 16. Jahrhundert hatte sich, wie man weiß, die Lage der Arbeiter sehr +verschlechtert. Der Geldlohn stieg, aber nicht im Verhältniß zur Deprecia- +tion des Geldes und dem entsprechenden Steigen der Waarenpreise. Der +Lohn fiel also in der That. ||705| Dennoch dauerten die Gesetze zum Behuf +seiner Herabdrückung fort zugleich mit dem Ohrenabschneiden und +Brandmarken derjenigen, „die Niemand in Dienst nehmen wollte". Durch +das Lehrlingsstatut 5 Elisabeth c. 4 wurden die Friedensrichter ermächtigt, +gewisse Löhne festzusetzen und nach Jahreszeiten und Waarenpreisen zu +modificiren. Jakob I. dehnte diese Arbeitsregulation auch auf Weber, Spin- +ner und alle möglichen Arbeiterkategorien aus 2 2 4), Georg IL die Gesetze +gegen Arbeiterkoalition auf alle Manufakturen. + +In der eigentlichen Manufakturperiode war die kapitalistische Produk- +tionsweise hinreichend erstarkt, um gesetzliche Regulation des Arbeits- +lohns eben so unausführbar als überflüssig zu machen, aber man wollte für +den Nothfall die Waffen des alten Arsenals nicht entbehren. Noch 7 Ge- +orge III. verbot für Schneidergesellen in London und Umgegend mehr als +2 sh. 1% d. Taglohn, außer in Fällen allgemeiner Trauer; noch 13 Ge- +orge III. c. 68 überwies die Reglung des Arbeitslohns der Seidenwirker den +Friedensrichtern; noch 1796 bedurfte es zweier Urtheile der höheren Ge- +richtshöfe zur Entscheidung, ob friedensrichterliche Befehle über Arbeits- +lohn auch für Nichtagrikulturarbeiter gültig seien; noch 1799 bestätigte ein +Parlamentsakt, daß der Lohn der Grubenarbeiter von Schottland durch ein + +2 2 4 ) Aus einer Klausel des Statuts 1, Jakob L, c.6 ersieht man, daß gewisse Tuchmacher sich +herausnahmen, den Lohntarif officiell als Friedensrichter in ihren eignen Werkstätten zu dik- +tiren. - In Deutschland waren namentlich nach dem dreißigjährigen Krieg Statuten zur Nie- +derhaltung des Arbeitslohns häufig. „Sehr lästig war den Gutsherrn in dem menschenleeren +Boden der Mangel an Dienstboten und Arbeitern. Allen Dorfsassen wurde verboten, Kam- +mern an ledige Männer und Frauen zu vermiethen, alle solche Inlieger sollten der Obrigkeit +angezeigt und ins Gefängniß gesteckt werden, falls sie nicht Dienstboten werden wollten, +auch wenn sie sich von andrer Thätigkeit erhielten, den Bauern um Taglohn säeten oder gar +mit Geld und Getreide handelten. (Kaiserliche Privilegien und Sanctiones für Schlesien I, +125.) Durch ein ganzes Jahrhundert wird in den Verordnungen der Landesherrn immer wie- +der bittre Klage geführt über das boshafte und muthwillige Gesindel, das sich in die harten +Bedingungen nicht fügen, mit dem gesetzlichen Lohn nicht zufrieden sein will; dem einzel- +nen Gutsherrn wird verboten, mehr zu geben, als die Landschaft in einer Taxe festgesetzt hat. +Und doch sind die Bedingungen des Dienstes nach dem Krieg zuweilen noch besser, als sie +100 Jahre später waren; noch erhielt das Gesinde 1652 in Schlesien zweimal in der Woche +Fleisch, noch in unsrem Jahrhundert hat es eben dort Kreise gegeben, wo sie es nur dreimal +im Jahr erhielten. Auch der Taglohn war nach dem Kriege höher als in den folgenden Jahr- +hunderten." (G. Freytag.) + +664 + + Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Statut der Elisabeth und zwei schottische Akte von 1661 und 1617 regulirt +sei. Wie sehr sich unterdeß die Verhältnisse umgewälzt, bewies ein im eng- +lischen ||706| Unterhaus unerhörter Vorfall. Hier, wo man seit mehr als +400 Jahren Gesetze fabricirt hatte über das Maximum, welches der Ar- +5 beitslohn platterdings nicht übersteigen dürfe, schlug Whitbread 1796 für +Ackerbautaglöhner ein gesetzliches Lohnminimum vor. Pitt widersetzte +sich, gab aber zu, die „Lage der Armen sei grausam (cruel)". Endlich, 1813, +wurden die Gesetze über Lohnregulation abgeschafft. Sie waren eine lä- +cherliche Anomalie, seitdem der Kapitalist die Fabrik durch seine Privat- +10 gesetzgebung regulirte und durch die Armensteuer den Lohn des Landar- +beiters zum unentbehrlichen Minimum ergänzen ließ. Die Bestimmungen +der Arbeitstatute über Kontrakte zwischen Meister und Lohnarbeiter, über +Terminkündigungen u. dergl., welche nur eine Civilklage gegen den kon- +traktbrüchigen Meister, aber Kriminalklage gegen den kontraktbrüchigen + +15 Arbeiter erlauben, stehn bis zur Stunde in voller Blüthe. + +Die grausamen Gesetze gegen die Koalitionen fielen 1825 vor der dro- +henden Haltung des Proletariats. Trotzdem fielen sie nur zum Theil. Ei- +nige schöne Ueberbleibsel der alten Statute verschwanden erst 1859. End- +lich beanspruchte der Parlamentsakt vom 29. Juni 1871 die letzten Spuren +20 dieser Klassengesetzgebung zu beseitigen durch gesetzliche Anerkennung +der Trades' Unions. Aber ein Parlamentsakt vom selben Datum (An act to +amend the criminal law relating to violence, threats and molestation) +stellte thatsächlich den vorigen Stand in neuer Form wieder her. Durch +diese parlamentarische Escamotage wurden die Mittel, deren sich die Ar- +25 beiter bedienen können bei einem Strike oder Lockout (Strike der verbün- +deten Fabrikanten durch gleichzeitigen Schluß ihrer Fabriken), dem ge- +meinen Recht entzogen und unter eine Ausnahms-Strafgesetzgebung +gestellt, deren Interpretation den Fabrikanten selbst, in ihrer Eigenschaft +als Friedensrichter, anheimfiel. Zwei Jahre vorher hatten dasselbe Unter- +30 haus und derselbe Herr Gladstone in bekannter ehrlicher Weise einen Ge- +setzentwurf eingebracht zur Abschaffung aller Ausnahms-Strafgesetze ge- +gen die Arbeiterklasse. Aber weiter als zur zweiten Lesung ließ man es nie +kommen, und so schleppte man die Sache in die Länge, bis endlich die +„große liberale Partei" durch eine Allianz mit den Tories den Muth ge- +35 wann, sich entschieden gegen dasselbe Proletariat zu wenden, das sie zur +Herrschaft gebracht hatte. Nicht zufrieden mit diesem Verrath, erlaubte +die „große liberale Partei" den im Dienst der herrschenden Klassen allzeit +schweifwedelnden englischen Richtern, die verjährten Gesetze über +| +17071 „Konspirationen" wieder auszugraben und sie auf Arbeiterkoalitio- +40 nen anzuwenden. Man sieht, nur widerwillig und unter dem Druck der +Massen, verzichtete das englische Parlament auf die Gesetze gegen Strikes + +665 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +und Trades' Unions, nachdem es selbst, fünf Jahrhunderte hindurch, mit +schamlosem Egoismus die Stellung einer permanenten Trades' Union der +Kapitalisten gegen die Arbeiter behauptet hatte. + +5 + +Gleich im Beginn des Revolutionssturms wagte die französische Bour- +geoisie das eben erst eroberte Associationsrecht den Arbeitern wieder zu +entziehn. Durch Dekret vom 14. Juni 1791 erklärte sie alle Arbeiterkoali- +tion für ein „Attentat auf die Freiheit und die Erklärung der Menschen- +rechte", strafbar mit 500 Livres nebst einjähriger Entziehung der aktiven +Bürgerrechte 2 2 5). Dies Gesetz, welches den Konkurrenzkampf zwischen Ka- +pital und Arbeit staatspolizeilich innerhalb dem Kapital bequemer Schran- 10 +ken einzwängt, überlebte Revolutionen und Dynastiewechsel. Selbst die +Schreckensregierung ließ es unangetastet. Es ward erst ganz neulich aus +dem Code Pénal gestrichen. Nichts charakteristischer als der Vorwand die- +ses bürgerlichen Staatsstreichs. „Obgleich", sagt Chapelier, der Berichter- +statter, „es wünschenswerth, daß der Arbeitslohn höher steige, als er jetzt 15 +steht, damit der, der ihn empfängt, außerhalb der durch die Entbehrung +der nothwendigen Lebensmittel bedingten absoluten Abhängigkeit sei, wel- +che fast die Abhängigkeit der Sklaverei ist", dürfen dennoch die Arbeiter +sich nicht über ihre Interessen verständigen, gemeinsam handeln und da- +durch ihre „absolute Abhängigkeit, welche fast Sklaverei ist", mäßigen, 20 +weil sie eben dadurch „die Freiheit ihrer ci-devant maîtres, der jetzigen +Unternehmer", verletzen (die Freiheit, die Arbeiter in der Sklaverei zu er- +halten!), und weil eine Koalition gegen die Despotie der ehemaligen Mei- +ster der Korporationen - man rathe! - eine Herstellung der durch die fran- +zösische Konstitution abgeschafften Korporationen i s t 2 2 6 ) ! | + +25 + +|708| 4. Genesis der kapitalistischen Pächter. + +Nachdem wir die gewaltsame Schöpfung vogelfreier Proletarier betrachtet, +die blutige Disciplin, welche sie in Lohnarbeiter verwandelt, die schmut- +zige Haupt- und Staatsaktion, die mit dem Exploitationsgrad der Arbeit +die Akkumulation des Kapitals polizeilich steigert, fragt sich, wo kommen 30 + +2 2 5 ) Artikel I dieses Gesetzes lautet: «L'anéantissement de toutes espèces de corporations du +même état et profession étant l'une des bases fondamentales de la constitution française, il est +défendu de les rétablir de fait sous quelque prétexte et sous quelque forme que ce soit.» Arti- +kel IV erklärt, daß wenn „des citoyens attachés aux mêmes professions, arts et métiers pre- +naient des délibérations, faisaient entre eux des conventions tendantes à refuser de concert ou +à n'accorder qu'à un prix déterminé le secours de leur industrie ou de leurs travaux, les dites +délibérations et conventions ... seront déclarées inconstitutionelles, attentatoires à la liberté +et à la déclaration des droits de l'homme etc.", also Staatsverbrechen, ganz wie in den alten +Arbeiterstatuten. (,,Révolutions de Paris. Paris 1791", t. III, p. 523.) +2 2 6 ) Bûchez et Roux: ,,Histoire Parlementaire", t. X, p. 195. + +35 + +40 + +666 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +die Kapitalisten ursprünglich her? Denn die Expropriation des Landvolks +schafft unmittelbar nur große Grundeigenthümer. Was die Genesis des +Pächters betrifft, so können wir sie so zu sagen mit der Hand betappen, +weil sie ein langsamer, über viele Jahrhunderte sich fortwälzender Proceß +ist. Die Leibeignen selbst, woneben auch freie kleine Landeigner, befanden +sich in sehr verschiednen Besitzverhältnissen und wurden daher auch un- +ter sehr verschiednen ökonomischen Bedingungen emancipirt. + +5 + +In England ist die erste Form des Pächters der selbst leibeigne Bailiff. +Seine Stellung ist ähnlich der des altrömischen Villicus, nur in engerer +10 Wirkungssphäre. Während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird er +ersetzt durch einen Pächter, den der Landlord mit Samen, Vieh und Acker- +werkzeug versieht. Seine Lage ist nicht sehr verschieden von der des Bau- +ern. Nur beutet er mehr Lohnarbeit aus. Er wird bald Metayer, Halbpäch- +ter. Er stellt einen Theil des Ackerbaukapitals, der Landlord den andren. +15 Beide theilen das Gesammtprodukt in kontraktlich bestimmter Proportion. +Diese Form verschwindet in England rasch, um der des eigentlichen Päch- +ters Platz zu machen, welcher sein eignes Kapital durch Anwendung von +Lohnarbeitern verwerthet und einen Theil des Mehrprodukts, in Geld oder +in natura, dem Landlord als Grundrente zahlt. + +20 + +So lange, während des 15. Jahrhunderts, der unabhängige Bauer und der +neben dem Lohndienst zugleich selbstwirthschaftende Ackerknecht sich +selbst durch ihre Arbeit bereichern, bleiben die Umstände des Pächters +und sein Produktionsfeld gleich mittelmäßig. Die Agrikulturrevolution im +letzten Drittheil des 15. Jahrhunderts, die fast während des ganzen 16. Jahr- +25 hunderts (jedoch mit Ausnahme seiner letzten Decennien) fortwährt, be- +reichert ihn eben so rasch, als sie das Landvolk verarmt 2 2 7). Die Usur- +pation ||709| von Gemeindeweiden u. s.w. erlaubt ihm große Vermehrung +seines Viehstands fast ohne Kosten, während ihm das Vieh reichlichere +Düngungsmittel zur Bestellung des Bodens liefert. + +30 + +Im 16. Jahrhundert kommt ein entscheidend wichtiges Moment hinzu. +Damals waren die Pachtkontrakte lang, oft für 99 Jahre laufend. Der fort- +dauernde Fall im Werth der edlen Metalle und daher des Geldes trug den +Pächtern goldne Früchte. Er senkte, von allen andren, früher erörterten +Umständen abgesehn, den Arbeitslohn. Ein Bruchstück desselben wurde +35 zum Pachtprofit geschlagen. Das fortwährende Steigen der Preise von +Korn, Wolle, Fleisch, kurz sämmtlicher Agrikulturprodukte, schwellte das +Geldkapital des Pächters ohne sein Zuthun, während die Grundrente, die + +2 2 7 ) „Pächter", sagt Harrison in seiner Description of England, „denen es früher schwer ward +4 Pfd. St. Rente zu zahlen, zahlen jetzt 40, 50, 100 Pfd. St. und glauben doch ein schlechtes +40 Geschäft gemacht zu haben, wenn sie nach Ablauf ihres Pachtkontrakts nicht 6 - 7 Jahre + +Rente zurücklegen." + +667 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +er zu zahlen hatte, im veralteten Geldwerth kontrahirt war 2 2 8). So berei- +cherte er sich gleichzeitig auf Kosten seiner Lohnarbeiter und seines Land- +lords. Kein Wunder also, wenn England Ende des 16. Jahrhunderts eine +Klasse für die damaligen Verhältnisse reicher „Kapitalpächter" besaß 2 2 9). | + +2 2 8 ) Ueber den Einfluß der Depreciation des Geldes im 16. Jahrhundert auf verschiedne Klas- +sen der Gesellschaft: „A Compendious or Briefe Examination of Certayne Ordinary Com- +plaints of Diverse of our Countrymen in these our Days. By W. S., Gentleman." (London +1581.) Die Dialogform dieser Schrift trug dazu bei, daß man sie lange Shakespeare zuschrieb +und noch 1751 unter seinem Namen neu herausgab. Ihr Verfasser ist William Stafford. An +einer Stelle raisonnirt der Ritter (Knight) wie folgt: + +5 + +10 + +Knight: "You, my neighbour, the husbandman, you Maister Mercer, and you Goodman +Copper, with other artificers, may save yourselves metely well. For as much as all things are +deerer than they were, so much do you arise in the pryce of your wares and occupations that +yee sell agayne. But we have nothing to sell where by we might advance ye pryce there of, to +countervaile those things that we must buy agayne." An einer andren Stelle fragt der Knight 15 +den Doktor: "I pray you, what be those sorts that ye meane. And, first, of those that yee thinke +should have no losse hereby?" - Doktor: "I meane all these that live by buying and selling, +for, as they buy deare, they sell thereafter." - Knight: "What is the next sorte that yee say +would win by it?" - Doktor: "Marry, all such as have takings or fearmes in their owne manur- +ance (d.h. cultivation) at the old rent, for where they pay after the olde rate, they sell after the 20 +newe - that is, they paye for their lande good cheape, and sell all things growing thereof +deare." Knight: "What sorte is that which, ye say de should have greater losse hereby, than +these men had profit?" - Doktor: "It is all noblemen, gentlemen, and all other that live either +by a stinted rent or stypend, or do not manure (cultivate) the ground, or doe occupy no buying +and selling." +2 2 9 ) In Frankreich wird der Régisseur, der Verwalter und Eintreiber der Leistungen an den +Feudalherrn während des früheren Mittelalters, bald ein homme d'affaires, der sich durch Er- +pressung, Prellerei u.s.w. zum Kapitalisten hinaufschwindelt. Diese Régisseurs waren manch- +mal selbst vornehme Herrn. Z.B.: «C'est li compte que messire Jacques de Thoraisse, cheva- +lier chastelain sor Besançon rent es seigneur tenant les comptes à Dijon pour monseigneur le 30 +duc et comte de Bourgoigne, des rentes appartenant à la dite chastellenie, depuis XXVe jour +de décembre MCCCLIX jusqu'au XXVIIIe jour de décembre MCCCLX.» (Alexis Monteil: +,,Histoire des Matériaux manuscrits" etc., p. 234, 235.) Es zeigt sich schon hier, wie in allen +Sphären des gesellschaftlichen Lebens der Löwenantheil dem Vermittler zufällt. Im ökonomi- +schen Gebiet z. B. schöpfen Financiers, Börsenmänner, Kaufleute, Kleinkrämer, den Rahm 35 +der Geschäfte ab; im bürgerlichen Recht pflückt der Advokat die Parteien; in der Politik be- +deutet der Repräsentant mehr als die Wähler, der Minister mehr als der Souverain; in der Re- +ligion wird Gott in den Hintergrund gedrängt vom „Mittler" und dieser wiederum zurückge- +schoben von den Pfaffen, die wieder unvermeidliche Vermittler sind zwischen dem guten +Hirten und seinen Schafen. Wie in England, so waren in Frankreich die großen Feudalterrito- 40 +rien in unendlich viele kleine Wirthschaften getheilt, aber unter ungleich ungünstigeren Be- +dingungen für das Landvolk. Während des 14. Jahrhunderts kamen die Pachten, fermes oder +terriers auf. Ihre Zahl wuchs beständig, weit über 100 000. Sie zahlten eine vom 12. bis zum +5.Theil des Produkts wechselnde Grundrente in Geld oder in natura. Die terriers waren Lehn, +Hinterlehn etc. (fiefs, arrière-fiefs), je nach Werth und Umfang der Domänen, wovon manche 45 +nur wenige arpents zählten. Alle diese terriers besaßen Gerichtsbarkeit in irgend einem Grad +über die Bodeninsassen; es gab vier Grade. Man begreift den Druck des Landvolks unter allen +diesen kleinen Tyrannen. Monteil sagt, daß es damals 160 000 Gerichte in Frankreich gab, wo +heute 4000 Tribunale (Friedensgerichte eingeschlossen) genügen. + +25 + +668 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +|710| 5. Rückwirkung der agrikolen Revolution +auf die Industrie. Herstellung des Innern Markts + +für das + +industrielle Kapital. + +Die stoßweise und stets erneuerte Expropriation und Verjagung des Land- +5 volks lieferte, wie man sah, der städtischen Industrie wieder und wieder +Massen ganz außerhalb der Zunftverhältnisse stehender Proletarier, ein +weiser Umstand, der den alten A. Anderson (nicht zu verwechseln mit +James Anderson) in seiner Handelsgeschichte an direkte Intervention der +Vorsehung glauben läßt. Wir müssen noch einen Augenblick bei diesem +10 Element der ursprünglichen Akkumulation verweilen. Der Verdünnung +des unabhängigen, selbstwirthschaftenden Landvolks entsprach nicht nur +die Verdichtung des industriellen Proletariats, wie Geoffroy Saint-Hilaire +die Verdichtung der Weltmaterie hier durch ihre Verdünnung dort er- +klärt 2 3 0). Trotz der verminderten Zahl seiner Bebauer trug der Boden nach +15 wie vor gleich viel oder mehr Produkt, weil die Revolution in den Grundei- +genthumsverhältnissen von verbesserten Methoden der Kultur, größerer +Kooperation, Koncentration der Produktionsmittel u. s. w. begleitet war, +und weil die ländlichen Lohnarbeiter nicht nur intensiver ange||711|spannt +wurden 2 3 1), sondern auch das Produktionsfeld, worauf sie für sich selbst ar- +20 beiteten, mehr und mehr zusammenschmolz. Mit dem freigesetzten Theil +des Landvolks werden also auch seine frühern Nahrungsmittel freigesetzt. +Sie verwandeln sich jetzt in stoffliches Element des variablen Kapitals. Der +an die Luft gesetzte Bauer muß ihren Werth von seinem neuen Herrn, dem +industriellen Kapitalisten, in der Form des Arbeitslohns erkaufen. Wie mit +25 den Lebensmitteln, verhielt es sich mit dem heimischen agrikolen Rohma- +terial der Industrie. Es verwandelte sich in ein Element des konstanten Ka- +pitals. + +Man unterstelle z . B . einen Theil der westfälischen Bauern, die zu Fried- +rich's II. Zeit alle Flachs, wenn auch keine Seide spannen, gewaltsam ex- +30 propriirt und von Grund und Boden verjagt, den andren zurückbleibenden +Theil aber in Taglöhner großer Pächter verwandelt. Gleichzeitig erheben +sich große Flachsspinnereien und Webereien, worin die „Freigesetzten" +nun lohnarbeiten. Der Flachs sieht grad aus wie vorher. Keine Fiber an +ihm ist verändert, aber eine neue sociale Seele ist ihm in den Leib gefah- +ren. Er bildet jetzt einen Theil des konstanten Kapitals der Manufaktur- +herrn. Früher vertheilt unter eine Unmasse kleiner Producenten, die ihn +selbst bauten und in kleinen Portionen mit ihren Familien verspannen, ist + +35 + +2 3°) In seinen „Notions de Philosophie Naturelle. Paris 1838". +2 3 1 ) Ein Punkt, den Sir James Steuart betont. + +669 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +10 + +er jetzt koncentrirt in der Hand eines Kapitalisten, der andre für sich spin- +nen und weben läßt. Die in der Flachsspinnerei verausgabte Extraarbeit +realisirte sich früher in Extraeinkommen zahlloser Bauernfamilien oder +auch, zu Friedrich's II. Zeit, in Steuern pour le roi de Prusse. Sie realisirt +sich jetzt im Profit weniger Kapitalisten. Die Spindeln und Webstühle, frü- +her vertheilt über das flache Land, sind jetzt in wenig große Arbeitskaser- +nen zusammengerückt, wie die Arbeiter, wie das Rohmaterial. Und Spin- +deln und Webstühle und Rohmaterial sind aus Mitteln unabhängiger +Existenz für Spinner und Weber von nun an verwandelt in Mittel sie zu +kommandiren 2 3 2) und ihnen unbezahlte Arbeit auszusaugen. Den großen +Manufakturen, wie den großen Pachtungen, sieht man es nicht an, daß sie +aus vielen kleinen Produktionsstätten zusammengeschlagen und durch die +Expropriation vieler kleinen unabhängigen Pro||712|ducenten gebildet +sind. Jedoch läßt sich die unbefangne Anschauung nicht beirren. Zur Zeit +Mirabeau's, des Revolutionslöwen, hießen die großen Manufakturen noch 15 +manufactures réunies, zusammengeschlagne Werkstätten, wie wir von zu- +sammengeschlagnen Aeckern sprechen. „Man sieht nur", sagt Mirabeau, +„die großen Manufakturen, wo Hunderte von Menschen unter einem Di- +rektor arbeiten, und die man gewöhnlich vereinigte Manufakturen (manu- +factures réunies) nennt. Diejenigen dagegen, wo eine sehr große Anzahl 20 +Arbeiter zersplittert und jeder für seine eigne Rechnung arbeitet, werden +kaum eines Blicks gewürdigt. Man stellt sie ganz in den Hintergrund. Dies +ist ein sehr großer Irrthum, denn sie allein bilden einen wirklich wichtigen +Bestandtheil des Volksreichthums ... Die vereinigte Fabrik (fabrique réu- +nie) wird einen oder zwei Unternehmer wunderbar bereichern, aber die Ar- 25 +beiter sind nur besser oder schlechter bezahlte Taglöhner und nehmen in +Nichts am Wohlsein des Unternehmers Theil. In der getrennten Fabrik (fa- +brique séparée) dagegen wird Niemand reich, aber eine Menge Arbeiter +befindet sich im Wohlstand ... Die Zahl der fleißigen und wirthschaftli- +chen Arbeiter wird wachsen, weil sie in weiser Lebensart, in Thätigkeit ein 30 +Mittel erblicken, ihre Lage wesentlich zu verbessern, statt eine kleine +Lohnerhöhung zu gewinnen, die niemals ein wichtiger Gegenstand für die +Zukunft sein kann, sondern die Leute höchstens befähigt, etwas besser von +der Hand in den Mund zu leben. Die getrennten individuellen Manufaktu- +ren, meist mit kleiner Landwirthschaft verbunden, sind die freien" 2 3 3). Die 35 + +2 3 2 ) «Je permettrai», sagt der Kapitalist, «que vous ayez l'honneur de me servir, à condition +que vous me donnez le peu qui vous reste pour la peine que je prends de vous commander.» +(J. J. Rousseau: Discours sur l'Économie Politique.) +2 3 3 ) Mirabeau 1. c. t. Ill, p. 20-109 passim. Wenn Mirabeau die zersplitterten Werkstätten +auch für ökonomischer und produktiver hält, als die „vereinigten", und in den letztren bloß +künstliche Treibhauspflanzen unter der Pflege der Staatsregierungen sieht, erklärt sich das +aus dem damaligen Zustand eines großen Theils der kontinentalen Manufakturen. + +40 + +670 + + Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Expropriation und Verjagung eines Theils des Landvolks setzt mit den Ar- +beitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsmaterial für das indu- +strielle Kapital frei, sie schafft den innern Markt. + +5 + +In der That, die Ereignisse, die die Kleinbauern in Lohnarbeiter und +ihre Lebens- und Arbeitsmittel in sachliche Elemente des Kapitals verwan- +deln, schaffen gleichzeitig diesem letztern seinen inneren Markt. Früher +erzeugte und bearbeitete die Bauernfamilie die Lebensmittel und Roh- +stoffe, die sie nachher größtentheils selbst verzehrte. Diese Rohstoffe und +Lebensmittel sind jetzt Waaren geworden; der Großpächter verkauft sie, in +10 den ||713| Manufakturen findet er seinen Markt. Garn, Leinwand, grobe +Wollenzeuge, Dinge deren Rohstoffe sich im Bereich jeder Bauernfamilie +vorfanden und von ihr zum Selbstgebrauch versponnen und verwebt wur- +den - verwandeln sich jetzt in Manufakturartikel, deren Absatzmarkt +grade die Landdistrikte bilden. Die zahlreiche zerstreute Kundschaft, bis- +15 her bedingt durch eine Menge kleiner, für eigne Rechnung arbeitender +Producenten, koncentrirt sich jetzt zu Einem großen, vom industriellen +Kapital versorgten M a r k t 2 3 4 ) . So geht Hand in Hand mit der Expropriation +früher selbstwirthschaftender Bauern und ihrer Losscheidung von ihren +Produktionsmitteln die Vernichtung der ländlichen Nebenindustrie, der +20 Scheidungsproceß von Manufaktur und Agrikultur. Und nur die Vernich- +tung des ländlichen Hausgewerbes kann dem innern Markt eines Landes +die Ausdehnung und den festen Bestand geben, deren die kapitalistische +Produktionsweise bedarf. + +Jedoch bringt es die eigentliche Manufakturperiode zu keiner radikalen +25 Umgestaltung. Man erinnert sich, daß sie sich der nationalen Produktion +nur sehr stückweis bemächtigt und immer auf städtischem Handwerk und +häuslich-ländlicher Nebenindustrie als breitem Hintergrund ruht. Wenn +sie letztre unter einer Form, in besondren Geschäftszweigen, auf gewissen +Punkten vernichtet, ruft sie dieselbe auf andren wieder hervor, weil sie der- +selben zur Bearbeitung des Rohmaterials bis zu einem bestimmten Grad +bedarf. Sie producirt daher eine neue Klasse kleiner Landleute, welche die +Bodenbestellung als Nebenzweig und die industrielle Arbeit zum Verkauf +des Produkts an die Manufaktur - direkt, oder auf dem Umweg des Kauf- +manns - als Hauptgeschäft treiben. Dies ist ein Grund, wenn auch nicht +35 der Hauptgrund, eines Phänomens, welches den Forscher der englischen + +30 + +2 3 4 ) "Twenty pounds of wool converted unobtrusively into the yearly clothing of a labourer's +family by its own industry in the intervals of other work - this makes no show; but bring it to +market, send it to the factory, thence to the broker, thence to the dealer, and you will have +great commercial operations, and nominal capital engaged to the amount of twenty times its +value ... The working class is thus amerced to support a wretched factory population, a para- +sitical shopkeeping class, and a fictitious commercial, monetary and financial system." +(David Urquhart 1. c. p. 120.) + +40 + +671 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Geschichte zunächst verwirrt. Vom letzten Drittheil des 15. Jahrhunderts + +an findet er fortlaufende nur in gewissen Intervallen unterbrochne Klage + +über die zunehmende Kapitalwirthschaft auf dem Land und die progres- + +sive Vernichtung der Bauerschaft. Andrerseits findet er stets diese Bauer- + +schaft wieder von neuem ||714| vor, wenn auch in verminderter Zahl und + +5 + +unter stets verschlechterter F o r m 2 3 5 ) . Der Hauptgrund ist: England ist vor- + +zugsweise bald Kornbauer, bald Viehzüchter, in Wechselperioden, und mit + +ihnen schwankt der Umfang des bäuerlichen Betriebs. Erst die große Indu- + +strie liefert mit den Maschinen die konstante Grundlage der kapitalisti- + +schen Agrikultur, expropriirt radikal die ungeheure Mehrzahl des Land- 10 + +volks und vollendet die Scheidung zwischen Ackerbau und häuslich-länd- + +lichem Gewerbe, dessen Wurzeln sie ausreißt - Spinnerei und W e b e r e i 2 3 6 ) . + +Sie erobert daher auch erst dem industriellen Kapital den ganzen innern + +M a r k t 2 3 7 ) . + +6. Genesis des industriellen Kapitalisten. + +15 + +Die Genesis des industriellen 2 3 8) Kapitalisten ging nicht in derselben all- + +mähligen Weise vor wie die des Pächters. Zweifelsohne verwandelten sich + +manche kleine Zunftmeister und noch mehr selbständige kleine Handwer- + +ker oder auch Lohnarbeiter in ||715| kleine Kapitalisten, und durch allmäh- + +2 3 5 ) Ausnahme bildet hier Cromwell's Zeit. So lange die Republik währte, erhob sich die eng- 20 +lische Volksmasse in allen Schichten aus der Degradation, wozu sie unter den Tudors gesun- +ken war. +2 3 6 ) Tuckett weiß, daß aus den eigentlichen Manufakturen und der Zerstörung der ländlichen +oder häuslichen Manufaktur, mit Einführung der Maschinerie, die große Wollindustrie her- +vorgeht. (Tuckett 1. c. v.I, pi 142, 143.) „Der Pflug, das Joch waren die Erfindung von Göttern 25 +und die Beschäftigung von Heroen: sind Webstuhl, Spindel und Spinnrad minder edler Ab- +kunft? Ihr trennt das Spinnrad und den Pflug, die Spindel und das Joch, und erhaltet Fabri- +ken und Armenhäuser, Kredit und Paniks, zwei feindliche Nationen, agrikole und kommer- +cielle." (David Urquhart 1. c. p. 122.) Nun kommt aber Carey und klagt, sicher nicht mit +Unrecht, England an, daß es jedes andre Land in ein bloßes Agrikulturvolk zu verwandeln 30 +strebt, dessen Fabrikant England. Er behauptet, in dieser Art sei die Türkei ruinirt worden, +weil „den Eignern und Bebauern des Bodens niemals gestattet war (von England) sich selbst +zu kräftigen durch die natürliche Allianz zwischen dem Pflug und dem Webstuhl, dem Ham- +mer und der Egge". (The Slave Trade, p. 125.) Nach ihm ist Urquhart selbst einer der Haupt- +agenten des Ruins der Türkei, wo er im englischen Interesse Freihandelspropaganda gemacht 35 +habe. Das Beste ist, daß Carey, nebenbei großer Russenknecht, durch das Protektionssystem +jenen Scheidungsproceß, den es beschleunigt, verhindern will. +2 3 7 ) Die philanthropischen englischen Oekonomen wie Mill, Rogers, Goldwin Smith, Fawcett +u.s.w., und liberale Fabrikanten, wie John Bright und Kons., fragen, wie Gott den Kain nach +seinem Bruder Abel, so den englischen Grundaristokraten, wo sind unsre Tausende von Free- 40 +holders hingekommen? Aber wo seid ihr denn hergekommen? Aus der Vernichtung jener +Freeholders. Warum fragt ihr nicht weiter, wo sind die unabhängigen Weber, Spinner, Hand- +werker hingekommen? +2 3 8 ) Industriell hier im Gegensatz zu agrikol. Im „kategorischen" Sinn ist der Pächter ein in- +dustrieller Kapitalist so gut wie der Fabrikant. + +45 + +672 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +10 + +in Kapitalisten sans phrase. + +lig ausgedehntere Exploitation von Lohnarbeit und entsprechende Akku- +In der Kindheitsperiode der +mulation +kapitalistischen Produktion ging's vielfach zu wie in der Kindheitsperiode +des mittelaltrigen Städtewesens, wo die Frage, wer von den entlaufnen +5 Leibeignen soll Meister sein und wer Diener, großentheils durch das frü- +here oder spätere Datum ihrer Flucht entschieden wurde. Indeß entsprach +der Schneckengang dieser Methode in keiner Weise den Handelsbedürfnis- +sen des neuen Weltmarkts, welchen die großen Entdeckungen Ende des +15. Jahrhunderts geschaffen hatten. Aber das Mittelalter hatte zwei ver- +schiedne Formen des Kapitals überliefert, die in den verschiedensten öko- +nomischen Gesellschaftsformationen reifen und, vor der Aera der kapitali- +stischen Produktionsweise, als Kapital quand même gelten +- das +Wucherkapital und das Kaufmannskapital. „Gegenwärtig geht aller Reich- +thum der Gesellschaft erst in die Hand des Kapitalisten . . . e r zahlt dem +15 Grundeigenthümer die Rente, dem Arbeiter den Lohn, dem Steuer- und +Zehntenkollektor ihre Ansprüche, und behält einen großen, in der That +den größten und täglich anwachsenden Theil des jährlichen Produkts der +Arbeit für sich selbst. Der Kapitalist kann jetzt als der Eigner des ganzen +gesellschaftlichen Reichthums in erster Hand betrachtet werden, obgleich +20 kein Gesetz ihm das Recht auf dies Eigenthum übertragen hat ... Dieser +Wechsel im Eigenthum wurde durch das Zinsnehmen auf Kapital be- +wirkt .... und es ist nicht wenig merkwürdig, daß die Gesetzgeber von ganz +Europa dies durch Gesetze wider den Wucher verhindern wollten ... Die +Macht des Kapitalisten über allen Reichthum des Landes ist eine vollstän- +25 dige Revolution im Eigenthumsrecht, und durch welches Gesetz, oder +welche Reihe von Gesetzen wurde sie bewirkt?" 2 3 9). Der Verfasser hätte +sich sagen sollen, daß Revolutionen nicht durch Gesetze gemacht werden. + +30 an seiner Verwandlung + +Das durch Wucher und Handel gebildete Geldkapital wurde durch die +Feudalverfassung auf dem Land, durch die Zunftverfassung in den Städten +industrielles Kapital behindert 2 4 0). Diese +Schranken fielen mit der Auflösung ||716| der feudalen Gefolgschaften, mit +der Expropriation und theilweisen Verjagung des Landvolks. Die neue Ma- +nufaktur ward in See-Exporthäfen errichtet oder auf Punkten des flachen +Landes, außerhalb der Kontrole des alten Städtewesens und seiner Zunft- +35 Verfassung. In England daher erbitterter Kampf der corporate towns gegen + +in + +diese neuen industriellen Pflanzschulen. + +2 3 9 ) „The Natural and Artifical Rights of Property Contrasted. Lond. 1832", p. 98, 99. Verfas- +ser der anonymen Schrift: Th. Hodgskin. +2 4°) Sogar noch 1794 schickten die kleinen Tuchmacher von Leeds eine Deputation an das +40 Parlament, zur Petition um ein Gesetz, das jedem Kaufmann verbieten sollte, Fabrikant zu + +werden. (Dr. Aikin 1. c.) + +673 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, +Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Berg- +werke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die +Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, +bezeichnen die Morgenröthe der kapitalistischen Produktionsära. Diese +idyllischen Processe sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumula- +tion. Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit +dem Erdrund als Schauplatz. Er wird eröffnet durch den Abfall der Nieder- +lande von Spanien, nimmt Riesenumfang an in Englands Antijakobiner- +krieg, spielt noch fort in den Opiumkriegen gegen China u.s.w. + +5 + +10 + +Die verschiednen Momente der ursprünglichen Akkumulation verthei- +len sich nun, mehr oder minder in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf +Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England. In England werden +sie Ende des 17. Jahrhunderts systematisch zusammengefaßt im Kolonial- +system, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Protektionssy- 15 +stem. Diese Methoden beruhn zum Theil auf brutalster Gewalt, z. B. das +Kolonialsystem. Alle aber benutzten die Staatsmacht, die koncentrirte und +organisirte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsproceß der feu- +dalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern +und die Uebergänge abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder al- 20 +ten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine +ökonomische Potenz. + +Von dem christlichen Kolonialsystem sagt ein Mann, der aus dem Chri- +stenthum eine Specialität macht, W. Howitt: „Die Barbareien und ruchlo- +sen Greuelthaten der sog. christlichen Racen, in jeder Region der Welt und 25 +gegen jedes Volk, das sie unterjochen konnten, finden keine Parallele in +irgend einer Aera der Weltgeschichte, bei irgend einer Race, ob noch so +wild und ungebildet, mitleidlos und schamlos" 2 4 1). Die Geschichte der +hollän||717|dischen Kolonialwirthschaft - und Holland war die kapitalisti- +sche Musternation des 17. Jahrhunderts - „entrollt ein unübertreffbares 30 +Gemälde von Verrath, Bestechung, Meuchelmord und Niedertracht" 2 4 2). +Nichts charakteristischer als ihr System des Menschendiebstahls in Cele- +bes, um Sklaven für Java zu erhalten. Die Menschenstehler wurden zu die- +sem Zweck abgerichtet. Der Dieb, der Dolmetscher und der Verkäufer +waren die Hauptagenten + +in diesem Handel, eingeborne Prinzen die 35 + +2 4 1 ) William Howitt: ,,Colonization and Christianity. A Popular History of the Treatment of +the Natives by the Europeans in all their Colonies. Lond. 1838", p. 9. Ueber die Behandlung +der Sklaven gute Kompilation bei Charles Comte: ,,Traité de la Législation. 3me éd. Bruxelles +1837". Man muß dieß Zeug im Detail studiren, um zu sehn, wozu der Bourgeois sich selbst +und den Arbeiter macht, wo er die Welt ungenirt nach seinem Bilde modeln kann. +2 4 2 ) Thomas Stamford Raffles, late Lieut. Gov. of that island: „Java and its dependencies. +Lond. 1817". + +40 + +674 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Hauptverkäufer. Die weggestohlne Jugend wurde in den Geheimgefängnis- +sen von Celebes versteckt, bis reif zur Verschickung auf die Sklavenschiffe. +Ein officieller Bericht sagt: „Diese eine Stadt von Makassar ζ. Β. ist voll +von geheimen Gefängnissen, eins schauderhafter als das andre, gepfropft +5 mit Elenden, Opfern der Habsucht und Tyrannei, in Ketten gefesselt, ihren +Familien gewaltsam entrissen." Um sich Malacca's zu bemächtigen, besta- +chen die Holländer den portugiesischen Gouverneur. Er ließ sie 1641 in +die Stadt ein. Sie eilten sofort zu seinem Hause und meuchelmordeten +ihn, um auf die Zahlung der Bestechungssumme von 21 875 Pfd. St. zu +10 „entsagen". Wo sie die Füße hinsetzten, folgte Verödung und Entvölke- +rung. Banjuwangi, eine Provinz von Java, zählte 1750 über 80 000 Einwoh- +ner, 1811 nur noch 8000. Das ist der doux commerce! + +Die englisch-ostindische Kompagnie erhielt bekanntlich, außer der poli- +tischen Herrschaft in Ostindien, das ausschließliche Monopol des Thee- +15 handels, wie des chinesischen Handels überhaupt und des Gütertransports +von und nach Europa. Aber die Küstenschiffahrt von Indien und zwischen +den Inseln, wie der Handel im Innern Indiens wurden Monopol der höhern +Beamten der Kompagnie. Die Monopole von Salz, Opium, Betel und and- +ren Waaren waren unerschöpfliche Minen des Reichthums. Die Beamten +20 selbst setzten die Preise fest und schänden nach Belieben den unglückli- +chen Hindu. Der Generalgouverneur nahm Theil an diesem Privathandel. +Seine Günstlinge erhielten Kontrakte unter Bedingungen, wodurch sie, +klüger als die Alchimisten, aus Nichts Gold machten. Große Vermögen +sprangen wie die Pilze an einem Tage auf, die ursprüngliche Akkumula- +tion ging von Statten ohne ||718| Vorschuß eines Schillings. Die gerichtli- +che Verfolgung des Warren Hastings wimmelt von solchen Beispielen. Hier +ein Fall. Ein Opiumkontrakt wird einem gewissen Sullivan zugetheilt, im +Augenblick seiner Abreise - in öffentlichem Auftrage - nach einem von +den Opiumdistrikten ganz entlegnen Theil Indiens. Sullivan verkauft sei- +30 nen Kontrakt für 40 000 Pfd. St. an einen gewissen Benn, Benn verkauft +ihn denselben Tag für 60 000 Pfd. St. und der schließliche Käufer und Aus- +führer des Kontrakts erklärt, daß er hinterher noch einen ungeheuren Ge- +winn herausschlug. Nach einer dem Parlament vorgelegten Liste ließen +sich die Kompagnie und ihre Beamten von 1 7 5 7 - 1 7 6 6 von den Indiern +35 6 Millionen Pfd. St. schenken! Zwischen 1769 und 1770 fabricirten die +Engländer eine Hungersnoth durch den Aufkauf von allem Reis und durch +Weigerung des Wiederverkaufs außer zu fabelhaften Preisen 2 4 3). + +25 + +Die Behandlung der Eingebornen war natürlich am tollsten in den nur + +2 4 3 ) Im Jahr 1866 starben in der einzigen Provinz Orissa mehr als eine Million Hindus am +40 Hungertod. Nichtsdestoweniger suchte man die indische Staatskasse zu bereichern durch die + +Preise, wozu man den Verhungernden Lebensmittel abließ. + +675 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +zum Exporthandel bestimmten Pflanzungen, wie Westindien, und in den +dem Raubmord preisgegebenen reichen und dichtbevölkerten Ländern, +wie Mexico und Ostindien. Jedoch auch in den eigentlichen Kolonien ver- +läugnete sich der christliche Charakter der ursprünglichen Akkumulation +nicht. Jene nüchternen Virtuosen des Protestantismus, die Puritaner Neu- +Englands, setzten 1703 durch Beschlüsse ihrer Assembly eine Prämie von +40 Pfd. St. auf jedes indianische Scalp und jede gefangne Rothhaut, 1722 +Prämie von 100 Pfd. St. auf jedes Scalp, 1744, nachdem Massachusetts-Bay +einen gewissen Stamm zum Rebellen erklärt hatte, folgende Preise: für +männliches Scalp, 12 Jahre und darüber, 100 Pfd. St. neuer Währung, für 10 +männliche Gefangne 105 Pfd. St., für gefangne Weiber und Kinder 55 Pfd. +St., für Scalps von Weibern und Kindern 50 Pfd. St.! Einige Decennien +später rächte sich das Kolonialsystem an der unterdeß aufrührerisch ge- +wordnen Nachkommenschaft der frommen pilgrim fathers. Unter engli- +schem Antrieb und Sold wurden sie tomahawked. Das britische Parlament 15 +erklärte Bluthunde und Scalpiren für „Mittel, welche Gott und die Natur +in seine Hand gegeben". + +5 + +Das Kolonialsystem reifte treibhausmäßig Handel und Schiffahrt. Die +„Gesellschaften Monopolia" (Luther) waren gewaltige ||719| Hebel der Ka- +pital-Koncentration. Den aufschießenden Manufakturen sicherte die KoIo- 20 +nie Absatzmarkt und eine durch das Marktmonopol potenzirte Akkumula- +tion. Der außerhalb Europa direkt durch Plünderung, Versklavung und +Raubmord erbeutete Schatz floß ins Mutterland zurück und verwandelte +sich hier in Kapital. Holland, welches das Kolonialsystem zuerst völlig ent- +wickelte, stand schon 1648 im Brennpunkt seiner Handelsgröße. Es war „in 25 +fast ausschließlichem Besitz des ostindischen Handels und des Verkehrs +zwischen dem europäischen Südwesten und Nordosten. Seine Fischereien, +Seewesen, Manufakturen übertrafen die eines jeden andren Landes. Die +Kapitalien der Republik waren vielleicht bedeutender als die des übrigen +Europa insgesammt". Gülich vergißt hinzuzusetzen: Hollands Volksmasse 30 +war schon 1648 mehr überarbeitet, verarmter und brutaler unterdrückt als +die des übrigen Europas insgesammt. + +Heutzutage führt industrielle Suprematie die Handelssuprematie mit +sich. In der eigentlichen Manufakturperiode dagegen ist es die Handelssu- +prematie, die die industrielle Vorherrschaft giebt. Daher die vorwiegende 35 +Rolle, die das Kolonialsystem damals spielte. Es war „der fremde Gott", +der sich neben die alten Götzen Europas auf den Altar stellte und sie eines +schönen Tages mit einem Schub und Bautz sämmtlich über den Haufen +warf. Es proklamirte die Plusmacherei als letzten und einzigen Zweck der +Menschheit. + +40 + +Das System des öffentlichen Kredits, d.h. der Staatsschulden, dessen Ur- + +676 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Sprünge wir in Genua und Venedig schon im Mittelalter entdecken, nahm +Besitz von ganz Europa während der Manufakturperiode. Das Kolonialsy- +stem mit seinem Seehandel und seinen Handelskriegen diente ihm als +Treibhaus. So setzte es sich zuerst in Holland fest. Die Staatsschuld, d. h. +5 die Veräußerung des Staats - ob despotisch, konstitutionell oder republi- +kanisch - drückt der kapitalistischen Aera ihren Stempel auf. Der einzige +Theil des sogenannten Nationalreichthums, der wirklich in den Gesammt- +besitz der modernen Völker eingeht, ist - ihre Staatsschuld 2 4 3 a ) - Daher +ganz konsequent die moderne Doktrin, daß ein Volk um so reicher wird, je +tiefer es sich verschuldet. Der öffentliche Kredit wird zum Credo des Kapi- +tals. Und mit dem Entstehen der S t aats ver s chuldung tritt an die Stelle der | +17201 Sünde gegen den heiligen Geist, für die keine Verzeihung ist, der +Treubruch an der Staatsschuld. + +10 + +15 + +Die öffentliche Schuld wird einer der energischsten Hebel der ursprüng- +liehen Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wünschelruthe begabt sie +das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so in Kapital, +ohne daß es dazu nöthig hätte sich der von industrieller und selbst wuche- +rischer Anlage unzertrennlichen Mühwaltung und Gefahr auszusetzen. +Die Staatsgläubiger geben in Wirklichkeit nichts, denn die geliehene +20 Summe wird in öffentliche leicht übertragbare Schuldscheine verwandelt, +die in ihren Händen fortfungiren ganz als wären sie eben soviel Baargeld. +Aber auch abgesehn von der so geschaffnen Klasse müßiger Rentner und +von dem improvisirten Reichthum der zwischen Regierung und Nation die +Mittler spielenden Financiers - wie auch von dem der Steuerpächter, +25 Kaufleute, Privatfabrikanten, denen ein gut Stück jeder Staatsanleihe den +Dienst eines vom Himmel gefallenen Kapitals leistet - hat die Staats- +schuld die Aktiengesellschaften, den Handel mit negociablen Effekten +aller Art, die Agiotage emporgebracht, in einem Wort: das Börsenspiel und +die moderne Bankokratie. + +30 + +Von ihrer Geburt an waren die mit nationalen Titeln aufgestutzten gro- +ßen Banken nur Gesellschaften von Privatspekulanten, die sich den Regie- +rungen an die Seite stellten und, Dank den erhaltenen Privilegien, ihnen +Geld vorzuschießen im Stande waren. Daher hat die Akkumulation der +Staatsschuld keinen unfehlbareren Gradmesser als das successive Steigen +35 der Aktien dieser Banken, deren volle Entfaltung von der Gründung der +Bank von England datirt (1694). Die Bank von England begann damit, der +Regierung ihr Geld zu 8 % zu verleihen; gleichzeitig war sie vom Parlament +ermächtigt, aus demselben Kapital Geld zu münzen, indem sie es dem Pu- +blikum nochmals in Form von Banknoten lieh. Sie durfte mit diesen No- + +40 2 4 3 a) William Cobbett bemerkt, daß in England alle öffentlichen Anstalten als „königliche" +bezeichnet werden, zum Ersatz dafür gab es jedoch die „National"-Schuld (national debt). + +677 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +ten Wechsel diskontiren, Waaren beleihen und edle Metalle einkaufen. Es +dauerte nicht lange, so wurde dies von ihr selbst fabricirte Kreditgeld die +Münze, worin die Bank von England dem Staat Anleihen machte und für +Rechnung des Staats die Zinsen der öffentlichen Schuld bezahlte. Nicht +genug, daß sie mit einer Hand gab, um mit der andern mehr zurückzuemp- +fangen; sie blieb auch, während sie empfing, ewige Gläubigerin der Nation +bis zum letzten gegebnen Heller. Allmählig wurde sie der unvermeidliche +Behälter der Metallschätze des Landes und das Gravitationscentrum des +ge||721|sammten Handelskredits. Um dieselbe Zeit, wo man in England +aufhörte Hexen zu verbrennen, fing man dort an, Banknotenfälscher zu 10 +hängen. Welchen Effekt auf die Zeitgenossen das plötzliche Auftauchen +dieser Brut von Bankokraten, Financiers, Rentiers, Maklern, Stockjobbers +und Börsenwölfen machte, beweisen die Schriften jener Zeit, z . B . Boling- +broke's 2 4 3 b). + +5 + +Mit den Staatsschulden entstand ein internationales Kreditsystem, das 15 + +häufig eine der Quellen der ursprünglichen Akkumulation bei diesem oder +jenem Volk versteckt. So bilden die Gemeinheiten des venetianischen +Raub systems eine solche verborgne Grundlage des Kapitalreichthums von +Holland, dem das verfallende Venedig große Geldsummen lieh. Ebenso +verhält es sich zwischen Holland und England. Schon im Anfang des 20 +18. Jahrhunderts sind die Manufakturen Hollands weit überflügelt und hat +es aufgehört, herrschende Handels- und Industrienation zu sein. Eins sei- +ner Hauptgeschäfte von 1 7 0 1 - 1 7 7 6 wird daher das Ausleihen ungeheurer +Kapitalien, speciell an seinen mächtigen Konkurrenten England. Aehnli- +ches gilt heute zwischen England und den Vereinigten Staaten. Manch Ka- 25 +pital, das heute in den Vereinigten Staaten ohne Geburtsschein auftritt, ist +erst gestern in England kapitalisirtes Kinderblut. + +Da die Staatsschuld ihren Rückhalt in den Staatseinkünften hat, die die +jährlichen Zins- u.s.w. Zahlungen decken müssen, so wurde das moderne +Steuersystem nothwendige Ergänzung des Systems der Nationalanleihen. 30 +Die Anleihen befähigen die Regierung außerordentliche Ausgaben zu be- +streiten, ohne daß der Steuerzahler es sofort fühlt, aber sie erfordern doch +für die Folge erhöhte Steuern. Andrerseits zwingt die durch Anhäufung +nach einander kontrahirter Schulden verursachte Steuererhöhung die Re- +gierung, bei neuen außerordentlichen Ausgaben stets neue Anleihen auf- 35 +zunehmen. Die moderne Fiskalität, deren Drehungsaxe die Steuern auf die +nothwendigsten Lebensmittel (also deren Vertheuerung) bilden, trägt da- +her in sich selbst den Keim automatischer Progression. Die Ueberbesteue- + +2 4 3 b ) «Si les Tartares inondaient l'Europe aujourd'hui, il faudrait bien des affaires pour leur +faire entendre ce que c'est qu'un financier parmi nous.» Montesquieu, „Esprit des lois" t. IV, 40 +p. 33, éd. Londres 1769. + +678 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +rung ist nicht ein Zwischenfall, sondern vielmehr Princip. In Holland, wo +dies System zuerst inaugurirt, hat daher der große Patriot De Witt es in sei- +nen Maximen gefeiert als das beste System, um den Lohnarbeiter unter- +würfig, frugal, fleißig und ... mit Arbeit überladen zu ||722| machen. Der +5 zerstörende Einfluß, den es auf die Lage der Lohnarbeiter ausübt, geht uns +hier jedoch weniger an als die durch es bedingte gewaltsame Expropriation +des Bauern, des Handwerkers, kurz aller Bestandtheile der kleinen Mittel- +klasse. Darüber bestehn keine zwei Meinungen, selbst nicht bei den bür- +gerlichen Oekonomen. Verstärkt wird seine expropriirende Wirksamkeit +10 noch durch das Protektionssystem, das einer seiner integrirenden Theile + +ist. + +Der große Antheil an der Kapitalisation des Reichthums und der Expro- +priation der Massen, der auf die öffentliche Schuld und das ihr entspre- +chende Fiskalitätssystem fällt, hat eine Menge Schriftsteller wie Cobbett, +15 Doubleday und andre, dahin geführt, mit Unrecht hierin die Grundursache + +des Elends der modernen Völker zu suchen. + +Das Protektionssystem war ein Kunstmittel, Fabrikanten zu fabriciren, +unabhängige Arbeiter zu expropriiren, die nationalen Produktions- und +Lebensmittel zu kapitalisiren, den Uebergang aus der alterthümlichen in +20 die moderne Produktionsweise gewaltsam abzukürzen. Die europäischen +Staaten rissen sich um das Patent dieser Erfindung, und einmal in den +Dienst der Plusmacher eingetreten, brandschatzten sie zu jenem Behuf +nicht nur das eigne Volk, indirekt durch Schutzzölle, direkt durch Export- +prämien u. s. w. In den abhängigen Nebenlanden wurde alle Industrie ge- +25 waltsam ausgerodet, wie z.B. die irische Wollmanufaktur durch England. +Auf dem europäischen Kontinent ward nach Colbert's Vorgang der Proceß +noch sehr vereinfacht. Das ursprüngliche Kapital des Industriellen fließt +hier zum Theil direkt aus dem Staatsschatz. „Warum", ruft Mirabeau, „so +weit die Ursache des Manufakturglanzes Sachsens vor dem siebenjährigen + +30 Krieg suchen gehn? 180 Millionen Staatsschulden" 2 4 4)! + +Kolonialsystem, Staatsschulden, Steuerwucht, Protektion, Handelskriege +u. s. w., diese Sprößlinge der eigentlichen Manufakturperiode, schwellen +riesenhaft während der Kinderperiode der großen Industrie. Die Geburt +der letztren wird gefeiert durch den großen herodischen Kinderraub. Wie +35 die königliche Flotte, rekrutiren sich die Fabriken vermittelst der Presse. +So blasirt Sir F. M. Eden ist über die Greuel der Expropriation des Land- +volks von Grund und Boden seit dem letzten Drittel des 15. Jahr||723|hun- +derts bis zu seiner Zeit, dem Ende des 18. Jahrhunderts; so selbstgefällig er + +2 4 4 ) «Pourquoi aller chercher si loin la cause de l'éclat manufacturier de la Saxe avant la +40 guerre? Cent quatre-vingt millions de dettes faites par les souverains!» Mirabeau 1. c. t. VI, + +p. 101. + +679 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +10 + +15 + +gratulirt zu diesem Proceß, „nothwendig", um die kapitalistische Agrikul- +tur und „das wahre Verhältniß von Ackerland und Viehweide herzustel- +len", beweist er dagegen nicht dieselbe ökonomische Einsicht in die Noth- +wendigkeit des Kinderraubs und der Kindersklaverei für die Verwandlung +des Manufakturbetriebs in den Fabrikbetrieb und die Herstellung des wah- +ren Verhältnisses von Kapital und Arbeitskraft. Er sagt: „Es mag vielleicht +der Erwägung des Publikums werth sein, ob irgend eine Manufaktur, die zu +ihrer erfolgreichen Ausführung Cottages und Workhouses von armen Kin- +dern ausplündern muß, damit sie, truppweis sich ablösend, den größten +Theil der Nacht durch abgerackert und der Ruhe beraubt werden; eine Ma- +nufaktur, die außerdem Haufen beiderlei Geschlechts, von verschiednen +Altersstufen und Neigungen, so zusammenhudelt, daß die Ansteckung des +Beispiels zu Verworfenheit und Liederlichkeit führen muß, - ob solch eine +Manufaktur die Summe des nationalen und individuellen Glücks vermeh- +ren kann" 2 4 5)? „In Derbyshire, Nottinghamshire und besonders Lanca- +shire", sagt Fielden, „wurde die jüngst erfundne Maschinerie angewandt in +großen Fabriken, dicht bei Strömen fähig das Wasserrad zu drehn. Tau- +sende von Händen waren plötzlich erheischt an diesen Plätzen, fern von +den Städten; und Lancashire namentlich, bis zu jener Zeit vergleichungs- +weis dünn bevölkert und unfruchtbar, bedurfte jetzt vor allem einer Popu- +lation. Die kleinen und flinken Finger waren vor allem in Requisition. So- +fort sprang die Gewohnheit auf, Lehrlinge (!) aus den verschiednen +Pfarrei-Workhouses von London, Birmingham und sonstwo zu beziehn. +Viele, viele Tausende dieser kleinen hülflosen Kreaturen, vom 7. bis zum +13. oder 14. Jahr, wurden so nach dem Norden spedirt. Es war die Gewohn- 25 +heit für den Meister (d. h. den Kinderdieb), seine Lehrlinge zu kleiden, +nähren und logiren in einem Lehrlingshaus nah bei der Fabrik. Aufseher +wurden bestellt, um ihre Arbeit zu überwachen. Es war das Interesse dieser +Sklaventreiber, die Kinder aufs Aeußerste abzuarbeiten, denn ihre Zah- +lung stand im Verhältniß zum Produktenquantum, das aus dem Kind er- 30 +preßt werden konnte. Grausamkeit war natürliche Folge .... In vielen Fa- +brikdistrikten, besonders Lancashire's, wurden die herzzerreißendsten +Torturen verübt an diesen harmlosen und freundlosen Kreaturen, die den | +|724| Fabrikherrn konsignirt waren. Sie wurden zu Tod gehetzt durch Ar- +beitsexcesse ... sie wurden gepeitscht, gekettet und gefoltert mit dem aus- 35 +gesuchtesten Raffinement von Grausamkeit; sie wurden in vielen Fällen +bis auf die Knochen ausgehungert, während die Peitsche sie an der Arbeit +h i e l t . . . . Ja in einigen Fällen wurden sie zum Selbstmord getrieben! ... Die +schönen und romantischen Thäler von Derbyshire, Nottinghamshire und + +20 + +2 4 5 ) Eden 1. c. b. II, ch. I, p. 420-422. + +40 + +680 + + Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +Lancashire, abgeschlossen vom öffentlichen Auge, wurden grause Einöden +... Die Profite der Fabrikanten waren +von Tortur und - oft von Mord! +enorm. Das wetzte nur ihren Wehrwohlfsheißhunger. Sie begannen die +Praxis der Nachtarbeit, d. h. nachdem sie eine Gruppe Hände durch das +5 Tagwerk gelähmt, hielten sie eine andre Gruppe für das Nachtwerk bereit; +die Tagesgruppe wanderte in die Betten, welche die Nachtgruppe grade ver- +lassen hatte und vice versa. Es ist. Volksüberlieferung in Lancashire, daß +die Betten nie abkühlten" 2 4 6). + +Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion während der Ma- +io nufakturperiode hatte die öffentliche Meinung von Europa den letzten +Rest von Schamgefühl und Gewissen eingebüßt. Die Nationen renommir- +ten cynisch mit jeder Infamie, die ein Mittel zu Kapitalakkumulation. Man +lese z . B . die naiven Handelsannalen des Biedermanns A.Anderson. Hier +wird es als Triumph englischer Staatsweisheit ausposaunt, daß England im +15 Frieden von Utrecht den Spaniern durch den Asientovertrag das Privile- +gium abzwang, den Negerhandel, den es bisher nur zwischen Afrika | +|725| und dem englischen Westindien betrieb, nun auch zwischen Afrika +und dem spanischen Amerika betreiben zu dürfen. England erhielt das +Recht, das spanische Amerika bis 1743 jährlich mit 4800 Negern zu versor- +20 gen. Dies gewährte zugleich einen offiziellen Deckmantel für den briti- +schen Schmuggel. Liverpool wuchs groß auf der Basis des Sklavenhandels. +Er bildet seine Methode der ursprünglichen Akkumulation. Und bis heut- +zutag blieb die Liverpooler „Ehrbarkeit" Pindar des Sklavenhandels, wel- +cher - vgl. die citirte Schrift des Dr. Aikin von 1795 - „den kommerciellen +25 Unternehmungsgeist bis zur Leidenschaft steigere, famose Seeleute bilde +und enormes Geld einbringe". Liverpool beschäftigte 1730 im Sklavenhan- +del 15 Schiffe, 1751: 53, 1760: 74, 1770: 96 und 1792: 132. + +2 4 6 ) John Fielden I.e. p.5, 6. Ueber die ursprünglichen Infamien des Fabrikwesens vgl. Dr. Ai- +kin (1795) I.e. p.219 und Gisborne: ,,Enquiry into the duties of men. 1795", v. II. - Da die +30 Dampfmaschine die Fabriken von den ländlichen Wasserfällen weg in die Mitte von Städten +verpflanzte, fand der „entsagungslustige" Plusmacher das Kindermaterial nun zur Hand, ohne +gewaltsame Sklavenzufuhr aus den Workhouses. - Als Sir R.Peel (Vater des „Ministers der +Plausibilität") seine Bill zum Schutz der Kinder 1815 einbrachte, erklärte F. Horner (lumen +des Bullion-Comités und intimer Freund Ricardo's) im Unterhaus: „Es ist notorisch, daß mit +35 den Effekten eines Banqueroutier's eine Bande, wenn er solchen Ausdruck brauchen dürfe, +von Fabrikkindern zur Auktion öffentlich, als Theil des Eigenthums, annoncirt und losge- +schlagen wurde. Vor zwei Jahren (1813) kam ein abscheulicher Fall vor die King's Bench. Es +handelte sich um eine Anzahl Knaben. Eine Pfarrei von London hatte sie einem Fabrikanten +Übermacht, der übertrug sie wieder auf einen andren. Sie wurden schließlich von einigen +40 Menschenfreunden in einem Zustand absoluter Verhungerung (absolute famine) entdeckt. +Ein andrer Fall, noch abscheulicher, sei zu seiner Kenntniß als Mitglied des parlamentari- +schen Untersuchungscomités gebracht worden. Vor nicht vielen Jahren schlössen eine Londo- +ner Pfarrei und ein Fabrikant von Lancashire einen Vertrag, wodurch stipulirt wurde, daß er +auf je 20 gesunde Kinder einen Idioten mit in den Kauf zu nehmen habe." + +681 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +Während sie die Kindersklaverei in England einführte, gab die Baum- + +wollindustrie zugleich den Anstoß zur Verwandlung der früher mehr oder + +minder patriarchalischen Sklavenwirthschaft der Vereinigten Staaten in + +ein kommercielles Exploitationssystem. Ueberhaupt bedurfte die verhüllte + +Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piédestal die Sklaverei sans + +5 + +phrase in der neuen W e l t 2 4 7 ) . + +Tantae molis erat, die „ewigen Naturgesetze" der kapitalistischen Pro- + +duktionsweise zu entbinden, den Scheidungsproceß zwischen Arbeitern + +und Arbeitsbedingungen zu vollziehn, auf dem einen Pol die gesellschaftli- + +chen Produktions- und Lebensmittel in Kapital zu verwandeln, auf dem 10 + +Gegenpol die Volksmasse in Lohnarbeiter, in freie „arbeitende Arme", dies + +Kunstprodukt der modernen G e s c h i c h t e 2 4 8 ) . Wenn das Geld, nach Augier, + +„mit natürlichen Blut||726|flecken auf einer Backe zur Welt k o m m t " 2 4 9 ) , so + +das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztrie- + +f e n d 2 5 0 ) . + +15 + +247) 1790 kamen im englischen Westindien 10 Sklaven auf 1 Freien, im französischen 14 auf +1, im holländischen 23 auf 1. (Henry Brougham: An Inquiry into the Colonial Policy of the +European Powers. Edinb. 1803, v. II, p. 74.) +2 4 8 ) Der Ausdruck ,,labouring poor" findet sich in den englischen Gesetzen vom Augenblick, +wo die Klasse der Lohnarbeiter bemerkenswerth wird. Die ,,labouring poor" stehn im Gegen- 20 +satz, einerseits zu den ,,idle poor", Bettlern u. s. w., andrerseits zu den Arbeitern, die noch +keine gepflückten Hühner, sondern Eigenthümer ihrer Arbeitsmittel sind. Aus dem Gesetz +ging der Ausdruck ,,labouring poor" in die politische Oekonomie über, von Culpeper, J. Child +u. s. w. bis A. Smith und Eden. Danach beurtheile man die bonne foi des ,,execrable political +cantmonger" Edmund Burke, wenn er den Ausdruck ,,labouring poor" für ,,execrable political 25 +cant" erklärt. Dieser Sykophant, der im Sold der englischen Oligarchie den Romantiker ge- +genüber der französischen Revolution spielte, ganz wie er, im Sold der nordamerikanischen +Kolonien beim Beginn der amerikanischen Wirren, gegenüber der englischen Oligarchie den +Liberalen gespielt hatte, war durch und durch ordinärer Bourgeois: „Die Gesetze des Handels +sind die Gesetze der Natur und folglich die Gesetze Gottes." (E. Burke 1. c. p. 32.) Kein Wun- 30 +der, daß er, den Gesetzen Gottes und der Natur getreu, stets sich selbst auf dem besten Markt +verkauft hat! Man findet in des Rev. Tucker's Schriften - Tucker war Pfaff und Tory, im übri- +gen aber anständiger Mann und tüchtiger politischer Oekonom - sehr gute Charakteristik die- +ses Edmund Burke während seiner liberalen Zeit. Bei der infamen Charakterlosigkeit, die +heutzutag herrscht und devotest an „die Gesetze des Handels" glaubt, ist es Pflicht wieder 35 +und wieder die Burkes zu brandmarken, die sich von ihren Nachfolgern nur durch eins unter- +scheiden - Talent! +2 4 9 ) Marie Augier: „Du Crédit Public". +2 5°) „Kapital", sagt der Quarterly Reviewer, „flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Na- +tur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor 40 +Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entspre- +chendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Procent sicher, und man kann es überall anwenden; +20 Procent, es wird lebhaft; 50 Procent, positiv waghalsig; für 100 Procent stampft es alle +menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Procent, und es existirt kein Verbrechen, das es +nicht riskirt, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es 45 +sie beide enkouragiren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel." (T.J.Dunning I.e. p.35, 36.) + +682 + + Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation + +7. Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation. + +Worauf kommt die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, d. h. seine +historische Genesis, hinaus? Soweit sie nicht unmittelbare Verwandlung +von Sklaven und Leibeignen in Lohnarbeiter, also bloßer Formwechsel ist, +5 bedeutet sie nur die Expropriation der unmittelbaren Producenten, d. h. + +die Auflösung des auf eigner Arbeit beruhenden Privateigenthums. + +Privateigenthum, als Gegensatz zum gesellschaftlichen, kollektiven Ei- +genthum, besteht nur da, wo die Arbeitsmittel und die äußeren Bedingun- +gen der Arbeit Privatleuten gehören. Je nachdem aber diese Privatleute die +10 Arbeiter oder die Nichtarb eiter sind, hat auch das Privateigenthum einen +andern Charakter. Die unendlichen Schattirungen, die es auf den ersten +Blick darbietet, spiegeln nur die zwischen diesen beiden Extremen liegen- +den Zwischenzustände wieder. + +Das Privateigenthum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die +15 Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine nothwendige Bedin- +gung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien +Individualität des Arbeiters selbst. Allerdings existirt diese Produktions- +weise auch innerhalb der Sklaverei, Leibeigenschaft und andrer Abhängig- +keitsverhältnisse. Aber sie blüht nur, schnellt nur ihre ganze Energie, er- +20 obert nur ||727| die adäquate klassische Form, wo der Arbeiter freier +Privateigenthümer seiner von ihm selbst gehandhabten Arb eitsb e dingun- +gen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der Handwerker des Instru- +ments, worauf er als Virtuose spielt. + +Diese Produktionsweise unterstellt Zersplitterung des Bodens und der +25 übrigen Produktionsmittel. Wie die Koncentration der letztren, so schließt +sie auch die Kooperation, Theilung der Arbeit innerhalb derselben Produk- +tionsprocesse, gesellschaftliche Beherrschung und Reglung der Natur, freie +Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte aus. Sie ist nur verträg- +lich mit engen naturwüchsigen Schranken der Produktion und der Gesell- +30 schaft. Sie verewigen wollen, hieße, wie Pecqueur mit Recht sagt, „die all- +gemeine Mittelmäßigkeit dekretiren". Auf einem gewissen Höhegrad +bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur Welt. Von +diesem Augenblick regen sich Kräfte und Leidenschaften im Gesellschafts- +schoße, welche sich von ihr gefesselt fühlen. Sie muß vernichtet werden, +35 sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Verwandlung der individuellen +und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich koncentrirte, daher +des zwerghaften Eigenthums Vieler in das massenhafte Eigenthum Weni- +ger, daher die Expropriation der großen Volksmasse von Grund und Boden +und Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese furchtbare und schwie- + +683 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulatiönsprozeß des Kapitals + +rige Expropriation der Volksmasse bildet die Vorgeschichte des Kapitals. +Sie umfaßt eine Reihe gewaltsamer Methoden, wovon wir nur die epoche- +machenden als Methoden der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals +Revue passiren ließen. Die Expropriation der unmittelbaren Producenten +wird mit schonungslosestem Vandalismus und unter dem Trieb der infam- +sten, schmutzigsten, kleinlichst gehässigsten Leidenschaften vollbracht. +Das selbst erarbeitete, sozusagen auf Verwachsung des einzelnen, unab- +hängigen Arbeitsindividuums mit seinen Arb eitsb e dingung en beruhende +Privateigenthum wird verdrängt durch das kapitalistische Privateigenthum, +welches auf Exploitation fremder, aber formell freier Arbeit beruht 2 5 1). + +5 + +10 + +Sobald dieser Umwandlungsproceß nach Tiefe und Umfang die alte Ge- +sellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre +Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische +Produktionsweise auf eignen Füßen steht, ||728| gewinnt die weitere Verge- +sellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und andrer 15 +Produktionsmittel in gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche +Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigenthümer, +eine neue Form. Was jetzt zu expropriiren, ist nicht länger der selbstwirth- +schaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitirende Kapitalist. + +Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Ge- 20 + +setze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Centralisation der +Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele todt. Hand in Hand mit dieser Cen- +tralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch Wenige entwik- +kelt sich die kooperative Form des Arbeitsprocesses auf stets wachsender +Stufenleiter, die bewußte technische Anwendung der Wissenschaft, die 25 +planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in +nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Oekonomisirung aller Pro- +duktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinirter, +gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung aller Völker in das Netz des +Weltmarkts, und damit der internationale Charakter des kapitalistischen 30 +Regimes. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, wel- +che alle Vortheile dieses Umwandlungsprocesses usurpiren und monopoli- +siren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Ent- +artung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden +und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprocesses 35 +selbst geschulten, vereinten und organisirten Arbeiterklasse. Das Kapital- +monopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm auf- +geblüht ist. Die Centralisation der Produktionsmittel und die Vergesell- + +25 r ) «Nous sommes dans une condition tout-à-fait nouvelle de la société ... nous tendons à +séparer toute espèce de propriété d'avec toute espèce de travail.» (Sismondi: ,,Nouveaux Prin- 40 +cipes de l'Écon. Polit." t. II, p. 434.) + +684 + + Fünfundzwanzigstes.Kapitel · Die moderne Kolonisationstheorie + +schaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden +mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapi- +talistischen Privateigenthums schlägt. Die Expropriateurs werden expro- +priirt. + +5 + +Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalisti- +sche Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigenthum, ist die +erste Negation des individuellen, auf eigne Arbeit gegründeten Privatei- +genthums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Nothwen- +digkeit eines Naturprocesses ihre eigne Negation. Es ist Negation der Ne- +10 gation. Diese stellt nicht das Privateigenthum wieder her, wohl aber das +individuelle Eigenthum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalisti- +schen ||729| Aera: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und +der durch die Arbeit selbst producirten Produktionsmittel. + +Die Verwandlung des auf eigner Arbeit der Individuen beruhenden, zer- +15 splitterten Privateigenthums in kapitalistisches ist natürlich ein Proceß, +ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung des that- +sächlich bereits auf gesellschaftlichem Pro duktionsb e trieb beruhenden ka- +pitalistischen Eigenthums in gesellschaftliches. Dort handelte es sich um +die Expropriation der Volksmasse durch wenige Usurpatoren, hier handelt +20 es sich um die Expropriation weniger Usurpatoren durch die Volks- + +masse 2 5 2). + +F Ü N F U N D Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . + +Die moderne Kolonisationstheorie 2 5 3). + +Die politische Oekonomie verwechselt principiell zwei sehr verschiedne +25 Sorten Privateigenthum, wovon das eine auf eigner Arbeit des Producenten +beruht, das andre auf der Ausbeutung fremder Arbeit. Sie vergißt, daß das +2 5 2 ) „Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandloser Träger die Bour- +geoisie ist, setzt an die Stelle der Isolirung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutio- +näre Vereinigung durch die Association. Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also +30 unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie producirt und +die Produkte sich aneignet. Sie producirt also vor allem ihre eignen Todtengräber. Ihr Unter- +gang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich ... Von allen Klassen, welche +heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehn, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre +Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehn unter mit der großen Industrie, das Prole- +tariat ist ihr eigenstes Produkt ... Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kauf- +mann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als +Mittelstände vor dem Untergang zu sichern ... sie sind reaktionär, denn sie suchen das Rad +der Geschichte zurückzudrehn." (Karl Marx und F. Engels: „Manifest der kommunistischen +Partei. London 1848", p. 11, 9.) +2 5 3 ) Es handelt sich hier von wirklichen Kolonien, jungfräulichem Boden, der durch freie Ein- +wanderer kolonisirt wird. Die Vereinigten Staaten sind, ökonomisch gesprochen, immer noch +Kolonialland Europa's. Uebrigens gehören auch solche alten Pflanzungen hierher, wo die +Aufhebung der Sklaverei die Verhältnisse gänzlich umgewälzt hat. + +35 + +40 + +685 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +letztre nicht nur den direkten Gegensatz des erstren bildet, sondern auch +bloß auf seinem Grab wächst. + +Im Westen von Europa, dem Heimathsland der politischen Oekonomie, +ist der Proceß der ursprünglichen Akkumulation mehr ||730| oder minder +vollbracht. Das kapitalistische Regiment hat hier entweder die ganze natio- +naie Produktion sich direkt unterworfen, oder, wo die Verhältnisse noch +unentwickelter, kontrolirt es wenigstens indirekt die neben ihm fortexisti- +renden, verkommenden, der veralteten Produktionsweise angehörigen Ge- +sellschaftsschichten. Auf diese fertige Welt des Kapitals wendet der politi- +sche Oekonom mit desto ängstlicherem Eifer und desto größerer Salbung 10 +die Rechts- und Eigenthumsvorstellungen der vorkapitalistischen Welt an, +je lauter die Thatsachen seiner Ideologie ins Gesicht schreien. + +5 + +Anders in den Kolonien. Das kapitalistische Regiment stößt dort überall +auf das Hinderniß des Producenten, welcher als Besitzer seiner eignen Ar- +beitsbedingungen sich selbst durch seine Arbeit bereichert statt den Kapi- 15 +talisten. Der Widerspruch dieser zwei diametral entgegengesetzten ökono- +mischen Systeme bethätigt sich hier praktisch in ihrem Kampf. Wo der +Kapitalist die Macht des Mutterlandes im Rücken hat, sucht er die auf +eigner Arbeit beruhende Produktions- und Aneignungsweise gewaltsam +aus dem Weg zu räumen. Dasselbe Interesse, welches den Sykophanten 20 +des Kapitals, den politischen Oekonomen, im Mutterland bestimmt, die +kapitalistische Produktionsweise theoretisch für ihr eignes Gegentheil zu +erklären, dasselbe Interesse treibt ihn hier ,,to make a clean breast of it" +und den Gegensatz beider Produktionsweisen laut zu proklamiren. Zu die- +sem Behuf weist er nach, wie die Entwicklung der gesellschaftlichen Pro- 25 +duktivkraft der Arbeit, Kooperation, Arbeitstheilung, Anwendung der Ma- +schinerie im Großen u. s. w. unmöglich sind ohne die Expropriation der +Arbeiter und die entsprechende Verwandlung ihrer Produktionsmittel in +Kapital. Im Interesse des sog. Nationalreichthums sucht er nach Kunstmit- +teln zur Herstellung der Volksarmuth. Sein apologetischer Panzer zer- 30 +bröckelt hier Stück für Stück wie mürber Zunder. + +Es ist das große Verdienst E. G. Wakefield's, nicht irgend etwas neues +über die Kolonien 2 5 4), aber in den Kolonien die Wahrheit über die kapitali- +stischen Verhältnisse des Mutterlands entdeckt zu haben. Wie das Protek- +tionssystem in seinen Ursprüngen 2 5 5) die Fabrikation von Kapitalisten im 35 +Mutterland, so erstrebt Wake||731|fîeld's Kolonisationstheorie, welche Eng- + +2 5 4 ) Die wenigen Lichtblicke Wakefield's über das Wesen der Kolonien selbst sind vollständig +anticipirt durch Mirabeau père, den Physiokraten, und noch viel früher durch englische Oeko- +nomen. +2 5 5 ) Es wird später eine temporäre Nothwendigkeit im internationalen Konkurrenzkampf. +Welches aber immer sein Motiv, die Folgen bleiben dieselben. + +40 + +686 + + Fünfundzwanzigstes Kapitel • Die moderne Kolonisationstheorie + +land eine Zeit lang gesetzlich ins Werk zu setzen suchte, die Fabrikation +von Lohnarbeitern in den Kolonien. Das nennt er ,,systematic coloniza- +tion" (systematische Kolonisation). + +10 + +Zunächst entdeckte Wakefield in den Kolonien, daß das Eigenthum an +5 Geld, Lebensmitteln, Maschinen und andren Produktionsmitteln einen +Menschen noch nicht zum Kapitalisten stempelt, wenn die Ergänzung +fehlt, der Lohnarbeiter, der andre Mensch, der sich selbst freiwillig zu ver- +kaufen gezwungen ist. Er entdeckte, daß das Kapital nicht eine Sache ist, +sondern ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhältniß zwi- +sehen Personen 2 5 6). Herr Peel, jammert er uns vor, nahm Lebensmittel und +Produktionsmittel zum Belauf von 50 000 Pfd. St. aus England nach dem +Swan River, Neuholland, mit. Herr Peel war so vorsichtig, außerdem +300 Personen der arbeitenden Klasse, Männer, Weiber und Kinder mitzu- +bringen. Einmal am Bestimmungsplatz angelangt, „blieb Herr Peel ohne +einen Diener sein Bett zu machen oder ihm Wasser aus dem Fluß zu +schöpfen" 2 5 7). Unglücklicher Herr Peel, der alles vorsah, nur nicht den Ex- +port der englischen Produktionsverhältnisse nach dem Swan River! + +15 + +Zum Verständniß der folgenden Entdeckungen Wakefield's zwei Vorbe- +merkungen. Man weiß: Produktions- und Lebensmittel, als Eigenthum des +20 unmittelbaren Producenten, sind kein Kapital. Sie werden Kapital nur un- +ter Bedingungen, worin sie zugleich als Exploitations- und Beherrschungs- +mittel des Arbeiters dienen. Diese ihre kapitalistische Seele ist aber im +Kopfe des politischen Oekonomen so innig mit ihrer stofflichen Substanz +vermählt, daß er sie unter allen Umständen Kapital tauft, auch wo sie das +25 grade Gegentheil sind. So bei Wakefield. Ferner: die Zersplitterung der +Produktionsmittel als individuelles Eigenthum vieler von einander unab- +hängigen, selbstwirthschaftenden Arbeiter nennt er gleiche Theilung des +Kapitals. Es geht dem politischen Oekonomen, wie dem feudalen Juristen. +Letzterer klebte auch auf reine Geldverhältnisse seine feudalen Rechtseti- + +30 quetten. | + +|732| „Wäre", sagt Wakefield, „das Kapital unter alle Mitglieder der Ge- +sellschaft in gleiche Portionen vertheilt, so hätte kein Mensch ein Inter- +esse, mehr Kapital zu akkumuliren, als er mit seinen eignen Händen an- +wenden kann. Dies ist in gewissem Grad der Fall in neuen amerikanischen +35 Kolonien, wo die Leidenschaft für Grundeigenthum die Existenz einer + +2 5 6 ) „Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven. Eine +Baumwollmaschine ist eine Maschine zum Baumwollspinnen. Nur in bestimmten Verhältnis- +sen wird sie zu Kapital. Aus diesen Verhältnissen herausgerissen, ist sie so wenig Kapital, wie +Gold an und für sich Geld oder der Zucker der Zuckerpreis ist ... Das Kapital ist ein gesell- +schaftliches Produktionsverhältniß. Es ist ein historisches Produktionsverhältniß." (Karl +Marx: „Lohnarbeit und Kapital". N.Rh.Z. Nr. 266 vom 7. April 1849.) +2 5 7 ) E. G. Wakefield: „England and America", v. II, p. 33. + +40 + +687 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +5 + +Klasse von Lohnarbeitern verhindert" 2 5 8). So lange also der Arbeiter für +sich selbst akkumuliren kann, und das kann er, so lange er Eigenthümer +seiner Produktionsmittel bleibt, ist die kapitalistische Akkumulation und +die kapitalistische Produktionsweise unmöglich. Die dazu unentbehrliche +Klasse der Lohnarbeiter fehlt. Wie wurde nun im alten Europa die Expro- +priation des Arbeiters von seinen Arbeitsbedingungen, daher Kapital und +Lohnarbeit, hergestellt? Durch einen contrat social ganz origineller Art. +„Die Menschheit .... adoptirte eine einfache Methode zur Förderung der +Akkumulation des Kapitals", die ihr natürlich seit Adams Zeiten als letzter +und einziger Zweck ihres Daseins vorschwebte; „sie theilte sich in Eigner 10 +von Kapital und Eigner von Arbeit... diese Theilung war das Resultat frei- +williger Verständigung und Kombination" 2 5 9). Mit einem Wort: die Masse +der Menschheit expropriate sich selbst zu Ehren der „Akkumulation des +Kapitals". Nun sollte man glauben, der Instinkt dieses selbstentsagenden +Fanatismus müsse sich namentlich in Kolonien den Zügel frei schießen 15 +lassen, wo allein Menschen und Umstände existiren, welche einen contrat +social aus dem Traumreich in das der Wirklichkeit übersetzen könnten. +Aber wozu dann überhaupt die „systematische Kolonisation" im Gegen- +satz zur naturwüchsigen Kolonisation? Aber, aber: „in den nördlichen +Staaten der amerikanischen Union ist es zweifelhaft, ob ein Zehntel der 20 +Bevölkerung der Kategorie der Lohnarbeiter angehört . . . I n England ... be- +steht die große Volksmasse aus Lohnarbeitern" 2 6 0). Ja der Selbstexpropria- +tionstrieb der arbeitenden Menschheit zu Ehren des Kapitals existirt so we- +nig, daß Sklaverei, selbst nach Wakefield, die einzige naturwüchsige +Grundlage des Kolonialreichthums ist. Seine systematische Kolonisation 25 +ist ein bloßes pis aller, da er nun einmal mit Freien, statt mit Sklaven zu +thun hat. „Die ersten spanischen Ansiedler in Santo Domingo erhielten +keine Arbeiter aus Spanien. Aber ohne Arbeiter (d.h. ohne Sklaverei) wäre +das Kapital kaput ge||733|gangen oder wenigstens auf die kleinen Massen +zusammengeschrumpft, worin jedes Individuum es mit seinen eignen Hän- 30 +den anwenden kann. Dies fand wirklich statt in der letzten von den Eng- +ländern gegründeten Kolonie, wo ein großes Kapital in Samen, Vieh und +Instrumenten unterging am Mangel von Lohnarbeitern und wo kein An- +siedler viel mehr Kapital besitzt, als er mit seinen eignen Händen anwen- +den k a n n " 2 6 1 ) . + +35 + +Man sah: die Expropriation der Volksmasse von Grund und Boden bil- +det die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise. Das Wesen einer + +2 5 8 ) L c v.I, p.17. +2 5 9 ) l.c.p.18. +2 6 0 ) I.e. p.42, 43, 44. +2 6 1 ) I.e. v.II, p.5. + +688 + +40 + + Fünfundzwanzigstes Kapitel · Die moderne Kolonisationstheorie + +5 + +freien Kolonie besteht umgekehrt darin, daß die Masse des Bodens noch +Volkseigenthum ist und jeder Ansiedler daher einen Theil davon in sein +Privateigenthum und +individuelles Produktionsmittel verwandeln kann, +ohne den spätren Ansiedler an derselben Operation zu verhindern 2 6 2). Dies +ist das Geheimniß, sowohl der Blüthe der Kolonien, als ihres Krebsscha- +dens - ihres Widerstands wider die Ansiedlung des Kapitals. „Wo Land +sehr wohlfeil ist und alle Menschen frei sind, wo jeder nach Wunsch ein +Stück Land für sich selbst erhalten kann, ist Arbeit nicht nur sehr theuer, +was den Antheil des Arbeiters an seinem Produkt angeht, sondern die +10 Schwierigkeit ist, kombinirte Arbeit zu irgend einem Preis zu erhalten" 2 6 3). +Da in den Kolonien die Scheidung des Arbeiters von den Arbeitsbedin- +gungen und ihrer Wurzel, dem Grund und Boden, noch nicht existirt, oder +nur sporadisch, oder auf zu beschränktem Spielraum, existirt auch noch +nicht die Losscheidung der Agrikultur von der Industrie, noch nicht die +15 Vernichtung der ländlich häuslichen Industrie, und wo soll da der innere +Markt für das Kapital herkommen? „Kein Theil der Bevölkerung Amerikas +ist ausschließlich agrikol, mit Ausnahme der Sklaven und ihrer Anwender, +die Kapital und Arbeit für große Werke kombiniren. Freie Amerikaner, die +den Boden selbst bauen, treiben zugleich viele andre Beschäftigungen. Ein +20 Theil der von ihnen gebrauchten Möbel und Werkzeuge wird gewöhnlich +von ihnen selbst gemacht. Sie bauen häufig ihre eignen Häuser und brin- +gen das Produkt ihrer eignen Industrie zu noch so fernem Markt. Sie sind +Spinner und Weber, sie fabriciren Seife und Kerzen, Schuhe und Kleider +für ihren ||734| eignen Gebrauch. In Amerika bildet der Landbau oft das +25 Nebengeschäft eines Grobschmieds, Müllers oder Krämers" 2 6 4). Wo bleibt + +unter solchen Käuzen das „Entsagungsfeld" für den Kapitalisten? + +Die große Schönheit der kapitalistischen Produktion besteht darin, daß +sie nicht nur beständig den Lohnarbeiter als Lohnarbeiter reproducirt, son- +dern im Verhältniß zur Akkumulation des Kapitals stets eine relative Ue- +30 bervölkerung von Lohnarbeitern producirt. So wird das Gesetz von Arbeits- +nachfrage und Zufuhr in richtigem Gleis gehalten, die Lohnschwankung +innerhalb, der kapitalistischen Exploitation zusagender, Schranken ge- +bannt, und endlich die so unentbehrliche sociale Abhängigkeit des Arbei- +ters vom Kapitalisten verbürgt, ein absolutes Abhängigkeitsverhältniß, das +35 der politische Oekonom zu Haus, im Mutterland, breimäulig umlügen +kann in ein freies Kontraktverhältniß von Käufer und Verkäufer, von + +2 6 2 ) „Land, um Element der Kolonisation zu werden, muß nicht nur unangebaut sein, son- +dern öffentliches Eigenthum, welches in Privateigenthum verwandelt werden kann." (I.e. v.II, +p.125.) +2 6 3 ) I.e. v.I, p.247. +2 6 4 ) 1. c. p.21, 22. + +40 + +689 + + Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +gleich unabhängigen Waarenbesitzern, Besitzern der Waare Kapital und +der Waare Arbeit. Aber in den Kolonien reißt der schöne Wahn entzwei. +Die absolute Bevölkerung wächst hier viel rascher als im Mutterland, in- +dem viele Arbeiter erwachsen auf die Welt kommen, und dennoch ist der +Arbeitsmarkt stets untervoll. Das Gesetz der Arbeitsnachfrage und Zufuhr +geräth in die Brüche. Einerseits wirft die alte Welt fortwährend exploita- +tionslustiges, entsagungsbedürftiges Kapital ein; andrerseits stößt die regel- +mäßige Reproduktion der Lohnarbeiter als Lohnarbeiter auf die unartig- +sten und +theilweis unüberwindliche Hindernisse. Und nun gar die +Produktion von überzähligen Lohnarbeitern im Verhältniß zur Akkumula- +tion des Kapitals! Der Lohnarbeiter von heute wird morgen unabhängiger, +selbstwirthschaftender Bauer oder Handwerker. Er verschwindet vom Ar- +beitsmarkt, aber - nicht ins Workhouse. Diese beständige Verwandlung +der Lohnarbeiter in unabhängige Producenten, die statt für das Kapital, für +sich selbst arbeiten, und statt den Herrn Kapitalisten sich selbst berei- +chern, wirkt ihrerseits durchaus schadhaft auf die Zustände des Arbeits- +markts zurück. Nicht nur bleibt der Exploitationsgrad des Lohnarbeiters +unanständig niedrig. Der letztre verliert obendrein mit dem Abhängigkeits- +verhältniß auch das Abhängigkeitsgefühl vom entsagenden Kapitalisten. +Daher alle Mißstände, die unser E. G. Wakefield so brav, so beredt und so +rührend schildert. + +ist weder beständig, noch + +Die Zufuhr von Lohnarbeit, klagt er, + +| +|735| regelmäßig, noch genügend. Sie „ist stets nicht nur zu klein, sondern +unsicher" 2 6 5). „Obgleich das zwischen Arbeiter und Kapitalist zu theilende +Produkt groß ist, nimmt der Arbeiter einen so großen Theil, daß er rasch +ein Kapitalist wird ... Dagegen können Wenige, selbst wenn sie ungewöhn- +lich lang leben, große Reichthumsmassen akkumuliren" 2 6 6). Die Arbeiter +erlauben den Kapitalisten platterdings nicht, auf Zahlung des größten +Theils ihrer Arbeit zu entsagen. Es hilft ihm nichts, wenn er so schlau ist, +mit seinem eignen Kapital auch seine eignen Lohnarbeiter aus Europa zu +importiren. „Sie hören bald auf Lohnarbeiter zu sein, sie verwandeln sich +bald in unabhängige Bauern oder gar in Konkurrenten ihrer alten Meister +auf dem Lohnarbeitsmarkt s e l b s t " 2 6 7 ) . Man begreife den Greuel! Der brave +Kapitalist hat seine eignen leibhaftigen Konkurrenten selbst aus Europa +für sein eignes gutes Geld importirt! Da hört denn doch alles auf! Kein +Wunder, wenn Wakefield klagt über mangelndes Abhängigkeitsverhältniß +und Abhängigkeitsgefühl der Lohnarbeiter in den Kolonien. Wegen der +hohen Löhne, sagt sein Schüler Merivale, existirt in den Kolonien „der lei- + +2 6 5 ) L c v.II, p.116. +2 6 6 ) I.e. v.I, p.131. +2 6 7 ) I.e. v.II, p.5. + +690 + + Fünfundzwanzigstes Kapitel • Die moderne Kolonisationstheorie + +denschaftliche Drang nach wohlfeilerer und unterwürfigerer Arbeit, nach +einer Klasse, welcher der Kapitalist die Bedingungen diktiren kann, statt +sie von ihr diktirt zu erhalten . . . I n altcivilisirten Ländern ist der Arbeiter, +obgleich frei, naturgesetzlich abhängig vom Kapitalisten, in Kolonien muß + +5 diese Abhängigkeit durch künstliche Mittel geschaffen werden" 2 6 8). | + +|736| Was ist nun, nach Wakefield, die Folge dieses Mißstands in den +Kolonien? Ein „barbarisches System der Zerstreuung" der Producenten +und des Nationalvermögens 2 6 9). Die Zersplitterung der Produktionsmittel +unter unzählige, selbstwirthschaftende Eigenthümer vernichtet mit der +10 Centralisation des Kapitals alle Grundlage kombinirter Arbeit. Jedes lang- +athmige Unternehmen, das sich über Jahre erstreckt und Auslage von fi- +xem Kapital erheischt, stößt auf Hindernisse der Ausführung. In Europa +zögert das Kapital keinen Augenblick, denn die Arbeiterklasse bildet sein +lebendiges Zubehör, stets im Ueberfluß da, stets zur Verfügung. Aber in +15 den Kolonialländern! Wakefield erzählt eine äußerst schmerzensreiche An- +ekdote. Er unterhielt sich mit einigen Kapitalisten von Kanada und dem +Staat New-York, wo zudem die Einwanderungswogen oft stocken und +einen Bodensatz „überzähliger" Arbeiter niederschlagen. „Unser Kapital", +seufzt eine der Personen des Melodrama's, „unser Kapital lag bereit für +20 viele Operationen, die eine beträchtliche Zeitperiode zu ihrer Vollendung +brauchen; aber konnten wir solche Operationen beginnen mit Arbeitern, +welche, wir wußten es, uns bald den Rücken wenden würden? Wären wir +sicher gewesen die Arbeit solcher Einwandrer festhalten zu können, +wir hätten sie mit Freude sofort engagirt und zu hohem Preis. Ja, trotz +25 der Sicherheit ihres Verlustes würden wir sie dennoch engagirt haben, + +30 + +2 6 8 ) Merivale I.e. v.II, p.235-237, 314 passim. Selbst der sanfte, freihändlerische Vulgäröko- +nom Molinari sagt: « Dans les colonies où l'esclavage a été aboli sans que le travail forcé se +trouvait remplacé par une quantité équivalente de travail libre, on a vu s'opérer la contre-par- +tie du fait qui se réalise tous les jours sous nos yeux. On a vu les simples travailleurs exploiter +à leur tour les entrepreneurs d'industrie, exiger d'eux des salaires hors de toute proportion +avec la part légitime qui leur revenait dans le produit. Les planteurs, ne pouvant obtenir de +leurs sucres un prix suffisant pour couvrir la hausse de salaire, ont été obligés de fournir l'ex- +cédant, d'abord sur leurs profits, ensuite sur leurs capitaux mêmes. Une foule de planteurs ont +été ruinés de la sorte, d'autres ont fermé leurs ateliers pour échapper à une ruine immi- +35 nente ... Sans doute, il vaut mieux voir périr des accumulations de capitaux, que des généra- +tions d'hommes (wie generös von dem Herrn Molinari!); mais ne vaudrait-il pas mieux que ni +les uns ni les autres périssent?» (Molinari 1. c. p. 51, 52.) Herr Molinari, Herr Molinari! Was +wird denn aus den zehn Geboten, aus Moses und den Propheten, aus dem Gesetz der Nach- +frage und Zufuhr, wenn in Europa der ,,entrepreneur" dem Arbeiter und in Westindien der +40 Arbeiter dem entrepreneur seine part légitime verkürzen kann? Und was ist gefälligst diese +,,part légitime", die nach Ihrem Geständniß der Kapitalist in Europa täglich nicht zahlt? Den +Herrn Molinari juckt es gewaltig, dort drüben, in den Kolonien, wo die Arbeiter so „simpel" +sind, den Kapitalisten zu „exploitiren", das sonst automatisch wirkende Gesetz der Nachfrage +und Zufuhr polizeilich in den richtigen Gang zu setzen. +2 6 9 ) Wakefield 1. c. v. II, p. 52. + +45 + +691 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals + +wären wir einer frischen Zufuhr je nach unsrem Bedürfniß sicher gewe- +s e n " 2 7 0 ) . + +Nachdem Wakefield die englische kapitalistische Agrikultur und ihre +„kombinirte" Arbeit prunkvoll kontrastirt hat mit der zerstreuten amerika- +nischen Bauernwirthschaft, entschlüpft ihm auch die Kehrseite der Me- +daille. Er schildert die amerikanische Volksmasse als wohlhabend, unab- +hängig, unternehmend, und relativ gebildet, während „der englische +Agrikulturarbeiter ein elender Lump (a miserable wretch) ist, ein Pau- +per . . . I n welchem Land außer Nordamerika und einigen neuen Kolonien +übersteigen die Löhne der auf dem Land angewandten freien Arbeit nen- 10 +nenswerth die unentbehrlichsten Subsistenzmittel des Arbeiters? .... Zwei- +felsohne, Ackerpferde in England, da sie ein werthvolles Eigenthum | +|737| sind, werden viel besser genährt als der englische Landbebauer" 2 7 1). +Aber never mind, Nationalreichthum ist nun einmal von Natur identisch +mit Volkselend. + +15 + +5 + +Wie nun den antikapitalistischen Krebsschaden der Kolonien heilen? +Wollte man allen Grund und Boden mit einem Schlag aus Volkseigenthum +in Privateigenthum verwandeln, so zerstörte man zwar die Wurzel des Ue- +bels, aber auch - die Kolonie. Die Kunst ist zwei Fliegen mit einer Klappe +zu schlagen. Man gebe von Regierungswegen der jungfräulichen Erde 20 +einen vom Gesetz der Nachfrage und Zufuhr unabhängigen, einen künstli- +chen Preis, welcher den Einwandrer zwingt längere Zeit zu lohnarbeiten, +bis er genug Geld verdienen kann, um Grund und Boden zu kaufen 2 7 2) und +sich in einen unabhängigen Bauern zu verwandeln. Den Fonds der aus +dem Verkauf der Ländereien zu einem für den Lohnarbeiter relativ prohi- +bitorischen Preis fließt, also diesen aus dem Arbeitslohn durch Verletzung +des heiligen Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr erpreßten Geldfonds, ver- +wende die Regierung andrerseits, um im selben Maß, wie er wächst, Habe- +nichtse aus Europa in die Kolonien zu importiren und so dem Herrn Kapi- +talisten seinen Lohnarbeitsmarkt vollzuhalten. Unter diesen Umständen +tout sera pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles. Dies ist das +große Geheimniß der „systematischen Kolonisation". „Nach diesem Plan", +ruft Wakefield triumphirend aus, „muß die Zufuhr von Arbeit konstant +und regelmäßig sein; denn erstens, da kein Arbeiter fähig ist sich Land zu + +30 + +25 + +2 7 0 ) I.e. p.191, 192. +2 7 1 ) I.e. v.I, p.24, 47, 246. +2 7 2 ) «C'est, ajoutez-vous, grâce à l'appropriation du sol et des capitaux que l'homme, qui n'a +que ses bras, trouve de l'occupation, et se fait un revenu. C'est au contraire, grâce à l'appro- +priation individuelle du sol qu'il se trouve des hommes n'ayant que leurs bras ... Quand vous +mettez un homme dans le vide, vous vous emparez de l'atmosphère. Ainsi faites-vous, quand +vous vous emparez du sol. C'est le mettre dans le vide de richesses, pour ne le laisser vivre +qu'a votre volonté.» (Colins I.e. t.Ill, p.267-271 passim.) + +35 + +40 + +692 + + Fünfundzwanzigstes Kapitel · Die moderne Kolonisationstheorie + +5 + +verschaffen, bevor er für Geld gearbeitet hat, würden alle einwandernden +Arbeiter dadurch, daß sie für Lohn kombinirt arbeiten, ihrem Anwender +Kapital zur Anwendung von mehr Arbeit produciren; zweitens jeder, der +die Lohnarbeit an den Nagel hinge und Grundeigner würde, würde grade +durch den Ankauf des Landes einen Fonds zur Herüberbringung frischer +Arbeit nach den Kolonien sichern" 2 7 3). Der von Staatswegen oktroyirte B o - +denpreis muß natürlich „genügend" (sufficient price) sein, d. h. so hoch, +„daß er die Arbeiter verhindert, ||738| unabhängige Bauern zu werden, bis +andre da sind, um ihren Platz auf dem Lohnarbeitsmarkt einzuneh- +10 m e n " 2 7 4 ) . Dieser „genügende Bodenpreis" ist nichts als eine euphemisti- +sche Umschreibung des Lösegelds, welches der Arbeiter dem Kapitalisten +zahlt für die Erlaubniß, sich vom Lohnarbeitsmarkt aufs Land zurückzu- +ziehn. Erst muß er dem Herrn Kapitalisten „Kapital" schaffen, damit er +mehr Arbeiter ausbeuten könne, und dann auf dem Arbeitsmarkt einen +15 „Ersatzmann" stellen, den die Regierung auf seine Kosten seinem ehemali- + +gen Herrn Kapitalisten über die See spedirt. + +Es ist höchst charakteristisch, daß die englische Regierung diese von +Herrn Wakefield eigens zum Gebrauch in Kolonialländern verschriebene +Methode der „ursprünglichen Akkumulation" Jahre lang ausgeführt hat. +20 Das Fiasko war natürlich ebenso schmählich als das des Peelschen Bank- +akts. Der Emigrationsstrom wurde nur von den englischen Kolonien nach +den Vereinigten Staaten abgelenkt. Unterdeß hat der Fortschritt der kapita- +listischen Produktion in Europa, begleitet von wachsendem Regierungs- +druck, Wakefield's Recept überflüssig gemacht. Einerseits läßt der unge- +25 heure und kontinüirliche Menschenstrom, Jahr aus Jahr ein nach Amerika +getrieben, stockende Niederschläge im Osten der Vereinigten Staaten zu- +rück, indem die Emigrationswelle von Europa die Menschen rascher dort- +hin auf den Arbeitsmarkt wirft, als die Emigrationswelle nach dem Westen +sie abspülen kann. Andrerseits hat der amerikanische Bürgerkrieg eine ko- +lossale Nationalschuld in seinem Gefolge gehabt und mit ihr Steuerdruck, +Erzeugung der allergemeinsten Finanzaristokratie, Verschenkung eines un- +geheuren Theils der öffentlichen Ländereien an Spekulanten-Gesellschaf- +ten zur Ausbeutung von Eisenbahnen, Bergwerken etc. - kurz die rasche- +ste Centralisation des Kapitals. Die große Republik hat also aufgehört das +35 gelobte Land für auswandernde Arbeiter zu sein. Die kapitalistische Pro- +duktion geht dort mit Riesenschritten voran, wenn auch Lohnsenkung und +Abhängigkeit des Lohnarbeiters noch lange nicht auf das europäische Nor- +malniveau heruntergebracht sind. Die von Wakefield selbst so laut denun- +cirte, schamlose Verschleuderung des unbebauten Kolonialbodens an Ari- + +30 + +40 + +2 7 3 ) Wakefield 1. c. v. II, p. 192. +2 7 4 ) I.e. p.45. + +693 + + Siebenter Abschnitt · Der Akkumuiationsprozeß des Kapitals + +stokraten und Kapitalisten Seitens der englischen Regierung hat +namentlich in Australien 2 7 5), zusammen mit dem Menschenstrom, den die +Gold-|1739!Diggings hinziehn, und der Konkurrenz, welche der Import eng- +lischer Waaren selbst dem kleinsten Handwerker macht, eine hinreichende +„relative Arbeiterübervölkerung" erzeugt, so daß fast jedes Postdampfschiff +die Hiobspost einer Ueberfüllung des australischen Arbeitsmarktes - ,,glut +of the Australian labour-market" - bringt, und die Prostitution dort stel- +lenweis so üppig gedeiht wie auf dem Haymarket von London. + +Jedoch beschäftigt uns hier nicht der Zustand der Kolonien. Was uns al- +lein interessirt, ist das in der neuen Welt von der politischen Oekonomie +der alten Welt entdeckte und laut proklamirte Geheimniß: kapitalistische +Produktions- und Akkumulationsweise, also auch kapitalistisches Privatei- +genthum, bedingen die Vernichtung des auf eigner Arbeit beruhenden Pri- +vateigenthums, d. h. die Expropriation des Arbeiters. | + +2 7 5 ) Sobald Australien sein eigner Gesetzgeber wurde, erließ es natürlich den Ansiedlern gün- +stige Gesetze, aber die englische einmal vollzogne Bodenverschleuderung steht im Wege. +"The first and main object at which the new Land Act of 1862 aims, is to give increased facili- +ties for the settlement of the people." (The Land Law of Victoria by the Hon. G. Duffy, Minis- +ter of Public Lands. Lond. 1862.) + +694 + + \ No newline at end of file