KARL MARX FRIEDRICH ENGELS GESAMTAUSGABE (MEGA) ERSTE ABTEILUNG WERKE · ARTIKEL · ENTWÜRFE BAND 1 Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands KARL MARX WERKE · ARTIKEL LITERARISCHE VERSUCHE BIS MÄRZ 1843 TEXT DIETZ VERLAG BERLIN 1975 Redaktionskommission der Gesamtausgabe: Günter Heyden und Anatoli Jegorow (Leiter), Rolf Dlubek und Alexander Malysch (Sekretäre), Heinrich Gemkow, Lew Golman, Erich Kundel, Sofia Lewiowa, Wladimir Sewin, Richard Speri. Redaktionskommission der Ersten Abteilung: Rolf Dlubek (Leiter), Erich Kundel, Alexander Malysch, Richard Speri, Inge Taubert. Bearbeitung des Bandes: Inge Taubert (Gesamtleitung), Renate Merkel (Leitung für Teil II), Jörg Armer, Ileana Bauer, Johanna Dehnert, Bernhard Dohm, unter Mitarbeit von Hansulrich Labuske. Gutachter: Larissa Miskewitsch und Boris Krylow. Mit 20 Faksimiles © Dietz Verlag Berlin 1975 Lizenznummer 1 L SV 0 0 46 Technische Redaktion: Heinz Ruschinski Korrektur: Hanna Behrendt, Gerda Plauschinnat Einband: Albert Kapr Typografie: Albert Kapr/Horst Kinkel Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: GG Interdruck Leipzig Papierherstellung: V EB Spezialpapierfabrik Golzern B e s t . - N r . : 7 4 4 8 0 05 E VP 1 3 5 ,- Mark I n h a lt Vorwort zur Gesamtausgabe Einleitung zum ersten B a nd der Ersten Abteilung Editorische Hinweise Text Apparat 19* 53* 81* Verzeichnis der Abkürzungen, Siglen und Zeichen 873 ERSTER TEIL: DISSERTATION UND PUBLIZISTISCHE ARBEITEN Differenz d er demokritischen und epikureischen Naturphilo sophie nebst e i n em Anhange Widmung Vorrede Inhalt frsfer 7e/7.-Differenzderdemokritischen und epikureischen Naturphilosophie im allgemeinen I. Gegenstand der Abhandlung II. Urteile über das Verhältnis der demokritischen und epi kureischen Physik III. Schwierigkeiten hinsichtlich der Identität demokritischer und epikureischer Naturphilosophie Zweiter Teil: Über die Differenz der demokritischen und epikureischen Physik im einzelnen Erstes Kapitel: Die Deklination d es Atoms von der geraden Linie Zweites Kapitel: Die Qualitäten d es Atoms Drittes Kapitel: Άτομοι ά ρ χ αί und ά τ ο μα στοιχεία Viertes Kapitel: Die Zeit Fünftes Kapitel: Die M e t e o re 5 11 13 19 21 21 23 25 33 33 40 44 48 51 879 5* Inhalt Text Apparat A n m e r k u n g en Erster Teil: D i f f e r e nz d er d e m o k r i t i s c h en u nd e p i k u r e i s c h en N a t u r p h i l o s o p h ie im a l l g e m e i n en II. Urteile über das Verhältnis demokritischer und epikureischer Physik III. Schwierigkeiten hinsichtlich der Identität demokritischer und epikureischer Naturphilosophie IV. A l l g e m e i ne prinzipielle Differenz z w i s c h en demokritischer und epikureischer Naturphilosophie Zweiter Teil: Ü b er d ie D i f f e r e nz d er d e m o k r i t i s c h en u nd e p i k u r e i s c h en P h y s ik im e i n z e l n en Erstes Kapitel: Die Deklination d es Atoms von der geraden Linie Zweites Kapitel: Die Qualitäten d es Atoms Drittes Kapitel: Ά τ ο μ οι άρχοά und α τ ο μα σ τ ο ι χ ε ία Viertes Kapitel: Die Zeit Fünftes Kapitel: Die M e t e o re Anhang: Kritik d er p l u t a r c h i s c h en P o l e m ik g e g en Epi- k u rs T h e o l o g ie I. Das Verhältnis d es M e n s c h en zu Gott 1. Die Furcht und das jenseitige W e s en 2. Der Kultus und das Individuum 3. Die Vorsehung und der degradierte Gott F r a g m e nt e i n er n e u en V o r r e de 59 5g 59 60 66 72 72 75 79 81 83 88 88 88 89 89 92 Publizistische Arbeiten 963 Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruk tion 97 984 Die Verhandlungen des 6. Rheinischen Landtags. Erster Arti kel: Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Land ständischen Verhandlungen Die Zentralisationsfrage in bezug auf sich selbst und in bezug auf das Beiblatt der „Rheinischen Zeitung" zu Nr. 137, Diens tag, 17. Mai 1842 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" 121 990 170 172 1006 1009 Das philosophische Manifest der historischen Rechtsschule 191 1016 Verhandlungen des 6. Rheinischen Landtags. Dritter Artikel: Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz Der Kommunismus und die Augsburger „Allgemeine Zei tung" 199 1021 237 1032 6* Inhalt Zur Polemik über den Kommunismus Noch ein Wort über „Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit" von Dr. O. F. Gruppe. Berlin 1842 Die „liberale Opposition" in Hannover Die Kommunalreform und die „Kölnische Zeitung" Der Ehescheidungsgesetzentwurf. Kritik der Kritik Kabinettsordre in bezug auf die Tagespresse Ein Korrespondent der „Kölnischen Zeitung" und die „Rhei nische Zeitung" Die polemische Taktik der Augsburger Zeitung Der Artikel in Nr. 335 und 336 der Augsburger „Allgemeinen Text Apparat 241 1038 245 1040 249 251 1042 1044 260 1051 264 1054 266 268 1056 1058 Zeitung" über die ständischen Ausschüsse in Preußen 272 1061 Über Adolph Stahr Der Ehescheidungsgesetzentwurf Das Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" für den preußischen Staat Zur Polemik der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" Ankündigung der „Rechtfertigung des tt-Korrespondenten von der Mosel" Rechtfertigung des tt-Korrespondenten von der Mosel A. Die Frage in bezug auf die Holzverteilung B. Das Verhältnis der Moselgegend zur Kabinettsordre vom 24. Dezember 1841 und der durch dieselbe bewirk ten freieren Bewegung der Presse 1068 1069 1071 1073 1074 1076 286 287 291 294 295 296 298 300 Rechtfertigung des tt-Korrespondenten von der Mosel. Frag ment des Abschnitts C: Krebsschäden der Moselgegend 324 1088 Die „Kölnische Zeitung" und das Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" Die gute und die schlechte Presse Replik auf den Angriff eines „gemäßigten" Blattes Replik auf die Denunziation eines „benachbarten" Blattes Erwiderung auf ein Nachwort der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" 328 330 331 334 1091 1093 1094 1097 338 1100 7* Inhalt Die Denunziation der „Kölnischen" und die Polemik der „Rhein-und Mosel-Zeitung" Die „Rhein-und Mosel-Zeitung" Randglossen zu den Anklagen des Ministerialreskripts Zum Ausbleiben der Fortsetzung der „Rechtfertigung des tt-Korrespondenten von der Mosel" Die hiesige Landtagsabgeordnetenwahl Die „Rhein- und Mosel-Zeitung" als Großinquisitor Stilistische Übungen der „Rhein- und Mosel-Zeitung" Erklärung A N H A NG Text Apparat 340 347 349 354 355 360 363 366 1102 1106 1108 1116 1117 1120 1122 1124 Von Marx veränderte Texte anderer Autoren Herweghs und Ruges Verhältnis zu den Freien. Brief von Georg Herwegh. Redigiert von Karl Marx 371 1131 Die inquisitorische Behandlung eines Gefangenen in Han nover. Korrespondenz von Lothar Hörner. Redigiert von Karl Marx 373 1133 Dubiosa Über die Kommunalreform 381 1137 Übergabe eines Gemeindeordnungsentwurfs, welcher die Rechtsgleichheit zwischen Stadt- und Landgemeinden nicht anerkennt, an die rheinischen Deputierten in Berlin Zur Korrespondenz „Die Besetzung der Insel Fernando Po durch die Engländer" Über Schutzzölle Zur Rede von Dr. Coremans „Die niederdeutschen Belgier, ihre Sprache, ihre Literatur" Über das Projekt merkantilischer Jahreskongresse 382 1138 384 385 386 387 1140 1141 1143 1145 Die „Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe". Zum Beginn des zweiten Jahrgangs 388 1146 8* Inhalt Zur Korrespondenz „Kampf zwischen Deutschtum und Dänentum" Über Geschwornengerichte Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" - I. Die Konzession II. Die Zurücknahme der Konzession III. Die Tendenz Erwiderung auf eine Kritik des Pastors von Erpel Unwahrheiten der „Rhein-und Mosel-Zeitung" Die Augsburger „Allgemeine Zeitung" Verleumdungen seitens der „Rhein-und Mosel-Zeitung" Die neue Zensurinstruktion Mitteilungen der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Text Apparat 390 391 392 392 395 400 404 407 408 410 412 414 1147 1148 1150 1157 1159 1161 1163 1164 H66 Dokumente Petition Kölner Bürger um das Fortbestehen der „Rheinischen Zeitung" 421 1171 Bittschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesell schaft um das Fortbestehen der „Rheinischen Zeitung" nebst Denkschrift UntertänigsteBittschrift der Aktionäre der Rheinischen Zei tungsgesellschaft um das Fortbestehen der „Rheinischen Zeitung" Denkschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesell schaft Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung der Rheinischen Zeitungsgesellschaft am 12. Februar 1843 Protokoll der ordentlichen Generalversammlung der Rheini schen Zeitungsgesellschaft am 24. Februar 1843 423 1173 423 425 434 1177 444 1182 9* Inhalt Text Apparat ZWEITER TEIL: ABITURARBEITEN UND LITERARISCHE VERSUCHE Abiturarbeiten 1185 Die Vereinigung der Gläubigen mit Christo nach Johan nes 15,1-14, in ihrem Grund und Wesen, in ihrer unbedingten Notwendigkeit und in ihren Wirkungen dargestellt. Religions auf satz Aus Sophoclis Trachiniae. V. 140—176. Übersetzung aus dem Griechischen Betrachtung eines Jünglings bei der Wahl eines Berufes. Deutscher Aufsatz Exemples qui servent à prouver, que l'homme peut modifier les influences du climat qu'il habite. Übersetzung ins Fran zösische Mathematische Arbeit An principatus Augusti merito inter feliciores reipublicae Romanae aetates numeretur? Lateinischer Aufsatz De Hemsterhusii moribus. Lateinisches Extemporale Literarische Versuche Buch der Liebe. Erster Teil Die zwei Himmel. Auf der Reise nach Berlin im W a g e n. An Jenny Die Nacht. An Jenny Der Gedanken. An Jenny Menschenstolz. An Jenny Des Sängers letztes Lied. Ballade Das bleiche Mädchen. Ballade Lucinde. Ballade Sängerliebe. An Jenny Der Wilden Brautgesang. Ballade Trennungsabend. An Jenny Die Zerrißne. Ballade Schlußsonette. An Jenny Inhalt Buch der Liebe. Zweiter Teil Amulett Das Gift 10* 449 1190 453 1193 454 1197 1201 1204 1207 1216 1220 1224 1231 458 460 465 470 477 483 485 487 487 490 494 496 502 505 510 516 519 521 523 527 527 Inhalt Pultlied Lied an die Sterne Die zwei Sterne. Rätset M e i ne W e lt Glöckners Turmlied Der Lampe Licht Empfindungen Abendstunde Klage Mein Streben Das G e s p e n s t. Ballade Traum Lied e i n es Schiffers auf der S ee Umwandelung Tod schmerz Der Knabe und das Mägdlein. Ballade Die Mutter. Ballade Sturm Vorwurf W u n s ch Inhalt i ch d er L i e d er Die Geister. Ballade. An Jenny Alboin und Rosemunde. Romanze Harmonie. An Jenny Seelenmusik. An Jenny Sehnsucht. An Jenny Die beiden Harfensängerinnen. Ballade An Jenny. Sonette An Jenny Die Romanze vom Grab Der Sirenen Sang. Ballade Lied der Elfen Gnomenlied Phantasiegebilde. Sonette an Jenny Die beiden Rosen. Romanze Sonette an Jenny Vorerinnerung an Jenny Die Zauberin. An Jenny An Jenny An Jenny. Sonette An Jenny. Sonette An Jenny. Sonette Des Sängers Christabend. Romanze An Jenny Inhalt T e xt 528 529 530 531 532 534 535 537 537 538 539 541 542 545 547 548 550 551 551 552 553 555 559 561 572 573 574 577 579 581 583 586 590 592 594 596 597 599 599 601 603 607 608 609 611 613 A p p a r at 1233 11* Inhalt Gedichte, meinem teuren Vater zu seinem Geburtstage 1837 Inhalt Widmung. An den Vater I. Schöpfung II. Dichtung Zauberharfe. Ballade Sehnsucht. Romanze Nachtliebe. Romanze Sirenensang. Ballade Der Wassergreis. Ballade Erste Elegie aus Ovids Büchern der Trauer; frei übersetzt Die Wahnsinnige. Ballade Blumenkönig. Phantastische Ballade Erwachen Des Verzweiflenden G e b et Lucinde. Ballade Weltgericht. Scherz Die beiden Harfensängerinnen. Ballade Epigramme I- II. Hegel. Epigramme III. IV. V. VI. VII. Auf einen g e w i s s en Kahlkopf VIII. Pustkuchen (falschen Wanderjahren) Schlußepigramm an den pustenden Meister Harmonie Die Zerrißne. Ballade M e n s c h e n s t o lz S z e n en aus: Oulanem. Trauerspiel Lied an die Sterne Lied e i n es Schiffers auf der S ee Das bleiche Mädchen. Ballade Waldquell Spielmann Drei Lichtlein Die Entführung. Ballade W i e n er Affentheater in Berlin Armida von Ritter Gluck Verdingung Sentimentale S e e l en N e u m o d i s c he Romantik An die Sonne der Wahrheit Auf einen Ritterheroen Meiner Nachbarin jenseits Philisterverwunderung 12* Text Apparat 615 621 1237 622 622 623 624 625 626 627 627 628 637 638 639 640 641 641 643 643 643 644 644 645 645 645 645 646 648 648 648 648 649 669 669 669 669 670 671 672 673 674 675 675 675 676 676 676 677 Inhalt T e xt A p p a r at Mathematikerweisheit An die Mediziner Mediziner-Psychologie Mediziner-Metaphysik Mediziner-Anthropologie Mediziner-Ethik Zwei Lieder an Jenny Gesucht. Lied Gefunden. Lied Schluß-Sonett an Jenny W e c h s e l g e s p r ä ch an S e e f e ls Männerl und Trommerl. Märlein Spaziergang Zauberschiff Mondmann Nachtgedanken. Dithyrambe Traumbild. Dithyrambe 677 677 678 678 678 679 679 679 680 680 681 682 683 684 685 685 686 687 Einige Kapitel aus: Scorpion und Felix. Humoristischer Roman 688 G e d i c h te a us d en J a h r en 1835 u nd 1836. Z u s a m m e n g e s t e l lt v on S o p h ie M a rx Die zwei Himmel. Auf der Reise nach Berlin 705 711 1250 Der Gedanken. An Jenny Menschenstolz. An Jenny Des Sängers letztes Lied. Ballade Die Tochter. Ballade Der stolzen S c h ö n e n. 2 Sonette Lucinde. Ballade Widmung mehrerer Gedichte zu Vaters Geburtstage '36 Dir Beim Schlüsse dieser Poesien Schiller. 2 Sonette G o e t h e. 2 Sonette Wunsch Die Blinde. Ballade Rizio, Sänger der Maria Stuart. Ballade Zuruf Die Sänger. Ballade Die zwei Königskinder Sturmlied Der Greis. Romanze in 6 Liedern Die Göttin d es Rheins. Ballade Der Schaum Die Erscheinung Sängerliebe. An Jenny Die Zerrißne. Ballade Das bleiche Mädchen. Ballade 711 711 711 712 713 714 715 715 716 716 717 718 720 723 727 729 732 734 736 739 741 743 745 745 745 13* Inhalt T e xt A p p a r at Empfindungen Die Sterne. 3 S o n e t te Engelbert Klingholz. Ballade Pustkuchen (falschen Wanderjahren) Verdingung Die Ruhe Die Geistesblüte Die Oper Hans Heiling. Oper Das e h e r ne Pferd. Oper Der Misanthrop Die unmoralische und die mystische Literatur Deutscher G e s c h m a ck Harmonie. An Jenny Schlußsonette an Jenny 745 746 747 752 752 753 753 753 754 754 754 755 755 755 755 G e d i c h t e. A us e i n em N o t i z b u ch v on S o p h ie M a rx 757 1255 M e n s c h e n l e b en Auf Karl den Großen Die Rheingöttin. Ballade Ο S c h w e s t er h o l d . .. Die Blinde. Ballade. 1835 Die zwei Himmel. Auf der Reise nach Berlin Zu Vaters Geburtstag. 1836 Schlußgedicht Schiller. 2 S o n e t te G o e t h e. 2 S o n e t te Die Tochter. Ballade Die Zerrißne. Ballade W i l de L i e d er I. Der Spielmann II. Nachtliebe A N H A NG V o l k s l i e d e r s a m m l u ng Lieder in allemannischer Mundart Im Frühlinge An's Meieli Rote Röslein Winterblümchen Rosegilge Tirolerlieder I. Busserl II. Lied in der Mundart d es Kuhländchens Unendliche Liebe 14* 759 760 763 763 766 766 766 766 766 767 767 767 768 768 769 1258 773 1261 779 779 780 780 781 782 782 782 783 783 783 Inhalt T e xt A p p a r at Die Nonne Lied e i n es Klosterfräuleins Aphoristische Volksliedchen Korbflechterlied Wer bist du armer Mann? Wo bist du dann g e s e s s e n? Die schwarze Amsel Schnaderhüpferl Blaublümlein Sächsisches Lied Sächsisches Lied Abschied. Hochländisch Der Wildschütz. Hochländisch Hochländische Lieder I- II. Hl- IV. V. Der Sennerin Gruß VI. 's Blümeli. Schweizerisch Österreichische Lieder I- II- Mondscheinlied Traum Die beiden Königskinder Treue Die wunderbare Harfe Der Jäger Drei Winterrosen Das Blumenhaus Die Kronschlange. Bergisch Jung Hänschen. Bergisch Alcino. Spanisch Der klagende Fischer. Spanisch Das schiffende Brautpaar. Spanisch Der Brautkranz. Spanisch Straßburg. Rheinisch Wie kommt e s, daß Du traurig bist? Rheinisch Aus der Zeit der Hohenstaufen W e nn ich ein Vöglein war. Rheinisch Verlorne Schwimmer. Norddeutsch Der eifersüchtige Knabe. Rheinisch Spottlied. Norddeutsch Knabe und Veilchen Verlorne Mühe. Schwäbisch Täuschung 784 786 786 786 787 787 787 787 788 788 789 789 790 791 791 792 792 793 794 794 795 795 795 796 796 797 797 7gg 800 801 802 803 804 805 806 807 808 809 810 811 812 812 813 814 815 816 816 817 15* Inhalt Text Apparat Aus Hoff mann: Kampfbilder 1.-4. Die G e f a n g e n en Estnisches Lied Jörru. Estnisch Die Fahrt zur Geliebten. Lappländisch Griechisch Lied der Sappho Piatos Epigramm Wunsch. Griechisch Lied der Freiheit. Griechisch Rätsel um Rätsel Albanesisches Lied Lettische Lieder I. II. III. IV. V. VI. Klage um e i n en gefallenen Krieger Italienische Lieder Die Taube (Rom) La Capuana (Napoli) Das verlorne Herz (Neapel) Pater Franzesko (Rom) Des Schiffers Heimkehr (Sorento) Das Guitarrchen (Perugia) Die Schönheit (Venezia) Nachtgesang (Rom) Nachtgesang (Rom) Die Procidanerin (Procida) Finnische Runen Die Geburt d es Bären Die Geburt der Kolik Die Geburt der Harfe Übersicht der Volkslieder Verzeichnis nicht überlieferter Arbeiten REGISTER Literaturregister I. Arbeiten von Marx II. Arbeiten anderer Autoren III. Periodica 16* 817 817 818 819 819 820 821 821 821 821 822 822 824 825 825 826 827 828 830 831 846 846 846 847 848 848 849 849 850 850 851 851 851 852 853 855 1274 1283 1283 1284 1298 Namenregister Sachregister Inhalt Text Apparat 1303 1328 Verzeichnis der Faksimiles und Illustrationen Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie nebst einem Anhange. Titelblatt Promotionsurkunde Anekdota zur n e u e s t en d e u t s c h en Philosophie und Publicistik. Titel blatt Beginn d es Artikels „ D ie Verhandlungen d es 6. Rheinischen Landtags. Debatten über Preßfreiheit...". Rheinische Zeitung. Nr. 125, 5. Mai 1842. Beiblatt 9 17 95 119 Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst. Titelblatt der Nr. 273 vom 16. N o v e m b er 1842, in der Marx' Artikel „ N o ch ein Wort über,Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit'" erschien 243 Beginn d es Artikels „ D ie Kommunalreform und die ,Kölnische Zei tung'" mit Änderungen von Marx' Hand. Rheinische Zeitung. Nr. 312, 8. November 1842 Redaktionelle Fußnote „ D er Ehescheidungsgesetzentwurf. Kritik der Kritik" mit Änderungen von Marx' Hand. Rheinische Zeitung. Nr. 319, 15. N o v e m b er 1842. Beiblatt inquisitorische Behandlung e i n es G e f a n g e n en Die in Hannover. Erste Seite d es Manuskripts von Lothar Hörner mit Änderungen von Marx' Hand An principatus Augusti merito inter feliciores reipublicae Romanae aetates numeretur? Letzte Seite d es lateinischen Aufsatzes mit Korrekturen und Bemerkungen d es Lehrers Reifezeugnis Buch der Liebe. Erster Teil. Titelblatt Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837. Titel blatt Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836. Zusammengestellt von Sophie Marx. Titelblatt Gedichte. Aus einem Notizbuch von Sophie Marx. Seite 9 der Hand schrift Volksliedersammlung. Titelblatt 253 261 375 467 471 481 619 709 761 777 17* Inhalt Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie nebst einem Anhange. Die beiden letzten Seiten d es Heftes 6 der Handschrift mit dem Fragment einer neuen Vorrede Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837. Inhalts übersicht T e xt A p p a r at 895 1239 18* V o r w o rt z ur G e s a m t a u s g a be Die Gesamtausgabe der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels (MEGA) wird auf der Grundlage vereinbarter Beschlüsse des Zentral komitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und des Zentral komitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands veröffentlicht. Sie ist eine Gemeinschaftsarbeit der Institute für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU und beim ZK der SED. Die MEGA enthält das gesamte literarische Erbe von Marx und Engels in den Originalsprachen : ihre Werke und Artikel, Entwürfe und unvollendeten Manuskripte, die von ihnen ver faßten Dokumente der Arbeiterbewegung, ihre Briefe sowie ihre Exzerpte, Konspekte, Notizbücher und Randbemerkungen in Büchern. Eine derartige Ausgabe entspricht dringenden Bedürfnissen der Wissen schaft und der revolutionären Praxis in der gegenwärtigen Epoche, da die marxistisch-leninistische Theorie im gesellschaftlichen Leben zunehmende Bedeutung gewinnt und die historische Größe der Leistung von Marx und Engels als Begründer d es wissenschaftlichen Kommunismus immer über zeugender sichtbar wird. I Karl Marx und Friedrich Engeis gebührt ein hervorragender Platz in der Entwicklung des fortschrittlichen Denkens und des Kampfes um grund legende soziale Umgestaltungen in der Welt. Sie begründeten die revo lutionäre Theorie als geistige Waffe der fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte, die zum Sturz der Ausbeuterordnung berufen sind. Ihre Theorie bringt umfassend die Lebensinteressen der Arbeiterklasse und aller anderen Werktätigen zum Ausdruck und übt wachsenden Einfluß auf das 19* Editorische Hinweise nähme in die Originale von Marx ermöglichten das Internationale Institut für Sozialgeschichte Amsterdam, das Historische Archiv der Stadt Köln und das Karl-Marx-Haus in Trier. Umfangreiche Archivmaterialien stellten zur Verfügung das Zentrale Staatsarchiv Merseburg, das Staatsarchiv Koblenz, das Historische Archiv der Stadt Köln und das Friedrich-Wilhelm-Gymna sium in Trier. Die Staatsbibliothek Berlin unterstützte durch umfangreiche Dauerleihgaben. 88* KARL M A RX W E R KE · ARTIKEL L I T E R A R I S C HE V E R S U C HE BIS M Ä RZ 1 8 43 ERSTER TEIL D I S S E R T A T I ON U ND P U B L I Z I S T I S C HE A R B E I T EN Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie nebst einem Anhange Ν D i f f e r e nz d er d e m o k r i t i s c h en u nd e p i k u r e i s c h en N a t u r p h i lo S o p h ie nebst einem Anhange 5 von Karl Heinrich Marx Doctor der Philosophie Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie nebst einem Anhange. Titelblatt IπιI Seinem theuern väterlichen Freunde, Dem Geheimen Regierungsrathe Herrn LUDWIG VON WESTPHALEN zu Trier widmet diese Zeilen als ein Zeichen kindlicher Liebe der Verfasserl Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie | i v| S ie verzeihen, me in t h e u r er v ä t e r l i c h er F r e u n d, wenn ich I h r en mir so lieben Namen einer unbedeutenden Brochure vorsetze. Ich bin zu ungeduldig, eine andere Gelegen heit abzuwarten, um I h n en einen kleinen Beweis meiner Liebe zu geben. Möchten Alle, die an der Idee zweifeln, so glücklich sein, als ich, einen jugendstarken Greis zu bewundern, der jeden Fortschritt der Zeit mit dem Enthusiasmus und der Besonnen heit der Wahrheit begrüßt, und mit jenem überzeugungstiefen, sonnenhellen Idealismus, der allein das wahre Wort kennt, vor dem alle Geister der Welt erscheinen, nie vor den Schlag schatten der retrograden Gespenster, vor dem oft finstern Wolkenhimmel der Zeit zurüekbebte, sondern mit göttlicher Energie und männlichsicherm Blick stets durch alle Ver puppungen hindurch das Empyreum schaute, das im Herzen der Welt brennt. S i e, m e in v ä t e r l i c h er F r e u n d, waren mir stets ein lebendiges argumentum ad oculos, daß der Idealis mus keine Einbildung, sondern eine Wahrheit ist. Körperliches Wohlsein brauche ich für S i e nicht zu erflehen. Der Geist ist der große zauberkundige Arzt, dem S ie S i ch anvertraut haben. I 12 Vorrede |v| Vorrede. Die Form dieser Abhandlung würde einestheils streng wissenschaftlicher, andrerseits in manchen Ausführungen minder pedantisch gehalten sein, wäre nicht ihre primitive Bestimmung die einer Doctor-Dissertation ge wesen. Sie dennoch in dieser Gestalt dem Druck zu übergeben, bin ich durch äußere Gründe bestimmt. Außerdem glaube ich in ihr ein bis jetzt ungelöstes Problem aus der Geschichte der griechischen Philosophie gelöst zu haben. Sachverständige wissen, daß für den Gegenstand dieser Abhandlung keine irgend wie brauchbare Vorarbeiten existiren. Was Cicero und Plutarch geschwatzt haben, ist bis auf die heutige Stunde nachgeschwatzt worden. Gassendi, der den Epikur aus dem Interdict befreite, mit dem die Kirchen väter und das ganze Mittelalter, die Zeit der realisirten Unver || Vl|nunft, ihn belegt hatten, bietet in seinen Darstellungen nur ein interessantes Moment dar. Er sucht, sein katholisches Gewissen mit seinem heidnischen Wissen und den Epikur mit der Kirche zu accommodiren, was freilich verlorene Mühe war. Es ist, als wollte man der griechischen Lais einen christlichen Nonnenkittel um den heiter blühenden Leib werfen. Gassendi lernt vielmehr aus dem Epikur Philosophie, als daß er uns über Epikur's Philosophie belehren könnte. Man betrachte diese Abhandlung nur als Vorläufer einer größern Schrift, in der ich ausführlich den Cyklus der epikuräischen, stoischen und skepti schen Philosophie in ihrem Zusammenhang mit der ganzen griechischen Speculation darstellen werde. Die Mängel dieser Abhandlung in Form u. dgl. werden dort wegfallen. Hegel hat zwar das Allgemeine der genannten Systeme im Ganzen richtig bestimmt; allein bei dem bewunderungswürdig-großen und kühnen 13 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Plan seiner Geschichte der | | v i l| Philosophie, von der überhaupt erst die Geschichte der Philosophie datirt werden kann, war es theils unmöglich, in das Einzelne einzugehen, theils hinderte den riesenhaften Denker seine Ansicht von Dem, was er par excellence speculativ nannte, in diesen Systemen die hohe Bedeutung zu erkennen, die sie für die Geschichte der 5 griechischen Philosophie und den griechischen Geist überhaupt haben. Diese Systeme sind der Schlüssel zur wahren Geschichte der griechischen Philosophie. Über ihren Zusammenhang mit dem griechischen Leben findet sich eine tiefere Andeutung in der Schrift meines Freundes Koppen „Friedrich der Große und seine Widersacher". 10 Wenn als Anhang eine Kritik der plutarchischen Polemik gegen Epikur's Theologie hinzugefügt ist: so geschah Dies, weil diese Polemik Nichts Einzelnes ist, sondern Repräsentant einer espèce, indem sie das Verhältniß des theologisirenden Verstandes zur Philosophie sehr treffend an sich darstellt. 15 In der Kritik bleibt unter Anderm ||VIIl| auch Das unberührt, wie falsch Plutarch's Standpunkt überhaupt ist, wenn er die Philosophie vor das Forum der Religion zieht. Darüber genüge, statt alles Raisonnements, eine Stelle aus David Hume: „Es ist gewiß eine Art Beschimpfung für die Philosophie, wenn man 20 sie, deren souveraines Ansehen allenthalben anerkannt werden sollte, zwingt, bei jeder Gelegenheit sich wegen ihrer Folgen zu vertheidigen, und sich bei jeder Kunst und Wissenschaft, die an ihr Anstoß nimmt, zu rechtfertigen. Es fällt Einem dabei ein König ein, der des Hoch verraths gegen seine eigenen Unterthanen beschuldigt wird." 25 Die Philosophie, so lange noch ein Blutstropfen in ihrem weltbezwingen- den, absolut-freien Herzen pulsirt, wird stets den Gegnern mit Epikur zurufen: ,,Ασεβής δέ ούχ ό τους των πολλών θεούς άναιρών, άλλ' ό τάς των πολλών δόξας θεοίς προςάπτων."| 30 | i x| Die Philosophie verheimlicht es nicht. Das Bekenntniß des Pro metheus ,,άπλω λό"γω, τους πάντας έχθαίρω θεούς" ist ihr eigenes Bekenntniß, ihr eigener Spruch gegen alle himmlischen und irdischen Götter, die das menschliche Selbstbewußtsein nicht als die 35 oberste Gottheit anerkennen. Es soll Keiner neben ihm sein. Den tristen Märzhasen aber, die über die anscheinend verschlechterte bürgerliche Stellung der Philosophie frohlocken, entgegnet sie wieder, was Prometheus dem Götter-Bedienten Hermes: 14 Vorrede ,,τής σης λατρείας την έμήν δυςπραξίαν σαφώς έπίστασ', ούκ αν άλλάξαιμ' έγώ. κρεΐσσον γαρ οΐμαι τηδε λατρεύειν πέτρα, ή πατρί φυναι ΖηνΙ πιστον άγγελον." 5 Prometheus ist der vornehmste Heilige und Märtyrer im philosophischen Kalender. Berlin, im März 18411 15 Promotionsurkunde Inhalt | x| Inhalt Vorrede Über die Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie E R S T ER THEiL—: Differenz der demokritischen und epikureischen Natur philosophie im Allgemeinen I. Gegenstand der Abhandlung II. Urtheile über das Verhältniß der demokritischen und epikureischen 10 Physik III. Schwierigkeiten hinsichtlich der Identität demokritischer und epi kureischer Naturphilosophie IV. Allgemeine principielle Differenz zwischen demokritischer und epi kureischer Naturphilosophie 15 V. Resultat Z W E I T ER THEiL—: Differenz der demokritischen und epikureischen Natur philosophie im Einzelnen 20 Erstes Kapitel—: Declination des Atoms von der geraden Linie Zweites Kapitel—: Die Qualitäten des Atoms Drittes Kapitel—: Ά τ ο μ οι ά ρ χ αί und ά τ ο μα σ τ ο ι χ ε ία Viertes Kapitel—: Die Zeit Fünftes Kapitel—: Die Meteore 19 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie | x i| Anhang: Kritik der plutarchischen Polemik gegen Epikurs Theologie Vorbemerkung I. Das Verhältniß des Menschen zu Gott 1. Die Furcht und das jenseitige Wesen 2. Der Cultus und das Individuum 3. Die Vorsehung und der degradirte Gott II. Die individuelle Unsterblichkeit 1. Von dem religiösen Feudalismus. Die Hölle des Pöbels 2. Die Sehnsucht der Vielen 3. Der Hochmuth der Auserwählten Erster Teil: Differenz im allgemeinen | l| ERSTER THEIL: Differenz der demokritischen und epikuräischen Naturphilosophie im Allgemeinen. 5 I. Gegenstand der Abhandlung. Der griechischen Philosophie scheint zu begegnen, was einer guten Tragödie nicht begegnen darf, nämlich ein matter Schluß. Mit Aristoteles, dem macedonischen Alexander der griechischen Philosophie, scheint die objektive Geschichte der Philosophie in Griechenland aufzuhören und 10 selbst den männlich-starken Stoikern nicht zu gelingen, was den Spartanern in ihren Tempeln gelang, die Athene an den Herakles festzuketten, so daß sie nicht davonfliehen konnte. Epikuräer, Stoiker, Skeptiker werden als ein fast ungehöriger Nachtrag betrachtet, der in keinem Verhältniß stehe zu seinen gewaltigen Prämis- 15 sen. Die epikuräische Philosophie ||2| sei ein synkretistisches Aggregat aus demokritischer Physik und cyrenaischer Moral, der Stoicismus eine Ver bindung heraklitischer Naturspeculation, cynisch-sittlicher Weltan schauung, etwa auch aristotelischer Logik, endlich der Skepticismus das nothwendige Übel, das diesen Dogmatismen entgegengetreten. Man ver- 20 bindet diese Philosophien so unbewußt mit der alexandrinischen, indem man sie zu einem nur einseitigem und tendentiösern Eklekticismus macht. Die alexandrinische Philosophie endlich wird als gänzliche Schwärmerei und Zerrüttung betrachtet, — eine Verwirrung, in der höchstens die Universalität der Intention anzuerkennen sei. 25 Nun ist es zwar eine sehr triviale Wahrheit: Entstehen, Blühen und 21 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Vergehen sind der eherne Kreis, in den jedes Menschliche gebannt ist, den es durchlaufen muß. So hätte es Nichts Auffallendes, wenn die griechische Philosophie, nachdem sie in Aristoteles die höchste Blüthe erreicht, dann verwelkt wäre. Allein der Tod der Helden gleicht dem J |3| Untergang der Sonne, nicht dem Zerplatzen eines Frosches, der sich aufgeblasen hat. 5 Und dann: Entstehen, Blühen und Vergehen sind ganz allgemeine, ganz vage Vorstellungen, in die zwar Alles einrangirt werden kann, mit denen aber Nichts zu begreifen ist. Der Untergang selbst ist im Lebendigen präformirt; seine Gestalt wäre daher eben so in specif ischer Eigenthümlich- 10 keit zu fassen, wie die Gestalt des Lebens. Endlich, wenn wir auf die Historie einen Blick werfen, sind Epikuräis- mus, Stoicismus, Skepticismus particulare Erscheinungen? sind sie nicht die Urtypen des römischen Geistes? die Gestalt, in der Griechenland nach Rom wanderte? Sind sie nicht so charaktervollen, intensiven und ewigen 15 Wesens, daß die moderne Welt selbst ihnen volles geistiges Bürgerrecht einräumen mußte? Ich hebe Dies nur hervor, um die historische Wichtigkeit dieser Systeme ins Gedächtniß zu rufen; hier aber handelt es sich nicht um ihre allgemeine Bedeutung für die Bildung überhaupt, es handelt ||4| sich um ihren Zusam- 20 menhang mit der altern griechischen Philosophie. Hätte es nicht in Beziehung auf dies Verhältniß wenigstens zur Nach forschung anreizen müssen, die griechische Philosophie mit zwei ver schiedenen Gruppen eklektischer Systeme, deren eine der Cyklus der epikuräischen, stoischen und skeptischen Philosophie, die andere unter 25 dem Namen der alexandrinischen Speculation zusammengefaßt ist, enden zu sehen? Ist es ferner nicht ein merkwürdiges Phänomen, daß nach den platonischen und aristotelischen, zur Totalität sich ausdehnenden Philo sophien neue Systeme auftreten, die nicht an diese reichen Geistesgestalten sich anlehnen, sondern, weiter rückblickend, zu den einfachsten Schulen, — 30 was die Physik angeht, zu den Naturphilosophen, was die Ethik betrifft, zu der sokratischen Schule — sich hinwenden? Worin ist es ferner begrün det, daß die Systeme, die auf Aristoteles folgen, gleichsam ihre Fundamente fertig in der Vergangenheit vorfinden? daß Demokrit mit den Cyrenaikern, Heraklit mit den Cynikern zu||5|sammengebracht wird? Ist es Zufall, daß 35 in den Epikuräern, Stoikern und Skeptikern alle Momente des Selbst bewußtseins vollständig, nur jedes Moment als eine besondere Existenz, repräsentirt sind? daß diese Systeme zusammengenommen die vollständige Construction des Selbstbewußtseins bilden? Endlich der Charakter, mit dem die griechische Philosophie mythisch in den sieben Weisen beginnt, 40 der sich, gleichsam als ihr Mittelpunkt, in Sokrates verkörpert, als ihr 22 Erster Teil: Differenz im a l l g e m e i n en Demiurg, ich sage, der Charakter des Weisen — des σοφός — wird er zufällig in jenen Systemen als die Wirklichkeit der wahren Wissenschaft behauptet? Es scheint mir, daß, wenn die frühern Systeme für den Inhalt, die nach- 5 aristotelischen, und vorzugsweise der Cyklus der epikuräischen, stoischen und skeptischen Schulen, für die subjective Form, den Charakter der griechischen Philosophie bedeutsamer und interessanter sind. Allein eben die subjective Form, der geistige Träger der philosophischen Systeme, ist bisher fast gänzlich über ihren metaphysischen Bestimmungen vergessen 10 worden.) |6| Ich behalte es einer ausführlichem Betrachtung vor, die epikuräische, stoische und skeptische Philosophie in ihrer Gesammtheit und ihrem totalen Verhältniß zur frühern und spätem griechischen Speculation dar zustellen. 15 Hier genüge es, an einem Beispiel gleichsam und auch nur nach einer Seite hin, nämlich der Beziehung zur frühern Speculation, dies Verhältniß zu entwickeln. Als ein solches Beispiel wähle ich das Verhältniß der epikuräischen zur demokritisühen Naturphilosophie. Ich glaube nicht, daß es der bequemste 20 Anknüpfungspunkt ist. Denn einerseits ist es ein altes eingebürgertes Vor- urtheil, demokritische und epikuräische Physik zu identificiren, so daß man in den Veränderungen Epikur's nur willkürliche Einfälle sieht; andrer seits bin ich gezwungen, was das Einzelne betrifft, in scheinbare Mikro- logien einzugehen. Allein eben weil jenes Vorurtheil so alt ist, als die 25 Geschichte der Philosophie, weil die Unterschiede so versteckt sind, | |7| daß sie gleichsam nur dem Mikroskope sich entdecken: wird es um so wichtiger sein, wenn eine wesentliche, bis ins Kleinste durchgehende Dif ferenz der demokritischen und epikuräischen Physik trotz ihres Zusammen hanges sich nachweisen läßt. Was sich im Kleinen nachweisen läßt, ist noch 30 leichter zu zeigen, wo die Verhältnisse in größern Dimensionen gefaßt werden, während umgekehrt ganz allgemeine Betrachtungen den Zweifel zurücklassen, ob das Resultat im Einzelnen sich bestätigen werde. 35 |8[ II. Urtheile über das Verhältniß der demokritischen und epikuräischen Physik. Wie meine Ansicht sich im Allgemeinen zu den frühern verhält, wird in die Augen springen, wenn man die Urtheile der Alten über das Verhältniß der demokritischen und epikuräischen Physik flüchtig durchmustert. 23 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie 5 Posidonius der Stoiker, Nikolaus und Sotion werfen dem Epikur vor, er habe die demokritische Lehre von den Atomen und die des Aristipp vom Vergnügen für sein Eigenthum ausgegeben." Cotta der Akademiker fragt bei Cicero: „Was wäre wol in der Physik des Epikur, das nicht dem Demokrit gehörte? er verändert zwar Einiges, das Meiste aber spricht er Jenem nach."2) So sagt Cicero selbst: „In der Physik, in der Epikur am Meisten prahlt, ist er ein vollkommener Fremdling. Das Meiste gehört dem Demokrit; wo er von ihm abweicht, wo er verbessern will, da verdirbt und verschlechtert er."3) Obgleich aber von vielen Seiten dem Epikur Schmähungen gegen den ||9| Demokrit vorgeworfen werden: so behauptet 10 dagegen Leonteus nach Plutarch, Epikur habe den Demokrit geehrt, weil dieser vor ihm zur wahren Lehre sich bekannt, weil er früher die Principien der Natur entdeckt habe4 ). In der Schrift „De placitis philosophorum" wird Epikur ein nach Demokrit Philosophirender genannt.5' Plutarch in seinem Kolotes geht weiter. Indem er den Epikur der Reihe nach mit 15 Demokrit, Empedokles, Parmenides, Plato, Sokrates, Stilpo, den Cyrenaikern und Akademikern vergleicht, sucht er das Resultat zu gewinnen, „Epikur habe aus der ganzen griechischen Philosophie sich das Falsche zugeeignet, das Wahre nicht verstanden"6', wie auch die Abhandlung „De eo, quod secundum Epicurum non beate vivi possit" von feindseligen Insinuationen 20 ähnlicher Art angefüllt ist. Diese ungünstige Ansicht der altern Schriftsteller bleibt dieselbe bei den Kirchenvätern. Ich führe in der Anmerkung nur eine Stelle des Clemens Alexandrinus an7', eines Kirchenvaters, der in Bezug auf Epikur vorzugsweise Erwähnung verdient, weil er die Warnung des Apostels 25 ||ΐθ| Philosophie überhaupt in eine Warnung vor epi- Paulus vor der kuräischer Philosophie umdeutet, als welche nicht einmal über Vorsehung u. dgl. phantasirt habe8'. Wie geneigt man aber überhaupt war, dem Epikur Plagiate zur Last zu legen, zeigt am Auffallendsten Sextus Empirikus, der einige ganz ungehörige Stellen aus Homer und Epicharmus zu Haupt- 30 quellen epikuräischer Philosophie umstempeln will9). Daß die neuern Schriftsteller im Ganzen ebenfalls den Epikur, so weit er Naturphilosoph, zu einem bloßen Plagiarius des Demokrit machen, ist bekannt. Ihr Urtheil im Allgemeinen repräsentire hier ein Ausspruch von Leibnitz: «Nous ne savons presque de ce grand homme (Démocrite) 35 que ce qu'Épicure en a -emprunté, qui n'était pas capable d'en prendre toujours le meilleur.»10' Wenn also Cicero den Epikur die demokritische Lehre verschlechtern läßt, wobei ihm wenigstens der Wille bleibt, sie zu verbessern, und das Auge, ihre Mängel zu sehen; wenn Plutarch ihm Inconsequenz1" und eine prädeterminirte Neigung für das Schlechtere 40 zuschreibt, also auch seinen Willen verdächtigt: so spricht ihm Leib- 24 Erster Teil: Differenz im allgemeinen nitz sogar die Fähigkeit ab, den Demokrit auch nur geschickt zu excer- piren. Alle aber kommen darin überein, daß Epikur seine Physik vom Demokrit entlehnt habe. |12| III. Schwierigkeiten hinsichtlich der Identität demokritischer und epikuräischer Naturphilosophie. Außer den historischen Zeugnissen spricht Vieles für die Identität demo kritischer und epikuräischer Physik. Die Principien — Atome und Leere — 10 sind unstreitig dieselben. Nur in einzelnen Bestimmungen scheint will kürliche, daher unwesentliche Verschiedenheit zu herrschen. Allein so bleibt ein sonderbares, nicht zu lösendes Räthsel. Zwei Philo sophen lehren ganz dieselbe Wissenschaft, ganz auf dieselbe Weise; aber — wie inconsequent! — in Allem stehen sie sich diametral entgegen, was 15 Wahrheit, Gewißheit, Anwendung dieser Wissenschaft, was das Verhältniß von Gedanken und Wirklichkeit überhaupt betrifft. Ich sage, sie stehen sich diametral entgegen, und werde es jetzt zu beweisen suchen. A) Das Urtheil des Demokrit über Wahrheit und Gewißheit des mensch lichen Wissens scheint schwer zu ermitteln. Es liegen widersprechende 20 Stellen vor, oder vielmehr nicht die Stellen, sondern Demokrits Ansichten widersprechen || 13 j sich. Denn Trendelenburg's Behauptung im Commentar zur aristotelischen Psychologie, erst spätere Schriftsteller, nicht aber Aristoteles wisse von solchem Widerspruch, ist factisch unrichtig. In der Psychologie des Aristoteles heißt es nämlich: „Demokrit setzt Seele und 25 Verstand als ein und dasselbe, denn das Phänomen sei das Wahre"1', in der Metaphysik dagegen: „Demokrit behauptet, Nichts sei wahr, oder uns sei es verborgen."2> Widersprechen sich diese Stellen des Aristoteles nicht? Wenn das Phänomen das Wahre ist, wie kann das Wahre ver borgen sein? Die Verborgenheit beginnt erst, wo sich Phänomen und 30 Wahrheit trennen. Diogenes Laertius aber berichtet, man habe Demokrit zu den Skeptikern gezählt. Es wird sein Spruch angeführt: „In Wahrheit wissen wir Nichts, denn im Abgrund des Brunnens liegt die Wahrheit."3' Ähnliches findet sich bei Sextus Empirikus**. Diese skeptische, unsichere und innerlich sich widersprechende Ansicht 35 des Demokrit ist nur weiter entwickelt in der Weise, wie das Verhältniß des Atoms und der sinnlich erscheinenden Welt bestimmt wird. Einerseits kömmt die sinnliche Erscheinung nicht den Atomen selbst zu. Nicht objective Erscheinung ist sie, sondern subjectiver Schein. ||l4| „Die 25 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie wahrhaften Principien sind die Atome und das Leere; alles Andere ist Meinung, Schein."S) „Nur der Meinung nach ist das Kalte, der Meinung nach das Warme, in Wahrheit aber die Atome und das Leere."6) Es wird daher in Wahrheit nicht eins aus den vielen Atomen, sondern „durch die Verbindung der Atome scheint jedes eins zu werden."7' Durch die Vernunft zu schauen sind daher allein die Principien, die schon wegen ihrer Klein heit dem sinnlichen Auge unzugänglich sind; daher heißen sie sogar Ideen®. Allein andrerseits ist die sinnliche Erscheinung das allein wahre Object, und die αΐσθησις ist die φρόνησυς, dies Wahre aber ist wechselnd, unstät, Phänomen. Daß aber das Phänomen das Wahre sei, widerspricht 10 sich.9' Es wird also bald die eine Seite, bald die andere zum Subjectiven und zum Objectiven gemacht. So scheint der Widerspruch auseinander gehalten, indem er an zwei Welten vertheilt wird. Demokrit macht daher die sinnliche Wirklichkeit zum subjectiven Schein; allein die Antinomie, aus der Welt der Objecte verbannt, ||l5| existirt nun in seinem eigenen 15 Selbstbewußtsein, in dem der Begriff des Atoms und die sinnliche An schauung feindlich zusammentreffen. 5 Demokrit entrinnt also der Antinomie nicht. Sie zu erklären, ist hier noch nicht der Ort. Genug, daß ihre Existenz nicht zu leugnen ist. 20 Hören wir dagegen Epikur. Der Weise, sagt er, verhält sich dogmatisch, nicht skeptisch.1® Ja, eben das ist sein Vorzug vor Allen, daß er mit Überzeugung weiß.1 1' „Alle Sinne sind Herolde des Wahren."12' „Nichts kann die sinnliche Wahrnehmung widerlegen; weder die gleichartige die gleichartige wegen der gleichen Giltigkeit, noch die ungleichartige die ungleichartige, denn sie urtheilen 25 nicht über Dasselbe, noch der Begriff, denn der Begriff hängt ab von den sinnlichen Wahrnehmungen"13' heißt es im Kanon. Während aber Demokrit die sinnliche Welt zum subjectiven Schein macht, macht sie Epikur zur objectiven Erscheinung. Und mit Bewußtsein unterscheidet er sich hierin; denn er behauptet, dieselben Principien zu theilen, nicht aber die sinnlichen 30 Qualitäten zum Nur-Gemeinten zu machen1 4'.| |ló| War also einmal sinnliche Wahrnehmung das Kriterium des Epikur, entspricht ihr die objective Erscheinung: so kann man nur als richtige Consequenz betrachten, worüber Cicero die Achsel zuckt. „Die Sonne scheint dem Demokrit groß, weil er ein wissenschaftlicher und in der 35 Geometrie vollendeter Mann ist; dem Epikur etwa von zwei Fuß Größe, denn er urtheilt, sie sei so groß, als sie scheint."15) B) Diese Differenz in den theoretischen Urtheilen des Demokrit und des Epikur über Sicherheit der Wissenschaft und Wahrheit ihrer Objecte verwirklicht sich in der disparaten wissenschaftlichen Energie und Praxis 40 dieser Männer. 26 Erster Teil: Differenz im allgemeinen Demokrit, dem das Princip nicht in die Erscheinung tritt, ohne Wirk lichkeit und Existenz bleibt, hat dagegen als reale und inhaltsvolle Welt die Welt der sinnlichen Wahrnehmung sich gegenüber. Sie ist zwar subjectiver Schein, allein eben dadurch vom Princip losgerissen, in ihrer selbstständigen 5 Wirklichkeit belassen; zugleich einziges reales Object, hat sie als solche Werth und Bedeutung. Demokrit wird daher in empi\\\l\rische Beobachtung getrieben. In der Philosophie unbefriedigt, wirft er sich dem positiven Wissen in die Arme. Wir haben schon gehört, daß Cicero ihn einen vir eruditus nennt. In der Physik, Ethik, Mathematik, in den encyklischen 10 Disciplinen, in jeder Kunst ist er bewandert.16' Schon der Bücherkatalog bei Diogenes Laertius zeugt für seine Gelehrsamkeit.17' Wie es aber der Charakter der Gelehrsamkeit ist, in die Breite zu gehen, und zu sammeln, und von außen zu suchen: so sehen wir den Demokrit die halbe Welt durchwandern, um Erfahrungen, Kenntnisse, Beobachtungen einzutau- 15 sehen. „Ich", rühmt er von sich selbst, „habe von meinen Zeitgenossen den größten Theil der Erde durchirrt, das Entlegenste durchforschend; und die meisten Himmelsstriche und Lande sah ich, und die meisten gelehrten Männer hörte ich; und in der Liniencomposition mit Beweis übertraf mich Niemand, auch nicht der Ägypter sogenannte Arsepedonapten."18' Demetrius in den ό μ ω ν ύ μ ο ις und Antisthenes in den δ ι α δ ο χ α ίς erzählen, daß er ge|| 181wandert sei nach Ägypten zu den Priestern, um Geometrie zu lernen, und zu den Chaldäern nach Persien, und daß er gekommen zum rothen Meere. Einige behaupten, er sei auch zusammengetroffen mit den Gymnosophisten in Indien, und habe Äthiopien betreten.19' Es ist einerseits 25 die Wissenslust, die ihm keine Ruhe läßt; es ist aber zugleich die Nicht- befriedigung im wahren, d. i. philosophischen Wissen, die ihn in die Weite treibt. Das Wissen, das er für wahr hält, ist inhaltslos; das Wissen, das ihm Inhalt giebt, ist ohne Wahrheit. Mag sie eine Fabel sein, aber eine wahre Fabel, weil sie das Widersprechende seines Wesens schildert, ist die 30 Anekdote der Alten. Sich selbst habe Demokrit geblendet, damit das sinnliche Augenlicht nicht die Geistesschärfe verdunkle.20' Es ist derselbe Mann, der, wie Cicero sagt, die halbe Welt durchwandert. Aber er hatte nicht gefunden, was er suchte. 20 35 Eine entgegengesetzte Gestalt erscheint uns in Epikur. Epikur ist befriedigt und selig in der || 19| Philosophie. „Der Philosophie", sagt er, „mußt du dienen, damit dir die wahre Freiheit zufalle. Nicht zu harren braucht Der, der sich ihr unterwarf und übergab; sogleich wird er emaneipirt. Denn dies selbst, der Philosophie dienen, ist Freiheit."21' „Weder der Jüngling", lehrt er daher, „zögere zu philosophiren, noch lasse ab der 40 Greis vom Philosophiren. Denn Keiner ist zu unreif, Keiner zu überreif, um an der Seele zu gesunden. Wer aber sagt, entweder noch nicht da sei 27 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie die Zeit des Philosophirens, oder vorübergegangen sei sie, Der ist ähnlich Dem, der behauptet, zur Glückseligkeit sei noch nicht die Stunde, oder sie sei nicht mehr."2 2) Während Demokrit, von der Philosophie unbefriedigt, sich dem empirischen Wissen in die Arme wirft, verachtet Epikur die positiven Wissenschaften; denn Nichts trügen sie bei zur wahren Voll- endung23). Ein Feind der Wissenschaft, ein Verächter der Grammatik wird er genannt.24' Unwissenheit selbst wird ihm vorgeworfen; „aber", sagt ein Epikuräer bei Cicero, „nicht Epikur war ohne Erudition, sondern Die jenigen unge II 201lehrt, die glauben, was dem Knaben Schande macht nicht zu wissen, sei noch vom Greise herzusagen"25'. 5 10 Während aber Demokritvon ägyptischen Priestern, persischen Chaldäern und indischen Gymnosophisten zu lernen sucht, rühmt Epikur von sich, er habe keinen Lehrer gehabt, er sei Autodidakt26'. Einige, sagt er nach Seneca, ringen nach Wahrheit ohne jegliche Beihilfe. Unter Diesen habe er sich selbst den Weg gebahnt. Und sie, die Autodidakten, lobt er am 15 Meisten. Die Andern seien Köpfe zweiten Ranges.2 7' Während es den Demokrit in alle Weltgegenden treibt, verläßt Epikur kaum zwei- oder drei-mal seinen Garten zu Athen, und reist nach Ionien, nicht um Forschun gen anzustellen, sondern um Freunde zu besuchen28'. Während endlich Demokrit, am Wissen verzweifelnd, sich selbst blendet, steigt Epikur, als 20 er die Stunde des Todes nahen fühlt, in ein warmes Bad, und begehrt reinen Wein, und empfiehlt seinen Freunden, der Philosophie treu zu sein29'. I |2l| C) Die eben entwickelten Unterschiede sind nicht der zufälligen Individualität beider Philosophen zuzuschreiben; es sind zwei entgegen- 25 gesetzte Richtungen, die sich verkörpern. Wir sehen als Differenz der praktischen Energie, was oben als Unterschied des theoretischen Bewußt seins sich ausdrückt. Wir betrachten endlich die Reflexionsform, die die Beziehung des Ge dankens auf das Sein, das Verhältniß derselben darstellt. In dem all- 30 gemeinen Verhältnisse, das der Philosoph der Welt und dem Gedanken zu einander giebt, verobjectivirt er sich nur, wie sein besonderes Bewußt sein sich zur realen Welt verhält. Demokrit nun wendet als Reflexionsform der Wirklichkeit die Noth- wendigkeit an.3 0' Aristoteles sagt von ihm, er führe Alles auf Nothwendigkeit 35 zurück.3" Diogenes Laertius berichtet, der Wirbel der Atome, aus dem Alles entstehe, sei die demokritische Nothwendigkeit.32' Genügender spricht hierüber ||22| der Auetor De placitis philosophorum: Die Nothwendigkeit sei nach Demokrit das Schicksal und das Recht und die Vorsehung und Weltschöpferinn. Die Substanz aber dieser Nothwendigkeit sei die Antitypie 40 und die Bewegung und der Schlag der Materie.33' Eine ähnliche Stelle 28 Erster Teil: Differenz im a l l g e m e i n en findet sich in den physischen Eklogen des Stobäus34> und im 6ten Buch der Praeparatio evangelica des Eusebius3^. In den ethischen Eklogen des Stobäus ist folgende Sentenz des Demokrit aufbewahrt36', die im 14ten Buch des Eusebius fast eben so wiederholt wird137'1, nämlich: Die Menschen 5 fingirten sich das Scheinbüd des Zufalls, — eine Manifestation ihrer eigenen Rathlosigkeit; denn mit einem starken Denken kämpfe der Zufall. Eben so deutet Simplicius eine Stelle, in der Aristoteles von der alten Lehre spricht, die den Zufall aufhebt, auf den Demokrit.38' Dagegen Epikur: 10 „Die Nothwendigkeit, die von Einigen als die Allherrscherinn eingeführt ist, ist nicht, sondern Einiges ist zufällig, Anderes hängt von un||23|serer Willkür ab. Die Nothwendigkeit ist nicht zu überreden, der Zufall dagegen unstät. Es wäre besser, dem Mythos über die Götter zu folgen, als Knecht zu sein der ειμαρμένη der Physiker. Denn Jener läßt Hoffnung der 15 Erbarmung wegen der Ehre der Götter, diese aber die unerbittliche Noth wendigkeit. Der Zufall aber, nicht Gott, wie die Menge glaubt, ist an zunehmen."39' „Es ist ein Unglück, in der Nothwendigkeit zu leben, aber in der Nothwendigkeit zu leben, ist keine Nothwendigkeit. Offen stehen überall zur Freiheit die Wege, viele, kurze, leichte. Danken wir daher 20 Gott, daß Niemand im Leben festgehalten werden kann. Zu bändigen die Nothwendigkeit selbst, ist gestattet."4 0' Ähnliches spricht der Epikuräer Vellejus bei Cicero über die stoische Philosophie: „Was soll man von einer Philosophie halten, welcher, wie alten und zwar ungelehrten Vetteln, Alles durch das Fatum zu geschehen vom Epikur sind wir erlöst, in Freiheit gesetzt worden."4 1'| |24 j So leugnet Epikur selbst das disjunctive Urtheil, um keine Noth 25 scheint? wendigkeit anerkennen zu müssen.4 2' Es wird zwar auch vom Demokrit behauptet, er habe den Zufall an gewandt; allein von den beiden Stellen, die sich hierüber beim Simplicius 30 finden43', macht die eine die andere verdächtig, denn sie zeigt offenbar, daß nicht Demokrit die Kategorie des Zufalls gebraucht, sondern Simplicius sie ihm als Consequenz beigelegt. Er sagt nämlich: Demokrit gebe von der Weltschöpfung im Allgemeinen keinen Grund an; er scheine also den Zufall zum Grunde zu machen. Hier handelt es sich aber nicht um die Inhaltsbestimmung, sondern um die Form, die Demokrit mit Bewußtsein angewandt hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Bericht des Eusebius: Demokrit habe den Zufall zum Herrscher des Allgemeinen und Göttlichen gemacht und behauptet, hier geschehe Alles durch ihn, während er ihn vom menschlichen Leben und der empirischen Natur fern gehalten, seine 35 40 Verkünder aber sinnlos gescholten habe.4 4 ,| j 251 Theils sehen wir hierin eine bloße Consequenzmacherei des christ- 29 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie liehen Bischofs Dionysius, theils, wo das Allgemeine und Göttliche anfängt, hört der demokritische Begriff der Nothwendigkeit auf, vom Zufall ver schieden zu sein. So viel ist also historisch sicher, Demokrit wendet die Nothwendigkeit, Epikur den Zufall an; und zwar verwirft Jeder die entgegengesetzte Ansicht mit polemischer Gereiztheit. 5 Die Haupteonsequenz dieses Unterschiedes erscheint in der Erklärungs weise der einzelnen physischen Phänomene. Die Nothwendigkeit erscheint nämlich in der endlichen Natur als relative Nothwendigkeit, als Determinismus. Die relative Nothwendigkeit kann 10 nur deducirt werden aus der realen Möglichkeit, d. h. es ist ein Umkreis von Bedingungen, Ursachen, Gründen u. s. w., durch welche sich jene Nothwendigkeit vermittelt. Die reale Möglichkeit ist die Explication der relativen Nothwendigkeit. Und sie finden wir vom Demokrit angewandt. Wir führen einige Belege aus Simplicius an.| 15 |26| Wenn Einer dürstet, und trinkt, und gesund wird: so wird Demokrit nicht den Zufall als die Ursach angeben, sondern das Dürsten. Denn wenn er auch bei der Weltschöpfung den Zufall zu gebrauchen schien: so be hauptet er doch, daß dieser im Einzelnen von Nichts die Ursach sei, sondern führt auf andere Ursachen zurück. So sei z.B. das Graben die 20 Ursach des Schatzfindens, oder das Wachsen des Ölbaums.45' Die Begeisterung und der Ernst, mit dem Demokrit jene Erklärungs weise in die Betrachtung der Natur einführt, die Wichtigkeit, die er der Begründungstendenz beilegt, spricht sich naiv in dem Bekenntnisse aus: „Ich will lieber eine neue Ätiologie finden, als die persische Königswürde 25 erlangen!"46' Epikur steht dem Demokrit wiederum direct gegenüber. Der Zufall ist eine Wirklichkeit, welche nur den Werth der Möglichkeit hat. Die abstracte Möglichkeit aber ist gerade der Antipode der realen. Die Letztere ist beschränkt in scharfen Grenzen, wie der Verstand; schrankenlos, wie die Phantasie. Die reale Möglichkeit sucht die Noth wendigkeit und Wirklichkeit ihres Objectes zu begründen; der abstracten ist es nicht um das Object zu thun, das erklärt wird, sondern um das Subject, das erklärt. Es soll der Gegenstand nur möglich, denkbar sein. Was abstract möglich ist, was gedacht werden kann, Das steht dem denken- 35 den Subject nicht im Wege, ist ihm keine Grenze, kein Stein des Anstoßes. Ob diese Möglichkeit nun auch wirklich sei, ist gleichgiltig, denn das Interesse erstreckt sich hier nicht auf den Gegenstand als Gegenstand. Epikur verfährt daher mit einer grenzenlosen Nonchalance in der Er die Erste 30 klärung der einzelnen physischen Phänomene. 40 Näher wird Dies aus dem Brief an den Pythokles erhellen, den wir 30 Erster Teil: Differenz im a l l g e m e i n en später zu betrachten haben. Hier genüge es, auf sein Verhältniß zu den Meinungen früherer Physiker aufmerksam zu machen. Wo der Auetor de placitis philosophorum und Stobäus die verschiedenen Ansichten der Philosophen über die Substanz der Sterne, ||28| die Größe und Figur der 5 Sonne und Ähnliches anführen, heißt es immer vom Epikur: Er verwirft keine dieser Meinungen, alle könnten richtig sein, er halte sich am Mög lichen."^ Ja Epikur polemisirt sogar gegen die verständig bestimmende und eben daher einseitige Erklärungsweise aus realer Möglichkeit. 10 So sagt Seneca in seinen Quaestiones naturales: Epikur behauptet, alle jene Ursachen könnten sein, und versucht dazu noch mehrere andere Erklärungen, und tadelt Diejenigen, die behaupten, irgend eine bestimmte von diesen finde Statt, da es gewagt sei, über Das, was nur aus Conjecturen zu folgern, apodiktisch zu urtheilen.48) Man sieht, es ist kein Interesse vorhanden, die Realgründe der Objecte 15 zu untersuchen: Es handelt sich bloß um eine Beruhigung des erklärenden Subjects. Indem alles Mögliche als möglich zugelassen wird, was dem Charakter der abstracten Möglichkeit entspricht, wird offenbar der Zufall des Seins nur in den Zufall des Denkens übersetzt. Die einzige Regel, | |29| die Epikur vorschreibt, ,Hnicht widersprechen dürfe die Erklärung der 20 sinnlichen Wahrnehmung", versteht sich von selbst; denn das Abstract- Mögliche besteht eben darin, frei vom Widerspruch zu sein, der also zu verhüten ist.4 9' Endlich gesteht Epikur, daß seine Erklärungsweise nur die Ataraxie des SelbstbewußtseinsbezweckQ, nicht die Naturerkenntniß an und für sich.50) 25 Wie ganz entgegengesetzt er sich also auch hier zu Demokrit verhalte, bedarf wol keiner Ausführung mehr. 30 Wir sehen also beide Männer sich Schritt für Schritt entgegenstehn. Der Eine ist Skeptiker, der Andere Dogmatiker; der Eine hält die sinnliche Welt für subjectiven Schein, der Andere für objective Erscheinung. Der- jenige, der die sinnliche Welt für subjectiven Schein hält, legt sich auf empirische Naturwissenschaft und positive Kenntnisse, und stellt die Un ruhe der experimentirenden, überall lernenden, in die Weite schweifenden Beobachtung dar. Der Andere, der die erscheinende Welt für real hält, verachtet die Empirie; die Ruhe des in sich befriedigten Denkens, die 35 Selbstständigkeit, die 11301 ex principio interno ihr Wissen schöpft, sind in ihm verkörpert. Aber noch höher steigt der Widerspruch. Der Skeptiker und Empiriker, der die sinnliche Natur für subjectiven Schein hält, betrachtet sie unter dem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit, und sucht die reale Existenz der Dinge zu erklären und zu fassen. Der Philosoph 40 und Dogmatiker dagegen, der die Erscheinung für real hält, sieht überall nur Zufall; und seine Erklärungsweise geht vielmehr dahin, alle objective 31 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Realität der Natur aufzuheben. Es scheint eine gewisse Verkehrtheit in diesen Gegensätzen zu liegen. Kaum aber kann man noch vermuthen, daß diese Männer, in Allem sich widersprechend, einer und derselben Lehre anhangen werden. Und doch scheinen sie an einander gekettet. Ihr Verhältniß im Allgemeinen zu fassen, ist die Aufgabe des nächsten Abschnitts. 32 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen |[31]| ZWEITER THEIL: Über die Differenz der demokritischen und epikuräischen Physik im Einzelnen. 5 E R S T ES K A P I T E L: Die Declination des Atoms von der geraden Linie. Epikur nimmt eine dreifache Bewegung der Atome im Leeren an." Die eine Bewegung ist die des Falls in gerader Linie; die andere entsteht dadurch, 10 daß das Atom von der geraden Linie abweicht; und die dritte wird gesetzt durch die Repulsion der vielen Atome. Die Annahme der ersten und letzten Bewegung hat Demokrit mit dem Epikur gemein, die Declination des Atoms von der geraden Linie unterscheidet ihn von Demselben.2' Über diese deklinirende Bewegung ist viel ge|| [32] |scherzt worden. 15 Cicero vor Allen ist unerschöpflich, wenn er dies Thema berührt. So heißt es unter Anderm bei ihm: „Epikur behauptet, die Atome würden durch ihr Gewicht abwärts getrieben in gerader Linie; diese Bewegung sei die natür liche der Körper. Dann aber fiel es auf, daß, wenn alle von oben nach unten getrieben würden, nie ein Atom das andere treffen könne. Der Mann 20 nahm daher zu einer Lüge seine Zuflucht. Er sagte, das Atom weiche ganz wenig aus, was aber durchaus unmöglich ist. Daher entständen Complexio- nen, Copulationen und Adhäsitationen der Atome unter sich, und aus diesen die Welt und alle Theile der Welt und, Was in ihr ist. Außerdem, daß diese ganze Sache knabenhaft fingirt ist, erreicht er nicht einmal, was er will."3' 25 Eine andere Wendung finden wir bei Cicero im 1. Buch der Schrift „Über die 33 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Natur der Götter": „Da Epikur einsah, daß, wenn die Atome durch ihr eige nes Gewicht abwärts getrieben würden, Nichts in unserer Gewalt stände, weil ihre Bewegung ||[33]| bestimmt und nothwendig ist: erfand er ein Mittel, der Nothwendigkeit zu entgehen, was dem Demokrit entgangen war. Er sagt, das Atom, obgleich es durch Gewicht und Schwere von oben nach unten getrieben wird, weiche ein klein wenig aus. Dies zu behaupten, ist schmählicher, als Das, was er will, nicht vertheidigen zu können."4' 5 Ähnlich urtheilt Pierre Bayle: «Avant lui (c.-à-d. Epicure) on n'avait admis dans les atomes que le mouvement de pesantement et celui de réflexion. Epicure supposa, que même au milieu du vide les atomes déclinaient un 10 Remarquez en peu de la ligne droite; et de là venait la liberté, disait-il passant, que ce ne fut [pas] le seul motif, qui le porta à inventer ce mouve ment de déclinaison; il le fit servir aussi à expliquer la rencontre des atomes, car il vit bien, qu'en supposant, qu'ils se mouvaient avec une égale vitesse par des lignes droites, qui tendaient toutes de haut en bas, 15 il ne ferait jamais entendre, qu'ils eussent pu se rencontrer, et qu'aussi la production du monde ||[34]| aurait été impossible. Il fallut donc, qu'ils s'écartaient de la ligne droite.»" Ich lasse einstweilen die Bündigkeit dieser Reflexionen dahingestellt. Soviel wird Jeder im Vorbeigehen bemerken können, daß der neuste Kritiker 20 des Epikur, Schaubach, den Cicero falsch aufgefaßt hat, wenn er sagt: „Die Atome würden alle durch die Schwere abwärts, also nach physischen Grün den parallel getrieben, bekämen aber durch gegenseitiges Abstoßen eine andere Bewegung, nach Cicero (De Nat. Deor. 1,25) eine schräge Bewegung durch zufällige Ursachen, und zwar von Ewigkeit her."6) Cicero macht in 25 der angeführten Stelle erstens nicht das Abstoßen zum Grund der schrägen Richtung, sondern vielmehr die schräge Richtung zum Grund des Ab- stoßens. Zweitens spricht er nicht von zufälligen Ursachen, sondern tadelt vielmehr, daß gar keine Ursachen angegeben werden, wie es denn an und für sich widersprechend wäre, zugleich das Abstoßen, und nichts desto 30 weniger zufällige Ursachen als Grund ||[35]| der schrägen Richtung anzu nehmen. Höchstens könnte denn noch von zufälligen Ursachen des Ab- stoßens, nicht aber der schrägen Richtung die Rede sein. Eine Sonderbarkeit in Cicero's und Bayle's Reflexionen ist übrigens zu augenfällig, um sie nicht sogleich hervorzuheben. Sie schieben nämlich 35 dem Epikur Beweggründe unter, von denen der eine den andern aufhebt. Einmal soll Epikur die Declination der Atome annehmen, um die Repulsion, das andere Mal, um die Freiheit zu erklären. Treffen sich aber die Atome nicht ohne Declination: so ist die Declination zur Begründung der Freiheit überflüssig; denn das Gegentheil der Freiheit beginnt, wie wir aus Lucrez7) 40 ersehen, erst mit dem deterministischen und gewaltsamen Sich-Treffen der 34 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen Atome. Treffen sich aber die Atome ohne Declination, so ist sie zur Begründung der Repulsion überflüssig. Ich sage, dieser Widerspruch ent steht, wenn die Gründe der Declination des Atoms von der geraden Linie so äußerlich und zusammenhangslos aufgefaßt werden, wie es von Cicero 5 und Bayle || [36] | geschieht. Wir werden bei Lucrez, der überhaupt von allen Alten die epikuräische Physik allein begriffen hat, eine tiefere Darstellung finden. Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung der Declination selbst. Wie der Punkt in der Linie aufgehoben ist: so ist jeder fallende Körper 10 in der geraden Linie aufgehoben, die er beschreibt. Hier kömmt es gar nicht auf seine specifische Qualität an. Ein Apfel beschreibt beim Fall so gut eine senkrechte Linie, als ein Stück Eisen. Jeder Körper, so fern er in der Bewegung des Falls aufgefaßt wird, ist also nichts als ein sich bewegender Punkt, und zwar ist er ein unselbstständiger Punkt, der in einem gewissen 15 Dasein — der geraden Linie, die er beschreibt — seine Einzelheit aufgiebt. Aristoteles bemerkt daher mit Recht gegen die Pythagoräer: „Ihr sagt, die Bewegung der Linie sei die Fläche, die des Punktes die Linie; also werden auch die Bewegungen der ||[37]| Monaden Linien sein."8> Die Consequenz hiervon sowol bei den Monaden als den Atomen wäre also, da sie in steter 20 Bewegung sind9', daß weder Monade noch Atom existiren, sondern vielmehr in der geraden Linie untergehn; denn die Solidität des Atoms ist noch gar nicht vorhanden, so fern es nur als in gerader Linie fallend aufgefaßt wird. Zunächst, wenn die Leere als räumliche Leere vorgestellt wird, ist das Atom die unmittelbare Negation des abstracten Raums; also ein räumli- 25 eher Punkt. Die Solidität, die Intensivität, die sich gegen das Außer-ein- ander des Raums in sich behauptet, kann nur durch ein Princip hinzu kommen, das den Raum seiner ganzen Sphäre nach negirt, wie es in der wirklichen Natur die Zeit ist. Außerdem, wollte man Dies selbst nicht zugeben, ist das Atom, so weit seine Bewegung gerade Linie ist, rein durch 30 den Raum bestimmt, ihm ein relatives Dasein vorgeschrieben, und seine Existenz eine rein materielle. Aber wir haben gesehen, das eine ||[38]| Mo ment im Begriff des Atoms ist reine Form, Negation aller Relativität, aller Beziehung auf ein anderes Dasein zu sein. Wir haben zugleich bemerkt, daß Epikur beide Momente, die sich zwar widersprechen, die aber im 35 Begriff des Atoms liegen, sich verobjectivirt. Wie kann Epikur nun die reine Formbestimmung des Atoms, den Be griff der reinen Einzelheit, der jedes durch Anderes bestimmte Dasein negirt, verwirklichen? Da er sich im Feld des unmittelbaren Seins bewegt, so sind alle Bestim- 40 mungen unmittelbare. Also werden die entgegengesetzten Bestimmungen als unmittelbare Wirklichkeiten sich entgegengesetzt. 35 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Die relative Existenz aber, die dem Atom gegenübertritt, das Dasein, das es zu negiren hat, ist die gerade Linie. Die unmittelbare Negation dieser Bewegung ist eine andere Bewegung, also, selbst räumlich vorgestellt, die Declination von der geraden Linie] |[39]| Die Atome sind rein selbstständige Körper, oder vielmehr der Körper, in absoluter Selbstständigkeit gedacht, wie die Himmelskörper. Sie bewegen sich daher auch, wie diese, nicht in geraden, sondern in schrägen Linien. Die Bewegung des Falls ist die Bewegung der Unselbst- ständigkeit. 5 Wenn also Epikur in der Bewegung des Atoms nach gerader Linie die 10 Materialität desselben darstellt, so hat er in der Declination von der geraden Linie seine Formbestimmung realisirt; und diese entgegengesetzten Be stimmungen werden als unmittelbar entgegengesetzte Bewegungen vor gestellt. Lucrez behauptet daher mit Recht, daß die Declination die fati foedera 15 durchbrichtl0); und, wie er Dies sogleich auf das Bewußtsein anwendet'0, so kann vom Atom gesagt werden, die Declination sei das Etwas in seiner Brust, was entgegenkämpfen und widerstehen kann. Wenn Cicero aber dem Epikur vorwirft: „Er erreiche nicht einmal Das, erdichtet habe; denn declinirten alle Atome: so 20 weswegen er Dies würden sich nie welche verbinden, oder einige würden ausweichen, andere würden durch ihre Bewegung geradeaus getrieben werden. Man müßte vorher also gleichsam den Atomen bestimmte Posten zuweisen, welche gerade aus, und welche schräg sich bewegen sollten"1 2', so hat dieser Ein wurf darin seine Berechtigung, daß beide Momente, die im Begriff des 25 Atoms liegen, als unmittelbar verschiedene Bewegungen vorgestellt werden, also auch verschiedenen Individuen zufallen müßten; — eine Inconsequenz, die aber consequent ist, denn des Atoms Sphäre ist die Unmittelbarkeit. Epikur fühlt recht gut den Widerspruch, der darin liegt. Er sucht daher die Declination so viel, als möglich, unsinnlich darzustellen. Sie ist 30 Nec regione loci certa, nec tempore certo1 3', sie geschieht im möglichst kleinsten Raum14'. Ferner tadelt Cicero15"1 und, nach ||[41]| Plutarch, mehrere Alten1 6', daß die Declination des Atoms ohne Ursache geschehe; und Etwas Schmäh licheres, sagt Cicero, kann einem Physiker nicht passiren17'. Allein erstens 35 würde eine physische Ursache, wie sie Cicero will, die Declination des Atoms in die Reihe des Determinismus zurückwerfen, aus dem sie gerade erheben soll. Dann aber ist das Atom noch gar nicht vollendet, ehe es in der Bestimmung der Declination gesetzt ist. Nach der Ursach dieser Bestimmung fragen, heißt also, nach der Ursach fragen, die das Atom zum 40 36 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen Princip macht, — eine Frage, die offenbar für Den sinnlos ist, dem das Atom Ursache von Allem, also selbst ohne Ursache ist. Wenn endlich Baylels\ auf die Auctorität des Augustinus gestützt19', nach dem Demokrit den Atomen ein spirituelles Princip zugeschrieben hat, — 5 eine Auctorität, die übrigens bei dem Gegensatz zu Aristoteles und den andern Alten gänzlich unbedeutend ist — dem Epikur vorwirft, statt dieses spirituellen Princips die Declination ersonnen zu haben: so wäre im GeII[42] Igentheil mit der Seele des Atoms bloß ein Wort gewonnen, während in der Declination die wirkliche Seele des Atoms, der Begriff 10 der abstracten Einzelheit, dargestellt ist. 15 20 Ehe wir die Consequenz der Declination des Atoms von der geraden Linie betrachten, ist noch ein höchst wichtiges, bis jetzt gänzlich übersehenes Moment hervorzuheben. Die Declination des Atoms von der geraden Linie ist nämlich keine besondere, zufällig in der epikuräischen Physik vorkommende Bestimmung. Das Gesetz, das sie ausdrückt, geht vielmehr durch die ganze epikuräische Philosophie hindurch, so allerdings, wie sich von selbst versteht, daß die Bestimmtheit seiner Erscheinung von der Sphäre abhängig ist, in der es angewandt wird. Die abstracte Einzelheit kann nämlich ihren Begriff, ihre Formbestim mung, das reine Für-sich-sein, die Unabhängigkeit von dem unmittelbaren Dasein, das Aufgehoben-sein aller Relativität, nur so bethätigen, daß sie von dem Dasein, das ihr gegenübertritt, abstrahirt; denn, um es wahrhaft zu überwinden, müßte sie es idea||[43]|lisiren, was nur die Allgemeinheit 25 vermag. Wie also das Atom von seiner relativen Existenz, der geraden Linie, sich befreit, indem es von ihr abstrahirt, von ihr ausbeugt: so beugt die ganze epikuräische Philosophie überall da dem beschränkenden Dasein aus, wo der Begriff der abstracten Einzelheit, die Selbstständigkeit und 30 Negation aller Beziehung auf Anderes, in seiner Existenz dargestellt werden soll. So ist der Zweck des Thuns das Abstrahiren, das Ausbeugen von dem Schmerz und der Verwirrung, die Ataraxie.20' So ist das Gute die Flucht vor dem Schlechten21', so ist die Lust das Ausbeugen von der Pein22'. 35 Endlich, wo die abstracte Einzelheit in ihrer höchsten Freiheit und Selbst ständigkeit, in ihrer Totalität erscheint, da ist consequenter Weise das Dasein, dem ausgebeugt wird, alles Dasein;und daher beugen die Götter der Welt aus, und bekümmern sich nicht um dieselbe, und wohnen außerhalb derselben23'. 40 Man hat gespottet über diese Götter des Epikur, die, Menschen ähnlich, in den Intermundien der wirklichen Welt wohnen, keinen Körper, sondern 37 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie einen Quasi-Körper, kein Blut, ||[44]| sondern Quasi-Blut haben24', und, in seliger Ruhe verharrend, kein Flehen erhören, unbekümmert um uns und die Welt, wegen ihrer Schönheit, ihrer Majestät und ihrer vorzüglichem Natur, keines Gewinnes wegen, yerehrt werden. 5 Und doch sind diese Götter nicht Fiction des Epikur. Sie haben existirt. Es sind die plastischen Götter der griechischen Kunst. Cicero, der Römer, persiflirt sie mit Recht2 5'; aber Plutarch, der Grieche, hat alle griechische Anschauung vergessen, wenn er meint, Furcht und Aberglaube hebe diese Lehre von den Göttern auf, Freude und Gunst der Götter gebe sie nicht, sondern sie leihe uns zu ihnen das Verhältniß, das wir zu den hyrkanischen 10 Fischen haben, von denen wir weder Schaden noch Nutzen erwarten26'. Die theoretische Ruhe ist ein Hauptmoment des griechischen Götter charakters, wie auch Aristoteles sagt: „Was das Beste ist, bedarf keiner Handlung, denn es selbst ist der Zweck."2 7' Wir betrachten jetzt die Consequenz, die aus der Declination des Atoms 15 unmittelbar hervorgeht. Es ist in ihr ausgedrückt, daß das Atom ||[45]| alle Bewegung und Β eziehung negirt, worin es als ein be sondere s Dasein von einem andern bestimmt wird. Es ist Dies so dargestellt, daß das Atom abstrahirt von dem Dasein, das ihm gegenübertritt, und sich demselben entzieht. Was aber hierin enthalten ist, seine Negation aller Beziehung auf Anderes, 20 muß verwirklicht, positiv gesetzt werden. Dies kann nur geschehen, indem das Dasein, auf das es sich bezieht, kein anderes, als es selbst, ist, also ebenfalls ein Atom, und, da es selbst unmittelbar bestimmt ist, viele Atome. So ist die Repulsion der vielen Atome die nothwendige Verwirklichung der lex atomi, wie Lucrez die Declination nennt. Weil hier aber jede Bestim- 25 mung als ein besonderes Dasein gesetzt wird: so kömmt die Repulsion als dritte Bewegung zu den frühern hinzu. Mit Recht sagt Lucrez, wenn die Atome nicht zu decliniren pflegten, wäre weder Gegenschlag noch Treffen derselben entstanden, und niemals die Welt erschaffen worden.2 8' Denn die Atome sind sich selbst ihr einziges Object, können sich nur auf sich 30 beziehen, also, räumlich ausgedrückt, sich ||[46]| jede relative Existenz derselben, in der sie auf Anderes sich bezögen, negirt ist; und diese relative Existenz ist, wie wir gesehen haben, ihre ursprüng liche Bewegung, die des Falls in gerader Linie. Also treffen sie sich erst durch Declination von derselben. Um die bloß materielle Zersplitterung 35 ist es nicht zu thun.2 9' treffen, indem Und in Wahrheit: die unmittelbar seiende Einzelheit ist erst ihrem Begriff nach verwirklicht, in so fern sie sich auf ein Anderes bezieht, das sie selbst ist, wenn auch das Andere in der Form unmittelbarer Existenz gegenübertritt. So hört der Mensch erst auf Naturproduct zu sein, wenn 40 das Andere, auf das er sich bezieht, keine verschiedene Existenz, sondern 38 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen selbst ein einzeler Mensch ist, ob auch noch nicht der Geist. Daß der Mensch als Mensch sich aber sein einziges wirkliches Object werde, dazu muß er sein relatives Dasein, die Macht der Begierde und der bloßen Natur, in sich gebrochen haben. Die Repulsion ist die erste Form des 5 Selbstbewußtseins; sie entspricht daher dem Selbstbewußtsein, das sich als Unmit||[47]|telbar-Seiendes, Abstract-Einzeles erfaßt. In der Repulsion ist also der Begriff des Atoms verwirklicht, wonach es die abstracte Form, aber nicht minder das Gegentheil, wonach es abstracte Materie ist; denn Das, auf das es sich bezieht, sind zwar Atome, 10 aber andere Atome. Verhalte ich mich aber zu mir selbst als zu einem Unmittelbar-Anderm, so ist mein Verhalten ein materielles. Es ist die höchste Äußerlichkeit, die gedacht werden kann. In der Repulsion der Atome ist also die Materialität derselben, die im Fall nach gerader Linie, und die Formbestimmung derselben, die in der Declination ponirt war, 15 synthetisch vereinigt. Demokrit im Gegensatz zu Epikur macht zu einer gewaltsamen Bewe gung, zu einer That der blinden Nothwendigkeit, was Jenem Verwirklichung des Begriffs des Atoms ist. Schon oben haben wir gehört, als Substanz der Nothwendigkeit gebe er den Wirbel (δίνη) an, der aus dem Repelliren und 20 Aneinanderstoßen der Atome entsteht. Er faßt also in der Repulsion nur die materielle Seite, die Zersplitterung, die Veränderung, nicht die ideelle, wonach darin alle Beziehung auf Anderes negirt, und die Bewegung | |[48]| als Selbstbestimmung gesetzt ist. Dies sieht man klar daraus, daß er sich ganz sinnlich einen und denselben Körper durch den leeren Raum in 25 viele getheilt denkt, wie Gold, das in Stücke gebrochen ist.3 0' Er faßt also kaum das Eins als den Begriff des Atoms. Mit Recht polemisirt Aristoteles gegen ihn: „Deswegen wäre dem Leukipp und dem Demokrit, die behaupten, immer bewegten sich die. ersten Körper im Leeren und im Unendlichen, zu sagen, welcher Art die 30 Bewegung sei, und welche die ihrer Natur adäquate Bewegung. Denn, wenn jedes der Elemente von dem andern durch Gewalt bewegt wird: so ist es doch nothwendig, daß jedes auch eine natürliche Bewegung habe, außer welcher die gewaltsame ist; und diese erste Bewegung muß nicht gewalt sam, sondern natürlich sein. Sonst findet der Progreß ins Unendliche 35 Statt."31' Die epikuräische Declination des Atoms hat also die ganze innere Construction des Reichs der Atome verändert, indem durch sie die Be stimmung der Form geltend gemacht, und der Widerspruch, der im Begriff des Atoms liegt, ||[49]| verwirklicht ist. Epikur hat daher zuerst, wenn 40 auch in sinnlicher Gestalt, das Wesen der Repulsion erfaßt, während Demokrit nur ihre materielle Existenz gekannt hat. 39 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Wir finden daher auch konkretere Formen der-Repulsion vom Epicur angewandt; im Politischen ist es der Vertrage, im Socialen die Freund schaft, die als das Höchste gepriesen wird. |[50]| Z W E I T ES K A P I T E L: Die Qualitäten des Atoms. 5 Es widerspricht dem Begriff des Atoms, Eigenschaften zu haben; denn, wie Epikur sagt, jede Eigenschaft ist veränderlich, die Atome aber ver ändern sich nicht". Allein es ist nichts desto weniger eine nothwendige 10 Consequenz, ihnen dieselben beizulegen. Denn die vielen Atome der Repulsion, die durch den sinnlichen Raum getrennt sind, müssen nothwendig unmittelbar von einander und von ihrem reinen Wesen verschieden sein, d. h. Qualitäten besitzen. Ich nehme daher in der folgenden Entwickelung gar keine Rücksicht auf 15 Schneider's und Nürnberger's Behauptung, „Epikur habe den Atomen keine Qualitäten beigelegt, die §§.44 und 54 in dem Brief an Herodot bei Diogenes Laertius seien untergeschoben". Wäre wirklich an dem, wie wollte man die Zeugnisse des Lucrez, des Plutarch, ja aller Schriftsteller, die über Epikur berichten, entkräften? Dazu erwähnt Diogenes Laertius 20 die Qualitäten des ||[51]| Atoms nicht in zwei, sondern in zehn Paragraphen, nämlich den §§.42, 43, 44, 54, 55, 56, 57, 58, 59 und 61. Der Grund, den jene Kritiker angeben, „sie wüßten die Qualitäten des Atoms mit seinem Begriff nicht zu vereinigen", ist sehr seicht. Spinoza sagt, die Ignoranz sei kein Argument. Wollte Jeder die Stellen, die er in den Alten nicht 25 versteht, ausstreichen, wie bald hätte man tabula rasa! Durch die Qualitäten erhält das Atom eine Existenz, die seinem Begriff widerspricht, wird es als entäußertes, von seinem Wesen unterschiedenes Dasein gesetzt. Dieser Widerspruch ist es, der das Hauptinteresse des Epikur bildet. Sobald er daher eine Eigenschaft ponirt, und so die Conse- 30 quenz der materiellen Natur des Atoms gezogen hat: contraponirt er zugleich Bestimmungen, welche diese Eigenschaft in ihrer eigenen Sphäre wieder vernichten, und dagegen den Begriff des Atoms geltend machen. Er bestimmt daher alle Eigenschaften so, daß sie sich selbst widersprechen. Demokrit dagegen betrachtet nirgends die Ei [| [52] | genschaften in Bezug 35 auf das Atom selbst, noch verobjectivirt er den Widerspruch zwischen Begriff und Existenz, der in ihnen liegt. Vielmehr geht sein ganzes Interesse darauf, die Qualitäten in Bezug auf die concrete Natur, die aus ihnen gebildet 40 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen werden soll, darzustellen. Sie sind ihm bloß Hypothesen zur Erklärung der erscheinenden Mannichfaltigkeit. Der Begriff des Atoms hat daher Nichts mit ihnen zu schaffen. Um unsere Behauptung zu erweisen, ist es zuvörderst nöthig, uns mit 5 den Quellen zu verständigen, die sich hier zu widersprechen scheinen. In der Schrift „De placitis philosophorum"heißt es: „Epikurbehauptet, den Atomen komme dies Dreifache zu: Größe, Gestalt, Schwere. Demokrit nahm nur zweierlei an: Größe und Gestalt; Epikur setzte Diesen als Drittes die Schwere hinzu."2) Dieselbe Stelle findet sich, wörtlich wiederholt, in 10 der Praeparatio evangelica des Eusebius.3)| |[53]| Sie wird bestätigt durch das Zeugniß des Simplicius^ und Philo- ponus5\ nach dem Demokrit den Atomen nur den Unterschied der Größe und der Gestalt zugetheilt hat. Direct entgegen steht Aristoteles, der im l.Buch „De generatione et corruptione" den Atomen des Demokrit ver- 15 schiedenes Gewicht beilegt.6' An einer andern Stelle (im 1. Buch De coelo) läßt Aristoteles unentschieden, ob Demokrit den Atomen Schwere bei gelegt habe, oder nicht; denn er sagt: „So wird keiner der Körper absolut leicht sein, wenn alle Schwere haben; wenn aber alle Leichtigkeit haben, wird keiner schwer sein."7' Ritter in seiner „Geschichte der alten Philoso- 20 phie" verwirft, auf das Ansehen des Aristoteles sich stützend, die Angaben bei Plutarch, Eusebius und Stobäus8'; die Zeugnisse des Simplicius und Philoponus berücksichtigt er nicht. Wir wollen zusehen, ob sich jene Stellen wirklich so sehr widersprechen. In den angeführten Citaten spricht Aristoteles von den Qualitäten des 25 Atoms nicht ex professo. Dagegen heißt es im 7. Buch der Metaphysik: „Demokrit setzt ||[54]| drei Unterschiede der Atome. Denn der zu Grunde liegende Körper sei der Materie nach einer und derselbe; er sei aber unter schieden durch den ρυσμός, das die Gestalt, durch die τροπή, das die Lage, oder durch die δι,αθιγή, das die Ordnung bedeutet."9' Soviel folgt sogleich 30 aus dieser Stelle. Die Schwere wird nicht als eine Eigenschaft der demo­ kritischen Atome erwähnt. Die zersplitterten, durch die Leere auseinander gehaltenen Stücke der Materie müssen besondere Formen haben, und diese werden ganz äußerlich aus der Betrachtung des Raumes aufgenom men. Noch deutlicher geht Dies aus folgender Stelle des Aristoteles hervor: 35 „Leukipp und sein Genosse Demokrit sagen, die Elemente seien das Volle und das Leere Diese seien Grund des Seienden als Materie. Wie nun Diejenigen, die eine einzige Grundsubstanz setzen, das Andere aus deren Affectionen erzeugen, indem sie das Dünne und das Dichte als Principien der Qualitäten unterstellen: auf dieselbe ||[55]| Weise lehren auch Jene, 40 daß die Unterschiede der Atome Ursachen des Andern seien; denn das zum Grunde liegende Sein unterscheide sich allein durch ρυσμός, διαθι/νή 41 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie und τροπή AN von NA durch die Ordnung, Ζ von Ν durch die Lage."I 0) Es unterscheide sich nämlich A von Ν durch die Gestalt, 5 Es folgt aus dieser Stelle evident, daß Demokrit die Eigenschaften der Atome nur in Bezug auf die Bildung der Unterschiede der Erscheinungs welt, nicht in Bezug auf das Atom selbst betrachtet. Es folgt ferner, daß Demokrit die Schwere nicht als eine wesentliche Eigenschaft der Atome hervorhebt. Sie versteht sich ihm von selbst, weil alles Körperliche schwer ist. Eben so ist selbst die Größe nach ihm keine Grundqualität. Sie ist eine accidentelle Bestimmung, die den Atomen schon mit der Figur gegeben ist. Nur die Verschiedenheit der Figuren — denn weiter ist in Gestalt, Lage, 10 Stellung Nichts enthalten — interessiren den Demokrit. Größe, Gestalt, Schwere, indem sie zusammengestellt werden, wie es vom Epikur ge schieht, sind Differenzen, welche das Atom ||[56]| an sich selbst hat; Gestalt, Lage, Ordnung — Unterschiede, welche ihm in Bezug auf ein anderes zukommen. Während wir also bei Demokrit bloße hypothetische Bestim- 15 mungen zur Erklärung der Erscheinungswelt finden, wird sich uns bei Epi kur die Consequenz des Princips selbst darstellen. Wir betrachten daher seine Bestimmungen der Eigenschaften des Atoms im Einzelen. Erstens haben die Atome Größe.n) Andrerseits wird auch die Größe negirt. Sie haben nämlich nicht jede Größe12', sondern es sind nur einige 20 Größenwechsel unter ihnen anzunehmen13'. Ja es ist nur die Negation des Großen ihnen zuzuschreiben, das Kleine1 4', und auch nicht das Minimum, denn Dies wäre eine rein räumliche Bestimmung, sondern das Unendlich kleine, das den Widerspruch ausdrückt15'. Rosinius in seinen Adnotationen zu den Fragmenten des Epikur übersetzt daher eine Stelle falsch, und 25 übersieht die andere gänzlich, wenn er sagt: „Hujusmodi autem tenuitatem atomorum incredibili parvitate arguebat Epicurus, utpote quas nulla magni tudine 11 [57] I praeditas ajebat teste Laertio X,44."1 6' Ich will nun keine Rücksicht darauf nehmen, daß nach Eusebius erst Epikur unendliche Kleinheit den Atomen zugeschrieben17', Demokrit aber auch die größten 30 Atome — Stobäus sagt sogar18', von Weltgröße — angenommen habe. Einerseits widerspricht Dies dem Zeugniß des Aristotelesm, andrerseits widerspricht Eusebius, oder vielmehr der alexandrinische Bischof Dionysius, den er excerpirt, sich selbst; denn in demselben Buche heißt es, Demokrit habe als Principien der Natur untheilbare, durch die Vernunft 35 anschaubare Körper unterstellt20'. Allein soviel ist klar, Demokrit bringt sich den Widerspruch nicht zum Bewußtsein; er beschäftigt ihn nicht, während er das Hauptinteresse Epikur's bildet. Die zweite Eigenschaft der epikuräischen Atome ist die Gestalte Allein auch diese Bestimmung widerspricht dem Begriff des Atoms, und es muß 40 ihr Gegentheil gesetzt werden. Die abstracte Einzelheit ist das Abstract- 42 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen sich-Gleiche, und daher gestaltlos. Die Unterschiede der Gestalt der Atome sind daher zwar unbestimmbar22', |)[58]| allein sie sind nicht absolut un endlich23'. Vielmehr ist es eine bestimmte und endliche Anzahl von Gestalten, durch die die Atome unterschieden werden.2 4' Es ergiebt sich hieraus von 5 selbst, daß es nicht so viel verschiedene Figuren, als Atome giebt25', während Demokrit unendlich viele Figuren setzt26'. Hätte jedes Atom eine besondere Gestalt, so müßte es Atome von unendlicher Größe geben2 7', denn sie hätten einen unendlichen Unterschied, den Unterschied von allen übrigen an sich, wie die leibnitzischen Monaden. Die Behauptung 10 von Leibnitz, daß nicht zwei Dinge sich gleich seien, wird daher umgekehrt; und es giebt unendlich viele Atome von derselben Gestalt28', womit offen bar die Bestimmung der Gestalt wieder negirt ist; denn eine Gestalt, die nicht mehr von Anderm unterscheidet, ist nicht Gestalt./ |[59]| Höchst wichtig ist es endlich, daß Epikur als dritte Qualität die 15 Schwere anführt29'; denn im Schwerpunkt besitzt die Materie die ideale Einzelheit, die eine Hauptbestimmung des Atoms bildet. Sind also die Atome einmal in das Reich der Vorstellung versetzt, so müssen sie auch schwer sein. Allein die Schwere widerspricht auch direct dem Begriff des Atoms; 20 denn sie ist die Einzelheit der Materie als ein idealer Punkt, der außerhalb derselben liegt. Das Atom ist aber selbst diese Einzelheit, gleichsam der Schwerpunkt, als eine einzele Existenz vorgestellt. Die Schwere existirt daher für den Epikur nur als verschiedenes Gewicht, und die Atome sind selbst substantiale Schwerpunkte, wie die Himmelskörper. Wendet man 25 Dies auf das Concrete an: so ergiebt sich von selbst, was der alte Brucker so wunderbar findet30', und was uns Lucrez versichert3", nämlich, daß die Erde kein Centrum hat, nach dem Alles strebt, und daß es keine .Anti poden giebt. Da die Schwere ferner nur dem von Anderm unterschiedenen, also entäußerten und mit Eigenschaften begabten Atome zukömmt: so 30 versteht es sich, daß, wo die Atome nicht als viele ||[60]| in ihrer Differenz von einander, sondern nur in Beziehung zur Leere gedacht werden, die Bestimmung des Gewichtes fortfällt. Die Atome, so verschieden sie an Masse und Form sein mögen, bewegen sich daher gleich schnell im leeren Raum.32' Epikur wendet daher die Schwere auch nur in der Repulsion und 35 den Compositionen an, die aus der Repulsion hervorgehen, was Veranlas sung gegeben hat, zu behaupten, nur die Conglomerationen der Atome, nicht aber sie selbst, seien mit Schwere begabt33'. Gassendi lobt schon den Epikur, daß er, rein durch Vernunft geleitet, die Erfahrung anticipirt habe, wonach alle Körper, obgleich an Gewicht und 40 Last höchst verschieden, dennoch gleich schnell sind, wenn sie von oben nach unten fallen.3 4' 43 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Die Betrachtung der Eigenschaften der Atome liefert uns also dasselbe Resultat, wie die Betrachtung der Declination, nämlich, daß Epi||[61]|kur den Widerspruch im Begriff des Atoms zwischen Wesen und Existenz ver- objectivirt, und so die Wissenschaft der Atomistik geliefert hat, während beim Demokrit keine Realisirung des Princips selber Statt findet, sondern nur die materielle Seite festgehalten, und Hypothesen zum Behufe der Empirie beigebracht werden. 5 I[62]I DRITTES KAPITEL: Άτομοι άρχαί und άτομα στοιχεία. 10 Schaubach behauptet in seiner schon oben angeführten Abhandlung über die astronomischen Begriffe des Epikur: „Epikur hat mit Aristoteles einen Unterschied gemacht zwischen An fängen (άτομοι άρχαί Diogen. Laert. X,41) und Elementen (άτομα στοιχεία 15 Diogen. Laert. X,86). Jene sind die durch den Verstand erkennbaren Atome, erfüllen keinen Raum.1' Dieselben heißen Atome, nicht als die kleinsten Körper, sondern weil sie im Raum nicht getheilt werden können. Nach diesen Vorstellungen sollte man meinen, daß Epikur den Atomen keine Eigenschaften, welche sich auf den Raum beziehen, beigelegt habe.2' In dem 20 Brief an den Herodot aber (Diogen. Laert. X.44.54) giebt er den Atomen nicht nur Schwere, sondern auch Größe und Gestalt Ich rechne daher diese Atome zu der zweiten Gattung, die aus jenen entstanden sind, aber doch wieder als Elementartheilchen der Körper angesehen werden."3' Betrachten wir uns die Stelle, die Schaubach ||[63]| aus dem Diogenes 25 Laertius citirt, genauer. Sie heißt: ,,Οΐον οτι το π άν σώμα και άναφής φύσις εστίν ή δτι άτομα στοιχεία καί πάντα τα τοιαύτα." Epikur belehrt hier den Pythokles, an den er schreibt, die Lehre von den Meteoren unter­ scheide sich von allen übrigen physischen Doctrinen, z.B., daß Alles Körper und Leeres sei, daß es untheilbare Grundstoffe gebe. Man sieht, 30 es ist hier durchaus kein Grund vorhanden, anzunehmen, es sei von einer secundären Gattung Atome die Rede. Vielleicht scheint es, daß die Dis junction zwischen ,,τό πάν σώμα καί άναφής φύσις" und ,,δτι τα άτομα στοιχεία" einen Unterschied zwischen σώμα und άτομα στοιχεία ponire, wo denn etwa σώμα die Atome der ersten Art im Gegensatz zu den 35 άτομα στοιχεία bedeute. Allein daran ist gar nicht zu denken. Σώμα bedeutet das Körperliche im Gegensatz zum Leeren, das daher auch άσώματον heißt.5' In σώμα [|[64][ sind daher eben sowol die Atome als die 44 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen zusammengesetzten Körper einbegriffen. So wird ζ. B. in dem Brief an den εί μή ήν, δ κενόν και χώραν Herodot gesagt: „To π άν έστι σώμα και άναφή φύσιν όνομάζομεν Των σωμάτων τα μέν έστι συγ­ κρίσεις, τα δ' έξ ών αί συγκρίσεις πεποίηνται. Ταύτα δέ έστιν άτομα 'Ώςτε τάς αρχάς άτόμους άναγκαΐον είναι σωμάτων φύσεις."61 Epikur spricht also in der oben erwähnten Stelle zuerst vom Körperlichen überhaupt im Unterschiede vom Leeren, dann von dem besondern Körperlichen, den Atomen. 5 και αμετάβλητα Schaubach's Berufung auf den Aristoteles beweist eben so wenig. Der 10 Unterschied zwischen άρχή und στοιχεΐον, den vorzugsweise die Stoiker urgiren7), findet sich zwar auch bei Aristoteles8'; allein nicht minder giebt er auch die Identität beider Ausdrücke an9 ). Er lehrt sogar ausdrücklich, ||[65]| Atom.10' Eben so nennen στοιχεΐον bezeichne vorzugsweise das auch Demokrit und Leukipp das πλήρες και κενόν ,,στοιχεΐον".1" 15 Bei Lucrez, in den Briefen des Epikur bei Diogenes Laertius, im Kolotes des Plutarch12', vom Sextus Empirikus13' werden die Eigenschaften den Atomen selbst beigelegt, weshalb sie eben als sich selbst aufhebend be­ stimmt wurden. Wenn es aber für eine Antinomie gilt, daß bloß durch die Vernunft 20 wahrnehmbare Körper mit räumlichen Qualitäten begabt sind: so ist es eine viel größere Antinomie, daß die räumlichen Qualitäten selbst nur durch den Verstand percipirt werden können.1 4' Endlich folgende Stelle des Stobäus an: ,,Έπίκουρος führt Schaubach zur weitern Begründung seiner Ansicht τα πρώτα (sc. σώματα) 25 δέ άπλα, τα δέ έξ εκείνων συγκρίματα πάντα βάρος εχειν." Dieser Stelle bei Stobäus könnten noch folgende hinzugefügt werden, in denen άτομα στοιχεία als eine besondere Art Atome erwähnt werden: (Plutarch.) De placit. philosoph. 1,246 und 249 und Stob. Eclog. phys. I, p.5.1 5' Übrigens wird keineswegs in diesen Stellen behauptet, die ursprünglichen 30 Atome seien ohne Größe, Gestalt und Schwere. Es wird ||[66]| vielmehr nur von der Schwere als einem differenten Merkmale der άτομοι άρχαί und άτομα στοιχεία gesprochen. Wir bemerkten aber schon im vorigen Kapitel, daß diese nur bei der Repulsion und den aus ihr entstehenden Conglomerationen angewandt wird. 35 Mit der Erdichtung der άτομα στοιχεία wird auch Nichts gewonnen. Es ist eben so schwierig, aus den ατομοι άρχαί zu den άτομα στοιχεία überzugehen, als ihnen direct Eigenschaften beizulegen. Nichts desto weniger leugne ich nicht durchaus jene Unterscheidung. Ich leugne nur zwei verschiedene fixe Arten von Atomen. Es sind vielmehr unterschiedene 40 Bestimmungen einer und derselben Art. Ehe ich diesen Unterschied auseinandersetze, mache ich noch aufmerk- 45 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie sam auf eine Manier des Epikur. Er setzt nämlich die verschiedenen Be stimmungen eines Begriffes gern als verschiedene selbstständige Existen zen. Wie sein Princip das Atom ist, so ist die Weise seines Wissens selbst atomistisch. Jedes Moment der Entwickelung verwandelt sich ihm unter der Hand sogleich in eine fixe, von ihrem Zusammen||[67]|hang gleichsam durch den leeren Raum getrennte Wirklichkeit; alle Bestimmung nimmt die Gestalt der isolirten Einzelheit an. 5 Aus folgendem Beispiel wird diese Manier klar werden. Das Unendliche, το άπειρον oder die infinitio, wie Cicero übersetzt, wird zuweilen als eine besondere Natur vom Epikur gebraucht; ja gerade 10 in denselben Stellen, in denen wir die στοιχεία als eine fixe zu Grunde liegende Substanz bestimmt finden, finden wir auch das άπειρον ver- selbstständigt.16' Nun ist aber das Unendliche nach den eigenen Bestimmungen des Epikur weder eine besondere Substanz, noch Etwas außer den Atomen und 15 dem Leeren, sondern vielmehr eine accidentelle Bestimmung desselben. Wir finden nämlich drei Bedeutungen des άπειρον. Erstens drückt das άπειρον dem Epikur eine Qualität aus, die den Atomen und dem Leeren gemein ist. So bedeutet es die Unendlichkeit des Alls, das unendlich ist durch die unendliche Vielheit der Atome, durch 20 die unendliche Größe des Leeren.1 7' Das andere Mal ist απειρία ||[68]| die Vielheit der Atome, so daß nicht das Atom, sondern die unendlich vielen Atome dem Leeren entgegen gesetzt werden.1 8' Endlich, wenn wir vom Demokrit auf den Epikur schließen dürfen, 25 bedeutet άπειρον auch gerade das Gegentheil, die unbegrenzte Leere, die dem in sich bestimmten und durch sich selbst begrenzten Atom opponirt wird.19' In allen diesen Bedeutungen — und sie sind die einzigen, sogar die einzig möglichen für die Atomistik — ist das Unendliche eine bloße Be- 30 Stimmung der Atome und des Leeren. Nichts desto weniger wird es zu einer besondern Existenz verselbstständigt, sogar als eine specifische Natur neben die Principien gestellt, deren Bestimmtheit es ausdrückt. Mag daher Epikur selbst die Bestimmung, in der das Atom στοιχεΐον wird, als eine selbstständige, ursprüngliche Art Atom fixirt haben, was 35 übrigens, nach der historischen Prävalenz der einen Quelle vor der andern zu schließen, nicht der Fall ist; oder mag Metrodor, der Schüler des Epi kur, was uns wahr || [69] | scheinlicher dünkt, erst die unterschiedene Be stimmung in eine unterschiedene Existenz verwandelt haben20': wir müssen der subjectiven Weise des atomistischen Bewußtseins die Verselbst- 40 ständigung der einzelen Momente zuschreiben. Dadurch, daß man ver- 46 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen schiedenen Β estimmungen die Form verschiedener Existenz verleiht, hat man ihren Unterschied nicht begriffen. Das Atom hat dem Demokrit nur die Bedeutung eines σ τ ο ι χ ε ΐ ο ν, eines materiellen Substrats. Die Unterscheidung zwischen dem Atom als ά ρ χή 5 und σ τ ο ι χ ε ΐ ο ν, als Princip und Grundlage, gehört dem Epikur. Ihre Wichtig keit wird aus Folgendem erhellen. Der Widerspruch zwischen Existenz und Wesen, zwischen Materie und Form, der im Begriff des Atoms liegt, ist am einzelnen Atom selbst gesetzt, indem es mit Qualitäten begabt wird. Durch die Qualität ist das 10 Atom seinem Begriff entfremdet, zugleich aber in seiner Construction voll endet. Aus der Repulsion und den damit zusammenhangenden Conglome- rationen der qualificirten Atome entsteht nun die erscheinende Welt.| |[70]| Bei diesem Übergange aus der Welt des Wesens in die Welt der Erscheinung erreicht offenbar der Widerspruch im Begriff des Atoms 15 seine grellste Verwirklichung. Denn das Atom ist seinem Begriff nach die absolute, wesentliche Form der Natur. Diese absolute Form ist jetzt zur absoluten Materie, zum formlosen Substrat der erscheinenden Welt de- gradirt. 20 Die Atome sind zwar Substanz der Natur2 1 ), aus der Alles sich erhebt, in die Alles sich auflöst2 2 ); aber die stete Vernichtung der erscheinenden Welt kömmt zu keinem Resultat. Es bilden sich neue Erscheinungen; das Atom selbst aber bleibt immer als Bodensatz zu Grunde liegen23'. So weit also das Atom seinem reinen Begriff nach gedacht wird, ist der leere Raum, die vernichtete Natur, seine Existenz; so weit es zur Wirklich- 25 keit fortgeht, sinkt es zur materiellen Basis herab, die, Träger einer Welt von mannichfaltigen Beziehungen, nie anders als in ihr gleichgütigen und äußerlichen Formen existirt. Es ist Dies eine nothwendige Con||[71]|sequenz, weil das Atom, als Abstract-Einzeles und Fertiges vorausgesetzt, nicht als idealisirende und übergreifende Macht jener Mannichfaltigkeit sich 30 zu bethätigen vermag. Die abstracte Einzelheit ist die Freiheit vom Dasein, nicht die Freiheit im Dasein. Sie vermag nicht, im Licht des Daseins zu leuchten. Es ist Dies ein Element, in welchem sie ihren Charakter verliert, und materiell wird. Daher tritt das Atom nicht in den Tag der Erscheinung24', oder sinkt 35 zur materiellen Basis herab, wo es in sie tritt. Das Atom, als solches, existirt nur in der Leere. So ist der Tod der Natur ihre unsterbliche Substanz geworden; und mit Recht ruft Lucrez aus: Mortalem vitam mors immortalis ademit. Daß aber Epikur den Widerspruch in dieser seiner höchsten Spitze faßt 40 und vergegenständlicht, also das Atom, wo es zur Basis der Erscheinung wird, als σ τ ο ι χ ε ΐ ον vom Atom, wie es im Leeren existirt, als ά ρ χή unter- 47 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie scheidet, ist sein philosophischer Unterschied vom Demokrit, der nur das eine Moment vergegenständlicht. Es ist Dies derselbe Unterschied, der in ||[72]| der Welt des Wesens, dem Reich der Atome und des Leeren, den Epikur vom Demokrit trennt. Da aber erst das qualificirte Atom das vollendete ist, da erst aus dem vollendeten und seinem Begriff entfremdeten Atom die erscheinende Welt hervorgehen kann: so drückt Dies Epikur so aus, daß erst das qualificirte Atom σ τ ο ι χ ε ϊ ον werde, oder erst das α τ ο μ ον σ τ ο ι χ ε ΐ ον mit Qualitäten begabt sei. I [73] I V I E R T ES K A P I T EL : Die Zeit. 5 10 Da im Atom die Materie als reine Beziehung auf sich aller Veränderlich keit und Relativität enthoben ist: so folgt unmittelbar, daß die Zeit aus dem Begriff des Atoms, der Welt des Wesens, auszuschließen ist. Denn die 15 Materie ist nur ewig und selbstständig, in so fern von dem zeitlichen Moment in ihr abstrahirt wird. Hierin stimmen auch Demokrit und Epikur überein. Sie differiren aber in der Art und Weise, wie die Zeit, die aus der Welt der Atome entfernt ist, nun bestimmt, wohin sie verlegt wird. Dem Demokrit hat die Zeit keine Bedeutung, keine Nothwendigkeit 20 für das System. Er erklärt sie, um sie aufzuheben. Als ewig wird sie bestimmt, damit, wie Aristoteles^ und Simplicius2' sagen, Entstehen und Vergehen, also das Zeitliche, von den Atomen entfernt werde. Sie selbst, die Zeit, biete den Beweis dar, daß nicht Alles einen Ursprung, ein Moment des Anfangs haben müsse.) 25 |[74]| Es ist hierin ein Tieferes anzuerkennen. Der imaginirende Ver stand, der die Selbstständigkeit der Substanz nicht begreift, fragt nach ihrem zeitlichen Werden. Es entgeht ihm dabei, daß, indem er die Substanz zu einem Zeitlichen, er zugleich die Zeit zu einem Substantiellen macht, und damit ihren Begriff aufhebt; denn die absolut gemachte Zeit ist nicht 30 mehr zeitlich. Allein andrerseits ist diese Lösung unbefriedigend. Die Zeit, aus der Welt des Wesens ausgeschlossen, wird in das Selbstbewußtsein des philo- sophirenden Subjects verlegt, berührt aber nicht die Welt selbst. Anders Epikur. Aus der Welt des Wesens ausgeschlossen, wird ihm die 35 Zeit zur absoluten Form der Erscheinung. Sie wird nämlich bestimmt als accidens des accidens. Das accidens ist die Veränderung der Substanz überhaupt. Das accidens des accidens ist die Veränderung als in sich 48 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen reflectirende, der Wechsel als Wechsel. Diese reine Form der erscheinen den Welt ist nun die Zeit.3) Die Zusammensetzung ist die bloß passive Form der concreten Natur, die Zeit ihre actuose ||[75]| Form. Betrachte ich die Zusammensetzung ihrem 5 Dasein nach: so existirt das Atom hinter ihr, im Leeren, in der Einbildung; betrachte ich das Atom seinem Begriff nach: so existirt die Zusammen setzung entweder gar nicht, oder nur in der subjectiven Vorstellung; denn sie ist eine Beziehung, in welcher die selbstständigen, in sich ver schlossenen, gegen einander gleichsam interesselosen Atome eben so sehr 10 nicht auf einander bezogen sind. Die Zeit dagegen, der Wechsel des End lichen, indem er als Wechsel gesetzt wird, ist eben so sehr die wirkliche Form, die die Erscheinung vom Wesen trennt, sie als Erscheinung setzt, als sie in das Wesen zurückführt. Die Zusammensetzung drückt nur die Materialität sowol der Atome aus, als der Natur, die aus ihnen sich 15 erhebt. Die Zeit dagegen ist in der Welt der Erscheinung, was der Begriff des Atoms in der Welt des Wesens ist, nämlich die Abstraction, Vernich tung und Zurückführung alles bestimmten Daseins in das Für-sich-sein. Aus diesen Betrachtungen ergeben sich folgende Consequenzen. Erstens macht Epikur den Widerspruch zwischen Materie und Form zum Charakter 20 der erscheinenden Natur, die ||[76]| so das Gegenbild der wesentlichen, des Atoms, wird. Dies geschieht, indem dem Raum die Zeit, der passiven Form der Erscheinung die active entgegengesetzt wird. Zweitens wird erst bei Epikur die Erscheinung als Erscheinung aufgefaßt, d.h. als eine Ent fremdung des Wesens, die sich selbst in ihrer Wirklichkeit als solche 25 Entfremdung bethätigt. Bei Demokrit dagegen, dem die Zusammensetzung die einzige Form der erscheinenden Natur ist, zeigt die Erscheinung nicht an sich selbst, daß sie Erscheinung, ein vom Wesen Unterschiedenes ist. Also ihrer Existenz nach betrachtet, wird das Wesen gänzlich mit ihr confundirt, ihrem Begriff nach gänzlich von ihr getrennt, so daß sie zum 30 subjectiven Schein herabsinkt. Die Zusammensetzung verhält sich gleich- giltig und materiell gegen ihre wesentlichen Grundlagen. Die Zeit dagegen ist das Feuer des Wesens, das die Erscheinung ewig verzehrt, und ihr den Stempel der Abhängigkeit und Wesenlosigkeit aufdrückt. Endlich, indem nach Epikur die Zeit der Wechsel als ||[77]| Wechsel, die Reflexion der Er- 35 scheinung in sich ist, wird mit Recht die erscheinende Natur als objectiv gesetzt, mit Recht die sinnliche Wahrnehmung zum realen Kriterium der concreten Natur gemacht, obgleich das Atom, ihr Fundament, nur durch die Vernunft geschaut wird. 40 Weil nämlich die Zeit die abstracte Form der sinnlichen Wahrnehmung ist: so ist nach der atomistischen Weise des epikuräischen Bewußtseins die Nothwendigkeit vorhanden, daß sie als eine besonders existirende 49 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Natur in der Natur fixirt werde. Die Veränderlichkeit der sinnlichen Welt nun als Veränderlichkeit, ihr Wechsel als Wechsel, diese Reflexion der Erscheinung in sich, die den Begriff der Zeit bildet, hat ihre gesonderte Existenz in der bewußten Sinnlichkeit. Die Sinnlichkeit des Menschen ist also die verkörperte Zeit, die existirende Reflexion der Sinnenwelt in sich. 5 Wie Dies aus der Begriffsbestimmung der Zeit bei Epikur unmittelbar sich ergiebt, so läßt es sich auch ganz bestimmt im Einzelen nachweisen. In dem Briefe des Epikur an den Herodot4) wird die Zeit so bestimmt, daß sie ||[78]| entstehe, wenn die von den Sinnen percipirten Accidenzen der Körper als Accidenzen gedacht werden. Die in sich reflectirte Sinnen- 10 perception ist hier also die Quelle der Zeit und die Zeit selbst. Daher ist nicht nach Analogie die Zeit zu bestimmen, noch ein Anderes von ihr auszusagen, sondern die Enargie selbst festzuhalten; denn, weil die in sich reflectirte Sinnenperception die Zeit selbst ist, ist nicht über sie hinaus zugehen. 15 Dagegen bei Lucrez, Sextus Empirikus und Stobäus5) wird das accidens des accidens, die in sich reflectirte Veränderung, als Zeit bestimmt. Die Reflexion der Accidenzen in der Sinnenperception und ihre Reflexion in sich selbst werden daher als Eines und Dasselbe gesetzt. Durch diesen Zusammenhang zwischen der Zeit und der Sinnlichkeit 20 erhalten auch die ε ί δ ω λ α, die eben so bei Demokrit sich finden, eine consequentere Stellung. Die ε ί δ ω λα sind die Formen der Naturkörper, die sich als Oberflächen gleichsam von ihnen abhäuten, und sie in die Erscheinung tragen.61 Diese Formen der Dinge strömen be j j [79] | ständig von ihnen aus, und dringen 25 in die Sinne, und lassen eben dadurch die Objecte erscheinen. Im Hören hört daher die Natur sich selbst, im Riechen riecht sie sich selbst, im Sehen sieht sie sich selbst.7' Die menschliche Sinnlichkeit ist so das Medium, in dem, als in einem Focus, die Naturprocesse sich reflectiren, und zum Licht der Erscheinung entzünden. 30 Bei Demokrit ist Dies eine Inconsequenz, da die Erscheinung nur sub- jectiv ist; bei Epikur eine nothwendige Folge, da die Sinnlichkeit die Reflexion der erscheinenden Welt in sich, ihre verkörperte Zeit ist. Endlich zeigt sich der Zusammenhang der Sinnlichkeit und der Zeit so, daß die Zeitlichkeit der Dinge und ihre Erscheinung für die Sinne als 35 eins an ihnen selbst gesetzt wird. Denn eben dadurch, daß die Körper den Sinnen erscheinen, vergehen sie.8) Indem nämlich die ε ϊ δ ω λα sich beständig von den Körpern abtrennen, und in die Sinne strömen, indem sie ihre Sinnlichkeit außer sich als eine andere Natur haben, nicht an sich selbst, also nicht aus der Diremtion zurückkehren: lösen ||[80]| sie sich 40 auf, und vergehen. 50 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen Wie also das Atom Nichts als die Naturform des abstracten, einzelen Selbstbewußtseins ist: so ist die sinnliche Natur nur das vergegenständlichte empirische, einzele Selbstbewußtsein, und dies ist das sinnliche. Die Sinne sind daher die einzigen Kriterien in der concreten Natur, wie die abstracte 5 Vernunft in der Welt der Atome. |[81]| F Ü N F T ES K A P I T E L: Die Meteore. 10 Demokrit's astronomische Ansichten mögen scharfsinnig sein für den Standpunkt seiner Zeit. Philosophisches Interesse ist ihnen nicht abzu gewinnen. Weder verlassen sie den Kreis empirischer Reflexion, noch stehen sie in bestimmterem innern Zusammenhang mit der Atomenlehre. Dagegen Epikur's Theorie von den Himmelskörpern und den mit ihnen 15 zusammenhangenden Processen oder von den Meteoren (in welchem einen Ausdruck er Dies zusammenfaßt) steht im Gegensatz nicht nur zur Meinung Demokrit's, sondern zur Meinung der griechischen Philosophie. Die Ver ehrung der Himmelskörper ist ein Cultus, den alle griechischen Philosophen feiern. Das System der Himmelskörper ist die erste naive und natur- 20 bestimmte Existenz der wirklichen Vernunft. Dieselbe Stellung hat das griechische Selbstbewußtsein im Reich des Geistes. Es ist das geistige Sonnensystem. Die griechischen Philosophen beteten daher in den Him melskörpern ihren eigenen Geist an. | 25 |[82]| Anaxagoras selbst, der zuerst den Himmel physisch erklärte, und ihn so in einem andern Sinne, als Sokrates, auf die Erde herabzog, antwortete, als man ihn fragte, wozu er geboren sei: εις θεωρίαν ηλίου και σελήνης καί οΰρανοΰ." Xenophanes aber schaute zum Himmel, und sagte: Das Eine sei der Gott.2) Von den Pythagoräern und Plato, von Aristoteles ist die religiöse Beziehung zu den Himmelskörpern be- 30 kannt. Ja der Anschauung des ganzen griechischen Volks tritt Epikur ent gegen. Es scheint mannichmal, sagt Aristoteles, der Begriff für die Phänomene zu zeugen, und die Phänomene für den Begriff. So haben alle Menschen 35 eine Vorstellung von den Göttern, und schreiben dem Göttlichen den obersten Sitz zu, sowol Barbaren als Hellenen, überhaupt alle, so viele an das Dasein der Götter glauben, offenbar das Unsterbliche dem Unsterb lichen verknüpfend; denn anders ist es unmöglich. Wenn also ein Gött- 51 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie 5 liches ist — wie es denn wirklich ist: so ist auch unsere Behauptung über die ||[83]| Substanz der Himmelskörper richtig. Es entspricht Dies aber auch der sinnlichen Wahrnehmung, um für menschliche Überzeugung zu sprechen. Denn in der ganzen vergangenen Zeit scheint, nach der wechsel seitig überlieferten Erinnerung, sich Nichts verändert zu haben weder an dem ganzen Himmel noch an irgend einem seiner Theile. Auch der Name scheint von den Alten überliefert zu sein bis zur Jetztwelt, indem sie Das selbe annahmen, was auch wir sagen. Denn nicht einmal, nicht zweimal, sondern unendlichmal sind dieselben Ansichten zu uns gelangt. Weil nämlich der erste Körper etwas Anderes ist, außer der Erde und dem 10 Feuer und der Luft und dem Wasser: benannten sie den obersten Ort „Äther" von θείν άεί, die ewige Zeit ihm als Beiname gebend.3' Den Him­ mel aber und den obern Ort theilten die Alten den Göttern zu, weil er allein unsterblich ist. Die jetzige Lehre bezeugt aber, daß er unzerstörbar, unentstanden, untheilhaft ist alles sterblichen Mißgeschickes. Auf diese 15 Weise entsprechen zugleich unsere Begriffe der Wahrsagung über den Gott.4) ||[84]| Daß aber ein Himmel ist, ist offenbar. Überliefert ist von den Vorfahren und Alten, zurückgeblieben in der Gestalt des Mythos den Spätem, daß die Himmelskörper Götter sind, und daß das Göttliche die ganze Natur umfängt. Das Andere wurde mythisch hinzugethan für den 20 Glauben der Vielen als nützlich für die Gesetze und das Leben. Denn menschenähnlich und einigen der andern Lebendigen ähnlich machen sie die Götter, und erdichten dergleichen hiermit Zusammenhangendes und Verwandtes. Wenn Jemand hiervon das Übrige abtrennt, und nur das Erste festhält, ihren Glauben, daß die ersten Substanzen Götter seien: 25 so muß er es für göttlich gesagt halten, und daß, nachdem, wie es sich traf, jede mögliche Kunst und Philosophie erfunden, und wieder verloren gegangen war, diese Meinungen, Reliquien gleich, auf die Jetztwelt gelangt seien.5' 30 Epikur dagegen: Zu diesem Allen ist Das hinzuzudenken, daß die größte Verwirrung der menschlichen ||[85]| Seele dadurch entsteht, daß sie die Himmels körper für selig und unzerstörbar halten, und ihnen entgegengesetzte Wünsche und Handlungen haben, und Verdacht schöpfen nach den Mythen.6' Was die Meteore betrifft, muß man glauben, daß in ihnen Be- 35 wegung und Lage und Eklipsis und Aufgang und Niedergang und Diesen Verwandtes nicht entsteht, indem Einer regiert und anordnet, oder an geordnet hat, der zugleich alle Seligkeit neben der Unzerstörbarkeit besäße. Denn nicht stimmen Handlungen mit der Seligkeit überein, sondern, der Schwäche, der Furcht und dem Bedürfniß am Meisten verwandt, geschehen 40 sie. Noch ist zu meinen, daß einige feuerartige Körper, die Seligkeit be- 52 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen sitzen, willkürlich diesen Bewegungen sich unterziehen. Stimmt man nun hiermit nicht überein: so bereitet dieser Gegensatz selbst die größte Ver wirrung den Seelen.7' Wenn Aristoteles daher den Alten vorgeworfen hat, sie glaubten, der 5 Himmel bedürfe zu seiner Stütze des Atlas8', der: ,,προς έσπερους τόπους εστηκε κί,ον' ουρανού τε καί χθονός ώμοιν έρείδων" (Aeschyl. Prometti, v. 348 sqq.): ||[86]| so tadelt Epikur dagegen Die, die glauben, der Mensch bedürfe des Himmels; und den Atlas selbst, auf den sich der Himmel stützt, findet er in der menschlichen Dummheit und dem Aberglauben. Auch die 10 Dummheit und der Aberglaube sind Titanen. Der ganze Brief des Epikur an den Pythokles handelt von der Theorie der Himmelskörper, die letzte Section ausgenommen. Sie beschließt die Epistel mit ethischen Sentenzen. Und passend werden der Lehre von den Meteoren sittliche Maximen angehängt. Diese Lehre ist dem Epikur eine 15 Gewissensangelegenheit. Unsere Betrachtung wird sich daher hauptsächlich auf dies Schreiben an den Pythokles stützen. Wir werden es ergänzen aus dem Brief an den Herodot, auf den sich Epikur selbst beim Pythokles beruft.9' Erstens ist nicht zu glauben, daß ein ander Ziel aus der Erkenntniß 20 der Meteore, werde sie im Ganzen oder im Besondern gefaßt, sich erreichen lasse, als die Ataraxie und feste Zuversicht, wie aus der übrigen Natur wissenschaft.10' Nicht der Ideologie und der leeren Hypothesen ||[87]| hat unser Leben noth, sondern des, daß wir ohne Verwirrung leben. Wie es das Geschäft der Physiologie überhaupt ist, die Gründe des Hauptsäch- lichsten zu erforschen: so beruht auch hierin die Glückseligkeit in der Erkenntniß der Meteore. An und für sich enthält die Theorie vom Unter gang und Aufgang, von der Lage und Eklipsis keinen besondern Grund der Glückseligkeit; nur daß Schrecken Die innehat, die Dies sehen, ohne seine Natur zu erkennen und seine Hauptursachen.11' Bis hierher wird nur der 30 Vorrang, den die Theorie der Meteore vor den andern Wissenschaften haben 25 sollte, verneint, und sie in dasselbe Niveau gestellt. Allein die Theorie der Meteore unterscheidet sich auch specifisch, sowol von der Weise der Ethik als der übrigen physischen Probleme, ζ. Β. daß es untheilbare Elemente giebt u. dgl., wo nur eine einzige Erklärung 35 den Phänomenen entspricht. Denn Dies findet bei den Meteoren nicht Statt.12' Diese haben keine einfache Ursache der Entstehung und mehr als eine Kategorie des Wesens, welche den Phänomenen entspricht. Denn nicht nach leeren Axiomen und Gesetzen ist die Phy||[88]|siologie zu be treiben.13' Es wird stets wiederholt, daß nicht απλώς (einfach, absolut), sondern πολλαχώς (vielfach) die Meteore zu erklären seien. So über Auf gang und Untergang von Sonne und Mond1 4', über das Wachsen und 40 53 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Abnehmen des Mondes] 5 ), über den Schein des Gesichts im Monde1 6', über den Wechsel der Tag- und Nacht-länge17' und die übrigen cölestischen Erscheinungen. Wie soll denn nun erklärt werden? Jede Erklärung genügt. Nur der Mythos sei entfernt. Er wird aber ent- 5 fernt sein, wenn man, den Phänomenen folgend, von ihnen auf das Unsichtbare schließt.18' An die Erscheinung ist sich festzuhalten, an die sinnliche Wahrnehmung. Die Analogie ist daher anzuwenden. So kann man sich die Furcht wegerklären, und sich von derselben befreien, Gründe angebend über Meteore und das Übrige, was immer zutrifft, und die 10 andern Menschen am Meisten bestürzt.19' Die Masse der Erklärungen, die Vielheit der Möglichkeiten soll nicht nur das Be|( [89] |wußtsein beruhigen, und die Gründe der Angst entfernen, sondern zugleich die Einheit, das sich gleiche und absolute Gesetz in den Himmelskörpern selbst, negiren. Bald so, bald anders könnten sie sich 15 verhalten; diese gesetzlose Möglichkeit sei der Charakter ihrer Wirklich keit; Alles in ihnen sei unbeständig und unstet.2 0' Die Vielheit der Er klärungen soll zugleich die Einheit des Objects aufheben. Während also Aristoteles in Übereinstimmung mit den andern griechischen Philosophen die Himmelskörper ewig und unsterblich macht, weil sie immer 20 auf dieselbe Weise sich verhalten; während er ihnen selbst ein eigenes höheres, der Macht der Schwere nicht unterworfenes Element zuschreibt: behauptet Epikur im directen Gegensatz, gerade umgekehrt verhalte es sich. Dadurch sei die Theorie der Meteore specifisch unterschieden von aller übrigen physischen Doctrin, daß in ihnen Alles mehrfach und un- 25 geregelt geschehe, daß Alles in ihnen durch man nichfaltige, un bestimmt viele Gründe zu erklären sei. Ja, erzürnt und heftig eifernd, verwirft er die Gegenmeinung: Die sich an einer Erklärungsweise halten, und alle andern ausschließen, die ein Einiges, daher Ewiges und Gött liches in den Meteoren annehmen, verfallen in eitle Erklärerei und den 30 sklavischen Kunststücken der Astrologen; sie überschreiten die Grenzen der Physiologie, und werfen sich dem Mythos in die Arme; Unmögliches suchen sie zu vollbringen, und mit Sinnlosem mühen sie sich ab; nicht einmal wissen sie, wo die Ataraxie selbst in Gefahr kömmt. Ihr Geschwätz ist zu verachten.2" Fern muß man sich halten von dem Vorurtheil, als sei 35 die Forschung über jene Gegenstände nicht gründlich und subtil genug, so weit sie nur auf unsere Ataraxie und Glückseligkeit hinzielt.22' Absolute Norm dagegen ist, daß Nichts einer unzerstörbaren und ewigen Natur zukommen kann, was die Ataraxie störe, ||[91]| was Gefahr hervorbringe. Das Bewußtsein muß fassen, daß Dies ein absolutes Gesetz ist.2 3' 40 Epikur schließt also: Weil die Ewigkeit der Himmelskörper die Ataraxie 54 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen des Selbstbewußtseins stören würde, ist es eine nothwendige, stringente Consequenz, daß sie nicht ewig sind. Wie ist nun diese eigentümliche Ansicht des Epikur zu begreifen? Alle Auetoren, die über epikureische Philosophie geschrieben, haben 5 diese Lehre als incohärent mit der übrigen Physik, mit der Atomenlehre, dargestellt. Der Kampf gegen die Stoiker, den Aberglauben, die Astrologie seien zureichende Gründe. Und wir haben gehört, Epikur selbst unterscheidet die Methode, die in der Theorie der Meteore angewandt wird, von der Methode der übrigen 10 Physik. Allein in welcher Bestimmung seines Princips liegt die Nothwendig keit dieser Unterscheidung? Wie kömmt er auf den Einfall? [ |[92]| Und nicht nur gegen die Astrologie, gegen die Astronomie selbst, gegen das ewige Gesetz und die Vernunft im Himmelssystem kämpft er an. Endlich der Gegensatz gegen die Stoiker erklärt Nichts. Ihr Aberglaube 15 und ihre ganze Ansicht war schon widerlegt, wenn die cölestischen Körper als zufällige Complexionen der Atome, ihre Processe als zufällige Bewegun gen derselben ausgesprochen wurden. Ihre ewige Natur war damit ver nichtet, — eine Consequenz, die aus jener Prämisse zu ziehen, Demokrit sich begnügte.24' Ja ihr Dasein selbst war damit aufgehoben.25' Es bedurfte 20 also für den Atomistiker keiner neuen Methode. Dies ist noch nicht die ganze Schwierigkeit. Eine räthselvollere Antinomie erhebt sich. Das Atom ist die Materie in der Form der Selbstständigkeit, der Einzel heit, gleichsam die vorgestellte Schwere. Die höchste Wirklichkeit aber der 25 Schwere sind die Himmelskörper. In ihnen sind alle |)[93]j Antinomien zwischen Form und Materie, zwischen Begriff und Existenz, die die Ent- wickelung des Atoms bildeten, gelöst, in ihnen alle Bestimmungen, die gefordert wurden, verwirklicht. Die cölestischen Körper sind ewig und unveränderlich; ihren Schwerpunkt haben sie in sich, nicht außer sich; ihr 30 einziger Act ist die Bewegung, und, getrennt durch den leeren Raum, beugen sie aus von der geraden Linie, bilden ein System der Repulsion und Attraction, in dem sie eben so sehr ihre Selbstständigkeit bewahren, und erzeugen endlich die Zeit, als die Form ihrer Erscheinung, aus sich selbst. Die Himmelskörper sind also die wirklich gewordenen Atome. In ihnen 35 hat die Materie in sich selbst die Einzelheit empfangen. Hier also mußte Epikur die höchste Existenz seines Princips, den Gipfel und Schlußpunkt seines Systems erblicken. Er gab vor, die Atome zu unterstellen, damit unsterbliche Fundamente der Natur zu Grunde lägen. Er gab vor, daß es ihm um die substantiate Einzelheit der Materie zu thun sei. Wo er aber 40 die ||[94]| Realität seiner Natur — denn er kennt keine andere, als die mechanische — vorfindet, die selbstständige, unzerstörbare Materie, in 55 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie den Himmelskörpern, deren Ewigkeit und Unveränderlichkeit der Glaube der Menge, das Urtheil der Philosophie, das Zeugniß der Sinne bewies: da ist es sein einziges Streben, in die irdische Vergänglichkeit sie hinab zuziehen; da wendet er sich eifernd gegen die Verehrer der selbstständigen, den Punkt der Einzelheit in sich besitzenden Natur. Dies ist sein größter Widerspruch. 5 Epikur fühlt daher, daß seine frühern Kategorien hier zusammenbrechen, daß die Methode seiner Theorie eine andere wird. Und es ist die tiefste Erkenntniß seines Systems, die durchgedrungenste Consequenz, daß er Dies fühlt, und bewußt ausspricht. 10 Wir haben nämlich gesehen, wie die ganze epikureische Naturphilosophie durchströmt ist von dem Widerspruch zwischen Wesen und Existenz, zwischen Form und Materie. In den Himmelskörpern aber ist dieser Widerspruch ausgelöscht, sind die widerstreitenden Momente ||[95]| ver söhnt. In dem cölestischen System hat die Materie die Form in sich emp- 15 fangen, die Einzelheit in sich aufgenommen, und so ihre Selbstständigkeit erreicht. Auf diesem Punkt aber hört sie auf Affirmation des abstracten Selbstbewußtseins zu sein. In der Welt der Atome, wie in der Welt der Erscheinung, kämpfte die Form mit der Materie; die eine Bestimmung hob die andere auf, und gerade in diesem Widerspruch fühlte das abstract- 20 einzelne Selbstbewußtsein seine Natur vergegenständlicht. Die abstracte Form, die mit der abstracten Materie unter der Gestalt der Materie kämpfte, war es selbst. Jetzt aber, wo die Materie sich mit der Form versöhnt hat, und verselbstständigt ist, tritt das einzele Selbstbewußtsein aus seiner Verpuppung heraus, und ruft sich als das wahre Princip aus, 25 und befeindet die selbstständig gewordene Natur. Nach einer andern Seite hin drückt sich Dies so aus: Indem die Materie die Einzelheit, die Form, in sich empfangen, wie es in )J[96]| den cölestischen Körpern der Fall ist, hat sie aufgehört abstracte Einzelheit zu sein. Sie ist concrete Einzelheit, Allgemeinheit, geworden. In den Meteoren glänzt also 30 dem abstract-einzelen Selbstbewußtsein seine sachlich gewordene Wider legung entgegen, — das Existenz und Natur gewordene Allgemeine. Es erkennt daher in ihm seinen tödlichen Feind. Ihnen schreibt es also, wie Epikur es thut, alle Angst und Verwirrung der Menschen zu; denn die Angst und Auflösung des Abstract-Einzelen ist eben das Allgemeine. 35 Hier verbirgt sich also das wahre Princip des Epikur, das abstract-einzele Selbstbewußtsein, nicht länger. Es tritt hervor aus seinem Versteck, und, befreit von materieller Vermummung, sucht es, durch die Erklärung nach abstracter Möglichkeit — Was möglich ist, kann auch anders sein; von dem Möglichen ist auch das Gegentheil möglich — die Wirklichkeit der 40 selbstständig gewordenen Natur zu vernichten. Daher die Polemik gegen 56 Zweiter Teil: Über die Differenz im einzelnen Die, die απλώς, d.i. auf eine bestimmte Weise, die Himmelskörper er klären; denn das Eine ist das Nothwendige und In-sich-Selbstständige.| |[97]| So lange also die Natur als Atom und Erscheinung das einzele Selbstbewußtsein und seinen Widerspruch ausdrückt, tritt die Subjectivität des Letztern nur unter der Form der Materie selbst hervor; wo sie dagegen selbstständig wird, reilectiit es sich in sich, tritt es ihr in seiner eigenen Gestalt als selbstständige Form gegenüber. 5 Es war von vorn herein zu sagen, daß, wo das Princip des Epikur sich verwirklicht, es aufhören werde, Wirklichkeit für ihn zu haben. Denn 10 würde das einzele Selbstbewußtsein realiter unter der Bestimmtheit der Natur, oder die Natur unter seiner Bestimmtheit gesetzt: so hätte seine Bestimmtheit, d.h. seine Existenz, aufgehört, da nur das Allgemeine im freien Unterschiede von sich zugleich seine Affirmation wissen kann. In der Theorie der Meteore erscheint also die Seele der epikureischen 15 Naturphilosophie. Nichts sei ewig, was die Ataraxie des einzelen Selbst bewußtseins vernichtet. Die Himmelskörper stören seine Ataraxie, seine Gleichheit ||[98]| mit sich, weil sie die existirende Allgemeinheit sind, weil in ihnen die Natur selbstständig geworden ist. Nicht also die Gastrologie des Archestratus, wie Chrysippus meint2 6 ), 20 sondern die Absolutheit und Freiheit des Selbstbewußtseins ist das Princip der epikureischen Philosophie, wenn auch das Selbstbewußtsein nur unter der Form der Einzelheit gefaßt wird. Wird das abstract-einzele Selbstbewußtsein als absolutes Princip gesetzt: so ist zwar alle wahre und wirkliche Wissenschaft in so weit aufgehoben, 25 als nicht die Einzelheit in der Natur der Dinge selbst herrscht. Allein zusammenstürzt auch Alles, was gegen das menschliche Bewußtsein sich transcendent verhält, also dem imaginirenden Verstände angehört. Wird dagegen das Selbstbewußtsein, das sich nur unter der Form der abstracten Allgemeinheit weiß, zum absoluten Princip erhoben: so ist der abergläubi- 30 sehen und unfreien Mystik Thür und Thor geöffnet. Der historische Beweis davon findet sich in der stoischen Philosophie. ||[99]| Das abstract- allgemeine Selbstbewußtsein hat nämlich den Trieb in sich, in den Dingen selbst sich zu affirmiren, in denen es nur affirmirt wird, indem es sie negirt. 35 Epikur ist daher der größte griechische Aufklärer, und ihm gebührt das Lob des Lucrez2 7 ): 40 Humana ante oculos foede quum vita jaceret, In terreis oppressa gravi sub relligione, Quae caput a coeli regionibus ostendebat, Horribili super aspectu mortalibus instans: Primum Grajus homo mortaleis tollere contra 57 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Est oculos ausus, primusque obsistere contra; Quem nec fama Deum nec fulmina nec minitanti Murmure compressit coelum Quare relligio pedibus subjecta vicissim Obteritur, nos exaequat victoria coelo. 5 Der Unterschied zwischen demokritischer und epikureischer Natur philosophie, den wir am Schlüsse des allgemeinen Theils aufgestellt, hat sich in allen Sphären der Natur weiter entwickelt und bestätigt gefunden. Bei Epikur ist daher die Atomistik mit allen ihren Widersprüchen als die Naturwissenschaft des Selbstbewußtseins, das sich unter der Form der abstracten Einzelheit absolutes Princip ist, bis ||[100]| zur höchsten Conse quenz, welches ihre Auflösung und bewußter Gegensatz gegen das All gemeine ist, durchgeführt und vollendet. Dem Demokrit dagegen ist das Atom nur der allgemeine objective Ausdruck der empirischen Natur forschung überhaupt. Das Atom bleibt ihm daher reine und abstracte Kate- 15 gorie, eine Hypothese, die das Resultat der Erfahrung, nicht ihr energisches Princip ist, die daher eben sowol ohne Realisirung bleibt, wie die reale Naturforschung nicht weiter von ihr bestimmt wird. 10 58 Anmerkungen zum Ersten Teil [Anmerkungen] 1 ERSTER THEIL: Differenz der demokritischen und epikuräischen Naturphilosophie im Allgemeinen. II. Urtheile über das Verhältniß demokritischer und epikureischer Physik. 1) Diogen. Laert. X,4. Ά λ λα καί οί περί Ποσειδώνιον τον Στωϊκόν τα δε Δημοκρίτου περί ατόμων καί καί Νικόλαος καί Σωτίων 10 Αρίστιππου περί ηδονής, ώς ϊδια λέγειν (Έπίκουρον). crito? nam etsi quaedam commutavit 2) Cic. de Nat. Deor. 1,26. Quid est in physicis Epicuri non a Demo­ tamen pleraque dicit eadem. 3) Id. de Fin. 1,6. Ita, quae mutât, ea corrumpit; quae sequitur, sunt tota Democriti. 15 Ib in physicis, quibus maxime gloriatur, primum totus est alienus. Democrito adjicit, perpauca mutans, sed ita, ut ea, quae corrigere vult, mihi quidem depravare videatur in quibus sequitur Democritum, non fere labitur.| |2| 4) Plutarch. Co/or. (ed. Xyl.) p. 1108. Λεοντεύς τιμάσθαί 20 φησι τον Δημόκριτον ύπό Επικούρου δια το πρότερον αψασθαι τής δια το περιπεσείν αυτόν πρότερον ταίς άρχαΐς περί ορθής γνώσεως φύσεως. Cf. ib. p . l l l l. 5) (Id.) de placit. philos. T.V. p.235. ed. Tauchn. Επίκουρος, Νεο- κλέους, Αθηναίος, κατά Δημόκριτον φιλοσοφήσας. 59 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie 6) Id. Co/oi.p.llll, 1112, 1114, 1115, 1117, 1119, 1120 sqq. 7) Clemens Alex. Strom. VI. p.629 ed. Col. Ά λ λα καί Επίκουρος παρά Δημοκρίτου τα προηγούμενα έσκευώρηται δόγματα. 8) Id. ρ.295. Βλέπετε ούν, μή τις εσται υ μ άς [ό] συλαγωγών δια της φιλοσοφίας καί ^ενής απάτης, κατά την παράδοσιν των ανθρώπων, κατά τα στοιχεία τού κόσμου, καί ού κατά Χριστόν. φιλοσοφίαν μεν οΰ πάσαν, ά λ λα τήν Επικούρειον, ής καί μέμνηται έν ταίς πράξεσιν τών Αποστόλων ό Παύλος, διαβάλλων πρόνοιαν αναιρούσαν, καί εί δή τις άλλη [τα] στοιχεία έντετίμηκεν, μή έπιστήσασα τήν ποιητικήν αίτίαν τούτοις- μηδέ έφαντάσθη τον δημιουργόν. 9) Sext. Empir, adv. Math. [p. 54.] (ed. Col. Allobrog.) ||3| Ό δέ Επίκουρος φωράται τα κράτιστα τών δογμάτων παρά ποιητών άνηρπακώς· τόν τε γαρ δρον του μεγέθους τών ηδονών, δτι ή παντός έστι του άλγούντος ύπεξαίρεσις, έξ ενός στίχου δέδεικται λαβών αύτάρ έπεί πόσιος καί έδητύος έξ ερον εντο. τον δέ θάνατον, δτι ουδέν έστι προς ήμα ς, Επίχαρμος αύτω προςμεμήνυκεν, ειπών 5 10 15 άποθανεΐν ή τεθνάναι οΰ μοι διαφέρει, ώς αΰτως δέ καί τα νεκρά τών σωμάτων άναισθητεΐν, παρ' Όμηρου κέκλοφε γράφοντος· 20 κωφήν γαρ δή γαίαν άειχίζει μ,ενεαίνων. 10) Lettre de Leibnitz à Mr. des Maizeaux, contenant éclaircisse ments sur l'explication etc. p.66[—67]. V.2. éd. Dutens. 11) Plutarch. Colot. p . l l l l. Εγκλητέος ούν ό Δημόκριτος, ουχί τα συμβαίνοντα ταΐς άρχαΐς ομολόγων, ά λ λα λαμβάνων αρχάς, αίς ταύτα 25 συμβέβηκεν εί μέν ούν τό ού λέγειν τοιούτον έστι, ούχ ομολογεί (Επίκουρος) τών είθισμένων τι ποιεί, καί γαρ τήν πρόνοιαν άναιρών, εύσέβειαν άπολιπεϊν λέγει· καί της ηδονής ένεκα τήν φιλίαν αίρούμενος, υπέρ τών φίλων τάς μεγίστας άλγηδόνας άναδέχεσθαι· καί τό μέν π άν άπειρον ύποτίθεσθαι, το δέ άνω καί κάτω μή άναιρεΐν. 30 |4| III. Schwierigkeiten hinsichtlich der Identität demokritischer und epikuräischer Naturphilosophie. 1) Aristot. de anim. I, p.8. (ed. Trendel.) Εκείνος (sc. Δημόκριτος) μέν γαρ απλώς, ταύτό ψυχήν καί ν ο υν τό γαρ αληθές είναι τό φαινόμενον. 35 2) Id. Metaph. IV,5. Διό Δημόκριτος γέ φησιν, ήτοι ουδέν είναι αληθές, ή ήμΐν άδηλον. "Ολως δέ δια τό ύπολαμβάνειν φρόνησιν μέν τήν αϊσθησιν, ταύτην δ' είναι άλλοίωσιν, τό φαινόμενον κατά τήν 60 Anmerkungen zum Ersten Teil αϊσθησιν, έξ ανάγκης αληθές eîvoti φασιν. Έκ τούτων γαρ καί Εμπεδοκλής καί Δημόκριτος, καί των άλλων, ώς επος ειπείν έκαστος τοιαύταις δόξαις γεγένηνται ένοχοι. Uebrigens ist in dieser Stelle der Metaphysik selbst der Widerspruch ausgesprochen. 5 3) Diogen. Laert. IX,72. Ού μήν άλλα καί Ξενοφάνης καί Ζήνων ό Ελεάτης καί Δη μόκριτος κατ' αυτούς σκεπτικοί τυγχάνουσιν. Δη μόκριτος καί πάλιν, αίτίη δέ ουδέν ΐδμεν έν βυθώ γαρ ή αλήθεια. 4) Cf. Ritter's Gesch. ά. alt. Philos. I. Th. S.579f.| |5J 5) Diogen. Laert. IX,[43—]44. Δοκεΐ δέ αύτω (sc. Δημοκρίτω) τάδε· 10 αρχάς είναι των δλων άτόμους καί κενόν τα δ' άλλα πάντα νενομίσθαι, δοξάζεσθαι. 6) Id. ib. 72. Δημόκριτος δέ τάς ποιότητας έκβαλών ϊνα φησί, Νόμω ψυχρόν, νόμω θερμόν αίτίη δέ άτομα καί κενόν. 7) Simplic. in Schol. ad Aristot. (coll. Brandis) p. 488. Φύσιν μέντοι 15 μίαν έξ εκείνων κατ' άλήθειαν, ούδ' ήντινα ούν γεννά (sc. Δημόκριτος)· κομιδή γαρ εύηθες είναι τα δύο ή τα πλείονα γίνεσθαι άν ποτε εν. Ρ.514. καί δια τούτο ούδ' έξ ενός πολλά γίνεσθαι ελεγον οΰτε έκ πολλών εν κατ' άλήθειαν (sc. Δημόκριτος καί Λεύκιππος) συνεχές, άλλα τή συμπλοκή τών ατόμων έκαστον εν δοκεΐ γίνεσθαι. 20 8) Plutarch. Colot p. 1111. τάς άτόμους ιδέας ύπ' αυτού (sc. Δημοκρίτου) καλουμένας. 9) Cf. Aristot. I.e. 10) Diogen. Laert. X,121. δογματιεΐν τε (sc. σοφόν), καί ούκ άπορήσειν. 25 11) Plutarch. Colot. p. 1117. έν γάρ έστι τών Επικούρου δογμάτων το μηδέν άμεταπείστως πεπεϊσθαι μηδένα, πλήν τον σοφόν. 12) Cic. de Nat. Deor. 1,25. Omneis sensus veri nuntios dixit (sc. Epicurus) esse. Cf. Id. de Fin. 1,7.| 30 |ó| (Plutarch.) de placit. philos. IV, p.287. Επίκουρος πάσαν αϊσθησιν καί πάσαν φαντασίαν αληθή. 13) Diogen. Laert. Χ,31. Εν τοίνυν τω κανόνι λέγει ό Επίκουρος, κριτήρια τής αληθείας είναι τάς αισθήσεις καί τάς προλήψεις καί τα Ούδ' έστι το δυνάμενον αύτάς διελέγξαι. 32. Ούτε γάρ ή πάθη· 35 ομοιογενής αΐσθησις την ομοιογενή, δια τήν ίσοσθένειαν ούθ' ή αν­ ομοιογενής τήν ανομοιογενή. Ού γάρ τών αυτών είσι κριτικαί. Ούθ' ή έτερα τήν έτέραν πάσαις γάρ προςέχομεν. Οΰτε μήν ό λόγος· πάς γάρ λόγος άπό τών αισθήσεων ήρτηται. 14) Plutarch. Colot. p. 1110—1111. Tò γαρ νόμω χροιήν είναι, καί 40 νόμω γλυκύ καί νόμω σύγκρισιν τάς άτόμους είρημένον φησίν ύπό προς τούτον άντειπεΐν μέν ουδέν έχω Δημοκρίτου ταΐς αίσθήσεσι 61 'έτι δέ άποίους Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie έν τώ καί απαθείς κενω φέρεσθαι τον λόγον, ειπείν δέ, δτι ταύτα τών Επικούρου δογμάτων οΰτως αχώριστα έστι, ώς τό σχήμα καί τό βάρος αυτοί της ατόμου λέγουσα». Τί γαρ λέγει Δημόκριτος; ουσίας άπειρους τό πλήθος, άτόμους τε καί διαφόρους, δταν δέ πελάσωσιν άλλήλαις, ή συμπέσωσιν, ή περιπλακώσι φαί||7(νεσθαι τών αθροιζόμενων τό μέν πΰρ, το δε ύδωρ, τό δέ φυτόν, τό δέ άνθρωπον είναι δέ πάντας τάς άτόμους ιδέας ΰπ' αυτού καλουμένας, έτερον δέ μηθέν, έκ μέν γαρ τού μή δντος ούκ είναι γένεσιν έκ δέ τών [δντων] μηθέν αν γίνεσθαι, τω μήτε πάσχειν, μήτε μεταβάλλειν τάς άτόμους υπό στερρότητος, όθεν οΰτε χρόαν έξ άχρώστων, ούτε φύσιν ή ψυχήν 10 έξ άποίων ΰπάρχειν. Εγκλητέος ούν ό Δημόκριτος, ουχί τα συμβαί­ νοντα ταΐς άρχαϊς ομολόγων, ά λ λα λαμβάνων αρχάς, αίς ταύτα συμβέβη- διεσπαρμένας, 5 κεν Ό Επίκουρος φησι, αρχάς μεν ΰποτίϋ-εσΰαι, τάς αύτάς, ού λέγειν δέ νόμψ χροιήν καί τάς αλλάς ποίότητας. 15) Cîc. de Fin. 1,6. So/ Democrito magnus videtur, quippe homini 15 erudito in geometriaque perfecta; huic (se. Epicuro) bipedalis fortasse; tantum enim esse censet, quantus videtur. Cf. (Plutarch.) de placit. philos. II, p.265. 16) Diogen. Laert. IX,37. Τά γαρ φυσικά καί τα ηθικά, ά λ λα καί τα μαθηματικά καί τους εγκυκλίους λόγους καί περί τεχνών πάσαν 20 είχεν (sc. Δημόκριτος) έμπειρίαν. 17) Cf. Diogen. Laert. [IX,] §. 46[-49]. 18) Euseb. Praepar. evang. X, p.472. Καί [|8| που σέμνυνόμενος περί εαυτού φησιν (sc. Δημόκριτος)· ,,έγώ δε τών κατ' έμαυτόν ανθρώπων πλείστην γήν διεπλανησάμην, ίστορέων τά μήκιστα, καί αέρας καί 25 γαίας πλείστας εΐδον, καί λογίων ανθρώπων πλείστων έπήκουσα- καί γραμμέων συνθέσιος μετ' αποδείξεως ουδείς, κάμε, παρήλλαξεν ούτε Αιγυπτίων οί καλούμενοι Άρσεπεδονάπται, οίς έπί πάσιν έπ' ετεα όγδοήκοντα έπί ξένης έγενήθην." Επήλθε γαρ καί ούτος Βαβυλώνα τε καί τήν Περσίδα καί Αΐγυπτον, τοίς Αίγυπτίοις καί τοϊς ίερεύσι 30 μαθητεύων. 19) Diogen. Laert. ΙΧ,35. Φησί δέ Δημήτριος έν όμωνύμοις, καί Αντισθένης έν διαδοχαίς, άποδημήσαι αυτόν (sc. Δημόκριτον) καί εις Αΐγυπτον προς τούς ιερέας, γεωμετρίαν μαθησόμενον, καί προς Χαλδαίους εις τήν Περσίδα καί εις τήν έρυθράν θάλασσαν γενέσθαι. Τοϊς τε 35 Γυμνοσοφισταΐς φασί τίνες συμμίξαι αυτόν έν Ινδία, καί εις Αίθιοπίαν έλθεϊν. 20) Cic. Quaest. Tusc. V,39. Democritus, luminibus amissis, Atque hie vir impediri animi etiam aciem adspectu oculorum arbitrabatur, et, quum alii saepe, quod ante pedes ||9| esset, non vidèrent, ille infinitatem 40 peregrinabatur, ut nulla in extremitate consisteret. 62 Anmerkungen zum Ersten Teil Id. de Fin. V,27. Democritus qui dicitur oculis se privasse, certe ut quam minime animus a cogitationibus abduceretur. Adhuc Epicurum replicamus 21) Luc. Ann. Senec. Op. II. epist. oct. p.24. (ed. Amstel. 1672) philosophiae servias oportet, ut tibi 5 contingat vera libertas. Non differtur in diem, qui se illi subjecit et tradidit; statim circumagitur. Hoc enim ipsum, philosophiae servire, libertas est. 22) Diogen. Laert. X,122. Μήτε νέος τις ών μελλέτω φιλοσοφείν μήτε γέρων υπάρχων κοπιάτω φιλοσόφων. Οΰτε γαρ άωρος ουδείς έστιν, οΰτε πάρωρος προς το κατά ψυχήν ύγιαίνειν. Ό δέ λέγων, ή μήπω τοΰ 10 φιλοσοφείν ύπάρχειν ώραν, ή παρεληλυθέναι τήν ώραν, δμοιός έστι τω λέγοντι, προς εϋδαιμονίαν ή μή παρεΐναι τήν ώραν, ή μηκέτι είναι. 'Ώςτε φιλοσοφητέον καί γέροντι καί νέω[· τφ μέν], δπως γηράσκων νεάζγι τοις άγαθοΐς, δ ια τήν χάριν τών γεγονότων τφ δέ, δπως νέος άμα καί παλαιός ή, δ ια τήν άφοβίαν τών μελλόντων. Cf. Clemens Alex. 15 IV, p.501.1 j 10J 23) Sext. Emp. adv. Math. p. 1. Τήν προς τους από τών μαθημάτων άντίρρησιν κοινότερον μέν διατεθεΐσθαι δοκοΰσι οί περί τον Επίκουρον καί οί άπο τοΰ Πύρρωνος ουκ άπα τής αυτής διαθέσεως, άλλ' οί μέν περί τον Επίκουρον, ως τών μαθημάτων μηδέν συνεργοΰντων προς 20 σοφίας τελείωσιν. 24) Id. ρ. 11. έν οΐς θετέον καί τον Επίκουρον, εί καί δοκεΐ [τοις] άπο [τών] μαθημάτων διεχθραίνειν. Id. ρ. 54. τους γραμματικής κατηγόρους, Πΰρρωνά τε καί Επίκουρον. 25 Cf. Plutarch, de eo, quod sec. Epicur. non beate vivi poss. p. 1094. 25) Cic. de Fin. 1,21. Non ergo Epicurus ineruditus, sed ii indocti, qui, quae pueros non didicisse turpe est, ea putent usque ad senectutem esse discenda. 30 26) Diogen. Laert. X,13. Τούτον (sc. Επίκουρον) Απολλόδωρος έν χρονικοΐς Λυσιφάνους άκοΰσαι φησί καί Πραξιφάνους· αυτός δέ οΰ φησι, άλλ' εαυτού, έν τή προς Εύρύδικον επιστολή. Cic. de Nat. Deor. 1,26. Quum quidem gloriaretur (sc. Epicurus), se magistrum habuisse nullum, quod et non praedicanti tarnen facile 35 crederem.| | l l| 27) Senec. Epist. 52. ρ.[176-]177. Quosdam, ait Epicurus, ad veritatem sine ullo adjutorio contendere; ex iis se fecisse sibi ipsum viam. Hos maxime laudai, quibus ex se impetus fuit, qui se ipsi protulerunt. Quosdam indigere ope aliena non ituros, si nemo praecesserit, sed bene 40 secuturos. Ex his Metrodorum ait esse. Egregium hoc quoque, sed secundae sortis ingenium. 63 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie 28) Diogen. Laert. Χ,ΙΟ. Καί χαλεπωτάτων δέ καιρών κατασχόντων τηνικαϋτα τήν Ελλάδα, αυτόθι καταβιώναι, δις ή καί τρις έπί τους περί τήν Ίωνίαν τόπους διαδραμόντα προς τους φίλους, οΐ καί πανταχόθεν προς αυτόν άφικνοΰντο, καί συνεβίουν αύτώ έν τώ κήπψ, καθά φησι καί Απολλόδωρος- δν καί όγδοήκοντα μνών πρίασθαι. 29) Id. Χ,15 "Οτε καί φησιν Έρμιππος έμβάντα αυτόν εις πύελον χαλκήν, κεκραμένην ΰδατι θερμώ, καί αίτήσαντα ακρατον ροφήσαι. §. 16. Τοις τε φίλοις παραγγείλαντα τών δογμάτων μεμνήσθαι,τελευτήσαι. 30) Cic. de Fato 10. Epicurus vitari fati necessitatem, Democritus accipere maluit, necessitate omnia fieri. | 5 10 112J Cic. de Nat. Deor. 1,25. Invenit, quomodo necessitatem effugeret, quod videlicet Democritum fugerat. Euseb. Praepar. evang. I, p. 23 sq. Δημόκριτος ό Αβδηρίτης άνωθεν δέ δλως έξ άπειρου χρόνου προκατέχεσθαι τή ανάγκη πάντα απλώς τά γεγονότα καί όντα καί έσόμενα. 15 31) Aristot. de gen. an. V,8. Δημόκριτος πάντα ανάγει εις ανάγκην. 32) Diogen. Laert. IX,45. Πάντα τε κατ' ανάγκην γίνεσθαι, της δίνης αιτίας οΰσης της γενέσεως πάντων, ήν ανάγκην λέγει (sc. Δημόκρι­ τος). 20 33) (Plutarch.) de placit.philos. I,p. 252. Παρμενίδης καί Δημόκριτος πάντα κατ' ανάγκην, τήν δ' αυτήν είναι είμαρμενην καί δίκην καί πρόνοιαν καί χοσμοποιόν. 34) Stob. Eclog. phys. 1,8. Παρμενίδου καί Δημοκρίτου· ούτοι πάντα κατ' ανάγκην τήν δ' αυτήν είναι είμαρμενην καί δίκην καί πρόνοιαν. Λευκίππου· πάντα κατ' ανάγκην τήν δ' αυτήν ΰπάρχειν ουδέν χρήμα μάτην γίγνεται, άλλα πάντα είμαρμενην. Λέγει γαρ έκ λόγου τε καί ύπ' ανάγκης.] 25 j 13 J 35) Euseb. Praepar. evang. VI, p.257. Ειμαρμένη, πεπρωμένη τφ (sc. Δημοκρίτω) δέ έκ τής τών μικρών εκείνων σωμάτων, τών φερομένων 30 κάτω, καί άναπαλλομένων άνω, καί περιπλεκομένων καί διαλυομένων καί διισταμένων καί παρατιθεμένων έξ ανάγκης. 36) Stob. Eclog. eth. Π, [p. 198.] Άνθρωποι τύχης εΐδωλον έπλάσαντο, πρόφασιν ίδίης άβουλίης· βαιςι γαρ φρονήσει τύχη μάχεται. 37) Euseb. Praepar. evang. XIV. p. 782. Καί τήν τύχην τών μέν 35 καθόλου καί τών θείων δέσποιναν εφιστάς (sc. Δημόκριτος) καί βασιλίδα, καί πάντα γίνεσθαι κατ' αυτήν αποφαινόμενος" τοΰ δέ τών ανθρώπων αυτήν άποκηρύττων βίου, καί [τους] πρεσβεύοντας αυτήν έλεγχων αγνώμονας, τών γ' ούν υποθηκών αρχόμενος λέγει- Άνθρωποι τύχης εΐδωλον έπλάσαντο πρόφασιν ίδίης άνοίης· φύσει γαρ γνώμη τύχη μάχεται, 40 καί τήν έχθίστην τή φρονήσει ταύτην αυτήν εφασαν κρατεΐν μάλλον 64 Anmerkungen zum Ersten Teil δέ καί ταύτην άρδην άναιρούντες καί άφανίζοντες έκείνην άντικαθιστάσιν αυτής. |jl4J Ού γ αρ ευτυχή τήν φρόνησιν, άλλ' έμφρονεστάτην ύμνούσι τήν τύχην. 38) Simplie. I.e. p.351. Tò ,,καθάπερ ό παλαιός λόγος άναιρών τήν 5 τύχην" προς Δημόκριτον έ'οικεν είρήσθαι. 39) Diogen. Laert. Χ,133 τήν δέ είμαρμένην, ύπό τίνων δεσπότιν είςαγομένην πάντων, άγγέλλοντος (sc. τού σοφού), μή είναι- άλλα τα μέν άπο τύχης, τα δέ παρ' ημών, δια το τήν μέν ανάγκην άνυπεύθυνον είναι, τήν δέ τύχην άστατον όράν. Το δέ παρ' ημών 10 άδέσποτον φ καί τό μεμπτόν καί το εναντίον παρακολουθεΐνπέφυκεν. 134. Έπεί κρεΐττον ην τφ περί θεών μύθω κατακολουθεΐν, ή τή τών φυσικών ειμαρμένη δουλεύειν. Ό μέν γάρ ελπίδα παραιτήσεως υπογράφει θεών δια τιμής, ή δέ άπαραίτητον έχει τήν ανάγκην. Τήν δέ τύχην, ούτε θεόν, ώς οί πολλοί νομίζουσι, ύπολαμβάνων 15 40) Senec. Epistol. XII, p.42. Malum est, in necessitate vivere; sed in necessitate vivere, nulla nécessitas est Patent undique ad liber tärem viae multae, breves, faciles. Agamus Deo grattarti, ||l5| quod nemo in vita teneri potest. Calcare ipsas necessitates, licet. Epicurus dixit. 20 41) Cic. de Nat. Deor. 1,20. Quanti autem haec philosophia (sc. Stoica) aestimanda est, cui, tanquam aniculis, et iis quidem indoctis, fato fieri videantur omnia? ab Epicuro soluti et in libertatem vindicati, 42) Id. ib. cap. 25. Idem facit (sc. Epicurus) contra dialecticos. A quibus quum traditum sit, in omnibus disjunctionibus, in quibus „auf 25 etiam, aut non" poneretur, alterutrum verum esse: pertimuit, ne, si con- cessum esset hujusmodi aliquid „Aut vivet eras, aut non vivet Epicurus", alterutrum fieret necessarium; totum hoc „aut etiam, aut non" negavit esse necessarium. άλλα καί Δημόκριτος, έν οΐς φησί, 30 δεΐν άπο παντός άποκρίνεσθαι παντοίων ειδέων, πώς δέ καί ύπό τίνος 43) Simplie. I.e. p.351 αιτίας μή λέγει, έοικεν άπο ταύτομάτου καί τύχης γεννφν αυτά. Id. I.e. p.351. καί γαρ ούτος (sc. Δημόκριτος) καν έν τή κοσμο- ποιία τή τύχη κέχρηται.) 1161 44) Cf. Euseb. I.e. XIV. p.781 sq καί ταύτα μάτην καί 35 άναιτίως αίτιολογών (sc. Δημόκριτος) ώς αν άπό κενής αρχής, καί υποθέσεως πλανωμένης ορμώμενος, καί τήν ρίζαν καί τήν κοινήν ανάγκην τής τών όντων φύσεως ούχ ορών, σοφίαν δέ μεγίστην ηγούμενος τήν τών άσόφως συμβαινόντων κατανόησιν. 45) Simplie. I.e. p.351. Διψήσας γαρ καί πιών τις ψυχρόν ύδωρ 40 γέγονεν υγιής· άλλ' ϊσως ού, φησι Δημόκριτος, τήν τύχην αίτίαν είναι, άλλα τό διψήσαι. 65 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Id. p.351. εκείνος (sc. Δημόκριτος) γαρ καν έν τή κοσμοποιία έδόκει τή τύχη χρήσθαι· άλλ' έν τοϊς μερικωτέροις ούδενός φησιν ε ί ν αι τήν τύχην αίτίαν, αναφερών εις αλλάς αιτίας, οίον τοΰ θησαυρόν εύρείν τό σκάπτειν ή τήν φυτείαν τής έλαίας. Cf. eund. I.e. p.351. άλλ' έν τοϊς κατά μέρος ούδενός φησιν 5 (sc. Δημόκριτος) είναι τήν τύχην [αίτίαν]. 46) Euseb. I.e. XIV, p.781. Δημόκριτος γοΰν αυτός, ώς φασιν, έλεγε βούλεσθαι μάλλον μίαν [εύρείν] αίτιολογίαν, ή τήν Περσών οί βασιλείαν γίνεσ-θαι. | |ΐ7| 47) (Plutarch.) de plac. philosoph. II. p.261. Επίκουρος ουδέν 10 άπογινώσκει τούτων (d. i. Meinungen der Philosophen über die Substanz der Sterne), [έχόμενος] τοΰ ενδεχομένου. Id. I.e. p.265. Επίκουρος πάλιν φησιν ένδέχεσθαι τα προειρη- μένα πάντα. Id. ib. Επίκουρος ένδέχεσθαι τα προειρημένα πάντα. Stob. Eclog. phys. I, p.54. Επίκουρος ουδέν άπογινώσκει τού­ 15 των, έχόμενος τοΰ ενδεχομένου. 48) Senec. Natural. Quaest. VI,20, p.802. T.II. Omnes istas esse posse causas, Epicurus ait, pluresque alias tentât, et alios, qui aliquid unum ex istis esse affirmaverunt, corripit, quum sit arduum, de iis, quae 20 conjectura sequenda sint, aliquid certi promittere. 49) Cf. II.Th. 5.Kap. Diogen. Laert. X,88. To μέντοι φάντασμα έκαστων τηρητέον, καί έπί τά συναπτόμενα τούτω διαιρετέον. Ά ούκ άντιμαρτυρείται τοις παρ' ήμϊν γινομένοις πλεοναχώς συντελεΐσθαι ενδέχεται- τών γαρ φαινομένων ουδέν άντιμαρτυρεΐ Πανταχώς γαρ 25 50) Diogen. Laert. Χ,80. Καί ού δει ||ΐ8| νομίξειν, τήν υπέρ τούτων χρείας πραγματείαν [άκρίβειαν] μή άπειληφέναι, δση προς τό άτάραχον καί μακάριον ημών συντείνει. I 30 | l 9| IV. Allgemeine principielle Differenz zwischen demokritischer und epikureischer Naturphilosophie. 1) Wie diese moralische Manier alle theoretische und praktische Uneigennützigkeit vernichtet, dazu liefert einen abschreckenden histori schen Beleg Plutarch in seiner Biographie des Marius. Nachdem er den 35 schrecklichen Untergang der Cimbern beschrieben: wird erzählt, soviel Leichen seien gewesen, daß die Massalioten ihre Weinberge damit düngen konnten. Darauf sei Regen gekommen, und dies das fruchtbarste Wein- und ,| ; ä j ί 66 1 l 1 Anmerkungen zum Ersten Teil Obstjahr geworden. Welche Reflexionen stellt nun der edle Historiker bei dem tragischen Untergang jenes Volkes an? Plutarch findet es moralisch von Gott, daß er ein ganzes großes, edles Volk umkommen und verfaulen ließ, um den Marseiller Philistern eine fette Obsternte zu verschaffen. 5 Also selbst die Verwandlung eines Volks in einen Misthaufen giebt er wünschte Gelegenheit zu moralischem Schwärmereivergnügen!| |2θ| 2) Auch in Betreff Hegels ist es bloße Ignoranz seiner Schüler, wenn sie diese oder jene Bestimmung seines Systems aus Accommodation u. dgl., mit einem Wort, moralisch erklären. Sie vergessen, daß sie vor 10 einer kaum abgelaufenen Zeitspanne, wie man ihnen aus ihren eigenen Schriften evident beweisen kann, allen seinen Einseitigkeiten begeistert anhingen. Waren sie wirklich so afficirt von der fertig empfangenen Wis senschaft, daß sie derselben mit naivem, unkritischem Vertrauen sich 15 hingaben: wie gewissenlos ist es, dem Meister eine versteckte Absicht hinter seiner Einsicht vorzuwerfen, dem die Wissenschaft keine empfangene, sondern eine werdende war, bis an deren äußerste Peripherie sein eigen stes geistiges Herzblut hinpulsirte. Vielmehr verdächtigen sie damit sich selbst, als sei es ihnen früher nicht Ernst gewesen, und diesen ihren 20 eigenen frühern Zustand bekämpfen sie unter der Form, daß sie ihn Hegel zuschreiben, vergessen aber dabei, daß er in unmittelbarem, ||2l| sub- stantialem, sie in reflectirtem Verhältniß zu seinem System standen. 25 Daß ein Philosoph diese oder jene scheinbare Inconsequenz aus dieser oder jener Accommodation begeht, ist denkbar; er selbst mag Dieses in seinem Bewußtsein haben. Allein was er nicht in seinem Bewußtsein hat, daß die Möglichkeit dieser scheinbaren Accommodationen in einer Unzulänglichkeit oder unzulänglichen Fassung seines Princips selber ihre innerste Wurzel hat. Hätte also wirklich ein Philosoph sich accom- modirt: so haben seine Schüler aus seinem innern wesentlichen Bewußtsein 30 Das zu erklären, was für ihn selbst die Form eines exoterischen Bewußtseins hatte. Auf diese Weise ist, was als Fortschritt des Gewissens erscheint, zugleich ein Fortschritt des Wissens. Es wird nicht das particulare Gewis sen des Philosophen verdächtigt, sondern seine wesentliche Bewußtseins form construirt, in eine bestimmte Gestalt und Bedeutung erhoben, und 35 damit zugleich darüber hinausgegangen. Ich betrachte übrigens diese unphilosophische Wendung eines großen Theils der hegelschen Schule ||22| als eine Erscheinung, die immer den Übergang aus der Disciplin in die Freiheit begleiten wird. Es ist ein psychologisches Gesetz, daß der in sich frei gewordene 40 theoretische Geist zur praktischen Energie wird, als Wille aus dem Schat tenreich des Amenthes heraustretend, sich gegen die weltliche, ohne 67 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie ihn vorhandene Wirklichkeit kehrt. (Wichtig aber ist es in philosophischer Hinsicht, diese Seiten mehr zu specificiren, weil aus der bestimmten Weise dieses Umschlagens rückgeschlossen werden kann auf die immanente Bestimmtheit und den weltgeschichtlichen Charakter einer Philosophie. Wir sehen hier gleichsam ihr curriculum vitae aufs Enge, auf die subjective Pointe gebracht.) Allein die Praxis der Philosophie ist selbst theoretisch. Es ist die Kritik, die die einzelne Existenz am Wesen, die besondere Wirklichkeit an der Idee mißt. Allein diese unmittelbare Realisirung der Philosophie ist ihrem innersten Wesen nach mit Widersprüchen behaftet, und dieses ihr Wesen gestaltet sich in der Erscheinung, und prägt ihr sein 10 Siegel auf. 5 Indem die Philosophie als Wille sich gegen die erscheinende Welt herauskehrt: ist das System zu einer abstracten Totalität herabgesetzt, d.h., es ist zu einer Seite der Welt geworden, der eine andere gegen übersteht. Sein Verhältniß zur Welt ist ein Reflexionsverhältniß. Begeistet 15 mit dem Trieb, sich zu verwirklichen, tritt es in Spannung gegen Anderes. Die innere Selbstgenügsamkeit und Abrundung ist gebrochen. Was innerliches Licht war, wird zur verzehrenden Flamme, die sich nach außen wendet. So ergiebt sich die Consequenz, daß das Philosophisch werden der Welt zugleich ein Weltlich-werden der Philosophie, daß ihre 20 Verwirklichung zugleich ihr Verlust, daß, was sie nach außen bekämpft, ihr eigener innerer Mangel ist, daß gerade im Kampfe sie selbst in die Schäden verfällt, die sie am Gegentheil als Schäden bekämpft, und daß sie diese Schäden erst aufhebt, indem sie in dieselben verfällt. Was ihr entgegentritt, und was sie bekämpft, ist immer Dasselbe, was sie ist, nur 25 mit umgekehrten Factoren. Dies ist die eine Seite, wenn wir die Sache rein objectivais un mittelbare Realisirung der Philosophie betrachten. Allein sie hat, was nur eine andere Form davon ist, auch eine subjective Seite. Dies ist das Verhältniß des philosophischen Systems, das verwirklicht wird, zu seinen 30 geistigen Trägern, zu den einzelnen ||24| Selbstbewußtsein, an denen ihr Fortschritt erscheint. Es ergiebt sich aus dem Verhältniß, was in der Realisirung der Philosophie selbst der Welt gegenüberliegt, daß diese einzelnen Selbstbewußtsein immer eine zweischneidige Forderung haben, deren die eine sich gegen die Welt, die andere gegen die Philosophie 35 selbst kehrt. Denn, was als ein in sich selbst verkehrtes Verhältniß an der Sache, erscheint an ihnen als eine doppelte sich selbst widersprechende Forderung und Handlung. Ihre Freimachung der Welt von der Unphilosophie ist zugleich ihre eigene Befreiung von der Philosophie, die sie als ein bestimmtes System in Fesseln schlug. Weil sie selbst erst im Act und der 40 unmittelbaren Energie der Entwickelung begriffen, also in theoretischer 68 Anmerkungen zum Zweiten Teil Hinsicht noch nicht über jenes System hinausgekommen sind: empfinden sie nur den Widerspruch mit der plastischen Sich-selbst-gleichheit des Systems, und wissen nicht, daß, indem sie sich gegen dasselbe wenden, sie nur seine einzelnen Momente verwirklichen. | 5 10 |25| Endlich tritt diese Gedoppeltheit des philosophischen Selbst bewußtseins als eine doppelte, sich auf das Extremste gegenüberstehende Richtung auf, deren eine, die liberale Partei, wie wir sie im Allgemeinen bezeichnen können, den Begriff und das Princip der Philosophie, die andere, ihren Nichtbegriff, das Moment der Realität, als Hauptbestimmung festhält. Diese zweite Richtung ist die positive Philosophie. Die That der Ersten ist die Kritik, also gerade das Sich-nach-außen-wenden der Philo sophie, die That der Zweiten der Versuch zu philosophiren, also das In-sich-wenden der Philosophie, indem sie den Mangel als der Philosophie immanent weiß, während die Erste ihn als Mangel der Welt, die philo- 15 sophisch zu machen, begreift. Jede dieser Parteien thut gerade Das, was die andere thun will, und was sie selbst nicht thun will. Die erste aber ist sich bei ihrem innern Widerspruch des Princips im Allgemeinen bewußt und ihres Zweckes. In der zweiten erscheint die Verkehrtheit, so zu sagen, die Verrücktheit, als solche. Im Inhalt bringt es nur die liberale Partei, | 20 J26| weil die Partei des Begriffes, zu realen Fortschritten, während die positive Philosophie es nur zu Forderungen und Tendenzen, deren Form ihrer Bedeutung widerspricht, zu bringen im Stande ist. Was also erstens als ein verkehrtes Verhältniß und feindliche Diremtion der Philosophie mit der Welt erscheint, wird zweitens zu einer 25 Diremtion des einzelnen philosophischen Selbstbewußtseins in sich selbst, und erscheint endlich als eine äußere Trennung und Gedoppeltheit der Philosophie, als zwei entgegengesetzte philosophische Richtungen. Es versteht sich, daß außerdem noch eine Menge untergeordneter, quengelnder, individualitätsloser Gestaltungen auftauchen, die sich entweder 30 hinter eine philosophische Riesengestalt der Vergangenheit stellen, — aber bald bemerkt man den Esel unter der Löwenhaut, die weinerliche Stimme eines mannequin von heute und gestern greint komisch contrastirend hervor hinter der gewal||27|tigen, Jahrhunderte durchtönenden Stimme, etwa des Aristoteles, zu deren unwillkommenen Organ sie sich gemacht; es ist, 35 als wenn ein Stummer sich durch ein Sprachrohr von enormer Größe zu Stimme verhelfen wollte — oder aber, mit doppelter Brille bewaffnet, steht irgend ein Lilliputaner auf einem Minimum vom posterius des Riesen, verkündet der Welt nun ganz verwundert, welche überraschend neue Aussicht von seinem punctum visus aus sich darbiete, und müht sich lächerlich ab, darzuthun, nicht im flutenden Herzen, sondern im soli den, kernigen Revier, auf dem er steht, sei der Punkt des Archimedes 40 69 3 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie gefunden, πού στώ, an dem die Welt in Angeln hängt. So entstehen Haar-, Nägel-, Zehen-, Excrementen-Philosophen und andere, die einen noch schlimmem Posten im mystischen Weltmenschen des Swedenborg zu repräsentiren haben. Allein ihrem Wesen nach fallen alle diese Schleim- thierchen den beiden Richtungen, als ihrem Element, anheim, die an- 5 gegeben sind. Was )|28] diese selbst betrifft: werde ich an einem andern Ort ihr Verhältniß theils zu einander, theils zur hegelschen Philosophie und die einzelnen historischen Momente, in denen diese Entwickelung sich darstellt, vollständig expliciren. 3) Diogen. Laert. IX ,44 Μηδέν τε έκ τοΰ μή δντος γίνεσθαι, 10 μηδέ είς τό μή δν φθείρεσθαι. (Democritus) Id. Χ,38. Πρώτον μέν, δτι ουδέν γίνεται έκ τοΰ μή δντος. Παν γαρ έκ παντός έγίνετ' αν 39. Και εί έφθείρετο δέ τό άφανιζόμενον είς τό μή δν, πάντα αν άπολώλει τα πράγματα, ούκ όντων τών, είς à διελύετο. Καί μήν καί τό πάν άεί τοιούτον ήν, οίον καί νύν έστι, καί 15 αεί τοιούτον εσται. Ούθέν γάρ έστιν, είς ö μεταβάλλει. (Epicurus) 4) Aristot. Phys. 1,4. Εί γαρ πάν μέν τό γενόμενον ανάγκη γίνεσθαι ή έξ δντων ή έκ μή όντων τούτων δέ τό μέν έκ μή δντων γίνεσθαι αδύνατον περί γαρ ταύτης όμογνωμονούσι τής δόξης άπαντες. 5) Themist. Schol. ad Aristot. (coll. Brandis), f.42. p. 383. Ώςπερ 20 γαρ τού μηδενός ||29| ουδεμία έστι διαφορά, ούτω καί τού κενού- τό γαρ κενόν μή δν τι καί στέρτησιν λέγει κ. τ. λ. 6) Aristot. Metaphys. 1,4. Λεύκιππος δέ καί ό εταίρος αυτού Δημόκριτος στοιχεία μέν τό πλήρες καί τό κενόν εΐναί φασι, λέγοντες οίον τό μέν δν, τό δέ μή δν τούτων δέ τό πλήρες καί τό στερεόν τό δν, τό 25 δέ κενόν γε καί μανόν τό μή δν. Διό καί ούθέν μάλλον τό δν τού μή δντος είναι φασι, δτι ουδέ τό κενόν τού σώματος. 7) Simplic. I.e. p.326. Καί Δημόκριτος τό πλήρες καί τό κενόν, ών τό μέν ώς δν, τό δέ ώς ούκ δν είναι φησιν. Themist. I.e. p.383. Τό γαρ κενόν μή δν τι καί στέρησιν λέγει 30 Δημόκριτος. 8) Simplic. I.e. p.488. Δημόκριτος ηγείται τήν τών άϊδίων φύσιν είναι μικράς ουσίας, πλήθος απείρους· ταύταις δέ τόπον άλλον ύποτίθησιν άπειρον τφ μεγέθει, προςαγορεύει δέ τον μέν τόπον ||3θ| τοϊςδε [τοις] όνόμα- σι- τφ τε κενφ καί τφ ούδενί καί τφ άπείρω, τών δέ ουσιών έκάστην τφ 35 τφδε καί τφ ναστφ καί τφ δντι. 9) Vergi. Simplic. I.e. p.514. εν καί πολλά. 10) Diogen. Laert. I.e. § 40. εί μή ήν, δ κενόν καί χώραν καί άναφή φύσιν όνομάζομεν. Stob. Eel. phys. I, p. 39. Επίκουρος όνόμασιν πάσιν παραλλάτ- 40 τειν κενόν, τόπον, χώραν. 70 Anmerkungen zum Ersten Teil 11) Stob. Ecl. phys.l.p. 27. Εΐρηται δέ άτομος, ούχ ότι εστίν ελαχίστη. 12) Simpl. I.e. p.405. Οί δέ τής έπ' άπειρον τομής άπεγνωκότες, ώς ού δυναμένων ημών έπ' άπειρον τέμνειν, «αϊ έκ τούτου πιστώσασθαι τό άκατάληκτον τής τομής, έξ αδιαιρέτων ελεγον ύφίστασθαι τα σώματα, 5 καί ε ις αδιαίρετα διαιρεϊσθαι· πλήν δτι Λεύκιππος καί Δημόκριτος ού μόνον τήν άπάθειαν αί||3ΐ|τίαν τοις πρώτοις σώμασι τού μή διαιρεϊσθαι νομίζουσιν, άλλα καί τό σμικρόν καί τό άμερές, Επίκουρος δέ ύστερον άμερή ούχ ηγείται, άτομα δέ αυτά δ ια τήν άπάθειαν είναί φησιν. Καί πολλαχού μέν τήν Δημοκρίτου δόξαν καί Λευκίππου ό Αριστοτέλης δι- 10 ήλεγξεν, καί δι' εκείνους ίσως τούς έλεγχους προς τό άμερές ένισταμένους ό Επίκουρος ύστερον γενόμενος, συμπαθών δέ τή Δημοκρίτου καί Λευκίπ­ που δόξη περί τών πρώτων σωμάτων, απαθή μέν έφύλαξεν αύτα 13) Aristot. De gener. et corrupt. 1,2. Αίτιον δέ τού έπ' ελαττον δύνασθαι τα όμολογούμενα συνοράν, ή απειρία. Διό, δσοι συνωκήκασι 15 μάλλον έν τοίς φυσικοίς, μάλλον δύνανται ύποτίθεσθαι τοιαύτας αρ­ χάς, at έπιπολύ δύνανται συνείρειν. Οί δ' έκ τών πολλών λόγων αθεώρητοι έπιβλέψαντες, αποφαίνονται τών υπαρχόντων δντες, προς ολίγα, ράον. Ίδοι δ' αν τις καί έκ τούτων, δσον διαφέρουσιν οί φυσικώς καί λογικώς σκοπούντες. Περί γάρ τού άτομα είναι μεγέθη οί μέν φασιν, 20 δτι τό αύτοτρίγωνον πολλά έσται. Δημόκριτος δ' αν φανείη οίκείοις καί φυσικοϊς λόγοις πεπείσθαι. 14) Diogen. Laert. IX, 7, 8. [§ 40.] Άριστόξενος δ' έν τοις ίστορικοΐς ύπομνήμασί φησι, Πλάτωνα θελήσαι συμφλέξαι τα Δημοκρίτου συγ­ γράμματα όπόσα ήδυνήθη συναγαγείν, Άμύκλαν δέ καί Κλεινίαν τούς 25 Πυθαγορικούς κωλύσαι αυτόν, ώς ουδέν όφελος- παρά πολλοίς γαρ είναι [τα] βιβλία ήδη. Καί δήλον δέ • πάντων γάρ σχεδόν τών αρχαίων μεμνημένος ό Πλάτων, ούδαμοΰ Δημοκρίτου διαμνημονεύει, άλλ' ουδέ ένθα άντειπείν τι αύτφ δέοι· δήλον είδώς ώς προς τον άριστον ούτω τών φιλοσόφων εσοιτο.Ι 71 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie [331 ZWEITER THEIL: Über die Differenz der demokritischen und epikuräischen Physik im Einzelnen. E R S T ES K A P I T E L: Die Declination des Atoms von der geraden Linie. 5 1) Stob. Eclog. phys. I. p.33. Επίκουρος κινεϊσθαι δέ τα άτομα τότε μέν κατά στάθμην, τότε δέ κατά παρέγκλισιν, τα δέ άνω κινούμενα κατά πληγήν καί ΰπό παλμόν. Cf. Cic. de Fin. 1,6. (Plutarch.) 10 de plac. philosoph. p.249. Stob. I.e.p.40. 2) Cic. de Nat. Deor. 1,26 quid est in Physicis Epicuri non a Democrito? nam etsi quaedam commutava, ut, quod paullo ante de inclinatione atomorum dixi, 3) Cic. de Fin. 1,6 censet (sc. Epicurus) enim, eadem illa 15 individua et solida corpora ferri suo deorsum pondère ad lineam; hunc ||34| naturalem esse omnium corporum motum. Deinde ibidem homo acutus, quum illud occurreret, si omnia deorsum e regione ferrentur et, ut dixi, ad lineam, nunquam fore, ut atomus altera alteram posset at tingere , itaque attulit rem commentitiam ; declinare dixit atomum perpaullum 20 (quo nihil posset fieri minus), ita effici complexiones et copulationes et adhaesitationes atomorum inter se, ex quo efficeretur mundus omnesque partes mundi, quaeque in eo essent. 4) Cic. de Nat. Deor. 1,25 Epicurus, quum videret, si atomi ferrentur in locum inferiorem suopte pondère, nihil fore in nostra potestate, 25 quod esset earum motus certus et necessarius, invenit, quo modo neces- 72 Anmerkungen zum Zweiten Teil sitatem effugeret, quod videlicet Democritum fugerat; ait, atomum, quum pondère et gravitate directo deorsum feratur, declinare paullulum. Hoc dicere, turpius est, quam illud, quod vult, non posse defendere. Cf. Cic. de Fat. 10, 5) Bayle Diet. hist. v. Epicure. | |35| 6) Schaubach „über Epikur's astronomische Begriffe" im Archiv für Philologie und Pädagogik von Seebode, Jahn und Klotz. Bd. V. H.IV. S.549. 7) Lucret. De rer. nat. II, 251 sqq. Denique si semper motus connectitur omnis, Et vetere exoritur semper novus ordine certo Unde est haec, inquam, fatis avolsa voluntas? 8) Aristot. de Anim. 1,4, 16—17. Πώς γάρ χρή νοήσαι μονάδα κινουμένην καί ΰπο τίνος, καί πώς, άμερή καί άδιάφορον ούσαν; εί γάρ έστι κινητική καί κινητή, διαφέρειν δει. Έτι 8'έπεί φασι κινηθείσα ν γραμμην επίπεδον ποιεΐν, στιγμήν δέ γραμμτην καί αί τών μονάδων κινήσεις γραμμαί έσονται. 9) Diogen. Laert. Χ,43. Κινούνται τε συνεχώς αί ατομοι. Simplie. I.e. p.424. [οί περί] Επίκουρον τήν κίνησιν άΐδιον. 10) Lucret. De rer. nat. 11,251 sqq. si I 1361 Nec declinando faciunt primordia motus Principium quoddam, quod fati foedera rumpat, Ex infinito ne causam causa sequatur. 11) Id. I.e. 279 sq. esse in pectore nostro Quiddam, quod contra pugnare obstareque possit. 12) Cic. de Fin. 1,6. Nec tamen id, cujus causa haec finxerat, as- secutus est; nam, si omnes atomi declinabunt, nullae unquam cohaerescent, sive aliae declinabunt, aliae suo nutu recte ferentur. Primum erit hoc quasi provincias atomis darei quae recte, quae oblique ferantur. 13) Lucret. I.e. 293. 14) Cic. de Fat. 10. Declinai atomus intervallo minimo, id appellai ελάχιστον.. 15) Id. ib. Quam declinationem sine causa fieri, si minus verbis, re cogitur confiteri. 16) Plutarch, de anim. procreai. VI (T. VI. p. 8. ed. ster.) Επικούρψ μέν γαρ ουδέ άκαρές έγκλίνειν τήν άτομον συγχωροΰσιν, ώς άναίτιον έπειςάγοντι κίνησιν έκ τοΰ μή δντος. 73 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie 17) Cic. de Fin. 1,6. Nam et ipsa de||37|clinatio ad libidinem fingitur (ait enim declinare atomum sine causa; quo nihil turpius physico, quam, fieri sine causa quidquam, dicere), et illum motum naturalem omnium ponderum, ut ipse constituit, e regione inferiorem locum petentium, sine causa eripuit atomis. 18) Bayle I.e. 19) August. Epistol. 56. 20) Diogen. Laert. X,128. Τούτου γαρ χάριν άπαντα πράττομεν, 5 όπως μήτε άλγώμεν, μήτε ταρβώμεν. 21) Plutarch, de eo, quod sec. Epicur. non beate v/v. poss. p. 1091. 'Όμοια δέ και τα Επικούρου λέγοντος, τήν τοΰ αγαθού φύσιν έξ αυτής της φυγής τοΰ κακοΰ. io 22) Clem. Alex. Strom. II. p.415. Ό δέ Επίκουρος καί τήν της άλγηδόνος ύπεξαίρεσιν ήδονήν εΐναι. 23) Senec. de benef. IV, p.699. Itaque non dat deus beneficia, sed 15 securus et negligens nostri, aversus a mundo; nec magis ilium beneficia, quam injuriae tangunt. 24) Cic. de Nat. Deor. 1,24 ita enim dicebas, non corpus esse in deo, sed quasi corpus, ||38| nec sanguinem, sed quasi sanguinem. 25) Cic. de Nat. Deor. 1,38 Quern cibumigitur, aut quas potiones, 20 aut quas vocum aut florum varietates, aut quos tactus, quos odores Quid est adhibebis ad Deos, ut eos perfundas voluptatibus? enim, cur Deos ab hominibus colendos dicas, quum Dii non modo homines non colant, sed omnino nihil curent, nihil agant? At est eorum eximia quaedam praestansque natura, ut ea debeat ipsa per se ad se colendam 25 elicere sapientem. An quidquam eximium potest esse in ea natura, quae, sua voluptate laetans, nihil nec actura sit unquam, neque agat, neque egerit? 39 26) Plutarch, de eo, quod sec. Epicur. non beate vivi poss. p. [1100—]1101. Ό λόγος αυτών φόβον αφαιρεί καί δεισιδαιμονίαν, εύφρο- 30 σύνην δέ καί χαράν από τών θεών ούκ ένδίδωσιν άλλ' ούτως εχεα> ποιεί προς αυτούς τώ μή ταράττεσθαι, μηδέ χαίρειν, ώς προς τούς ύρκανούς ιχθύς έχομεν, οΰτε χρηστόν ουδέν ούτε φαΰλον άπ' αυτών προςδοκώντες. 27) Aristot. de coel. 11,12. Τώ δέ ώς άριστα εχοντι ουδέν δει πράξεως· 35 εστι γαρ αυτό τό ού ένεκα. | |39| 28) Lucret. De rer. nat. 11,221 sqq. Quod nisi declinare solerent (sc. atomi): Nec foret offensus natus, nec plaga creata Principiis, ita nil unquam [natura] creasset. 40 74 Anmerkungen zum Zweiten Teil 2 9) Lucret. De rer. nat. 11,284 sqq. Quare in seminibus quoque [idem] fateare necesse est Esse aliam praeter piagas et pondera causam Motibus, unde haec est olleis innata potestas. 5 ne plageis omnia fiant Externa quasi vi, sed ne mens ipsa necessum Intestinum habeat cunctis in rebus agendis, Et, devicta quasi, cogatur ferre patique: Id facit exiguum clinamen principiorum. 10 30) Aristot. de coel. 1,7. Εί δε μή συνεχές το πάν, άλλ', ώςπερ λέγει Δημόκριτος καί Λεύκιππος, διωρισμένα τφ κενφ, μίαν άναγκαίον πάντων είναι τήν κίνησιν τήν δέ φύσιν αυτών είναι μίαν, ώςπερ αν, εί χρυσός έκαστον εϊη κεχωρισμένος. 31) Aristot. de coel. 111,2. Διό καί Λευκίππω καί Δημοκρίτω, τοίς 15 λέγουσιν άεί κινείσθαι τα πρώτα σώματα έν τφ κενφ καί τφ άπείρω, λεκτέον, τίνα κίνησιν καί τίς ή κατά φύσιν αυτών κίνησις. Εί γαρ άλλο ύπ' άλλου κινείται βία τών στοιχείων, άλλα καί κατά φύσιν ανάγκη τινά είναι κίνησιν έκαστου, |J40| παρ' ην ή βίαιος έστι- καί δεί τήν πρώτην κινούσαν, μή βία κινείν, άλλα κατά φύσιν εις άπειρον γάρ 20 είσιν, εί μή τι εσται κατά φύσιν κινούν πρώτον, άλλ' άεί το πρότερον βίο; κινούμενον κινήσει. 32) Diog. Laert. Χ,150: ,,δσα τών ζώων μή ήδύνατο σννΰήκας ποιείσθαι τάς υπέρ τού μή βλάπτειν άλληλα, μηδέ βλάπτεσθαι- προς ταύτα ονϋ·έν εστίν ουδέ δίκαιον, ουδέ άδικον. ωσαύτως δέ καί τών εθνών 25 όσα μή ήδύνατο, ή μή έβούλετο τάς συνθήκας ποιείσθαι, τάς υπέρ τού μή βλάπτειν αλλήλους, μηδέ βλάπτεσθαι. ούκ ήν τί καθ' εαυτό δικαιοσύ­ νη, άλλ' ή έν ταΐς μετ' αλλήλων συστροφαίς, καθ' ομιλίας δή ποτε έδει τόπους συνθήκην τινά ποιείσθαι υπέρ τού μή βλάπτειν, ή βλάπτεσθαι." 33) I 30 |4l| ZWEITES KAPITEL: Die Qualitäten des Atoms. 1) Diogen. Laert. X,54. Ποιότης γάρ πάσα μεταβάλλει- αί δέ ατομοι ουδέν μεταβάλλουσιν. 35 Lucret. de rer. nat. 11,861 sqq. Omnia sint a principiis sejuncta, necesse est, Immortalia si volumus subjungere rebus Fundamenta, quibus nitatur summa salutis. 75 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie 2) (Plutarch.) De plac. philosoph. [I, p. 235-236.] εφη συμβεβηκέναι τοις σώμασι τρία ταύτα- σχήμα, Επίκουρος μέγεθος, βάρος. Δημόκριτος μέν γαρ δύο- μέγεθος καί σχήμα· ό δ' Επίκουρος τούτοις καί τρίτον τό βάρος έπέθηκεν ανάγκη γαρ κινεϊσθαι τα σώματα τή τοΰ βάρους πληγή. Cf. Sext. Empir, adv. Math. p.420. 5 3) Euseb. Praepar. evang. XIV, p.749. 4) Simplic. I.e. p.362 τήν διαφοράν αυτών (sc. ατόμων) κατά μέγεθος καί σχήμα τιθείς (sc. Δημόκριτος). ibid 5) Philopon. μίαν μέντοι κοινήν φύσιν ύποτίθησιν ||42| σώματος τοις σχήμασι πάσι- τούτου δέ μόρια 10 (sc. Δημόκριτος) εΐναι τάς άτόμους μεγέθει καί σχήματι διαφέρουσας α λ λ ή λ ων ού μόνον γαρ ά λ λο καί ά λ λο σχήμα εχουσιν, άλλ' [είσίν] αυτών αί μέν μείζους, αί δέ έλάττους. 6) Aristot. De gen. et corrupt. 1,8. καίτοι βαρύτερόν (sc. άτομον) γε κατά τήν ύπεροχήν φησιν είναι. 7) Aristot. De coel. 1,7. τούτων δέ, καθάπερ λέγομεν, άναγκαΐον Ώςτε οΰτε κοΰφον απλώς ουδέν εσται τών είναι τήν αυτήν κίνησιν σωμάτων, εί πάντ' έχει βάρος· εί δέ κουφότητα, ουδέν βαρύ. Έτι, εί βάρος εχει ή κουφότητα, εσται ή εσχατόν τι τοΰ παντός, ή μέσον 8) Ritter Geschichte d. alt. Philosophie. I. Th. S.568. Anm.2. 9) Aristot. Metaphys. VII (VIII),2. Δημόκριτος μέν ούν τρεις διαφοράς εοικεν οίομένφ είναι. Τό μέν γαρ ύποκείμενον σώμα τήν ΰλην εν καί τό αυτό, διαφέρειν δέ ή ρυσμώ, δ έστι σχήμα, ή τροπή, δ έστι θέσις, ή διαθιγή, δ έστι τάξις. 15 20 10) Aristot. Metaphys. 1,4. Λεύκιππος ||43| δέ καί ό εταίρος αύτοΰ 25 Δημόκριτος στοιχεία μέν το πλήρες καί τό κενόν είναι φασι, λέγοντες οίον, τό μέν δν, τό δέ μή δν τούτων δέ τό πλήρες καί τό στερεόν τό δν, τό δέ κενόν γε καί τό μανόν τό μή δν. Διό καί ούθέν μάλλον τό δν τοΰ μή δντος είναι φασι, δτι ουδέ τό κενόν τοΰ σώματος. Αίτια δέ τών δντων ταύτα, ώς ΰλην. Καί καθάπερ οί έν ποιοΰντες τήν ύποκειμένην 30 ούσίαν, τα άλλα τοις πάθεσιν αυτής γεννώσι, τό μανόν καί τό πυκνόν αρχάς τιθέμενοι τών παθημάτων τόν αυτόν τρόπον καί ούτοι τάς δια­ φοράς αιτίας τών άλλων είναί φασι. Ταύτας μέντοι τρείς είναι λέγουσι· σχήμα τε καί τάξιν καί θέσιν. Διαφέρειν γάρ φασι τό δν όυσμώ καί διαθιγή καί τροπή μόνον τούτων δέ ό μέν ρυσμός σχήμα έστιν, ή δέ 35 διαθιγή τάξις, ή δέ τροπή θέσις. Διαφέρει γάρ τό μέν [Α] τοΰ Ν σχήματι, τό δέ ΑΝ τοΰ ΝΑ τάξει, τό δέ Ζ τοΰ Ν θέσει. 11) Diogen. Laert. Χ,44 είναι, πλήν σχήματος καί μεγέθους καί βάρους· μή είναι περί αύτάς· ουδέποτε γοΰν άτομος ώφθη αίσθήσει. 40 μηδέ ποιότητα τινα περί τάς άτόμους Πάν τε μέγε&ος 12) Id. Χ,56. Πάν δέ μέγεθος ένυπάρχον ||44| οΰτε χρήσιμόν έστι 76 Anmerkungen zum Zweiten Teil •προς τάς τών ποιοτήτων διαφοράς, άφϊχθαί [τε] άμέλει και προς ημάς όρατάς άτόμους· δ οΰ θεωρείται γινόμενον, ούθ' δπως αν γένοιτο ορατή άτομος, εστίν έπινοήσαι. 13) Id. Χ,55 5 άτόμοις ύπάρχειν Αλλά μηδέ δει νομίζειν, πάν μέγεθος έν ταϊς παραλλαγάς δέ τινάς μεγεθών νομιστέον είναι. 14) Id. Χ, 59. Επείπερ καί δτι μέγεθος έχει ή άτομος κατά τήν ενταύθα άναλογίαν κατηγορήσαμεν, μικρόν τι μόνον, μακρόν έκβάλ- λοντες. 15) Cf. Id. Χ, 58. Stob. Eclog. phys. I, p. 27. 16) Epicuri fragia, (de nat. II et XI) coll. a Rosinio, ed. Creili 10 p. 26. 17) Euseb. Praepar. evang. XIV, p.773. {ed. Paris.) τοσούτον δέ διεφώνησαν, δσον ό (sc. Επίκουρος) μέν έλαχίστας πάσας καί δια τούτο ανεπαίσθητους, ό δέ Δημόκριτος καί μεγίστας είναι τινας άτόμους 15 ύπέλαβεν. 18) Stob. Eclog. phys. 1,17. Δημόκριτος γέ φησι δυνατόν είναι κοσμιαίαν ύπάρχεινάτομον. Cf. (Plutarch.)Deplacit.philosoph.l,p. 235 sq. 19) Aristot. De gener. et corrupt. 1,8. ||45| αόρατα δια μικρότητα τών δγκων. 20 20) Euseb. Praepar. evang. XIV, ρ, 749. Δημόκριτος αρχάς τών όντων σώματα άτομα λόγφ θεωρητά. Cf. (Plutarch.) De plac. philos. I, p. 235 sq. 21) Diogen. Laert. X,54. Καί μήν καί τάς άτόμους, νομιστέον, μηδεμίαν ποιότητα τών φαινομένων προςφέρεσθαι, πλήν σχήματος καί 25 βάρους καί μεγέθους, καί δσα έξ ανάγκης σχήματος συμφυή έστιν. Cf. §.44. 22) Id. Χ,42 Πρός τε τούτοις τα άτομα άπερίληπτά έστι ταΐς διαφοραϊς τών σχημάτων. 23) Id. ib ταΐς δέ διαφοραΐς ούχ απλώς άπειροι, άλλα μόνον 30 άπερίληπτοι. 24) Lucret. 11,513 sq. fateare, necesse est, Materiem quoque finiteis differre figureis. Euseb. Praepar. evang. XIV, p.749. Επίκουρος είναι 35 τα σχήματα αυτών ατόμων περιληπτά, ούκ άπειρα. Cf. (Plutarch.) De plac. philosoph. 1. c. 25) Diogen. Laert. X,42 Καί καθ' έκάστην δέ σχημάτισιν απλώς άπειροι είσιν άτομοι | |46| Lucret. De rer. nat. I.e. 525 sqq. 40 etenim distantia quom sit Formarum finita: necesse est, quae similes sint, 77 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Esse infinitas, aut summam matériel Finitam constare, id quod non esse probavi. 26) Aristot. De coel. 111,4. ά λ λα μην ούδ', ώς έτεροι τίνες λέγουσι, οίον Λεύκιππος τε καί Δημόκριτος ό Αβδηρίτης, εΰλογα τά συμβαίνοντα καί προς τούτοις, έπεί διαφέρει τά σώματα σχήμασιν, άπειρα δέ τά σχήματα, άπειρα καί τα ά π λα σώματα φασιν είναι. Ποίον δέ καί τί έκαστου τό σχήμα τών στοιχείων, ουδέν έπιδιώρισαν, ά λ λα μόνον τώ πυρί τήν σφαϊραν άπέδωκαν, αέρα δέ καί τά άλλα Philopon. Le ού μόνον άλλο καί άλλο σχήμα εχουσι 27) Lucret. De Ter. nat. I.e. 479 sqq. primordia rerum Finita variare figurarum ratione. Quod si non ita sit, rursum jam semina quaedam Esse infinito debebunt corporis auctu; Nam quod eadem una quojusvis in brevitate Corporis, inter se multum variare figurae Non possunt Si forte voles variare figuras,| |47| Addendum parteis alias erit. Ergo formarum novitatem corporis augmen Subsequitur; quare non est, ut credere possis, Esse infiniteis distantia semina formeis. 28) Cf. Not.25. 29) Diogen. Laert. X,44 et 54. 30) Bruckeri Instit. histor. phil. p. 224. 31) Lucret. De rer. nat. 1,1051 [sq.] 5 io 15 20 25 Illud in his rebus longe fuge credere, Memmi, In medium summae, quod dicunt, omnia niti. 32) Diogen. Laert. X,43 καί ίσοταχώς αύτάς κινεΐσθαι, τοΰ κενού τήν ίξιν όμοίαν παρεχομένου καί τή κουφότατη καί τή βαρύτατη 30 είς τον αιώνα. 61. Καί μήν καί ισοταχείς άναγκαϊον τάς άτόμους είναι, όταν δια τού κενού είςφέρωνται, μηδενός άντικόπτοντος. Ούτε γάρ τά βαρέα θάττον οίσθήσεται τών μικρών καί κούφων, δταν γε δή μηδέν άπαντα αύτοϊς· οΰτε τά μικρά τών μεγάλων, πάντα πόρον σύμμετρον έχοντα, όταν μηθέν μηδέ έκείνοις άντικόπτη. 35 Lucret. De rer. nat. 11,235 sqq. At contra nulli inane potest vacuum subsistere rei, Quin, [sua quod natura petit, concedere pergat. Omnia] quapropter debent per inane quietum Aeque, ponderibus non aequeis concita ferri.| 40 78 Anmerkungen zum Zweiten Teil |48J 33) Vergi. Kap.3. 34) Feuerbach's Geschichte d. neuern Philosoph. Gassendi 1. c. XXXIII, 7. Epicurus, tametsi forte de hac experientia nunquam cogitarit, ratione ductus, illud censuit de atomis, quod experientia 5 nos nuper docuit, scilicet ut corpora omnia, tametsi sint [tarn] pondère quam mole summe inaequalia, aequivelocia tarnen sint, quum superne deorsum cadunt, sie ille censuit, atomos omnes, licet sint magnitudine gravitateque inaequales, esse nihilominus inter se ipsas suo motu aequive- loces. 10 | 4 9| D R I T T ES K A P I T E L: Ατομοι άρχαί und άτομα στοιχεία. 1) Αμέτοχα κενού heißt durchaus nicht „erfüllen keinen Raum ", 15 sondern „sind untheilhaftig des Leeren"; es ist Dasselbe, als wenn anderswo bei Diogenes Laertius gesagt wird: ,,διάλειψιν δέ μερών ούκ εχουσιν." Eben so ist dieser Ausdruck zu erklären (Plutarch.) De placit. philosoph. I, p.236 und Simplicius p.405.| J501 2) Auch Dies ist falsche Consequenz. Was nicht im Raum getheilt 20 werden kann, ist deswegen nicht außerhalb des Raums und ohne räumliche Beziehung. 3) Schaubach l.c.p.[549-]550. 4) Diogen. Laert. X,44. 5) Id. X,67. Καθ' εαυτό δέ ούκ εστι νοήσαι τό άσώματον, πλην 25 έπΙ τού κενού. 6) Id. Χ, 39. 40 und 41. 7) Id. VII, 134. Διαφέρειν δέ φασιν (sc. Στωικοί) αρχάς καί στοιχεία· τάς μέν γαρ είναι άγεννήτους καί άφθαρτους, τα δέ στοιχεία κατά τήν έκπύρωσιν φθείρεσθαι. 30 8) Aristot. Metaphys. IV, 1 und 3. 9) Cf. I.e. 10) Aristot. I.e. 3. Όμοίως δέ καί τα τών σωμάτων στοιχεία λέγουσι οί λέγοντες, εις ά διαιρείται τα σώματα έσχατα, εκείνα δέ μηκέτ' εις άλλα εϊδει διαφέροντα σώματα Διό καί τό μικρόν καί απλούν 35 καί άδιαίρετον στοιχεΐον λέγεται. 11) Aristot. Metaphys. 1,4. 12) Diogen. Laert. Χ,54. Plutarch. Colot. p. 1110. Ταύτα τών Επικούρου δογμάτων ού- 79 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie τως αχώριστα έστιν, ώς τό σχήμα καί τό βάρος αυτοί (sc. Επικούρειοι) τής ατόμου λέγουσιν.| |5ΐ| 13) Sext. Empir. Adv. Math. p.420. (άτόμους) 14) Euseb.Praepar.evajig.XIV.p.773.Επίκουρος ανεπαίσθητους Ρ. 749. ίδια δέ έχειν (sc. άτόμους) σχήματα λόγω θεωρητά. 15) (Plutarch.) De placit. philosoph. I, p.246. Ό δ' αυτός (sc. Επίκουρος) άλλας τεσσάρας φύσεις κατά γένος άφθαρτους τάςδε- τά άτομα, τό κενόν, τό άπειρον, τάς ομοιότητας, αύται δέ όμοιομέρειαι καί στοιχεία. Ρ. 249. Επίκουρος δέ άπερίληπτα είναι τά σώματα, καί τά πρώτα δέ άπλα, τά δ' έξ εκείνων συγκρίματα πάντα βάρος έχειν. Stob. Eclog. phys. I, p.52. Μητρόδωρος ό καθηγητής Επικούρου αίτια δ' ήτοι αί άτομοι καί τά στοιχεία. Ρ. 5. Επίκουρος τεσσάρας φύσεις κατά γένος άφθαρτους τάςδε· τά άτομα, τό κενόν, τό άπειρον, τάς ομοιότητας· αύται δέ όμοιομέρειαι λέγονται καί στοιχεία. 16) Cf. I.e. 5 10 15 Cic. de Fin. 1,6. Quae sequitur atomi inane infinitio ipsa, quam άπειρίαν vocant. [17)] Diogen. Laert. X,41. Αλλά μήν καί τό πάν άπειρον έστι καί μήν καί τφ πλήθει τών σωμάτων άπειρον έστι τό πάν, καί τφ μεγέθει τοΰ κενοΰ.| 20 |52| 18) Plutarch. Colot. p. 1114. Όρα μέν οίας [ύποτίθεσθε] προς γένεσιν αρχάς, άπειρίαν καί κενόν ων τό μέν άπρακτον, απαθές, άσώματον ή δέ άτακτος, άλογος, άπερίληπτος, αυτήν άναλύουσα καί ταράττουσα, τφ μή κρατείσθαι, μηδέ όρίζεσθαι δια πλήθος. 19) Simplic. I.e.p.488. 20) (Plutarch.) De placit. philos, p.239. Μητρόδωρος δέ φησιν δτι δ' άπειρος κατά τό πλήθος, δήλον έκ τοΰ άπειρα τά αίτια είναι αίτια δέ, ήτοι αί άτομοι ή τά στοιχεία. Stob. Eclog. phys. I, p.52. Μητρόδωρος, ό καθηγητής Επι­ κούρου, αίτια δ' ήτοι αί άτομοι καί τά στοιχεία. 21) Lucret. De rer. nat. I, 820 sq. 25 30 Namque eadem coelum, mare, terras, flumina, solem Constituunt, eadem fruges, arbusta, animanteis. Diogen. Laert. X,39. Καί μήν καί τό πάν άεί τοιούτον ήν, οίον νΰν έστι, καί άεί τοιούτον εσται. Ουδέν γάρ έστιν, είς δ μεταβάλλει. 35 Παρά γάρ τό πάν ούθέν έστι, είς δ αν είςελθόν αυτό τήν μεταβολήν ποιήσαιτο 41. Ταύτα δέ έστιν άτομα καί αμετάβλητα, εϊπερ μή μέλλει πάντα είς τό μή δν φθαρήσεσθαι· άλλ'| 153 J ισχύοντα ύπομένειν έν ταΐς διαλύσεσι τών συγκρίσεων, πλήρη τήν φύσιν δντα καί ούκ έχοντα, δπη ή δπως διαλυθήσεται. Τό πάν έστι σώμα 40 22) Diogen. Laert. Χ,73 καί πάλιν διαλύεσθαι πάντα, τά μέν 80 Anmerkungen zum Zweiten Teil θάττον, τα δέ βραδύτερον καί τα μέν ύπό τοιώνδε, τα δέ ύπό τοιώνδε τούτο πάσχοντα. 74. Δήλον ούν, ώς καί φθαρτούς φησι τούς κόσμους, μεταβαλλόντων τών μερών. Lucret. V, 109 sq. 5 10 Et ratio potius, quam res persuadeat ipsa, Succidere horrisono posse omnia vieta fragore. Id. V, 374 [sqq.] Haud igitur leti praeclusa est janua coelo, Nec soli terraeque neque alteis aequoris undeis; Sed patet immani, et vasto respectât hiatu. 23) Simplie. I.e. p.425. 24) Lucret. 11,796. neque in lucem existunt primordia rerum. 15 |54| VIERTES KAPITEL: Die Zeit. 1) Aristot. Phys. Vili, 1. Καί δ ια τούτο Δημόκριτος τε ώς αδύνατον πάντα γεγονέναι· τ ον γαρ χρόνον άγέννητον εΐναι. 20 2) Simplie. 1. c. p. 426. Ό μέντοι Δημόκριτος ούτως ά'ίδιον έπέπειστο είναι τ ον χρόνον, δτι βουλό μένος δείξαι, μή πάντα γεννητά, ώς έναργεί τφ τ ον χρόνον μή γεγονέναι προςεχρήσατο. 25 30 3) Lucret. 1,460 sqq. Tempus Nec per se quenquam tempus sentire, fatendum est, Semotum a rerum motu placidaque quiete. per se non est, Id. 1,480 sqq. Non ita, utei corpus per se constare neque esse Nec ratione cluere eadem, qua constat inane, Sed magis ut merito possis eventa vocare Corporis atque loci. Sext. Empir. Adv. Math. p. 420 nennt Epikur die Zeit σύμπτωμα συμπτωμάτων. Stob. Eclog. phys. 1,11. Επίκουρος (nennt die Zeit) σύμπτωμα, 35 τούτο δ' εστί παρακολούθημα κινήσεων.] 155( 4) Diogen. Laert. Χ, 72. Καί μήν καί τόδε γε δεί προςκατανοήσαι σφοδρώς. τ ον γάρ δή χρόνον ού ζητητέον, ώςπερ καί τα λοιπά, δσα έν ύποκειμένω ζητούμεν, άνάγοντες έπί τάς βλεπομένας παρ' ήμίν αύτοϊς 81 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie προλήψεις· άλλ' αυτό τό ένάργημα, καθ' δ τον πολύν ή ολίγον χρόνον άναφωνούμεν, συγγενικώς τούτο περιφέροντες, άναλογιστέον. Καί ούτε διαλέκτους, ώς βελτίους μεταληπτέον, άλλ' αύταΐς ταΐς ύπαρχούσαις κατ' αυτού χρηστέον ούτε άλλο τι κατ' αυτού κατηγορητέον, ώς τήν αυτήν ούσίαν έχοντος τώ ίδιώματι τούτω- (καί γάρ τούτο ποιούσι τινές) άλλα μόνον ώς συμπλέκομεν τό ίδιον τούτφ, καί παραμετρούμεν, μάλιστα έπιλογιστέον. 73. Καί γάρ τούτο ούκ αποδείξεως προςδεΐται, άλλ' έπι- λογισμού- δτι ταΐς ήμέραις καί ταΐς νυξί συμπλέκομεν χρόνον, καί τοΐς τούτων μέρεσιν. Ώςαύτως δέ καί τοΐς πάθεσι καί ταΐς άπαθείαις καί κινήσεσι καί στάσεσιν ΐδιόν τι σύμπτωμα περί ταύτα πάλιν αυτό τούτο 10 έννοούντες καθό χρόνον όνομάζομεν. Φησί δέ καί έν τή β' τούτο περί φύσεως, καί έν τή μεγάλη επιτομή. 5 5) Lucret. De rer. nat. I.e. Sext. Empir. Adv. Math. p. 420 sq. Σύμ||56|πτωμα συμπτωμάτων δθεν καί έπειδάν λέγτι ό Επίκουρος, τό σώμα νοεΐν κατ' έπισύνθεσιν 15 μεγέθους καί σχήματος καί άντιτυπίας καί βάρους, έκ μή δντων σωμάτων βιάζεται το δν σώμα νοεΐν ώςθ' ίνα ή χρόνος, συμπτώματα είναι δει- ίνα δέ τα συμπτώματα ύπάρχη, συμβεβηκός τι ύποκείμενον ουδέν δέ έστι συμβεβηκός ύποκείμενον τοίνυν ουδέ χρόνος δύναται ύπάρχειν ούκούν έπεί ταύτα έστι χρόνος, ό δέ Επίκουρος συμπτώματα φησιν 20 αυτών είναι [τον χρόνον], έσται κατά τον Επίκουρον ό χρόνος αυτός εαυτού σύμπτωμα. Cf. Stob. I.e. 6) Diogen. Laert. X,46. Καί μήν καί τύποι όμοιοσχήμονες τοις στερεμνίοις είσί, λεπτότησιν απέχοντες μακράν τών φαινομένων Τούτους δέ τούς τύπους είδωλα προςαγορεύομεν. 48 ειδώλων άμα νοήματι συμβαίνει ούκ έπίδηλος αίσθήσει δ ια τήν άνταναπλήρωσιν, σώζουσα τήν έπί [τού] στερεμνίου θέσιν καί τάξιν τών ατόμων. ή γένεσις τών 25 Lucret. IV, 34 sqq. rerum simulacra Quae, quasi membranae summo de corpore rerum| 1571 Dereptae, volitant ultro citroque per auras. Id. IV,49 sq. Quod speciem ac formam similem gerit ejus imago, Quojus cluet de corpore fusa vagari. 7) Diogen. Laert. X,49. Δει δέ καί νομίζειν, έπειςιόντος τινός άπό τών έξωθεν, τάς μορφάς όράν ημάς καί διανοεΐσθαι. Ού γάρ άν άλλως άποσφραγίσαιτο τα έξωθεν τήν εαυτών φύσιν 'ίίςτε όράν ημάς, τύπων τινών έπειςιόντων ήμΐν άπό τών πραγμάτων, άπό χροών τε καί ομοιομόρφων, κατά τό έναρμόττον μέγεθος, εις τήν δψιν δ ια ταύτην τήν αίτίαν τού ενός καί συνεχούς τήν φαντασίαν αποδίδοντες, 50. Εΐτα 40 30 35 82 Anmerkungen zum Zweiten Teil 5 διασώζοντας συμπάθειαν προς αλλήλους καί τήν συμπάθειαν άπό τού υποκειμένου σώζοντες 52. Αλλά μήν καί τό άκουαν γίνεται, ρεύματος τίνος φερομένου άπό τοΰ φωνοΰντος ή ήχοΰντος ή ψοφοΰντος ή δπως δή ποτε άκουστικόν πά-θος παρασκευά- ζοντος. Τό δέ ρεύμα τούτο είς όμοιομερείς όγκους διασπείρεται, αμα τινά 53. ... Καί μήν καί τήν όσμήν νομιστέον, ώςπερ καί τήν άκοήν ούκ αν ποτε πάθος ούθέν έργά- σασθαι, εί μή όγκοι τινές ήσαν άπό τού πράγματος άποφερόμενοι, σύμ­ μετροι προς τό τούτο αίσθητήριον κινείν.| |58| 8) Lucret. De rer. nat. II, 1140 [sq]. 10 15 Jure igitur pereunt, quum rarefacta fluundo Sunt \S9\ F Ü N F T ES K A P I T E L: Die Meteore. 1) Diogen. Laert. II,3.[§]10. 2) Aristot. Metaphys. 1,5. τό εν είναι τον θεόν. 3) Aristot. De coel. 1,3. Έοικε δ' δ,τε λόγος τοίς φαινομένοις μαρ- τυρεΐν, καί τα φαινόμενα [τώ] λόγω. Πάντες γαρ άνθρωποι περί θεών 20 έχουσιν ύπόληψιν, καί πάντες τον άνωτάτω τώ θείω τόπον άποδιδόασι, καί βάρβαροι καί Έλληνες, δσοι περ είναι νομίζουσι θεούς, δήλον δτι ώς τώ άθανάτω τό άθάνατον συνηρτημένον αδύνατον γ αρ άλλως. Εϊπερ ούν έστι τι θείον — ώςπερ καί έστι — καί τά νΰν είρημένα περί τής πρώτης ουσίας τών σωμάτων εϊρηται καλώς. Συμβαίνει δέ τούτο καί 25 δια τής αίσθήσεως ίκανώς, ώς γε προς άνθρωπίνην ειπείν πίστιν. Έν άπαντι γάρ τώ παρεληλυθότι χρόνφ, κατά τήν παραδεδομένην άλλή- λοις μνήμην, ουδέν φαίνεται μεταβεβληκός, ούτε καθ' δλον τον εσχατον ούρανόν, οΰτε κατά μόριον αύτοΰ τών οικείων ουδέν. Έοικε ||βθ| δέ καί τοΰνομα παρά τών αρχαίων διαδεδόσθαι μέχρι καί τοΰ νύν χρόνου, τού- 30 τον τον τρόπον ύπολαμβανόντων, δπερ καί ημείς λέγομεν. Ού γάρ άπαξ, ουδέ δις, άλλ' άπειράκις, δεί νομίζειν, τάς αύτάς άφικνείσθαι δόξας είς ημάς. Διόπερ, ώς ετέρου τινός δντος τού πρώτου σώματος, παρά γήν καί πΰρ καί αέρα καί ύδωρ, ,,αί&έρα " προςωνόμασαν τον άνωτάτω τόπον άπό τοΰ ,,-οεΐν άεί", τον άίδιον χρόνον θέμενοι τήν έπωνυμίαν αύτώ. 35 4) Id. ib. II, 1. Τον δ' ούρανόν καί τον άνω τόπον οί μέν αρχαίοι τοίς θεοίς απένειμαν, ώς δντα μόνον άθάνατον. Ό δέ νύν μαρτυρεί λό­ γος, ώς άφθαρτος καί άγέννητος, έτι δέ απαθής πάσης θνητής δυςχερείας ού μόνον αυτού περί τής άϊδιότητος ούτως ύπολαβεΐν έμμελέ- εστί 83 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie στερον, ά λ λα καί τή μαντεία τή περί τον θεόν, μόνως αν έχοιμεν ούτως ομολογουμένως άποφαίνεσθαι σύμφωνους λόγους. 5) Aristot. Metaphys. XI (ΧΠ),8. Ότι δέ είς ουρανός, φανερόν. Παραδέδοται δέ ύπό τών αρχαίων καί παλαιών, έν μύθου ||6ΐ| σχήματι καταλελειμμένα τοΐς ύστερον, δτι θεοί τέ είσιν ούτοι, και περιέχει το θείον τήν δλην φύσιν. Τα δέ λοιπά μυθικώς ήδη προςήχθη προς τήν πειθώ τών πολλών καί προς τήν εις τούς νόμους καί τό συμφέρον χρήσιν. Ανθρωποειδείς τε γάρ τούτους καί τών άλλων ζώων όμοιους τισί λέγουσι, καί τούτοις έτερα ακόλουθα καί παραπλήσια τοΐς είρημένοις· ών εϊ τις χωρίσας αυτό λάβοι μόνον τό πρώτον, δτι θεούς ωοντο τάς πρώτας 10 ουσίας είναι, θείως αν είρήσθαι νομίσειε, καί κατά τό εικός πολλάκις εύρημένης είς τό δυνατόν έκαστης καί τέχνης καί φιλοσοφίας καί πάλιν φθειρομένων, καί ταύτας τάς δόξας εκείνων, οίον λείψανα, περισεσώσθαι μέχρι τού νύν. 5 6) Diogen. Laert. Χ,81. Επί δέ τούτοις δλως άπασιν εκείνο δεϊ 15 κατανοεΐν, δτι τάραχος ό κυριώτατος ταίς άνθρωπίναις ψυχαΐς γίνεται έν τφ ταύτα μακάρια τε δοξάζειν καί άφθαρτα καί ύπεναντίας έχειν καί ύποπτεύειν κατά τούς μύθους. τούτοις βουλήσεις καί πράξεις 7) Id. ib. 76. Καί μήν έν τοΐς μετεώροις ||62| φοράν καί τροπήν καί έκλειψιν καί άνατολήν καί δύσιν καί τα σύστοιχα τούτοις μήτε, λει- 20 τουργούντος τινός, νομίζειν δει γίνεσθαι, «αί διατάττοντος ή διατάξαντος, καί άμα τήν πάσαν μακαριότητα έχοντος μετ' αφθαρσίας. 77. Ού γαρ συμφωνούσι πραγματεΐαι μακαριότητι, άλλ' άσθενείςι καί φόβω καί προςδεήσει τών πλησίον ταύτα γίνεται. Μήτε αύ πυρώδη τινά συνεστραμμένα, τήν μακαριότητα κεκτημένα, κατά βούλησιν τάς κινήσεις 25 ταύτας λαμβάνειν αύτη ύπεναντιότης παρασκευάσει. Εί δέ μή, τον μέγιστον τάραχον έν ταΐς ψυχαΐς 8) Aristot. De coel. 11,1. Διόπερ ούτε κατά τον τών παλαιών μύθον ύποληπτέον έχειν, οι φασιν Άτλαντός τίνος αύτφ προςδεΐσθαι τήν σωτηρίαν. 30 9) Diogen. Laert. Χ, 85. Καλώς δή αυτά διάλαβε (sc. ώ Πυθόκλεις), καί, δια μνήμης εχων, οξέως αυτά περιόδευε μετά τών λοιπών, ών έν τή μικρά επιτομή προς Ήρόδοτον άπεστείλαμεν. 10) Id. ib. 85. Πρώτον μέν ούν, μή άλλο τι τέλος έκ τής περί μετεώρων γνώ||63|σεως, είτε κατά συναφήν λεγομένων, είτε αυτοτελώς, 35 νομίζειν δει είναι, ήπερ άταραξίαν καί πίστιν βέβαιον, καθάπερ έπί τών λοιπών. Id. ib. 82. Ή δέ αταραξία ,,τό τούτων πάντων άπολελύσθαι καί συνεχή μνήμην έχειν τών δλων καί κυριωτάτων". 11) Id. ib. 87. Ού γάρ ίδιολογίας καί κενής δόξης ό βίος ημών 40 έχει χρείαν, ά λ λα τού αθορύβως ημάς ζήν. 84 Anmerkungen zum Z w e i t en Teil Ib. 78. Kai μήν καί τήν υπέρ τών κυριωτάτων αίτίαν έξακριβώσαι, φυσιολογίας έργον είναι δει νομίζειν, καί τό μακάριον έν τή περί τών μετεώρων γνώσει, ενταύθα πεπτωκέναι. Ib. 79. Τό δ' έν τή ιστορία πεπτωκός τής δύσεως καί 5 ανατολής καί τροπής καί εκλείψεως καί δσα συγγενή τούτοις, μηθέν έτι προς τό μακάριον τής γνώσεως συντείνειν, άλλ' ομοίως τους φόβους έχειν τούς ταΰτα κατιδόντας, τίνες δέ αί φύσεις άγνοοΰντας, καί τίνες αί κυριώταται αίτίαι· καί εί μή προήδεισαν ταΰτα, τάχα δέ καί πλείους. 12) Id. ib. 86. Μήτε τό αδύνατον πα||64|ραβιάζεσθαι, μήτε όμοίαν 10 κατά πάντα τήν θεωρίαν έχειν, ή τοίς περί βίων λόγοις, ή τοις κατά τήν τών άλλων φυσικών προβλημάτων κάθαρσιν. Οίον, δτι τό πάν σώμα καί άναφής φύσις εστίν ή δτι άτομα στοιχεία καί πάντα τά τοιαύτα, ή δσα μοναχήν εχει τοϊς φαινομένοις συμφωνίαν δπερ έπί τών μετεώρων ούχ υπάρχει. 15 13) Id. ib. 86. Ά λ λα ταύτα γε πλεοναχήν έχει καί τής γενέσεως αίτίαν καί τής ουσίας ταίς αίσθήσεσι σύμφωνον κατηγορίαν. Ού γάρ κατά αξιώματα κενά καί νομοθεσίας φυσιολογητέον, άλλ' ώς τα φαινόμενα έκκαλεϊται. 20 14) Id. ib. 92. 15) Id. ib. 94. 16) Id. ib. 95 und 96. 17) Id. ib. 98. 18) Id. ib. 104. Καί κατ' άλλους δέ τρόπους πλείονας ενδέχεται (κατ' Έπίκουρον) κεραυνούς άποτελείσθαι. Μόνον ό μύθος άπέστω. Άπέσ- 25 ται δέ, έάν τις καλώς τοϊς φαινομένοις ακολουθών, περί τών αφανών σημειώται. |65| 19) Id. ib. 80. Ώςτε παραθεωρούντας ποσαχώς παρ' ήμίν τό δμοιον γίνεται, αίτιολογητέον υπέρ τε τών μετεώρων καί παντός τού άδηλου. Ib. 82. Ή δέ αταραξία τό τούτων πάντων άπολελύσθαι 30 "Οθεν τοις πάσι προςεκτέον τοις παρούσι καί ταϊς αίσθήσεσι, κατά μέν τό κοινόν ταΐς κοιναΐς, κατά δέ τό ίδιον ταίς ίδίαις, καί πάση τή παρού- ση καθ' εκαστον τών κριτηρίων ενάργεια. Άν γάρ τούτοις προςέχωμεν το δθεν ό τάραχος καί ό φόβος έγίνετο, έξαιτιολογήσομεν ορθώς, καί άπολύσομεν, υπέρ τε μετεώρων αίτιολογούντες καί τών λοιπών τών άεί 35 παρεμπιπτόντων, καί δσα φοβεϊ τούς λοιπούς ανθρώπους εσχάτως. Ib. 87. Σημεία δέ τινα τών έν τοις μετεώροις συντελουμένων φέρειν δει παρ' ήμίν τινα φαινομένων, â θεωρείται ή υπάρχει, καί ού τά έν τοϊς μετεώροις φαινόμενα. Ταύτα γ αρ ενδέχεται πλεοναχώς γίνεσθαι. [88.] Τό μέντοι φάντασμα έκαστων τηρητέον καί έπί τα συναπτόμενα] |66[ τούτω διαιρετέον. Ά ούκ άντιμαρτυρείται τοίς παρ' ήμίν γινομένοις πλεοναχώς συντελεΐσθαι. 40 85 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie 20) Id. ib. 78. Έτι δέ καί τό πλεοναχώς έν τοις τοιούτοις είναι, καί τό ενδεχομένως καί άλλως πως έχειν. Ib. 86. Αλλά ταύτα γε πλεοναχήν έχει καί της γενέσεως αίτίαν. Ib. 87. Πάντα μέν ουν γίνεται άσείστως έπί πάντων μετεώρων δταν τις το πιθανολογούμενον υπέρ αυτών κατά πλεοναχόν τρόπον δεόντως καταλίπη. 5 21) Id. ib. 98. Οί δέ τό έν λαμβάνοντες τοΐς τε φαινομένοις μάχονται, καί τού ,,τί δυνατόν άνθρώπω θεωρήσαι" διαπεπτώκασιν. Ib. 113. Tò δέ μίαν αίτίαν τοΰτων άποδιδόναι πλεοναχώς 10 τών φαινομένων έκκαλουμένων μανικόν καί ού καθηκόντως πραττόμενον ύπό τών τήν ματαίαν άστρολογίαν έζηλωκότων καί είς το κενόν αιτίας αποδιδόντων, δταν τήν θείαν φύσιν μηδαμή λειτουργιών άπολύωσιν.| [67|ΐί>. 97. Έτι τε τάξις περιόδου, καθάπερ ενια καί παρ' ήμΐν τών τυχόντων γίνεται, λαμβανέσθω, καί ή θεία φύσις προς ταύτα μηδαμή 15 προςαγέσθω, ά λ λα αλειτούργητος διατηρείσθω, καί έν τήπάση μακαριό- τητι. Ώς, εί τούτο μή πραχθήσεται, άπασα ή τών μετεώρων αιτιολογία ματαία έσται, καθάπερ τισίν ήδη έγίνετο ού δυνατού τρόπου έφαψα- μένοις, είς δέ τό μάταιον έκπεσούσι, τφ καθ' ένα τρόπον μόνον οΐεσθαι γίνεσθαι, τούς δέ άλλους απαντάς τούς κατά τό ένδεχόμενον έκβάλλειν 20 εις τε τό άδιανόητον φερομένοις· καί τα φαινόμενα, à δει σημεία άπο- δέχεσθαι, μή δυναμένοις συνθεωρεΐν. Ib.93 λόγων τεχνητείας. Ib. 87 μή φοβούμενος τάς άνδραποδώδεις τών αστρο­ δήλον, δτι έκ παντός εκπίπτει φυσιολογήματος, 25 έπί δέ τόν μύθον καταρρεΐ. Ib. 80. 'ίίςτε αίτιολογητέον υπέρ τε τών μετεώρων καί παντός τού άδηλου, καταφρονούντας τών τόδε μοναχώς έχον ||68| ή γινό- μενον γνωριζόντων, ούτε τό πλεοναχώς συμβαίνον κατά τήν έκ τών απο­ στημάτων φαντασίαν παραδιδόντων, έτι τε άγνοούντων, καί έν ποίοις 30 ούκ έστιν άταρακτήσαι. 22) Id. ib. 80. Καί ού δει νομίζειν, τήν υπέρ τούτων χρείας πραγμα- τείαν άκρίβειαν μή άπειληφέναι, δση προς τό άτάραχον καί μακάριον ημών συντείνει. 23) Id. ib. 78 απλώς μή είναι έν άφθάρτω καί μακάρια 35 φύσει τών διάκρισιν υποβαλλόντων ή τάραχον μ η θ έν καί τούτο κατα- λαβεϊν τή διάνοια εστίν, απλώς ούτως είναι. 24) Vergi. Aristot. De coel. 1,10. 25) Ders. Ebendas. (1,10.) Εί δέ πρότερον, έξ άλλως εχόντων συνέστη ό κόσμος, εί μέν άεί ούτως εχόντων καί αδυνάτων άλλως έχειν, ούκ 40 αν έγένετο. 86 Anmerkungen zum Zweiten Teil 26) Athen. Deipnos. III, [p.] 104. Είκότως αν έπαινέσειεν τον καλόν Χρύσιππον, κατιδόντα ακριβώς τήν Επικούρου φύσιν, καί είπόντα, μητρόπολιν είναι τής φιλοσοφίας αυτού τήν Αρχεστράτου γαστρο-) |69|λο7ίαν. 27) Lucret. De rer. nat. 1,63-80. 87 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie |70| A N H A N G: Kritik der plutarchischen Polemik gegen Epikur's Theologie. I. Das Verhältniß des Menschen zu Gott. 5 1. Die Furcht und das jenseitige Wesen. 1) Plutarch. De eo, quod sec. Epic, non beate vivi poss. (Ed. Xyl.) T.II. P. 1100. Ά λ λα περί ηδονής μέν εΐρητοα (sc. ύπό τοΰ Επικούρου) σχεδόν, ώς εύφροσύνην δέ καί χαραν άπό τών θεών ούκ ένδίδωσιν. ό λόγος αυτών φόβον αφαιρεί τινα καί δεισιδαιμονίαν, 10 2) Système de la nature. (Londres 1770) II. Part. P. 9. L'idée de ces agents si puissants fut toujours associée à celle de la ter reur; leur nom rappela toujours à l'homme ses propres calamités ou celles de ses pères; nous tremblons aujourd'hui, parce que nos aïeux ont tremblé 15 il y a des milliers d'années. L'idée de la Divinité réveille toujours en nous des idées affligeantes nos craintes actuelles et des pensées lugubres s'élèvent dans notre esprit tou(|71 (tes les fois, que nous entendons prononcer son nom. Vergi. S. 79: En fondant la morale sur le caractère peu moral d'un Dieu qui change de conduite, l'homme ne peut jamais savoir à quoi 20 s'en tenir ni sur ce qu'il doit à Dieu, ni sur ce qu'il se doit à lui-même, ni sur ce qu'il doit aux autres. Rien ne fut donc plus dangereux que de lui persuader, qu'il existait un être supérieur à la nature, devant qui la raison devait se taire, à qui, pour être heureux, l'on devait tout sacrifier ici bas. 25 3) Plutarch. I.e. S. 1101. Δεδιότες γαρ ώςπερ άρχοντα χρηστοίς ήπιον, απεχθή δέ φαύλοις, ένί φόβω, δι' δν ού δέουσι πολλών έλευθερούν- 88 Anmerkungen zum Anhang των έπί το άδικεϊν, καί παρ' αύτοϊς άτρέμα τήν κακίαν έχοντες οίον άπομαραινομένην, ήττον ταράττονται τών χρωμένων αυτή, καί τολμώντων, είτα ευθύς δεδιότων καί μεταμελομένων. 2. Der Cultus und das Individuum. 5 4) Plutarch. I.e. S. 1101. Άλλ' όπου μάλιστα δοξάζει καί διανοείται παρεΐναι τον θεόν, εκεί μάλιστα λύπας καί φόβους καί τό φροντίζειν άπωσαμένη (sc. ή ψυχή) τφ ήδομένω μέχρι μέθης καί παιδιάς καί γέλωτος άφίησιν έαυτήν έν τοίς έρωτικοίς. 5) Plutarch. l.c.| 10 \7l\ 6) Plutarch. I.e. S. 1102. Ού γάρ οίνου πλήθος, ουδέ δπτησις κρεών τό εύφραϊνόν έστιν έν ταΐς έορταϊς, άλλα καί έλπίς α γ α θή καί δόξα τοΰ παρείναι τον θεόν ευμενή καί δέχεσθαι τά γενόμενα κεχαρισμένως. 3. Die Vorsehung und der degradirte Gott. 7) Plutarch, ib. S. 1102. Έν ήλίκαις ήδοναΐς καθαραϊς περί θεοΰ 15 δόξης συνόντες, ώς πάντων μέν ήγεμών α γ α θ ώ ν, πάντων δέ πατήρ καλών εκείνος έστι, καί φαΰλον ουδέν ποιεΐν αύτφ θέμις, ώσπερ ουδέ π ά σ χ ε ιν αγαθός γάρ έστι, άγαθφ δέ περί ούδενός έγγίνεται φθόνος, οΰτε φόβος, οΰτε όργή, οΰτε μίσος· οΰτε γάρ θερμού τό ψύχειν, άλλα τό θερμαίνειν ώςπερ ουδέ α γ α θ ού τό βλάπτειν όργή δέ χάριτος, καί χόλος εύμενείας, 20 καί τού φιλάνθρωπου καί φιλόφρονος τό δυςμενές καί ταρακτικόν, άπωτάτω τή φύσει τέτακται· τά μέν γάρ αρετής καί δυνάμεως, τά δέ ασθενείας έστι καί φαυλότητος· ού τοίνυν όργαίς καί χάρισι συνέχεται τό θείον, άλλ' δτι μέν χαρίζεσθαι καί βοηθεϊν πέφυκεν, όργίζεσθαι δέ καί κακώς ποιεΐν ού πέφυκεν. 25 8) Ib. Άρά γε δίκης ετέρας οΐεσθε [δεϊσθαι] ||73| τούς άναιροΰντας τήν πρόνοιαν, καί ούχ ίκανήν έχειν, έκκόπτοντας εαυτών ήδονήν καί χαράν τοσαύτην; 9) „Schwache Vernunft aber ist nicht die, die keinen objektiven Gott erkennt, sondern die einen erkennen will." Schelling Phil. Briefe 30 über Dogmatismus und Kriticismus in: „Philosophische Schriften" Erster Band. Landshut 1809 S. 127, Brief II. Es wäre dem Herren Schelling über haupt zu rathen, seiner ersten Schriften sich wieder zu besinnen. So heißt es z.B. in der Schrift über das Ich als Prinzip der Philosophie: „Man nehme z.B. an, daß Gott, insofern er als Objekt bestimmt ist, Realgrund 35 unseres Wissens sei, so fällt er ja, insofern er Objekt ist, selbst in die 89 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie Sphäre unseres Wissens, kann also für uns nicht der lezte Punkt sein, an dem diese ganze Sphäre hängt." S.5 I.e. Wir erinnern Herrn Schelling schließlich an die Schlußworte seines oben citirten Briefes: „Es ist Zeit, der bessern Menschheit die Freiheit der Geister zu verkünden, und nicht länger zu dulden, daß sie den Verlust ihrer Fesseln beweine." S. 129 I.e. Wenn es schon anno 1795 Zeit war, wie im Jahr 1841? 5 Um hier bei Gelegenheit eines fast berüchtigt gewordnen Themas zu gedenken, der Beweise für das Dasein Gottes, so hat Hegel diese theolo gischen Beweise sämmtlich umgedreht, d. h. verworfen, um sie zu rechtferti gen. Was müssen ||[74]| das für Klienten sein, die der Advokat nicht 10 anders der Verurtheilung entziehn kann, als indem er selbst sie todt- schlägt? Hegel interpretirt z.B. den Schluß von der Welt auf Gott in die Gestalt: „Weil das Zufällige nicht ist, ist Gott oder das Absolute." Allein der theologische Beweis heißt umgekehrt: „Weil das Zufällige wahres Sein hat, ist Gott." Gott ist die Garantie für die zufällige Welt. Es versteht 15 sich, daß damit auch das Umgekehrte gesezt ist. Die Beweise für das Dasein Gottes sind entweder nichts als hohle Tautologien — z.B. der ontologische Beweis hiesse nichts als: „was ich mir wirklich (realiter) vorstelle, ist eine wirkliche Vorstellung für mich", das wirkt auf mich und in diesem Sinn haben alle Götter, sowohl die 20 heidnischen als christlichen eine reelle Existenz besessen. Hat nicht der alte Moloch geherrscht? war nicht der delphische Apollo eine wirkliche Macht im Leben der Griechen? Hier heißt auch Kants Kritik nichts. Wenn jemand sich vorstellt, hundert Thaler zu besitzen, wenn diese Vorstellung ihm keine beliebige, subjektive ist, wenn er an sie glaubt, so haben ihm 25 die hundert eingebildeten Thaler denselben Werth, wie hundert wirkliche. Er wird z.B. Schulden ||[75]| auf seine Einbildung machen, sie wird wirken, wie die ganze Menschheit Schulden auf ihre Götter gemacht hat. Im Gegen- theil. Kants Beispiel hätte den ontologischen Beweis bekräftigen können. Wirkliche Thaler haben dieselbe Existenz, wie eingebildete Götter. Hat 30 ein wirklicher Thaler anders wo Existenz als in der Vorstellung, wenn auch in einer allgemeinen oder vielmehr gemeinschaftlichen Vorstellung der Menschen? Bringe Papiergeld in ein Land, wo man diesen Gebrauch des Papiers nicht kennt und jeder wird lachen über Deine subjektive Vorstel lung. Komme mit Deinen Göttern in ein Land, wo andere Götter gelten 35 und man wird Dir beweisen, daß Du an Einbildungen und Abstraktionen leidest. Mit Recht. Wer einen Wendengott den alten Griechen gebracht, hätte den Beweis von der Nichtexistenz dieses Gottes gefunden. Denn für die Griechen existirte er nicht. Was ein bestimmtes Land für bestimmte Götter aus der Fremde, das ist das Land der Vernunft für Gott überhaupt, 40 eine Gegend, in der seine Existenz aufhört. — 90 Anmerkungen zum Anhang Oder die Beweise für das Dasein Gottes sind nichts als Beweise für das Dasein des \\[76]\ wesentlichen menschlichen Selbstbewußtseins, logische Explikationen desselben. Z.B. der ontologische Beweis. Welches Sein ist unmittelbar, indem es gedacht wird? Das Selbstbewußtsein. In diesem Sinne sind alle Beweise für das Dasein Gottes Beweise für sein Nichtdasein, Widerlegungen aller Vorstellungen von einem Gott. Die wirklichen Beweise müßten umgekehrt lauten: „weil die Natur schlecht eingerichtet ist, ist Gott", „weil eine unvernünftige Welt ist, ist Gott." „Weil der Gedanke nicht ist, ist Gott." Was besagte dieß aber, als, wem die Welt unvernünftig, wer daher selbst unvernünftig ist, dem ist Gott? oder die Unvernunft ist das Dasein Gottes. „Wenn ihr die Idee eines objektiven Gottes voraussezt, wie könnt ihr von Gesetzen sprechen, die die Vernunft aus sich selbst hervor bringt, da doch Autonomie allein einem absolut freien Wesen zukommen kann?" Schelling. I.e. S. 198. „Es ist Verbrechen an der Menschheit Grundsätze zu verbergen, die allgemein mittheilbar sind." Derselbe 1. c. S. 199. 91 Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie [Fragment einer neuen Vorrede] /Vorrede. Die Abhandlung, die ich hiemit der Oeffentlichkeit übergebe, ist eine alte Arbeit, und sollte erst in einer Gesammtdarstellung der epikuräischen, stoischen und skeptischen Philosophie ihren Platz finden, // an deren Ausführung mich politische und philosophische Beschäftigungen ganz andrer Art jezt nicht denken lassen. Es ist erst jezt die Zeit gekommen, in der man die Systeme der Epi- kuräer, Stoiker und Skeptiker verstehn wird. Es sind die Philosophien des Selbstbewußtseins. Diese Zeilen werden wenigstens klar machen, wie wenig diese Aufgabe bis jezt gelöst ist. j 92 Publizistische Arbeiten Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik. Titelblatt Bemerkungen über die neueste preußische Zensurinstruktion |56| Bemerkungen über die neueste preußische Censurinstruction. Von einem Rheinländer. Wir gehören nicht zu den Malcontenten, die schon vor der Erscheinung des neuen preußischen Censuredicts ausrufen: Timeo Danaos et dona ferentes. Vielmehr da in der neuen Instruction die Prüfung schon erlas sener Gesetze, sollte sie auch nicht im Sinne der Regierung ausfallen, gebilligt wird, so machen wir sogleich einen Anfang mit ihr selbst. Die Censur ist die officielle Kritik; ihre Normen sind kritische Normen, die also am wenigsten der Kritik, mit der sie sich in ein Feld stellen, ent zogen werden dürfen. Die im Eingang der Instruction ausgesprochene allgemeine Tendenz wird gewiß Jeder nur billigen können: „um schon jetzt die Presse von unstatthaften, nicht in der allerhöchsten Absicht liegenden Beschränkungen zu befreien, haben Seine Majestät der König durch eine an das königliche Staats-Ministerium am 10.d.M. erlassene höchste Ordre jeden ungebühr lichen Zwang der schriftstellerischen Thätigkeit ausdrücklich zu mißbilligen und unter Anerkennung des Werths und des Bedürfnisses einer freimüthigen und anständigen Publicität uns zu ermächtigen geruht, die Censoren zur angemessenen Beachtung des Art. 2 des Censuredicts vom 18. October 1819 von Neuem anzuweisen."! |57| Gewiß! ist die Censur einmal eine Nothwendigkeit, so ist die frei- müthige, die liberale Censur noch nothwendiger. Was sogleich ein gewisses Befremden erregen dürfte, ist das Datum des angeführten Gesetzes; es ist datirt vom 18. October 1819. Wie? ist es etwa ein Gesetz, welches die Zeitumstände zu derogiren zwangen? Es scheint nicht; denn die Censoren werden nur „von Neuem"zur Beachtung 97 Publizistische Arbeiten desselben angewiesen. Also bis 1842 war das Gesetz vorhanden, aber es ist nicht befolgt worden, denn „um schon jetzt" die Presse von unstatt haften, nicht in der allerhöchsten Absicht liegenden Beschränkungen zu befreien, wird es ins Gedächtniß gerufen. Die Presse — eine unmittelbare Consequenz dieses Eingangs — unterlag 5 bis jetzt irofz dem Gesetze unstatthaften Beschränkungen. Spricht dies nun gegen das Gesetz oder gegen die Censoren ? Das letztere dürfen wir kaum behaupten. Zwei und zwanzig Jahre durch geschahen illegale Handlungen von einer Behörde, welche das höchste Interesse der Staatsbürger, ihren Geist, unter Tutel hat, von einer Behörde, 10 die, noch mehr als die römischen Censoren, nicht nur das Betragen ein zelner Bürger, sondern sogar das Betragen des öffentlichen Geistes re- gulirt. Sollte in dem wohl eingerichteten, auf seine Administration stolzen preußischen Staate solch gewissenloses Benehmen der höchsten Staats diener, eine so conséquente Illoyalität möglich sein? oder hat der Staat 15 in fortwährender Verblendung die untüchtigsten Individuen zu den schwierigsten Stellen gewählt? oder hat endlich der Unterthan des preu ßischen Staates keine Möglichkeit gegen ungesetzmäßiges Verfahren zu reklamiren? Sind alle preußischen Schriftsteller so ungebildet und unklug, mit den Gesetzen, die ihre Existenz betreffen, nicht bekannt zu sein, oder 20 sind sie zu feig, die Anwendung derselben zu verlangen?) |58( Werfen wir die Schuld auf die Censoren, so ist nicht nur ihre eigne Ehre, sondern die Ehre des preußischen Staats, der preußischen Schrift steller compromittirt. Es wäre ferner durch das mehr als zwanzigjährige gesetzlose Benehmen 25 der Censoren trotz den Gesetzen das argumentum ad hominem geliefert, daß die Presse andrer Garantien bedarf, als solcher allgemeiner Ver fügungen für solche unverantwortliche Individuen; es wäre der Beweis geliefert, daß im Wesen der Censur ein Grundmangel liegt, dem kein Gesetz abhelfen kann. 30 Waren aber die Censoren tüchtig, und taugte das Gesetz nicht, warum es von Neuem zur Abhülfe der Uebel aufrufen, die es veranlaßt hat? Oder sollen etwa die objectiven Fehler einer Institution den Individuen zur Last gelegt werden, um ohne Verbesserung des Wesens den Schein einer Verbesserung zu erschleichen? Es ist die Art des Scheinliberalismus, 35 der sich Concessionen abnöthigen läßt, die Personen hinzuopfern, die Werkzeuge, und die Sache, die Institution festzuhalten. Die Aufmerksam keit eines oberflächlichen Publikums wird dadurch abgelenkt. Die sachliche Erbitterung wird zur persönlichen. Mit einem Personen wechsel glaubt man den Wechsel der Sache zu haben. Von der Censur 40 ab richtet sich der Blick auf einzelne Censoren und jene kleinen Schrift- 98 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion steller des befohlenen Fortschrittes handhaben minutiöse Kühnheiten gegen die ungnädig Behandelten, als eben so viele Huldigungen gegen das Gouver nement. 5 Noch eine andre Schwierigkeit hemmt unsre Schritte. Einige Zeitungscorrespondenten halten die Censurinstruktion für das neue Censuredict selbst. Sie haben geirrt; aber ihr Irrthum ist verzeihlich. Das Censuredict vom 18. October 1819 sollte nur provisorisch bis zum Jahre 1824 dauern und — es wäre bis auf den heutigen Tag provisorisches Gesetz geblieben, ||59| wenn wir nicht aus der vorliegenden Instruktion 10 erführen, daß es nie in Anwendung gekommen ist. Auch das Edict von 1819 war eine interimistische Maßregel, nur daß hier der Erwartung die bestimmte Sphäre von fünf Jahren angewiesen war, während sie in der neuen Instruction beliebigen Spielraum hat, nur daß der Gegenstand der damaligen Erwartung Gesetze der Preßfreiheit, der der 15 jetzigen Gesetze der Censur sind. Andre Zeitungscorrespondenten betrachten die Censurinstruction als eine Wiederauffrischung des alten Censuredicts. Ihr Irrthum wird durch die Instruction selbst widerlegt werden. Wir betrachten die Censurinstruction als den anticipirten Geist des 20 muthmaßlichen Censurgesetzes. Wir schließen uns darin strenge dem Geist des Censuredicts von 1819 an, worin Landesgeserzeund Verordnungen als gleichbedeutend für die Presse hingestellt werden. (Siehe das angeführte Edict Art. XVI. Nr. 2.) 25 Kehren wir zur Instruktion zurück. „Nach diesem Gesetz, nämlich dem Art. 2 soll die Censur keine ernst hafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang auflegen, noch den freien Verkehr des Buchhandels hemmen." Die Untersuchung der Wahrheit, die von der Censur nicht gehindert 30 werden soll, ist näher qualificirt als eine ernsthafte und bescheidene. Beide Bestimmungen weisen die Untersuchung nicht auf ihren Inhalt, sondern vielmehr auf etwas, das außer ihrem Inhalt liegt. Sie ziehen von vornherein die Untersuchung von der Wahrheit ab, und schreiben ihr Aufmerksamkeiten gegen einen unbekannten Dritten vor. Die Unter- 35 suchung, die ihre Augen beständig nach diesem durch das Gesetz mit einer gerechten Irritabilität begabten Dritten richtet, wird sie nicht die Wahrheit aus dem Gesicht verlieren? Ist es nicht erste Pflicht des Wahrheitsforschers direct auf die ||6θ| Wahrheit loszugehen, ohne rechts oder links zu sehen? Vergesse ich nicht die Sache zu sagen, wenn ich noch weniger vergessen 40 darf, sie in der vorgeschriebenen Form zu sagen? Die Wahrheit ist so wenig bescheiden als das Licht, und gegen wen sollte 99 Publizistische Arbeiten sie es sein? Gegen sich selbst? verum index sui et falsi. Also gegen die Unwahrheit? Bildet die Bescheidenheit den Character der Untersuchung, so ist sie eher ein Kennzeichen der Scheu vor der Wahrheit als vor der Unwahrheit. Sie ist ein niederschlagendes Mittel auf jedem Schritt, den ich vorwärts thue. Sie ist eine der Untersuchung vorgeschriebene Angst das Resultat zu finden, ein Präservativmittel vor der Wahrheit. 5 Ferner: die Wahrheit ist allgemein, sie gehört nicht mir, sie gehört Allen, sie hat mich, ich habe sie nicht. Mein Eigenthum ist die Form, sie ist meine geistige Individualität. Le style c'est l'homme. Und wie! Das Gesetz 10 gestattet, daß ich schreiben soll, nur soll ich einen andern als meinen Styl schreiben! Ich darf das Gesicht meines Geistes zeigen, aber ich muß es vorher in vorgeschriebene Falten legen! Welcher Mann von Ehre wird nicht erröthen über diese Zumuthung und nicht lieber sein Haupt unter der Toga verbergen? Wenigstens läßt die Toga einen Jupiterkopf ahnen. 15 Die vorgeschriebenen Falten heißen nichts als: bonne mine à mauvais jeu. Ihr bewundert die entzückende Mannigfaltigkeit, den unerschöpflichen Reichthum der Natur. Ihr verlangt nicht, daß die Rose duften soll wie das Veilchen, aber das allerreichste, der Geist soll nur auf eine Art exi- stiren dürfen? Ich bin humoristisch, aber das Gesetz gebietet ernsthaft 20 zu schreiben. Ich bin keck, aber das Gesetz befiehlt, daß mein Styl bescheiden sei. Grau in Grau ist die einzige, die berechtigte Farbe der Freiheit. Jeder Thautropfen, in den die Sonne scheint, glitzert in unerschöpf lichem Farbenspiel, aber die geistige Sonne, | | 6 l| in wie vielen Individuen, an welchen Gegenständen sie auch sich breche, soll nur eine, nur die 25 officielle Farbe erzeugen dürfen! Die wesentliche Form des Geistes ist Heiterkeit, Licht, und ihr macht den Schatten zu seiner einzigen ent sprechenden Erscheinung; nur schwarz gekleidet soll er gehen und doch gibt es unter den Blumen keine schwarze. Das Wesen des Geistes ist die Wahrheit immer selbst und was macht ihr zu seinem Wesen? Die 30 Bescheidenheit. Nur der Lump ist bescheiden, sagt Göthe, und zu solchem < Lumpen wollt ihr den Geist machen? Oder soll die Bescheidenheit jene ] Bescheidenheit des Genies sein, wovon Schüler spricht, so verwandelt zuerst alle eure Staatsbürger und vor Allem eure Censoren in Genies. * Dann aber besteht die Bescheidenheit des Genies zwar nicht darin, worin 35 J die Sprache der Bildung besteht, keinen Accent und keinen Dialect, wohl aber den Accent der Sache und den Dialect ihres Wesens zu sprechen. Sie besteht darin, Bescheidenheit und Unbescheidenheit zu vergessen und die Sache herauszuscheiden. Die allgemeine Bescheidenheit des Geistes ist die Vernunft, jene universelle Liberalität, die sich zu jeder Natur nach 40 ihrem wesentlichen Character verhält. 100 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion Soll ferner die Ernsthaftigkeit nicht zu jener Definition des Tristram Shandy passen, wonach sie ein heuchlerisches Benehmen des Körpers ist, um die Mängel der Seele zu verdecken, sondern den sachlichen Ernst bedeuten, so hebt sich die ganze Vorschrift auf. Denn das Lächerliche 5 behandle ich ernsthaft, wenn ich es lächerlich behandle und die ernst hafteste Unbescheidenheit des Geistes ist, gegen die Unbescheidenheit bescheiden zu sein. Ernsthaft und bescheiden! welche schwankenden, relativen Begriffe! Wo hört der Ernst auf, wo fängt der Scherz an? wo hört die Bescheiden- 10 heit auf, wo fängt die Unbescheidenheit an? Wir sind auf die Temperamente des Censors ange||62|wiesen. Es wäre ebenso unrecht dem Censor das Temperament, als dem Schriftsteller den Styl vorzuschreiben. Wollt ihr consequent sein in eurer ästhetischen Kritik, so verbietet auch allzu ernst haft und allzu bescheiden die Wahrheit zu untersuchen, denn die allzu 15 große Ernsthaftigkeit ist das Allerlächerlichste, und die allzugroße Be scheidenheit ist die bitterste Ironie. Endlich wird von einer völlig verkehrten und abstracten Ansicht der Wahrheit selbst ausgegangen. Alle Objecte der schriftstellerischen Thätig- keit werden unter der einen allgemeinen Vorstellung „ Wahrheit"subsumirt. 20 Sehen wir nun selbst vom Subjectiven ab, nämlich davon, daß ein und derselbe Gegenstand in den verschiedenen Individuen sich verschieden bricht und seine verschiedenen Seiten in eben so viele verschiedene geistige Charactere umsetzt; soll denn der Character des Gegenstandes gar keinen, auch nicht den geringsten Einfluß auf die Untersuchung aus- 25 üben? Zur Wahrheit gehört nicht nur das Resultat, sondern auch der Weg. Die Untersuchung der Wahrheit muß selbst wahr sein, die wahre Unter suchung ist die entfaltete Wahrheit, deren aus einander gestreute Glieder sich im Resultat zusammenfassen. Und die Art der Untersuchung sollte nicht nach dem Gegenstand sich verändern? Wenn der Gegenstand lacht, 30 soll sie ernst aussehen, wenn der Gegenstand unbequem ist, soll sie be scheiden sein. Ihr verletzt also das Recht des Objects wie Ihr das Recht des Subjects verletzt. Ihr faßt die Wahrheit abstract, und macht den Geist zum Untersuchungsrichter, der sie trocken protocollirt. Oder bedarf es dieser metaphysischen Quälerei nicht? ist die Wahrheit 35 einfach so zu verstehen, daß Wahrheit sei, was die Regierung anordnet, und daß die Untersuchung als ein überflüssiger, zudringlicher, aber der Etiquette wegen nicht ganz abzuweisender Dritter hinzukomme? Es scheint fast so. Denn von vornherein wird die Untersuchung [|63| im Gegensatz gegen die Wahrheit gefaßt und erscheint daher in der ver- 40 dächtigen officiellen Begleitung der Ernsthaftigkeit und Bescheidenheit, die allerdings dem Laien dem Priester gegenüber geziemen. Der Regierungs- 101 Publizistische Arbeiten verstand ist die einzige Staatsvernunft. Dem andern Verstand und seinem Geschwätz sind zwar unter gewissen Zeitumständen Concessionen zu machen, zugleich aber trete er mit dem Bewußtsein der Concession und der eigentlichen Rechtlosigkeit auf, bescheiden und gebeugt, ernsthaft und langweilig. Wenn Voltaire sagt tous les genres sont bons, excepté le genre ennuyeux, so wird hier das ennuyante Genre zum exclusiven, wie schon die Hinweisung auf „die Verhandlungen der Rheinischen Land stände" zur Genüge beweist. Warum nicht lieber den guten alten deutschen Curialstyl? Frei sollt ihr schreiben, aber jedes Wort sei zugleich ein Knix vor der liberalen Censur, die eure eben so ernsten als bescheidenen Vota 10 pas siren läßt. Das Bewußtsein der Devotion verliert ja nicht! 5 Der gesetzliche Ton liegt nicht auf der Wahrheit, sondern auf der Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit. Also alles erregt Bedenken, die Ernsthaftigkeit, die Bescheidenheit und vor allem die Wahrheit, unter deren unbestimmter Weite eine sehr bestimmte, sehr zweifelhafte Wahrheit 15 verborgen scheint. „Die Censur", heißt es weiter in der Instruction, „soll also keineswegs in einem engherzigen, über dieses Gesetz hinausgehenden Sinn gehandhabt werden." Unter diesem Gesetz ist zunächst der Art. 2 des Edicts von 1819 gemeint, 20 allein später verweist die Instruction auf den „Geist" des Censuredicts überhaupt. Beide Bestimmungen sind leicht zu vereinen. Der Art. 2 ist der concentrirte Geist des Censuredicts, dessen weitere Gliederung und Specification sich in den andern Artikeln findet. Wir glauben den citirten Geist nicht besser characterisiren zu können, als durch folgende Aeuße- 25 rungen desselben] |64| Art. VII. „Die der Académie der Wissenschaften und den Universi täten bisher verliehene Censurfreiheit wird auf fünf Jahre hiermit suspen- dirt." §. 10. „Der gegenwärtige einstweilige Beschluß soll vom heutigen Tage 30 an fünf Jahre in Wirksamkeit bleiben. Vor Ablauf dieser Zeit soll am Bundestage gründlich untersucht werden, auf welche Weise die im 18. Artikel der Bundesacte in Anregung gebrachten gleichförmigen Ver fügungen über die Preßfreiheit in Erfüllung zu setzen sein möchten, und demnächst ein Definitivbeschluß über die rechtmäßigen Grenzen der 35 Preßfreiheit in Deutschland erfolgen." Ein Gesetz, welches die Preßfreiheit, wo sie noch existirte, suspendirt, und wo sie zur Existenz gebracht werden sollte, durch die Censur über flüssig macht, kann nicht gerade ein der Presse günstiges genannt werden. Auch gesteht §. 10 geradezu, daß anstatt der im 18. Artikel der Bundesacte 40 in Anregung gebrachten und vielleicht einmal in Erfüllung zu setzenden 102 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion Preßfreiheit provisorisch ein Censurgesetz gegeben werde. Dies quid pro quo verräth zum wenigsten, daß der Character der Zeit Beschränkungen der Presse gebot, daß das Edict dem Mißtrauen gegen die Presse seinen Ursprung verdankt. Diese Verstimmung wird sogar entschuldigt, indem 5 sie als provisorisch, als nur für fünf Jahre geltend — leider hat sie 22 Jahre gewährt — bezeichnet wird. Schon die nächste Zeile der Instruction zeigt uns, wie sie in den Wider spruch geräth, der einerseits die Censur in keinem über das Edict hinaus gehenden Sinn gehandhabt wissen will und ihr zu gleicher Zeit dies Hinaus- 10 gehen vorschreibt: „Der Censor kann eine freimüthige Besprechung auch der innern Angelegenheiten sehr wohl gestatten." Der Censor kann, er muß nicht, es ist keine Nothwendigkeit, allein schon dieser vorsichtige Liberalismus geht nicht nur über den Geist, sondern |J65 [ über die bestimmten Forderungen des Censuredicts sehr bestimmt hinaus. Das alte Censur- 15 edict und zwar der in der Instruction citirte Art. 2 gestattet nicht nur keine freimüthige Besprechung der preußischen, sondern nicht einmal der chinesischen Angelegenheiten. „Hieher", nämlich zu den Verletzungen der Sicherheit des preußischen Staats und der deutschen Bundesstaaten, wird commentirt, „gehören alle Versuche, in irgend einem Lande bestehende 20 Parteien, welche am Umsturz der Verfassung arbeiten, in einem günstigen Lichte darzustellen." Ist auf diese Weise eine freimüthige Besprechung der chinesischen oder türkischen Landesangelegenheiten gestattet? Und wenn schon so entlegene Beziehungen die irritable Sicherheit des deutschen Bundes gefährden, wie nicht jedes mißbilligende Wort über innere An- 25 gelegenheiten? Geht auf diese Weise die Instruction nach der liberalen Seite hin über den Geist des Art. 2 des Censuredicts hinaus — ein Hinausgehen, dessen Inhalt sich später ergeben wird, das aber formell schon insofern verdächtig ist, als es sich zur Consequenz des Art. 2 macht, von dem in der Instruction 30 weislich nur die erste Hälfte citirt, der Censor aber zugleich auf den Artikel selbst angewiesen wird, — so geht sie ebensosehr nach der illiberalen Seite hin über das Censuredict hinaus und fügt neue Preßbeschränkungen zu den alten hinzu. 35 In dem oben citirten Art.2 des Censuredicts heißt es: „ihr Zweck (der Censur) ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion o h ne R ü c k s i c ht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionsparteien und im Staate geduldeter Secten zuwider ist." Im Jahr 1819 herrschte noch der Rationalismus, welcher unter der Religion im Allgemeinen die sogenannte Vernunft-Religion verstand. Dieser rationalistische Standpunkt ist auch der Standpunkt des Censuredicts, welches allerdings | | 6 6| so inconsequent ist, sich auf den irreligiösen Stand- 40 103 Publizistische Arbeiten 5 punkt zu stellen, während es die Religion zu beschützen bezweckt. Es widerspricht nämlich schon den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ihre allgemeinen Grundsätze von ihrem positiven Inhalt und von ihrer Bestimmtheit zu trennen, denn jede Religion glaubt sich von den andern besondern eingebildeten Religionen eben durch ihr besonderes Wesen zu unterscheiden und eben durch ihre Bestimmtheit die wahre Religion zu sein. Die neue Censurinstruction läßt in der Citation des Art. 2 den beschränkenden Nachsatz aus, durch welchen die einzelnen Religions parteien und Secten von der Inviolabilität ausgeschlossen wurden, aber sie bleibt nicht hierbei stehen,-sie liefert den folgenden Commentar: „Alles 10 was wider die christliche Religion im Allgemeinen oder wider einen bestimm ten Lehrbegriff auf eine frivole, feindselige Art gerichtet ist, darf nicht geduldet werden." Das alte Censuredict erwähnt mit keinem Wort der christlichen Religion, im Gegentheil es unterscheidet die Religion von allen einzelnen Religionsparteien und Secten. Die neue Censurinstruction 15 verwandelt nicht nur Religion in christliche Religion, sondern fügt noch den bestimmten Lehrbegriff hinzu. Köstliche Ausgeburt unsrer christlich gewordnen Wissenschaft! Wer will noch leugnen, daß sie der Presse neue Fesseln geschmiedet hat? Die Religion soll weder im Allgemeinen noch im Besondern angegriffen werden. Oder glaubt Ihr etwa, die Worte frivol, 20 feindselig machten die neuen Ketten zu Rosenketten? Wie geschickt ge schrieben, frivol, feindselig! Das Adjectivum frivol richtet sich an die Ehrbarkeit des Bürgers, es ist das exoterische Wort an die Welt, aber das Adjectivum feindselig wird dem Censor ins Ohr geflüstert, es ist die gesetzliche Interpretation der Frivolität. Wir werden in dieser Instruction 25 noch mehrere Beispiele von diesem feinen Tacte finden, der ein subjecti ves, das Blut ins Gesicht trei||67|bendes Wort an das Publikum und ein objectives, das Blut dem Schriftsteller aus dem Gesicht treibendes Wort an den Censor richtet. Auf diese Weise kann man lettres de cachet in Musik setzen. 30 Und in welchen merkwürdigen Widerspruch verfängt sich die Censur instruction! Nur der halbe Angriff, der sich an einzelnen Seiten der Erscheinung hält, ohne tief und ernst genug zu sein, um das Wesen der Sache zu treffen, ist frivol, eben die Wendung gegen ein nur Besonderes als solches ist frivol. Ist also der Angriff auf die christliche Religion im 35 Allgemeinen verboten, so ist nur der frivole Angriff auf sie gestattet. Umgekehrt ist der Angriff auf die allgemeinen Grundsätze der Religion, auf ihr Wesen, auf das Besondere, insofern es Erscheinung des Wesens ist, ein feindseliger Angriff. Die Religion kann nur auf eine feindselige oder frivole Weise angegriffen werden, ein Drittes gibt es nicht. Diese Inconsequenz, in welche sich die Instruction verfängt, ist allerdings nur to 104 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion ein Schein, denn sie ruht in dem Scheine als sollte überhaupt noch irgend ein Angriff auf die Religion gestattet sein; aber es bedarf nur eines unbefangenen Blickes, um diesen Schein als Schein zu erkennen. Die Religion soll weder auf eine feindselige, noch auf eine frivole Weise, 5 weder im Allgemeinen, noch im Besondern, also gar nicht angegriffen werden. Doch wenn die Instruction in offnem Widerspruch gegen das Censur edict von 1819 die philosophische Presse in neue Fesseln schlägt, so sollte sie wenigstens so consequent sein, die religiöse Presse aus den alten 10 Fesseln zu befreien, in die jenes rationalistische Edict sie geschlagen hat. Es macht nämlich auch zum Zweck der Censur: „dem fanatischen Herüber ziehen von religiösen Glaubenssätzen in die Politik und der dadurch ent stehenden Begriffsverwirrung entgegenzutreten". Die neue Instruction ist zwar so klug dieser Bestimmung in ||68J ihrem Commentar nicht zu er- 15 wähnen, aber sie nimmt dieselbe nichts desto weniger in die Citation des Art. 2 auf. Was heißt fanatisches Herüberziehen von religiösen Glaubens sätzen in die Politik? Es heißt die religiösen Glaubenssätze ihrer specifischen Natur nach den Staat bestimmen lassen, es heißt das besondere Wesen der Religion zum Maß des Staats machen. Das alte Censuredict konnte 20 mit Recht dieser Begriffsverwirrung entgegentreten, denn es gibt die besondere Religion, den bestimmten Inhalt derselben der Kritik anheim. Doch das alte Edict stützte sich auf den seichten, oberflächlichen, von Euch selbst verachteten Rationalismus. Ihr aber, die ihr den Staat auch im Einzelnen auf den Glauben und das Christenthum stützt, die ihr einen 25 christlichen Staat wollt, wie könnt Ihr noch der Censur dieser Begriffs verwirrung vorzubeugen, anempfehlen? Die Confusion des politischen und christlich-religiösen Prinzips ist ja officielle Confession geworden. Diese Confusion wollen wir mit einem Wort klar machen. Bios von der christlichen als der anerkannten Religion 30 zu reden, so habt Ihr in Eurem Staate Katholiken und Protestanten. Beide machen gleiche Ansprüche an den Staat, wie sie gleiche Pflichten gegen ihn haben. Sie sehen ab von ihren religiösen Differenzen und verlangen auf gleiche Weise, daß der Staat die Verwirklichung der politischen und rechtlichen Vernunft sei. Ihr aber wollt einen christlichen Staat. Ist Euer 35 Staat nur lutherisch-christlich, so wird er dem Katholiken zu einer Kirche, der er nicht angehört, die er als ketzerisch verwerfen muß, deren innerstes Wesen ihm widerspricht. Umgekehrt verhält es sich ebenso, oder macht Ihr den allgemeinen Geist des Christenthums zum besondern Geist Eures Staates, so entscheidet Ihr doch aus Eurer protestantischen Bildung heraus, 40 was der allgemeine Geist des Christenthums sei. Ihr bestimmt, was christ licher Staat sei, obgleich Euch die letzte Zeit ||69J gelehrt hat, daß einzelne 105 Publizistische Arbeiten Regierungsbeamte die Grenzen zwischen Religion und Welt, zwischen Staat und Kirche nicht ziehen können. Nicht Censoren, sondern Diploma ten hatten über diese Begriffsverwirrung nicht zu entscheiden, sondern zu unterhandeln. Endlich stellt Ihr Euch auf den ketzerischen Standpunkt, wenn Ihr das bestimmte Dogma als unwesentlich verwerft. Nennt Ihr 5 Euren Staat allgemein christlich, so bekennt Ihr mit einer diplomatischen Wendung, daß er unchristlich sei. Also verbietet entweder die Religion überhaupt in die Politik zu ziehen, — aber das wollt Ihr nicht, denn Ihr wollt den Staat nicht auf freie Vernunft, sondern auf den Glauben stützen, die Religion gilt Euch als die allgemeine Sanction des Positiven, — oder 10 erlaubt auch das fanatische Herüberziehen der Religion in die Politik. Laßt sie auf ihre Weise politisiren, aber das wollt Ihr wieder nicht: die Religion soll die Weltlichkeit stützen, ohne daß sich die Weltlichkeit der Religion unterwirft. Zieht Ihr die Religion einmal in die Politik, so ist es eine untrügliche, jaeine irreligiöse Anmaßung, weltlich bestimmen zu wollen, 15 wie die Religion innerhalb der Politik aufzutreten habe. Wer sich mit der Religion verbünden will aus Religiosität, muß ihr in allen Fragen die ent scheidende Stimme einräumen, oder versteht Ihr vielleicht unter Religion den Cultus Eurer eignen Unumschränktheit und Regierungsweisheit? Noch auf andre Weise geräth die Rechtgläubigkeit der neuen Censur- 20 instruction in Conflict mit dem Rationalismus des alten Censuredicts. Dieses subsumirt unter den Zweck der Censur auch die Unterdrückung dessen, „was die Moral und guten Sitten beleidigt". Die Instruction führt diesen Passus als Citat aus dem Art. 2 an. Allein wenn ihr Commentar in Bezug auf die Religion Zusätze machte, so enthält er Weglassungen in Bezug 25 auf die Moral. Aus der jj"70j Beleidigung der Moral und der guten Sitten wird eine Verletzung von „Zucht und Sitte und äußrer Anständigkeit". Man sieht: die Moral als Moral, als Prinzip einer Welt, die eignen Gesetzen gehorcht, verschwindet und an die Stelle des Wesens treten äußerliche Erscheinungen, die polizeiliche Ehrbarkeit, der conventioneile Anstand. 30 Ehre dem Ehre gebührt, hier erkennen wir wahre Consequenz. Der speci- fisch christliche Gesetzgeber kann die Moral als in sich selbst geheiligte unabhängige Sphäre nicht anerkennen, denn ihr inneres allgemeines Wesen vindicirt er der Religion. Die unabhängige Moral beleidigt die allgemeinen Grundsätze der Religion und die besondern Begriffe der Religion sind der 35 Moral zuwider. Die Moral erkennt nur ihre eigne allgemeine und ver nünftige Religion und die Religion nur ihre besondre positive Moral. Die Censur wird also nach dieser Instruction die intellectuellen Heroen der Moral, wie etwa Kant, Fichte, Spinoza als irreligiös, als die Zucht, die Sitte, die äußre Anständigkeit verletzend, verwerfen müssen. Alle diese 40 Moralisten gehen von einem principiellen Widerspruch zwischen Moral 106 ρ Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion und Religion aus, denn die Moral ruhe auf der Autonomie, die Religion auf der Heteronomie des menschlichen Geistes. Von diesen unerwünschten Neuerungen der Censur — einerseits der Erschlaffung ihres moralischen, andrerseits der rigorosen Schärfung ihres religiösen Gewissens — wenden 5 wir uns zu dem Erfreulicheren, zu den Conzessionen. Es „folgt insbesondere, daß Schriften, in denen die Staatsverwaltung im Ganzen oder in einzelnen Zweigen gewürdigt, erlassene oder noch zu erlassende Gesetze nach ihrem innern Werthe geprüft, Fehler und Miß griffe aufgedeckt, Verbesserungen angedeutet oder in Vorschlag gebracht 10 werden, um deßwillen, weil sie in einem andern Sinne als dem der Regierung geschrieben, nicht zu verwerfen sind, wenn nur ihre Fassung anständig und ihre Tendenz wohlmeinend ist". Beschei||71 |denheit und Ernsthaftig keit der Untersuchung. Diese Forderung theilt die neue Instruction mit dem Censuredict, allein ihr genügt die anständige Fassung ebensowenig 15 wie die Wahrheit des Inhalts. Die T e n d e nz wird ihr zum Hauptcriterium, ja sie ist ihr durchgehender Gedanke, während in dem Edict selbst nicht einmal das Wort Tendenz zu finden ist. Worin sie bestehe, sagt auch die neue Instruction nicht, wie wichtig ihr aber die Tendenz sei, möge noch folgender Auszug beweisen: „Es ist dabei eine unerläßliche Voraussetzung, 20 daß die Tendenz der gegen die Maßregeln der Regierung ausgesprochenen Erinnerungen nicht gehässig und böswillig, sondern wohlmeinend sei, und es muß von dem Censor der gute Wille und die Einsicht verlangt werden, daß er zu unterscheiden wisse, wo das eine und das andre der Fall ist. Mit Rücksicht hierauf haben die Censoren ihre Aufmerksamkeit auch 25 besonders auf die Form und den Ton der Sprache der Druckschriften zu richten, und insofern durch Leidenschaftlichkeit, Heftigkeit und An maßung ihre Tendenz sich als eine verderbliche darstellt, deren Druck nicht zu gestatten." Der Schriftsteller ist also dem furchtbarsten Terrorismus, der Jurisdiction des Verdachts anheim gefallen. Tenc/enzgesetze, Gesetze 30 die keine objectiven Normen geben, sind Gesetze des Terrorismus, wie sie die Noth des Staats unter Robespierre und die Verdorbenheit des Staats unter den römischen Kaisern erfunden hat. Gesetze, die nicht die Handlung als solche, sondern die Gesinnung des Handelnden zu ihren Hauptcriterien machen, sind nichts als positive Sanctionen der Gesetz- losigkeit. Lieber wie jener Czaar von Rußland Jedem den Bart durch officielle Kosacken abscheeren lassen, als die Meinung, in der ich den Bart trage, zum Criterium des Scheerens machen. 35 Nur insofern ich mich äußere, in die Sphäre des Wirklichen trete, trete ich in die Sphäre des Gesetzgebers. Für ||72| das Gesetz bin ich gar nicht 40 vorhanden, gar kein Object desselben, außer in meiner That. Sie ist das Einzige, woran mich das Gesetz zu halten hat; denn sie ist das Einzige, 107 Publizistische Arbeiten wofür ich ein Recht der Existenz verlange, ein Recht der Wirklichkeit, wodurch ich also auch dem wirklichen Recht anheim falle. Allein das Tendenzgesetz bestraft nicht allein das, was ich thue, sondern das, was ich außer der That meine. Es ist also ein Insult auf die Ehre des Staatsbürgers, ein Vexirgesetz gegen meine Existenz. 5 Ich kann mich drehen und wenden, wie ich will, es kommt auf den That- bestand nicht an. Meine Existenz ist verdächtig, mein innerstes Wesen, meine Individualität wird als eine schlechte betrachtet, und für diese Meinung werde ich bestraft. Das Gesetz straft mich nicht für das Unrecht, was ich thue, sondern für das Unrecht, was ich nicht thue. Ich werde 10 eigentlich dafür gestraft, daß meine Handlung nicht gesetzwidrig ist, denn nur dadurch zwinge ich den milden, wohlmeinenden Richter, an meine schlechte Gesinnung, die so klug ist, nicht ans Tageslicht zu treten, sich zu halten. Das Gesinnungsgesetz ist kein Gesetz des Staates für die Staatsbürger, 15 sondern das Gesetz einer Partei gegen eine andre Partei. Das Tendenz gesetz hebt die Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze auf. Es ist ein Gesetz der Scheidung, nicht der Einung, und alle Gesetze der Scheidung sind reactionär. Es ist kein Gesetz, sondern ein Privilegium. Der Eine darf thun, was der Andre nicht thun darf, nicht weil diesem etwa eine objective 20 Eigenschaft fehlte, wie dem Kind zum Contrahiren von Verträgen, nein, weil seine gute Meinung, seine Gesinnung verdächtig ist. Der sittliche Staat unterstellt in seinen Gliedern die Gesinnung des Staats, sollten sie auch in Opposition gegen ein Staatsorgan, gegen die Regierung treten;] |731 aber die Gesellschaft, in der ein Organ sich alleiniger, exclusiver Be- 25 sitzer der Staatsvernunft und Staatssittlichkeit dünkt, eine Regierung, die sich in principiellen Gegensatz gegen das Volk setzt, und daher ihre staats widrige Gesinnung für die allgemeine, für die normale Gesinnung hält, das üble Gewissen der Faction erfindet Tendenzgesetze, Gesetze der Rache, gegen eine Gesinnung, die nur in den Regierungsgliedern selbst ihren Sitz 30 hat. Gesinnungsgesetze basiren auf der Gesinnungslosigkeit, auf der un sittlichen, materiellen Ansicht vom Staat. Sie sind ein indiscreter Schrei des bösen Gewissens. Und wie ist ein Gesetz der Art zu executiren? Durch ein Mittel, empörender als das Gesetz selbst, durch Spione, oder durch vorherige Uebereinkunft, ganze litterarische Richtungen für ver- 35 dächtig zu halten, wobei allerdings wieder auszukundschaften bleibt, welcher Richtung ein Individuum angehöre. Wie im Tendenzgesetz die gesetzliche Form dem Inhalt widerspricht, wie die Regierung, die es gibt, gegen das eifert, was sie selbst ist, gegen die staatswidrige Gesinnung, so bildet sie auch im Besondern gleichsam die verkehrte Welt zu ihren Gesetzen, 40 denn sie mißt mit doppeltem Maß. Nach der einen Seite ist Recht, was 108 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion das Unrecht der andern Seite ist. Ihre Gesetze schon sind das Gegentheil von dem, was sie zum Gesetz machen. In dieser Dialektik verfängt sieh auch die neue Censurinstruction. Sie ist der Widerspruch, alles das auszuüben und den Censoren zur Pflicht 5 zu machen, was sie an der Presse als staatswidrig verdammt. 15 So verbietet die Instruction den Schriftstellern, die Gesinnung Einzelner oder ganzer Klassen zu verdächtigen, und in einem Athem gebietet sie dem Censor, alle Staatsbürger in verdächtige und unverdächtige einzutheilen, in wohlmeinende und übelmeinende. Die der Presse entzogene Kritik wird 10 zur ||74J täglichen Pflicht des Regierungskritikers; allein bei dieser Umkeh rung hat es nicht einmal sein Bewenden. Innerhalb der Presse erschien das Staatswidrige seinem Gehalte nach als ein besonderes, nach der Seite sei ner Form war es allgemein, d. h. dem allgemeinen Urtheil preis gegeben. Allein nun dreht sich die Sache um. Das Besondere erscheint jetzt in Bezug auf seinen Inhalt als das Berechtigte, das Staatswidrige als Meinung des Staats, als Staatsrecht, in Bezug auf seine Form als Beson deres, unzugänglich dem allgemeinen Licht, aus dem freien Tag der Oeffentlichkeit in die Actenstube des Regierungskritikers verbannt. So will die Instruction die Religion beschützen, aber sie verletzt den allgemeinsten 20 Grundsatz aller Religionen, die Heiligkeit und Unverletzlichkeit der sub jectiven Gesinnung. Sie macht den Censor an Gottes Statt zum Richter des Herzens. So untersagt sie beleidigende Aeußerungen und ehren kränkende Urtheile über einzelne Personen, aber sie setzt euch jeden Tag dem ehrenkränkenden und beleidigenden Urtheil des Censors aus. 25 So will die Instruction die von übelwollenden oder schlecht unterrichteten Individuen herrührenden Klatschereien unterdrücken, und sie zwingt den Censor, sich auf solche Klatschereien, auf das Spioniren durch schlecht unterrichtete und übelwollende Individuen zu verlassen und zu verlegen, indem sie das Urtheil aus der Sphäre des objectiven Gehalts in die Sphäre 30 der subjectiven Meinung oder Willkür herabzieht. So soll die Absicht des Staats nicht verdächtigt werden, aber die Instruction geht vom Verdacht gegen den Staat aus. So soll unter gutem Schein keine schlechte Gesinnung verborgen werden, aber die Instruction selbst ruht auf einem falschen Schein. So soll das Nationalgefühl erhöht werden, und auf eine die Nationen 35 erniedrigende Ansicht wird basirt. Man verlangt gesetzmäßiges Betragen und Achtung vor dem Gesetze, aber zugleich sollen wir Institutionen ehren, die uns gesetzlos ma||75|chen und die Willkür an-die Stelle des Rechts setzen. Wir sollen das Princip der Persönlichkeit so sehr anerken nen, daß wir trotz dem mangelhaften Institut der Censur dem Censor 40 vertrauen, und Ihr verletzt das Princip der Persönlichkeit so sehr, daß Ihr sie nicht nach den Handlungen, sondern nach der Meinung von der 109 Publizistische Arbeiten 5 Meinung ihrer Handlungen richten laßt. Ihr fordert Bescheidenheit, und Ihr geht von der enormen Unbescheidenheit aus, einzelne Staatsdiener zum Herzensspäher, zum Allwissenden, zum Philosophen, Theologen, Poli tiker, zum delphischen Apollo zu ernennen. Ihr macht uns einerseits die Anerkennung der Unbescheidenheit zur Pflicht und verbietet uns andrerseits die Unbescheidenheit. Die eigentliche Unbescheidenheit besteht darin, die Vollendung der Gattung besondern Individuen zuzuschreiben. Der Censor ist ein besonderes Individuum, aber die Presse ergänzt sich zur Gattung. Uns befehlt Ihr Vertrauen und dem Mißtrauen leiht Ihr gesetzliche Kraft. Ihr traut Euren Staatsinstitutionen so viel zu, daß sie 10 den schwachen Sterblichen, den Beamten, zum Heiligen und ihm das Unmögliche möglich machen werden. Aber Ihr mißtraut Eurem Staats organismus so sehr, daß Ihr die isolirte Meinung eines Privatmanns fürch tet; denn Ihr behandelt die Presse als einen Privatmann. Von den Beamten unterstellt Ihr, daß sie ganz unpersönlich, ohne Groll, Leidenschaft, 15 Bornirtheit und menschliche Schwäche verfahren werden. Aber das Un persönliche, die Ideen, verdächtigt Ihr voller persönlicher Ränke und sub- jectiver Niederträchtigkeit zu sein. Die Instruction verlangt unbegrenztes Vertrauen auf den Stand der Beamteten, und sie geht von unbegrenztem Mißtrauen gegen den Stand der Nichtbeamteten aus. Warum sollen wir 20 nicht Gleiches mit Gleichem vergelten? Warum soll uns nicht eben dieser Stand das Verdächtige sein? Ebenso der Charakter. Und von vorn herein muß der Unbefangene dem Cha||76|rakter des öffentlichen Kritikers mehr Achtung zollen, als dem Charakter des geheimen. Was überhaupt schlecht ist, bleibt schlecht, welches Individuum der 25 Träger dieser Schlechtigkeit sei, ob ein Privatkritiker oder ein von der Regierung angestellter, nur daß im letztern Fall die Schlechtigkeit auto- risirt, und als eine Nothwendigkeit von Oben betrachtet wird, um das Gute von Unten zu verwirklichen. Die Censur der Tendenz und die Tendenz der Censur sind ein Geschenk 30 der neuen liberalen Instruction. Niemand wird uns verdenken, wenn wir mit einem gewissen Mißtrauen zu ihren weitern Bestimmungen uns hinwenden. „Beleidigende Aeußerungen und ehrenkränkende Urtheile über einzelne Personen sind nicht zum Druck geeignet." Nicht zum Druck geeignet! Statt dieser Milde wäre zu wünschen, daß das beleidigende und ehren- 35 kränkende Urtheil objective Bestimmungen erhalten hätte. „Dasselbe gilt von der Verdächtigung der Gesinnung Einzelner oder (inhaltsschweres Oder) ganzer Klassen, vom Gebrauch von Parteinamen und dergleichen Persönlichkeiten." Also auch die Rubricirung unter Cate gories der Angriff auf ganze Klassen, der Gebrauch von Parteinamen 40 — und der Mensch muß Allem wie Adam einen Namen geben, damit es 110 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion für ihn vorhanden sei —, Parteinamen sind nothwendige Categorien für die politische Presse, „Weil jede Krankheit zuvörderst, wie Doctor Sassafras meint, 5 Um glücklich sie curiren zu können, Benamset werden muß." Dies alles gehört zu den Persönlichkeiten. Wie soll man es nun anfangen? Die Person des Einzelnen darf man nicht angreifen, die Klasse, das All gemeine, die moralische Person eben so wenig. Der Staat will — und da hat er recht — |J77| keine Injurien dulden, keine Persönlichkeiten; aber 10 durch ein leichtes „oder" wird das Allgemeine auch unter die Persönlich keiten subsumirt. Durch das „oder" kommt das Allgemeine in die Mitte, und durch ein kleines „und" erfahren wir schließlich, daß nur von Per sönlichkeiten die Rede gewesen. Als eine ganz spielende Consequenz aber ergibt sich, daß alle Contrôle der Beamten, wie solcher Institutionen, die 15 als eine Klasse von Individuen existirt, der Presse untersagt wird. 25 „Wird die Censur nach diesen Andeutungen in dem Geiste des Censur edicts vom 18. October 1819 ausgeübt, so wird einer anständigen und frei- müthigen Publicität hinreichender Spielraum gewährt, und es ist zu er warten, daß dadurch eine größere Theilnahme an vaterländischen Inter- 20 essen erweckt und so das Nationalgefühl erhöht werden wird." Daß nach diesen Andeutungen der anständigen, im Sinne der Censur anständigen, Publicität ein mehr als hinreichender Spielraum gewährt sei, — auch das Wort Spielraum ist glücklich gewählt, denn der Raum ist für eine spielende, an Luftsprüngen sich genügende Presse berechnet — gestehen wir zu; ob für eine freimüthige Publicität, und wo ihr der freie Muth sitzen soll, überlassen wir dem Scharfblick des Lesers. Was die Erwartungen der Instruction betrifft, so mag allerdings das Nationalgefühl in der Weise erhöht werden, wie die zugesandte Schnur das Gefühl der türkischen Nationalität erhöht; ob aber gerade die ebenso bescheidene als ernsthafte 30 Presse Theilnahme an den vaterländischen Interessen erwecken wird, überlassen wir ihr selbst; eine magere Presse ist nicht mit China auf zufüttern. Allein vielleicht haben wir die angeführte Periode zu ernsthaft begriffen. Vielleicht treffen wir besser den Sinn, wenn wir sie als bloßen Haken in der Rosenkette betrachten. Vielleicht hält dieser liberale Haken 35 eine Perle von sehr zweideutigem Werth. Sehen wir zu. Auf den Zusam menhang kommt alles an. Die Erhöhung des | | 7 8| Nationalgefühls und die Erweckung der Theilnahme an vaterländischen Interessen, die in dem angeführten obligaten Passus als Erwartung ausgesprochen werden, ver wandeln sich unter der Hand in einen Befehl, in dessen Munde ein neuer 40 Preßzwang unsrer armen schwindsüchtigen Tagesblätter liegt. 111 Publizistische Arbeiten „Auf diesem Weg darf man hoffen, daß auch die politische Litteratur und die Tagespresse ihre Bestimmung besser erkennen, mit dem Gewinn eines reichern Stoffes auch einen würdigern Ton sich aneignen, und es künftig verschmähen werden, durch Mittheilung gehaltloser, aus fremden Zeitungen entlehnter, von übelwollenden oder schlecht unterrichteten Correspondenten herrührender Tagesneuigkeiten, durch Klatschereien und Persönlichkeiten auf die Neugierde ihrer Leser zu speculiren — eine Richtung, gegen welche einzuschreiten die Censur den unzweifelhaften Beruf hat." 5 Auf dem angegebenen Weg wird gehofft, daß die politische Litteratur 10 und die Tagespresse ihre Bestimmung besser erkennen werden etc. Allein die bessere Erkenntniß läßt sich nicht anbefehlen; auch ist sie eine erst noch zu erwartende Frucht, und Hoffnung ist Hoffnung. Die Instruction aber ist viel zu practisch, um sich mit Hoffnungen und frommen Wünschen zu begnügen. Während der Presse die Hoffnung ihrer künftigen Besserung 15 als neues Soulagement gewährt wird, wird ihr zugleich von der gütigen Instruction ein gegenwärtiges Recht genommen. Sie verliert, was sie noch hat, in Hoffnung ihrer Besserung. Es geht ihr wie dem armen Sancho Pansa, dem sein Hofarzt alle Speise vor seinen Augen entzog, damit kein verdorbener Magen ihn zur Erfüllung der vom Herzog auferlegten Pflich- 20 ten untüchtig mache. Zugleich dürfen wir die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, den preußischen Schriftsteller zur Aneignung dieser Art von anständigem Styl aufzufordern. Im Vordersatz heißt es: „Auf diesem Wege darf man hoffen, daß." Von diesem daß wird eine ganze Reihe von Bestim- 25 mungen regiert, also, daß die politische Litteratur und die Tagespresse ihre Bestimmung besser erkennen, daß sie einen würdigern Ton, etc. etc., daß sie Mittheilungen gehaltloser, aus fremden Zeitungen entlehnter Correspondenzen etc. verschmähen werden. Alle diese Bestimmungen stehen noch unter dem Regiment der Hoffnung; aber der Schluß, der sich 30 durch einen Gedankenstrich an das Vorhergehende anschließt: „eine Rich tung, gegen welche einzuschreiten die Censur den unzweifelhaften Beruf hat", überhebt den Censor der langweiligen Aufgabe, die gehoffte Bes serung der Tagespresse abzuwarten, und ermächtigt ihn vielmehr, das Mißfällige ohne Weiteres wegzustreichen. An die Stelle der Innern Cur 35 ist die Amputation getreten. „Damit diesem Ziele näher getreten werde, ist es aber erforderlich, daß bei Genehmigung neuer Zeitschriften und neuer Redacteure mit großer Vorsicht verfahren werde, damit die Tagespresse nur völlig unbeschol tenen Männern anvertraut werde, deren wissenschaftliche Befähigung, 40 Stellung und Character für den Ernst ihrer Bestrebungen und für die 112 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion Loyalität ihrer Denkungsart Bürgschaft leisten." Ehe wir auf das Einzelne eingehen, zuvor eine allgemeine Bemerkung. Die Genehmigung neuer Redacteure, also überhaupt der künftigen Redacteure, ist ganz der „großen Vorsicht", versteht sich der Staatsbehörden, der Censur anheimgestellt, 5 während das alte Censuredict. wenigstens unter gewissen Garantien die Wahl des Rédacteurs dem Belieben des Unternehmers überließ: „Art. 9. Die Obercensurbehörde ist berechtigt, dem Unternehmer einer Zeitung zu erklären, daß der angegebene Rédacteur nicht von der Art sei, das nöthige Zutrauen einzuflößen, in welchem Falle der Unternehmer ver- 10 pflichtet ist, entweder einen andern Rédacteur anzunehmen, oder wenn er den ernannten beibehalten will, für ihn eine von Unsern ||8θ| oben erwähnten Staatsministerien auf den Vorschlag gedachter Obercensur behörde zu bestimmende Kaution zu leisten." In der neuen Censurinstruction spricht sich eine ganz andere Tiefe, man 15 kann sagen Romantik des Geistes aus. Während das alte Censuredict äußerliche, prosaische, daher gesetzlich bestimmbare Kautionen verlangt, unter deren Garantie auch der mißliebige Rédacteur zuzulassen sei, nimmt dagegen die Instruction dem Unternehmer einer Zeitschrift jeden Eigen willen, und verweist die vorbeugende Klugheit der Regierung, die große 20 Vorsicht und den geistigen Tiefsinn der Behörden auf innere, subjective, äußerlich unbestimmbare Qualitäten. Wenn aber die Unbestimmtheit, die zartsinnige Innerlichkeit und die subjective Ueberschwänglichkeit der Romantik in das rein Aeußerliche umschlägt, nur in dem Sinn, daß die äußerliche Zufälligkeit nicht mehr in ihrer prosaischen Bestimmtheit und 25 Begrenzung, sondern in einer wunderbaren Glorie, in einer eingebildeten Tiefe und Herrlichkeit erscheint, — so wird auch die Instruction diesem romantischen Schicksal schwerlich entgehen können. Die Redacteure der Tagespresse, unter welche Categorie die ganze Journalistik fällt, sollen völlig unbescholtene Männer sein. Als Garantie 30 dieser völligen Unbescholtenheit wird zunächst die „wissenschaftliche Befähigung" angegeben. Nicht der leiseste Zweifel steigt auf, ob der Censor die wissenschaftliche Befähigung besitzen kann, über wissenschaftliche Befähigung jeder Art ein Urtheil zu besitzen. Lebt in Preußen eine solche Schaar der Regierung bekannter Universalgenie's — jede Stadt hat wenig- 35 stens einen Censor —, warum treten diese encyklopädistischen Köpfe nicht als Schriftsteller auf? Besser, als durch die Censur, könnte den Verwir rungen der Presse ein Ende gemacht werden, wenn diese Beamten, über mächtig durch ihre Anzahl, mächtiger durch ihre Wissenschaft und ihr Genie, auf einmal sich erhöben und mit ihrem Ge||8l|wicht jene elenden 40 Schriftsteller erdrückten, die nur in einem Genre, aber selbst in diesem einen Genre ohne officiell erprobte Befähigung agiren. Warum schweigen 113 Publizistische Arbeiten diese gewiegten Männer, die wie die römischen Gänse durch ihr Ge schnatter das Capitol retten könnten? Es sind Männer von zu großer Zurückhaltung. Das wissenschaftliche Publikum kennt sie nicht, aber die Regierung kennt sie. Und wenn jene Männer schon Männer sind, wie sie kein Staat zu finden 5 wußte, denn nie hat ein Staat ganze Klassen gekannt, die nur von Universal- genie's und Polyhistoren eingenommen werden können, um wie viel genialer müssen noch die Wähler dieser Männer sein! Welche geheime Wissenschaft müssen sie besitzen, um Beamten, die in der Republik der Wissenschaft unbekannt sind, ein Attest über ihre universal-wissenschaft- 10 liehe Befähigung ausstellen zu können! Je höher wir steigen in dieser Büreaukratie der Intelligenz, um so wundervollere Köpfe begegnen uns. Ein Staat, der solche Säulen einer vollendeten Presse besitzt, lohnt es dem der Mühe, handelt der zweckmäßig, diese Männer zu Wächtern einer mangelhaften Presse zu machen, das Vollendete zum Mittel für das Un- 15 vollendete herabzusetzen? So viele dieser Censoren Ihr anstellt, so viele Chancen der Besserung entzieht Ihr dem Reich der Presse. Ihr entzieht Eurem Heer die Gesunden, um sie zu Aerzten der Ungesunden zu machen. Stampft nur auf den Boden wie Pompejus, und aus jedem Regierungs- 20 gebäude wird eine geharnischte Pallas-Athene hervorspringen. Vor der officiellen Presse wird die seichte Tagespresse in ihr Nichts zerfallen. Die Existenz des Lichts reicht hin, die Finsterniß zu widerlegen. Laßt Euer Licht leuchten und stellt es nicht unter den Scheffel. Statt einer mangel haften Censur, deren Vollgültigkeit Euch selbst problematisch dünkt, gebt 25 uns eine vollendete Presse, die Ihr nur ||82| zu befehlen habt, deren Vor bild der chinesische Staat schon seit Jahrhunderten liefert. Doch die wissenschaftliche Befähigung zur einzigen, zur nothwendigen Bedingung für die Schriftsteller der Tagespresse machen, ist das nicht eine Bestimmung des Geistes, keine Begünstigung des Privilegiums, keine 30 conventionelle Forderung, ist das nicht eine Bedingung der Sache, keine Bedingung der Person? Leider unterbricht die Censurinstruction unsre Panegyrik. Neben der Bürgschaft der wissenschaftlichen Befähigung findet sich die der Stellung und des Charakters. Stellung und Charakter! 35 Der Charakter, der so unmittelbar der Stellung folgt, scheint beinahe ein bloßer Ausfluß derselben zu sein. Die Stellung laßt uns vor Allem ins Auge fassen. Sie steht so eingeengt zwischen der wissenschaftlichen Be fähigung und dem Charakter, daß man beinahe versucht wird, an ihrem guten Gewissen zu zweifeln. 40 Die allgemeine Forderung der wissenschaftlichen Befähigung, wie 114 W Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion liberal! die besondere Forderung der Stellung, wie illiberal! Die wissen schaftliche Befähigung und die Stellung zusammen, wie scheinliberal! Da wissenschaftliche Befähigung und Charakter sehr unbestimmt, die Stellung dagegen sehr bestimmt ist, warum sollten wir nicht schließen, 5 daß das Unbestimmte nach nothwendigem logischen Gesetze sich an das Bestimmte anlehnen und an ihm Halt und Inhalt erhalten werde? Wäre es also ein großer Fehlschluß des Censors, wenn er die Instruction so aus legte, die äußere Form der wissenschaftlichen Befähigung und des Charak ters, in der Welt aufzutreten, sei die Stellung, um so mehr, da sein eigner 10 Stand ihm diese Ansicht als Staatsansicht verbürgt? Ohne diese Auslegung bleibt es wenigstens völlig unbegreiflich, warum wissenschaftliche Be fähigung und Cha||83|rakter nicht hinreichende Bürgschaften des Schrift stellers sind, warum die Stellung das nothwendige Dritte ist. Käme der Censor nun gar in Conflict, fänden sich diese Bürgschaften selten oder nie 15 zusammen, wohin soll seine Wahl fallen, da einmal gewählt werden, da doch irgend wer Zeitungen und J o u r n a le redigiren muß? Die wissenschaftliche Befähigung und der Charakter ohne Stellung können dem Censor ihrer Unbestimmtheit wegen problematisch sein, wie es überhaupt seine gerechte Verwunderung erregen muß, daß solche Qualitäten getrennt von der Stel- lung existiren. Darf dagegen der Censor den Charakter, die Wissenschaft bezweifeln, wo die Stellung vorhanden ist? Er traute in diesem Fall dem Staat weniger Urtheil zu, als sich selbst, während er in dem entgegen gesetzten dem Schriftsteller mehr als dem Staat zutraute. Sollte ein Censor so tactlos, so übelmeinend sein? Es steht nicht zu erwarten, und wird 25 gewiß nicht erwartet. Die Stellung, weil sie im Zweifelsfall das entschei 20 dende Criterium ist, ist überhaupt das absolut Entscheidende. Wie also früher die Instruction durch ihre Rechtgläubigkeit mit dem Censuredict in Conflict geräth, so jetzt durch ihre Romantik, die immer zugleich Tendenz-Poesie ist. Aus der Geldcaution, die eine prosaische, 30 eigentliche Bürgschaft ist, wird eine ideelle, und diese ideelle verwandelt sich in die ganz reelle und individuelle Stellung, die eine magische fingirte Bedeutung erhält. Ebenso verwandelt sich die Bedeutung der Bürgschaft. Nicht mehr der Unternehmer wählt einen Rédacteur, für den erder Behörde bürgt, sondern die Behörde wählt ihm einen Rédacteur, für den sie sich 35 bei sich selbst verbürgt. Das alte Edict erwartet die Arbeiten des Rédacteurs, für welche die Geldcaution des Unternehmers einsteht. Die Instruction hält sich nicht an die Arbeit, sondern an die Person des Rédacteurs. Sie verlangt eine bestimmte persönliche Individualität, die ihr das Geld | 184j des Unternehmers verschaffen soll. Die neue Instruction ist eben so 40 äußerlich, als das alte Edict; aber statt daß dieses das prosaisch Bestimmte seiner Natur gemäß ausspricht, und begrenzt, leiht sie der äußersten 115 Publizistische Arbeiten Zufälligkeit einen imaginären Geist und spricht das bloß Individuelle mit dem Pathos der Allgemeinheit aus. 5 Wenn aber die romantische Instruction in Bezug auf den Rédacteur der äußerlichsten Bestimmtheit den Ton der gemüthvollsten Unbestimmtheit gibt, so gibt sie in Bezug auf den Censor der vagsten Unbestimmtheit den Ton der gesetzlichen Bestimmtheit. „Mit gleicher Vorsicht muß bei Er nennung der Censoren verfahren werden, damit das Censoramt nur Män nern von erprobter Gesinnung und Fähigkeit übertragen werde, die dem ehrenvollen Vertrauen, welches dasselbe voraussetzt, vollständig ent sprechen; Männern, welche, wohldenkend und scharfsichtig zugleich, die 10 Form von dem Wesen der Sache zu sondern verstehen, und mit sicherm Tact sich über Bedenken hinwegzusetzen wissen, wo Sinn und Tendenz einer Schrift an sich diese Bedenken nicht rechtfertigen." An die Stelle der Stellung und des Charakters beim Schriftsteller tritt hier die erprobte Gesinnung, da die Stellung von selbst gegeben ist. Bedeutender ist dies, 15 wenn bei dem Schriftsteller wissenschaftliche Befähigung, bei dem Censor Fähigkeit ohne weitere Bestimmung gefordert wird. Das alte, die Politik ausgenommen, rationalistisch gesinnte Edict erfordert in Art. 3 „wissen schaftlich gebildete" und sogar „ a u f g e k l ä r t e" Censoren. Beide Prädicate fallen in der Instruction fort, und an die Stelle der Befähigung 20 des Schriftstellers, die eine bestimmte, ausgebildete, zur Wirklichkeit gewordene Fähigkeit bedeutet, tritt bei dem Censor die Anlage der Be fähigung, die Fähigkeit überhaupt. Also die Anlage der Fähigkeit soll die wirkliche Befähigung censiren, wie sehr auch der Natur der Sache nach ||85| offenbar das Verhältniß umzukehren ist. Nur im Vorbeigehen 25 bemerken wir endlich, daß die Fähigkeit des Censors dem sachlichen Inhalt nach nicht näher bestimmt ist, wodurch ihr Charakter allerdings zweideutig wird. Das Censoramt soll ferner Männern übertragen werden, „die dem ehren vollen Vertrauen, welches dasselbe erfordert, vollkommen entsprechen". 30 Diese pleonastische Scheinbestimmung, Männer zu einem Amt zu wählen, denen man vertraut, daß sie dem ehrenvollen Vertrauen, welches ihnen geschenkt wird, vollständig entsprechen (werden?), ein allerdings sehr voll ständiges Vertrauen, — ist nicht weiter zu erörtern. Endlich sollen die Censoren Männer sein, „welche, wohldenkend und 35 scharfsichtig zugleich, die Form von dem Wesen der Sache zu sondern verstehen, und mit sicherm Tacte sich über Bedenken hinwegzusetzen wissen, wo Sinn und Tendenz einer Schrift an sich diese Bedenken nicht rechtfertigen". Mehr oben dagegen schreibt die Instruction vor: „Mit Rücksicht hierauf" (nämlich die Untersuchung der Tendenz) 40 116 Bemerkungen über die n e u e s te preußische Zensurinstruktion „haben die Censoren ihre Aufmerksamkeit auch besonders auf die Form und den Ton der Sprache der Druckschriften zu richten, und insofern durch Leidenschaftlichkeit, Heftigkeit und Anmaßung ihre Tendenz sich als eine verderbliche darstellt, deren Druck nicht zu gestatten." Einmal also soll 5 der Censor die Tendenz aus der Form, das andere Mal die Form aus der Tendenz beurtheilen. War vorhin schon der Inhalt ganz verschwunden als Criterium des Censirens, so verschwindet jetzt auch die Form. Wenn nur die Tendenz gut ist, so hat es mit den Verstößen der Form nichts auf sich. Mag die Schrift auch nicht gerade sehr ernsthaft und bescheiden 10 gehalten sein, mag sie heftig, leidenschaftlich, anmaßend scheinen, wer wird sich durch die rauhe ||8ö| Aussenseite schrecken lassen? Man muß das Formelle vom Wesen zu unterscheiden wissen. Jeder Schein der Bestimmungen mußte aufgehoben, die Instruction mußte mit einem voll kommenen Widerspruch gegen sich selbst enden; denn alles, woraus die 15 Tendenz erkannt werden soll, empfängt vielmehr erst seine Qualificirung aus der Tendenz und muß vielmehr aus der Tendenz erkannt werden. Die Heftigkeit des Patrioten ist heiliger Eifer, seine Leidenschaftlichkeit ist die Reizbarkeit des Liebenden, seine Anmaßung eine hingebende Theil nahme, die zu maßlos ist, um mäßig zu sein. 20 Alle objectiven Normen sind weggefallen, die persönliche Beziehung ist das Letzte und der Tact des Censors darf eine Bürgschaft genannt werden. Was kann also der Censor verletzen? Den Tact. Und Taçtlosigkeit ist kein Verbrechen. Was ist auf Seite des Schriftstellers bedroht? Die Existenz. Welcher Staat hat je die Existenz ganzer Klassen vom Tact 25 einzelner Beamten abhängig gemacht? Noch einmal, alle objectiven Normen sind weggefallen; von Seite des Schriftstellers ist die Tendenz der letzte Inhalt, der verlangt und vor geschrieben wird, die formlose Meinung als Object, die Tendenz als Subject, als Meinung von der Meinung, ist der Tact und die einzige 30 Bestimmung des Censors. Wenn aber die Willkür des Censors — und die Berechtigung der bloßen Meinung ist die Berechtigung der Willkür — eine Consequenz ist, die unter dem Schein sachlicher Bestimmungen verbrämt war, so spricht die Instruction dagegen mit vollem Bewußtsein die Willkür des Oberpräsidiums 35 aus; diesem wird ohne Weiteres Vertrauen geschenkt, und dieses dem Oberpräsidenten geschenkte Vertrauen ist die letzte Garantie der Presse. So ist das Wesen der Censur überhaupt in der hochmüthigen Einbildung des Polizeistaates auf seine Beamten gegründet. Selbst das Einfachste wird ||87| dem Verstand und dem guten Willen des Publicums nicht zu- 40 getraut; aber selbst das Unmögliche soll den Beamten möglich sein. Dieser Grundmangel geht durch alle unsere Institutionen hindurch. 117 Publizistische Arbeiten So z.B. sind im Criminalverfahren Richter, Ankläger und Vertheidiger in einer Person vereinigt. Diese Vereinigung widerspricht allen Gesetzen der Psychologie. Aber der Beamte ist über die psychologischen Gesetze erhaben, wie das Publicum unter denselben steht. Doch ein mangelhaftes Staatsprincip kann man entschuldigen; aber unverzeihlich wird es, wenn es nicht ehrlich genug ist, um consequent zu sein. Die Verantwortlichkeit der Beamten müßte so unverhältnißmäßig über der des Publicums stehen, wie die Beamten über dem Publicum, und gerade hier, wo die Consequenz allein das Princip rechtfertigen, es innerhalb seiner Sphäre zum rechtlichen machen könnte, wird es aufgegeben, und gerade hier wird das entgegen- 10 gesetzte angewandt. 5 Auch der Censor ist Ankläger, Vertheidiger und Richter in einer Person; dem Censor ist die Verwaltung des Geistes anvertraut; der Censor ist unverantwortlich. Die Censur könnte nur einen provisorisch loyalen Charakter erhalten, 15 wenn sie den ordentlichen Gerichten unterworfen würde, was allerdings unmöglich ist, so lange es keine objectiven Censurgesetze gibt. Aber das aller schlechte sie Mittel ist, die Censur wieder vor Censur zu stellen, etwa vor einen Oberpräsidenten oder ein Obercensurcollegium. Alles, was von dem Verhältniß der Presse zur Censur, gilt wieder vom 20 Verhältniß der Censur zur Oberzensur und vom Verhältniß des Schrift stellers zum Obercensor, obgleich ein Mittelglied eingeschoben ist. Es ist dasselbe Verhältniß, auf eine höhere Staffel gestellt, der merkwürdige Irr thum, die Sache zu lassen und ihr ein anderes Wesen durch andere Personen geben zu wollen. Wollte der Zwangsstaat loyal ||88'| sein, so höbe er sich 25 auf. Jeder Punct erforderte denselben Zwang und denselben Gegendruck. Die Obercensur müßte wieder censirt werden. Um diesem tödtlichen Kreis zu entgehen, entschließt man sich illoyal zu sein, die Gesetzlosig keit beginne nun in der dritten oder 99ten Schichte. Weil dies Bewußtsein dem Beamtenstaat unklar vorschwebt, sucht er wenigstens die Sphäre 30 der Gesetzlosigkeit so hoch zu stellen, daß sie den Blicken entschwindet, und glaubt dann, sie sei verschwunden. Die eigentliche Radicalcur der Censur wäre ihre Abschaffung; denn das Institut ist schlecht, und die Institutionen sind mächtiger, als die Menschen. Doch, unsre Ansicht mag richtig sein oder nicht. Jedenfalls 35 gewinnen die preußischen Schriftsteller durch die neue Instruction, ent weder an reeller Freiheit, oder an ideeller, an B e w u ß t s e i n. Rara temporum félicitas, ubi quae velis sentire et quae sentias dicere licet. Ι 118 Beginn des Artikels „Die Verhandlungen des 6. Rheinischen Landtags. Debatten über Preßfreiheit..." Rheinische Zeitung. Nr. 125, 5. Mai 1842. Beiblatt Die Verhandlungen des 6. Rheinischen Landtags Erster Artikel Debatten über Preßfreiheit und Publikation der Landständischen Verhandlungen Rheinische Zeitung. Nr. 125, 5. Mai 1842. Beiblatt Die Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags. Von einem Rheinländer. E R S T ER A R T I K E L. Debatten über Preßfreiheit und Publication der Landständischen Verhandlungen. *** Zum Erstaunen des ganzen schreibenden und lesenden Deutschlands publicirte die „preußische Staatszeitung" an einem schönen Berliner Frühlingsmorgen ihre Selbstbekenntnisse. Allerdings wählte sie eine vor nehme, diplomatische, nicht eben kurzweilige Form der Beichte. Sie gab sich den Schein, ihren Schwestern den Spiegel der Erkenntniß vorhalten zu wollen; sie sprach mystischer Weise nur von andern preußischen Zeitungen, während sie eigentlich von der preußischen Zeitung par excel lence, von sich selbst redete. Diese Thatsache läßt mancherlei Erklärung zu. Cäsar sprach von sich, als einer dritten Person. Warum sollte die „preußische Staatszeitung" nicht von dritten Personen als sich selbst sprechen? Kinder, die von sich selbst sprechen, pflegen sich nicht „Ich", sondern „Georg etc." zu nennen. Warum sollte die „preußische Staatszeitung" für ihr „Ich" die „Vossische" „Spenersche" oder irgend einen andern Heiligennamen nicht gebrauchen dürfen? Die neue Censurinstruction war erschienen. Unsere Zeitungen glaubten das Aussehen und die Conventionsbildung der Freiheit adoptiren zu müssen. Auch die „preußische Staatszeitung" war gezwungen zu erwachen und irgend einen liberalen — wenigstens selbstständigen — Einfall zu haben. 121 Publizistische Arbeiten Die erste nothwendige Bedingung der Freiheit ist aber Selbsterkenntniß und Selbsterkenntniß ist eine Unmöglichkeit ohne Selbstbekenntniß. Man halte daher fest, daß die „preußische Staatszeitung" Selbstbekennt nisse geschrieben hat; man vergesse nie, daß wir hier das erste Erwachen des halbofficiellen Preßkindes zum Selbstbewußtsein erblicken und alle Räthsel werden sich lösen. Man wird sich überzeugen, daß die „preußische Staatszeitung" „manches große Wort gelassen ausspricht", und nur un schlüssig bleiben, ob man mehr die Gelassenheit der Größe, oder die Größe der Gelassenheit bewundern soll. 5 Kaum war die Censurinstruction erschienen, kaum hatte sich die Staats- 10 zeitung von diesem Schlage erholt, als sie in die Frage ausbricht: „Was hat euch preußischen Zeitungen die größere Censurfreiheit genützt?" Offenbar will sie sagen: Was haben mir die vielen Jahre strikter Censur- observanz genützt? Was ist aus mir, trotz sorgfältigster und allseitigster Beaufsichtigung und Bevormundung geworden? Und was soll nun gar jetzt 15 aus mir werden? Das Gehen habe ich nicht gelernt und ein schaulustiges Publikum erwartet Entrechats von der Lendenlahmen! So wirds euch auch sein, meine Schwestern! Laßt uns dem preußischen Volk unsre Schwächen bekennen, doch laßt uns diplomatisch in unserm Bekenntniß sein. Wir sagen ihm nicht gradezu, daß wir uninteressant sind. Wir sagen ihm, daß, 20 wenn die preußischen Zeitungen uninteressant für das preußische Volk, der preußische Staat uninteressant für die Zeitungen ist. Die kühne Frage der „Staatszeitung", die noch kühnere Antwort sind bloße Präludien ihres Erwachens, traumartige Andeutungen des Textes, den sie durchführen wird. Sie erwacht zum Bewußtsein, sie spricht ihren 25 Geist aus. Lauscht dem Epimenides! Es ist bekannt, daß die erste theoretische Thätigkeit des Verstandes, der noch halb zwischen Sinnlichkeit und Denken schwankt, das Zählen ist. Das Zählen ist der erste freie theoretische Verstandesakt des Kindes. Laßt uns zählen, ruft die „preußische Staatszeitung" ihren Schwestern zu. 30 Die Statistik ist die erste politische Wissenschaft! Ich kenne den Kopf eines Menschen, wenn ich weiß, wie viel Haare er producirt. Was du willst, daß dir geschehe, das thue Andern. Und wie könnte man uns selbst und gar mich, die „preußische Staatszeitung" besser würdigen, als statistisch! Nicht nur, daß ich so oft erscheine, wie irgend 35 eine französische oder englische Zeitung, so wird die Statistik nachweisen, daß ich weniger gelesen werde, als irgend eine Zeitung der civilisirten Welt. Zieht die Beamten ab, die sich halb mißliebig für mich interessiren müssen, rechnet die öffentlichen Lokale ab, denen ein halboff ideile s Organ nicht fehlen darf, wer liest mich, ich frage, wer? Berechnet, was ich 40 koste; berechnet, was ich einnehme, und ihr werdet gestehen, daß es kein 122 Debatten über Preßfreiheit einträgliches Amt ist, große Worte gelassen auszusprechen. Seht ihr, wie schlagend die Statistik ist, wie das Zählen weitläufigere geistige Operationen überflüssig macht! Also zählt! Zahlentabellen instruiren das Publicum, ohne seinen Affect zu erregen. 5 Und die Staatszeitung stellt sich mit ihrer statistischen Wichtigkeit nicht nur dem Chinesen, nicht nur dem Weltstatisten Pythagoras zur Seite! sie zeigt, daß sie von dem großen Naturphilosophen jüngster Zeit afficirt ist, der die Unterschiede der Thiere etc. einst in Zahlenreihen darstellen wollte. 10 So ist die „preußische Staatszeitung" nicht ohne moderne philosophische Grundlagen, wenn sie auch ganz positiv scheint. 15 Die „Staatszeitung" ist allseitig. Sie bleibt nicht bei der Zahl, der Zeitgröße stehen. Sie treibt ihre Anerkennung des quantitativen Prinzips weiter, sie spricht auch die Berechtigung der Raumgröße aus. Der Raum ist das erste, dessen Größe dem Kind imponirt. Es ist die erste Größe der Welt, die das Kind erfährt. Es hält daher einen großgewachsenen Mann für einen großen Mann und die kindliche „Staatszeitung" erzählt uns, daß dicke Bücher unverhältnißmäßig besser sind, wie dünne, und nun gar einzelne Blätter, Zeitungen, die täglich nur einen Druckbogen liefern ! Ihr Deutschen könnt euch nun einmal nur umständlich aussprechen! Schreibt recht weitläufige Bücher über Staatseinrichtung, recht grund gelehrte Bücher, die Niemand liest, als der Herr Verfasser und der Herr Recensent, aber bedenkt, daß eure Zeitungen keine Bücher sind. Bedenkt, wie viel Bogen auf ein gründliches Werk von drei Bänden gehen! Sucht 25 also den Geist des Tages und der Zeit nicht in den Zeitungen, die euch statistische Tabellen liefern wollen, sondern sucht ihn in den Büchern, deren Raumgröße schon für ihre Gründlichkeit bürgt. 20 Bedenkt, ihr guten Kinder, daß es sich hier um „gelehrte" Dinge han delt, geht in die Schule der dicken Bücher und ihr werdet uns Zeitungen 30 schon liebgewinnen wegen unsres luftigen Formats, wegen unsrer welt männischen Leichtigkeit, die wahrhaft erquickend sind, nach den dicken Büchern. Allerdings! Allerdings! Unsere Zeit hat nicht mehr jenen realen Sinn für Größe, den wir am Mittelalter bewundern. Seht unsre winzigen pieti- 35 stischen Traktätlein, seht unsre philosophischen Systeme in kleinem Octav, und nun wendet euren Blick auf die 20 Riesenfolianten des Duns Scotus. Ihr braucht die Bücher nicht zu lesen; schon ihr abentheuerlicher Anblick rührt euer Herz, schlägt eure Sinne, wie etwa ein gothisches Gebäude. Diese naturwüchsigen Riesenwerke wirken materiell auf den 40 Geist; er fühlt sich erdrückt unter der Masse und das Gefühl der Gedrückt heit ist der Anfang der Ehrfurcht. Ihr habt die Bücher nicht, sie haben 123 Publizistische Arbeiten euch. Ihr seid ein Accidens zu ihnen, und so, meint die preußische „Staats zeitung", solle das Volk ein Accidens zu seiner politischen Literatur sein. So ist die „Staatszeitung" nicht ohne historische, der gediegenen Zeit des Mittelalters angehörige Grundlagen, wenn sie auch ganz modern redet. Ist aber das theoretische Denken des Kindes quantitativ: so ist sein Urtheil, wie sein praktisches Denken zunächst praktischsinnlich. Die sinn liche Beschaffenheit ist das erste Band, das es mit der Welt verknüpft. Die praktischen Sinne, vorzugsweise Nase und Mund, sind die ersten Organe, mit denen es die Welt beurtheilt. Die kindliche preußische „Staats zeitung" beurtheilt daher den Werth der Zeitungen, so ihren eignen Werth, mit der Nase. Wenn ein griechischer Denker die trocknen Seelen für die besten hält, so hält die „Staatszeitung" die „wohlriechenden" Zeitungen für die „guten" Zeitungen. Sie weiß nicht genug den „literarischen Parfüm" der „Allgemeinen Augsburger" und des „Journal des Débats" anzupreisen. Lobenswerthe, seltene Naivetät! Großer, allergrößter Pom pe jus! Nachdem die „Staatszeitung" uns so durch einzelne, dankenswerthe Aeußerungen tiefe Blicke in ihren Seelenzustand erlaubt hat, faßt sie schließlich ihre Staatsansicht in eine große Reflexion zusammen, deren Pointe die große Entdeckung ist: „daß in Preußen die Staatsverwaltung und der ganze Organismus des Staats getrennt seien vom politischen Geist, daher weder für Volk noch für Zeitungen politisches Interesse haben könnten". Nach der Ansicht der preußischen „Staatszeitung" hätte also die Staats verwaltung in Preußen nicht den politischen Geist oder der politische Geist hätte die Staatsverwaltung nicht. Undelikate „Staatszeitung", zu behaupten, was der ärgste Gegner nicht schlimmer wenden könnte, zu behaupten, daß das wirkliche Staatsleben ohne politischen Geist sei, und daß der politische Geist nicht im wirklichen Staate lebe! Doch wir dürfen den kindlichsinnlichen Standpunkt der preußischen „Staatszeitung" nicht vergessen. Sie erzählt uns, daß man bei Eisenbahnen bloß an Eisen und Bahnen, bei Handelsverträgen bloß an Zucker und Caffee, bei Lederfabriken blos an Leder zu denken habe. Allerdings, das Kind bleibt bei der sinnlichen Wahrnehmung stehn, es sieht bloß das Einzelne und die unsichtbaren Nervenfäden, die dieses Besondere mit dem Allgemeinen verknüpfen, die, wie überall, so im Staat, die materiellen Theile zu beseelten Gliedern des geistigen Ganzen machen, sind für das Kind nicht vorhanden. Das Kind glaubt, die Sonne drehe sich um die Erde; das Allgemeine drehe sich um das Einzelne. Das Kind glaubt daher nicht an den Geist, aber es glaubt an Gespenster. 124 Debatten über Preßfreiheit So hält die preußische „Staatszeitung" den politischen Geist für ein französisches Gespenst; und sie denkt das Gespenst zu beschwören, wenn sie ihm Leder, Zucker, Bajonette und Zahlen an den Kopf wirft. Doch, wird unser Leser einfallen, wir wollten über die „rheinischen 5 Landtagsverhandlungen" debattiren und statt dessen führt man uns den „unschuldigen Engel", das greisenhafte Preßkind, die preußische Staats zeitung vor und repetirt die altklugen Wiegenlieder, mit denen sie sich und ihre Schwestern in gedeihlichen Winterschlaf wieder und wieder einzulullen sucht. 10 Aber sagt nicht Schiller: „Und was kein Verstand der Verständigen sieht, Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth." Die preußische „Staatszeitung" hat uns „in aller Einfalt"daran erinnert, daß wir in Preußen so gut wie in England Landstände besitzen, deren 15 Verhandlungen die Tagespresse ja debattiren dürfe, wenn sie könne; denn die „Staatszeitung" in großem klassischen Selbstbewußtsein vermeint, es fehle den preußischen Zeitungen nicht an dem Dürfen, sondern am Können. Das Letztere gestehen wir ihr vorzugsweise als Privilegium zu, indem wir uns zugleich, ohne weitere Explication über ihre Potenz, die Freiheit 20 nehmen, den Einfall, den sie in aller Einfalt hatte, zu verwirklichen. Die Veröffentlichung der landständischen Verhandlungen wird erst eine Wahrheit, wenn dieselben als „öffentliche Thatsachen" behandelt, d.h. Gegenstand der Presse werden. Der letzte rheinische Landtag liegt uns am Nächsten. 25 Wir beginnen mit seinen „Debatten über Preßfreiheit" und müssen vorläufig bemerken, daß, während in dieser Frage unsere eigene positive Ansicht zuweilen als Mitspieler auftritt, wir in den spätem Artikeln mehr als historische Zuschauer den Gang der Verhandlungen begleiten und dar stellen werden. 30 Die Natur der Verhandlungen selbst bedingt diesen Unterschied der Darstellung. In allen übrigen Debatten finden wir nämlich die verschiedenen Meinungen der Landstände auf gleichem Niveau. In der Preßfrage dagegen haben die Gegner der freien Presse Manches voraus. Abgesehen von den Stichworten und Gemeinplätzen, die in der Atmosphäre liegen, finden 35 wir bei diesen Gegnern einen pathologischen Affekt, eine leidenschaftliche Eingenommenheit, die ihnen eine wirkliche, nicht imaginaire Stellung zur Presse giebt, deren Vertheidiger auf diesem Landtag im Ganzen kein wirkliches Verhältniß zu ihrem Schützling haben. Sie haben die Freiheit der Presse nie als Bedürfniß kennen gelernt. Sie ist ihnen eine 40 Sache des Kopfes, an der das Herz keinen Theil hat. Sie ist ihnen eine 125 Publizistische Arbeiten „exotische" Pflanze, mit der sie durch bloße „Liebhaberei" in Connex stehen. Es geschieht daher, daß ein zu allgemeines vages Raisonnement den besondern „guten" Gründen der Gegner entgegengestellt wird, und der bornirteste Einfall hält sich für bedeutend, so lang ihm seine Existenz nicht genommen ist. 5 Göthe sagt einmal, dem Maler glückten nur solche weiblichen Schön heiten, deren Typus er wenigstens in irgend einem lebendigen Individuum geliebt habe. Auch die Preßfreiheit ist eine Schönheit — wenn auch grade keine weibliche — die man geliebt haben muß, um sie vertheidigen zu können. Was ich wahrhaft liebe, dessen Existenz empfinde ich als eine 10 nothwendige, als eine, deren ich bedürftig bin, ohne die mein Wesen nicht erfülltes, nicht befriedigtes, nicht vollständiges Dasein haben kann. Jene Vertheidiger der Preßfreiheit scheinen vollständig da zu sein, ohne daß die Preßfreiheit da wäre. Rheinische Zeitung. Nr. 128, 8. Mai 1842. Beiblatt Die liberale Opposition zeigt uns den Höhestand einer politischen Ver- 15 Sammlung, wie die Opposition überhaupt den Höhestand einer Gesellschaft. Eine Zeit, in welcher es philosophische Kühnheit ist, an Gespenstern zu zweifeln, in welcher es Paradoxie ist, sich gegen Hexenprozesse auf zulehnen, eine solche Zeit ist die legitime Zeit der Gespenster und Hexen prozesse. Ein Land, welches wie das alte Athen, Speichellecker, Parasiten, 20 Schmeichler als Ausnahmen von der Volksvernunft, als Volksnarren trak- tirt, ist das Land der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Ein Volk, welches, wie alle Völker der besten Zeit, das Recht, die Wahrheit zu denken und auszusprechen, den Hofnarren vindicirt, kann nur ein Volk der Abhängigkeit und Selbstlosigkeit sein. Eine Ständeversammlung, in 25 welcher die Opposition versichert, daß die Willensfreiheit zum Wesen des Menschen gehöre, ist wenigstens nicht die Ständeversammlung der Willens freiheit. Die Ausnahme zeigt uns die Regel. Die liberale Opposition zeigt uns, was liberale Position, wie weit die Freiheit Mensch geworden ist. Wenn wir daher bemerkt haben, daß die landständischen Vertheidiger 30 der Preßfreiheit sich keineswegs auf der Höhe ihres Gegenstandes be wegen, so gilt dies noch mehr von dem ganzen Landtag überhaupt. Und dennoch nehmen wir die Darstellung der landständischen Verhand lungen an diesem Punkte auf, nicht nur aus besonderm Interesse für die Preßfreiheit, sondern eben sowohl aus allgemeinem Interesse für den 35 Landtag. Wir finden nämlich den spezifisch ständischen Geist nirgend klarer, entschiedener und voller ausgeprägt, als in den Debatten über die 126 Debatten über Preßfreiheit Presse. Vorzugsweise gilt dies von der Opposition gegen die Preßfreiheit, wie überhaupt in der Opposition gegen eine allgemeine Freiheit der Geist der bestimmten Sphäre, das individuelle Interesse des besondern Standes, die natürliche Einseitigkeit des Charakters sich am schroffsten und rück- 5 siehtslosesten herauswenden und gleichsam ihre Zähne zeigen. Die Debatten bringen uns eine Polemik des Fürstenstandes gegen die freie Presse, eine Polemik des Ritterstandes, eine Polemik des Standes der Städte, so daß nicht das Individuum, sondern der Stand polemisirt. Welcher Spiegel könnte also den innern Charakter des Landtags treuer 10 zurückgeben, als die Preß-Debatten? Wir beginnen mit den Opponenten gegen die freie Presse und zwar wie billig mit einem Redner aus dem Fürstenstand. Auf den ersten Theil seines rednerischen Vortrags, nämlich: „daß Preßfreiheit und Censur beides Uebel seien etc." gehen wir nicht sachlich 15 ein, da dieses Thema von einem andern Redner gründlicher durchgeführt wird; nur die eigene Argumentation des Redners dürfen wir nicht über gehen. 20 „Die Censur" sei „ein geringeres Uebel als der Unfug der Presse." „Diese UeberzeugungGefestigte sich nach und nach so in unserm Deutsch- land, (es fragt sich, welcher Theil von Deutschland das ist) daß auch von Bundeswegen Gesetze darüber erlassen wurden, welche Preußen mitgab und sich ihnen mit unterwarf." Der Landtag verhandelt über die Befreiung der Presse von ihren Banden. Diese Bande selbst, ruft der Redner, die Ketten, an denen die Presse liegt, 25 beweisen, daß sie nicht zu freier Bewegung bestimmt ist. Ihre gefesselte Existenz zeugt gegen ihr Wesen. Die Gesetze gegen die Preßfreiheit widerlegen die Preßfreiheit. Ein diplomatisches Argument gegen alle Reform, welches am ent schiedensten die klassische Theorie einer gewissen Partei ausspricht. Jede 30 Freiheitsschranke ist ein faktischer, ein unumstößlicher Beweis, daß bei den Machthabern die Ueberzeugung einmal vorhanden war, man müsse die Freiheit beschränken, und diese Ueberzeugung dient dann als Regulativ für die spätem Ueberzeugungen. Man hatte einmal befohlen, daß die Sonne sich um die Erde bewege. 35 War Galiläi widerlegt? So hatte sich auch in unserm Deutschland die Reichsüberzeugung, welche die einzelnen Fürsten theilten, gesetzlich gebildet, daß die Leib eigenschaft eine Eigenschaft gewisser menschlicher Leiber sei, daß die Wahrheit am evidentesten durch chirurgische Operationen, wir meinen 40 die Folter, ermittelt werde, daß die Flammen der Hölle dem Ketzer schon durch die Flammen der Erde zu demonstriren seien. 127 Publizistische Arbeiten War die gesetzliche Leibeigenschaft nicht ein faktischer Beweis gegen die rationelle Grille, daß der menschliche Leib kein Objekt der Behandlung und des Besitzes sei? Widerlegte die naturwüchsige Folter nicht die hohle Theorie, daß man mit Aderlässen nicht die Wahrheit herauszapft, daß die Spannung des Rückens auf der Marterleiter nicht rückhaltlos macht, daß Krämpfe keine Bekenntnisse sind? 5 So, meint der Redner, widerlegt das Faktum der Censur die Preß freiheit, was seine faktische Richtigkeit hat, was eine Wahrheit von solcher Fakticität ist, daß die Topographie ihre Größe abmessen kann, indem sie bei gewissen Schlagbäumen aufhört, faktisch und wahr zu sein. 10 „Weder in Rede noch in Schrift", werden wir weiter belehrt, „weder in unserer Rheinprovinz, noch im ganzen Deutschland erscheine die wahre und edlere, geistige Entwicklung gefesselt." Der edle Wahrheitsschmelz unserer Presse sei eine Gabe der Censur. Wir kehren zunächst die frühere Argumentation des Redners gegen ihn 15 selbst; wir geben ihm statt eines rationalen Grundes eine Verordnung. In der neuesten preußischen Censur-Instruktion wird offiziell bekannt gemacht, daß die Presse bisher übergroßen Beschränkungen unterlegen, daß sie wahren nationalen Gehalt erst zu erringen habe. Redner sieht, daß die Ueberzeugungen in unserm Deutschland wandelbar sind. 20 Aber welch' unlogisches Paradoxon, die Censur als Grund unserer bessern Presse zu betrachten! Der größte Redner der französischen Revolution, dessen voix toujours tonnante noch in unsere Zeit herüber tönt, der Löwe, den man selbst brüllen hören mußte, um ihm mit dem Volke zuzurufen: „Gut gebrüllt, 25 Löwe!", Mirabeau hat sich in Gefängnissen gebildet. Sind deswegen Ge fängnisse die Hochschulen der Beredtsamkeit? Es ist ein wahrhaft fürstliches Vorurtheil, wenn trotz aller geistigen Mauthsysteme der deutsche Geist ein Großhändler geworden ist, zu meinen, die Zollsperren und Cordons hätten ihn zum Großhändler gemacht. Die 30 geistige Entwicklung Deutschlands trotz der Censur vor sich gegangen. Wenn die Presse innerhalb der Censur ver kümmert und verelendet, so führt man dies als Argument gegen die freie Presse an, obgleich es nur gegen die unfreie zeugt. Wenn die Presse trotz der Censur ihr charaktervolles Wesen bewährt, so führt man dies für die 35 Censur an, obgleich es nur für den Geist und nicht für die Fessel spricht. Uebrigens hat es mit der „wahren edlern Entwicklung" seine Bewandt- ist nicht durch, sondern niß. In der Zeit der strikten Censur-Observanz- von 1819 bis 1830 (später wurde die Censur, wenn auch nicht in „unserm Deutschland", so doch 40 in einem großen Theile Deutschlands von den Zeitverhältnissen und selt- 128 Debatten über Preßfreiheit samen Ueberzeugungen, die sich gebildet hatten, censirt) erlebte unsere Literatur ihre „Abendblattszeit", die man mit demselben Recht „wahr und edel" und geistig und entwicklungsreich nennen kann, als sich der Redak teur der Abendzeitung, ein geborner „Winkler", humoristischer Weise „Hell" benamste, obgleich wir ihm nicht einmal die Helligkeit der Sümpfe um Mitternacht nachrühmen dürfen. Dieser „Krähwinkler" mit der Firma „Hell" ist der Prototyp der damaligen Literatur und jene Fastenzeit wird die Nachwelt überzeugen, daß, wenn wenige Heilige 40 Tage ohne Speise ausharren konnten, ganz Deutschland, welches nicht einmal heilig war, über zwanzig Jahre ohne alle geistige Consumtion und Produktion zu leben verstand. Die Presse war niederträchtig geworden, und man schwankt nur, ob der Mangel an Verstand den Mangel an Charakter, ob die Form losigkeit die Inhaltslosigkeit übertraf, oder ob umgekehrt. Für Deutschland würde die Kritik das Höchste erreichen, wenn sie beweisen könnte, daß jene Periode nie existirt hat. Das einzige Literaturgebiet, in welchem damals noch lebendiger Geist pulsirte, das philosophische, hörte auf, deutsch zu sprechen, weil die deutsche Sprache aufgehört hatte, die Sprache des Gedankens zu sein. Der Geist sprach in unverständlichen mysteriösen Worten, weil die verständlichen Worte nicht mehr verständig sein durften. Was nun gar das Beispiel der rheinischen Literatur betrifft — und aller dings liegt dies Beispiel einem rheinischen Landstand ziemlich nahe —, so könnte man mit der Diogeneslaterne alle fünf Regierungsbezirke durch wandern und nirgends würde man „diesem Menschen" begegnen. Wir halten dies nicht für einen Mangel der Rheinprovinz, sondern vielmehr für einen Beweis ihres praktisch-politischen Sinnes. Die Rheinprovinz kann eine „freie Presse" zeugen, aber zu einer „unfreien" fehlt es ihr an Gewandtheit und an Illusionen. Die eben erst abgelaufene Literaturperiode, die wir als „die Literatur periode der strikten Censur" bezeichnen können, ist also der evidente, der geschichtliche Beweis, daß die Censur allerdings die Entwicklung des deutschen Geistes auf eine heillose, unverantwortliche Art beeinträchtigt hat und daß sie also keineswegs, wie dem Redner dünkte, zum magister bonarum artium bestimmt ist. Oder verstand man etwa unter der „edlern wahren Presse" eine Presse, die ihre Ketten mit Anstand trägt? Wenn sich der Redner „erlaubt, an ein bekanntes Sprichwort vom kleinen Finger und der ganzen Hand" zu erinnern, so nehmen wir uns die Gegenerlaubniß zu fragen, ob es der Würde einer Regierung nicht am meisten gezieme, dem Geist ihres Volkes nicht nur eine ganze Hand, sondern beide Hände ganz zu geben? Unser Redner hat, wie wir gesehen, die Frage über das Verhältniß 129 Publizistische Arbeiten von Censur und geistiger Entwicklung auf nachlässig vornehme, diplo matisch nüchterne Weise beseitigt. Noch entschiedener repräsentirt er die negative Seite seines Standes in seinem Angriff auf die historische Ge staltung der Preßfreiheit. 5 Was die Existenz der Preßfreiheit bei andern Völkern betreffe, so könne „England keinen Maßstab abgeben, da dort schon seit Jahrhunderten auf historischem Wege sich Verhältnisse ausgebildet hätten, die in keinem andern Lande durch Anwendung von Theorien hervorgerufen werden könnten, sondern in Englands eigentümlicher Lage ihre Begründung gefunden hätten". „In Holland habe Freiheit der Presse nicht vor erdrük- 10 kender Nationalschuld bewahren können und größtentheils zur Herbei führung einer Revolution mitgewirkt, die den Abfall der Hälfte dieses Landes zur Folge gehabt habe." Frankreich übergehen wir, um später darauf zurückzukommen. „In der Schweiz endlich, sollte man dort wohl ein durch Freiheit der Presse beglücktes Eldorado finden können? Gedenke 15 man nicht mit Ekel der rohen, in dortigen Blättern verhandelten Partei streitigkeiten, in welchen die Namen der Parteien im richtigen Gefühl ihrer geringen menschlichen Würde, sich nach Theilen des thierischen Körpers, in Horn- und Klauenmänner sonderten und durch platte Schmäh reden sich bei allen Nachbarn verächtlich machten!" 20 Die englische Presse spricht nicht für die Preßfreiheit überhaupt, weil sie auf historischen Grundlagen beruht. Die Presse in England hat nur Verdienst, weil sie historisch ist, nicht als Presse überhaupt, denn sie hätte sich ohne historische Grundlagen machen müssen. Die Historie hat hier das Verdienst und nicht die Presse. Als wenn die Presse nicht auch zur 25 Historie gehörte, als wenn die englische Presse nicht unter Heinrich VIII., Maria der Katholischen, Elisabeth und Jakob harte, oft barbarische Kämpfe bestanden hätte, um dem englischen Volke seine historischen Grundlagen zu erringen! Und spräche es nicht im Gegentheil für die Preßfreiheit, wenn die eng- 30 lische Presse bei größter Ungebundenheit nicht destruirend auf die histori schen Grundlagen wirkte? Allein der Redner ist nicht konsequent. Die englische Presse beweist nicht für die Presse überhaupt, weil sie englisch ist. Die holländische Presse spricht gegen die Presse überhaupt, obschon sie nur holländisch ist. Das eine Mal werden alle Vorzüge der 35 Presse den historischen Grundlagen, das andere Mal alle Mängel der historischen Grundlagen der Presse vindicirt. Das eine Mal soll die Presse nicht auch ihren Antheil an der historischen Vollkommenheit, das andere Mal soll die Historie nicht auch ihren Antheil an den Mängeln der Presse haben. Wie die Presse in England mit dessen Historie und eigenthümlicher 40 Lage verwachsen ist, so in Holland und in der Schweiz. 130 Debatten über Preßfreiheit Soll die Presse historische Grundlagen abspiegeln, aufheben oder ent wickeln? Jedes macht ihr der Redner zum Vorwurf. Er tadelt die holländische Presse, weil sie historisch ist. Sie hätte die Historie verhindern, sie hätte Holland vor erdrückender Nationalschuld 5 bewahren müssen! Welche unhistorische Forderung! Die holländische Presse konnte das Zeitalter Ludwig des XIV. nicht verhindern; die holländi sche Presse konnte nicht verhindern, daß die englische Marine unter Cromwell sich zur ersten europäischen heraufschwang; sie konnte keinen Ozean zaubern, der Holland von der peinlichen Rolle erlöst hätte, der 10 Schauplatz der kriegführenden Kontinentalmächte zu sein; sie konnte eben so wenig, wie alle Censuren in Deutschland zusammen, Napoleons Machtgebote annulliren. Hat aber die freie Presse jemals Nationalschulden erhöht? Als unter Orleans dem Regenten ganz Frankreich in Law'sehe Finanzrasereien sich 15 verlor, wer trat dieser phantastischen Sturm- und Drangperiode der Geld spekulation gegenüber, als einige Satyriker, die allerdings keine Bank- billets, sondern Bastillbillets bezogen. 20 Das Verlangen, die Presse solle vor Nationalschuld bewahren, was dahin weiter ausgeführt werden kann, daß sie auch den einzelnen Individuen ihre Schulden bezahlen solle, erinnert an jenen Literaten, der stets auf seinen Arzt grollte, weil dieser ihm zwar die Krankheiten seines Leibes weg- kurire, nicht aber zugleich die Druckfehler seiner Schriften. Die Preßfreiheit verspricht so wenig, wie der Arzt, einen Menschen oder ein Volk voll kommen zu machen. Sie ist selbst keine Vollkommenheit. Es ist triviale 25 Manier, das Gute damit zu schmähen, daß es ein bestimmtes Gut und nicht alles Gute auf einmal, daß es dieses und kein anderes Gute sei. Allerdings, wenn die Preßfreiheit alles in allem wäre, so machte sie alle übrigen Funktionen eines Volks und das Volk selbst überflüssig. 30 Redner wirft der holländischen Presse die belgische Revolution vor. Kein Mensch von einiger geschichtlicher Bildung wird läugnen, daß die Trennung Belgiens und Hollands ungleich historischer war als ihre Ver einigung. Die Presse in Holland habe die belgische Revolution bewirkt. Welche Presse? Die reformatorische oder die reaktionäre? Eine Frage, die wir 35 auch in Frankreich aufwerfen können, und wenn Redner etwa die kleri- kalisch-belgische Presse tadelt, die zugleich demokratisch war, so tadle er ebenso die klerikalische Presse in Frankreich, die zugleich absolutistisch war. Beide haben zum Umsturz ihrer Regierungen mitgewirkt. In Frank reich hat nicht die Preßfreiheit, sondern die Censur revolutionirt. 40 Aber abgesehen hiervon, die belgische Revolution erschien zuerst als geistige Revolution, als Revolution der Presse. Weiter hat die Behauptung 131 Publizistische Arbeiten keinen Sinn, daß die Presse die belgische Revolution gemacht habe. Ist das nun zu tadeln? Soll die Revolution gleich materiell auftreten? Schlagen statt sprechen? Die Regierung kann eine geistige Revolution materialisiren; eine materielle Revolution muß erst die Regierung vergeistigen. Die belgische Revolution ist ein Produkt des belgischen Geistes. Also 5 hat auch die Presse, die freieste Weise, in welcher heut zu Tag der Geist erscheint, ihren Antheil an der belgischen Revolution. Die belgische Presse wäre nicht die belgische Presse, wenn sie der Revolution fern gestanden, aber eben so wohl wäre die belgische Revolution keine belgische, wenn sie nicht zugleich Revolution der Presse gewesen. Die Revolution eines 10 Volkes ist total; d.h. jede Sphäre revoltirt auf ihre Weise; warum nicht auch die Presse als Presse? Redner tadelt an der belgischen Presse also nicht die Presse, er tadelt Belgien. Und hier finden wir den Springpunkt seiner historischen Ansicht von der Preßfreiheit. Der volksthümliche Charakter der freien Presse — und 15 bekanntlich malt selbst der Künstler keine großen historischen Tableaux mit Wasserfarben — die historische Individualität der freien Presse, die sie zur eigenthümlichen Presse ihres eigenthümlichen Volksgeistes macht, widerstreben dem Redner aus dem Fürstenstande, er stellt vielmehr die Forderung an die Pressen der verschiedenen Nationen, die Pressen seiner 20 Ansicht, die Pressen der haute volée zu sein, und statt um die geistigen Weltkörper, die Nationen, um einzelne Individuen zu kreisen. Unverhüllt tritt diese Forderung in der Beurtheilung der Schweizerpresse hervor. Vorläufig erlauben wir uns eine Frage. Warum besann sich der Redner nicht, daß die Schweizerpresse der Voltaireschen Aufklärung in Albrecht 25 v. Haller entgegentrat? Warum gedenkt er nicht, daß, wenn die Schweiz auch gerade kein Eldorado, doch den Propheten des künftigen Fürsten-Eldorado gezeugt hat, ebenfalls ein Herr v. Haller, der in seiner „Restauration der Staatswissenschaften" das Fundament zu der „edlern wahren" Presse, zu dem „Berliner politischen Wochenblatt" gelegt hat? An ihren Früchten sollt 30 Ihr sie erkennen. Und welcher Boden in der Welt hätte der Schweiz eine Frucht von dieser vollsaftigen Legitimität entgegenzuhalten? Redner verübelt es der Schweizerpresse, daß sie die „thierischen Partei namen" der „Horn- und Klauenmänner" aufgenommen, kurz, daß sie schweizerisch spricht und zu Schweizern, die mit Ochsen und Kühen in 35 gewisser patriarchalischer Eintracht leben. Die Presse dieses Landes ist die Presse dieses Landes. Weiter ist darüber nichts zu sagen. Zugleich aber führt eben die freie Presse über die Beschränktheit des Landespartikularis- mus hinaus, wie ebenfalls die Schweizerpresse beweist. Ueber die thierischen Parteinamen insbesondere bemerken wir, daß die 40 Religion selbst das Thierische als Symbol des Geistigen würdigt. Unser 132 Debatten über Preßfreiheit Redner wird jedenfalls die indische Presse verwerfen, die in religiöser Begeisterung die Kuh Sabala und den Affen Hanuman feierte. Er wird der indischen Presse die indische Religion, wie der Schweizerpresse den Schweizercharakter, vorwerfen; aber es gibt eine Presse, die er schwerlich 5 der Censur unterwerfen will, wir meinen die heilige Presse, die Bibel; und theilt diese nicht die ganze Menschheit in die beiden großen Parteien der Böcke und Schaafe ? Charakterisirt Gott selbst sein Verhältniß zu den Häusern Juda und Israel nicht folgendermaßen: „Ich bin dem Hause Juda eine Motte und dem Hause Israel eine Made"? Oder, was uns Weltlichen 10 näher liegt, gibt es nicht eine fürstliche Literatur, welche die ganze Anthropologie in Zoologie verwandelt, wir meinen die heraldische Lite ratur? Die bringt noch andere Curiosa, als Horn- und Klauenmänner. 15 Was hat also der Redner an der Preßfreiheit getadelt? Daß die Mängel eines Volks zugleich die Mängel seiner Presse sind, daß sie die rücksichts- lose Sprache, die offenbare Gestalt des historischen Volksgeistes ist. Hat er bewiesen, daß der deutsche Volksgeist von diesem großen Natur- privilegium ausgeschlossen ist? Er hat gezeigt, daß jedes Volk seinen Geist in seiner Presse ausspricht. Soll dem philosophisch gebildeten Geist der Deutschen nicht zukommen, was nach des Redners eigner Versicherung 20 bei den im Thierischen gebundenen Schweizern sich findet? Meint endlich der Redner, daß die nationalen Mängel der freien Presse nicht eben so Nationalmängel der Censoren sind? Sind die Censoren eximirt von der historischen Gesammtheit, unberührt vom Geist einer Zeit? Leider mag es der Fall sein, aber welcher gesunde Mensch wird in der Presse 25 nicht lieber die Sünden der Nation und der Zeit, als in der Censur die Sünden gegen Nation und Zeit entschuldigen? Wir haben im Eingange bemerkt, daß in den verschiedenen Rednern ihr besonderer Stand gegen die Preßfreiheit polemisirt. Der Redner aus dem Fürstenstande stellte zunächst diplomatische Gründe auf. Er bewies 30 das Unrecht der Preßfreiheit aus den fürstlichen Ueberzeugungen, die in Censurgesetzen sich deutlich genug ausgesprochen hätten. Er meinte, die edlere, wahre Entwicklung des deutschen Geistes sei durch die Hem mungen von oben gemacht worden. Er polemisirte endlich gegen die Völker und verwarf mit edler Scheu die Preßfreiheit als die undelikate, indiskrete, auf sich selbst gerichtete Sprache eines Volkes. 35 Der Redner aus dem Ritterstande, zu dem wir jetzt kommen, polemisirt nicht gegen die Völker, sondern gegen die Menschen. Er bestreitet in der Rheinische Zeitung. Nr. 130, 10. Mai 1842. Beiblatt 133 Publizistische Arbeiten Preßfreiheit die menschliche Freiheit, im Preßgesetz das Gesetz. Bevor er auf die eigentliche Frage über Preßfreiheit eingeht, nimmt er die Frage über unverkürzte und tägliche Publikation der Landtagsdebatten auf. Wir folgen ihm, Schritt vor Schritt. „Dem ersten der Anträge auf Veröffentlichung unserer Verhandlungen sei genügt." „In die Hände des Landtags sei es gelegt, von der ertheilten Erlaubniß einen weisen Gebrauch zu machen." 5 Eben das ist das punctum quaestionis. Die Provinz glaubt, daß der Landtag erst in ihre Hände gelegt ist, sobald die Veröffentlichung der Debatten nicht mehr der Willkühr seiner Weisheit überlassen, sondern 10 eine gesetzliche Nothwendigkeit geworden ist. Wir müßten die neue Con cession als einen neuen Rückschritt bezeichnen, wenn sie so zu inter- pretiren, daß die Publication der Willkühr der Landstände anheim fällt. Privilegien der Landstände sind keine Rechte der Provinz. Vielmehr hören die Rechte der Provinz grade da auf, wo sie zu Privilegien der 15 Landstände werden. So hatten die Stände des Mittelalters alle Rechte des Landes in sich absorbirt und wendeten sie als Vorrechte gegen das Land. Der Staatsbürger will das Recht nicht als Privilegium wissen. Kann er für ein Recht halten, neue Privilegirte zu alten Privilegirten hinzu zufügen? 20 Die Rechte des Landtags sind auf diese Weise nicht mehr Rechte der Provinz, sondern Rechte wider die Provinz und der Landtag selbst wäre das der Provinz am meisten entgegenstehende Unrecht mit der mystischen Bedeutung, für ihr größtes Recht gelten zu sollen. Wie sehr nun der Redner aus dem Ritterstande dieser mittelaltrigen 25 Auffassung des Landtags verfallen ist, wie rückhaltlos er das Privilegium des Landstandes gegen das Recht des Landes verficht, wird der Verfolg seiner Rede beweisen. „Die Ausdehnung dieser Erlaubniß (der Publication der Debatten) könne nur aus der innern Ueberzeugung, nicht aber aus äusseren Einwirkungen 30 hervorgehen." Eine überraschende Wendung! Die Einwirkung der Provinz auf ihren Landtag wird als ein Aeusseres bezeichnet, dem die Ueberzeugung der Landstände als zartsinnige Innerlichkeit gegenübersteht, deren höchst irritable Natur der Provinz zuruft: „Noli me tangere!" Um so denkwürdiger 35 ist diese elegische Floskel von der „inneren Ueberzeugung" gegenüber dem rauhen, äusserlichen, unberechtigten Nordwind der „öffentlichen Ueberzeugung", als der Antrag grade darauf geht, die innere Ueberzeugung der Landstände äusserlich zu machen. Allerdings finden Wir auch hier Inconsequenz. Wo es dem Redner füglicher scheint, in den kirchlichen 40 Controversen, provocirt er auf die Provinz. 134 Debatten über Preßfreiheit „Wir", fährt der Redner fort, „würden sie (die Publication) eintreten lassen, da, wo wir es für zweckmäßig erachten, und sie beschränken, da, wo uns eine Ausdehnung zwecklos oder gar wohl schädlich erschiene." Wir werden thun, was wir wollen. Sic volo, sic jubeo, stat pro ratione 5 voluntas. Es ist vollständige Herrschersprache, die allerdings im Munde eines modernen Standesherrn einen rührenden Beischmack hat. Wer sind „war"? Die Landstände. Die Veröffentlichung der Debatten ist für die Provinz und nicht für die Stände, aber Redner belehrt uns des bessern. Auch die Publication der Verhandlungen ist ein Privilegium der 10 Landstände, die das Recht haben, wenn sie es passend finden, ihrer Weis heit das vielstimmige Echo des Preßbengels zu geben. Der Redner kennt nur die Provinz der Landstände, nicht die Landstände der Provinz. Die Landstände haben eine Provinz, worauf das Privilegium ihrer Thätigkeit sich erstreckt, aber die Provinz hat keine Landstände, 15 durch welche sie selbst thätig wäre. Allerdings hat die Provinz das Recht, unter vorgeschriebenen Bedingungen, sich diese Götter zu machen, aber gleich nach der Schöpfung muß sie, wie der Fetischdiener vergessen, daß es Götter ihres Händewerks sind. Es ist dabei unter andern nicht abzusehen, warum eine Monarchie ohne 20 Landtag nicht mehr werth ist als eine Monarchie mit Landtag, denn, ist der Landtag nicht die Repräsentation des Provinzialwillens, so hegen wir zur öffentlichen Intelligenz der Regierung mehr Vertrauen, als zur Privat intelligenz von Grund und Boden. Wir haben hier das sonderbare, vielleicht im Wesen der Landtage 25 gegründete Schauspiel, daß die Provinz nicht sowohl durch, als mit ihren Stellvertretern zu kämpfen hat. Nach dem Redner hält der Landtag nicht die allgemeinen Rechte der Provinz für seine einzigen Privilegien, denn in diesem Fall wäre die tägliche unverkürzte Publication der Landtags verhandlungen ein neues Recht des Landtags, weil des Landes, sondern 30 vielmehr soll das Land die Vorrechte der Landstände für seine einzigen Rechte halten; warum nicht auch die Vorrechte irgend einer Beamtenklasse und des Adels oder der Priester! Ja, unser Redner spricht unverhohlen aus, daß die Vorrechte der Land stände in dem Maße abnehmen, als die Rechte der Provinz zunehmen. 35 „Ebenso wünschenswerth es ihm erscheine, daß hierin der Versammlung Freiheit der Diskussion Statt fände und ein ängstliches Abwägen der Worte vermieden würde, ebenso nothwendig erscheine es ihm zur Erhaltung dieser Freiheit des Wortes und dieser Unbefangenheit der Rede, daß unsere Worte zur Zeit nur noch von denjenigen beurtheilt würden, für 40 die sie bestimmt seien." Eben weil die Freiheit der Diskussion, schließt der Redner, in unserer 135 Publizistische Arbeiten Versammlung wünschenswerth ist, u nd welche Freiheiten wären uns nicht wünschenswerth, wo es sich von uns handelt — eben darum ist die Freiheit der Diskussion in der Provinz höchst unwünschenswerth. Weil es wün schenswerth ist, daß wir unbefangen sprechen, ist es noch W ü n s c h e n s werther, die Provinz in der Gefangenschaft des Geheimnisses zu erhalten. Unsere Worte sind nicht für die Provinz bestimmt. 5 Man muß den Takt anerkennen, womit der Redner herausgefühlt hat, daß der Landtag durch die unverkürzte Publication seiner Debatten aus einem Vorrecht der Landstände ein Recht der Provinz würde, daß er, unmittelbar Gegenstand des öffentlichen Geistes geworden, sich ent- 10 schließen müßte, eine Vergegenständlichung des öffentlichen Geistes zu sein, daß er in das Licht des allgemeinen Bewußtseins gestellt, sein besondres Wesen gegen das allgemeine aufzugeben hätte. Wenn aber der ritterliche Redner persönliche Privilegien, individuelle, dem Volke und der Regierung gegenüberstehende Freiheiten für die all- 15 gemeinen Rechte versieht, und damit unstreitig den exklusiven Geist seines Standes treffend ausgesprochen hat, so interpretirt er dagegen den Geist der Provinz auf's Allerverkehrteste, wenn er nun ebenfalls ihre all gemeinen Forderungen in persönliche Gelüste umwandelt. So scheint der Redner eine persönlichlüsterne Neugier der Provinz auf 20 unsere Worte (sc. der landständischen Persönlichkeiten) zu unterstellen. Wir versichern ihn, daß die Provinz keineswegs neugierig ist auf „die Worte" der Landstände als einzelner Personen, und nur „solche" Worte können sie mit Recht „ihre" Worte nennen. Vielmehr verlangt die Provinz, daß die Worte der Landstände sich verwandeln sollen in die öffentlich 25 vernehmbare Stimme des Landes. Es handelt sich davon, ob die Provinz ein Bewußtsein über ihre Ver tretung haben soll oder nicht! Soll zu dem Mysterium der Regierung das neue Mysterium der Vertretung hinzukommen? Auch in der Regierung ist das Volk vertreten. Die neue Vertretung desselben durch die Stände 30 ist also rein sinnlos, wenn nicht eben darin ihr spezifischer Charakter besteht, daß hier nicht für die Provinz gehandelt wird, sondern daß sie vielmehr selbst handelt; daß sie hier nicht repräsentirt wird, sondern viel mehr sich selbst repräsentirt. Eine Repräsentation, die dem Bewußtsein ihrer Committenten entzogen ist, ist keine. Was ich nicht weiß, macht mich 35 nicht heiß. Es ist der sinnlose Widerspruch, daß die Funktion des Staats, die vorzugsweise die Selbstthätigkeit der einzelnen Provinzen darstellt, sogar ihrem formellen Mitwirken, dem Mitwissen entzogen ist, der sinnlose Widerspruch, daß meine Selbstthätigkeit die mir unbewußte That eines andern sein soll. 40 Eine Publikation der Landtagsverhandlungen aber, die der Willkühr der tj J 136 Debatten über Preßfreiheit Landstände anheim gefallen ist, ist schlechter, als gar keine, denn wenn der Landtag mir giebt, nicht, was er ist, sondern was er für mich scheinen will, so nehme ich ihn als das, als was er sich giebt, als Schein und es ist schlimm, wenn der Schein gesetzliche Existenz hat. 5 Ja selbst die tägliche unverkürzte Veröffentlichung durch den Druck, heißt sie mit Recht unverkürzt und öffentlich? Ist es keine Verkürzung, die Schrift dem Wort, Schemata den Personen, die papierne Action der wirklichen Action zu substituiren? Oder besteht die Oeffentlichkeit nur darin, daß die wirkliche Sache dem Publikum referirt, und nicht vielmehr 10 darin, daß sie dem wirklichen Publikum referirt wird, d.h. nicht dem imaginairen, lesenden, sondern dem lebendigen gegenwärtigen Publikum? Nichts ist widersprechender, als daß die höchste öffentliche Action der Provinz geheim sei, daß die Gerichtsthüre zu Privatprocessen der Provinz offen steht und daß sie in ihrem eignen Processe vor der Thür 15 stehen bleiben muß. Die unverkürzte Publication der Landtagsverhandlungen kann daher in ihrem wahren consequenten Sinn nichts anders sein als die volle Oeffentlichkeit des Landtags. Unser Redner geht im Gegentheil dahin fort, den Landtag als eine Art 20 Estaminet zu betrachten. „Auf eine langjährige Bekanntschaft sei bei den meisten von uns das gute persönliche Einvernehmen gegründet, in welchem wir uns trotz der verschiedensten Ansichten über die Sachen befänden, ein Verhältniß, welches sich auf die neu Eintretenden vererbe." 25 „Grade dadurch seien wir am meisten im Stande, den Werth unsrer Worte zu würdigen, und würde dieß um so unbefangener geschehen, je weniger wir äussern Einflüssen eine Einwirkung gestatteten, die nur als dann von Nutzen sein dürften, wenn sie uns in der Gestalt eines wohl meinenden Rathes zur Seite treten, nicht aber in Gestalt eines absprechenden 30 Urtheils, eines Lobes oder Tadels, auf unsere Persönlichkeit durch die Oeffentlichkeit einzuwirken suchen." Der Herr Redner spricht zum Gemüth. Wir sind so familiär zusammen, wir parliren so ungenirt, wir wägen so genau den Werth unsrer respektiven Worte, sollten wir unsre so patriarcha- lische, so vornehme, so bequeme Stellung durch das Urtheil der Provinz alteriren lassen, die unsern Worten vielleicht weniger Werth beimißt? 35 Da sei Gott für. Der Landtag verträgt den Tag nicht. In der Nacht des Privatlebens ist uns heimlicher zu Muthe. Wenn die ganze Provinz das Vertrauen hat, ihre Rechte einzelnen Individuen anzuvertrauen, so versteht 40 es sich von selbst, daß diese einzelnen Individuen so herablassend sind, das Vertrauen der Provinz zu acceptiren, aber es wäre wirkliche Ueber- 137 Publizistische Arbeiten spanntheit, zu verlangen, sie sollten nun Gleiches mit Gleichem vergelten und vertrauensvoll sich selbst, ihre Leistungen, ihre Persönlichkeiten, dem Urtheil der Provinz hingeben, die ihnen erst ein Urtheil von Consequenz gegeben hat. Jedenfalls ist es wichtiger, daß die Persönlichkeit der Land stände nicht durch die Provinz, als daß das Interesse der Provinz nicht durch die Persönlichkeit der Landstände gefährdet werde. 5 Wir wollen auch billig sein, auch huldvollst. Wir, und wir sind eine Art Regierung, wir erlauben zwar kein absprechendes Urtheil, zwar kein Lob, zwar keinen Tadel, wir erlauben der Oeffentlichkeit keiften Einfluß auf unsre persona sacrosancta, aber wir gestatten wohlmeinenden Rath, nicht 10 in dem abstrakten Sinn, daß er es für das Land wohl meine, sondern in dem voller tönenden, daß er eine passionirte Zärtlichkeit für die landständi schen Personen, eine besondere Meinung von ihrer Vorzüglichkeit besitze. Zwar könnte man meinen, wenn die Oeffentlichkeit unserm guten Einvernehmen, so müsse unser gutes Einvernehmen der Oeffentlichkeit 15 schädlich sein. Allein diese Sophistik vergißt, daß der Landtag der Tag der Landstände und nicht der Tag der Provinz ist. Und wer vermöchte dem schlagendsten aller Argumente zu widerstehen? Wenn die Provinz ihre allgemeine Intelligenz zu verfassungsmässig Stände ernennt, um repräsentiren, so hat sie sich selbst eben damit alles eignen Urtheils 20 und Verstandes völlig begeben, die nun einzig in den Auserwählten inkor- porirt sind. Wie Sagen gehen, daß große Erfinder getödtet, oder, was keine Sage ist, lebendig auf Festungen vergraben wurden, sobald sie ihr Ge- heimniß dem Machthaber mitgetheilt, so stürzt sich die politische Vernunft der Provinz jedesmal in's eigne Schwerdt, sobald sie die große Erfindung 25 der Landstände gemacht hat, allerdings um als Phönix für die folgenden Wahlen neu zu erstehen. Nach diesen gemüthvoll zudringlichen Schilderungen der Gefahren, die den landständischen Persönlichkeiten durch die Publikation der Verhand lungen von aussen, d.h. von der Provinz drohen, schließt der Redner 30 diese Diatribe mit dem leitenden Gedanken, den wir bisher verfolgt haben. „Die parlamentarische Freiheit", ein sehr wohlklingendes Wort, „befinde sich in ihrer ersten Entwicklungsperiode. Sie müsse unter Schutz und Pflege diejenige innere Kraft und Selbstständigkeit gewinnen, die durchaus nothwendig wären, bevor sie äusseren Stürmen ohne Nachtheil Preis ge- 35 geben werden könnte." Wieder der alte fatale Gegensatz des Landtags als des innern, und der Provinz als des äussern. Wir waren allerdings schon lange der Meinung, daß die parlamentarische Freiheit erst im Anfang ihres Anfanges steht und selbst vorliegende Rede hat uns von Neuem überzeugt, daß die primitiae studiorum in den politicis 40 noch immer nicht absolvirt sind. Keineswegs aber meinen wir damit — und 138 Debatten über Preßfreiheit 5 Geständniß herrscht eine die vorliegende Rede bestätigt wiederum unsre Meinung, daß dem Landtag noch längere Frist zu geben sei, sich selbstständig zu verknöchern, gegen die Provinz. Vielleicht versteht der Redner unter parlamentarischer Frei heit die Freiheit der alten französischen Parlamente. Nach seinem eignen langjährige Bekanntschaft unter den Land ständen, ihr Geist geht schon als epidemisches Erbe auf die homines novi über und noch immer nicht Zeit zur Oeffentlichkeit? Der 12te Landtag kann dieselbe Antwort geben, wie der 6te, nur mit der decidirtern Wen dung, daß er zu selbstständig sei, um sich das vornehme Privilegium des 10 geheimen Verfahrens entreißen zu lassen. Allerdings die Entwicklung der parlamentarischen Freiheit im altfran zösischen Sinn, die Selbstständigkeit gegen die öffentliche Meinung, die Stagnation des Kastengeistes entwickelt sich durch Isolirung am gründ lichsten, aber vor eben dieser Entwicklung kann man nicht zeitig genug 15 warnen. Eine wahrhaft politische Versammlung gedeiht nur unter dem großen Protectorat des öffentlichen Geistes, wie das Lebendige nur unter dem Protectorat der freien Luft. Bios „exotische" Pflanzen, Pflanzen, die in ein fremdes Klima versetzt sind, bedürfen Schutz und Pflege des Treibhauses. Betrachtet der Redner den Landtag als eine „exotische" 20 Pflanze im freien heitern Klima der Rheinprovinz? Wenn unser Redner aus dem Ritterstande mit fast komischem Ernst, mit fast melancholischer Würde und beinah religiösem Pathos das Postulat von der hohen Weisheit der Landstände, wie von ihrer mittelaltrigen Freiheit und Selbstständigkeit entwickelt hat, so wird der Unkundige 25 verwundert sein, ihn in der Frage über Preßfreiheit von der hohen Weisheit des Landtags auf die durchgängige Unweisheit des Menschengeschlechts, von der oben erst empfohlenen Selbstständigkeit und Freiheit privilegirter Stände auf die prinzipielle Unfreiheit und UnSelbstständigkeit der mensch lichen Natur herabsinken zu sehen. Wir sind nicht verwundert, einer der 30 heut zu Tag zahlreichen Gestalten des christlich ritterlichen, modern feudalen, kurz des romantischen Prinzips zu begegnen. Diese Herren, weil sie die Freiheit nicht als natürliche Gabe dem sondern als übernatürliches allgemeinen Sonnenlicht der Vernunft, Geschenk einer besonders günstigen Constellation der Sterne verdanken 35 wollen, weil sie die Freiheit als nur individuelle Eigenschaft gewisser Personen und Stände betrachten, sind consequenter Weise genöthigt, die allgemeine Vernunft und die allgemeine Freiheit unter die schlechten Gesinnungen und Hirngespinste „logisch geordneter Systeme" zu subsu- miren. Um die besondern Freiheiten des Privilegiums zu retten, proscribiren 40 sie die allgemeine Freiheit der menschlichen Natur. Weil aber die böse Brut des neunzehnten Jahrhunderts, und das eigne von diesem Jahrhundert 139 Publizistische Arbeiten inficirte Bewußtsein der modernen Ritter nicht begreiflich finden können, was an sich unbegreiflich, weil begrifflos ist, wie nämlich innere, wesent liche, allgemeine Bestimmungen durch äussere, zufällige, besondere Curiosa mit gewissen menschlichen Individuen verknüpft sein sollten, ohne mit dem Wesen des Menschen, mit der Vernunft überhaupt verknüpft, also allen 5 Individuen gemein zu sein, so nehmen sie nothwendiger Weise ihre Zuflucht zum Wunderbaren und Mystischen. Weil ferner die wirkliche Stellung dieser Herren im modernen Staat keineswegs dem Begriff entspricht, den sie von ihrer Stellung haben, weil sie in einer Welt leben, die jenseits der wirklichen liegt, weil also die Einbildungskraft ihr Kopf und ihr Herz 10 ist, so greifen sie, in der Praxis unbefriedigt, nothwendig zur Theorie, aber zur Theorie des Jenseits, zur Religion, die jedoch in ihren Händen eine polemische von politischen Tendenzen geschwängerte Bitterkeit empfängt und mehr oder weniger bewußt nur der Heiligenmantel für sehr weltliche, aber zugleich sehr phantastische Wünsche wird. 15 So werden wir bei unserm Redner finden, daß er praktischen Forde rungen eine mystisch religiöse Theorie der Einbildung, daß er wirklichen Theorien eine kleinlichkluge, pragmatischpfiffige, aus der oberflächlichsten Praxis geschöpfte Erfahrungsweisheit, daß er dem menschlich Verständigen übermenschliche Heiligkeiten und dem wirklichen Heiligthum der Ideen 20 die Willkühr und den Unglauben niedriger Gesichtspunkte entgegenstellt. Aus der mehr vornehmen, mehr nonchalanten und daher nüchternen Sprache des Redners aus dem Fürstenstand wird jetzt pathetische Ge schraubtheit und phantastisch-überschwängliche Salbung, die früher vor dem reinen Pathos des Privilegiums noch mehr zurücktraten. 25 „Je weniger in Abrede gestellt werden könne, daß die Presse heut zu Tage eine politische Macht sei, um so irriger erscheine ihm die ebenfalls so vielfach verbreitete Ansicht, daß aus dem Kampfe zwischen der guten und bösen Presse Wahrheit und Licht hervorgehen werde, und sich eine größere und wirksamere Verbreitung derselben erwarten Mensch sei im Einzelnen, wie in Masse stets derselbe. Er sei seiner Natur nach unvollkommen und unmündig, und bedürfe der Erziehung, so lange seine Entwicklung daure, die erst mit dem Tode aufhöre. Die Kunst des Erziehens bestehe aber nicht im Bestrafen unerlaubter Handlungen, sondern in der Förderung guter und in dem Fernhalten böser Eindrücke. Von jener 35 menschlichen Unvollkommenheit sei aber unzertrennlich, daß der Sirenen gesang des Bösen auf die Massen mächtig wirke, und wenn nicht als ein absolutes, jedenfalls als ein schwer zu besiegendes Hinderniß der einfachen und nüchternen Stimme der Wahrheit entgegentrete. Während die schlechte Presse nur zu den Leidenschaften der Menschen rede, während ihr kein 40 Mittel zu schlecht sei, wo es darauf ankomme, durch Aufregung der lasse. Der 30 140 Debatten über Preßfreihett ihren Zweck zu erreichen, der da ist möglichste Ver Leidenschaften breitung schlechter Grundsätze und möglichste Förderung schlechter Gesinnungen, während ihr alle Vortheile jener gefährlichsten aller Offen siven zur Seite stehen, für die es objektiv keine Schranken des Rechts und 5 subjectiv keine Gesetze der Sittlichkeit, ja nicht einmal der äusseren Ehre gebe, sei die gute Presse stets nur auf die Defensive beschränkt. Ihre Wirkungen könnten größtentheils nur abwehrend, zurückhaltend und festigend sein, ohne sich bedeutender Fortschritte auf das feindliche Gebiet rühmen zu können. Glück genug, wenn nicht äussere Hindernisse 10 jenes noch erschweren." Wir haben diese Stelle ganz ausgezogen, um ihren etwaigen pathetischen Eindruck auf den Leser nicht zu schwächen. Der Redner hat sich à la hauteur des principes gestellt. Um die Preß freiheit zu bekämpfen muß man die permanente Unmündigkeit des Men- 15 schengeschlechts vertheidigen. Es ist eine ganz tautologische Behauptung, daß, wenn die Unfreiheit das Wesen des Menschen, die Freiheit seinem Wesen widerspricht. Böse Skeptiker könnten so waghalsig sein, dem Redner nicht auf sein Wort zu glauben. Wenn die Unmündigkeit des Menschengeschlechts der mystische Grund 20 gegen die Preßfreiheit ist, so ist jedenfalls die Censur ein höchst verstän diges Mittel gegen die Mündigkeit des Menschengeschlechts. Was sich entwickelt, ist unvollkommen. Die Entwicklung endet erst mit dem Tode. Also bestünde die wahre Consequenz darin, den Menschen todt zu schlagen, um ihn aus diesem Zustand der Unvollkommenheit zu 25 erlösen. So schließt wenigstens der Redner, um die Preßfreiheit todt zu schlagen. Die wahre Erziehung besteht ihm darin, den Menschen sein ganzes Leben durch in der Wiege eingewickelt zu halten, denn sobald der Mensch gehen lernt, lernt er auch fallen, und nur durch Fallen lernt er gehen. Aber wenn wir Alle Wickelkinder bleiben, wer soll uns ein- 30 wickeln? Wenn wir Alle in der Wiege liegen, wer soll uns wiegen? Wenn wir Alle Gefangene sind, wer soll Gefangenwärter sein? Der Mensch ist seiner Natur nach unvollkommen, im Einzelnen wie in Masse. De principiis non est disputandum. Also zugegeben! Was folgt daraus? Die Raisonnements unseres Redners sind unvollkommen, die 35 Regierungen sind unvollkommen, die Landtage sind unvollkommen, die Preßfreiheit ist unvollkommen, jede Sphäre der menschlichen Existenz ist unvollkommen. Soll also eine dieser Sphären wegen dieser Unvoll kommenheit nicht existiren, so hat keine das Recht zu existiren, so hat der Mensch überhaupt nicht das Recht der Existenz. 40 Die principielle Unvollkommenheit des Menschen vorausgesetzt, nun gut, so wissen wir von vorn herein bei allen menschlichen Institutionen, 141 Publizistische Arbeiten daß sie unvollkommen sind; das ist nicht weiter zu berühren, das spricht nicht für, spricht nicht gegen sie, das ist nicht ihr spezifischer Charakter, das ist nicht ihr Unterscheidungsmerkmal. Warum soll gerade die freie Presse unter allen diesen Unvollkommen- heiten vollkommen sein? Warum verlangt ein unvollkommener Landstand eine vollkommene Presse? s Das Unvollkommene bedarf der Erziehung. Ist die Erziehung nicht auch menschlich, daher unvollkommen? Bedarf die Erziehung nicht auch der Erziehung? Wenn nun alles Menschliche seiner Existenz nach unvollkommen ist, 10 sollen wir deßwegen Alles durcheinander werfen, Alles gleich hoch achten, Gutes und Schlechtes, Wahrheit und Lüge? Die wahre Consequenz kann nur darin bestehen, wie ich bei der Betrachtung eines Gemäldes den Standpunkt verlasse, der mir nur Farbenklekse aber keine Farben, wüst durch einander laufende Linien aber keine Zeichnung gibt, so den Stand- 15 punkt zu verlassen, der mir die Welt und die menschlichen Verhältnisse nur in ihrem äußerlichsten Schein zeigt, ihn als unfähig zu erkennen, den Werth der Dinge zu beurtheilen, denn wie könnte mich ein Standpunkt zum Urtheil, zum Unterscheiden befähigen, der über das ganze Universum nur den einen glatten Einfall hat, daß Alles in seiner Existenz unvoll- 20 kommen ist? Dieser Standpunkt selbst ist das Unvollkommenste unter den Unvollkommenheiten, die er rings um sich sieht. Wir müssen also das Maaß des Wesens der innern Idee an die Existenz der Dinge legen und uns um so weniger durch die Instanzen einer einseitigen und trivialen Erfahrung irren lassen, als dieser zu Folge ja alle Erfahrung wegfällt, 25 alles Urtheil aufgehoben ist, alle Kühe schwarz sind. Rheinische Zeitung. Nr. 132, 12. Mai 1842. Beiblatt Von dem Standpunkte der Idee aus versteht es sich von selbst, daß die Preßfreiheit eine ganz andere Berechtigung hat, als die Censur, indem sie selbst eine Gestalt der Idee, der Freiheit, ein positiv Gutes ist, während die Censur eine Gestalt der Unfreiheit, die Polemik einer Weltanschauung 30 des Scheins gegen die Weltanschauung des Wesens, eine nur negative Natur ist. Nein! Nein! Nein! ruft unser Redner dazwischen. Ich tadle nicht die Erscheinung, ich tadle das Wesen. Die Freiheit ist das Verruchte an der Preßfreiheit. Die Freiheit gibt die Möglichkeit des Bösen. Also ist die 35 Freiheit böse. Böse Freiheit! 142 Debatten über Preßfreiheit „Er hat sie erstochen im dunklen Hain, Und den Leib versenket im tiefen Rhein!" Aber: „Dießmal muß ich zu dir reden, Herr und Meister, hör' mich ruhig!" Existirt etwa im Lande der Censur nicht die Preßfreiheit? Die Presse überhaupt ist eine Verwirklichung der menschlichen Freiheit. Wo es also Presse giebt, giebt es Preßfreiheit. Im Lande der Censur hat zwar der Staat keine Preßfreiheit, aber ein Staatsglied hat sie, die Regierung. Abgesehen davon, daß die officiellen Regierungsschriften vollkommene Preßfreiheit haben, übt nicht der Censor täglich eine unbedingte Preßfreiheit aus, wenn auch nicht direkt, so in direkt? Die Schriftsteller sind gleichsam seine Secretaire. Wo der Secretair nicht die Meinung des Prinzipals ausdrückt, streicht dieser das Machwerk. Die Censur schreibt also die Presse. Die Querstriche des Censors sind für die Presse dasselbe, was die graden Linien — die Kuas — der Chinesen für das Denken sind. Die Kuas des Censors sind die Kategorien der Literatur und bekanntlich sind die Kategorien die typischen Seelen des weiteren Inhalts. Die Freiheit ist so sehr das Wesen des Menschen, daß sogar ihre Gegner sie realisiren, indem sie ihre Realität bekämpfen; daß sie als kostbarsten Schmuck sich aneignen wollen, was sie als Schmuck der menschlichen Natur verwarfen. Kein Mensch bekämpft die Freiheit; er bekämpft höchstens die Freiheit der andern. Jede Art der Freiheit hat daher immer existirt, nur einmal als besonderes Vorrecht, das andremal als allgemeines Recht. Die Frage hat jetzt erst einen consequenten Sinn erhalten. Es fragt sich nicht, ob die Preßfreiheit existiren solle, denn sie existirt immer. Es fragt sich, ob die Preßfreiheit das Privilegium einzelner Menschen oder ob sie das Privilegium des menschlichen Geistes ist? Es fragt sich, ob das Unrecht der einen Seite sein soll, was das Recht der andern ist? Es fragt sich, ob die „Freiheit des Geistes" mehr Recht hat als „die Freiheiten gegen den Geist'"? Wenn aber die „freie Presse" und die „Preßfreiheit" als Verwirklichung der „allgemeinen Freiheit" zu verwerfen sind, so sind es Censur und censirle Presse noch mehr als Verwirklichung einer besondern Freiheit, denn wie kann die Art gut sein, wenn die Gattung schlecht ist? Wenn der Redner consequent wäre, so müßte er nicht die freie Presse, sondern die Presse verwerfen. Nach ihm wäre sie erst dann gut, wenn sie kein Produkt der Freiheit, d.h. kein menschliches Produkt wäre. Zur Presse 143 Publizistische Arbeiten überhaupt wären also entweder nur die Thiere oder die Götter berech tigt. Oder sollen wir etwa — der Redner wagt es nicht auszusprechen — gött liche Inspiration in der Regierung und in ihm selbst unterstellen? Wenn eine Privatperson sich göttlicher Inspiration rühmt, so giebt es in unseren Gesellschaften nur einen Redner, der sie amtlich widerlegt, der Irrenarzt. 5 Die englische Geschichte hat aber wohl zur Genüge dargethan, wie die Behauptung der göttlichen Inspiration von oben die Gegenbehauptung der göttlichen Inspiration von unten erzeugt und Karl der Erste stieg auf's 10 Schaffot aus göttlicher Inspiration von unten. Unser Redner aus dem Ritterstande geht zwar dahin fort, wie wir später hören werden, Censur und Preßfreiheit, censirte Presse und freie Presse als zwei Uebel zu schildern, aber er kömmt nicht dazu, die Presse überhaupt als das Uebel zu bekennen. 15 Im Gegentheil! Er theilt die ganze Presse in die „gute" und in die „schlechte"Presse ein. Von der schlechten Presse wird uns das Unglaubliche erzählt, daß die Schlechtigkeit und die möglichste Verbreitung der Schlechtigkeit ihr Zweck sei. Wir übergehen, daß Redner unsrer Leichtgläubigkeit zu viel 20 zutraut, wenn er verlangt, wir sollten auf sein Wort an eine Schlechtigkeit von Profession glauben. Wir erinnern ihn nur an das Axiom, daß alles Menschliche unvollkommen ist. Wird daher nicht auch die schlechte Presse unvollkommen schlecht, also gut und die gute Presse unvollkommen gut, also schlecht sein? 25 Aber der Redner zeigt uns die Kehrseite. Er behauptet, daß die schlechte Presse besser als die gute sei, denn die schlechte befinde sich stets in der Offensive, die gute in der Defensive. Nun hat er uns aber selbst gesagt, daß die Entwicklung des Menschen erst mit dem Tode endet. Er hat allerdings nicht viel damit gesagt, er hat nichts damit gesagt, als daß das 30 Leben mit dem Tode endet. Wenn aber das Leben des Menschen Ent wicklung ist, und die gute Presse stets in der Defensive ist, „sich nur abwehrend, zurückhaltend und festigend" verhält, opponirt sie damit nicht continuirlich gegen die Entwicklung, also gegen das Leben? Entweder ist also diese gute defensive Presse schlecht oder die Entwicklung ist das 35 Schlechte, wodurch denn auch die vorherige Behauptung des Redners, daß der Zweck der „schlechten Presse möglichste Verbreitung schlechter Grundsätze und möglichste Förderung schlechter Gesinnungen" sei, ihre mystische Unglaublichkeit in der rationalen Interpretation verliert; die möglichste Verbreitung von Grundsätzen und die möglichste Förderung der 40 Gesinnung sei das Schlechte an der schlechten Presse. 144 Debatten über Preßfreiheit Das Verhältniß der guten und schlechten Presse wird noch sonderbarer, wenn uns Redner versichert, daß die gute Presse ohnmächtig und die schlechte allmächtig sei; denn die Erstere sei ohne Wirkung auf das Volk während die Letztere unwiderstehlich wirke. Die gute Presse und 5 die ohnmächtige Presse sind dem Redner identisch. Will er nun behaupten, daß das Gute ohnmächtig oder daß das Ohnmächtige gut sei? Er stellt dem Sirenengesang der schlechten Presse die nüchterne Stimme der guten gegenüber. Mit nüchterner Stimme läßt sich doch wohl am besten und effektvollsten singen. Der Redner scheint nur die sinnliche 10 Hitze der Leidenschaft, aber nicht die heiße Leidenschaft der Wahrheit, nicht den siegsgewissen Enthusiasmus der Vernunft, nicht das unwider stehliche Pathos der sittlichen Mächte kennen gelernt zu haben. Unter die Gesinnungen der schlechten Presse subsumirt er „den Stolz, der keine Autorität in Kirche und Staat anerkennt", den „Neid", der die 15 Abschaffung der Aristokratie predigt, und Anderes, worauf wir später eingehen werden. Einstweilen begnügen wir uns mit der Frage, woher der Redner dies Isolirte als das Gute weiß? Wenn die allgemeinen Mächte des Lebens schlecht sind, und wir haben gehört, daß das Schlechte das Allmächtige, das auf die Massen Wirkende ist, was und wer ist noch 20 berechtigt, sich für gut auszugeben? Es ist dies die hochmüthige Be hauptung: Meine Individualität ist das Gute, die paar Existenzen, die meiner Individualität zusagen, sind das Gute, und die böse schlechte Presse will das nicht anerkennen. Die schlechte Presse! 25 Hat der Redner gleich im Beginn den Angriff auf die Preßfreiheit in einen Angriff auf die Freiheit verwandelt, so verwandelt er ihn hier in einen Angriff auf das Gute. Seine Furcht vor dem Schlechten zeigt sich als eine Furcht vor dem Guten. Er fundirt die Censur also auf eine Anerkennung des Schlechten und eine Verkennung des Guten, oder ver achte ich etwa einen Menschen nicht, dem ich vorher sage, daß sein 30 Gegner im Kampfe siegen muß, weil er selbst zwar ein sehr nüchterner Gesell und ein sehr guter Nachbar, aber ein sehr schlechter Held sei, weil er zwar geweihte Waffen trage, aber sie nicht zu führen wisse, weil zwar, ich und er, wir beide, von seiner Vollkommenheit vollkommen überzeugt seien, aber die Welt nie diese Ueberzeugung theilen werde, weil 35 es zwar gut um seine Meinung, aber elend um seine Energie stehe? So sehr nun die Distinktionen des Redners von guter und schlechter Presse alle Widerlegung überflüssig gemacht haben, indem sie sich in ihren eigenen Widersprüchen verschlingen, so dürfen wir doch die Hauptsache nicht außer Acht lassen, daß der Redner die Frage ganz falsch gestellt io hat und das zum Grund macht, was er begründen sollte. Wenn man von zwei Arten der Presse sprechen will, so müssen diese 145 Publizistische Arbeiten Unterschiede aus dem Wesen der Presse selbst, nicht aus Rücksichten, die außerhalb ihrer liegen, genommen sein. Censirte Presse oder freie Presse, eine von beiden, muß die gute oder die schlechte Presse sein. Eben darüber wird ja debattirt, ob die censirte Presse oder die freie Presse gut oder schlecht sind, d. h. ob es dem Wesen der Presse entspricht, 5 eine freie oder unfreie Existenz zu haben. Die schlechte Presse zur Wider legung der freien Presse machen, ist behaupten, daß die freie Presse schlecht, und die censirte gut sei, was eben zu beweisen war. Niedrige Gesinnungen, persönliche Chikanen, Infamien theilt die cen sirte Presse mit der freien Presse. Das bildet also nicht ihren Gattungs- 10 unterschied, daß sie einzelne Produkte von dieser oder jener Art er zeugen; auch im Sumpfe wachsen Blumen. Es handelt sich hier um das Wesen, um den innern Charakter, der censirte Presse und freie Presse scheidet. Die freie Presse, die schlecht ist, entspricht dem Charakter ihres Wesens 15 nicht. Die censirte Presse mit ihrer Heuchelei, ihrer Charakterlosigkeit, ihrer Eunuchensprache, ihrem hündischen Schwanzwedeln verwirklicht nur die innern Bedingungen ihres Wesens. Die censirte Presse bleibt schlecht, auch wenn sie gute Produkte erzeugt, denn diese Produkte sind nur gut, insofern sie die freie Presse innerhalb 20 der censirten darstellen, und insofern es nicht zu ihrem Charakter gehört, Produkte der censirten Presse zu sein. Die freie Presse bleibt gut, auch wenn sie schlechte Produkte erzeugt, denn diese Produkte sind Apostate von der Natur der freien Presse. Ein Kastrat bleibt ein schlechter Mensch, wenn er auch eine gute Stimme hat. Die Natur bleibt gut, wenn sie auch 25 Mißgeburten hervorbringt. Das Wesen der freien Presse ist das charaktervolle, vernünftige, sittliche Wesen der Freiheit. Der Charakter der censirten Presse ist das charakter lose Unwesen der Unfreiheit, sie ist ein civilisirtes Ungeheuer, eine par- fümirte Mißgeburt. 30 Oder bedarf es noch des Beweises, daß die Preßfreiheit dem Wesen der Presse entspricht und die Censur ihm widerspricht? Versteht es sich nicht von selbst, daß die äußere Schranke eines geistigen Lebens nicht zum innern Charakter dieses Lebens gehört, daß sie dieses Leben verneint und nicht bejaht? Um die Censur wirklich zu rechtfertigen, hätte der Redner beweisen müssen, daß die Censur zum Wesen der Preßfreiheit gehört; statt dessen beweist er, daß die Freiheit nicht zum Wesen des Menschen gehört. Er verwirft die ganze Gattung, um eine gute Art zu erhalten, denn die Freiheit ist doch wohl das Gattungswesen des ganzen geistigen Daseins, also auch der Presse? Um die Möglichkeit des Bösen aufzuheben, hebt er die Mög 35 40 146 Debatten über Preßfreiheit lichkeit des Guten auf und verwirklicht das Schlechte, denn menschlich gut kann nur sein, was eine Verwirklichung der Freiheit ist. Wir werden also die censirte Presse so lang für die schlechte Presse halten, als uns nicht bewiesen wird, daß die Censur aus dem Wesen der s Preßfreiheit selbst hervorgeht. Aber selbst angenommen, die Censur sei mit der Natur der Presse zusammengeboren, obgleich kein Thier, viel weniger ein geistiges Wesen, mit Ketten auf die Welt kommt, was folgte daraus? Daß auch die Preß freiheit, wie sie von offizieller Seite existirt, daß auch die Censur der 10 Censur bedürfe. Und wer soll die Regierungspresse censiren außer der Volkspresse? Zwar meint ein anderer Redner, das Uebel der Censur werde dadurch aufgehoben, daß es verdreifacht wird, daß die Censur unter Provinzial- censur und die Provinzialcensur wieder unter Berliner Censur gestellt, 15 und daß die Preßfreiheit einseitig und die Censur vielseitig gemacht würde. So viel Umschweife um zu leben! Wer soll die Berliner Censur censiren? Also zu unserm Redner zurück. Gleich im Anfange hatte er uns dahin belehrt, daß aus dem Kampf zwischen guter und böser Presse kein Licht hervorgehen werde; aber 20 können wir jetzt fragen, will er nicht den nutzlosen Kampf permanent machen? Ist nach ihm selbst der Kampf zwischen Censur und Presse nicht ein Kampf zwischen guter und schlechter Presse? Die Censur hebt den Kampf nicht auf, sie macht ihn einseitig, sie macht aus einem offenen Kampf einen versteckten, sie macht aus einem Kampf 25 der Prinzipien einen Kampf des gewaltlosen Prinzips mit der prinziplosen Gewalt. Die wahre im Wesen der Preßfreiheit selbst gegründete Censur ist die Kritik; sie ist das Gericht, das sie aus sich selbst erzeugt. Die Censur ist die Kritik als Monopol der Regierung; aber verliert die Kritik nicht ihren rationalen Charakter, wenn sie nicht offen, sondern geheim, 30 wenn sie nicht theoretisch, sondern praktisch, wenn sie nicht über den Parteien, sondern selbst eine Partei, wenn sie nicht mit dem scharfen Messer des Verstandes agirt, sondern mit der stumpfen Scheere der Will kühr, wenn sie die Kritik nur ausüben, nicht ertragen will, wenn sie sich verläugnet, indem sie sich giebt, wenn sie endlich so unkritisch ist, ein 35 Individuum für die Universalweisheit, Machtsprüche für Vernunftsprüche, Tintenflecke für Sonnenflecke, die krummen Striche des Censors für mathematische Construktionen, und Schläge für schlagende Argumente zu versehen? Im Verlauf der Darstellung haben wir gezeigt, wie die phantastische, 40 salbungsvolle, weichherzige Mystik des Redners in die Hartherzigkeit einer kleinlich-pfiffigen Verstandespragmatik und in die Bornirtheit eines 147 Publizistische Arbeiten ideenlosen Erfahrungscalkul umschlägt. In seinem Raisonnement über das Verhältniß von Censurgesetz und Preßgesetz, Präventiv- und Repres- sivmaaßregeln überhebt er uns dieser Mühe, indem er selbst zur bewußten Anwendung seiner Mystik fortgeht. 5 „Präventiv- oder Repressivmaaßregeln, Censur oder Preßgesetz, das sei es, worum es sich allein handle, wobei es jedoch nicht unzweck mässig wäre, die Gefahren etwas näher ins Auge zu fassen, welche auf der einen oder auf der andern Seite beseitigt werden müßten. Während die Censur dem Uebel vorbeugen wolle, wolle das Preßgesetz die Meder- holung durch Strafe verhüten. Unvollkommen, wie jede menschliche Ein- 10 richtung würden beide bleiben; welche am wenigsten, das sei hier die Frage. Da es sich um rein geistige Dinge handele, so würde eine Aufgabe und zwar die wichtigste bei beiden nie zu lösen sein. Es sei die, eine Form zu finden, welche die Absicht des Gesetzgebers so klar und bestimmt ausdrücke, daß Recht und Unrecht scharf getrennt und jede Willkühr 15 beseitigt erscheine. Was ist aber M//ArüÄranders als Handeln nach individuel ler Auffassung? Und wie sind die Wirkungen individueller Auffassungen zu beseitigen, da wo es sich um rein geistige Dinge handelt? Eine Richt schnur zu finden, so scharf gezeichnet, daß sie die Nothwendigkeit in sich trage, sie in jedem einzelnen Falle im Sinne des Gesetzgebers anwenden 20 zu müssen, das sei der Stein der Weisen, der bis dahin nicht gefunden wurde und auch schwerlich zu finden sein dürfte; und somit sei die Willkühr, wenn man das Handeln nach individueller Auffassung hierunter verstehe, von Censur wie von Preßgesetz unzertrennlich. Wir hätten also beide in ihrer nothwendigen Unvollkommenheit und in deren Folgen zu 25 betrachten. Wenn die Censur manches Gute unterdrücken werde, so werde das Preßgesetz vieles Böse zu verhindern nicht im Stande sein. Doch die Wahrheit lasse sich auf die Dauer nicht unterdrücken. Je mehr Hindernisse ihr in den Weg gelegt würden, um desto kühner verfolge sie ihr Ziel, um desto geläuterter erreiche sie dasselbe. Aber das böse Wort gleiche 30 dem griechischen Feuer, unaufhaltbar, nachdem es das Wurfgeschoß ver lassen, unberechenbar in seinen Wirkungen, weil ihm nichts heilig und unauslöschlich, weil es in dem Munde, wie in dem Herzen der Menschen Nahrung und Fortpflanzung fände." { ! J Der Redner ist nicht glücklich in seinen Vergleichen. Eine poetische 35 ; Exaltation überfällt ihn, sobald er die Allmacht des Bösen schildert. Schon i einmal hörten wir dem Sirenengesang des Bösen die Stimme des Guten '} \ machtlos, weil nüchtern, entgegen schallen. Nun wird das Böse gar zum griechischen Feuer, während der Redner für die Wahrheit gar keinen Ver- ·} ' gleich hat und fassen wir für ihn seine „nüchternen" Worte in einen 40 'f Vergleich, so wäre die Wahrheit zum höchsten der Kieselstein, der um 148 & J 1 r Debatten über Preßfreiheit so lichtere Funken sprüht, je mehr man ihn schlägt. Ein schönes Argument für die Sclavenhändler, aus dem Neger die Menschheit heraus zu peitschen, eine treffliche Maxime für den Gesetzgeber, Repressivgesetze gegen die Wahrheit zu geben, damit sie desto kühner ihr Ziel verfolge. Der Redner 5 scheint erst Respekt vor der Wahrheit zu haben, sobald sie naturwüchsig wird und sich handgreiflich demonstrirt.Je mehr Dämme Ihr der Wahrheit entgegen werft, eine um so tüchtigere Wahrheit erhaltet Ihr! Immer zu gedämmt! Doch lassen wir die Sirenen singen! 10 Die mystische „ Unvollkommenheitstheorie"des Redners hat endlich ihre irdischen Früchte getragen; sie hat ihre Mondsteine uns an den Kopf geworfen; betrachten wir -die Mondsteine! Alles ist unvollkommen. Censur ist unvollkommen, Preßgesetz ist un vollkommen. Ihr Wesen ist damit erkannt, über das Recht ihrer Idee ist 15 nichts weiter zu sagen, uns bleibt nichts übrig, als vom Standpunkt der allerniedrigsten Empirie aus einen Wahrscheinlichkeitscalkül anzustellen, auf welcher Seite die meisten Gefahren sind. Es ist ein rein zeitlicher Unterschied, ob Maßregeln dem Uebel selbst durch die Censur, oder der Wiederholung des Uebels durch das Preßgesetz vorbeugen. 20 Man sieht, wie der Redner durch die hohle Phrase von der „mensch lichen Unvollkommenheit" den wesentlichen, inneren, charakteristischen Unterschied von Censur und Preßgesetz zu umgehen und die Controverse aus einer Prinzipienfrage in die Jahrmarktsfrage umzuwandeln weiß, ob mehr blaue Nasen bei dem Censur- oder bei dem Preßgesetz davonzutragen 25 sind? Wenn aber Preßgesetz und Censurgesetz entgegengestellt werden, so handelt es sich zunächst nicht um ihre Consequenzen, sondern um ihren Grund, nicht um ihre individuelle Anwendung, sondern um ihr allgemeines Recht. Montesquieu lehrt schon, daß die Despotie in der Anwendung 30 bequemer sei, als die Gesetzlichkeit und Macchiavelli behauptet, daß das Schlechte für die Fürsten von besseren Consequenzen sei, als das Gute. Wenn wir daher nicht das alte jesuitische Sprüchlein bewahrheiten wollen, daß der gute Zweck — und selbst die Güte des Zwecks bezweiflen wir — schlechte Mittel heiligt, so haben wir vor Allem zu untersuchen, ob die 35 Censur ihrem Wesen nach ein gutes Mittel sei. Der Redner hat Recht, wenn er das Censurgesetz eine Präventivmaß regel nannte, sie ist eine Vorsichtsmaßregel der Polizei gegen die Freiheit, aber er hat Unrecht, wenn er das Preßgesetz eine Repressivmaßregel nennt. Sie ist die Regel der Freiheit selbst, die sich zum Maaß ihrer Aus- 40 nahmen macht. Die Censurmaßregel ist kein Gesetz. Das. Preßgesetz ist keine Maßregel. 149 Publizistische Arbeiten Im Preßgesetz straft die Freiheit. Im Censurgesetz wird die Freiheit bestraft. Das Censurgesetz ist ein Verdachtsgesetz gegen die Freiheit. Das Preßgesetz ist ein Vertrauensvotum, das die Freiheit sich selbst giebt. Das Preßgesetz bestraft den Mißbrauch der Freiheit. Das Censurgesetz bestraft die Freiheit als einen Mißbrauch. Es behandelt die Freiheit als eine 5 Verbrecherin oder gilt es nicht in jeder Sphäre für Ehrenstrafe unter polizeilicher Aufsicht zu stehen? Das Censurgesetz hat nur die Form eines Gesetzes. Das Preßgesetz ist ein wirkliches Gesetz. Das Preßgesetz ist wirkliches Gesetz, weil es positives Dasein der Freiheit ist. Es betrachtet die Freiheit als den normalen Zustand der Presse, 10 die Presse als ein Dasein der Freiheit, und tritt daher erst in Conflikt mit dem Preßvergehen, als einer Ausnahme, die ihre eigne Regel bekämpft und sich daher aufhebt. Die Preßfreiheit setzt sich als Preßgesetz durch, gegen die Attentate auf sich selbst, d.h. gegen die Preßvergehen. Das Preßgesetz erklärt die Freiheit für die Natur des Verbrechers. Was er also 15 gegen die Freiheit gethan, hat er gegen sich selbst gethan und diese Selbstverletzung erscheint ihm als Strafe, die ihm eine Anerkennung seiner Freiheit ist. Weit entfernt also, daß das Preßgesetz eine Repressivmaßregel gegen die Preßfreiheit wäre, ein bloses Mittel, um vor der Wiederholung des 20 Verbrechens durch die Strafe abzuschrecken, so müßte vielmehr der Mangel einer Preßgesetzgebung als die Ausschließung der Preßfreiheit aus der Sphäre der rechtlichen Freiheit betrachtet werden, denn die rechtlich anerkannte Freiheit existirt im Staate als Gesetz. Gesetze sind keine Repressivmaßregeln gegen die Freiheit, so wenig wie das Gesetz der 25 Schwere eine Repressivmaßregel gegen die Bewegung ist, weil es zwar als Gravitationsgesetz die ewigen Bewegungen der Weltkörper treibt, aber als Gesetz des Falls mich erschlägt, wenn ich es verletze und in der Luft tanzen will. Die Gesetze sind vielmehr die positiven, lichten, all gemeinen Normen, in denen die Freiheit ein unpersönliches, theoretisches, 30 von der Willkühr des Einzelnen unabhängiges Dasein gewonnen hat. Ein Gesetzbuch ist die Freiheitsbibel eines Volkes. Das Preßgesetz ist also die gesetzliche Anerkennung der Preßfreiheit. Es ist Recht, weil es positives Dasein der Freiheit ist. Es muß daher vor handen sein, und wenn es nie zur Anwendung kommt, wie in Nordamerika, 35 während die Censur, so wenig wie die Sklaverei, jemals gesetzlich werden kann und wenn sie tausendmal als Gesetz vorhanden wäre. Es gibt keine aktuellen Präventivgesetze. Das Gesetz prävenirt nur als Gebot. Thätiges Gesetz wird es erst, sobald es übertreten wird, denn wahres Gesetz ist es nur, wenn in ihm das bewußtlose Naturgesetz der 40 Freiheit bewußtes Staatsgesetz geworden ist. Wo das Gesetz wirkliches 150 Debatten über Preßfreiheit Gesetz, d.h. Dasein der Freiheit ist, ist es das wirkliche Freiheitsdasein des Menschen. Die Gesetze können also den Handlungen des Menschen nicht präveniren, denn sie sind ja die innern Lebensgesetze seines Han delns selbst, die bewußten Spiegelbilder seines Lebens. Das Gesetz tritt 5 also vor dem Leben des Menschen, als einem Leben der Freiheit, zurück, und erst, wenn seine wirkliche Handlung gezeigt hat, daß er aufgehört, dem Naturgesetz der Freiheit zu gehorchen, zwingt es ihn als Staatsgesetz, frei zu sein, wie die physischen Gesetze nur dann erst als ein Fremdes gegenübertreten, wenn mein Leben aufgehört hat, das Leben dieser Gesetze 10 zu sein, wenn es erkrankt ist. Ein Präventivgesetz ist also ein sinnloser Widerspruch. Das Präventivgesetz hat daher kein Maaß in sich, keine vernünftige Regel, denn die vernünftige Regel kann nur aus der Natur der Sache, hier der Freiheit, genommen sein. Es ist maaßlos, denn wenn die Prävention 15 der Freiheit sich durchsetzen will, so muß sie so groß sein, wie ihr Gegen stand, d.h. unbeschränkt. Das Präventivgesetz ist also der Widerspruch einer unbeschränkten Beschränkung, und wo es aufhört, ist nicht durch die Nothwendigkeit, sondern durch den Zufall der Willkühr die Grenze gesetzt, wie die Censur täglich ad oculos demonstrirt. 20 Der menschliche Leib ist von Natur sterblich. Krankheiten können daher nicht ausbleiben. Warum wird der Mensch erst dem Arzt unter worfen, wenn er erkrankt, und nicht, wenn er gesund ist? Weil nicht nur die Krankheit, weil schon der Arzt ein Uebel ist. Durch eine ärztliche Curatel wäre das Leben als ein Uebel und der menschliche Leib als Objekt 25 der Behandlung für Medizinal-Kollegien anerkannt. Ist der Tod nicht wünschenswerther, als ein Leben, das bloße Präventivmaßregel gegen den Tod? Gehört freie Bewegung nicht auch zum Leben? Was ist jede Krank heit als in seiner Freiheit gehemmtes Leben? Ein perpetuirlicher Arzt wäre eine Krankheit, an der man nicht einmal die Aussicht hätte, zu 30 sterben, sondern zu leben. Mag das Leben sterben; der Tod darf nicht leben. Hat der Geist nicht mehr Recht, als der Körper? Allerdings hat man dies oft dahin interpretirt, daß den Geistern von freier Motion die körperliche Motion sogar schädlich, und daher zu entziehen sei. Die Censur geht davon aus, die Krankheit als den normalen Zustand, oder den normalen 35 Zustand, die Freiheit, als eine Krankheit zu betrachten. Sie versichert der Presse beständig, daß sie krank sei, und mag diese die besten Proben ihrer gesunden Leibeskonstitution geben, sie muß sich behandeln lassen. Aber die Censur ist nicht einmal ein literater Arzt, der je nach der Krank heit verschiedene innere Mittel anwendet. Sie ist ein Chirurg vom Lande, 40 der nur ein mechanisches Universalmittel für Alles kennt, die Scheere. Und sie ist nicht einmal ein Chirurg, der meine Gesundheit bezweckt, 151 Publizistische Arbeiten sie ist ein chirurgischer Aesthetiker, der Alles für überflüssig an meinem Körper hält, was ihm nicht gefällt, und abrasirt, was ihn widrig afficirt; sie ist ein Quacksalber, der den Ausschlag zurücktreibt, um ihn nicht zu sehen, ohne Sorge, ob er sich nun auf die edlern innern Theile wirft. Ihr haltet es für Unrecht, Vögel einzufangen. Ist der Käfig nicht eine Präventivmaßregel gegen Raubvögel, Kugeln und Stürme? Ihr haltet es für barbarisch, Nachtigallen zu blenden, und euch dünkt keine Barbarei, mit spitzen Censurfedern der Presse die Augen auszustechen? Ihr haltet es für despotisch, einem freien Menschen wider Willen die Haare zu schneiden und die Censur schneidet den geistigen Individuen täglich in's Fleisch und nur herzlose Körper, Körper ohne Reaktion, devote Körper läßt sie als gesunde passiren! Rheinische Zeitung. Nr. 135, 15. Mai 1842. Beiblatt Wir haben gezeigt, wie das Preßgesetz ein Recht und das Censurgesetz ein Unrecht ist. Die Censur gesteht aber selbst, daß sie kein Selbstzweck, daß sie nichts an und für sich Gutes sei, daß sie also auf dem Prinzip beruht: „Der Zweck heiligt die Mittel." Aber ein Zweck, der unheiliger Mittel bedarf, ist kein heiliger Zweck, und könnte nicht auch die Presse den Grundsatz adoptiren und pochen: „Der Zweck heiligt die Mittel"? Das Censurgesetz ist also kein Gesetz, sondern eine Polizeimaaßregel, aber sie ist selbst eine schlechte Polizeimaaßregel, denn sie erreicht nicht, was sie will, und sie will nicht, was sie erreicht. Will das Censurgesetz der Freiheit als einem Mißliebigen präveniren, so erfolgt gerade das Gegentheil. Im Lande der Censur ist jede verbotene, d. h. ohne Censur gedruckte Schrift eine Begebenheit. Sie gilt als Märtyrer und kein Märtyrer ohne Heiligenschein und ohne Gläubige. Sie gilt als Ausnahme, und wenn die Freiheit nie aufhören kann, dem Menschen werth zu sein, um so mehr die Ausnahme von der allgemeinen Unfreiheit. Jedes Mysterium besticht. Wo die öffentliche Meinung sich selbst ein Mysterium ist, ist sie von vorn herein bestochen durch jede Schrift, die formell die mystischen Schranken durchbricht. Die Censur macht jede ver botene Schrift, sei sie schlecht oder gut, zu einer außerordentlichen Schrift, während die Preßfreiheit jeder Schrift das materiell Imposante raubt. Meint es aber die Censur ehrlich, so will sie die Willkühr verhüten und macht die Willkühr zum Gesetz. Sie kann keiner Gefahr vorbeugen, die größer wäre als sie selbst. Die Lebensgefahr für jedes Wesen besteht darin, sich selbst zu verlieren. Die Unfreiheit ist daher die eigentliche Todesgefahr für den Menschen. Einstweilen, von den sittlichen Consequen- 152 Debatten über Preßfreiheit zen abgesehen, so bedenkt, daß ihr die Vorzüge der freien Presse nicht genießen könnt, ohne ihre Unbequemlichkeiten zu toleriren. Ihr könnt die Rose nicht pflücken ohne ihre Dornen! Und was verliert ihr an der freien Presse? 5 Die freie Presse ist das überall offene Auge des Volksgeistes, das verkörperte Vertrauen eines Volkes zu sich selbst, das sprechende Band, das den Einzelnen mit dem Staat und der Welt verknüpft, die inkorporirte Kultur, welche die materiellen Kämpfe zu geistigen Kämpfen verklärt und ihre rohe stoffliche Gestalt idealisirt. Sie ist die rücksichtslose Beichte 10 eines Volks vor sich selbst, und bekanntlich ist die Kraft des Bekennt nisses erlösend. Sie ist der geistige Spiegel, in dem ein Volk sich selbst erblickt, und Selbstbeschauung ist die erste Bedingung der Weisheit. Sie ist der Staatsgeist, der sich in jede Hütte kolportiren läßt, wohlfeiler als materielles Gas. Sie ist allseitig, allgegenwärtig, allwissend. Sie ist die ideale Welt, die stets aus der wirklichen quillt und ein immer reicherer Geist neu beseelend in sie zurückströmt. 15 Der Verlauf der Darstellung hat gezeigt, daß Censur und Preßgesetz verschieden sind, wie Willkühr und Freiheit, wie formelles Gesetz und wirkliches Gesetz. Was aber vom Wesen gilt, gilt auch von der Erscheinung. 20 Was vom Recht beider gilt, das gilt von ihrer Anwendung. So verschieden Preßgesetz und Censurgesetz, so verschieden ist die Stellung des Richters zur Presse und die Stellung des Censors. Unser Redner allerdings, dessen Augen zum Himmel gerichtet sind, sieht tief unter sich die Erde als einen verächtlichen Staubhügel, und so 25 weiß er von allen Blumen nichts zu sagen, als daß sie bestaubt sind. So sieht er auch hier nur zwei Maaßregeln, die in ihrer Anwendung gleich willkührlich sind, denn Willkühr sei Handeln nach individueller Auffassung, individuelle Auffassung sei von geistigen Dingen nicht zu trennen etc. etc. Wenn die Auffassung geistiger Dinge individuell ist, welches Recht hat eine 30 geistige Ansicht vor der andern, die Meinung des Censors vor der Meinung des Schriftstellers? Aber wir verstehen den Redner. Er macht den denk würdigen Umweg, Censur und Preßgesetz beide in ihrer Anwendung als rechtlos zu schildern, um das Recht der Censur zu beweisen, denn da er alles Weltliche als unvollkommen weiß, so bleibt ihm nur die eine Frage, 35 ob die Willkühr auf Seite des Volks oder auf Seite der Regierung stehen soll. Seine Mystik schlägt in die Libertinage um, Gesetz und Willkühr auf eine Stufe zu stellen und nur formellen Unterschied zu sehen, wo es sich um sittliche und rechtliche Gegensätze handelt, denn er polemisirt nicht 40 gegen das Preßgesetz, er polemisirt gegen das Gesetz. Oder giebt es irgend ein Gesetz, das die Nothwendigkeit in sich trägt, daß es in jedem einzelnen 153 Publizistische Arbeiten Fall im Sinne des Gesetzgebers angewendet werden muß und jede Will kühr absolut ausgeschlossen ist? Es gehört eine unglaubliche Kühnheit dazu, eine solche sinnlose Aufgabe den Stein der Weisen zu nennen, da nur die extremste Unwissenheit sie stellen kann. Das Gesetz ist all gemein. Der Fall, der nach dem Gesetze bestimmt werden soll, ist einzeln. Das Einzelne unter das Allgemeine zu subsumiren, dazu gehört ein Urtheil. Das Urtheil ist problematisch. Auch der Richter gehört zum Gesetz. Wenn die Gesetze sich selbst anwendeten, dann wären die Gerichte überflüssig. Aber alles Menschliche ist unvollkommen! Also: Edite, bibite! Warum verlangt ihr Richter, da Richter Menschen sind? Warum verlangt ihr 10 Gesetze, da Gesetze nur von Menschen exekutirt werden können und alle menschliche Exekution unvollkommen ist? Ueberlaßt euch doch dem guten Willen der Vorgesetzten! Die rheinische Justiz ist unvollkommen, wie die türkische! Also: Edite, bibite! 5 15 Welch ein Unterschied zwischen einem Richter und einem Censor! Der Censor hat kein Gesetz, als seinen Vorgesetzten. Der Richter hat keinen Vorgesetzten, als das Gesetz. Aber der Richter hat die Pflicht, das Gesetz für die Anwendung des einzelnen Falles zu interpretiren, wie er es nach gewissenhafter Prüfung versteht; der Censor hat die Pflicht, das Gesetz zu verstehen, wie es ihm für den einzelnen Fall offiziell interpretirt 20 wird. Der unabhängige Richter gehört weder mir, noch der Regierung. Der abhängige Censor ist selbst Regierungsglied. Bei dem Richter tritt höchstens die Unzuverlässigkeit einer einzelnen Vernunft, bei dem Censor die Unzuverlässigkeit eines einzelnen Charakters ein. Vor den Richter wird ein bestimmtes Preßvergehen, vor den Censor wird der Geist der Presse 25 gestellt. Der Richter beurtheilt meine That nach einem bestimmten Gesetz; der Censor bestraft nicht allein die Verbrechen, er macht sie auch. Wenn ich vor Gericht gestellt werde, so klagt man mich der Uebertretung eines vorhandenen Gesetzes an, und wo ein Gesetz verletzt werden soll, muß es doch vorhanden sein. Wo kein Preßgesetz vorhanden ist, kann kein 30 Gesetz von der Presse verletzt werden. Die Censur klagt mich nicht der Verletzung eines vorhandenen Gesetzes an. Sie verurtheilt meine Meinung, weil sie nicht die Meinung des Censors und seiner Vorgesetzten ist. Meine offene That, die sich der Welt und ihrem Urtheil, dem Staat und seinem Gesetz preisgeben will, wird gerichtet von einer versteckten, nur negativen 35 Macht, die sich nicht als Gesetz zu konstituiren weiß, die das Licht des Tages scheut, die an keine allgemeinen Prinzipien gebunden ist. Ein Censurgesetz ist eine Unmöglichkeit, weil es nicht Vergehen, sondern Meinungen strafen will, weil es nichts anders sein kann, als der formulirte Censor, weil kein Staat den Muth hat, in gesetzlichen allgemeinen Bestim- 40 mungen auszusprechen, was er durch das Organ des Censors faktisch 154 Debatten über Preßfreiheit ausüben kann. Darum wird auch die Handhabung der Censur nicht den Gerichten, sondern der Polizei überwiesen. Selbst wenn die Censur faktisch dasselbe wäre, als die Justiz, so bleibt dies erstens ein Faktum, ohne eine Nothwendigkeit zu sein. Dann aber 5 gehört zur Freiheit nicht nur was, sondern eben so sehr, wie ich lebe, nicht nur, daß ich das Freie thue, sondern auch, daß ich es frei thue. Was unterschiede sonst den Baumeister vom Biber, wenn nicht, daß der Biber ein Baumeister mit einem Fell, und der Baumeister ein Biber ohne Fell wäre? 10 Unser Redner kömmt zum Ueberfluß noch einmal auf die Wirkungen der Preßfreiheit in den Ländern, wo sie wirklich existirt, zurück. Da wir dies Thema schon weitläufig abgesungen, so berühren wir hier nur noch die französische Presse. Abgesehen davon, daß die Mängel der französischen Presse die Mängel der französischen Nation sind, so finden wir das Uebel 15 nicht, wo der Redner es sucht. Die französische Presse ist nicht zu frei; sie ist nicht frei genug. Sie unterliegt zwar keiner geistigen Censur, aber sie unterliegt einer materiellen Censur, den hohen Geldkautionen. Sie wirkt daher materiell, eben W e il sie aus ihrer wahren Sphäre in die Sphäre der großen Handelsspekulationen hineingezogen wird. Zudem gehören zu 20 großen Handelsspekulationen große Städte. Die französische Presse con- centrirt sich daher auf wenige Punkte, und wenn die materielle Kraft, auf wenig Punkte Concentrin, dämonisch wirkt, wie nicht die geistige? Wenn ihr aber durchaus die Preßfreiheit nicht nach ihrer Idee, sondern nach ihrer historischen Existenz beurtheilen wollt, warum sucht ihr sie nicht 25 da auf, wo sie historisch existirt? Die Naturforscher suchen durch Experi mente ein Naturphänomen in seinen reinsten Bedingungen darzustellen. Ihr bedürft keiner Experimente. Ihr findet das Naturphänomen der Preß freiheit in Nordamerika in seinen reinsten, naturgemäßesten Formen. Wenn aber Nordamerika große historische Grundlagen der Preßfreiheit hat, 30 so hat Deutschland noch größere. Die Literatur und die damit verwachsene geistige Bildung eines Volks sind doch wohl nicht nur die direkten histori schen Grundlagen der Presse, sondern ihre Historie selbst. Und welches Volk in der Welt kann sich dieser unmittelbarsten historischen Grundlagen der Preßfreiheit rühmen, wie das deutsche Volk? 35 Aber, fällt unser Redner wieder ein, aber wehe um Deutschlands Morali- tät, wenn seine Presse frei würde, denn die Preßfreiheit bewirkt „eine innere Demoralisation, die den Glauben an eine höhere Bestimmung des Menschen und mit ihr die Grundlage wahrer Civilisation zu untergraben suche". io Demoralisirend wirkt die censirte Presse. Das potenzirte Laster, die Heuchelei, ist unzertrennlich von ihr, und aus diesem ihrem Grundlaster 155 Publizistische Arbeiten fließen alle ihre andern Gebrechen, denen sogar die Anlage zur Tugend fehlt, ihre, selbst ästhetisch betrachtet, ekelhaften Laster der Passivität. Die Regierung hört nur ihre eigene Stimme, sie weiß, daß sie nur ihre eigene Stimme hört und fixirt sich dennoch in der Täuschung, die Volks stimme zu hören, und verlangt eben so vom Volke, daß es sich diese Täuschung fixire. Das Volk seinerseits versinkt daher theils in politischen Aberglauben, theils in politischen Unglauben, oder, ganz vom Staatsleben abgewendet, wird es Privatpöbel. 5 Indem die Presse jeden Tag von den Schöpfungen des Regierungswillens rühmt, was Gott selbst erst am sechsten Tag von seiner eigenen Schöpfung 10 sagte: „Und siehe da, es war Alles gut", indem aber nothwendig ein Tag dem andern widerspricht, so lügt die Presse beständig und muß sogar das Bewußtsein der Lüge verläugnen und die Schaam von sich abthun. Indem das Volk freie Schriften als gesetzlos betrachten muß, so gewöhnt es sich, das Gesetzlose als frei, die Freiheit als gesetzlos und das Gesetz- 15 liehe als das Unfreie zu betrachten. So tödtet die Censur den Staatsgeist. Unser Redner aber fürchtet von der Preßfreiheit für die „Privaten". Er bedenkt nicht, daß die Censur ein beständiges Attentat auf die Rechte von Privatpersonen und noch mehr auf Ideen ist. Er geräth in Pathos über gefährdete Persönlichkeiten, und wir sollten nicht in Pathos gerathen 20 über das gefährdete Allgemeine? Wir können unsere Ansicht und seine nicht schärfer scheiden, als wenn wir seinen Definitionen der „schlechten Gesinnungen" unsere entgegen setzen. Schlechte Gesinnung sei „der Stolz, der keine Autorität in Kirche und 25 Staat anerkennt". Und wir sollten es für keine schlechte Gesinnung halten, die Autorität der Vernunft und des Gesetzes nicht anzuerkennen? „Es sei der Neid, welcher die Abschaffung alles Dessen predigt, was der Pöbel Aristokratie nennt", und wir sagen, es ist der Neid, welcher die ewige Aristokratie der menschlichen Natur, die Freiheit, abschaffen will, eine 30 Aristokratie, die selbst der Pöbel nicht bezweifeln kann. „Es sei die hämische Schadenfreude, die sich an Persönlichkeiten, gleichviel, ob Lüge oder Wahrheit, ergötze und die Oeffentlichkeit gebieterisch fordere, damit kein Skandal des Privatlebens verschleiert bleibe." Es ist die hämische Schadenfreude, die Klatschereien und Persönlichkeiten aus dem großen 35 Leben der Völker herausreißt, die Vernunft der Geschichte mißkennt und nur den Skandal der Geschichte dem Publikum predigt, die überhaupt unfähig, das Wesen einer Sache zu beurtheilen, sich an einzelne Seiten der Erscheinung, an Persönlichkeiten hängt und gebieterisch das Mysterium verlangt, damit jeder Schandfleck des öffentlichen Lebens verschleiert 40 bleibe. „Es sei die Unlauterkeit des Herzens und der Phantasie, welche 156 Debatten über Preßfreiheit durch schlüpfrige Bilder gekitzelt sei." Es ist die Unlauterkeit des Herzens und der Phantasie, welche durch schlüpfrige Bilder über die Allmacht des Bösen und die Ohnmacht des Guten sich kitzelt, es ist die Phantasie, deren Stolz die Sünde ist, es ist das unlautre Herz, das seinen weltlichen Hochmuth in mystischen Bildern versteckt. „Es sei die Verzweiflung an dem eignen Heil, welche die Stimme des Gewissens durch das Läugnen Gottes übertäuben will." Es ist die Verzweiflung am eignen Heil, welche die persönlichen Schwächen zu Schwächen der Menschheit macht, um sie vom eigenen Gewissen abzuwälzen, es ist die Verzweiflung am Heil der Menschheit, welche ihr verwehrt, den eingebornen Naturgesetzen zu folgen, und die Unmündigkeit als nothwendig predigt, es ist die Heuchelei, die einen Gott vorschützt, ohne an seine Wirklichkeit, an die Allmacht des Guten, zu glauben, es ist die Selbstsucht, der ihr Privatheil höher ist, als das Heil des Ganzen. Diese Leute zweifeln an der Menschheit überhaupt und kanonisiren einzelne Menschen. Sie entwerfen ein abschreckendes Bild von der mensch lichen Natur und verlangen in einem, daß wir vor dem Heiligenbild ein zelner Privilegirten niederfallen. Wir wissen, daß der einzelne Mensch schwach ist, aber wir wissen zugleich, daß das Ganze stark ist. Schließlich erinnert der Redner an die Worte, die aus den Zweigen des Baumes der Erkenntniß erschallten über den Genuß, dessen Früchte wir heute wie damals verhandeln: „Mit nichten werdet ihr sterben, wenn ihr davon esset, eure Augen werden aufgethan werden, ihr werdet sein, wie die Götter, erkennend das Gute und Böse." Obgleich wir nun zweifeln, daß der Redner vom Baume der Erkenntniß gegessen hat, daß wir (die rheinischen Landstände) damals mit dem Teufel verhandelten, wovon wenigstens die Genesis Nichts erzählt, so fügen wir uns dennoch der Ansicht des Redners und erinnern ihn nur, daß der Teufel uns damals nicht belogen hat, denn Gott selbst spricht: „Adam ist worden wie unser einer, erkennend das Gute und Böse." — Den Epilog zu dieser Rede lassen wir billig des Redners eigene Worte sprechen: „Schreiben und Reden seien mechanische Fertigkeiten." So sehr unser Leser ermüdet sein mag von diesen „mechanischen Fertigkeiten", wir müssen, der Vollständigkeit wegen, nach dem Fürsten stand und dem Ritterstand auch den Stand der Städte sich expectoriren lassen gegen die Preßfreiheit. Wir haben die Opposition des Bourgeois, nicht des Citoyen, vor uns. Der Redner aus dem Städtestand glaubt sich an Sieyès anzuschließen mit der bürgerlichen Bemerkung: „Die Preßfreiheit sei eine schöne Sache, so lange schlechte Menschen sich nicht hineinmischten." „Dagegen sei bis jetzt kein probates Mittel gefunden" etc. etc. 157 Publizistische Arbeiten Der Standpunkt, der die Preßfreiheit eine Sache nennt, ist schon seiner Naivetät halber zu loben. Man kann diesem Redner überhaupt Alles vor werfen, nur nicht Mangel an Nüchternheit oder Ueberfluß an Phantasie. Also die Preßfreiheit sei eine schöne Sache, auch so Etwas, was die süße Gewohnheit des Daseins verschönert, eine angenehme, eine brave Sache? Aber da gibt es auch schlechte Menschen, die die Sprache zum Lügen, den Kopf zu Ränken, die Hände zum Stehlen, die Füße zum Desertiren mißbrauchen. Schöne Sache um's Sprechen und Denken, um Hände und Füße, gute Sprache, angenehmes Denken, tüchtige Hände, allervorzüglichste Füße, wenn's nur keine schlechten Menschen gäbe, 10 die sie mißbrauchen! Noch ist kein Mittelchen dagegen ausfindig gemacht. „Die Sympathien für Constitution und Preßfreiheit müßten nothwendig geschwächt werden, wenn man sähe, wie damit verbunden wären ewig wandelbare Zustände in jenem Lande (sc. Frankreich) und eine beängsti gende Ungewißheit der Zukunft." 5 15 Als zuerst die weltkundige Entdeckung gemacht ward, daß die Erde ein mobile perpetuum sei, da griff wohl mancher ruhige Deutsche an seine Schlafmütze und seufzte über die ewig wandelbaren Zustände des Mutter landes und eine beängstigende Ungewißheit der Zukunft verleidete ihm ein Haus, das sich jeden Augenblick auf den Kopf stellt. 20 Rheinische Zeitung. Nr. 139, 19. Mai 1842. Beiblatt Die Preßfreiheit macht so wenig die „wandelbaren Zustände", als das Fernglas des Astronomen die rastlose Bewegung des Weltsystems macht. Böse Astronomie! Was war das für schöne Zeit, als die Erde noch, wie ein ehrbarer bürgerlicher Mann in der Mitte der Welt saß, ruhig ihre irdene Pfeife schmauchte und nicht einmal ihr Licht sich selber anzustecken 25 brauchte, da Sonne, Mond und Sterne als eben so viele devote Nacht lampen und „schöne Sachen" um sie hertanzten. „Wer nie, was er gebaut, zerstört, der steht stät Auf dieser ird'schen Welt, die selbst nicht stät steht", sagt Hariri, der kein geborner Franzose, sondern ein Araber ist. 30 Ganz bestimmt spricht sich nun der Stand des Redners in dem Einfall aus: „Der wahre redliche Patriot vermöge die Regung in sich nicht zu unterdrücken, Constitution und Preßfreiheit seien nicht für das Wohl des Volkes, sondern für die Befriedigung des Ehrgeizes Einzelner und die Herrschaft der Parteien." 35 Es ist bekannt, daß eine gewisse Psychologie das Große aus kleinen 158 Debatten über Preßfreiheit Ursachen erklärt und in der richtigen Ahnung, daß Alles, wofür der Mensch kämpft, Sache seines Interesses ist, zu der unrichtigen Meinung fortgeht, es gebe nur „kleine" Interessen, nur die Interessen stereotyper Selbst sucht. Es ist ferner bekannt, daß diese Art Psychologie und Menschen- 5 künde besonders in Städten sich vorfindet, wo es dann noch überdem für Zeichen eines schlauen Kopfes gilt, die Welt zu durchschauen und hinter den Wolkenzügen von Ideen und Thatsachen ganz kleine, neidische, intriguante Mannequins, die das Ganze am Fädchen aufziehen, sitzen zu sehen. Allein es ist ebenfalls bekannt, daß, wenn man zu tief in's Glas 10 guckt, man sich an seinen eigenen Kopf stößt, und so ist denn die Menschen kunde und Weltkenntniß dieser klugen Leute zunächst ein mystifizirter Stoß an den eigenen Kopf. Auch Halbheit und Unentschiedenheit bezeichnet den Stand des Redners. „Sein Unabhängigkeitsgefühl spreche für die Preßfreiheit (sc. im Sinne 15 des Antragstellers), er müsse aber der Vernunft und Erfahrung Gehör geben." Hätte der Redner schließlich gesagt, daß zwar seine Vernunft für die Preßfreiheit, aber sein Abhängigkeitsgefühl dagegen spreche, so wäre seine Rede ein vollkommenes Genrebild der städtischen Reaktion. 20 „Wer eine Zung' hat und spricht nicht, Wer eine Kling' hat und ficht nicht, Was ist der wohl, wenn ein Wicht nicht?" Wir kommen zu den Vertheidigern der Preßfreiheit und beginnen mit dem Hauptantrage. Das Allgemeinere, was treffend und gut in den Eingangs- 25 Worten des Antrags gesagt ist, übergehen wir, um gleich den eigenthümlichen charakteristischen Standpunkt dieses Vortrags hervorzuheben. Antragsteller will, daß das Gewerbe der Preßfreiheit von der allgemeinen Freiheit der Gewerbe nicht ausgeschlossen sei, wie es noch immer der Fall ist, und wobei der innerliche Widerspruch als klassische Inconsequenz 30 erscheint. „Die Arbeiten von Armen und Beinen sind frei, diejenigen des Kopfes werden bevormundet. Von größeren Köpfen ohne Zweifel? Gott bewahre, darauf kommt es bei den Censoren nicht an. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand!" Es frappirt zunächst, die Preßfreiheit unter die Gewerbfreiheit sub- 35 sumirt zu sehen. Allein wir können die Ansicht des Redners nicht geradezu verwerfen. Rembrandt malte die Mutter Gottes als niederländische Bäuerin, warum sollte unser Redner die Freiheit nicht unter einer Gestalt malen, die ihm vertraut und geläufig ist? Eben so wenig können wir dem Raisonnement des Redners eine relative 40 Wahrheit absprechen. Wenn man die Presse selbst nur als Gewerbe 159 Publizistische Arbeiten betrachtet, gebührt ihr, dem Kopfgewerbe, eine größere Freiheit, als dem Gewerbe von Arm und Bein. Die Emancipation von Arm und Bein wird erst menschlich bedeutsam durch die Emancipation des Kopfes, denn bekanntlich werden Arme und Beine erst menschliche Arme und Beine durch den Kopf, dem sie dienen. 5 So originell daher die Betrachtungsweise des Redners auf den ersten Anblick erscheinen mag, so müssen wir ihr doch einen unbedingten Vorzug vor dem haltungslosen, nebelnden und schwebelnden Raisonnement jener deutschen Liberalen zuschreiben, welche die Freiheit zu ehren meinen, wenn sie dieselbe in den Sternenhimmel der Einbildung, statt auf den 10 soliden Boden der Wirklichkeit versetzen. Diesen Raisonneurs der Ein bildung, diesen sentimentalen Enthusiasten, die jede Berührung ihres Ideals mit der gemeinen Wirklichkeit als Profanation scheuen, verdanken wir Deutsche zum Theil, daß die Freiheit bis jetzt eine Einbildung und eine Sentimentalität geblieben ist. 15 Die Deutschen sind überhaupt zu Sentiments und Ueberschwänglich- keiten geneigt, sie haben ein tendre für die Musik der blauen Luft. Es ist also erfreulich, wenn ihnen die große Frage der Idee von einem derben, reellen, aus der nächsten Umgebung entlehnten Standpunkt demonstrirt wird. Die Deutschen sind von Natur devotest, allerunterthänigst, ehrfurchts- 20 vollst. Aus lauter Respekt vor den Ideen verwirklichen sie dieselben nicht. Sie weihen ihnen einen Kultus der Anbetung, aber sie kultiviren dieselben nicht. Der Weg des Redners scheint also geeignet, den Deutschen mit seinen Ideen zu familiarisiren, ihm zu zeigen, daß er es hier nicht mit Unnahbarem, sondern mit seinen nächsten Interessen zu thun hat, die 25 Sprache der Götter in die Sprache der Menschen zu übersetzen. Es ist bekannt, daß die Griechen in den ägyptischen, lybischen, sogar den scythischen Göttern ihren Apollo, ihre Athene, ihren Zeus wieder zu erkennen glaubten und das Eigenthümliche der fremden Kulte als Nebensache übersahen. So ist es auch kein Vergehen, wenn der Deutsche 30 die ihm unbekannte Göttin der Preßfreiheit für eine seiner bekannten Göttinnen ansieht und nach diesen sie Gewerbefreiheit oder Freiheit des Eigenthums benennt. Eben weil wir aber den Standpunkt des Redners anzuerkennen und zu würdigen wissen, unterwerfen wir ihn einer um so schärferen Kritik. 35 „Es könne sich wohl gedacht werden: Fortdauer von Zunftwesen neben der Preßfreiheit, weil das Kopfgewerbe eine höhere Potenzirung, eine Gleichstellung mit den alten sieben freien Künsten, in Anspruch nehmen könne; aber Fortdauer der Unfreiheit der Presse neben der Gewerbe freiheit sei eine Sünde wider den heiligen Geist." 40 Gewiß! die untergeordnete Form der Freiheit ist von selbst für rechtlos 160 Debatten über Preßfreiheit erklärt, wenn die höhere unberechtigt ist. Das Recht des einzelnen Bürgers ist eine Thorheit, wenn das Recht des Staates nicht anerkannt ist. Wenn die Freiheit überhaupt berechtigt ist, so versteht sich von selbst, daß eine Gestalt der Freiheit um so berechtigter ist, ein je großartigeres und 5 entwickelteres Dasein die Freiheit in ihr gewonnen hat. Wenn der Polyp berechtigt ist, weil in ihm das Leben der Natur dunkelfühlend tappt, wie nicht der Löwe, in dem es stürmt und brüllt? 10 So richtig nun aber der Schluß ist, die höhere Gestalt des Rechts durch das Recht einer niedrigeren Gestalt für bewiesen zu erachten, so verkehrt ist die Anwendung, welche die niedere Sphäre zum Maaß der höheren macht und ihre innerhalb der eigenen Begränzung vernünftigen Gesetze in's Komische verdreht, und dadurch, daß sie ihnen die Prätension unter schiebt, nicht Gesetze ihrer Sphäre, sondern einer übergeordneten zu sein. Es ist Dasselbe, als wollte ich einen Riesen nöthigen, im Hause des 15 Pygmäen zu wohnen. Gewerbefreiheit, Freiheit des Eigenthums, des Gewissens, der Presse, der Gerichte, sind alle Arten einer und derselben Gattung, der Freiheit ohne Familiennamen. Allein wie gänzlich irrig ist es nun, über der Einheit den Unterschied zu vergessen und gar eine bestimmte Art zum Maaß, 20 zur Norm, zur Sphäre der andern Arten zu machen? Es ist die Intoleranz einer Art der Freiheit, welche die andern nur ertragen will, wenn sie von sich selbst abfallen und sich für ihre Vasallen erklären. 30 Die Gewerbefreiheit ist eben die Gewerbefreiheit und keine andere Freiheit, weil in ihr die Natur des Gewerbes sich ungestört seiner innern 25 Lebensregel gemäß gestaltet; die Gerichtsfreiheit ist die Gerichtsfreiheit, wenn die Gerichte den eigenen eingebornen Gesetzen des Rechts, nicht denen einer andern Sphäre, etwa der Religion, Folge leisten. Jede bestimmte Sphäre der Freiheit ist die Freiheit einer bestimmten Sphäre, wie jede bestimmte Weise des Lebens die Lebensweise einer bestimmten Natur ist. Wie verkehrt wäre nicht die Forderung, der Löwe solle sich nach den Lebensgesetzen des Polypen einrichten? Wie falsch würde ich den Zusam menhang und die Einheit des körperlichen Organismus fassen, wenn ich schlösse: weil Arme und Beine nach ihrer Weise thätig sind, müssen Aug' und Ohr, diese Organe, die den Menschen von seiner Individualität losreißen und ihn zum Spiegel und zum Echo des Universums machen, ein noch größeres Recht der Thätigkeit haben, also eine potenzirte Arm- und Beinthätigkeit sein? 35 Wie in dem Weltsystem jeder einzelne Planet sich nur um die Sonne bewegt, indem er sich um sich selbst bewegt, so kreiset in dem System 40 der Freiheit jede ihrer Welten nur um die Centraisonne der Freiheit, indem sie um sich selbst kreiset. Die Preßfreiheit zu einer Klasse der 161 Publizistische Arbeiten Gewerbefreiheit machen, ist sie vertheidigen, indem man sie vor der Vertheidigung todtschlägt; denn, hebe ich die Freiheit eines Charakters nicht auf, wenn ich verlange, er solle in der Weise eines andern Charakters frei sein? Deine Freiheit ist nicht meine Freiheit, ruft die Presse dem Gewerbe zu. Wie du den Gesetzen deiner Sphäre, so will ich den Gesetzen meiner Sphäre gehorchen. In deiner Weise frei zu sein, ist mir identisch mit der Unfreiheit, wie der Tischler sich schwerlich erbaut fühlen würde, wenn er Freiheit seines Gewerbes verlangte und man gäbe ihm als Aequi- valent die Freiheit des Philosophen. Wir wollen den Gedanken des Redners nackt aussprechen. Was ist Freiheit? Antwort: Die Gewerbefreiheit, wie etwa ein Student auf die Frage: was ist Freiheit? antworten würde: Die Freinacht. Mit demselben Recht, wie die Preßfreiheit, könnte man jede Art der Freiheit unter die Gewerbefreiheit subsumiren. Der Richter treibt das Gewerbe des Rechts, der Prediger das Gewerbe der Religion, der Familien vater das Gewerbe der Kinderzucht; aber habe ich damit das Wesen der rechtlichen, der religiösen, der sittlichen Freiheit ausgesprochen? Man könnte die Sache auch umkehren und die Gewerbefreiheit eine Art der Preßfreiheit nennen. Arbeiten die Gewerbe blos mit Hand und Bein und nicht auch mit dem Kopf? Ist die Sprache des Worts die einzige Sprache des Gedankens? Spricht der Mechaniker nicht in der Dampf maschine sehr vernehmlich zu meinem Ohr, der Bettfabrikant nicht deut lich zu meinem Rücken, der Koch nicht verständlich zu meinem Magen? Ist es kein Widerspruch, daß alle diese Arten der Preßfreiheit gestattet sind, nur die eine nicht, die vermittelst der Druckerschwärze zu meinem Geist spricht? Um die Freiheit einer Sphäre zu vertheidigen und selbst zu begreifen, muß ich sie in ihrem wesentlichen Charakter, nicht in äußerlichen Be ziehungen fassen. Ist aber die Presse ihrem Charakter treu, handelt sie dem Adel ihrer Natur gemäß, ist die Presse frei, die sich zum Gewerbe herabwürdigt? Der Schriftsteller muß allerdings erwerben, um existiren und schreiben zu können, aber er muß keineswegs existiren und schreiben, um zu erwerben. Wenn Béranger singt: «Je ne vis, que pour faire des chansons, Si vous m'ôtez ma place Monseigneur, Je ferai des chansons pour vivre», so liegt in dieser Drohung das ironische Geständniß, daß der Dichter aus seiner Sphäre herabfällt, sobald ihm die Poesie zum Mittel wird. Der Schriftsteller betrachtet keineswegs seine Arbeiten als Mittel. Sie sind Selbstzwecke, sie sind so wenig Mittel für ihn selbst und für Andere, 162 Debatten über Preßfreiheit daß er ihrer Existenz seine Existenz aufopfert, wenn's Noth thut, und in anderer Weise, wie der Prediger der Religion zum Princip macht: „Gott mehr gehorchen, denn den Menschen", unter welchen Menschen er selbst mit seinen menschlichen Bedürfnissen und Wünschen eingeschlossen ist. 5 Dagegen sollte mir ein Schneider kommen, bei dem ich einen Pariser Frack bestellt, und er brächte mir eine römische Toga, weil sie angemessener sei dem ewigen Gesetz des Schönen! Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. Dem Schriftsteller, der sie zum materiellen Mittel herabsetzt, gebührt als Strafe dieser innern Unfreiheit die äußere, 10 die Censur, oder vielmehr ist schon seine Existenz seine Strafe. Allerdings existirt die Presse auch als Gewerbe, aber dann ist sie keine Angelegenheit der Schriftsteller, sondern der Buchdrucker und Buch händler. Es handelt sich hier aber nicht um die Gewerbefreiheit der Buch drucker und Buchhändler, sondern um die Preßfreiheit. 15 Unser Redner bleibt wirklich keineswegs dabei stehen, das Recht der Preßfreiheit durch die Gewerbefreiheit als erwiesen zu erachten, er verlangt, daß die Preßfreiheit statt ihren eigenen Gesetzen den Gesetzen der Gewerbefreiheit sich unterwerfe. Er polemisirt sogar gegen den Referenten des Ausschusses, der eine höhere Ansicht von der Preßfreiheit geltend 20 macht, und verfällt in Forderungen, die nur humoristisch wirken können, denn der Humor ist gleich da, sobald die Gesetze einer niedrigeren Sphäre auf eine höhere angewandt werden, wie es umgekehrt komisch afficirt, wenn Kinder pathetisch werden. „Er rede von befugten und unbefugten Autoren.Dies verstehe er dahin, 25 daß er die Ausübung eines verliehenen Rechtes immerhin auch in der Gewerbefreiheit an irgend eine Bedingung knüpfe, die nach der Maaßgabe des Faches leichter oder schwerer zu erfüllen sei." „Die Maurer-, Zimmer- und Baumeister hätten verständiger Weise Bedingungen zu erfüllen, wovon die meisten andern Gewerbe befreit seien." „Sein Antrag gehe auf ein 30 Recht im Besondern, nicht im Allgemeinen." Zunächst, wer soll die Befugniß ertheilen? Kant hätte Fichten nicht die Befugniß des Philosophen, Ptolemäus dem Copernikus nicht die Befugniß des Astronomen, Bernhard von Clairvaux dem Luther nicht die Befugniß des Theologen ertheilt. Jeder Gelehrte zählt seinen Kritiker zu 35 den „unbefugten Autoren". Oder sollen Ungelehrte entscheiden, wer ein befugter Gelehrter sei? Offenbar müßte man das Urtheil den unbefugten Autoren überlassen, denn die Befugten können nicht Richter in eigener Sache sein. Oder soll die Befugniß an einen Stand geknüpft sein! Der Schuster Jakob Böhm war ein großer Philosoph. Manche Philosophen 40 von Ruf sind nur große Schuster. Wenn übrigens von befugten und unbefugten Autoren gesprochen wird, 163 Publizistische Arbeiten so darf man sich konsequenter Weise nicht dabei beruhigen, die Personen zu unterscheiden, man muß das Gewerbe der Presse wieder in verschiedene Gewerbe theilen, man muß auf die verschiedenen Sphären der schrift stellerischen Thätigkeit verschiedene Gewerbscheine ausstellen, oder soll der befugte Schriftsteller über Alles schreiben können? Von vorn 5 herein ist der Schuster befugter, über das Leder zu schreiben, als der Jurist. Der Taglöhner ist eben so befugt darüber zu schreiben, ob an Feiertagen zu arbeiten sei oder nicht, als der Theologe. Knüpfen wir also die Befugniß an besondere sachliche Bedingungen, so wird jeder Staats bürger befugter und unbefugter Schriftsteller zugleich sein, befugt in den 10 Angelegenheiten seines Berufs, unbefugt in allem Uebrigen. Abgesehen davon, daß die Welt der Presse auf diese Weise statt all gemeines Band des Volks, das wahre Mittel der Scheidung würde, daß der Unterschied der Stände so geistig fixirt und die Literaturgeschichte zur Naturgeschichte der besondern geistigen Thierracen herabsänke; ab- 15 gesehen von den Grenzstreitigkeiten und Kollisionen, die nicht zu ent scheiden und nicht zu vermeiden; abgesehen davon, daß der Presse die Geistlosigkeit und Bornirtheit zum Gesetz gemacht wäre, denn geistig und frei betrachte ich das Besondere nur im Zusammenhang mit dem Ganzen, also nicht in seiner Scheidung von ihm, — von diesem Allem 20 abgesehen, da das Lesen gerade so wichtig ist als das Schreiben, so müßte es auch befugte und unbefugte Leser geben, eine Konsequenz, die in Aegypten gezogen wurde, wo die Priester, die befugten Autoren, in einem die einzig befugten Leser waren. Und es ist sehr zweckmäßig, daß den befugten Autoren auch allein die Befugniß gestattet werde, ihre eigenen 25 Schriften zu kaufen und zu lesen. Welche Inkonsequenz! Herrscht einmal Privilegium, gut, so hat die Regierung vollkommenes Recht zu behaupten, sie sei der einzig befugte Autor über ihr eigenes Thun und Lassen, denn haltet ihr euch außer eurem besondern Stand für befugt, als Staatsbürger über das Allgemeinste, 30 über den Staat zu schreiben, sollten nicht die andern Sterblichen, die ihr ausschließen wollt, als Menschen befugt sein, über etwas sehr Particuläres, über eure Befugniß und eure Schriften zu urtheilen? Es entstände der komische Widerspruch, daß der befugte Autor ohne Censur über den Staat, aber der unbefugte nur mit Censur über den 35 befugten Autor schreiben dürfte. Die Preßfreiheit wird dadurch sicher nicht errungen, daß ihr die Schaar der offiziellen Schriftsteller aus euren Reihen rekrutirt. Die befugten Autoren wären die offiziellen Autoren, der Kampf zwischen Censur und Preßfreiheit hätte sich in den Kampf der befugten und unbefugten Schrift- 40 steller verwandelt. 164 Debatten über Preßfreiheit Mit Recht trägt daher ein Glied des vierten Standes darauf an: „daß, wenn noch irgend ein Preßzwang bestehen solle, derselbe für alle Parteien gleich sei, d.h. daß in dieser Beziehung keiner Klasse der Staatsbürger mehr Rechte als der andern zugestanden würden." Die Censur unterwirft 5 uns Alle, wie in der Despotie Alle gleich sind, wenn auch nicht an Werth, so an Unwerth; jene Art Preßfreiheit will die Oligokratie in den Geist einführen. Die Censur erklärt einen Schriftsteller höchstens für unbequem, für unpassend in die Grenzen ihres Reichs. Jene Preßfreiheit geht zu der Anmaßung fort, die Weltgeschichte zu anticipiren, der Stimme des Volks 10 vorzugreifen, welche bisher allein geurtheilt hat, welcher Schriftsteller „befugt" und welcher „unbefugt" sei. Wenn Solon einen Menschen erst nach Ablauf seines Lebens, nach seinem Tode zu beurtheilen sich vermaß, so vermißt sich diese Ansicht, einen Schriftsteller vor seiner Geburt zu beurtheilen. 15 20 Die Presse ist die allgemeinste Weise der Individuen, ihr geistiges Dasein mitzutheilen. Sie kennt kein Ansehen der Person, sondern nur das Ansehen der Intelligenz. Wollt ihr die geistige Mittheilungsfähigkeit an besondere äußerliche Merkmale amtlich festbannen? Was ich nicht für Andere sein kann, das bin ich nicht für mich und kann ich nicht für mich sein. Darf ich nicht für Andere als Geist da sein, so darf ich nicht für mich als Geist da sein, und wollt ihr einzelnen Menschen das Privilegium geben, Geister zu sein? So gut, wie Jeder schreiben und lesen lernt, muß Jeder schreiben und lesen dürfen. Und für wen soll die Eintheilung der Schriftsteller in „befugte" und 25 „unbefugte" sein? Offenbar nicht für die wahrhaft Befugten, denn diese werden sich ohnehin geltend machen. Also für „Unbefugte", die durch ein äußeres Privilegium sich schützen und imponiren wollen? Dabei macht dieses Palliativ nicht einmal das Preßgesetz entbehrlich, denn wie ein Redner des Bauernstandes bemerkt: „Kann nicht auch der 30 Privilegirte seine Befugniß überschreiten und straffällig werden? So wäre also auf alle Fälle ein Preßgesetz nothwendig, wobei man auf dieselben Beschwernisse, wie bei einem allgemeinen Preßgesetz stoßen würde." Wenn der Deutsche auf seine Geschichte zurückblickt, so findet er einen Hauptgrund seiner langsamen politischen Entwicklung, wie der 35 elenden Literatur vor Lessing, in den „befugten Schriftstellern": Die Ge lehrten von Fach, von Zunft, von Privilegium, die Doktoren und sonstigen Ohren, die charakterlosen Universitätsschriftsteller des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts mit ihren steifen Zöpfen und ihrer vornehmen Pedanterie und ihren winzig-mikrologischen Dissertationen, sie haben sich 40 zwischen das Volk und den Geist, zwischen das Leben und die Wissen schaft, zwischen die Freiheit und den Menschen gestellt. Die unbefugten 165 Publizistische Arbeiten Schriftsteller haben unsere Literatur gemacht. Gottsched und Lessing, da wählt zwischen einem „befugten" und einem „unbefugten" Autor! Wir lieben überhaupt die „Freiheit" nicht, die nur im Plural gelten will. England ist ein Beweis in historischer Lebensgröße, wie gefährlich der beschränkte Horizont der „Freiheiten"für „die Freiheit"ist. 5 Ce mot des libertés, sagt Voltaire, des privilèges, suppose l'assujetisse- ment. Des libertés sont des exemptions de la servitude générale. Wenn unser Redner ferner anonyme und pseudonyme Schriftsteller von der Preßfreiheit ausschließen und der Censur unterwerfen will, so be merken wir, daß der Name in der Presse nicht zur Sache gehört, daß 10 aber, wo Preßgesetz herrscht, der Verleger, also durch ihn auch der anonyme und pseudonyme Schriftsteller, den Gerichten unterworfen ist. Zudem vergaß Adam, als er alle Thiere des Paradieses benannte, den deutschen Zeitungscorrespondenten Namen zu geben und namenlos werden sie bleiben in seculum seculorum. 15 Hat der Antragsteller die Personen zu beschränken gesucht, die Subjekte der Presse, so wollen andere Landstände den sachlichen Stoff der Presse, den Kreis ihres Wirkens und Daseins beschränken und es entsteht ein geistloses Markten und Feilschen, wie viel Freiheit die Preßfreiheit haben solle. Ein Landstand will die Presse auf die Besprechung der materiellen, geistigen und kirchlichen Verhältnisse der Rheinprovinz beschränken; ein Anderer will „Gemeindeblätter", deren Name ihren beschränkten Inhalt aussagt; ein Dritter will gar, daß man in jeder Provinz nur in einem einzigen reimüthig Blatte dürfe sein ! f ! ! 20 25 Alle diese Versuche erinnern an jenen Turnlehrer, der als die beste Methode des Springunterrichts vorschlug, den Schüler an eine große Grube zu bringen und ihm nun durch einzelne Zwirnfäden anzuzeigen, wie weit er über die Grube springen dürfe. Versteht sich, der Schüler sollte sich erst im Springen üben und durfte den ersten Tag nicht über 30 die ganze Grube wegsetzen, aber von Zeit zu Zeit sollte der Zwirnfaden weiter gerückt werden. Leider fiel der Schüler bei der ersten Lektion in die Grube und bisher ist er in der Grube liegen geblieben. Der Lehrer war ein Deutscher und der Schüler nannte sich: „Freiheit". Dem durchgehenden normalen Typus nach unterscheiden sich die Ver- 35 theidiger der Preßfreiheit auf dem sechsten rheinischen Landtag also nicht durch den Gehalt, sondern durch die Richtung von ihren Gegnern. In Diesen bekämpft, in Jenen vertheidigt die Beschränktheit des besondern Standes, die Presse. Die Einen wollen das Privilegium auf Seiten der Regierung allein, die Andern wollen es vertheilen unter mehre Individuen; 40 die Einen wollen die ganze, die Andern die halbe Censur, die Einen r Debatten über Preßfreiheit 3/8 Preßfreiheit, die Andern gar keine. Gott beschütze mich vor meinen Freunden! Gänzlich divergirend aber von dem allgemeinen Geist des Landtags sind die Reden des Referenten und einiger Mitglieder aus dem Bauern- stände. 5 Referent bemerkt unter Anderm: „Es tritt in dem Leben der Völker, so wie in dem der einzelnen Men schen der Fall ein, wo die Fesseln einer zu langen Vormundschaft un erträglich werden, wo nach Selbstständigkeit gestrebt wird, und wo ein 10 Jeder seine Handlungen selbst verantworten will." „Alsdann hat die Censur ausgelebt; da, wo sie noch fortbesteht, wird sie als ein gehässiger Zwang betrachtet, der zu schreiben verbietet, was öffentlich gesagt wird." Schreibe wie du sprichst und sprich, wie du schreibst, lehren uns schon die Elementarlehrer. Später heißt es: Sprich, was dir vorgeschrieben ist 15 und schreibe, was du nachsprichst. „So oft das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit ein neues, wichtiges Interesse entwickelt, oder ein neues Bedürfniß herausstellt, für welche die bestehende Gesetzgebung keine hinreichenden Bestimmungen enthält, müssen neue Gesetze diesen neuen Zustand der Gesellschaft reguliren. 20 Ein solcher Fall tritt vollkommen hier ein." Das ist die wahrhaft geschicht liche Ansicht gegenüber der imaginairen, welche die Vernunft der Geschichte erschlägt, um hinterher ihren Knochen den historischen Reliquiendienst zu erweisen. 25 „Die Aufgabe (eines Preßkodex) mag allerdings nicht ganz leicht zu lösen sein; der erste Versuch, der gemacht werden wird, mag vielleicht sehr unvollkommen bleiben! Dem Gesetzgeber aber, der sich zuerst damit befassen wird, werden alle Staaten Dank schuldig sein, und unter einem Könige, wie der Unsrige, ist vielleicht der preußischen Regierung die Ehre beschieden, den übrigen Ländern auf diesem Wege, der allein zum 30 Ziele führen kann, voranzugehen." Wie isolirt diese männlich würdige, entschiedene Ansicht auf dem Land tage stand, das hat unsere ganze Darstellung bewiesen, das bemerkt der Vorsitzende zum Ueberfluß selbst dem Referenten, das spricht endlich ein Mitglied des Bauernstandes in unmuthigem, aber trefflichem Vortrage 35 aus: „Man umkreise die vorliegende Frage, wie die Katze den warmen Brei. " „Der menschliche Geist müsse sich nach seinen ihm inwohnenden Gesetzen frei entwickeln und das Errungene mittheilen dürfen, sonst würde aus einem klaren belebenden Strom ein verpestender Sumpf. Wenn ein Volk 40 sich für Preßfreiheit eigne, so sei dieses sicher das ruhige, gemüthliche Deutsche, welches wohl eher noch einer Aufstachelung aus seinem 167 Publizistische Arbeiten Phlegma bedürfe, als der geistigen Zwangsjacke der Censur. Seine Ge danken und Gefühle seinen Mitmenschen nicht unbehindert mittheilen zu dürfen, habe viel Aehnlichkeit mit dem nordamerikanischen Absperrungs system der Sträflinge, welches in seiner vollen Schroffheit häufig zum Wahnsinn führe. Wer nicht tadeln dürfe, von dem habe auch das Lob keinen Werth; ähnlich in seiner Ausdruckslosigkeit sei ein chinesisches Gemälde, dem der Schatten mangle. Möchten wir uns doch nicht diesem erschlafften Volke beigesellt finden!" 5 Werfen wir nun einen Blick auf die Preßdebatten im Ganzen zurück, können wir nicht Herr werden über den öden und unbehaglichen Eindruck, 10 den eine Versammlung von Vertretern der Rheinprovinz hervorbringt, die nur zwischen der absichtlichen Verstocktheit des Privilegiums und der natürlichen Ohnmacht eines halben Liberalismus hin und her schwanken, müssen wir vor Allem den fast durchgehenden Mangel an allgemeinen und weiten Gesichtspunkten mißfällig bemerken, wie jene nachlässige 15 Oberflächlichkeit, welche die Angelegenheit der freien Presse debattirt und beseitigt: so fragen wir uns noch einmal, ob die Presse den Landständen zu fern lag, zu wenig reelle Berührung mit ihnen hatte, als daß sie die Preßfreiheit mit dem gründlichen und ernsten Interesse des Bedürfnisses hätten vertheidigen können? 20 Die Preßfreiheit reichte ihre Bittschrift den Ständen mit der feinsten captatio benevolentiae ein. Gleich im Beginn des Landtags entstand nämlich eine Debatte, worin der Vorsitzende bemerkt, daß der Druck der Landtagsverhandlungen, so sehr, wie aller übrigen Schriften, der Censur unterworfen sei, daß er aber hier 25 die Stelle des Censors vertrete. Fiel in diesem einen Punkte die Sache der Preßfreiheit nicht zusammen mit der Freiheit des Landtages? Diese Kollision ist um so interessanter, als dem Landtag hier an seiner eigenen Person der Beweis statuirt wurde, wie mit dem Mangel der Preßfreiheit alle andern Freiheiten illusorisch 30 werden. Jede Gestalt der Freiheit bedingt die andere, wie ein Glied des Körpers das andere. So oft eine bestimmte Freiheit in Frage gestellt ist, ist die Freiheit in Frage gestellt. So oft eine Gestalt der Freiheit verworfen ist, ist die Freiheit verworfen und kann überhaupt nur mehr ein Schein leben führen, indem es nachher reiner Zufall ist, an welchem Gegenstand 35 die Unfreiheit als die herrschende Macht sich bethätigt. Die Unfreiheit ist die Regel und die Freiheit eine Ausnahme des Zufalls und der Will kühr. Nichts ist daher verkehrter, als, wenn es sich um ein besonderes Dasein der Freiheit handelt, zu meinen, dieses sei eine besondere Frage. Es ist die allgemeine Frage innerhalb einer besondern Sphäre. Freiheit 40 bleibt Freiheit, drücke sie sich nun in der Druckerschwärze, oder in Grund 168 Debatten über Preßfreiheit und Boden, oder im Gewissen, oder in einer politischen Versammlung aus; aber der loyale Freund der Freiheit, dessen Ehrgefühl schon verletzt würde, wenn er abstimmen sollte: Sein oder Nichtsein der Freiheit?Dieser Freund wird stutzig vor dem eigenthümlichen Material, in welchem die 5 Freiheit erscheint, er verkennt in der Art die Gattung, er vergißt über der Presse die Freiheit, er glaubt ein fremdes Wesen zu beurtheilen und ver- urtheilt sein eigenes Wesen. So hat der sechste rheinische Landtag sich selbst verurtheilt, indem er der Preßfreiheit das Urtheil sprach. Die hochweisen Bureaumänner von Praxis, welche im Stillen und mit 10 Unrecht von sich denken, was Pericles laut und mit Recht von sich rühmte: „Ich bin ein Mann, der sich in der Kenntniß der Staatsbedürfnisse, wie in der Kunst, sie zu entwickeln, mit Jedem messen kann", diese Erbpächter der politischen Intelligenz werden die Achseln zucken und mit orakelnder Vornehmheit bemerken, daß die Vertheidiger der Preßfreiheit leere Spreu dreschen, denn eine milde Censur sei besser, als eine herbe Preßfreiheit. Wir erwiedern ihnen, was die Spartaner Sperthias und Bulis dem persischen Satrapen Hydarnes: 15 „Hydarnes, dein Rath für uns ist nicht von beiden Seiten gleich ab gewogen. Denn das Eine, worüber du räthst, hast du versucht; das Andere 20 blieb dir unversucht. Nämlich was Knecht sein heißt, das kennst du; die Freiheit aber hast du noch nie versucht, ob sie süß ist oder nicht. Denn hättest du sie versucht, du würdest uns rathen, nicht nur mit Lanzen für sie zu fechten, sondern auch mit Beilen." 169 Die Zentralisationsfrage in bezug auf sich selbst und in bezug auf das Beiblatt der „Rheinischen Zeitung" zu Nr. 137, Dienstag, 17. Mai 1842 I*** Die Centralisationsfrage in Bezug auf sich selbst und in Bezug auf das Beiblatt der Rheinischen Zeitung zu Nr. 137, Dienstag 17. Mai 1842. 5 „Deutschland und Frankreich in Bezug auf die Centralisationsfrage." mit dem Zeichen - Î- -Κ „Ob die Staatsmacht von einem Punkte ausgehen, oder ob jede Provinz, jede Gemeinde sich selbst verwalten, und die Centrairegierung erst da als die Macht des Ganzen auch die einzelnen Theile des Staates be- herrschen soll, wo der Staat nach Aussen zu vertreten ist — über diese Frage sind die Ansichten noch sehr getheilt." io Eine Zeitfrage theilt mit jeder durch ihren Inhalt berechtigten, also vernünftigen Frage, das Schicksal daß nicht die Antwort, sondern die Frage die Hauptschwierigkeit bildet. Die wahre Kritik analysirt daher nicht 15 die Antworten, sondern die Fragen. Wie die Lösung einer algebraischen Gleichung gegeben ist, sobald die Aufgabe in ihren reinsten und schärfsten Verhältnissen gestellt ist, so ist jede Frage beantwortet, sobald sie zur wirklichen Frage geworden ist. Die Weltgeschichte selbst hat keine andre Methode, als alte Fragen durch neue Fragen zu beantworten und abzuthun. 20 Die Räthselworte einer jeden Zeit sind daher leicht zu finden. Es sind die Zeitfragen, und wenn in den Antworten die Absicht und die Einsicht des einzelnen Individuums eine grosse Rolle spielen und ein geübter Blick dazu gehört, zu trennen, was dem Individuum und was der Zeit gehört, so sind dagegen die Fragen die offnen, Rücksichtslosen über alle einzelnen 25 Individualitäten übergreifenden Stimmen einer Zeit, es sind ihre Mottos, 170 Die Zentralisationsfrage es sind die höchstpraktischen Ausrufe über ihren eignen Seelenzustand. Die Reaktionaire jeder Zeit sind daher eben so gute Barometer für ihren Geistigen Zustand, als die Hunde für die Witterung. Dem Publikum erscheint dieß so, daß die Reactionairen die Fragen machen. Es glaubt daher, wenn 5 dieser oder jener Obskurant eine moderne Richtung nicht bekämpft, wenn er nicht eine Sache in Frage gestellt hätte, so existirte die Frage nicht. Das Publicum selbst hält daher die Reactionairen für die wahren Männer des Fortschritts. „Ob die Staatsmacht von einem Punkt ausgehn", d.h. ob ein Punkt 10 regieren soll, oder ob jede Provinz etc. sich selbst verwalten und die Centrairegierung erst nach Aussen als die Macht des Ganzen „gegen Aussen" sich zeigen soll, so kann unmöglich die Centralisationsfrage gefaßt werden. || Der Verfasser versichert uns, daß: „diese Frage von einem höhern Gesichtspunkt betrachtet, in sich selbst zerfalle als eine nichtige", 15 denn „wenn der Mensch wirklich ist, was er seinem Wesen nach sein soll, dann ist die individuelle Freiheit von der allgemeinen gar nicht geschieden". „Sezt man also ein Volk von Gerechten voraus, so kann die in Rede stehende Frage gar nicht aufgeworfen werden." „Die Centrai macht würde in allen Gliedern leben etc. etc." „Wie aber überhaupt 20 jedes äussere Gesetz, jede positive Institution etc., so wäre auch jede centrale Staatsmacht etc. überflüssig. Eine solche Gesellschaft wäre nicht Staat, sondern Ideal der Menschheit." „Man kann sichs erstaunlich leicht machen, die schwierigsten Staatsprobleme zu lösen, wenn man von einem hohen philosophischen Standpunkt herab auf unser sociales Leben blickt. 25 Theoretisch ist eine solche Lösung der Probleme auch ganz richtig, ja die einzig richtige. Aber es handelt sich hier nicht um eine theoretische etc. sondern um eine praktische, allerdings nur empirische und relative Be antwortung der Centralisationsfrage etc." Der Verfasser des Artikels beginnt mit einer Selbstkritik seiner Frage. 30 Von einem höheren Gesichtspunkt her betrachtet, existire sie nicht, aber zugleich erfahren wir, daß von diesem hohen Gesichtspunkt her alle Gesetze, positiven Institutionen, die centrale Staatsmacht und schließlich der Staat selbst verschwindet. Mit Recht rühmt der Verfasser die „er staunliche Leichtigkeit", mit welcher dieser Gesichtspunkt sich zu orien- 35 tiren weiß, aber mit Unrecht nennt er eine solche Lösung der Probleme „theoretisch ganz richtig, ja die einzig richtige", mit Unrecht nennt er diesen Standpunkt „einen philosophischen". Die Philosophie muß ernstlich dagegen protestiren, wenn man sie mit der Imagination verwechselt. Die Fiktion von einem Volk „der Gerechten" ist der Philosophie so fremd, 40 als der Natur die Fiktion von „betenden Hyänen". Der Verfasser sub- stituirt „seine Abstraktionen" der Philosophie.! 171 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 191, 10. Juli 1842. Beiblatt Der leitende Artikel in Nr. 179 der Kölnischen Zeitung. *** Wir hatten bisher in der „Kölnischen Zeitung" wenn auch nicht das „Blatt der rheinischen Intelligenz", so doch das Rheinische „Intelligenz blatt" verehrt. Wir betrachteten vorzugsweise ihre „leitenden politischen Artikel" als ein eben so weises wie gewähltes Mittel, dem Leser die Politik zu verleiden, damit er desto sehnsüchtiger in das lebensfrische, industrie wogende und oft schöngeistig piquante Reich der Anzeigen hinübersetze, damit es auch hier heiße: per aspera ad astra, durch die Politik zu den Austern. Allein das schöne Ebenmaß, welches die Kölnische Zeitung bisher zwischen der Politik und den Anzeigen zu halten wußte, ist in letzter Zeit durch eine Art von Anzeigen gestört worden, welche man die „Anzeigen der politischen Industrie" nennen kann. In der ersten Unsicher heit, wo diese neue Gattung zu placiren, geschah es, daß sich eine Anzeige in einen leitenden Artikel, und der leitende Artikel in eine Anzeige ver wandelte, und zwar in eine Anzeige, die man in der Sprache der politischen Welt eine „Denunciation" nennt, die aber, wenn sie bezahlt wird, eine „Anzeige" schlechthin heißt. Man pflegt im Norden vor den magern Mahlzeiten exquisite Spirituosa den Gästen verabfolgen zu lassen. Wir befolgen bei unserm nordischen Gaste um so lieber diese Sitte, den Spiritus vor der Mahlzeit zu geben, als wir in der Mahlzeit selbst, in dem sehr „leidenden" Artikel in Nr. 179 der Kölnischen Zeitung keinen Spiritus finden. Wir tischen daher zuerst eine Scene aus Lucian's Göttergesprächen auf, die wir nach einer „gemein verständlichen" Uebersetzung mittheilen, da unter unsern Lesern wenigstens Einer sich befinden wird, der kein Hellene ist. 172 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" Lucian's Göttergespräche. X X I V. H e r m es K l a g e n. Hermes. Maja. Hermes. Gibt es wohl, liebe Mutter, im ganzen Himmel einen geplagteren Gott als mich? Sage doch nicht so etwas, mein Sohn! Maja. Hermes. Warum soll ich es nicht sagen? Ich, der ich eine Menge von Geschäften zu besorgen habe, immer allein arbeiten, mich zu so vielen Knechtsdiensten herumzerrenlassenmuß? Morgens mitdem Frühesten muß ich aufstehen, und den Speisesaal auskehren, die Polster im Rathszimmer zurechte legen, und wenn Alles an Ort und Stelle ist, bei Jupitern aufwarten und den ganzen Tag mit seinen Botschaften auf und ab den Courier machen. Kaum zurückgekehrt und mit Staube noch bedeckt, muß ich die Ambrosia auftragen. Und was noch das Aergste ist, ich bin der Einzige, dem man auch des Nachts keine Ruhe läßt; denn da muß ich dem Pluto die Seelen der Verstorbenen zuführen und beim Todten gerichte Aufwärterdienste thun, denn es ist nicht genug an den Arbeiten des Tages, daß ich den Turnübungen anzuwohnen, den Herold in den Volksversammlungen zu machen, den Volksrednern beim Einstudiren ihrer Vorträge zu helfen habe; nein, ich muß in so viele Geschäfte zerstückelt, auch noch das gesammte Todten- wesen besorgen. Seit seiner Vertreibung aus dem Olymp besorgt Hermes aus alter Gewohn heit noch immer „Knechtsdienste" und das gesammte Todtenwesen. Ob Hermes selbst oder sein Sohn, der Ziegengott Pan, den leidenden Artikel Nr. 179 geschrieben, mag der Leser entscheiden, nachdem er sich erinnert, daß der griechische Hermes der Gott der Beredtsamkeit und der Logik war. „Philosophische und religiöse Ansichten durch die Zeitungen zu ver breiten, oder in den Zeitungen zu bekämpfen, scheint uns gleich unzu lässig." Wie der Alte so plauderte, merkte ich wohl, daß es bei ihm auf eine langweilige Litanei von Orakelsprüchen abgesehen sei, aber, beschwichtigte ich die Ungeduld, sollte ich dem einsichtsvollen Manne nicht glauben, der so unbefangen ist, in seinem eigenen Hause seine Meinung mit aller Freimüthigkeit zu sagen, und ich las weiter. Doch, ο Wunder, dieser Artikel, dem zwar keine einzige philosophische Ansicht vorzuwerfen ist, hat wenig­ stens die Tendenz, philosophische Ansichten zu bekämpfen und religiöse Ansichten zu verbreiten. 173 Publizistische Arbeiten Was soll uns ein Artikel, der das Recht seiner eigenen Existenz bestreitet, der seine Inkompetenz-Erklärung sich selbst vorausschickt. Der redselige Verfasser wird uns antworten. Er erklärt, wie seine breitspurigen Artikel zu lesen sind. Er beschränkt sich darauf, Bruchstücke zu geben, deren „Aneinanderreihung und Verbindung" er „dem Scharfsinn der Leser" überläßt, — die schicklichste Methode für jene Art von Anzeigen, deren Betrieb er sich zugelegt. Wir wollen „aneinanderreihen und verbinden", und es ist nicht unsere Schuld, wenn aus dem Rosenkranz kein Kranz von Rosenperlen wird. 5 Der Verfasser erklärt sich dahin: „eine Partei, die sich dieser Mittel 10 bedient (nämlich philosophische und religiöse Ansichten in Zeitungen zu verbreiten und zu bekämpfen), zeigt dadurch, unserer Meinung nach, daß sie es nicht ehrlich meint, und daß ihr weniger an der Belehrung und Aufklärung des Volkes, als an der Erreichung anderer äußerer Zwecke gelegen ist." 15 Bei dieser seiner Meinung kann der Artikel nichts Anderes, als die Erreichung äußerer Zwecke beabsichtigen. Diese „äußern Zwecke" werden sich nicht verschweigen. Der Staat, heißt es, hat nicht allein das Recht, sondern auch die Pflicht, den „unberufenen Schwätzern das Handwerk zu legen". Der Verfasser 20 spricht von den Gegnern seiner Ansicht; denn längst ist er dahin mit sich selbst übereingekommen, ein berufener Schwätzer zu sein. Es handelt sich also von einer neuen Verschärfung der Censur in religiösen Angelegenheiten, von einer neuen Polizeimaßregel gegen die kaum aufathmende Presse. 25 „Unserer Meinung nach kann man dem Staate, statt übertriebener Strenge, eher eine zu weit getriebene Nachsicht zum Vorwurf machen." Doch der leitende Artikel besinnt sich. Es ist gefährlich, dem Staate Vorwürfe zu machen; er adressirt sich daher an die Behörden, seine Anklage gegen die Preßfreiheit verwandelt sich in eine Anklage gegen 30 die Censoren; er klagt die Censoren an, zu „wenig Censur" anzuwenden. „Auch darin ist bisher, zwar nicht vom Staate, aber von einzelnen Behörden ' eine tadelnswerthe Nachsicht bewiesen worden, daß man der neuern philosophischen Schule gestattet hat, sich in öffentlichen Blättern und in andern für einen nicht bloß wissenschaftlichen Leserkreis bestimmten 35 Druckschriften die unwürdigsten Ausfälle auf das Christenthum zu er lauben." Wiederum bleibt der Verfasser stehen und wiederum besinnt er sich; er hat vor weniger als acht Tagen in der Censurfreiheit zu wenig Preß freiheit gefunden; er findet jetzt in dem Censorenzwang zu wenig Censur- 40 zwang. 174 w Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" Das muß wieder gut gemacht werden. „So lange noch eine Censur besteht, ist es ihre dringendste Pflicht, so ekelerregende Auswüchse eines knabenhaften Uebermuthes auszuschnei den, wie sie in den letzten Tagen wiederholt unser Auge beleidigt haben." Blöde Augen! Blöde Augen! Und das „blödeste Auge wird von einer Wendung beleidigt werden, die nur auf die Fassungskraft der großen Menge" berechnet sein kann. 5 Wenn schon die erleichterte Censur ekelerregende Auswüchse aufkom men läßt, wie erst die Preßfreiheit? Wenn unsere Augen zu schwach sind, 10 den „Uebermuth" der censirten, wie würden sie stark genug sein, den „Muth" der freien Presse zu ertragen? „So lange die Censur besteht, ist es ihre dringendste Pflicht." Und sobald sie nicht mehr besteht? Die Phrase muß so interpretirt werden: Es ist die dringendste Pflicht der Censur, so lange als möglich zu be- 15 stehen. Und wiederum besinnt sich der Verfasser: „Es ist nicht unseres Amtes, als öffentlicher Ankläger aufzutreten und wir unterlassen deshalb jede nähere Bezeichnung." Es ist eine Himmelsgüte in diesem Menschen! Er unterläßt die nähere „Bezeichnung" und nur aus ganz nahen, ganz distink- 20 ten Zeichen könnte er beweisen und zeigen, was denn seine Ansicht will; er läßt nur vage, halblaute, verdächtigende Worte fallen; es ist nicht seines Amtes, öffentlicher Ankläger, es ist seines Amtes, versteckter Ankläger zu sein. Zum letzten Mal besinnt sich der unglückliche Mann, daß es seines 25 Amtes ist, liberale Leadingartikel zu schreiben, daß er einen „loyalen Preßfreiheitsfreund" vorstellen solle; er wirft sich also in die letzte Posi tion: „Wir durften es nicht unterlassen, gegen ein Verfahren zu protestiren, welches, wenn es nicht eine Folge zufälliger Vernachlässigung ist, keinen andern Zweck haben kann, als die freiere Bewegung der Presse in der 30 öffentlichen Meinung zu kompromittiren, um den Gegnern, die auf dem geraden Wege ihr Ziel zu verfehlen fürchten, gewonnenes Spiel zu geben." Die Censur, lehrt dieser eben so kühne als scharfsinnige Vertheidiger der Preßfreiheit, wenn sie nicht der englische Leoparde mit der Inschrift ist: "I sleep, wake me not!" hat dieses „heillose" Verfahren eingeschlagen, 35 um die freiere Bewegung der Presse in der öffentlichen Meinung zu kompromittiren. Braucht eine Bewegung der Presse noch kompromittirt zu werden, welche die Censur auf „zufällige Vernachlässigungen " aufmerksam macht, welche ihr Renommee in der öffentlichen Meinung von dem „Federmesser 40 des Censors" erwartet? „Frei" kann diese Bewegung in so fern genannt werden, als man die 175 Publizistische Arbeiten Licenz der Schaamlosigkeit auch zuweilen „frei" nennt, und ist es nicht die Schaamlosigkeit des Unverstandes und der Heuchelei, sich für einen Vertheidiger der freiem Bewegung der Presse auszugeben, wenn man zugleich docirt, die Presse falle den Augenblick in die Gosse, wo nicht zwei Gensdarmen ihr unter die Arme greifen. 5 Und wozu bedürfen wir der Censur, wozu dieses leitenden Artikels, wenn die philosophische Presse sich selbst in der öffentlichen Meinung kompromittirt? Allerdings will der Verfasser keineswegs „die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung" beschränken. „In unsern Tagen ist der wissenschaftlichen Forschung mit Recht der weiteste, unbeschränkteste 10 Spielraum gestattet." Welchen Begriff unser Mann aber von der wissenschaftlichen Forschung hat, mag folgende Aeußerung beweisen: „Es ist dabei scharf zu unter scheiden, was die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung erfordert, durch welche das Christenthum selbst nur gewinnen kann, und was über 15 die Gränzen der wissenschaftlichen Forschung hinaus liegt." Wer soll über die Gränzen der wissenschaftlichen Forschung entscheiden, wenn nicht die wissenschaftliche Forschung selbst! Nach dem leitenden Artikel sollen die Gränzen der Wissenschaft vorgeschrieben werden. Der leitende Artikel kennt also eine „offizielle Vernunft", welche nicht von 20 der wissenschaftlichen Forschung lernt, sondern sie belehrt, welche, eine gelehrte Vorsehung, die Größe jedes Haares mißt, das einen wissenschaft lichen Bart in einen Weltbart verwandeln könnte. Der leitende Artikel glaubt an die wissenschaftliche Inspiration der Censur. Ehe wir diese „albernen" Explikationen des leitenden Artikels über die 25 „wissenschaftliche Forschung" weiter verfolgen, kosten wir einen Augen blick von der „Religionsphilosophie" des Herrn H., von seiner „eigenen Wissenschaft"! „Die Religion ist die Grundlage des Staates, wie die nothwendigste Bedingung jeder nicht bloß auf die Erreichung irgend eines äußerlichen 30 Zweckes gerichteten gesellschaftlichen Vereinigung." Beweis: „In ihrer rohesten Form als kindischer Fetischismus, erhebt sie den Menschen doch einigermaßen über die sinnlichen Begierden, die ihn, wenn er sich von denselben ausschließlich beherrschen läßt, zum Thiere erniedrigen und zu der Erfüllung jedes höhern Zweckes unfähig machen." 35 Der leitende Artikel nennt den Fetischismus die „roheste Form" der Religion. Er gibt also zu, was auch ohne seinen Consens bei allen Männern der „wissenschaftlichen Forschung" feststeht, daß die „Thierreligion" eine höhere religiöse Form als der Fetischismus ist, und erniedrigt die Thierreligion den Menschen nicht unter das Thier, macht sie das Thier nicht 40 zum Gott des Menschen? 176 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung Und nun gar der „Fetischismus"! Eine wahre Pfennigsmagazingelehr samkeit! Der Fetischismus ist so weit entfernt, den Menschen über die Begierde zu erheben, daß er vielmehr „die Religion der sinnlichen Be gierde" ist. Die Phantasie der Begierde gaukelt dem Fetischdiener vor, daß 5 ein „lebloses Ding" seinen natürlichen Charakter aufgeben werde, um das Jawort seiner Gelüste zu sein. Die rohe Begierde des Fetischdieners zerschlägt daher den Fetisch, wenn er aufhört, ihr unterthänigster Diener zu sein. „Bei jenen Nationen, welche eine höhere geschichtliche Bedeutung 10 erlangt haben, fällt die Blüthe ihres Volkslebens mit der höchsten Aus bildung ihres religiösen Sinnes, der Verfall ihrer Größe und ihrer Macht mit dem Verfalle ihrer religiösen Bildung zusammen." Wenn man die Behauptung des Verfassers gradezu umkehrt, erhält man die Wahrheit; er hat die Geschichte auf den Kopf gestellt. Griechenland 15 und Rom sind doch wohl die Länder der höchsten „geschichtlichen Bildung" unter den Völkern der alten Welt. Griechenlands höchste innere Blüthe fällt in die Zeit des Pericles, seine höchste äußere in die Zeit Alexanders. Zur Zeit des Pericles hatten Sophisten, Sokrates, welchen man die in- korporirte Philosophie nennen kann, Kunst und Rhetorik die Religion ver- 20 drängt. Die Zeit des Alexander war die Zeit des Aristoteles, der die Ewigkeit des „individuellen" Geistes und den Gott der positiven Religionen verwarf. Und nun gar Rom! Leset den Cicero! Epikuräische, stoische oder skeptische Philosophie waren die Religionen der Römer von Bildung, als Rom den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht hatte. Wenn mit dem Untergang der 25 alten Staaten die Religionen der alten Staaten verschwinden, so bedarf das keiner weitern Explikation, denn die „wahre Religion" der Alten war der Cultus „ihrer Nationalität", ihres „Staates". Nicht der Untergang der alten Religionen stürzte die alten Staaten, sondern der Untergang der alten Staaten stürzte die alten Religionen. Und solche Unwissenheit, wie die des 30 leitenden Artikels, proklamirt sich zum „Gesetzgeber der wissenschaftlichen Forschung" und schreibt der Philosophie „Dekrete". „Die ganze alte Welt mußte deshalb zusammenbrechen, weil mit den Fortschritten in ihrer wissenschaftlichen Ausbildung, welche die Völker machten, nothwendig auch die Aufdeckung der Irrthümer verbunden war, 35 auf denen ihre religiösen Ansichten beruhten." Also die ganze alte Welt ging nach dem leitenden Artikel unter, weil die wissenschaftliche Forschung die Irrthümer der alten Religionen aufdeckte. Wäre die alte Welt nicht untergegangen, wenn die Forschung die Irrthümer der Religionen verschwiegen hätte, wenn Lucretius und Lucian's Schriften 4(> von dem Verfasser des leitenden Artikels den römischen Behörden zum Ausschneiden empfohlen worden wären? 177 Publizistische Arbeiten Uebrigens erlauben wir uns, die Gelehrsamkeit des Herrn H. mit einer Notiz zu vermehren. Rheinische Zeitung. Nr. 193, 12. Juli 1842. Beiblatt Eben als der Untergang der alten Welt herannahte, that sich die Alexandri- nische Schule auf, welche mit Gewalt „die ewige Wahrheit" der griechischen Mythologie und ihre durchgängige Uebereinstimmung „mit den Ergebnissen 5 der wissenschaftlichen Forschung" zu beweisen sich bemühte. Auch der Kaiser Julian gehörte noch zu dieser Richtung, die den neu hereinbrechen den Zeitgeist glaubte verschwinden zu machen, wenn sie sich die Augen zuhielt, um ihn nicht zu sehen. Allein bei H's Resultat stehen geblieben! In den alten Religionen war „die schwache Ahnung des Göttlichen von der 10 dichtesten Nacht des Irrthums verhüllt" und konnte deshalb den wissen schaftlichen Forschungen nicht widerstehen. Im Christenthum verhält es sich umgekehrt, wird jede Denkmaschine urtheilen. Allerdings sagt H.: „Die höchsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung haben bisher nur dazu gedient, die Wahrheiten der christlichen Religion zu bestätigen." 15 Abgesehen davon, daß von allen Philosophien der Vergangenheit ohne Ausnahme jede des Abfalls von der christlichen Religion durch die Theo logen bezüchtigt wurde, selbst die des frommen Malebranche und des inspirirten Jakob Böhm, daß Leibnitz als „Löwenix" (Glaubenichts) von den Braunschweigischen Bauern und als Atheist von dem Engländer 20 Clarke und den übrigen Anhängern Newton's angeklagt wurde; abgesehen davon, daß das Christenthum, wie der tüchtigste und konsequenteste Theil der protestantischen Theologen behauptet, mit der Vernunft nicht übereinstimmen kann, weil die „weltliche" Vernunft und die „geistliche" sich widersprechen, was Tertullian klassisch so ausdrückt: „verum est, 25 quia absurdum est"; hiervon abgesehen, wie soll man die Uebereinstimmung der wissenschaftlichen Forschung mit der Religion beweisen, wenn nicht, indem man die wissenschaftliche Forschung zwingt, dadurch in die Religion aufzugehen, daß man sie ihren eigenen Gang fortgehen läßt. Ein anderer Zwang ist wenigstens kein Beweis. 30 Allerdings, wenn ihr von vornherein nur das als wissenschaftliche For schung anerkennt, was eure Ansicht ist, so habt ihr leicht prophezeien; aber welchen Vorzug hat eure Behauptung denn vor der des indischen Braminen, der die Heiligkeit der Vedas beweist, indem er allein sich das Recht vorbehält, sie zu lesen! 35 Ja, sagt H., „wissenschaftliche Forschung". Aber jede Forschung, die dem Christenthum widerspricht, bleibt „auf halbem Wege stehen", oder 178 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" „schlägt einen falschen Weg" ein. Kann man sich das Argumentiren be quemer machen? Die wissenschaftliche Forschung, sobald sie sich „den Inhalt des Gefun denen klar gemacht", wird nie den Wahrheiten des Christenthums wider- 5 streiten, aber zugleich muß der Staat dafür sorgen, daß dieses „Klar machen" unmöglich sei, denn die Forschung darf sich nie an die Fassungs kraft der großen Menge wenden, d. h. nie sich selbst populär und klar werden. Selbst wenn sie in allen Zeitungen der Monarchie von unwissen schaftlichen Forschern angegriffen wird, muß sie bescheiden sein und 10 schweigen. Das Christenthum schließt die Möglichkeit „jedes neuen Verfalls" aus, aber die Polizei muß wachen, daß die philosophirenden Zeitungsschreiber es nicht zum Verfall bringen, sie muß mit der äußersten Strenge wachen. Der Irrthum wird im Kampfe mit der Wahrheit von selbst als solcher 15 erkannt werden, ohne daß es einer Unterdrückung durch äußere Gewalt bedürfte; aber der Staat muß diesen Kampf der Wahrheit erleichtern, indem er den Verfechtern des „Irrthums" zwar nicht die innere Freiheit nimmt, die er ihnen nicht nehmen kann, aber wohl die Möglichkeit dieser Freiheit, die Möglichkeit der Existenz. 20 Das Christenthum ist seines Sieges gewiß, aber es ist nach H. seines Siegs nicht so gewiß, um die Hülfe der Polizei zu verschmähen. Wenn von vornherein Alles Irrthum ist und als Irrthum behandelt werden muß, was eurem Glauben widerspricht, was unterscheidet eure Prätension von der Prätension des Muhamedaners, von der Prätension 25 jeder andern Religion? Soll die Philosophie für jedes Land, nach dem Sprichworte „ländlich, sittlich" andere Grundsätze annehmen, um den Grundwahrheiten des Dogma's nicht zu widerstreiten; soll sie in dem einen Lande glauben, daß 3 x 1 = 1, in dem andern, daß die Weiber keine Seelen haben, im dritten, daß im Himmel Bier getrunken wird? Gibt es keine 30 allgemein menschliche Natur, wie es eine allgemeine Natur der Pflanzen und Gestirne gibt? Die Philosophie fragt, was wahr, nicht was gültig, sie fragt, was für alle Menschen wahr, nicht was für einzelne wahr ist; ihre metaphysischen Wahrheiten kennen nicht die Gränzen der politischen Geographie; ihre politischen Wahrheiten wissen zu gut, wo die „Gränzen" 35 anfangen, um den illusorischen Horizont der besondern Welt- und Volks anschauung mit dem wahren Horizont des menschlichen Geistes zu ver wechseln. H. ist unter allen Vertheidigern des Christenthums der schwächste. Die lange Existenz des Christenthums ist sein einziger Beweis für das Christenthum. Existirt nicht auch die Philosophie von Thaies bis heut zu 40 Tage und zwar nach H. gerade jetzt mit größern Ansprüchen und größerer Meinung von ihrer Wichtigkeit als jemals? 179 Publizistische Arbeiten Wie beweist nun H. endlich, daß der Staat ein „christlicher" Staat sei, daß er, statt eine freie Vereinigung sittlicher Menschen, eine Vereinigung von Gläubigen, statt der Verwirklichung der Freiheit die Verwirklichung des Dogma's bezweckt. „Unsere europäischen Staaten haben sämmtlich das Christenthum zur Grundlage." 5 Auch der französische Staat? Es heißt in der Charte, Art. 3, nicht: „jeder Christ", oder „nur der Christ", sondern: «tous les Français sont également admissibles aux emplois civiles et militaires.» Auch im preußischen Landrecht II. Th. XIII. Tit. etc. heißt es: „Die vorzüglichste Pflicht des Oberhauptes im Staate ist, sowohl die äußere 10 als die innere Ruhe und Sicherheit zu erhalten, und einen Jeden bei dem Seinigen gegen Gewalt und Störung zu schützen." Nach §. 1 vereinigt aber das Staatsoberhaupt in sich alle „Pflichten und Rechte des Staates". Es heißt nicht, die vorzüglichste Pflicht des Staates sei die Unterdrückung ketzerischer Irrthümer und die Seligkeit der andern Welt. 15 Wenn aber wirklich einige europäische Staaten auf dem Christenthum beruhen, entsprechen diese Staaten ihrem Begriff, ist schon die „pure Existenz" eines Zustandes das Recht dieses Zustandes? Nach der Ansicht unseres H. allerdings, denn er erinnert die Anhänger des jungen Hegelthums: „daß nach den Gesetzen, die in dem größten Theil 20 des Staates in Kraft sind, eine Ehe ohne kirchliche Weihe als Concubinat angesehen und als solches polizeilich bestraft wird". Also wenn die „Ehe ohne kirchliche Weihe" am Rhein nach dem Code Napoleon für „eine Ehe" und an der Spree nach dem preußischen Land recht für ein „Concubinat" angesehen wird, so soll die „polizeiliche" 25 Strafe ein Argument für „Philosophen" sein, daß hier Recht, was dort Unrecht ist, daß nicht der Code, sondern das Landrecht den wissenschaft lichen und sittlichen, den vernünftigen Begriff von der Ehe hat. Diese „Philosophie der polizeilichen Strafen" mag sonst wo überzeugen, sie überzeugt nicht in Preußen. Wie wenig übrigens das preußische Landrecht 30 die Tendenz der „heiligen" Ehen hat, sagt §. 12, Th. II. Tit. 1. „Doch ver liert eine Ehe, welche nach den Landesgesetzen erlaubt ist, dadurch, daß die Dispensation der geistlichen Obern nicht nachgesucht oder versagt worden, nichts von ihrer bürgerlichen Gültigkeit." Auch hier wird die Ehe theilweise von den „geistlichen Obern" eman- 35 | cipirt und ihre „bürgerliche" Gültigkeit von ihrer „kirchlichen" unter schieden. Daß unser großer christlicher Staatsphilosoph keine „hohe" Ansicht vom Staate hat, versteht sich von selbst. „Da unsere Staaten nicht blos Rechtsgenossenschaften, sondern zu- gleich wahre Erziehungsanstalten sind, die ihre Pflege nur über einen ! -j 180 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" weiteren Kreis ausbreiten, als die Anstalten, die zur Erziehung der Jugend bestimmt sind" etc. „die gesammte öffentliche Erziehung" beruhe „auf der Grundlage des Christenthums." Die Erziehung unserer Schuljugend basirt eben so sehr auf den alten 5 Klassikern und den Wissenschaften überhaupt, als auf dem Katechismus. Der Staat unterscheidet sich nach H. von einer Kleinkinderbewahranstalt nicht durch den Gehalt, sondern durch die Größe, er dehnt seine „Pflege" weiter aus. Die wahre „öffentliche" Erziehung des Staates ist aber vielmehr das 10 vernünftige und öffentliche Dasein des Staates, selbst der Staat erzieht seine Glieder, indem er sie zu Staatsgliedern macht, indem er die Zwecke des Einzelnen in allgemeine Zwecke, den rohen Trieb in sittliche Neigung, die natürliche Unabhängigkeit in geistige Freiheit verwandelt, indem der Einzelne sich im Leben des Ganzen und das Ganze sich in der Gesinnung 15 des Einzelnen genießt. 20 Der leitende Artikel dagegen macht den Staat nicht zu einem Verein freier Menschen, die sich wechselseitig erziehen, sondern zu einem Haufen Erwachsener, welche die Bestimmung haben, von oben erzogen zu werden und aus der „engen" Schulstube in die „weitere" Schulstube einzutreten. Diese Erziehungs- und Bevormundungstheorie wird hier von einem Freunde der Preßfreiheit vorgebracht, der aus Liebe zu dieser Schönen die „Vernachlässigungen der Censur" notirt, der die „Fassungskraft der großen Menge" gehörigen Orts zu schildern weiß — (vielleicht erscheint die Fassungskraft der großen Menge neuerdings der „Kölnischen Zeitung" 25 so prekär, weil die Menge verlernt hat, die Vorzüge der „unphilosophischen Zeitung" zu fassen?), — der den Gelehrten anräth, eine Ansicht für die Bühne und eine andere Ansicht für die Coulissen zu haben! Wie der leitende Artikel seine „untersetzte" Staatsansicht, mag er uns jetzt seine niedrige Ansicht „vom Christenthum" dokumentiren. 30 „Alle Zeitungsartikel der Welt werden eine Bevölkerung, die sich im Ganzen wohl und glücklich fühlt, niemals überreden, daß sie sich in einem unseeligen Zustand befände." Und wie! Das materielle Gefühl des Wohls und Glücks ist stichhaltiger gegen Zeitungsartikel als die beseeligende und alles besiegende Zuversicht 35 des Glaubens! H. singt nicht: „Eine feste Burg ist unser Gott." Das wahr haft gläubige Gemüth der „großen Menge" sollte eher den Rostflecken des Zweifels ausgesetzt sein, als die raffinirte Weltbildung der „kleinen Menge"! „Selbst von Aufreizungen zum Aufruhr" fürchtet H. „in einem wohl- 40 geordneten Staate" weniger, als in einer „wohlgeordneten Kirche", die noch überdem der „Geist Gottes" in alle Wahrheit leite. Ein schöner 181 Publizistische Arbeiten Gläubiger und nun erst der Grund! Die politischen Artikel seien nämlich der Menge verständlich und die philosophischen Artikel seien ihr unver ständlich! Stellt man endlich den Wink des leitenden Artikels: „die halben Maaß- regeln, die man in der letzten Zeit gegen das junge Hegelthum ergriffen, 5 haben die gewöhnlichen Folgen halber Maaßregeln gehabt", mit dem biedern Wunsch zusammen, daß die letzten Unternehmungen der Hegelinge „ohne allzu nachtheilige Folgen" für sie vorübergehen mögen, so begreift man die Worte Cornwalls im Lear: Der kann nicht schmeicheln, der! — ein ehrlicher Und grader Sinn; er muß die Wahrheit sagen. Will man es sich gefallen lassen, gut; — Wo nicht, so ist er grade. — Diese Art Von Schelmen kenn ich, die in diese Gradheit Mehr Arglist hüllen, mehr verschmitzte Zwecke Als zwanzig alberne, gebückte Schranzen Mit ihrer breiten Dienstbeflissenheit. 10 15 Wir würden die Leser der „Rheinischen Zeitung" zu beleidigen glauben, wenn wir sie mit dem mehr komischen als ernsten Schauspiel befriedigt wähnten, einen ci-devant Liberalen, einen „jungen Mann von ehedem" 20 in die gebührenden Schranken zurückgewiesen zu sehen; wir wollen einige wenige Worte über „die Sache selbst" sagen. So lange wir mit der Polemik gegen den leidenden Artikel beschäftigt waren, wäre es Unrecht gewesen, ihn in dem Geschäft der Selbstvernichtung zu unterbrechen. Rheinische Zeitung. Nr. 195, 14. Juli 1842. Beiblatt Zunächst wird die Frage gestellt: „Soll die Philosophie die religiösen 25 Anliegenheiten auch in Zeitungsartikeln besprechen?" Man kann diese Frage nur beantworten, indem man sie kritisirt. Die Philosophie, vor Allem die deutsche Philosophie, hat einen Hang zur Einsamkeit, zur systematischen Abschließung, zur leidenschaftslosen Selbstbeschauung, die sie dem schlagfertigen, tageslauten, nur in der Mit- 30 theilung sich genießenden Charakter der Zeitungen von vornherein ent fremdet gegenüber stellt. Die Philosophie, in ihrer systematischen Ent wicklung begriffen, ist unpopulär, ihr geheimes Weben in sich selbst erscheint dem profanen Auge als ein eben so überspanntes wie unprakti sches Treiben; sie gilt für einen Professor der Zauberkünste, dessen 35 Beschwörungen feierlich klingen, weil man sie nicht versteht. 182 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" Die Philosophie hat, ihrem Charakter gemäß, nie den ersten Schritt dazu gethan, das ascetische Priestergewand mit der leichten Conventions tracht der Zeitungen zu vertauschen. Allein die Philosophen wachsen nicht wie Pilze aus der Erde, sie sind die Früchte ihrer Zeit, ihres Volkes, 5 dessen subtilste, kostbarste und unsichtbarste Säfte in den philosophischen Ideen rouliren. Derselbe Geist baut die philosophischen Systeme in dem Hirn der Philosophen, der die Eisenbahnen mit den Händen der Gewerke baut. Die Philosophie steht nicht außer der Welt, so wenig das Gehirn außer dem Menschen steht, weil es nicht im Magen liegt; aber freilich die 10 Philosophie steht früher mit dem Hirn in der Welt, ehe sie mit den Füßen sich auf den Boden stellt, während manche andere menschliche Sphären längst mit den Füßen in der Erde wurzeln und mit den Händen die Früchte der Welt abpflücken, ehe sie ahnen, daß auch der „Kopf" von dieser Welt oder diese Welt die Welt des Kopfes sei. 15 Weil jede wahre Philosophie die geistige Quintessenz ihrer Zeit ist, muß die Zeit kommen, wo die Philosophie nicht nur innerlich durch ihren Gehalt, sondern auch äußerlich durch ihre Erscheinung mit der wirklichen Welt ihrer Zeit in Berührung und Wechselwirkung tritt. Die Philosophie hört dann auf, ein bestimmtes System gegen andere bestimmte Systeme 20 zu sein, sie wird die Philosophie überhaupt gegen die Welt, sie wird die Philosophie der gegenwärtigen Welt. Die Formalien, welche konstatiren, daß die Philosophie diese Bedeutung erreicht, daß sie die lebendige Seele der Kultur, daß die Philosophie weltlich und die Welt philosophisch wird, waren in allen Zeiten dieselben; man kann jedes Historienbuch nach- 25 schlagen, und man wird mit stereotyper Treue die einfachsten Ritualien wiederholt finden, welche ihre Einführung in die Salons und in die Pfarrer stuben, in die Redaktionszimmer der Zeitungen und in die Antichambres der Höfe, in den Haß und in die Liebe der Zeitgenossen unverkennbar bezeichnen. Die Philosophie wird in die Welt eingeführt von dem Geschrei 30 ihrer Feinde, welche die innere Ansteckung durch den wilden Nothruf gegen die Feuersbrunst der Ideen verrathen. Dieses Geschrei ihrer Feinde hat für die Philosophie dieselbe Bedeutung, welche der erste Schrei eines Kindes für das ängstlich lauschende Ohr der Mutter hat, es ist der Lebens schrei ihrer Ideen, welche die hieroglyphische regelrechte Hülse des 35 Systems gesprengt und sich in Weltbürger entpuppt haben. Die Korybanten und Kabyren, welche mit lautem Lärm der Welt die Geburt des Zeuskindes eintrommeln, wenden sich zunächst gegen die religiöse Partie der Philo sophen, theils weil der inquisitorische Instinkt an dieser sentimentalen Seite des Publikums am Sichersten zu halten weiß, theils weil das Publikum, 40 zu welchem auch die Gegner der Philosophie gehören, nur mit seinen idealen Fühlhörnern die ideale Sphäre der Philosophie tangiren kann und 183 Publizistische Arbeiten der einzige Kreis der Ideen, an dessen Werth das Publikum beinahe so viel glaubt, wie an die Systeme der materiellen Bedürfnisse, ist der Kreis der religiösen Ideen, endlich weil die Religion nicht gegen ein bestimmtes System der Philosophie, sondern gegen die Philosophie überhaupt der bestimmten Systeme polemisirt. 5 Die wahre Philosophie der Gegenwart unterscheidet sich nicht durch dieses Schicksal von den wahren Philosophien der Vergangenheit. Dies Schicksal ist vielmehr ein Beweis, den die Geschichte ihrer Wahrheit schuldig war. Und seit sechs Jahren haben die deutschen Zeitungen gegen die religiöse 10 Partie der Philosophie getrommelt, verleumdet, entstellt, verballhornt. Die Allgemeine Augsburger sang die Bravourarien, fast jede Ouverture spielte das Thema, die Philosophie verdiene nicht von der weisen Dame be sprochen zu werden, sie sei eine Windbeutelei der Jugend, ein Modeartikel blasirter Coterien, aber, aber trotz all Dem konnte man nicht von ihr los 15 und immer von Neuem wurde getrommelt, denn die Augsburger spielt nur Ein Instrument in ihren antiphilosophischen Katzenkonzerten, die eintönige Pauke. Alle deutschen Blätter, von dem „Berliner politischen Wochenblatt" und dem „Hamburger Correspondenten" bis zu den Winkel zeitungen, bis zur „Kölnischen Zeitung" herab, hallten wieder von Hegel 20 und Schelling, Feuerbach und Bauer, deutschen Jahrbüchern etc. — Endlich wurde das Publikum begierig, den Leviathan selbst zu sehen, um so begieri ger, als halboffizielle Artikel drohten, der Philosophie von den Kanzlei stuben her ihr legitimes Schema vorschreiben zu wollen, und gerade das war der Moment, wo die Philosophie in Zeitungen auftrat. Die Philosophie 25 hatte lange geschwiegen zu der selbstgefälligen Oberflächlichkeit, die in einigen abgestandenen Zeitungsphrasen die langjährigen Studien des Genies, die mühsamen Früchte einer aufopfernden Einsamkeit, die Resul tate jener unsichtbaren, aber langsam aufreibenden Kämpfe der Con templation wie Seifenblasen wegzuhauchen prahlten; die Philosophie hatte 30 sogar protestili gegen die Zeitungen, als ein unpassendes Terrain, aber endlich mußte die Philosophie ihr Schweigen brechen, sie wurde Zeitungs- correspondent und — eine unerhörte Diversion — da auf einmal fällt es den redseligen Zeitungslieferanten ein, daß die Philosophie kein Futter für das Zeitungs-Publikum sei, da durften sie es nicht unterlassen, die 35 Regierungen darauf aufmerksam zu machen, daß es nicht ehrlich sei, daß nicht zur Aufklärung des Publikums, sondern zur Erreichung äußerer Zwecke philosophische und religiöse Fragen in das Gebiet der Zeitungen gezogen werden. Was könnte die Philosophie von der Religion, was von sich selbst 40 Schlimmeres sagen, was Euer Zeitungsgeschrei nicht schon längst schlim- 184 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" mer und frivoler ihr imputirt hätte? Sie braucht nur zu wiederholen, was Ihr unphilosophischen Kapuziner in tausend und abermal tausend Contro- versreden von ihr gepredigt, und sie hat das Schlimmste gesagt. Aber die Philosophie spricht anders über religiöse und philosophische 5 Gegenstände, wie Ihr darüber gesprochen habt. Ihr sprecht ohne Studium, sie spricht mit Studium, Ihr wendet Euch an den Affect, sie wendet sich an den Verstand, Ihr flucht, sie lehrt, Ihr versprechet Himmel und Welt, sie verspricht nichts als Wahrheit, Ihr fordert den Glauben an Euren Glauben, sie fordert nicht den Glauben an ihre Resultate, sie fordert die 10 Prüfung des Zweifels; Ihr schreckt, sie beruhigt. Und wahrlich, die Philo sophie ist weltklug genug, zu wissen, daß ihre Resultate nicht schmeicheln weder der Genußsucht und dem Egoismus der himmlischen, noch der irdischen Welt; das Publikum, das aber die Wahrheit, die Erkenntniß ihrer selbst wegen liebt, dessen Urtheilskraft und Sittlichkeit wird sich 15 wohl mit der Urtheilskraft und Sittlichkeit unwissender, serviler, inkonse quenter und besoldeter Scribenten messen können. Allerdings mag Dieser oder Jener aus Miserabilität des Verstandes und der Gesinnung die Philosophie mißdeuten, aber glaubt ihr Protestanten nicht, daß die Katholiken das Christenthum mißdeuten, werft ihr nicht der 20 christlichen Religion die schmählichen Zeiten des 8. und 9. Jahrhunderts vor oder die Bartholomäusnacht, oder die Inquisition? Daß zum großen Theil der Haß der protestantischen Theologie gegen die Philosophen aus der Toleranz der Philosophie gegen die besondere Confession als besondere entspringt, zeigen evidente Beweise. Man hat dem Feuerbach, dem Strauß 25 mehr vorgeworfen, daß sie die katholischen Dogmen für christliche hielten, als daß sie die Dogmen des Christenthums für keine Dogmen der Vernunft erklärten. Wenn aber einzelne Individuen die moderne Philosophie nicht verdauen und an philosophischer Indigestion sterben, so beweist das nicht mehr gegen 30 die Philosophie, als es gegen die Mechanik beweist, wenn hie und da ein Dampfkessel einzelne Passagiere in die Luft sprengt. Die Frage ob philosophische und religiöse Anliegenheiten in den Zei tungen zu besprechen, löst sich in ihre eigene Ideenlosigkeit auf. Wenn solche Fragen schon als Zeitungsfragen das Publikum interessiren, 35 sind sie Fragen der Zeit geworden, dann fragt es sich nicht, ob sie be sprochen, dann fragt es sich, wo und wie sie besprochen werden sollen, ob im Innern der Familien und der Hotels, der Schulen und der Kirche, aber nicht von der Presse, von den Gegnern der Philosophie, aber nicht von den Philosophen, ob in der trüben Sprache der Privatmeinung, aber 40 nicht in der läuternden Sprache des öffentlichen Verstandes, dann fragt es sich, ob in das Bereich der Presse gehört, was in der Wirklichkeit 185 Publizistische Arbeiten lebt, dann handelt es sich nicht mehr von einem besondern Inhalt der Presse, dann handelt es sich um die allgemeine Frage, ob die Presse wirk liche Presse d. h. freie Presse sein soll? Die zweite Frage scheiden wir gänzlich von der ersten: „Ist die Politik philosophisch von den Zeitungen zu behandeln in einem sogenannten christlichen Staat?" s Wenn die Religion zu einer politischen Qualität wird, zu einem Gegenstand der Politik, so scheint fast keiner Erwähnung zu bedürfen, daß die Zeitungen politische Gegenstände nicht nur besprechen dürfen, sondern auch müssen. Es scheint von vornherein die Weisheit der Welt, die Philosophie mehr 10 Recht zu haben, sich um das Reich dieser Welt, um den Staat zu be kümmern, als die Weisheit jener Welt, die Religion. Es fragt sich hier nicht, ob über den Staat philosophirt, es fragt sich, ob gut oder schlecht, philosophisch oder unphilosophisch, ob mit Vorurtheilen oder ohne Vor- urtheile, ob mit Bewußtsein oder ohne Bewußtsein, ob mit Konsequenz 15 oder ohne Konsequenz, ob ganz rational oder halb rational über den Staat philosophirt werden soll. Wenn ihr die Religion zur Theorie des Staats rechts macht, so macht ihr die Religion selbst zu einer Art Philosophie. Hat nicht vor allem das Christenthum Staat und Kirche gesondert? Leset den heiligen Augustinus de civitate dei, studirt die Kirchenväter 20 und den Geist des Christenthums, und dann kommt wieder und sagt uns, ob der Staat oder die Kirche der „christliche Staat" ist! Oder straft nicht jeder Augenblick eures praktischen Lebens eure Theorie Lügen? Haltet Ihr es für Unrecht, die Gerichte in Anspruch zu nehmen, wenn ihr über- vortheilt werdet? Aber der Apostel schreibt, daß es Unrecht sei. Haltet 25 Ihr Euren rechten Backen dar, wenn man Euch auf den linken schlägt, oder macht Ihr nicht einen Prozeß wegen Realinjurien anhängig? Aber das Evangelium verbietet es. Verlangt Ihr vernünftiges Recht auf dieser Welt, murrt Ihr nicht über die kleinste Erhöhung einer Abgabe, gerathet Ihr nicht außer Euch über die geringste Verletzung der persönlichen Freiheit? Aber 30 es ist Euch gesagt, daß dieser Zeit Leiden der künftigen Herrlichkeit nicht werth sei, daß die Passivität des Ertragene und die Seligkeit in der Hoff nung die Kardinaltugenden sind. Handelt der größte Theil Euerer Prozesse und der größte Theil der Civilgesetze nicht vom Besitz? Aber es ist Euch gesagt, daß Eure Schätze 35 nicht von dieser Welt sind. Oder beruft Ihr Euch darauf, das dem Kaiser zu geben, was des Kaisers und Gott, was Gottes, so haltet nicht nur den goldenen Mammon, sondern wenigstens eben so sehr die freie Vernunft für den Kaiser dieser Welt und die „Aktion der freien Vernunft" nennen wir Philosophiren. 40 Als in der heiligen Allianz zuerst ein quasi religiöser Staatenbund 186 ψ Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" geknüpft und die Religion europäisches Staatenwappen werden sollte, da weigerte sich mit tiefem Sinn und richtigster Konsequenz der Papst, diesem Heiligenbunde beizutreten, denn das allgemeine christliche Band der Völker sei die Kirche und nicht die Diplomatie, nicht der weltliche 5 Staatenbund. Der wahrhaft religiöse Staat ist der theokratische Staat; der Fürst solcher Staaten muß entweder, wie im jüdischen der Gott der Religion, der Jehova selbst sein, oder wie in Tibet der Stellvertreter des Gottes, der Dalai Lama, oder endlich wie Görres in seiner letzten Schrift richtig von den 10 christlichen Staaten verlangt, sie müssen sich sämmtlich einer Kirche unterwerfen, die eine „unfehlbare Kirche" ist, denn wenn wie im Protestan tismus kein oberstes Haupt der Kirche existirt, so ist die Herrschaft der Religion nichts anderes als die Religion der Herrschaft, der Kultus des Regierungswillens. 15 Sobald ein Staat mehrere gleichberechtigte Konfessionen einschließt, kann er nicht mehr religiöser Staat sein, ohne eine Verletzung der besondern Religionsconfessionen zu sein, eine Kirche, die jeden Anhänger einer andern Konfession als Ketzer verdammt, die jedes Stück Brod von dem Glauben abhängig, die das Dogma zum Band zwischen den einzelnen 20 Individuen und der staatsbürgerlichen Existenz macht. Fragt die katholi schen Bewohner des „armen, grünen Erin", fragt die Hugenotten vor der französischen Revolution, nicht an die Religion haben sie appellirt, denn ihre Religion war nicht die Staatsreligion, an die „Rechte der Menschheit" haben sie appellirt und die Philosophie interpretirt die Rechte der Mensch- 25 heit, sie verlangt daß der Staat der Staat der menschlichen Natur sei. Aber sagt der halbe, der bornirte, der ebenso ungläubige als theologische Rationalismus, der allgemeine christliche Geist, abgesehen von dem Unter schiede der Konfessionen soll Staatsgeist sein! Es ist die größte Irreligiosi tät, es ist der Uebermuth des weltlichen Verstandes, den allgemeinen 30 Geist der Religion von der positiven Religion zu trennen, diese Trennung der Religion von ihren Dogmen und Institutionen ist dasselbe, als be hauptete man, der allgemeine Geist des Rechts solle im Staat herrschen, abgesehen von den bestimmten Gesetzen und von den positiven Institutionen des Rechts. 35 Wenn ihr euch überhebt, so hoch über der Religion zu stehn, daß un berechtigt seid, den allgemeinen Geist derselben von ihren positiven Bestimmungen zu scheiden, was habt ihr den Philosophen vorzuwerfen, wenn sie diese Scheidung ganz und nicht halb vollziehen, wenn sie den allgemeinen Geist der Religion nicht christlichen, sondern menschlichen 40 Geist nennen? Die Christen wohnen in Staaten von verschiedenen Verfassungen, die 187 Publizistische Arbeiten einen in einer Republik, die andern in einer absoluten, die dritten in einer konstitutionellen Monarchie. Das Christenthum entscheidet nicht über die Güte der Verfassungen, denn es kennt keinen Unterschied der Verfas sungen, es lehrt wie die Religion lehren muß: Seid unterthan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist von Gott. Also nicht aus dem Christenthum, aus der eigenen Natur, aus dem eigenen Wesen des Staates müßt ihr das Recht der Staatsverfassungen entscheiden, nicht aus der Natur der christ lichen, sondern aus der Natur der menschlichen Gesellschaft. 5 Der byzantinische Staat war der eigentliche religiöse Staat, denn die Dogmen waren hier Staatsfragen, aber der byzantinische Staat war der 10 schlechteste Staat. Die Staaten des ancien régime waren die allerchrist- liühsten Staaten, aber nichts desto weniger waren sie Staaten des „Hof willens". Es gibt ein Dilemma, dem der „gesunde" Menschenverstand nicht wider stehen kann. 15 Entweder entspricht der christliche Staat dem Begriff des Staates, eine Verwirklichung der vernünftigen Freiheit zu sein und dann ist nichts erforderlich als ein vernünftiger Staat zu sein, um ein christlicher Staat zu sein, dann genügt es, den Staat aus der Vernunft der menschlichen Verhältnisse zu entwickeln, ein Werk, was die Philosophie vollbringt. Oder 20 der Staat der vernünftigen Freiheit läßt sich nicht aus dem Christenthum entwickeln, dann werdet ihr selbst gestehen, daß diese Entwicklung nicht in der Tendenz des Christenthums liegt, da es keinen schlechten Staat wolle, und ein Staat, der nicht die Verwirklichung der vernünftigen Freiheit ist, ist ein schlechter Staat. 25 Ihr mögt das Dilemma beantworten, wie ihr wollt, und werdet gestehen müssen, daß der Staat nicht aus der Religion sondern aus der Vernunft der Freiheit zu konstruiren ist. Nur die krasseste Ignoranz kann die Be hauptung stellen, diese Theorie, die Verselbstständigung des Staatsbegriffs sei ein Tageseinfall der neuesten Philosophen. 30 Die Philosophie hat nichts in der Politik gethan, was nicht die Physik, die Mathematik, die Medicin, jede Wissenschaft innerhalb ihrer Sphäre gethan hat. Baco von Verulam erklärte die theologische Physik für eine gottgeweihte Jungfrau, die unfruchtbar sei, er emancipirte die Physik von der Theologie und — sie wurde fruchtbar. So wenig ihr den Arzt fragt, 35 ob er gläubig sei, so wenig habt ihr den Politiker zu fragen. Gleich vor und nach der Zeit der großen Entdeckung des Copernicus vom wahren Sonnensystem, wurde zugleich das Gravitationsgesetz des Staats ent deckt, man fand seine Schwere in ihm selbst, und wie die verschiedenen europäischen Regierungen dieses Resultat mit der ersten Oberflächlichkeit 40 der Praxis in dem System des Staatengleichgewichts anzuwenden suchten, 188 Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung" so begannen früher Macchiavelli, Campanella, später Hobbes, Spinoza, Hugo Grotius, bis zu Rousseau, Fichte, Hegel herab, den Staat aus mensch lichen Augen zu betrachten und seine Naturgesetze aus der Vernunft und der Erfahrung zu entwickeln, nicht aus der Theologie, so wenig als 5 Copernicus sich daran stieß, daß Josua der Sonne zu Gibeon und dem Mond im Thale Ajalon stille zu stehen geheißen. Die neueste Philosophie hat nur eine Arbeit weiter geführt, die schon Heraclit und Aristoteles begonnen haben. Ihr polemisirt also nicht gegen die Vernunft der neuesten Philosophie, ihr polemisirt gegen die stets neue Philosophie der Vernunft. 10 Allerdings die Unwissenheit, die vielleicht gestern oder vorgestern in der „Rheinischen- oder Königsberger-Zeitung" zum erstenmal die uralten Staatsideen auffand, diese Unwissenheit hält die Ideen der Geschichte für übernächtige Einfälle einzelner Individuen, weil sie ihr neu und über Nacht gekommen sind; sie vergißt, daß sie selbst die alte Rolle des Doctors der 15 Sorbonne übernimmt, der den Montesquieu öffentlich anzuklagen für seine Pflicht hielt, weil Montesquieu so frivol war, die politische statt der Tugend der Kirche für die höchste Staatsqualität zu erklären; sie vergißt, daß sie die Rolle des Joachim Lange übernimmt, der den Wolf denuncirte, weil seine Lehre von der Prädestination die Desertion der Soldaten und 20 damit die Lockerung der militairischen Disciplin und endlich die Auflösung des Staats herbeiführen werde; sie vergißt endlich, daß das preußische Landrecht aus der Philosophenschule eben „dieses Wolfes" und der fran zösische Code Napoleon nicht aus dem alten Testament, sondern aus der Ideenschule der Voltaire, Rousseau, Condorcet, Mirabeau, Montesquieu 25 und aus der französischen Revolution hervorgegangen ist. Die Unwissen heit ist ein Dämon, wir fürchten, sie wird noch manche Trauerspiele aufführen; mit Recht haben die größten griechischen Dichter sie in den furchtbaren Dramen der Königshäuser von Mycene und Theben, als das tragische Geschick dargestellt. 30 Wenn aber die früheren philosophischen Staatsrechtslehrer aus den Trieben, sei es des Ehrgeizes, sei es der Geselligkeit, oder zwar aus der Vernunft, aber nicht aus der Vernunft der Gesellschaft, sondern aus der Vernunft des Individuums den Staat construirten: so die ideellere und gründlichere Ansicht der neuesten Philosophie aus der Idee des Ganzen. 35 Sie betrachtet den Staat als den großen Organismus, in welchem die recht liche, sittliche und politische Freiheit ihre Verwirklichung zu erhalten hat und der einzelne Staatsbürger in den Staatsgesetzen nur den Naturgesetzen seiner eigenen Vernunft, der menschlichen Vernunft gehorcht. Sapienti sat. to Zum Schlüsse wenden wir uns noch einmal mit einem philosophischen Abschiedsworte an die „Kölnische Zeitung". Es war vernünftig von ihr, 189 Publizistische Arbeiten einen Liberalen „von ehedem" sich anzueignen. Man kann auf die be quemste Art liberal und reaktionär zugleich sein, wenn man nur stets so geschickt ist, sich an die Liberalen der jüngsten Vergangenheit zu adres- siren, die kein anderes Dilemma kennen, als das des Vidocq „Gefangener oder Gefangenwärter". Es war noch vernünftiger, daß der Liberale der jüngsten Vergangenheit die Liberalen der Gegenwart bekämpfte. Ohne Par teien keine Entwicklung, ohne Scheidung kein Fortschritt. Wir hoffen, daß mit dem leitenden Artikel in Nr. 179 für die Kölnische Zeitung eine neue Aera begonnen hat, die Aera des Charakters. 190 Das philosophische Manifest der historischen Rechtsschule Das philosophische Manifest der historischen Rechts schule. *** Die vulgaire Ansicht betrachtet die historische Schule als Reaction gegen den frivolen Geist des achtzehnten Jahrhunderts. Die Verbreitung 5 dieser Ansicht steht in umgekehrtem Verhältniß zu ihrer Wahrheit. Das achtzehnte Jahrhundert hat vielmehr nur ein Produkt erzeugt, dessen wesentlicher Charakter die Frivolität ist, und dies einzig frivole Produkt ist die historische Schule. Die historische Schule hat das Quellenstudium zu ihrem Schiboleth 10 gemacht, sie hat ihre Quellenliebhaberei bis zu dem Extrem gesteigert, daß sie dem Schiffer anmuthet, nicht auf dem Strome, sondern auf seiner Quelle zu fahren; sie wird es billig finden, daß wir auf ihre Quellen zurückgehen, auf Hugo's Naturrecht. Ihre Philosophie geht ihrer Ent wicklung voraus, man wird daher in ihrer Entwickelung selbst vergeblich 15 nach Philosophie suchen. Eine gangbare Fiktion des achtzehnten Jahrhunderts betrachtete den Naturzustand als den wahren Zustand der menschlichen Natur. Man wollte mit leiblichen Augen die Ideen des Menschen sehen und schuf Natur menschen, Papageno's, deren Naivität sich bis auf ihre befiederte Haut 20 erstreckt. In den letzten Decennien des achtzehnten Jahrhunderts ahnte man Urweisheit bei Naturvölkern und von allen Enden hörten wir, Vogel steller die Sangweisen der Irokesen, Indianer u.s.w. nachzwitschern, mit der Meinung, durch diese Künste die Vögel selbst in die Falle zu locken. Allen diesen Excentritäten lag der richtige Gedanke zu Grunde, daß die 25 rohen Zustände naive niederländische Gemälde der wahren Zustände sind. Der Naturmensch der historischen Schule, den noch keine romantische Kultur beleckt, ist Hugo. Sein Lehrbuch des Naturrechts ist das alte Testament der historischen Schule. Herder's Ansicht, daß die Natur- 191 Publizistische Arbeiten menschen Poeten, und die heiligen Bücher der Naturvölker poetische Bücher sind, steht uns nicht im Wege, obgleich Hugo die allertrivialste, allernüchternste Prosa spricht, denn wie jedes Jahrhundert seine eigen- thümliche Natur besitzt, so zeugt es seine eigenthümlichen Naturmenschen. Wenn Hugo daher nicht dichtet, so fingirt er doch, und die Fiktion ist die Poesie der Prosa, die der prosaischen Natur des achtzehnten Jahrhunderts entspricht. 5 Indem wir aber Herrn Hugo als Aeltervater und Schöpfer der histori schen Schule bezeichnen, handeln wir in ihrem eigenen Sinne, wie das Festprogramm des berühmtesten historischen Juristen zu Hugo's Jubiläum 10 beweist. Indem wir Herrn Hugo als ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts begreifen, verfahren wir sogar im Geist des Herrn Hugo, wie er selbst bezeugt, indem er sich für einen Schüler Kant's und sein Naturrecht für einen Sprößling der kantischen Philosophie ausgibt. Wir nehmen sein Manifest an diesem Punkte auf. 15 Hugo mißdeutet den Meister Kant dahin, daß, weil wir das Wahre nicht wissen können, wir konsequenter Weise das Unwahre, wenn es nur existirt, für voiigü/iigpassiren lassen. Hugo ist ein Skeptiker gegen das nothwendige Wesen der Dinge, um ein Hoffmann gegen ihre zufällige Erscheinung zu sein. Er sucht daher keineswegs zu beweisen, daß das Positive ver- 20 nünftig sei; er sucht zu beweisen, daß das Positive nicht vernünftig sei. Aus allen Weltgegenden schleppt er mit selbstgefälliger Industrie Gründe herbei, um zur Evidenz zu steigern, daß keine vernünftige Nothwendigkeit die positiven Institutionen, z.B. Eigenthum, Staatsverfassung, Ehe etc. beseelt, daß sie sogar der Vernunft widersprechen, daß sich höchstens 25 dafür und dagegen schwatzen lasse. Man darf diese Methode keineswegs seiner zufälligen Individualität vorwerfen; es ist vielmehr die Methode seines Prinzips, es ist die offenherzige, die naive, die rücksichtslose Methode der historischen Schule. Wenn das Positive gelten soll, weil es positiv ist, so muß ich beweisen, daß das Positive nicht gilt, weil es ver- 30 nünftig ist, und wie könnte ich dies evidenter, als durch den Nachweis, daß das Unvernünftige positiv, und das Positive nicht vernünftig ist? Daß das Positive nicht durch die Vernunft, sondern trotz der Vernunft existirt? Wäre die Vernunft der Maßstab des Positiven, so wäre das Positive nicht der Maßstab der Vernunft. „Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode!" 35 Hugo entheiligt daher Alles, was dem rechtlichen, dem sittlichen, dem politischen Menschen heilig ist, aber er zerschlägt diese Heiligen nur, um ihnen den historischen Reliquiendienst erweisen zu können, er schändet sie vor den Augen der Vernunft, um sie hinterher zu Ehren zu bringen vor den Augen der Historie, zugleich aber auch, um die historischen Augen 40- zu Ehren zu bringen. 192 Das philosophische Manifest der historischen Rechtsschule Wie das Prinzip, so ist die Argumentation Hugo's positiv, d.h. un- faitisch. Er kennt keine Unterschiede. Jede Existenz gilt ihm für eine Autorität, jede Autorität gilt ihm für einen Grund. So werden denn zu einem Paragraphen citirt Moses und Voltaire, Richardson und Homer, Montaigne und Ammon, Rousseau's contract social und Augustinus de civitate dei. Gleich nivellirend wird mit den Völkern verfahren. Der Siamite, der es für ewige Naturordnung hält, daß sein König einem Schwätzer den Mund zunähen, und einem unbeholfenen Redner ihn bis an die Ohren aufschneiden läßt, ist nach Hugo so positiv, als der Engländer, der es zu den politischen Paradoxien zählt, daß sein König eigenmächtig eine Auflage von einem Pfennig ausschreiben werde. Der schamlose Conci, der nackt umherläuft und sich höchstens mit Schlamm bedeckt, ist so positiv, als der Franzose, der sich nicht nur kleidet, sondern elegant kleidet. Der Deutsche, der seine Tochter als das Kleinod der Familie erzieht, ist nicht positiver als der Rasbute, der sie tödtet, um sich der Nahrungssorge für sie zu überheben. Mit einem Worte: der Hautausschlag ist so positiv als die Haut. An einem Ort ist Das positiv, am andern Jenes; Eins ist so unvernünftig als das Andere; unterwirf Dich Dem, was in Deinen vier Pfählen positiv ist. Hugo ist also vollendeter Skeptiker. Die Skepsis des achtzehnten Jahr hunderts gegen die Vernunft des Bestehenden erscheint bei ihm als Skepsis gegen das Bestehen der Vernunft. Er adoptirt die Aufklärung, er sieht in dem Positiven nichts Vernünftiges mehr, aber nur, um in dem Vernünf tigen nichts Positives mehr sehen zu dürfen. Er meint, man habe den Schein der Vernunft an dem Positiven ausgeblasen, um das Positive ohne den Schein der Vernunft anzuerkennen; er meint, man habe die falschen Blumen an den Ketten zerpflückt, um ächte Ketten ohne Blumen zu tragen. Hugo verhält sich zu den übrigen Aufklärern des achtzehnten Jahr hunderts, wie sich etwa die Auflösung des französischen Staats am lieder lichen Hofe des Regenten zur Auflösung des französischen Staats in der Nationalversammlung verhält. Auf beiden Seiten Auflösung! Dort erscheint sie als liederliche Frivolität, welche die hohle Ideenlosigkeit der bestehen den Zustände begreift und verspottet, aber nur, um aller vernünftigen und sittlichen Bande quitt, ihr Spiel mit den faulen Trümmern zu treiben und vom Spiel derselben getrieben und aufgelöst zu werden. Es ist die Ver faulung der damaligen Welt, die sich selbst genießt. In der National versammlung dagegen erscheint die Auflösung als Loslösung des neuen Geistes von alten Formen, die nicht mehr werth und nicht menr fähig waren, ihn zu fassen. Es ist das Selbstgefühl des neuen Lebens, welches Ist daher das Zertrümmerte zertrümmert, das Verworfene verwirft. 193 Publizistische Arbeiten Kant's Philosophie mit Recht als die deutsche Theorie der französischen Revolution zu betrachten, so Hugo's Naturrecht als die deutsche Theorie des französischen ancien régime. Wir finden bei ihm die ganze Frivolität jener Roués wieder, die gemeine Skepsis, welche frech gegen Ideen, allerdevotest gegen Handgreiflichkeiten, erst ihre Klugheit empfindet, wenn sie den Geist des Positiven erlegt hat, um nun das rein Positive als Resi duum zu besitzen und in diesen thierischen Zuständen behaglich zu sein. Selbst wenn Hugo die Schwere der Gründe abwägt, so wird er mit un fehlbar sicherem Instinkt das Vernünftige und Sittliche an den Institutionen bedenklich für die Vernunft finden. Nur das Thierische erscheint seiner 10 Vernunft als das Unbedenkliche. Doch hören wir unsern Aufklärer vom Standpunkt des ancien régime! Man muß Hugo's Ansichten von Hugo hören. Zu allen seinen Combinationen gehört ein: α υ τ ός ε φ η. 5 Introduction. „Das einzige juristische Unterscheidungsmerkmal des Menschen ist seine 15 thierische Natur." Das Kapitel von der Freiheit. „Selbst dies ist eine Einschränkung der Freiheit (sc. des vernünftigen Wesens), daß es nicht nach Belieben aufhören kann, ein vernünftiges Wesen zu sein, d.h. ein Wesen, das vernünftig handeln kann und soll." 20 „Die Unfreiheit ändert an der thierischen und vernünftigen Natur des Unfreien und anderer Menschen Nichts. Die Gewissenspflichten bleiben alle. Die Sklaverei ist nicht nur physisch möglich, sondern auch, sie ist nach der Vernunft möglich, und bei jeder Forschung, die uns das Gegen- theil lehrt, muß irgend ein Mißverständniß mit unterlaufen. Peremptorisch 25 rechtlich ist sie freilich nicht, d. h. sie folgt nicht aus der thierischen Natur, nicht aus der vernünftigen und nicht aus der bürgerlichen. Daß sie aber so gut provisorisches Recht sein kann, als irgend etwas von den Gegnern Zugegebenes, ergibt die Vergleichung mit dem Privatrechte und mit dem öffentlichen Rechte." Beweis: „In Ansehung der thierischen Natur ist Der 30 offenbar mehr vor Mangel gesichert, welcher einem Reichen gehört, der etwas mit ihm verliert und seine Noth gewahr wird, als der Arme, welchen seine Mitbürger benutzen, so lange etwas an ihm zu benutzen ist etc." „Das Recht, servi zu mißhandeln und zu verstümmeln, ist nicht wesentlich, und wenn es auch stattfindet, so ist es nicht viel schlimmer, 35 194 Das philosophische Manifest der historischen Rechtsschute als Das, was sich die Armen gefallen lassen, und was den Körper betrifft, nicht so schlimm, als der Krieg, von welchem servi als solche überall frei sein müssen. Die Schönheit sogar findet sich eher bei einer cirkas- sischen Sklavin, als bei einem Bettlermädchen." (Hört den Alten!) „Für die vernünftige Natur hat die servitus vor der Armuth den Vorzug, daß viel eher der Eigenthümer an den Unterricht eines servus, der Fähig keiten zeigt, selbst aus wohlverstandener Wirtschaft, etwas wenden wird, als dies bei einem Bettlerkinde der Fall ist. In einer Verfassung bleibt grade der servus mit sehr vielen Arten des Druckes verschont. Ist der Sklave unglücklicher als der Kriegsgefangene, den seine Bedeckung weiter gar nichts angeht, als daß sie eine Zeitlang für ihn verantwortlich ist, unglücklicher als der Baugefangene, über welchen die Regierung einen Aufseher gesetzt hat." „Ob die Sklaverei an sich der Fortpflanzung vortheilhaft oder nach theilig sei, darüber streitet man noch." Das Kapitel von der Ehe. „Die Ehe ist schon oft bei der philosophischen Betrachtung des positiven Rechts für viel wesentlicher und der Vernunft viel gemäßer angesehen worden, als sie bei einer ganz freien Prüfung erscheint." Zwar die Befriedi gung des Geschlechtstriebs in der Ehe konvenirt Herrn Hugo. Er leitet sogar eine heilsame Moral aus diesem Faktum: „Hieraus, wie aus un zähligen anderen Verhältnissen hätte man sehn sollen, dass es nicht immer unsittlich sei, den Körper eines Menschen als ein Mittel zu einem Zweck zu behandeln, wie man, und auch wohl Kant selbst, diesen Ausdruck falsch verstanden hat." Aber die Heiligung des Geschlechtstriebes durch die Ausschließlichkeit, die Bändigung des Triebs durch die Gesetze, die sittliche Schönheit, die das Naturgebot zu einem Moment geistiger Ver bindung idealisirt — das geistige Wesen der Ehe — das eben ist Herrn Hugo das Bedenkliche an der Ehe. Doch ehe wir weiter seine frivole Schamlosigkeit verfolgen, hören wir einen Augenblick dem historischen Deutschen gegenüber den französischen Philosophen. «C'est en renonçant pour un seul homme à cette réserve mystérieuse, dont la règle divine est imprimée dans son cœur, que la femme se voue à cet homme, pour lequel elle suspend, dans un abandon momentané, cette pudeur, qui ne la quitte jamais; pour lequel seul elle écarte des voiles qui sont d'ailleurs son asile et sa parure. De là cette confiance intime dans son époux, résultat d'une relation exclusive, qui ne peut exister qu'entre elle et lui, sans qu'aussitôt elle se sente flétrie; de là dans cet 195 Publizistische Arbeiten époux la reconnaissance pour un sacrifice et ce mélange de désir et de respect pour un être qui, même en partageant ses plaisirs, ne semble encore que lui céder; de là tout ce qu'il y a de régulier dans notre ordre social.» Also der liberale philosophische Franzose Benjamin ConstantlXJnd nun hören wir den servilen historischen Deutschen ! 5 ...man rate! „Viel bedenklicher ist schon die zweite Beziehung, daß außer der Ehe die Befriedigung dieses Triebes nicht erlaubt ist. Die tierische Natur ist dieser Einschränkung zuwider. Die vernünftige Natur ist es noch mehr, weil ...weil ein Mensch beinahe allwissend sein müßte, um vorauszusehen, welchen Erfolg es haben werde, weil es also Gori 10 versuchen heißt, wenn man sich verpflichtet, einen der heftigsten Natur triebe nur dann zu befriedigen, wenn es mit einer bestimmten andern Person geschehen kann!" „Das seiner Natur nach freie Gefühl des Schönen soll gebunden und, was von ihm abhängt, soll völlig davon losgerissen werden." Seht ihr, in welche Schule unsere Jungdeutschen gegangen sind ! 15 „Gegen die bürgerliche Natur stößt diese Einrichtung insofern an, als ... endlich die Polizei eine fast kaum zu lösende Aufgabe übernimmt!" Ungeschickte Philosophie, keine solche Aufmerksamkeiten gegen die Polizei zu handhaben! „Alles, was in der Folge von den näheren Bestimmungen des Eherechts 20 vorkommen wird, lehrt uns, dass die Ehe, man mag dabei Grundsätze annehmen, welche man will, eine sehr unvollkommene Einrichtungbleibt." „Diese Einschränkung des Geschlechtstriebes auf die Ehe hat aber auch ihre wichtigen Vorteile, indem — dadurch gewöhnlich ansteckende Krank heiten vermieden werden. Der Regierung erspart die Ehe gar viel Weit- 25 läuftigkeit. Endlich tritt dann noch die überall so wichtige Betrachtung ein, dass hierin das Privatrechtliche nun schon einmal das einzig Gewöhnliche ist." „Fichte sagt: Die unverheiratete Person ist nur zur Hälfte ein Mensch. Da tut es mir (sc. Hugo) aber ordentlich leid, einen solchen schönen Aus spruch, wodurch ja auch ich über Christus, Fénélon, Kant, Hume zu stehen 30 käme, für eine ungeheure Übertreibung erklären zu müssen." „Was die Mono- und Polygamie betrifft, so kömmt es dabei offenbar auf die tierische Natur des Menschen an!!" Das Kapitel von der Erziehung. Wir erfahren sogleich: „Daß die Erziehungskunst gegen die darauf (sc. 35 Erziehung in der Familie) sich beziehenden juristischen Verhältnisse nicht weniger einzuwenden hat, als die Kunst zu lieben gegen die Ehe." „Die Schwierigkeit, daß man nur in einem solchen Verhältniß erziehen 196 Das philosophische Manifest der historischen Rechtsschule darf, ist zwar hier lange nicht so bedenklich, wie bei der Befriedigung des Geschlechtstriebes, auch um deswillen, weil es erlaubt ist, die Erziehung vertragsweise einem Dritten zu überlassen, also, wer einen so großen Trieb fühlte, sehr leicht dazu kommen könnte, ihn zu befriedigen, nur freilich 5 nicht gerade an der bestimmten Person, die er sich wünschte. Indeß ist auch schon dies der Vernunft zuwider, daß Jemand, dem gewiß nie ein Kind anvertraut werden würde, kraft eines solchen Verhältnisses erziehen und Andere von der Erziehung ausschließen darf. Endlich tritt dann auch hier ein Zwang ein, theils insofern dem Erziehenden im positiven Recht 10 gar oft nicht erlaubt wird, dieses Verhältniß aufzugeben, theils insofern der zu Erziehende genöthigt ist, sich grade von Diesem erziehen zu lassen. Die Wirklichkeit dieses Verhältnisses beruht meistens auf dem bloßen Zu fall der Geburt, welche auf den Vater durch die Ehe bezogen sein muß. Diese Entstehungsart ist offenbar nicht sehr vernünftig, auch um deswillen, 15 weil hier gewöhnlich eine Vorliebe eintritt, welche allein schon einer guten Erziehung im Wege steht, und, daß sie dann doch nicht durchaus noth- wendig ist, sieht man daraus, weil ja auch Kinder erzogen werden, deren Aeltern bereits gestorben sind." Das Kapitel vom Privatrecht. 20 §. 107 werden wir belehrt, daß die: „Nothwendigkeit des Privatrechts überhaupt eine vermeinte sei. " Das Kapitel vom Staatsrecht. „Es ist eine heilige Gewissenspflicht, der Obrigkeit zu gehorchen, welche die Gewalt in Händen hat." „Was die Vertheilung der Regierungsgewalt 25 betrifft, so ist zwar keine einzelne Verfassung peremptorisch rechtlich; aber provisorisch rechtlich ist jede, die Regierungsgewalt sei vertheilt, wie sie wolle." Hat Hugo nicht bewiesen, daß der Mensch auch die letzte Fessel der Freiheit abwerfen kann, nämlich die, ein vernünftiges Wesen zu sein? 30 Diese wenigen Excerpte aus dem philosophischen Manifest der histori schen Schule reichen hin, glauben wir, um ein historisches Urtheil über diese Schule an die Stelle unhistorischer Einbildungen, unbestimmter Gemüthsträume und absichtlicher Fiktionen zu setzen; sie reichen hin, um zu entscheiden, ob Hugo's Nachfolger den Beruf haben, die Gesetz- 35 geber unserer Zeit zu sein. 197 Publizistische Arbeiten Allerdings ist dieser rohe Stammbaum der historischen Schule im Laufe der Zeit und der Cultur von dem Rauch werke der Mystik in Nebel gehüllt, von der Romantik phantastisch ausgeschnitzelt, von der Speculation inoculirt worden, und die vielen gelehrten Früchte hat man vom Baume geschüttelt, getrocknet und prahlerisch in der großen Vorrathskammer deutscher Gelehrsamkeit aufgespeichert; allein es gehört wahrlich nur wenig Kritik dazu, um hinter all den wohlriechenden modernen Phrasen die schmutzigen alten Einfälle unseres Aufklärers des ancien régime, und hinter all der überschwänglichen Salbung seine liederliche Trivialität wieder zu erkennen. Wenn Hugo sagt: „Das Thierische ist das juristische Unterscheidungs merkmal des Menschen", also: das Recht ist thierisches Recht, so sagen die gebildeten Modernen für das rohe, offenherzige „thierisch"etwa „organi sches" Recht, denn wem fällt beim Organismus auch gleich der thierische Organismus ein? Wenn Hugo sagt, daß in der Ehe und den andern sittlich rechtlichen Institutionen keine Vernunft ist, so sagen die modernen Herren, diese Institutionen seien zwar keine Bildungen der menschlichen Vernunft, aber Abbilder einer höhern „positiven " Vernunft und so durch alle übrigen Artikel. Nur ein Resultat sprechen Alle gleich roh aus: Das Recht der willkürlichen Gewalt. Haller's, Stahl's, Leo's und der Gleichgesinnten juristische und histori sche Theorien sind nur als codices rescript! des hugonischen Naturrechts zu betrachten, die nach einigen Operationen der kritischen Scheidekunst den alten Urtext wieder leserlich hervortreten lassen, wie wir bei gelegener Zeit weiter darthun wollen. Um so vergeblicher bleiben alle Verschönerungskünste, als wir das alte Manifest noch besitzen, das, wenn auch nicht verständig, doch immer hin sehr verständlich ist. 198 Verhandlungen des 6. Rheinischen Landtags Dritter Artikel Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags. Rheinische Zeitung. Nr. 298, 25. Oktober 1842. Beiblatt Von einem Rheinländer. D R I T T ER A R T I K E L . *) Debatten über das Holzdiebstahls-Gesetz. 5 *** Wir haben bisher zwei große Haupt- und Staatsaktionen des Landtags geschildert, seine Wirren in Bezug auf die Preßfreiheit und seine Unfreiheit in Bezug auf die Wirren. Wir spielen jetzt auf ebener Erde. Bevor wir zu der eigentlich irdischen Frage in ihrer Lebensgröße, zu der Frage über Parzellirung des Grundbesitzes übergehen, geben wir unserm Leser 10 einige Genrebilder, in denen der Geist, und, wir möchten mehr noch sagen, das physische Naturell des Landtags sich mannigfach abspiegeln wird. Zwar verdiente das Holzdiebstahlsgesetz, wie das Gesetz über Jagd-, Forst- und Feldfrevel nicht nur in Bezug auf den Landtag, sondern eben so sehr in Bezug auf sich selbst besprochen zu werden. Allein der Gesetz- 15 entwurf liegt uns nicht vor. Unser Material beschränkt sich auf einige halb angedeutete Zusätze des Landtags und seines Ausschusses zu Ge setzen, die nur als Paragraphen-Nummern figuriren. Die landständischen Verhandlungen selbst sind so durchaus kümmerlich, so zusammenhanglos und negokryphisch mitgetheilt, daß die Mittheilung einer Mystifikation ähn- 20 lieh sieht. Dürfen wir aus dem vorhandenen Torso urtheilen, so hat der Landtag mit dieser passiven Stille unserer Provinz einen ehrerbietigen Akt zustellen wollen. Eine für die vorliegenden Debatten charakteristische Thatsache springt sofort in die Augen. Der Landtag tritt als ergänzender Gesetzgeber an die 25 *) Wir bedauern, daß wir unsern Lesern den zweiten Artikel nicht haben mittheilen können. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 199 Publizistische Arbeiten Seite des Staatsgesetzgebers. Es wird vom höchsten Interesse sein, an einem Beispiele die legislativen Qualitäten des Landtags zu entwickeln. Der Leser wird von diesem Gesichtspunkte aus verzeihen, wenn wir Geduld und Ausdauer in Anspruch nehmen, zwei Tugenden, die bei Bearbeitung unseres sterilen Gegenstandes unausgesetzt zu üben waren. 5 Wir stellen in den Debatten des Landtags über das Diebstahlsgesetz un mittelbar die Debatten des Landtags über seinen Beruf zur Gesetzgebung dar. Gleich im Beginn der Debatte opponirt ein Stadtdeputirter gegen die Ueberschriftdes Gesetzes, wodurch die Kategorie „Diebstahl"auf einfache 10 Holzfrevel ausgedehnt wird. Ein Deputirter der Ritterschaft erwiedert: „daß eben, weil man es nicht für einen Diebstahl halte, Holz zu entwenden, dies so häufig geschehe". Nach dieser Analogie müßte derselbe Gesetzgeber schließen: weil man eine Ohrfeige für keinen Todschlag hält, darum sind die Ohrfeigen so 15 häufig. Man decretire also, daß eine Ohrfeige ein Todschlag ist. Ein anderer Deputirter der Ritterschaft findet es „noch bedenklicher, ,Diebstahl' nicht auszusprechen, weil die Leute, denen die das Wort Diskussion über dieses Wort bekannt würde, leicht zu dem Glauben ver anlaßt werden könnten, als werde die Entwendung von Holz auch von dem 20 Landtage nicht dafür gehalten". Der Landtag soll entscheiden, ob er einen Holzfrevel für einen Dieb stahl hält; aber wenn der Landtag einen Holzfrevel nicht für einen Diebstahl erklärte, könnten die Leute glauben, der Landtag hielte wirklich einen Holzfrevel nicht für einen Diebstahl. Es ist also am besten, diese verfang- 25 liehe Controversfrage auf sich beruhen zu lassen. Es handelt sich von einem Euphemismus und man muß Euphemismen vermeiden. Der Wald- eigenthümer läßt den Gesetzgeber nicht zu Wort kommen, denn die Wände haben Ohren. Derselbe Deputirte geht noch weiter. Er betrachtet diese ganze Unter- 30 suchung über den Ausdruck „Diebstahl" als „eine bedenkliche Beschäfti gung der Plenarversammlung mit Redaktions-Verbesserungen". Nach diesen einleuchtenden Demonstrationen votirte der Landtag die ; Ueberschrift. Von dem eben empfohlenen Standpunkte aus, der die Verwandlung 35 eines Staatsbürgers in einen Dieb für pure Redaktionsnachlässigkeit ver sieht und alle Opposition dagegen als grammatischen Purismus zurückweist, versteht es sich von selbst, daß auch das Entwenden von Raffholz oder Auflesen von trocknem Holz unter die Rubrik Diebstahl subsumirt und ebenso bestraft wird, wie die Entwendung von stehendem grünen Holz. 40,; Der obenerwähnte Deputirte der Städte bemerkt zwar: „Da sich die 200 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz Strafe bis zu langem Gefängniß steigern könne, so führe eine solche Strenge Leute, die sonst noch auf gutem Wege wären, gerade auf den Weg des Verbrechens. Das geschehe auch dadurch, daß sie im Gefängniß mit Gewohnheits-Dieben zusammenkämen; er halte daher dafür, daß man das 5 Sammeln oder Entwenden von trockenem Raffholz blos mit einer einfachen Polizeistrafe belegen solle"; aber ein anderer Stadtdeputirter widerlegt ihn durch die tiefsinnige Anführung, „daß in den Waldungen seiner Gegend häufig junge Bäume zuerst blos angehauen und wenn sie dadurch ver dorben, später als Raffholz behandelt würden". 10 Man kann unmöglich auf elegantere und zugleich einfachere Weise das Recht der Menschen vor dem Recht der jungen Bäume niederfallen lassen. Auf der einen Seite nach Annahme des §. steht die Nothwendigkeit, daß eine Masse Menschen ohne verbrecherische Gesinnung von dem grünen Baum der Sittlichkeit abgehauen und als Raffholz der Hölle des Ver- 15 brechens, der Infamie und des Elendes zugeschleudert werden. Auf der andern Seite nach Verwerfung des Paragraphen steht die Möglichkeit der Mißhandlung einiger jungen Bäume und es bedarf kaum der Anführung! die hölzernen Götzen siegen und die Menschenopfer fallen! Die hochnothpeinliche Halsgerichts-Ordnung subsumirt unter dem 20 Holzdiebstahl nur das Entwenden gehauenen Holzes und das diebische Holzhauen. Ja, unser Landtag wird es nicht glauben: „Wo aber jemandt bei Tag essendt Früchte nem, und damit durch wegtragen derselben nit großen geuerlichen schaden thett, der ist nach gelegenhayt der personen und der sach bürgerlich (also nicht criminell) zu straffen." Die hochnoth- 25 peinliche Halsgerichts-Ordnung des 16. Jahrhunderts fordert uns auf, sie vor dem Tadel übertriebener Humanität gegen einen rheinischen Landtag des 19. Jahrhunderts in Schutz zu nehmen und wir folgen dieser Auf forderung. Sammeln von Raffholz und der combinirteste Holzdiebstahl! Eine Be- 30 Stimmung ist beiden gemein. Das Aneignen fremden Holzes. Also ist beides Diebstahl. Darauf resumirt sich die übersichtige Logik, die so eben Gesetze gab. Wir machen daher zunächst auf den Unterschied aufmerksam, und wenn man zugeben muß, daß der Thatbestand dem Wesen nach verschieden, 35 so wird man kaum behaupten dürfen, daß er dem Gesetz nach derselbe sei. Um grünes Holz sich anzueignen, muß man es gewaltsam von seinem organischen Zusammenhang trennen. Wie dies ein offenes Attentat auf den Baum, so ist es durch denselben ein offenes Attentat auf den Eigen- 40 thümer des Baumes. Wird ferner gefälltes Holz einem Dritten entwendet, so ist das gefällte 201 Publizistische Arbeiten Holz ein Produkt des Eigenthümers. Gefälltes Holz ist schon formules Holz. An die Stelle des natürlichen Zusammenhanges mit dem Eigenthum ist der künstliche Zusammenhang getreten. Wer also gefälltes Holz ent wendet, entwendet Eigenthum. Beim Raffholz dagegen wird Nichts vom Eigenthum getrennt. Das vom Eigenthum getrennte wird vom Eigenthum getrennt. Der Holzdieb erläßt ein eigenmächtiges Urtheil gegen das Eigenthum. Der Raffholz-Sammler vollzieht nur ein Urtheil, was die Natur des Eigenthums selbst gefällt hat, denn ihr besitzt doch nur den Baum, aber der Baum besitzt jene Reiser nicht mehr. Sammeln von Raffholz und Holzdiebstahl sind also wesentlich ver schiedene Sachen. Der Gegenstand ist verschieden, die Handlung in Bezug auf den Gegenstand ist nicht minder verschieden, die Gesinnung muß also auch verschieden sein, denn welches objektive Maß sollten wir an die Gesinnung legen, wenn nicht den Inhalt der Handlung und die Form der Handlung? Und diesem wesentlichen Unterschiede zum Trotz nennt ihr beides Diebstahl und bestraft beides als Diebstahl. Ja ihr bestraft das Raffholz-Sammeln strenger als den Holzdieb stahl, denn ihr bestraft es schon, indem ihr es für einen Diebstahl erklärt, eine Strafe, die ihr offenbar über den Holzdiebstahl selbst nicht verhängt. Ihr hättet ihn denn Holzmord nennen und als Mord bestrafen müssen. Das Gesetz ist nicht von der allgemeinen Verpflichtung entbunden, die Wahrheit zu sagen. Es hat sie doppelt, denn es ist der allgemeine und authentische Sprecher über die rechtliche Natur der Dinge. Die rechtliche Natur der Dinge kann sich daher nicht nach dem Gesetz, sondern das Gesetz muß sich nach der rechtlichen Natur der Dinge richten. Wenn das Gesetz aber eine Handlung, die kaum ein Holzfrevel ist, einen Holzdiebstahl nennt, so lügt das Gesetz und der Arme wird einer gesetzlichen Lüge geopfert. «Il y a deux genres de corruption, sagt Montesquieu, l'un lorsque le peuple n'observe point les loix; l'autre lorsqu'il est corrompu par les loix: mal incurable parce qu'il est dans le remède même.» So wenig es euch gelingen wird, den Glauben zu erzwingen: hier ist ein Verbrechen, wo kein Verbrechen ist, so sehr wird es euch gelingen, das Verbrechen selbst in eine rechtliche That zu verwandeln. Ihr habt die Gränzen verwischt, aber ihr irrt, wenn ihr glaubt, sie seien nur in euerm Interesse verwischt. Das Volk sieht die Strafe, aber es sieht nicht das Verbrechen, und weil es die Strafe sieht, wo kein Verbrechen ist, wird es schon darum kein Verbrechen sehen, wo die Strafe ist. Indem ihr die Kategorie des Diebstahls da anwendet, wo sie nicht angewendet werden darf, habt ihr sie auch da beschönigt, wo sie angewendet werden muß. Und hebt sich diese brutale Ansicht, die nur eine gemeinschaftliche 202 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz 5 Bestimmung in verschiedenen Handlungen festhält und von der Verschie denheit abstrahirt, nicht selber auf? wenn jede Verletzung des Eigenthums ohne Unterschied, ohne nähere Bestimmung Diebstahl ist, wäre nicht alles Privateigenthum Diebstahl? schließe ich nicht durch mein Privateigenthum jeden Dritten von diesem Eigenthum aus? verletze ich also nicht sein Eigenthumsrecht? wenn ihr den Unterschied wesentlich verschiedener Arten desselben Verbrechens verneint, so verneint ihr das Verbrechen als einen Unterschied vom Recht, so hebt ihr das Recht selbst auf, denn jedes Verbrechen hat eine Seite mit dem Recht selbst gemein. Es ist daher ein 10 eben so historisches als vernünftiges Faktum, daß die unterschiedslose Härte allen Erfolg der Strafe aufhebt, denn sie hat die Strafe als ein Erfolg des Rechts aufgehoben. Doch worüber streiten wir? Der Landtag verwirft zwar den Unterschied zwischen Raffholzsammeln, Holzfrevel und Holzdieb stahl. Er verwirft den 15 Unterschied der Handlung als bestimmend für die Handlung, sobald es sich um das Interesse des Forstfrevlers, aber er erkennt ihn an, sobald es sich um das Interesse des Waldeigenthümers handelt. So schlägt der Ausschuß zusätzlich vor, „als erschwerende Umstände zu bezeichnen, wenn grünes Holz mittelst Schneide-Instrumenten abgehauen 20 oder abgeschnitten, und wenn statt der Axt die Säge gebraucht wird". Der Landtag approbirt diese Unterscheidung. Derselbe Scharfsinn, der so gewissenhaft ist, in seinem Interesse eine Axt von einer Säge, ist so gewissen los, Raff holz von grünem Holz nicht im fremden Interesse zu unterscheiden. Der Unterschied ist bedeutsam als erschwerender, aber er ist ohne alle 25 Bedeutung als mildernder Umstand, obgleich ein erschwerender Umstand nicht möglich ist, sobald die mildernden Umstände unmöglich sind. Dieselbe Logik wiederholt sich noch mehrmal im Verlauf der Debatte. Bei §.65 wünscht ein Abgeordneter der Städte, „daß auch der Werth des entwendeten Holzes als Maßstab zur Bestimmung der Strafe angewandt 30 werden möge", „was vom Referenten als unpraktisch bestritten wird". Derselbe Deputirte der Städte bemerkt zu §.66: „überhaupt werde im ganzen Gesetz eine Werthangabe, wodurch die Strafe erhöht oder ermäßigt werde, vermißt." Die Wichtigkeit des Werths zur Bestimmung der Strafe bei Eigenthums- 35 Verletzungen ergibt sich von selbst. Wenn der Begriff des Verbrechens die Strafe, so verlangt die Wirklich keit des Verbrechens ein Maß der Strafe. Das wirkliche Verbrechen ist begränzt. Die Strafe wird schon begränzt sein müssen, um wirklich, sie wird nach einem Rechtsprinzip begränzt sein müssen, um gerecht zu sein. 40 Die Aufgabe besteht darin, die Strafe zur wirklichen Consequenz des Verbrechens zu machen. Sie muß dem Verbrecher als die nothwendige 203 Publizistische Arbeiten Wirkung seiner eigenen That, daher als seine eigene That erscheinen. Die Gränze seiner Strafe muß also die Gränze seiner That sein. Der bestimmte Inhalt, der verletzt ist, ist die Gränze des bestimmten Verbrechens. Das Maß dieses Inhalts ist also das Maß des Verbrechens. Dieses Maß des Eigenthums ist sein Werth. Wenn die Persönlichkeit in jeder Gränze 5 immer ganz, so ist das Eigenthum immer nur in einer Gränze vorhanden, die nicht nur bestimmbar, sondern bestimmt, nicht nur meßbar, sondern gemes-sen ist. Der Werth ist das bürgerliche Dasein des Eigenthums, das logische Wort, in welchem es erst sociale Verständlichkeit und Mittheil barkeit erreicht. Es versteht sich, daß diese objektive durch die Natur des 10 Gegenstandes selbst gegebene Bestimmung eben so eine objektive und wesentliche Bestimmung der Strafe bilden muß. Kann die Gesetzgebung hier, wo es sich um Zahlen handelt, nur äußerlich verfahren, um sich nicht in eine Endlosigkeit des Bestimmens zu verlaufen, so muß sie wenigstens reguliren. Es kommt nicht darauf an, daß die Unterschiede erschöpft, aber 15 es kommt darauf an, daß sie gemacht werden. Dem Landtag aber kam es überhaupt nicht darauf an, seine vornehme Aufmerksamkeit solchen Kleinigkeiten zu widmen. Glaubt ihr nun aber etwa schließen zu dürfen, der Landtag habe den Werth bei Bestimmung der Strafe vollständig ausgeschlossen? Unbeson- 20 nener, unpraktischer Schluß! Der Waldeigenthümer—wir werden dies später weitläufiger vornehmen — läßt sich nicht nur den einfachen allgemeinen Werth vom Dieb ersetzen; er stattet den Werth sogar mit individuellem Charakter aus und gründet auf diese poetische Individualität die Forderung besondern Schaden-Ersatzes. Wir verstehen jetzt, was der Referent unter 25 praktisch versteht. Der praktische Waldeigenthümer raisonirt also: Diese Gesetzesbestimmung ist gut, so weit sie mir nützt, denn mein Nutzen ist das Gute. Diese Gesetzesbestimmung ist überflüssig, sie ist schädlich, sie ist unpraktisch, so weit sie aus purer theoretischer Rechtsgrille auch auf den Angeklagten angewandt werden soll. Da der Angeklagte mir schäd- 30 lieh ist, so versteht es sich von selbst, daß mir Alles schädlich ist, was ihn nicht zu größerm Schaden kommen läßt. Das ist praktische Weis heit. Wir unpraktischen Menschen aber nehmen für die arme politisch und social besitzlose Menge in Anspruch, was das gelehrte und gelehrige Be- 35 diententhum der sogenannten Historiker als den wahren Stein der Weisen erfunden hat, um jede unlautere Anmaßung in lauteres Rechtsgold zu ver wandeln. Wir vindiciren der Armuth das Gewohnheitsrecht und zwar ein Gewohnheitsrecht, welches nicht lokal, ein Gewohnheitsrecht, welches das Gewohnheitsrecht der Armuth in allen Ländern ist. Wir gehen noch 40 weiter und behaupten, daß das Gewohnheitsrecht seiner Natur nach nur 204 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz das Recht dieser untersten besitzlosen und elementarischen Masse sein kann. Unter den sogenannten Gewohnheiten der Privilegirten versteht man Gewohnheiten wider das Recht. Das Datum ihrer Geburt fällt in die 5 Periode, worin die Geschichte der Menschheit einen Theil der Natur geschichte bildet und die ägyptische Sage bewahrheitend, sämmtliche Götter sich in Thiergestalten verbergen. Die Menschheit erscheint in be stimmte Thier-Raçen zerfallen, deren Zusammenhang nicht die Gleichheit, sondern die Ungleichheit ist, eine Ungleichheit, welche die Gesetze fixiren. 10 Der Weltzustand der Unfreiheit verlangt Rechte der Unfreiheit, derm, während das menschliche Recht das Dasein der Freiheit, ist dies thierische Recht das Dasein der Unfreiheit. Der Feudalismus im weitesten Sinne ist das geistige Thierreich, die Welt der geschiedenen Menschheit im Gegen satz zur Welt der sich unterscheidenden Menschheit, deren Ungleichheit 15 nichts Anders ist, als die Farbenbrechung der Gleichheit. In den Ländern des naiven Feudalismus, in den Ländern des Kastenwesens, wo im wahren Sinne des Worts die Menschheit verschubkastet und die edlen, frei in einander überfließenden Glieder des großen Heiligen, des heiligen Humanus zersägt, zerkeilt, gewaltsam aus einander gerissen sind, finden wir daher auch 20 die Anbetung des Thiers, die Thierreligion in ursprünglicher Gestalt, denn dem Menschen gilt immer für sein höchstes Wesen, was sein wahres Wesen ist. Die einzige Gleichheit, die im wirklichen Leben der Thiere hervortritt, ist die Gleichheit eines Thieres mit den andern Thieren seiner bestimmten Art, die Gleichheit der bestimmten Art mit sich selbst, aber 25 nicht die Gleichheit der Gattung. Die Thiergattung selbst erscheint nur in dem feindseligen Verhalten der verschiedenen Thierarten, die ihre beson deren unterschiedenen Eigenschaften gegen einander geltend machen. Im Magen des Raubthieres hat die Natur die Wahlstätte der Einigung, die Feueresse der innigsten Verschmelzung, das Organ des Zusammen- 30 hangs der verschiedenen Thierarten bereitet. Eben so zehrt im Feudalismus die eine Race an der andern bis zu der Race herab, welche, ein Polyp, an die Erdscholle gewachsen, nur die vielen Arme besitzt, um den obern Raçen die Früchte der Erde zu pflücken, während sie selbst Staub zehrt, denn, wenn im natürlichen Thierreich die Drohnen von den Arbeitsbienen, 35 so werden im geistigen die Arbeitsbienen von den Drohnen getödtet und eben durch die Arbeit. Wenn die Privilegirten vom gesetzlichen Recht an ihre Gewohnheitsrechte appelliren, so verlangen sie statt des menschlichen Inhaltes die thierische Gestalt des Rechts, welche jetzt zur bloßen Thier maske entwirklicht ist. 205 Publizistische Arbeiten Rheinische Zeitung. Nr. 300, 27. Oktober 1842. Beiblatt Die vornehmen Gewohnheitsrechte sträuben sich durch ihren Inhalt wider die Form des allgemeinen Gesetzes. Sie können nicht in Gesetze geformt werden, weil sie Formationen der Gesetzlosigkeit sind. Indem diese Ge wohnheitsrechte durch ihren Inhalt der Form des Gesetzes, der All gemeinheit und Nothwendigkeit widerstreben, beweisen sie eben dadurch, 5 daß sie Gewohnheitsunrechte und nicht im Gegensatz gegen das Gesetz geltend zu machen, sondern als Gegensatz gegen dasselbe zu abrogiren und selbst nach Gelegenheit zu bestrafen sind, denn Keiner hört auf, unrecht lich zu handeln, weil diese Handlungsweise seine Gewohnheit ist, wie man den räuberischen Sohn eines Räubers nicht mit seinen Familien-Idiosyn- 10 krasieen entschuldigt. Handelt ein Mensch mit Absicht wider das Recht, so strafe man seine Absicht, wenn aus Gewohnheit, so strafe man seine Gewohnheit als eine schlechte Gewohnheit. Das vernünftige Gewohnheits recht ist in der Zeit allgemeiner Gesetze nichts Anders, als die Gewohnheit des gesetzlichen Rechts, denn das Recht hat nicht aufgehört, Gewohnheit 15 zu sein, weil es sich als Gesetz konstituirt hat, aber es hat aufgehört, nur Gewohnheit zu sein. Dem Rechtlichen wird es zu seiner eigenen Gewohnheit, gegen den Unrechtlichen wird es durchgesetzt, obgleich es nicht seine Gewohnheit ist. Das Recht hängt nicht mehr von dem Zufall ab, ob die Gewohnheit vernünftig, sondern die Gewohnheit wird ver- 20 nünftig, weil das Recht gesetzlich, weil die Gewohnheit zur Staatsgewohn heit geworden ist. Das Gewohnheitsrecht als eine aparte Domaine neben dem gesetzlichen Recht ist daher nur da vernünftig, wo das Recht neben und außer dem Gesetz existirt, wo die Gewohnheit die Anticipation eines gesetzlichen 25 Rechts ist. Von Gewohnheitsrechten der privilegirten Stände kann daher gar nicht gesprochen werden. Sie haben im Gesetz nicht nur die Anerken nung ihres vernünftigen Rechts, sondern oft sogar die Anerkennung ihrer unvernünftigen Anmaßungen gefunden. Sie haben kein Recht, gegen das Gesetz zu anticipiren, denn das Gesetz hat alle möglichen Konsequenzen 30 ihres Rechts anticipirt. Sie werden daher auch nur verlangt als Domainen für die menus plaisirs, damit derselbe Inhalt, der im Gesetz nach seinen vernünftigen Gränzen behandelt ist, in der Gewohnheit einen Spielraum für die Grillen und Anmaßungen wider seine vernünftigen Gränzen finde. Wenn aber diese vornehmen Gewohnheitsrechte Gewohnheiten wider 35 den Begriff des vernünftigen Rechts, so sind die Gewohnheitsrechte der Armuth Rechte wider die Gewohnheit des positiven Rechts. Ihr Inhalt sträubt sich nicht gegen die gesetzliche Form, er sträubt sich vielmehr gegen seine eigene Formlosigkeit. Die Form des Gesetzes steht ihm nicht 206 F Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz gegenüber, sondern er hat sie noch nicht erreicht. Es bedarf nur weniger Reflexionen, um einzusehen, wie einseitig die aufgeklärten Gesetzgebungen die Gewohnheitsrechte der Armuth, als deren ergiebigste Quelle man die verschiedenen germanischen Rechte betrachten kann, behandelt haben 5 und behandeln mußten. Die liberalsten Gesetzgebungen haben sich in privatrechtlicher Hinsicht darauf beschränkt, die Rechte, welche sie vorfanden, zu formuliren und in's Allgemeine zu erheben. Wo sie keine Rechte vorfanden, gaben sie keine. Die partikularen Gewohnheiten schafften sie ab, aber sie vergaßen 10 dabei, daß, wenn das Unrecht der Stände in der Form willkürlicher An maßung, das Recht der Standeslosen in der Form zufälliger Conzessionen erschien. Ihr Verfahren war richtig gegen die, welche Gewohnheiten außer dem Recht, aber es war unrichtig gegen die, welche Gewohnheiten ohne das Recht hatten. Wie sie die willkürlichen Anmaßungen, soweit ein ver- 15 nünftiger Rechtsinhalt in ihnen zu finden, in gesetzliche Ansprüche, so hätten sie auch die zufälligen Conzessionen in nothwendige verwandeln müssen. Wir können an einem Beispiel, an den Klöstern, dies klar machen. Man hat die Klöster aufgehoben, man hat ihr Eigenthum secularisirt und man hat Recht daran gethan. Man hat aber die zufällige Unterstützung, 20 welche die Armen in den Klöstern fanden, keinesweges in eine andere positive Besitzquelle verwandelt. Indem man das Klostereigenthum zum Privateigenthum machte und etwa die Klöster entschädigte, hat man nicht die Armen entschädigt, die von den Klöstern lebten. Man hat ihnen vielmehr eine neue Gränze gezogen und sie von einem alten Recht abgeschnitten. 25 Dies fand bei allen Verwandlungen der Vorrechte in Rechte statt. Eine positive Seite dieser Mißbräuche, welche insofern auch ein Mißbrauch war, als sie das Recht der einen Seite zu einem Zufall machte, hat man nicht so entfernt, daß man den Zufall in eine Nothwendigkeit umschuf, sondern so, daß man von ihm abstrahirte. 30 Die Einseitigkeit dieser Gesetzgebungen war eine nothwendige, denn alle Gewohnheitsrechte der Armen basirten darauf, daß gewisses Eigenthum einen schwankenden Charakter trug, der es nicht entschieden zum Privat eigenthum, aber auch nicht entschieden zum Gemeineigenthum stempelte, eine Mischung von Privatrecht und öffentlichem Recht, wie sie uns in 35 allen Institutionen des Mittelalters begegnet. Das Organ, mit welchem die Gesetzgebungen solche zweideutige Gestaltungen auffaßten, war der Verstand, und der Verstand ist nicht nur einseitig, sondern es ist sein wesentliches Geschäft, die Welt einseitig zu machen, eine große und bewunderungswürdige Arbeit, denn nur die Einseitigkeit formirt und 40 reißt das Besondere aus dem unorganischen Schleim des Ganzen. Der Charakter der Dinge ist ein Produkt des Verstandes. Jedes Ding muß sich 207 Publizistische Arbeiten isoliren und isolirt werden, um etwas zu sein. Indem der Verstand jeden Inhalt der Welt in eine feste Bestimmtheit bannt und das flüssige Wesen gleichsam versteinert, bringt er die Mannigfaltigkeit der Welt hervor, denn die Welt wäre nicht vielseitig ohne die vielen Einseitigkeiten. Der Verstand hob also die zwitterhaften schwankenden Formationen 5 des Eigenthums auf, indem er die vorhandenen Kategorieen des abstrakten Privatrechts, deren Schema sich im römischen Recht vorfand, anwandte. Um so mehr glaubte der gesetzgebende Verstand berechtigt zu sein, die Verpflichtungen dieses schwankenden Eigenthums gegen die ärmere Klasse aufzuheben, als er auch seine staatlichen Privilegieen aufhob; allein er 10 vergaß, daß, selbst rein privatrechtlich betrachtet, hier ein doppeltes Privat recht vorlag, ein Privatrecht des Besitzers und ein Privatrecht des Nicht- besitzers, abgesehen davon, daß keine Gesetzgebung die staatsrechtlichen Privilegien des Eigenthums abgeschafft, sondern sie nur ihres abenteuer lichen Charakters entkleidet und ihnen einen bürgerlichen Charakter 15 ertheilt hat. Wenn aber jede mittelalterliche Gestalt des Rechts, also auch das Eigenthum, von allen Seiten zwitterartigen, dualistischen, zwiespaltigen Wesens war und der Verstand seinen Grundsatz der Einheit gegen diesen Widerspruch der Bestimmung mit Recht geltend machte, so übersah er, daß es Gegenstände des Eigenthums gibt, die ihrer Natur nach nie den 20 Charakter des vorherbestimmten Privateigenthums erlangen können, die durch ihr elementarisches Wesen und ihr zufälliges Dasein dem Occupations- recht anheimfallen, also dem Oc-cupationsrecht der Klasse anheimfallen, welche eben durch das Occupationsrecht von allem andern Eigenthunxaus- geschlossen ist, welche in der bürgerlichen Gesellschaft dieselbe Stellung 25 einnimmt, wie jene Gegenstände in der Natur. Man wird finden, daß die Gewohnheiten, welche Gewohnheiten der ganzen armen Klasse sind, mit sicherm Instinkt das Eigenthum an seiner unentschiedenen Seite zu fassen wissen, man wird nicht nur finden, daß diese Klasse den Trieb fühlt, ein natürliches Bedürfniß, sondern eben so 30 sehr, daß sie das Bedürfniß fühlt, einen rechtlichen Trieb zu befriedigen. Das Raffholz dient uns als Beispiel. Es steht so wenig in einem organischen Zusammenhang mit dem lebendigen Baum, als die abgestreifte Haut mit der Schlange. Die Natur selbst stellt in den dürren, vom organischen Leben getrennten, geknickten Reisern und Zweigen im Gegensatz zu den fest 35 wurzelnden, vollsaftigen, organisch Luft, Licht, Wasser und Erde zu eige ner Gestalt und individuellem Leben sich assimilirenden Bäumen und Stämmen gleichsam den Gegensatz der Armuth und des Reichthums dar. Es ist eine physische Vorstellung von Armuth und Reichthum. Die mensch liche Armuth fühlt diese Verwandtschaft und leitet aus diesem Verwandt- 40 schaftsgefühl ihr Eigenthumsrecht ab, und wenn sie daher den physisch 208 ψ Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz organischen Reichthum dem prämeditirenden Eigenthümer, so vindicirt sie die physische Armuth dem Bedürfniß und seinem Zufall. Sie empfindet in diesem Treiben der elementarischen Mächte eine befreundete Macht, die humaner ist als die menschliche. An die Stelle der zufälligen Willkür 5 der Privilegirten ist der Zufall der Elemente getreten, die von dem Privat eigenthum abreißen, was es nicht mehr von sich abläßt. So wenig den Reichen Almosen, die auf die Straße geworfen werden, gebühren, so wenig diese Almosen der Natur. Aber auch in ihrer Thätigkeit findet die Armuth schon ihr Recht. Im Sammeln stellt sich die elementarische Klasse 10 der menschlichen Gesellschaft ordnend den Produkten der elementarischen Naturmacht gegenüber. Aehnlich verhält es sich mit Produkten, die in wildem Wachsthum ein ganz zufälliges Accidenz des Besitzes und schon wegen ihrer Unbedeutendheit keinen Gegenstand für die Thätigkeit des eigentlichen Eigenthümers bilden; ähnlich verhält es sich mit dem Nach- lesen, Nachärnten und dergleichen Gewohnheitsrechten. 15 Es lebt also in diesen Gewohnheiten der armen Klasse ein instinkt mäßiger Rechtssinn, ihre Wurzel ist positiv und legitim und die Form des Gewohnheitsrechts ist hier um so naturgemäßer, als das Dasein der armen Klasse selbst bisher eine bloße Gewohnheit der bürgerlichen Gesellschaft ist, die in dem Kreis der bewußten Staatsgliederung noch keine angemessene Stelle gefunden hat. 20 Die vorliegende Debatte bietet sogleich ein Beispiel, wie man diese Gewohnheitsrechte behandelt, ein Beispiel, worin die Methode und der Geist des ganzen Verfahrens erschöpft ist. 25 Ein Deputirter der Städte opponirt gegen die Bestimmung, wodurch auch das Sammeln von Waldbeeren und Preisseibeeren als Diebstahl behandelt wird. Er spricht vorzugsweise für die Kinder armer Leute, welche jene Früchte sammeln, um damit für ihre Eltern eine Kleinigkeit zu verdienen, welches seit unvordenklichen Zeiten von den Eigenthümern gestattet und 30 dadurch für die Kleinen ein Gewohnheitsrecht entstand. Dies Faktum wird widerlegt durch die Notiz eines andern Abgeordneten: „in seiner Gegend seien diese Früchte schon Handelsartikel und würden faßweise nach Holland geschickt." Man hat es wirklich schon an einem Ort so weit gebracht, aus einem 35 Gewohnheitsrecht der Armen ein Monopol der Reichen zu machen. Der erschöpfende Beweis ist geliefert, daß man ein Gemeingut monopolisiren kann; es folgt daher von selbst, daß man es monopolisiren muß. Die Natur des Gegenstandes verlangt das Monopol, weil das Interesse des Privat eigenthums es erfunden hat. Der moderne Einfall einiger geldfuchsenden io Handelskrämer wird unwiderleglich, sobald er Abfälle dem urteutonischen Interesse von Grund und Boden liefert. 209 Publizistische Arbeiten Der weise Gesetzgeber wird das Verbrechen verhindern, um es nicht bestrafen zu müssen, aber er wird es nicht dadurch verhindern, daß er die Sphäre des Rechts verhindert, sondern dadurch, daß er jedem Rechts trieb sein negatives Wesen raubt, indem er ihr eine positive Sphäre der Handlung einräumt. Er wird sich nicht darauf beschränken, den Theil- 5 nehmern einer Klasse die Unmöglichkeit wegzuräumen, einer höheren berechtigten Sphäre anzugehören, sondern er wird ihre eigene Klasse zu einer realen Möglichkeit von Rechten erheben, aber wenn der Staat hierzu nicht human, nicht reich und nicht großsinnig genug ist, so ist es wenigstens seine unbedingte Pflicht, nicht in ein Verbrechen zu verwandeln, was erst 10 Umstände zu einem Vergehen machen. Er muß mit der höchsten Milde als eine sociale Unordnung corrigiren, was er nur mit dem höchsten Un recht als ein antisociales Verbrechen bestrafen darf. Er bekämpft sonst den socialen Trieb, indem er die unsociale Form desselben zu bekämpfen meint. Mit einem Worte, wenn man volksthümliche Gewohnheitsrechte 15. unterdrückt, so kann deren Ausübung nur als einfache Polizei-Contraven- tion behandelt, aber nimmer als ein Verbrechen bestraft werden. Die Polizeistrafe ist der Ausweg gegen eine That, welche Umstände zu einer äußern Unordnung stempeln, ohne daß sie eine Verletzung der ewigen Rechtsordnung wäre. Die Strafe darf nicht mehr Abscheu einflößen, als 20 das Vergehen, die Schmach des Verbrechens darf sich nicht verwandeln in die Schmach des Gesetzes; der Boden des Staats ist unterminirt, wenn das Unglück zu einem Verbrechen oder das Verbrechen zu einem Unglück wird. Weit entfernt von diesem Gesichtspunkt, beobachtet der Landtag nicht einmal die ersten Regeln der Gesetzgebung. 25 Die kleine, hölzerne, geistlose und selbstsüchtige Seele des Interesses sieht nur einen Punkt, den Punkt, wo sie verletzt wird, gleich dem rohen Menschen, der etwa einen Vorübergehenden für die infamste, verworfenste Kreatur unter der Sonne hält, weil diese Kreatur ihm auf seine Hühner augen getreten hat. Er macht seine Hühneraugen zu den Augen, mit denen 30 er sieht und urtheilt; er macht den einen Punkt, in welchem ihn der Vor übergehende tangirt, zu dem einzigen Punkt, worin das Wesen dieses Men schen die Welt tangirt. Nun kann ein Mensch aber doch wohl mir auf die Hühneraugen treten, ohne deswegen aufzuhören, ein ehrlicher, ja ein ausgezeichneter Mensch zu sein. So wenig ihr nun die Menschen mit 35 euern Hühneraugen, so wenig müßt ihr sie mit den Augen eures Privat interesses beurtheilen. Das Privatinteresse macht die eine Sphäre, worin ein Mensch feindlich mit ihm zusammentrifft, zur Lebenssphäre dieses Menschen. Es macht das Gesetz zum Rattenfänger, der das Ungeziefer vertilgen will, denn er ist kein Naturforscher und sieht deshalb in den 40 Ratten nur Ungeziefer; aber der Staat muß in einem Holzfrevler mehr 210 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz sehen, als den Frevler am Holz, mehr als den Holzfeind. Hängt nicht jeder seiner Bürger durch tausend Lebensnerven mit ihm zusammen und darf er alle diese Nerven zerschneiden, weil jener Bürger selbst einen Nerv eigenmächtig zerschnitten hat? Der Staat wird also auch in einem 5 Holzfrevler einen Menschen sehen, ein lebendiges Glied, in dem sein Herzblut rollt, einen Soldaten, der das Vaterland vertheidigen, einen Zeugen, dessen Stimme vor Gericht gelten, ein Gemeindemitglied, das öffentliche Funktionen bekleiden soll, einen Familienvater, dessen Dasein geheiligt, vor Allem einen Staatsbürger und der Staat wird nicht leichtsinnig eins 10 seiner Glieder von all diesen Bestimmungen ausschließen, denn der Staat amputirt sich selbst, so oft er aus einem Bürger einen Verbrecher macht. Vor Allem aber wird es der sittliche Gesetzgeber als die ernsteste, schmerz lichste und gefährlichste Arbeit betrachten, eine bisher unbescholtene Handlung unter die Sphäre der verbrecherischen Handlungen zu subsumiren. Das Interesse aber ist praktisch und Nichts praktischer auf der Welt, als daß ich meinen Feind niederstoße! „Wer haßt ein Ding und brächt' es nicht gern um!" lehrt schon Shylock. Der wahre Gesetzgeber darf Nichts fürchten als das Unrecht, aber das gesetzgebende Interesse kennt nur die Furcht vor den Konsequenzen des Rechts, die Furcht vor den 20 Bösewichten, gegen die es Gesetze gibt. Die Grausamkeit ist der Charakter der Gesetze, welche die Feigheit dictirt, denn die Feigheit vermag nur energisch zu sein, indem sie grausam ist. Das Privatinteresse ist aber immer feig, denn sein Herz, seine Seele ist ein äußerlicher Gegenstand, der immer entrissen und beschädigt werden kann, und wer zitterte nicht 25 vor der Gefahr, Herz und Seele zu verlieren? Wie sollte der eigennützige Gesetzgeber menschlich sein, da das Unmenschliche, ein fremdes materiel les Wesen, sein höchstes Wesen ist? Quand il a peur, il est terrible, sagt der National von Guizot. Diese Devise kann man über alle Gesetz gebungen des Eigennutzes, also der Feigheit schreiben. 15 30 Wenn die Samojeden ein Thier tödten, betheuern sie demselben, ehe sie ihm das Fell abziehen auf's ernstlichste, daß blos die Russen dies Uebel verursachen, daß ein russisches Messer es zerlege und daß also an den Russen allein Rache zu üben sei. Man kann das Gesetz in ein russisches Messer verwandeln, auch wenn man kein Samojede zu sein die 35 Prätension hat. Sehen wir zu! Bei §.4 schlug der Ausschuß vor: „Bei einer weitern Entfernung als 2 Meilen bestimmt der denuncirende Schutzbeamte den Werth nach dem bestehenden Lokal-Preise." Hiegegen protestirte ein Deputirter der Städte: „der Vorschlag, die to Taxe des entwendeten Holzes durch den Förster, welcher die Anzeige mache, festsetzen zu lassen, wäre sehr bedenklich. Allerdings stehe diesem 211 Publizistische Arbeiten anzeigenden Beamten fides zu. Aber doch nur in Bezug auf das Faktum, keineswegs in Bezug auf den Werth. Dieser solle nach einer von den Lokalbehörden proponirten und von dem Landrath festzusetzenden Taxe bestimmt werden. Es werde nun zwar vorgeschlagen, daß der §. 14, wonach der Waldeigenthümer die Strafe beziehen solle, nicht angenommen werde" etc. „Würde man den §. 14 beibehalten, dann sei die vorliegende Bestim mung doppelt gefährlich. Denn der in den Diensten des Waldeigenthümers stehende und von ihm bezahlte Förster müsse wohl, das liege in der Natur der Verhältnisse, den Werth des entwendeten Holzes so hoch als möglich stellen." Der Landtag genehmigte den Vorschlag des Ausschusses. 5 io Wir finden hier Constituirung der Patrimonial-Gerichtsbarkeit. Der Patrimonial-Schutzbediente ist zugleich partieller Urtheilssprecher. Die Werthbestimmung bildet einen Theil des Urtheils. Das Urtheil ist also schon theilweise im denuncirenden Protokoll anticipirt. Der denuncirende Schutzbeamte sitzt im Richterkollegium, er ist der Experte, an dessen 15 Urtheil das Gericht gebunden, er vollzieht eine Funktion, von der er die übrigen Richter ausschließt. Es ist thöricht, gegen das inquisitorische Ver fahren zu opponiren, wenn es sogar Patrimonial-Gensd'armen und Denun- cianten gibt, die zugleich richten. Wie wenig abgesehen von dieser Grundverletzung unserer Institutionen 20 der denuncirende Schutzbeamte die objektive Fähigkeit besitzt, zugleich Taxator des entwendeten Holzes zu sein, ergibt sich von selbst, wenn wir seine Qualitäten betrachten. Als Schutzbeamter ist er der personifizirte Schutzgenius des Holzes. Der Schutz, nun gar der persönliche, der leibliche Schutz erfordert ein 25 effektvolles, thatkräftiges Liebesverhältniß des Waldhüters zu seinem Schützling, ein Verhältniß, in welchem er gleichsam mit dem Holze ver wächst. Es muß ihm Alles, es muß ihm von absolutem Werthe sein. Der Taxator dagegen verhält sich mit skeptischem Mißtrauen zum entwendeten Holze, er mißt es mit scharfem prosaischem Auge an einem profanen 30 Maß und sagt euch auf Heller und Pfennig, wie viel dran sei. Ein Beschützer und ein Schätzer sind so verschiedene Dinge als ein Mineraloge und ein Mineralienhändler. Der Schutzbeamte kann den Werth des entwendeten Holzes nicht schätzen, denn in jedem Protokoll, worin er den Werth des Gestohlenen taxirt, taxirt er seinen eigenen Werth, weil den Werth seiner 35 eigenen Thätigkeit, und glaubt ihr, er werde den Werth seines Gegenstandes nicht eben so gut beschützen, als dessen Substanz? Die Thätigkeiten, die man einem Menschen überträgt, dessen Amts pflicht die Brutalität ist, widersprechen sich nicht nur in Bezug auf den Gegenstand des Schutzes, sie widersprechen sich eben so sehr in Bezug 40 auf die Personen. 212 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz Als Schutzbeamter des Holzes soll der Waldhüter das Interesse des Privateigenthümers, aber als Taxator soll er eben so sehr das Interesse des Forstfrevlers gegen die extravaganten Forderungen des Privateigen thümers beschützen. Während er vielleicht eben mit der Faust, im Inter- 5 esse des Waldes, soll er gleich darauf mit dem Kopf im Interesse des Wald feindes operiren. Das verkörperte Interesse des Waldeigenthümers, soll er eine Garantie gegen das Interesse des Waldeigenthümers sein. Der Schutzbeamte ist ferner Denunciant. Das Protokoll ist eine Denun ciation. Der Werth des Gegenstandes wird also zum Gegenstand der 10 Denunciation; er verliert seinen richterlichen Anstand und die Funktion des Richters wird auf das Tiefste herabgewürdigt, indem sie sich einen Augen blick von der Funktion des Denuncianten nicht mehr unterscheidet. Endlich steht dieser denuncirende Schutzbeamte, der weder als Denun ciant noch als Schutzbeamter zum Experten geeignet ist, in Sold und Dienst 15 des Waldeigenthümers. Mit demselben Rechte konnte man dem Waldeigen- thümer selbst auf einen Eid die Taxation überlassen, da er thatsächlich in seinem Schutzbedienten nur die Gestalt einer dritten Person angenommen hat. Statt aber diese Stellung des denuncirenden Schutzbeamten auch nur 20 bedenklich zu finden, findet der Landtag im Gegentheil die einzige Be stimmung bedenklich, die noch den letzten Schein des Staats innerhalb der Waldherrlichkeit bildet, die lebenslängliche Anstellung des denun cirenden Schutzbeamten. Gegen diese Bestimmung erhebt sich der heftigste Widerspruch und kaum scheint der Sturm beschwichtigt zu werden durch 25 die Erklärung des Referenten: „daß schon frühere Landtage die Verzicht leistung auf lebenslängliche Anstellung bevorwortet hätten, daß die Staats regierung aber sich nur dagegen erklärt und die lebenslängliche Anstellung als einen Schutz für die Unterthanen angesehen habe". Der Landtag hat also schon früher mit der Regierung um Verzicht- 30 leistung auf den Schutz ihrer Unterthanen gemarktet und der Landtag ist beim Markten geblieben. Prüfen wir die eben so großherzigen als unwiderleglichen Gründe, welche gegen die lebenslängliche Anstellung geltend gemacht werden. Ein Abgeordneter der Landgemeinden „findet in der Bedingung der 35 Glaubwürdigkeit durch lebenslängliche Anstellung die kleinen Waldbesitzer sehr gefährdet und ein Anderer besteht darauf, daß der Schutz gleich wirksam für kleine, wie für große Waldeigenthümer sein müsse". Ein Mitglied des Fürsten stände s bemerkt, „daß die lebenslänglichen Anstellungen bei Privaten sehr unräthlich seien und in Frankreich gar 40 nicht erforderlich, um den Protokollen der Schutzbeamten Glauben zu verschaffen, daß aber nothwendig Etwas geschehen müsse, um dem Ueber- 213 Publizistische Arbeiten handnehmen der Frevel zu steuern". Ein Abgeordneter der Städte: „allen Anzeigen von gehörig angestellten und beeidigten Forstbeamten müsse Glauben beigemessen werden. Die Anstellung auf Lebenszeit sei vielen Gemeinden und insbesondere den Eigenthümern von kleinen Parzellen so zu sagen unmöglich. Durch die Verfügung, daß nur jene Forstbeamten, 5 welche auf Lebenszeit angestellt sind, fides haben sollen, würde diesen Waldbesitzern aller Forstschutz entzogen. In einem großen Theile der Provinz hätten die Gemeinden und Privatbesitzer den Feldhütern auch die Hut ihrer Waldungen übertragen und übertragen müssen, weil ihr Wald eigenthum nicht groß genug sei, um eigene Förster dafür anzustellen. Es 10 würde nun sonderbar sein, wenn diese Feldhüter, welche auch auf die Waldhut vereidet seien, keinen vollen Glauben haben sollten, wenn sie eine Holzentwendung constatirten, während sie fides genössen, wenn sie Anzeigen über entdeckte Holzfrevel machten." Rheinische Zeitung. Nr. 303, 30. Oktober 1842. Beiblatt Also hat Stadt und Land und Fürstenthum gesprochen. Statt die Differenz 15 zwischen den Rechten des Holzfrevlers und den Prätensionen des Wald- eigenthümers auszugleichen, findet man sie nicht groß genug. Man sucht nicht den Schutz des Waldeigenthümers und des Holzfrevlers, man sucht den Schutz des großen und des kleinen Waldeigenthümers auf ein Maß zu setzen. Hier soll die minutiöseste Gleichheit Gesetz sein, während 20 dort die Ungleichheit Axiom ist. Warum verlangt der kleine Waldeigen thümer denselben Schutz wie der große? Weil beide Waldeigenthümer. Sind nicht beide, der Waldeigenthümer und der Forstfrevler, Staatsbürger? Wenn ein kleiner und ein großer Waldeigenthümer, haben nicht noch mehr ein kleiner und ein großer Staatsbürger dasselbe Recht auf den Schutz 25 des Staates? Wenn das Mitglied des Fürstenstandes sich auf Frankreich bezieht — das Interesse kennt keine politischen Antipathieen — so vergißt es nur hinzuzufügen, daß in Frankreich der Schutzbeamte das Faktum, aber nicht den Werth denuncirt. Eben so vergißt der ehrenwerthe Sprecher der 30 Städte, daß der Feldhüter hier unzulässig ist, weil es sich nicht nur um das Constatiren einer Holzentwendung, sondern eben so sehr um die Taxation des Holzwerthes handelt. Worauf beschränkt sich der Kern des ganzen Raisonnements, das wir eben gehört? Der kleine Waldeigenthümer habe nicht die Mittel, einen 35 lebenslänglichen Schutzbeamten zu stellen. Was folgt aus diesem Raison nement? Daß der kleine Waldeigenthümer nicht dazu berufen ist. Was 214 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz schließt der kleine Waldeigenthümer? Daß er berufen ist, einen taxirenden Schutzbeamten auf Kündigung anzustellen. Seine Mittellosigkeit gilt ihm als Titel eines Privilegiums. Der kleine Waldeigenthümer hat auch nicht die Mittel, ein unabhängiges 5 Richterkollegium zu unterhalten. Also verzichte Staat und Angeklagter auf ein unabhängiges Richterkollegium und lasse den Hausknecht des kleinen Waldeigenthümers, oder wenn er keinen Hausknecht hat, lasse seine Magd, oder wenn er keine Magd hat, lasse ihn selbst zu Gericht sitzen. Hat der Angeklagte nicht dasselbe Recht auf die exekutive Gewalt 10 als ein Staatsorgan, wie auf die richterliche? Warum also nicht auch das Gericht nach den Mitteln des kleinen Waldeigenthümers einrichten? Kann das Verhältniß des Staats und des Angeklagten alterirt werden durch die dürftige Oekonomie des Privatmannes, des Waldeigenthümers? Der Staat hat ein Recht gegen den Angeklagten, weil er diesem Individuum 15 als Staat gegenübertritt. Unmittelbar folgt daher für ihn die Pflicht, als Staat und in der Weise des Staats sich zu dem Verbrecher zu verhalten. Der Staat hat nicht nur die Mittel, auf eine Weise zu agiren, die eben so seiner Vernunft, seiner Allgemeinheit und Würde, wie dem Recht, dem Leben und Eigenthum des incriminirten Bürgers angemessen ist; es ist 20 seine unbedingte Pflicht, diese Mittel zu haben und anzuwenden. Vom Wald eigenthümer, dessen Wald nicht der Staat und dessen Seele nicht die Staatsseele ist, wird dies Niemand verlangen. — Was folgert man? Daß, weil das Privateigenthum nicht die Mittel hat, sich auf den Staatsstandpunkt zu erheben, der Staat die Verpflichtung hat, zu den Vernunft- und rechts- 25 widrigen Mitteln des Privateigenthums herabzusteigen. Diese Anmaßung des Privatinteresses, dessen dürftige Seele nie von einem Staatsgedanken erleuchtet und durchzuckt worden, ist eine ernste und gründliche Lektion für den Staat. Wenn der Staat sich auch nur an einem Punkte so weit herabläßt, statt in seiner eigenen Weise, in der 30 Weise des Privateigenthums thätig zu sein, so folgt unmittelbar, daß er sich in der Form seiner Mittel den Schranken des Privateigenthums ac- commodiren muß. Das Privatinteresse ist schlau genug, diese Consequenz dahin zu steigern, daß es sich in seiner beschränktesten und dürftigsten Gestalt zur Schranke und zur Regel der Staatsaktion macht, woraus, 35 abgesehen von der vollendeten Erniedrigung des Staats, umgekehrt folgt, daß die Vernunft- und rechtswidrigsten Mittel gegen den Angeklagten in Bewegung gesetzt werden, denn die höchste Rücksicht auf das Interesse des beschränkten Privateigenthums schlägt nothwendig in eine maßlose Rücksichtslosigkeit gegen das Interesse des Angeklagten um. Wenn es 40 sich hier aber klar herausstellt, daß das Privatinteresse den Staat zu den Mitteln des Privatinteresses, wie sollte nicht folgen, daß eine Vertretung 215 Publizistische Arbeiten der Privatinteressen, der Stände, den Staat zu den Gedanken des Privat interesses degradiren will und muß? Jeder moderne Staat, entspreche er noch so wenig seinem Begriff, wird bei dem ersten praktischen Versuch solcher gesetzgebenden Gewalt gezwungen sein, auszurufen: Deine Wege sind nicht meine Wege und Deine Gedanken sind nicht meine Gedanken! Wie gänzlich unhaltbar eine miethweise Pachtung des denuncirenden Schutzbeamten sei, das können wir nicht evidenter beweisen, als durch einen Grund, der gegen die lebenslängliche Anstellung, wir können nicht sagen entschlüpft, denn er wird verlesen. Ein Mitglied aus dem Stand der Städte verlas nämlich folgende Bemerkung: „die auf Lebenszeit angestell ten Waldwärter für Gemeinden stehen und können auch nicht unter der strengen Controlle stehen, wie die Königlichen Beamten. Jeder Sporn zur treuen Pflichterfüllung wird durch die lebenslängliche Anstellung gelähmt. Erfüllt der Waldhüter auch nur zur Hälfte seine Pflicht und hütet er sich, daß ihm keine wirklichen Vergehen zur Last gelegt werden können, so wird er immer so viel Fürsprache finden, daß der Antrag nach §.56 auf dessen Entlassung vergeblich sein wird. Die Betheiligten werden es unter solchen Umständen auch nicht einmal wagen, den Antrag zu stellen." Wir erinnern, wie man dem denuncirenden Schutzbeamten volles Ver trauen decretirte, als es sich darum handelte, ihm die Taxation zu über lassen. Wir erinnern, daß der §.4 ein Vertrauensvotum für den Schutz beamten war. Zum erstenmale erfahren wir, daß der denuncirende Schutzbeamte einer Controlle und einer strengen Controlle bedarf. Zum erstenmale erscheint er nicht nur als ein Mensch, sondern als ein Pferd, indem Sporen und Brod die einzigen Irritamente seines Gewissens sind und seine Pflicht muskeln durch eine lebenslängliche Anstellung nicht nur abgespannt, sondern vollständig gelähmt werden. Man sieht, der Eigennutz besitzt zweierlei Maß und Gewicht, womit er die Menschen wägt und mißt, zweierlei Weltanschauungen, zweierlei Brillen, von denen die eine schwarz und die andere bunt färbt. Wo es gilt, andere Menschen seinen Werk zeugen preiszugeben und zweideutige Mittel zu beschönigen, da setzt der Eigennutz die buntfärbende Brille auf, die ihm seine Werkzeuge und seine Mittel in phantastischer Glorie zeigt, da gaukelt er sich und Andere in die unpraktischen und lieblichen Schwärmereien einer zarten und ver trauensvollen Seele ein. Jede Falte seines Gesichts ist lächelnde Bonhommie. Er drückt seinem Gegner die Hand wund, aber er drückt sie aus Vertrauen wund. Doch plötzlich gilt es den eigenen Vortheil, es gilt hinter den Koulissen, wo die Illusionen der Bühne verschwinden, die Brauchbarkeit der Werkzeuge und der Mittel bedächtig zu prüfen. Ein rigoristischer Menschenkenner, setzt er behutsam und mißtrauisch die weltkluge, 216 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz schwarzfärbende Brille, die Brille der Praxis auf. Gleich einem geübten Pferdemäkler unterwirft er die Menschen einer langen Nichts übersehenden Ocularinspektion und sie erscheinen ihm so klein, so erbärmlich und so schmutzig, wie der Eigennutz selbst ist. 5 Wir wollen nicht mit der Weltanschauung des Eigennutzes rechten, aber wir wollen sie zwingen, consequent zu sein. Wir wollen nicht, daß sie sich selbst die Weltklugheit vorbehält und den Andern die Phantasieen überläßt. Wir halten den sophistischen Geist des Privatinteresses einen Augenblick an seinen eigenen Konsequenzen fest. 10 Wenn der denuncirende Schutzbeamte der Mensch eurer Schilderung ist, ein Mensch, dem die lebenslängliche Anstellung weit entfernt Un- abhängigkeitsgefühl, Sicherheit und Würde in der Erfüllung seiner Pflicht zu geben, vielmehr jeden Sporn zur Pflichterfüllung raubt, was sollen wir nun gar für den Angeklagten von der Unparteilichkeit dieses Menschen 15 erwarten, sobald er der unbedingte Knecht eurer Willkür ist? Wenn nur die Sporen diesen Menschen zur Pflicht treiben, und wenn ihr die Sporen träger seid, was müssen wir dem Angeklagten prophezeien, der kein Sporenträger ist? Wenn selbst ihr nicht die hinreichend strenge Kontrolle gegen diesen Mann ausüben könnt, wie soll ihn nun gar der Staat und die 20 verfolgte Partei kontrolliren? Gilt bei einer revocabeln Anstellung nicht vielmehr, was ihr von einer lebenslänglichen behauptet: „erfüllt der Schutzbeamte nur zur Hälfte seine Pflicht, so wird er immer so viel Fürsprache finden, daß der Antrag nach §.56 auf dessen Entlassung ver geblich sein wird?" werdet ihr nicht alle so viel Fürsprecher für ihn sein, 25 so lange er die eine Hälfte seiner Pflicht erfüllt, die Wahrung eures Inter esses? Die Wandlung des naiven überquellenden Vertrauens zum Waldhüter in keifendes, mäkelndes Mißtrauen entdeckt uns die Pointe. Nicht dem Forsthüter, euch se/bsf habt ihr das riesenhafte Vertrauen geschenkt, woran 30 Staat und Holzfrevler als an ein Dogma glauben sollen. Nicht die amtliche Stellung, nicht der Eid, nicht das Gewissen des Forsthüters sollen die Garantieen des Angeklagten gegen euch, nein, euer Rechtssinn, euere Humanität, euere Interesselosigkeit, euere Mäßigung sol len die Garantieen des Angeklagten gegen den Forsthüter sein. Euere Kon- 35 trolle ist seine letzte und seine einzige Garantie. In nebelhafter Vorstellung von euerer persönlichen Vorzüglichkeit, in poetischer Selbstentzückung bietet ihr dem Betheiligten euere Individualitäten als Schutzmittel gegen eure Gesetze. Ich gestehe, daß ich diese romanhafte Vorstellung von Waldeigenthümern nicht theile. Ich glaube überhaupt nicht, daß Personen 40 Garantieen gegen Gesetze, ich glaube vielmehr, daß Gesetze Garantieen gegen Personen sein müssen. Und wird die verwegenste Phantasie sich einbilden 217 Publizistische Arbeiten können, Männer, welche in dem erhabenen Geschäft der Legislation keinen Augenblick von der beklemmten, praktisch niedrigen Stimmung des Eigen nutzes zur theoretischen Höhe allgemeiner und objektiver Gesichtspunkte sich zu erheben vermögen, Männer, welche schon vor dem Gedanken künftiger Nachtheile beben und nach Stuhl und Tisch greifen, um ihr Interesse zu decken, dieselben Männer würden im Antlitz der wirklichen Gefahr Philosophen sein? Aber keiner, auch nicht der vorzüglichste Gesetzgeber darf seine Person höher stellen, als sein Gesetz. Niemand ist befugt, sich selbst Vertrauensvota zu dekretiren, die von Konsequenzen für dritte sind. Ob ihr aber auch nur verlangen durftet, man solle euch besonderes Vertrauen schenken, mögen folgende Thatsachen erzählen. „§.87, äußert ein Abgeordneter der Städte, müsse er opponiren, denn die Bestimmungen desselben würden weitläufige, zu nichts führende Untersuchungen veranlassen, wodurch persönliche Freiheit und jene des Verkehrs gestört würden. Man möge doch nicht von vorne herein jeden für einen Verbrecher halten und nicht gleich eine böse That präsumiren, bis man einen Beweis dafür habe, daß eine solche auch geübt worden sei." „Ein anderer Abgeordneter der Städte sagt, der §. müsse gestrichen werden. Das Vexatorische desselben: ,Da Jedermann nachweisen müsse, woher ihm das Holz geworden', demnach Jedermann als des Stehlens und Bergens verdächtig erscheine, greife rauh und verletzend in das bürgerliche Leben ein." Der §. ward angenommen. Wahrlich ihr muthet der menschlichen Inconsequenz zu viel zu, wenn sie zu ihrem Schaden das Mißtrauen und zu eurem Nutzen das Vertrauen als Maxime proklamiren, wenn ihr Vertrauen und ihr Mißtrauen aus den Augen eueres Privatinteresses sehen und mit dem Herzen eueres Privatinteresses empfinden soll. Es wird noch ein Grund gegen die lebenslängliche Anstellung bei gebracht, ein Grund, der selbst mit sich darüber uneinig ist, ob die Ver ächtlichkeit oder die Lächerlichkeit ihn mehr auszeichnet. „Auch darf der freie Wille der Privaten nicht auf solche Weise so sehr beschränkt werden, weshalb nur Anstellungen auf Widerruf gestattet sein sollten." Gewiß ist es eben so erfreuliche als unerwartete Nachricht, daß der Mensch einen freien Willen besitze, der nicht auf jede Weise zu beschrän ken sei. Die Orakel, die wir bisher hörten, glichen dem Urorakel zu Dodonä. Das Holz theilte sie aus. Der freie Wille besaß keine ständische Qualität. Wie sollen wir nun dies plötzliche rebellische Auftreten der Ideologie, denn in Bezug auf die Ideen haben wir nur Nachfolger Napoleon's vor uns, verstehen? 218 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz Der Wille des Waldeigenthümers verlangt die Freiheit, mit dem Holz frevler nach Bequemlichkeit und auf die ihm zusagendste und wenigst kostspielige Art umspringen zu dürfen. Dieser Wille will, daß der Staat ihm den Bösewicht auf Discretion überlasse. Er verlangt plein pouvoir. 5 Er bekämpft nicht die Einschränkung des freien Willens, er bekämpft die Weise dieser Einschränkung, die so sehr einschränkt, daß sie nicht nur den Holzfrevler, sondern auch den Holzbesitzer trifft. Will dieser freie Wille nicht viele Freiheiten? Ist es nicht ein sehr, ein vorzüglich freier Wille? Und ist es nicht unerhört, daß man im 19. Jahrhundert den freien 10 Willen jener Privaten, die publike Gesetze geben, „auf solche Weise so sehr" einzuschränken wagt? Es ist unerhört. Auch der hartnäckige Reformer, der freie Wille, muß in die Gefolgschaft der guten Gründe treten, deren Zugführer die Sophistik des Interesses ist. Nur muß dieser freie Wille Lebensart besitzen, er muß ein vorsichtiger, 15 ein loyaler freier Wille sein, ein freier Wille, der sich so einzurichten weiß, daß seine Sphäre mit der Sphäre der Willkür jener privilegirten Privaten zusammenfällt. Nur einmal wird der freie Wille citirt und dieses eine Mal erscheint er in der Gestalt eines untersetzten Privaten, der Holz blöcke auf den Geist des vernünftigen Willens schleudert. Was sollte dieser 20 Geist auch da, wo der Wille als Galeerensklave an die Ruderbank der kleinsten und engherzigsten Interessen geschmiedet ist. Der Höhepunkt dieses ganzen Raisonnements faßt sich zusammen in folgender Bemerkung, welche das fragliche Verhältniß auf den Kopf stellt: 25 „Mögen immerhin die königlichen Forst- und Jagdbeamten auf Lebens lang angestellt werden, bei Gemeinden und Privaten findet dies das größte Bedenken." Als wenn nicht das einzige Bedenken darin bestände, daß hier statt der Staatsdiener Privatbediente agiren! Als wenn die lebenslängliche Anstellung nicht eben gegen den bedenklichen Privaten gerichtet wäre! 30 Rien n'est plus terrible, que la logique dans l'absurdité, d. h. Nichts ist schrecklicher, als die Logik des Eigennutzes. Diese Logik, die den Bedienten des Waldeigenthümers in eine Staats autorität, verwandelt die Staatsautoritäten in Bediente des Waldeigen thümers. Die Staatsgliederung, die Bestimmung der einzelnen administra- 35 tiven Behörden, Alles muß außer Rand und Band treten, damit Alles zum Mittel des Waldeigenthümers herabsinke und sein Interesse als die be stimmende Seele des ganzen Mechanismus erscheine. Alle Organe des Staates werden Ohren, Augen, Arme, Beine, womit das Interesse des Waldeigenthümers hört, späht, schätzt, schützt, greift und läuft. 40 Zu §.62 schlägt der Ausschuß als Schlußsatz die Forderung einer Be scheinigung der Unbeibringlichkeit durch den Steuerboten, Bürgermeister, 219 Publizistische Arbeiten zwei Gemeinde-Vorsteher vom Wohnsitz des Frevlers ausgestellt vor. Ein Deputirter der Landgemeinden findet die Verwendung des Steuer boten im Widerspruch mit der bestehenden Gesetzgebung. Es versteht sich, daß dieser Widerspruch nicht berücksichtigt wird. Bei §.20 hatte der Ausschuß vorgeschlagen: „In der Rheinprovinz solle dem berechtigten Waldeigenthümer die Befugniß zustehen, der Ortsbehörde die Sträflinge in der Art zur Ableistung der schuldigen Arbeit zu überweisen, daß deren Arbeitstage auf die Kom munalweg-Handdienste, zu welchen der Waldeigenthümer in der Gemeinde verpflichtet ist, angerechnet, respektive in Abzug gebracht werden." Es wurde dagegen eingewandt, „daß die Bürgermeister nicht zu Exe- kutoren für einzelne Gemeindeglieder gebraucht und die Arbeiten der Sträf linge nicht als Kompensation für Dienste angenommen werden könnten, welche durch bezahlte Taglöhner oder Dienstleute verrichtet werden müßten". Der Referent bemerkt: „wenn es auch eine Last für die Herren Bürger meister sei, die unwilligen und aufgereizten Forststräflinge zur Arbeit anzuhalten, so liege es aber in den Funktionen dieser Beamten, ungehorsame und böswillige Administrirte zur Pflicht zurückzuführen, und sei es nicht eine schöne Handlung, den Sträfling vom Abwege auf den rechten Weg zurückzuführen. Wer habe auf dem Lande dazu mehr Mittel in Händen, als die Herren Bürgermeister Γ Und es hatte sich Reinecke ängstlich und traurig geberdet, Daß er manchen gutmüthigen Mann zum Mitleid bewegte, Lampe, der Hase, besonders war sehr bekümmert. Der Landtag acceptirte den Vorschlag. Rheinische Zeitung. Nr. 305, 1. N o v e m b er 1842. Beiblatt Der gute Herr Bürgermeister soll eine Last übernehmen und eine schöne Handlung vollziehen, damit der Herr Waldeigenthümer seine Pflicht gegen die Gemeinde ohne Unkosten abtragen kann. Mit demselben Rechte könnte der Waldeigenthümer den Bürgermeister als Oberküchenmeister oder als Oberkellner in Anspruch nehmen. Ist es nicht eine schöne Handlung, wenn der Bürgermeister Küche und Keller seiner Administrirten in Stand hält? Der verurtheilte Verbrecher ist kein Administrirter des Bürgermeisters, er ist ein Administrirter des Gefängniß-Aufsehers. Verliert der Bürger meister nicht eben Mittel und Würde seiner Stellung, wenn man ihn aus einem Vorstand der Gemeinde zum Exekutor einzelner Gemeindeglieder, 220 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz wenn man ihn aus einem Bürgermeister zu einem Zuchtmeister macht? Werden nicht die andern freien Gemeindeglieder verletzt, wenn ihre ehr liche Arbeit im Dienste des Allgemeinen zur Strafarbeit im Dienste ein zelner Individuen herabsinkt? 5 Doch es ist überflüssig, diese Sophistereien aufzudecken. Der Herr Referent möge so gütig sein, uns selbst zu sagen, wie weltkluge Leute humane Phrasen beurtheilen. Er läßt den Waldbesitzer folgendermaßen den humanisirenden Ackerbesitzer haranguiren: „Wenn einem Gutsbesitzer die Fruchtähre abgeschnitten werde, so würde 10 der Dieb sagen: ,ich habe kein Brod, darum nehme ich einige Aehren von dem großen Stück, was Sie besitzen', so wie der Holzdieb sagt: ,ich habe kein Holz zu brennen, darum stehle ich Holz.' Den Gutsbesitzer schütze der Artikel 444 des Criminal-Codex, der eine Strafe von 2 bis 5 Jahren Gefängniß gegen das Abschneiden der Aehre ausspreche; so einen mächtigen 15 Schutz habe der Waldeigenthümer nicht." In diesem letzten neidisch-schielenden Ausruf des Waldeigenthümers liegt ein ganzes Glaubensbekenntniß. Ackerbesitzer, warum gerirst du dich so großmüthig, wenn es sich um mein Interesse handelt? Weü für dein Inter esse schon gesorgt ist. Also keine Illusionen! Die Großmuth kostet ent- 20 weder Nichts oder sie bringt Etwas ein. Also Ackerbesitzer, du blendest den Waldbesitzer nicht! Also Waldbesitzer, blende den Bürgermeister nicht! Dies eine Intermezzo würde beweisen, wie wenig Sinn „schöne Hand lungen" in unserer Debatte haben können, bewiese nicht die ganze Debatte, 25 daß sittliche und humane Gründe hier nur als Phrasen ihr Unterkommen finden. Aber das Interesse ist selbst geizig mit Phrasen. Es erfindet sie erst, wenn's Noth thut, wenn es von erklecklichen Folgen ist. Dann wird es beredt, das Blut rollt ihm schneller, es kommt nun sogar auf schöne Handlungen, die ihm einbringen und Andern kosten, auf schmeichlerische 30 Worte, auf zuthunliche Süßigkeiten nicht an und das Alles, das Alles wird nur exploitirt, um den Holzfrevel zu einer coulantern Münze des Waldeigen thümers zu stempeln, um ihn zu einem ergiebigen Holzfrevler zu machen, um das Kapital, denn der Holzfrevler ist dem Waldeigenthümer zu einem Kapital geworden, bequemer anlegen zu können. Es handelt sich nicht 35 darum, den Bürgermeister zum Besten des Holzfrevlers, es handelt sich darum, ihn zum Besten des Waldeigenthümers zu mißbrauchen. Welch' ein merkwürdiges Geschick, welch' eine überraschende Thatsache, daß die seltenen Intervallen, in denen ein problematisches Gut für den Frevler auch nur erwähnt, ein apodiktisches Gut dem Herrn Waldeigenthümer 40 versichert wird! Noch ein Beispiel dieser humanen Incidentpunkte ! 221 Publizistische Arbeiten Referent: „das französische Gesetz kenne die Verwandlung der Ge- fängnißstrafe in Forstarbeit nicht, er halte diese für eine weise und wohl- thätige, denn der Aufenthalt im Gefängniß führe nicht immer zur Besserung und sehr oft zum Schlechterwerden." Früher, als man Unschuldige zu Verbrechern machte, als ein Deputirter in Bezug auf die Sammler von Raffholz bemerkte, man bringe sie durch die Gefängnisse mit Gewohnheitsdieben zusammen, da waren die Gefäng nisse gut. Plötzlich haben sich die Verbesserungsanstalten metamorphosirt in Verschlechterungsanstalten, denn in diesem Moment ist es zuträglich für das Interesse des Waldeigenthümers, daß die Gefängnisse verschlechtern. 10 Unter der Verbesserung der Verbrecher versteht man eine Verbesserung der Prozente, welche die Verbrecher dem Waldeigenthümer abzuwerfen den hochherzigen Beruf haben. 5 Das Interesse hat kein Gedächtniß, denn es denkt nur an sich. Das Eine, worauf es ihm ankommt, sich selbst, vergißt es nicht. Auf Widersprüche 15 aber kommt es ihm nicht an, denn mit sich selbst geräth es nicht in Wider sprüche. Es ist ein beständiger Improvisator, denn es hat kein System, aber es hat Auskunftsmittel. Während die humanen und rechtlichen Gründe Nichts thun als Ce qu'au bal nous autres sots humains, Nous appelons faire tapisserie, 20 sind die Auskunftsmittel die thätigsten Agenten im raisonnirenden Mecha nismus des Interesses. Wir bemerken unter diesen Auskunftsmitteln zwei, die beständig in dieser Debatte wiederkehren und die Hauptkategorien bilden, die „guten Motive" und die „nachtheiligen Folgen". Wir sehen 25 bald den Referenten des Ausschusses, bald ein anderes Landtagsmitglied jede zweideutige Bestimmung mit dem Schild gewiegter, weiser und guter Motive vor den Pfeilen des Widerspruchs decken. Wir sehen jede Kon sequenz rechtlicher Gesichtspunkte durch die Hinweisung auf die nach theiligen oder bedenklichen Folgen abgelehnt. Untersuchen wir einen 30 Augenblick diese geräumigen Auskunftsmittel, diese Auskunftsmittel par excellence, diese Auskunftsmittel für Alles und noch einiges Andere. Das Interesse weiß das Recht durch die Perspektive auf die nachtheiligen Folgen, durch seine Wirkungen in der Außenwelt anzuschwärzen; es weiß das Unrecht durch gute Motive, also durch Zurückgehen in die Innerlich- 35 keit seiner Gedankenwelt weiß zu waschen. Das Recht hat schlechte Folgen in der Außenwelt unter den bösen Menschen, das Unrecht hat gute Motive in der Brust des braven Mannes, der es dekretirt; beide aber, die guten Motive und die nachtheiligen Folgen, theilen die Eigenthümlichkeit, daß sie die Sache nicht in Beziehung auf sich selbst, daß sie das Recht nicht 40 222 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz als einen selbstständigen Gegenstand behandeln, sondern vom Recht ab entweder auf die Welt hinaus, oder auf den eigenen Kopf hineinweisen, daß sie also hinter dem Rücken des Rechts manöveriren. Was sind nachtheilige Folgen? Daß man hierunter keine nachtheiligen 5 Folgen für den Staat, das Gesetz, den Angeschuldigten zu verstehen hat, das beweist unsere ganze Darstellung. Daß man ferner unter den nach theiligen Folgen keine nachtheiligen Folgen für die bürgerliche Sicherheit begreift, wollen wir in wenigen Zügen zur Evidenz steigern. Wir haben schon von Landtagsmitgliedern selbst gehört, wie die Be- 10 Stimmung, „daß Jeder nachweisen muß, woher er sein Holz hat", rauh und verletzend in das bürgerliche Leben eingreife und jeden Bürger vexatori- schen Chikanen Preis gebe. Eine andere Bestimmung erklärt jeden für einen Dieb, in dessen Gewahrsam sich gestohlenes Holz findet, obgleich ein Deputirter erklärt: „dies könne manchem rechtlichen Manne gefährlich 15 werden. In seiner Nähe sei Jemandem gestohlenes Holz in den Hof geworfen und der Unschuldige zur Strafe gezogen worden." Der §.66 verurtheilt jeden Bürger, der einen Besen kauft, welcher kein monopolisirter Besen ist, zu einer Zuchthausstrafe von 4 Wochen bis 2 Jahren, wozu ein Stadt abgeordneter die Randglosse macht: „Dieser §. drohe den Bewohnern der 20 Kreise Elberfeld, Lennep und Solingen sammt und sonders Zuchthaus strafe." Endlich hat man die Aufsicht und Handhabung der Jagd- und Forstpolizei dem Militair sowohl zu einem Recht, als zu einer Pflicht gemacht, obgleich der Art. 9 der Kriminal-Ordnung nur Beamte kennt, welche unter der Aufsicht der Staatsprokuratoren stehen, also unmittelbar 25 von diesen verfolgt werden können, was bei dem Militair nicht der Fall ist. Man bedroht damit wie die Unabhängigkeit der Gerichte, so die Frei heit und Sicherheit der Bürger. Weit entfernt also, daß von nachtheiligen Folgen für die bürgerliche Sicherheit die Rede wäre, wird die bürgerliche Sicherheit selbst als ein 30 Umstand von nachtheiligen Folgen behandelt. Was sind also nachtheilige Folgen? Nachtheilig ist, was dem Interesse des Waldeigenthümers nachtheilig ist. Wenn also die Folgen des Rechts keine Erfolge seines Interesses sind, so sind es nachtheilige Folgen. Und hier ist das Interesse scharfsinnig. Sah es vorhin nicht, was die natürlichen 35 Augen zeigen, so sieht es jetzt sogar, was sich nur dem Mikroscop ent deckt. Die ganze Welt ist ihm ein Dorn im Auge, eine Welt von Gefahren, eben weil sie nicht die Welt eines, sondern die Welt vieler Interessen ist. Das Privatinteresse betrachtet sich als den Endzweck der Welt. Realisirt also das Recht diesen Endzweck nicht, so ist es ein zweckwidriges Recht. 40 Ein dem Privatinteresse nachtheiliges Recht ist also ein Recht von nach theiligen Folgen. 223 Publizistische Arbeiten Sollten die guten Motive besser sein als die nachtheiligen Folgen? Das Interesse denkt nicht, es rechnet. Die Motive sind seine Zahlen. Das Motiv ist ein Beweggrund, die Rechtsgründe aufzuheben und wer zweifelt, daß das Privatinteresse hierzu viele Beweggründe haben wird? Die Güte des Motiv's besteht in der zufälligen Geschmeidigkeit, womit es den objektiven Thatbestand zu entrücken und sich und Andere in die Täuschung einzuwiegen weiß, nicht die gute Sache sei zu denken, sondern bei einer schlechten Sache genüge der gute Gedanke. Unsern Faden wieder aufnehmend, bringen wir zunächst ein Seiten 5 stück zu den, dem Herrn Bürgermeister empfohlenen schönen Handlun- 10 gen. „§. 34 wurde vom Ausschuß eine veränderte Fassung in folgender Weise vorgeschlagen: wird das Erscheinen des protokollirenden Schutzbeamten von dem Beschuldigten veranlaßt, so hat derselbe die desfallsigen Kosten vordersamst bei dem Forstgerichte zu deponiren." 15 Der Staat und das Gericht sollen Nichts unentgeltlich im Interesse des Beschuldigten thun. Sie sollen sich vordersamst bezahlen lassen, wodurch offenbar vordersamst die Confrontation des denuncirenden Schutzbeamten und des Angeschuldigten erschwert wird. Eine schöne Handlung! Nur eine einzige schöne Handlung! Ein König- 20 reich für eine schöne Handlung! Aber die einzige schöne Handlung, die in Vorschlag gebracht wird, soll der Herr Bürgermeister zum Besten des Herrn Waldeigenthümers vollziehen. Der Bürgermeister ist der Repräsentant der schönen Handlungen, ihr menschgewordener Ausdruck, und man hat die Reihe der schönen Handlungen mit der Last, die man dem Bürgermeister 25 aufzuerlegen die wehmüthige Aufopferung besaß, erschöpft und für immer geschlossen. Wenn der Herr Bürgermeister im Dienst des Staates und zum sittlichen Besten des Verbrechers mehr thun soll, als seine Pflicht, sollten die Herren Waldeigenthümer zu demselben Guten nicht weniger fordern als ihr Inter- 30 esse ist? Man könnte die Antwort auf diese Frage schon in dem bisher behandelten Theil der Debatten niedergelegt glauben, aber man irrt. Wir kommen zu den Strafbestimmungen. „Ein Deputirter der Ritterschaft hielt den Waldeigenthümer immer noch 35 nicht für hinlänglich entschädigt, wenn ihm selbst die Strafgelder außer der Erstattung des einfachen Werths zufielen, die häufig nicht einziehbar sein würden." Ein Abgeordneter der Städte bemerkt: „Die Bestimmungen dieses §. (§. 15) könnten zu den bedenklichsten Folgen führen. Der Waldeigen- 40 thümer erhalte auf diese Weise dreifache Entschädigung, nämlich den 224 r Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz Werth, 4, 6 oder 8fache Strafe und noch besondern Schadenersatz, welcher oft ganz arbiträr ermittelt und mehr das Resultat einer Fiction als der Wirklichkeit sein werde. Jedenfalls scheine ihm angeordnet werden zu müssen, daß die fragliche besondere Entschädigung gleich am Forstgericht 5 vorgefordert und im Forsturtheil zugesprochen werden müsse. Daß der Beweis des Schadens besonders geliefert und nicht lediglich auf das Protokoll gegründet werden könne, liege in der Natur der Sache." Es wurde hiegegen durch den Herrn Referenten und ein anderes Mitglied erläutert, wie der hier angeführte Mehrwerth sich in verschiedenen von ihnen be lo zeichneten Fällen ergeben könne. Der §. ward angenommen. Das Verbrechen wird zu einer Lotterie, in welcher der Waldeigenthümer, wenn das Glück will, sogar noch Gewinnste ziehen kann. Es kann sich ein Mehrwerth ergeben, aber es kann auch der Waldeigenthümer, der schon den einfachen Werth erhält, durch die 4, 6 oder 8fache Strafe ein Geschäft 15 machen. Erhält er aber außer dem einfachen Werth noch besondern Schaden ersatz, so ist die 4, 6 oder 8fache Strafe jedenfalls reiner Gewinn. Glaubt ein Mitglied des Ritterstandes, die zufallenden Strafgelder seien keine hinreichenden Garantieen, weil sie häufig nicht einziehbar sein würden, so werden sie dadurch doch keinenfalls einziehbar, daß außer ihnen noch 20 Werth und Schadenersatz einzuziehen sind. Wir werden übrigens sehen, wie man dieser Nichteinziehbarkeit ihren Stachel zu rauben weiß. Konnte der Waldeigenthümer sein Holz besser assecuriren, als es hier geschehen ist, wo man das Verbrechen in eine Rente verwandelt hat? Ein geschickter Feldherr, verwandelt er den Angriff auf sich in eine 25 unfehlbare Gelegenheit siegreichen Gewinnes, denn sogar der Mehrwerth des Holzes, die ökonomische Schwärmerei, verwandelt sich durch den Diebstahl in eine Substanz. Dem Waldeigenthümer muß nicht allein sein Holz, sondern auch sein Holzgeschäft garantirt werden, während die bequeme Huldigung, die er seinem Geschäftsführer, dem Staat, darbringt, 30 darin besteht, daß er ihn nicht bezahlt. Es ist ein exemplarischer Einfall, die Strafe des Verbrechens aus einem Siege des Rechts gegen die Attentate auf das Recht in einen Sieg des Eigennutzes gegen die Attentate auf den Eigennutz zu verwandeln. Wir machen unsere Leser aber vorzugsweise auf die Bestimmung des 35 §. 14 aufmerksam, eine Bestimmung, wobei man sich der Gewohnheit entschlagen muß, die leges barbarorum für Gesetze der Barbaren zu halten. Die Strafe nämlich, als solche, die Wiederherstellung des Rechts, wohl zu unterscheiden von der Erstattung des Werthes und dem Schaden ersatze, der Wiederherstellung des Privateigenthums, wird aus einer 40 öffentlichen Strafe zu einer Privatcomposition, die Strafgelder fließen nicht in die Staatskasse, sondern in die Privatkasse des Waldeigenthümers. 225 Publizistische Arbeiten Ein Abgeordneter der Städte meint zwar: „Dies widerstreite der Würde des Staats und den Prinzipien einer guten Strafrechtspflege", aber ein Deputirter der Ritterschaft appellirt an das Rechts- und Billigkeitsgefühl der Versammlung zum Schutz des Interesses des Waldeigenthümers, also an ein apartes Rechts- und Billigkeitsgefühl. 5 Die barbarischen Völker lassen dem Beschädigten für ein bestimmtes Verbrechen eine bestimmte Composition (Sühngeld) zahlen. Der Begriff der öffentlichen Strafe kam erst im Gegensatz zu dieser Ansicht auf, die im Verbrechen nur eine Verletzung des Individuums erblickt, aber das Volk und die Theorie müssen noch erfunden werden, welche dem Indi- 10 viduum die Privat- und die Staatsstrafe zu vindiciren die Gefälligkeit be sitzen. Ein vollständiges qui pro quo muß die Landstände verführt haben. Der gesetzgebende Waldeigenthümer verwechselte einen Augenblick die Personen, sich als Gesetzgeber und sich als Waldeigenthümer. Das einemal 15 ließ er sich als Waldeigenthümer das Holz, und das anderemal ließ er sich als Gesetzgeber die verbrecherische Gesinnung des Diebs bezahlen, wobei es sich ganz zufällig traf, daß der Waldeigenthümer beidemale bezahlt wurde. Wir stehen also nicht mehr bei dem einfachen droit des seigneurs. Wir sind durch die Epoche des öffentlichen Rechts zur Epoche des ver- 20 doppelten, des potenzirten Patrimonialrechts gelangt. Die Patrimonial- Eigenthümer benutzen den Fortschritt der Zeit, der die Widerlegung ihrer Forderung ist, um sowohl die Privatstrafe der barbarischen Weltanschau ung, als auch die öffentliche Strafe der modernen Weltanschauung zu usurpiren. 25 Durch die Erstattung des Werths und noch gar eines besondern Schaden ersatzes existirt kein Verhältniß mehr zwischen dem Holzdieb und dem Waldeigenthümer, denn die Holzverletzung ist vollständig aufgehoben. Beide, Dieb und Eigenthümer, sind in die Integrität ihres frühern Zustandes zurückgetreten. Der Waldeigenthümer ist bei dem Holzdiebstahl nur so 30 weit afficirt, als das Holz, aber nicht so weit, als das Recht verletzt ist. Nur die sinnliche Seite des Verbrechers trifft ihn, aber das verbrecherische Wesen der Handlung ist nicht die Attaque auf das materielle Holz, sondern die Attaque auf die Staatsader des Holzes, auf das Eigenthumsrecht als solches, die Verwirklichung der unrechtlichen Gesinnung. Hat der Wald- 35 eigenthümer Privatansprüche auf die rechtliche Gesinnung des Diebes und was sollte die Vervielfachung der Strafe bei Wiederholungsfällen anders sein, als eine Strafe der verbrecherischen Gesinnung? Oder kann der Waldeigenthümer Privatforderungen haben, wo er keine Privatansprüche hat? War der Waldeigenthümer vor dem Holzdiebstahle der Staat? Nein, 40 aber er wird es nach dem Holzdiebstahl. Das Holz besitzt die merkwürdige 226 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz Eigenschaft, sobald es gestohlen wird, seinem Besitzer Staatsqualitäten zu erwerben, die er früher nicht besaß. Der Waldeigenthümer kann doch nur zurückerhalten, was ihm genommen wurde. Wird ihm der Staat zurück gegeben, und er wird ihm zurückgegeben, wenn er außer dem Privat- 5 recht das Staatsrecht auf den Frevler erhält, so muß ihm auch der Staat geraubt werden, so muß der Staat sein Privateigenthüm gewesen sein. Der Holzdieb trug also, ein zweiter Christopherus, in den gestohlenen Blöcken den Staat selbst auf seinem Rücken. Die öffentliche Strafe ist die Ausgleichung des Verbrechens mit der 10 Staatsvernunft, sie ist daher ein Recht des Staates, aber sie ist ein Recht des Staates, welches er so wenig an Privatleute cediren, als ein Individuum dem andern sein Gewissen abtreten kann. Jedes Recht des Staats gegen den Verbrecher ist zugleich ein Staatsrecht des Verbrechers. Sein Ver hältniß zum Staat kann durch kein Unterschieben von Mitgliedern in ein 15 Verhältniß zu Privaten verwandelt werden. Wollte man dem Staat selbst das Aufgeben seiner Rechte, den Selbstmord, gestatten, so wäre doch immerhin das Aufgeben seiner Pflichten nicht nur eine Nachlässigkeit, sondern ein Verbrechen. Der Waldeigenthümer kann also eben so wenig durch den Staat ein Privat- 20 recht auf die öffentliche Strafe erhalten, als er an und für sich irgend ein denkbares Recht darauf besitzt. Wenn ich aber die verbrecherische That eines Dritten in Ermangelung rechtlicher Ansprüche zu einer selbst ständigen Erwerbsquelle mir gestalte, werde ich dadurch nicht sein Mit schuldiger? Oder bin ich weniger sein Mitschuldiger, weil ihm die Strafe 25 und mir der Genuß des Verbrechens zufällt? Die Schuld wird nicht gemildert, wenn ein Privatmann seine Qualität als Gesetzgeber dazu mißbraucht, sich selber Staatsrechte durch das Verbrechen Dritter zu arrogiren. Der Unterschleif öffentlicher Staatsgelder ist ein Staatsverbrechen und sind die Strafgelder keine öffentlichen Staatsgelder? 30 Der Holzdieb hat dem Waldeigenthümer Holz entwendet, aber der Waldeigenthümer hat den Holzdieb dazu benutzt, den Staat selbst zu ent wenden. Wie wörtlich wahr dies ist, beweist §. 19, wo man nicht dabei stehen bleibt, die Geldstrafe, sondern auch Leib und Leben des Angeklagten in Anspruch zu nehmen. Nach §. 19 wird der Forstfrevler durch eine für 35 den Waldeigenthümer zu leistende Forstarbeit ganz in dessen Hände gegeben, was nach einem Deputirten der Städte „zu großen Inconvenienzen führen könne. Er wolle nur auf die Gefährlichkeit dieser Vollziehungs weise bei Personen des andern Geschlechts aufmerksam machen." Ein Deputirter der Ritterschaft gibt die ewig denkwürdige Erwiderung: "0 „daß es zwar eben so nothwendig als zweckmäßig sei, bei der Diskussion eines Gesetzentwurfes vorab die Prinzipien desselben zu erörtern und fest- 227 Publizistische Arbeiten zustellen, daß aber, wenn dies einmal geschehen, darauf nicht wieder bei Erörterung jedes einzelnen §. zurückgegangen werden könne", worauf der §. ohne Widerspruch angenommen wurde. Seid so geschickt, von schlechten Prinzipien auszugehen und ihr erhaltet einen unfehlbaren Rechtstitel auf die schlechten Konsequenzen. Ihr könntet 5 zwar meinen, die Nichtigkeit des Prinzips offenbare sich in der Abnormität seiner Konsequenzen, aber wenn ihr Weltbildung besitzt, so werdet ihr ein sehen, daß der Kluge bis auf die letzte Konsequenz ausschöpft, was er einmal durchgesetzt hat. Es wundert uns nur, daß der Waldeigenthümer nicht auch seinen Ofen mit den Walddieben heizen darf. Da die Frage 10 sich nicht um das Recht, sondern um die Prinzipien dreht, von denen der Landtag auszugehen beliebt, so stände dieser Konsequenz auch nicht ein Sandkorn im Wege. In direktem Widerspruch mit dem eben aufgestellten Dogma belehrt uns ein kurzer Rückblick, wie nöthig es gewesen wäre, bei jedem §. von neuem 15 die Prinzipien zu diskutiren, wie man durch die Votirung scheinbar zusam menhangloser und in gehöriger Distance von einander gehaltener §§. eine Bestimmung nach der andern erschlichen hat, und nach Erschleichung der ersten in der folgenden nun auch den Schein der Bedingung fallen ließ, unter der die erste allein annehmbar war. 20 Rheinische Zeitung. Nr. 307, 3. N o v e m b er 1842. Beiblatt Als es sich bei §.4 davon handelte, dem denuncirenden Schutzbeamten die Schätzung zu überlassen, bemerkte ein Stadtverordneter: „würde der Vorschlag nicht beliebt werden, das Strafgeld in die Staatskasse fließen zu lassen, so sei die vorliegende Bestimmung doppelt gefährlich." Und es ist klar, daß der Forstbeamte nicht dasselbe Motiv zur UeberSchätzung 25 hat, wenn er für den Staat, als wenn er für seinen Brodherrn taxirt. Man war so geläufig, diesen Punkt nicht zu erörtern, man ließ den Schein bestehen, als könne §. 14, der die Strafgelder dem Waldeigenthümer zu spricht, verworfen werden. Man hat den §.4 durchgesetzt. Nach der Votirung von 10 §§. kommt man endlich auf §. 14, durch welchen der §.4 30 einen veränderten und gefährlichen Sinn erhält. Dieser Zusammenhang wird gar nicht berührt, der §. 14 wird angenommen und die Strafgelder werden der Privatkasse des Waldeigenthümers zugewiesen. Der Haupt grund, ja der einzige Grund, der hierfür angeführt wird, ist das Interesse des Waldeigenthümers, das durch die Erstattung des einfachen Werths 35 nicht hinlänglich gedeckt sei. Aber im §. 15 vergißt man wieder, daß man die Strafgelder dem Waldeigenthümer votirt hat und decretirt ihm außer 228 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz dem einfachen Werth noch besondern Schadenersatz, weil ein Mehrwerth denkbar, als wenn er nicht schon durch die zufließenden Strafgelder ein Mehr erhalten. Man hat sogar noch bemerkt, daß die Strafgelder nicht immer einziehbar wären. Man stellte sich also, als wolle man nur in Bezug 5 auf das Geld an die Staatsstelle treten, aber im §.19 wirft man die Maske weg und vindicirt sich nicht nur das Geld, sondern den Verbrecher selbst, nicht nur den Beutel des Menschen, sondern den Menschen. An dieser Stelle tritt die Methode der Subreption scharf und unumwunden hervor, ja in selbstbewußter Klarheit, denn sie steht nicht mehr an, sich 10 als Prinzip zu proklamiren. Der einfache Werth und der Schadenersatz gaben dem Waldeigenthümer offenbar nur eine Privatforderung gegen den Holzfrevler, zu deren Reali sation ihm die Civilgerichte offen stehen. Kann der Holzfrevler nicht zahlen, so befindet sich der Waldeigenthümer in der Lage jedes Privatmannes, 15 der einen zahlungsunfähigen Schuldner hat, und dadurch bekanntlich kein Recht auf Zwangsarbeit, Dienstleistung, mit einem Wort temporelle Leib eigenschaft des Schuldners erhält. Was gibt also dem Waldeigenthümer diesen Anspruch? Die Strafgelder. Indem der Waldeigenthümer sich die Strafgelder vindicirte, hat er, wie wir gesehen, außer seinem Privatrecht 20 sich ein Staatsrecht an den Holzfrevler vindicirt und sich selbst an die Stelle des Staats gesetzt. Aber indem der Waldeigenthümer sich die Straf gelder zusprach, verheimlichte er kluger Weise, daß er sich die Strafe selbst zugesprochen hat. Er zeigte damals auf die Strafgelder als auf einfache Gelder, er zeigt jetzt auf sie als Strafe hin, er bekennt jetzt triumphirend, 25 daß er durch die Strafgelder das öffentliche Recht in sein Privateigenthum verwandelt hat. Statt vor dieser eben so verbrecherischen als empörenden Konsequenz zurückzubeben, nimmt man die Konsequenz in Anspruch, eben weil sie eine Konsequenz ist. Behauptet der gesunde Menschen verstand, es widerstreite unserm, es widerstreite allem Recht, einen Staats- 30 bürger dem andern als temporellen Leibeigenen auszuliefern und zu über weisen, so erklärt man achselzuckend, die Prinzipien seien erörtert, ob gleich weder Prinzip noch Erörterung stattfand. Auf diese Weise er schleicht der Waldeigenthümer durch die Strafgelder die Person des Holz frevlers. Der §. 19 offenbart erst den Doppelsinn des §. 14. 35 So sieht man, der §.4 hätte durch den §. 14, der §. 14 hätte durch den §. 15, der §. 15 hätte durch den §. 19, der §. 19 hätte schlechtweg unmöglich sein und das ganze Strafprinzip unmöglich machen müssen, eben weil in ihm die ganze Verworfenheit dieses Prinzips erscheint. Man kann das divide et impera nicht geschickter handhaben. Bei dem 40 vorhergehenden §. denkt man nicht an den nachfolgenden und bei dem nachfolgenden §. vergißt man den vorhergehenden. Der eine ist schon 229 Publizistische Arbeiten discutirt und der andere ist noch nicht discutirt, so daß beide durch die entgegengesetzten Gründe über alle Diskussion erhaben sind. Das an erkannte Prinzip aber ist „das Rechts- und Billigkeitsgefühl zum Schutz des Interesses des Waldeigenthümers", welches direkt entgegensteht dem Rechts- und Billigkeitsgefühl zum Schutz des Interesses des Lebenseigen- 5 thümers, des Freiheitseigenthümers, des Menschheitseigenthümers, des Staatseigenthümers, des Eigenthümers von Nichts als sich selbst. Doch wir sind einmal so weit. — Der Waldeigenthümer erhalte an die Stelle des Holzblockes einen ehemaligen Menschen. Shylock. Höchst weiser Richter! — Spruch war's — macht euch fertig. Porcia. Wart' noch ein wenig: eins ist noch zu merken. Der Schein hier gibt Dir nicht ein Tröpfchen Blut, Die Worte sind ausdrücklich, ein Pfund Fleisch, Nimm denn den Schein und nimm Du Dein Pfund Fleisch; Allein vergießest Du, indem Du's schneidest, Nur einen Tropfen Christenblut, so fällt Dein Hab und Gut, nach dem Gesetz Venedigs Dem Staat Venedigs heim. 10 15 20 Gradano. Ο weiser Richter! — merk Jud! ein weiser Richter. Shylock. Ist das Gesetz? Porcia. Du sollst die Akte sehen. Und Ihr sollt die Akte sehen! Worauf begründet ihr euern Anspruch an die Leibeigenschaft des Holz frevlers? Auf die Strafgelder. Wir haben gezeigt, daß ihr kein Recht an die Strafgelder habt. Wir sehen hievon ab. Was ist euer Grundprinzip? 25 Daß das Interesse des Waldeigenthümers, gehe auch die Welt des Rechts und der Freiheit darüber zu Grunde, gesichert werde. Es steht euch un erschütterlich fest, daß euer Holzschaden auf irgend eine Weise durch den Holzfrevler zu compensiren ist. Diese feste Holzunterlage eueres Raisonne ments ist so morsch, daß ein einziger Windzug der gesunden Vernunft sie 30 in tausend Trümmer auseinanderstreut. Der Staat kann und muß sagen: ich garantire das Recht gegen alle Zufälle. Das Recht allein ist in mir unsterblich und darum beweise ich Euch die Sterblichkeit des Verbrechens, indem ich es aufhebe. Aber der Staat kann und darf nicht sagen: ein Privatinteresse, eine bestimmte 35 Existenz des Eigenthums, eine Waldhut, ein Baum, ein Holzsplitter, und gegen den Staat ist der größte Baum kaum ein Holzsplitter, ist gegen alle Zufälle garantirt, ist unsterblich. Der Staat kann nicht an gegen die Natur der Dinge, er kann das Endliche nicht gegen die Bedingungen des Endlichen, nicht gegen den Zufall stichfest machen. So wenig euer Eigen- thum vor dem Verbrechen von dem Staat gegen jeden Zufall garantirt 40 230 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz werden konnte, so wenig kann das Verbrechen diese unsichere Natur eueres Eigenthums in's Gegentheil verkehren. Allerdings wird der Staat euer Privatinteresse sichern, so weit es durch vernünftige Gesetze und vernünftige Präventiv-Maßregeln gesichert werden kann, aber der Staat 5 kann euerer Privatforderung an den Verbrecher kein anderes Recht zu gestehen, als das Recht der Privatforderungen, den Schutz der Civil- Gerichtsbarkeit. Könnt ihr euch auf diesem Wege wegen der Mittellosigkeit des Verbrechers keine Compensation verschaffen, so folgt weiter Nichts, als daß jeder rechtliche Weg zu dieser Compensation aufgehört hat. Die 10 Welt fällt deswegen nicht aus ihren Angeln, der Staat verläßt deswegen nicht die Sonnenbahn der Gerechtigkeit und ihr habt die Vergänglichkeit alles Irdischen erfahren, eine Erfahrung, die euerer gediegenen Religiosität kaum als pikante Neuigkeit oder wunderlicher, als Stürme, Feuersbrunst und Fieber erscheinen wird. Wollte der Staat aber den Verbrecher zu 15 euerem temporellen Leibeigenen machen, so opferte er die Unsterblichkeit des Rechts euerem endlichen Privatinteresse. Er bewiese also dem Ver brecher die Sterblichkeit des Rechts, dessen Unsterblichkeit er ihm in der Strafe beweisen muß. Als Antwerpen zu König Philipp's Zeiten die Spanier durch Ueber- 20 schwemmung seines Gebiets leicht hätte abhalten können, gab es die Metzgerzunft nicht zu, weil sie fette Ochsen auf der Weide hatte. Ihr verlangt, daß der Staat sein geistiges Gebiet aufgebe, damit euer Holzblock gerächt werde. Es sind noch einige Nebenbestimmungen des §. 16 zu referiren. Ein 25 Abgeordneter der Städte bemerkt: „Nach der bisherigen Gesetzgebung würden 8 Tage Gefängniß einer Geldstrafe von 5 Thalern gleich gerechnet. Es sei kein genügender Grund vorhanden, hiervon abzugehen." (Nämlich statt der 8 Tage 14 Tage zu setzen.) Zu demselben §. hatte der Ausschuß folgenden Zusatz vorgeschlagen: „daß in keinem Falle die Gefängniß strafe 30 weniger als 24 Stunden währen solle". Als man bemerkte, daß dies Minimum zu stark sei, führte dagegen ein Mitglied aus dem Stande der Ritterschaft an, „daß das französische Forstgesetz ein geringeres Strafmaß als 3 Tage nicht enthalte". Derselbe Athemzug, der gegen die Bestimmung des französischen Ge- 35 seizes 5 Thlr. statt mit 8 mit 14 Tagen Gefängniß compensirt, sträubt sich aus Devotion gegen das französische Gesetz, 3 Tage in 24 Stunden zu verwandeln. Der obenerwähnte Stadtdeputirte bemerkt ferner: „wenigstens würde es sehr hart sein, bei Holzentwendungen, die doch immer nicht als ein 40 schwer zu bestrafendes Verbrechen angesehen werden können, für eine Geldbuße von 5 Thlrn. 14 Tage Gefängniß eintreten zu lassen. Das werde 231 Publizistische Arbeiten dazu führen, daß der Bemittelte, welcher sich mit Geld loskauft, nur einfach, der Arme aber doppelt bestraft werde." Ein Abgeordneter der Ritterschaft erwähnt, daß in der Umgegend von Cleve viele Forstfrevel verübt würden, blos um Aufnahme in das Arresthaus und die Gefangenenkost zu erhalten. Beweist dieser Abgeordnete der Ritterschaft nicht eben, was er widerlegen will, daß reine Nothwehr gegen Hunger und Obdachlosigkeit die Leute zum Holzfreveln treibt? Ist diese entsetzliche Noth ein aggravirender Umstand? 5 Der oben erwähnte Stadtdeputirte: „die schon gerügte Schmälerung der Kost müsse er zu hart und besonders bei Strafarbeiten für ganz unaus- 10 führbar halten." Von mehreren Seiten wird gerügt, daß die Schmälerung der Kost bis zu Wasser und Brod zu hart sei. Ein Deputirter der Land gemeinde bemerkte : daß im Regierungsbezirk Trier die Schmälerung der Kost bereits eingeführt sei und sich als sehr wirksam erwiesen habe. Warum will der ehrenwerthe Redner in Brod und Wasser grade die 15 Ursache der guten Wirkung zu Trier finden, warum nicht etwa in der Verstärkung des religiösen Sinnes, von dem der Landtag so viel und so rührend zu sprechen wußte? Wer hätte damals geahnt, daß Wasser und Brod die wahren Gnadenmittel! In gewissen Debatten glaubte man das englische Heiligen-Parlament hergestellt, und jetzt? Statt Gebet und Ver- 20 trauen und Gesang, Wasser und Brod, Gefängniß und Forstarbeit! Wie freigebig paradirte man mit Worten, um den Rheinländern einen Stuhl im Himmel zu verschaffen, wie freigebig ist man wieder mit Worten, um eine ganze Klasse von Rheinländern bei Wasser und Brod zur Forstarbeit zu peitschen, ein Einfall, den sich ein holländischer Plantagenbesitzer kaum 25 gegen seine Neger erlauben wird. Was beweist das Alles? Daß es leicht ist, heilig zu sein, wenn man nicht menschlich sein will. So wird man den Passus verstehen: „Die Bestimmung des §.23 fand ein Landtags-Mitglied unmenschlich; sie wurde nichts desto weniger angenommen." Außer der Unmenschlichkeit wird von diesem §. Nichts berichtet. 30 Unsere ganze Darstellung hat gezeigt, wie der Landtag die exekutive Gewalt, die administrativen Behörden, das Dasein des Angeklagten, die Staatsidee, das Verbrechen selbst und die Strafe zu materiellen Mitteln des Privatinteresses herabwürdigt. Man wird es consequent finden, daß auch das richterliche Urtheil als bloßes Mittel und die Rechtskräftigkeit 35 des Urtheils als überflüssige Weitläufigkeit behandelt wird. §.6 wünscht der Ausschuß das Wort „rechtskräftig" zu streichen, da durch Aufnahme desselben bei Contumazial-Erkenntnissen den Holzdieben ein Mittel an die Hand gegeben würde, sich der verschärften Strafe für Wiederholungsfälle zu entziehen; es wird aber dagegen durch mehrere 40 Abgeordnete protestirt und bemerkt, man müsse sich der vom Ausschuß 232 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz vorgeschlagenen Beseitigung des Ausdrucks: „rechtskräftig Urtheil" in dem §.6 des Entwurfs widersetzen. Diese Bezeichnung der Urtheile sei gewiß nicht ohne juristische Erwägung an dieser Stelle, sowie im §. auf genommen. Allerdings würde die Absicht der strengern Bestrafung der 5 Recidive dann leichter und häufiger erfüllt werden, wenn jede erste richter liche Sentenz hinreichte, um die Anwendung der schärfern Strafe zu begründen. Es sei aber zu bedenken, ob man in dieser Art den von dem Referenten hervorgehobenen Interessen der Forsthut ein wesentliches Rechtsprinzip opfern wolle. Man könne damit sich nicht einverstanden 10 erklären, daß mit Verletzung eines unbestreitbaren Grundsatzes des Rechtsverfahrens einem Urtheile, welches noch keinen gesetzlichen Bestand habe, eine solche Wirkung beigelegt werde. Ein anderer Ab geordneter der Städte trug ebenfalls auf Verwerfung des Amendements vom Ausschusse an. Dasselbe verstoße gegen die Bestimmungen des 15 Strafrechts, wonach nie eine Verschärfung der Strafe eintreten könne, bis die erste Strafe durch rechtskräftiges Urtheil festgestellt sei. Der Referent erwidert: „das Ganze sei ein exceptionelles Gesetz und also auch eine exceptionelle Bestimmung, wie die vorgeschlagene, darin zulässig." „Vorschlag des Ausschusses zur Streichung von rechtskräftig 20 genehmigt." Das Urtheil ist blos vorhanden, um die Recidive zu constatiren. Die gerichtlichen Formen erscheinen der begehrlichen Unruhe des Privat interesses als beschwerliche und überflüssige Hindernisse einer pedantischen Rechtsetiquette. Der Prozeß ist nur ein sicheres Geleit, das man dem 25 Gegner zum Gefängniß gibt, eine bloße Vorbereitung zur Execution und wo er mehr sein will, wird er zum Schweigen gebracht. Die Angst des Eigennutzes späht, berechnet, combinirt auf's akkurateste, wie der Gegner das Rechtsterrain, das man als ein nothwendiges Uebel gegen ihn betreten muß, für sich ausbeuten könne und man kommt ihm zuvor durch die 30 umsichtigsten Gegenmanöver. Man stößt auf das Recht selbst als Hinderniß bei der ungezügelten Geltendmachung seines Privatinteresses und man behandelt das Recht als ein Hinderniß. Man marktet, man feilscht mit ihm, man handelt ihm hie und da einen Grundsatz ab, man beschwichtigt es durch die flehendste Hinweisung auf das Recht des Interesses, man klopft ihm auf die Schultern, man flüstert ihm ins Ohr, das seien Ausnahmen und keine Regel ohne Ausnahme, man sucht das Recht gleichsam durch den Terrorismus und die Akkuratesse, die man ihm gegen den Feind gestattet, zu entschädigen für die schlüpfrige Gewissensweitheit, mit der man es als Garantie des Angeklagten und als selbstständigen Gegenstand behandelt. 40 Das Interesse des Rechts darf sprechen, insoweit es das Recht des Inter esses ist, aber es muß schweigen, sobald es mit diesem Heiligen collidirt. 35 233 Publizistische Arbeiten Der Waldeigenthümer, der selbst gestraft hat, ist so consequent, auch selbst zu richten, denn er richtet offenbar, indem er ein Urtheil ohne rechts kräftige Geltung für rechtskräftig erklärt. Welch' eine thörichte, unpraktische Illusion ist überhaupt ein parteiloser Richter, wenn der Gesetzgeber par teiisch ist? Was soll ein uneigennütziges Urtheil, wenn das Gesetz eigen- 5 nützig ist? Der Richter kann den Eigennutz des Gesetzes nur puritanisch formuliren, nur rücksichtslos anwenden. Die Parteilosigkeit ist dann die Form, sie ist nicht der Inhalt des Urtheils. Den Inhalt hat das Gesetz anticipirt. Wenn der Prozeß Nichts als eine gehaltlose Form ist, so hat solche formale Lappalie keinen selbstständigen Werth. Nach dieser Ansicht 10 würde chinesisches Recht französisches Recht, wenn man es in die fran zösische Procedur einzwängte, aber das materielle Recht hat seine noth- wendige, eingeborne Prozeßform, und so nothwendig im chinesischen Recht der Stock, so nothwendig zu dem Inhalt der hochnothpeinlichen Halsgerichtsordnung die Tortur als Prozeßform gehört, so nothwendig gehört 15 zum öffentlichen freien Prozeß ein seiner Natur nach öffentlicher, durch die Freiheit und nicht durch das Privatinteresse dictirter Gehalt. Der Prozeß und das Recht sind so wenig gleichgültig gegeneinander, als etwa die Formen der Pflanzen und Thiere gleichgültig sind gegen das Fleisch und das Blut der Thiere. Es muß ein Geist sein, der den Prozeß und der die 20 Gesetze beseelt, denn der Prozeß ist nur die Lebensart des Gesetzes, also die Erscheinung seines innern Lebens. Die Seeräuber von Tidong brechen den Gefangenen, um sich ihrer zu versichern, Arme und Beine. Um sich der Forstfrevler zu versichern, hat der Landtag dem Rechte nicht nur Arme und Beine gebrochen, sondern 25 sogar das Herz durchbohrt. Wir erachten hiergegen sein Verdienst um die Wiedereinführung unseres Prozesses in einigen Kategorieen als eine wahre Nullität; wir müssen im Gegentheil die Offenherzigkeit und Konsequenz anerkennen, die dem unfreien Gehalt eine unfreie Form gibt. Bringt man materiell das Privatinteresse, welches das Licht der Oeffentlichkeit nicht 30 erträgt, in unser Recht hinein, so gebe man ihm auch seine angemessene Form, heimliches Verfahren, damit wenigstens keine gefährlichen, selbst- gefälligen Illusionen erweckt und genährt werden. Wir halten es für die Pflicht aller Rheinländer und vorzugsweise der Rheinischen Juristen, in diesem Augenblicke ihre Hauptaufmerksamkeit dem Rechtsgehalt zu 35 widmen, damit uns nicht zuletzt die leere Maske zurückbleibt. Die Form hat keinen Werth, wenn sie nicht die Form des Inhalts ist. ~ '• ;J ,| M Ί ;>' Der eben besprochene Vorschlag des Ausschusses und das billigende Votum des Landtags sind der Blüthenpunkt der ganzen Debatte, denn die $ Collision zwischen dem Interesse der Forsthut und den Rechtsprinzipien, 40 £ ä den durch unser eigenes Gesetz sanktionirten Rechtsprinzipien, tritt hier in 234 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz das Bewußtsein des Landtags selbst. Der Landtag hat darüber abgestimmt, ob die Rechtsprinzipien dem Interesse der Forsthut zu opfern seien oder das Interesse der Forsthut den Rechtsprinzipien, und das Interesse hat das Recht überstimmt. Man hat sogar eingesehen, daß das ganze Gesetz eine 5 Exception vom Gesetz und deshalb gefolgert, daß jede exceptionelle Be stimmung darin zulässig sei. Man beschränkte sich darauf, Konsequenzen zu ziehen, die der Gesetzgeber versäumt hat. Ueberau, wo der Gesetz geber vergaß, daß es sich um eine Exception vom Gesetz und nicht von einem Gesetz handelt; wo er den rechtlichen Standpunkt geltend macht, 10 da tritt die Thätigkeit unseres Landtags mit sicherem Takt berichtigend und ergänzend hinzu und läßt das Privatinteresse dem Recht Gesetze geben, wo das Recht dem Privatinteresse Gesetze gab. 15 Der Landtag hat also vollkommen seine Bestimmung erfüllt. Er hat, wozu er berufen ist, ein bestimmtes Sonderinteresse vertreten und als letzten Endzweck behandelt. Daß er dabei das Recht mit Füßen trat, ist eine einfache Consequenz seiner Aufgabe, denn das Interesse ist seiner Natur nach blinder, maßloser, einseitiger, mit einem Worte gesetzloser Naturinstinkt, und kann das Gesetzlose Gesetze geben? Das Privatinteresse wird so wenig zum Gesetzgeben befähigt dadurch, daß man es auf den 20 Thron des Gesetzgebers setzt, als ein Stummer, dem man ein Sprachrohr von enormer Länge in die Hand gibt, zum Sprechen befähigt wird. Wir sind nur mit Widerstreben dieser langweiligen und geistlosen Debatte gefolgt, aber wir hielten es für unsere Pflicht, an einem Beispiel zu zeigen, was von einer Ständeversammlung der Sonderinteressen, würde sie einmal 25 ernstlich zur Gesetzgebung berufen, zu erwarten sei. Wir wiederholen noch einmal, unsere Landstände haben ihre Bestimmung als Landstände erfüllt, aber wir sind weit entfernt, sie damit rechtfertigen zu wollen. Der Rheinländer mußte in ihnen über den Landstand, der Mensch mußte über den Waldeigenthümer siegen. Es ist ihnen selbst 30 gesetzlich nicht nur die Vertretung der Sonderinteressen, sondern auch die Vertretung des Interesses der Provinz überwiesen und so widersprechend beide Aufgaben sind, in einem Collisionsfalle durfte man keinen Augen blick anstehen, die Vertretung des Sonderinteresses der Vertretung der Provinz aufzuopfern. Der Sinn für Recht und Gesetz ist der bedeutsamste 35 Provinzialismus der Rheinländer; aber es versteht sich von selbst, daß das Sonderinteresse, wie kein Vaterland, so keine Provinz, wie nicht den Allgemeinen, so nicht den heimischen Geist kennt. In direktem Widerspruch zu der Behauptung jener Schriftsteller der Einbildung, welche ideale Romantik, unergründliche Gemüthstiefe und fruchtbarste Quelle individuel- 40 1er und eigenthümlicher Gestaltungen der Sittlichkeit in einer Vertretung der Sonderinteressen zu finden belieben, hebt eine solche alle natürlichen 235 Publizistische Arbeiten und geistigen Unterschiede auf, indem sie an ihrer Stelle die unsittliche, unverständige und gemüthlose Abstraktion einer bestimmten Materie und eines bestimmten, ihr sclavisch unterworfenen Bewußtseins auf den Thron erhebt. Holz bleibt Holz in Sibirien wie in Frankreich; Waldeigenthümer bleibt 5 Waldeigenthümer in Kamtschatka wie in der Rheinprovinz. Wenn also Holz und Holzbesitzer als solche Gesetze geben, so werden sich diese Gesetze durch Nichts unterscheiden, als den geographischen Punkt, wo, und die Sprache, worin sie gegeben sind. Dieser verworfene Materialismus, diese Sünde gegen den heiligen Geist der Völker und der Menschheit ist 10 eine unmittelbare Konsequenz jener Lehre, welche die preußische Staats zeitung dem Gesetzgeber predigt, bei einem Holzgesetz nur an Holz und Wald zu denken und die einzelne materielle Aufgabe nicht politisch, d.h. nicht im Zusammenhang mit der ganzen Staatsvernunft und Staats sittlichkeit zu lösen. 15 Die Wilden von Cuba hielten das Gold für den Fetisch der Spanier. Sie feierten ihm ein Fest und sangen um ihn und warfen es dann in's Meer. Die Wilden von Cuba, wenn sie der Sitzung der rheinischen Landstände beigewohnt, würden sie nicht das Holz für den Fetisch der Rheinländer gehalten haben? Aber eine folgende Sitzung hätte sie belehrt, daß man mit 20 dem Fetischismus den Thierdienst verbindet, und die Wilden von Cuba hätten die Hasen in's Meer geworfen, um die Menschen zu retten. 236 Der Kommunismus und die Augsburger „Allgemeine Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 289, 16. Oktober 1842 *** Köln, 15. Oktober. Die Nro.284 der Augsburger Zeitung ist so un geschickt, in der Rheinischen Zeitung eine Preußische Communistin zu entdecken, zwar keine wirkliche Communistin, aber doch immer eine Person, die mit dem Communismus phantastisch kokettirt und platonisch 5 liebäugelt. io Ob diese unartige Phantasterei der Augsburgerin uneigennützig, ob diese müßige Gaukelei ihrer aufgeregten Einbildungskraft mit Spekulationen und diplomatischen Geschäften zusammenhängt, mag der Leser ent scheiden, — nachdem wir das angebliche corpus delicti vorgeführt haben. Die Rheinische Zeitung, erzählt man, habe einen communistischen Auf satz über die Berliner Familienhäuser in ihr Feuilleton aufgenommen und mit folgender Bemerkung begleitet: Diese Mittheilungen „dürften für die Geschichte dieser wichtigen Zeitfrage nicht ohne Interesse sein"; folgt daher nach der Augsburger Logik, daß die Rheinische Zeitung „dergleichen 15 ungewaschenes Zeug empfehlend aufgetischt". Also wenn ich z.B. sage: „folgende Mittheilungen des Mefistofeles über den innern Haushalt der Augsburger Zeitung dürften nicht ohne Interesse für die Geschichte dieser wichtig thuenden Dame sein", so empfehle ich die schmutzigen „Zeuge", aus denen die Augsburgerin ihre bunte Garderobe zusammenschneidet? 20 Oder sollten wir den Communismus schon deshalb für keine wichtige Zeitfrage halten, weil er keine courfähige Zeitfrage ist, weil er schmutzige Wäsche trägt und nicht nach Rosenwasser duftet? Allein mit Recht grollt die Augsburgerin unserm Mißverstand. Die Wich tigkeit des Communismus besteht nicht darin, daß er eine Zeitfrage von 25 höchstem Ernst für Frankreich und England bildet. Der Communismus besitzt die europäische Wichtigkeit von der Augsburger Zeitung zu einer Phrase benutzt worden zu sein. Einer ihrer Pariser Korrespondenten, ein Convertit, der die Geschichte behandelt, wie ein Conditor die Botanik, hat jüngst einmal den Einfall gehabt: die Monarchie müsse die sociali- 30 stisch-communistischen Ideen in ihrer Weise sich anzueignen suchen. 237 Publizistische Arbeiten Versteht Ihr nun den Unmuth der Augsburgerin, die uns nie verzeihen wird, daß wir den Communismus in seiner ungewaschenen Nacktheit dem Publikum bloßgestellt; versteht Ihr die verbissene Ironie, die uns zuruft: so empfehltlhr den Communismus, der schon einmal die glückliche Eleganz besaß, eine Phrase der Augsburger Zeitung zu bilden! 5 Der zweite Vorwurf, der die Rheinische Zeitung trifft, ist der Schluß eines Referats aus Straßburg über die bei dem dortigen Kongreß gehaltenen communistischen Reden, denn die beiden Stiefschwestern hatten sich in die Beute so getheilt, daß der Rheinländerin die Verhandlungen und der Baierin die Mahlzeiten der Straßburger Gelehrten zufielen. Die inkriminirte 10 Stelle lautet wörtlich also: Es ist heute mit dem Mittelstande so wie mit dem Adel im Jahre 1789; damals nahm der Mittelstand die Privilegien des Adels in Anspruch und erhielt sie, heute verlangt der Stand, der Nichts besitzt, Theil zu nehmen am Reichthume der Mittelklassen, die jetzt am Ruder sind. 15 Der Mittelstand hat sich nun heute gegen eine Ueberrumpelung besser vorgesehen als der Adel im Jahre 89 und es steht zu erwarten, daß das Problem auf friedlichem Wege wird gelöst werden. Daß Sieyès Prophezeihung eingetroffen und daß der tiers état Alles geworden ist und Alles sein will; Bülow-Cummerow, das ehemalige Ber- 20 liner politische Wochenblatt, Dr. Kosegarten, sämmtliche feudalistische Schriftsteller bekennen es mit wehmüthigster Entrüstung. Daß der Stand, der heute nichts besitzt, am Reichthum der Mittelklassen Theil zu nehmen verlangt, das ist ein Faktum, welches ohne das Straßburger Reden und trotz dem Augsburger Schweigen in Manchester, Paris und Lyon auf den 25 Straßen Jedem sichtbar umherläuft. Glaubt etwa die Augsburgerin ihr Unwillen und ihr Schweigen widerlegten die Thatsachen der Zeit? Die Augsburgerin ist impertinent im Fliehen. Sie reißt aus vor verfänglichen Zeiterscheinungen und glaubt, der Staub, den sie beim Ausreißen hinter sich aufwirbelt, so wie die ängstlichen Schmähworte, welche sie auf der 30 Flucht zwischen den Zähnen hinmurmelt, blendeten und verwirrten die unbequeme Zeiterscheinung wie den bequemen Leser. Oder grollt die Augsburgerin der Erwartung unseres Korrespondenten, die unläugbare Collision werde sich „auf friedlichem Wege" lösen? Oder wirft sie uns vor, daß wir nicht sofort ein probates Rezept verschrieben 35 und einen sonnenklaren Bericht über die unmaßgebliche Lösung des Problems dem überraschten Leser in die Tasche spielten? Wir besitzen nicht die Kunst mit einer Phrase Probleme zu bändigen, an deren Be zwingung zwei Völker arbeiten. Aber liebste, beste Augsburgerin, Sie geben uns bei Gelegenheit des 40 Communismus zu verstehen, daß Deutschland jetzt arm ist an unabhängigen 238 Der Kommunismus und die Augsburger „ A l l g e m e i ne Zeitung" Existenzen, daß 9/10 der gebildeteren Jugend den Staat anbetteln um Brod für ihre Zukunft, daß unsere Ströme vernachlässigt, daß die Schifffahrt darniederliegt, daß unsern ehemals blühenden Handelsstädten der alte Flor fehlt, daß die freien Institutionen erst auf langsamem Wege in Preußen 5 erstrebt werden, daß der Ueberfluß unserer Bevölkerung hülflos umher irrt, um in fremden Nationalitäten als Deutsche unterzugehen und für alle diese Probleme kein einziges Rezept, kein Versuch „klarer über die Mittel zur Ausführung" der großen That zu werden, die uns von all' diesen Sünden erlösen soll! Oder erwarten Sie keine friedliche Lösung? Fast 10 scheint ein anderer Artikel derselben Nummer, von Karlsruhe datirt, dahin zu deuten, wo selbst in Bezug auf den Zollverein die verfängliche Frage an Preußen gerichtet wird: „Glaubt man, eine solche Krisis würde vorüber gehen wie eine Rauferei um das Tabakrauchen im Thiergarten?" Der Grund, den Sie für Ihren Unglauben debütiren, ist ein commuhistischer. 15 „Nun lasse man eine Krisis über die Industrie losbrechen, lasse Millionen an Kapital verloren gehen, Tausende von Arbeitern brodlos werden. " Wie ungelegen kam unsere „friedliche Erwartung", da Sie einmal beschlossen hatten, eine blutige Krisis losbrechen zu lassen, weshalb wohl in Ihrem Artikel Großbritannien auf den demagogischen Arzt Dr. M'Douall, der 20 nach Amerika ausgewandert, weil „mit diesem königschen Geschlecht doch nichts anzufangen sei", nach Ihrer eigenen Logik empfehlend nach gewiesen wird. Eh' wir uns von Ihnen trennen, möchten wir Sie noch vorübergehend auf Ihre eigene Weisheit aufmerksam machen, da es bei Ihrer Methode der 25 Phrasen nicht wohl zu umgehen ist, harmloser Weise hie und da einen Gedanken, zwar nicht zu haben, aber ebendeshalb auszusprechen. Sie finden, daß die Polemik des Herrn Hennequin aus Paris gegen die Parzel- lirung des Grundbesitzes denselben mit den Autonomen in eine über raschende Harmonie bringt! Die Ueberraschung, sagt Aristoteles, ist der 30 Anfang des Philosophirens. Sie haben beim Anfang geendet. Würde Ihnen sonst die überraschende Thatsache entgangen sein, daß communistische Grundsätze in Deutschland nicht von den Liberalen, sondern von Ihren reaktionären Freunden verbreitet werden? Wer spricht von Handwerker-Corporationen? Die Reactionaire. Der 35 Handwerkerstand soll einen Staat im Staat bilden. Finden Sie es auf fallend, daß solche Gedanken, modern ausgedrückt, also lauten: „Der Staat soll sich in den Handwerker-Stand verwandeln"? Wenn dem Hand werker sein Stand der Staat sein soll, wenn aber der moderne Handwerker, wie jeder moderne Mensch, den Staat nur als die all seinen Mitbürgern 40 gemeinsame Sphäre versteht und verstehen kann, wie wollen Sie anders beide Gedanken synthesiren als in einen Handwerker-Staat? 239 Publizistische Arbeiten Wer polemisirt gegen die Parzellirungdes Grundbesitzes ?Die Reactionäre. Man ist in einer ganz kurz erschienenen feudalistischen Schrift (Kosegarten über Parcellirung) so weit gegangen, das Privateigenthum ein Vorrecht zu nennen. Das ist Fouriers Grundsatz. Sobald man über die Grundsätze einig ist, läßt sich nicht über die Consequenzen und die Anwendung 5 streiten? Die „Rheinische Zeitung", die den communistischen Ideen in ihrer jetzigen Gestalt nicht einmal theoretische Wirklichkeit zugestehen, also noch weniger ihre praktische Verwirklichung wünschen oder auch nur für möglich halten kann, wird diese Ideen einer gründlichen Kritik unter- 10 werfen. Daß aber Schriften, wie die von Leroux, Considérant und vor Allen das scharfsinnige Werk Proudhons nicht durch oberflächliche Ein fälle des Augenblicks, sondern nur nach lang anhaltenden und tief ein gehenden Studien kritisirt werden können, würde die Augsburgerin einsehen, wenn sie mehr verlangte und mehr vermöchte, als Glacé-Phrasen. Um so 15 ernster haben wir solche theoretische Arbeiten zu nehmen, als wir nicht mit der Augsburger übereinstimmen, welche die „Wirklichkeit" der kom munistischen Gedanken nicht bei Plato, sondern bei ihrem obskuren Bekannten findet, der nicht ohne Verdienst in einigen Richtungen wissen schaftlicher Forschung sein ganzes ihm damals zur Verfügung stehendes 20 Vermögen hingab und seinen Verbündeten Teller und Stiefel nach dem Willen des Vaters Enfantin putzte. Wir haben die feste Ueberzeugung, daß nicht der praktische Versuch, sondern die theoretische Ausführung der kommunistischen Ideen die eigentliche Gefahr bildet, denn auf prak tische Versuche, und seien es Versuche in Masse, kann man durch Kanonen 25 antworten, sobald sie gefährlich werden, aber Ideen, die unsere Intelligenz besiegt, die unsere Gesinnung erobert, an die der Verstand unser Gewissen geschmiedet hat, das sind Ketten, denen man sich nicb* entreißt, ohne sein Herz zu zerreißen, das sind Dämonen, welche der Mensch nur besiegen kann, indem er sich ihnen unterwirft. Doch die Augsburger Zeitung hat die 30 Gewissensangst, welche eine Rebellion der subjektiven Wünsche des Menschen gegen die objektiven Einsichten seines eigenen Verstandes hervorruft, wohl nie kennen gelernt, da sie weder eigenen Verstand noch eigene Einsichten, noch auch ein eigenes Gewissen besitzt. 240 Zur Polemik über den Kommunismus Bemerkung der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 296, 23. Oktober 1842 Köln, 22. Okt. In Folge des in Nr. 292 der Rheinischen Zeitung aus der Mannheimer Abendzeitung abgedruckten Artikels „aus Pfalz, 12. Okt.", der mit den Worten beginnt: Ich war wirklich überrascht, als ich gestern in der „Augsburger allgemeinen Zeitung" einen aus Aachener Blättern 5 entlehnten Artikel (über Communismus) abgedruckt fand, der wahrhaftig in dem sonst so gut alimentirten Blatte keine Aufnahme verdient, bringt die Aachener Zeitung Nr. 293 eine Erwiderung, deren auszugsweise Mit theilung wir, in Folge eines speziellen Wunsches von Seiten der Redaktion dieser Zeitung, unsern Lesern durchaus nicht vorenthalten wollen, um so 10 mehr, da sie uns erwünschte Gelegenheit zu einer nachträglichen Berichti gung gibt. Die „Aachener Zeitung" traut der Rheinischen mit Recht zu, „daß sie wissen konnte, daß die Augsburger allgemeine Zeitung nur einige Stellen aus ihrem Artikel über die Communisten (Nr. 277 der Aachener Zeitung) herausgerissen und ihre Bemerkungen hinzugefügt hatte, welche 15 dem Aufsatze freilich eine andere Gestalt verliehen". Wie gesagt, die Rheinische Zeitung wußte nicht nur dieses, sondern sie wußte auch, daß die Aachener Zeitung ganz unschuldig war an jenen von der Augsburger Zeitung Nr. 284 fad und listig zusammengestellten Bruchstücken, mit denen es nur auf die Rheinische Zeitung abgesehen war, und darum zog 20 sie auch bei ihrer Abfertigung der Augsburger Zeitung in Nr. 289 die Aachener Zeitung, wie es sich gebührte, nicht in den Kreis der Debatte. Wenn nun aber ein Mann in der Pfalz durch die gesperrte Uebersehrift jenes Augsburger Artikels: „Wir lesen in Aachener Blättern" zu einer falschen Annahme verleitet werden konnte, so liegt darin allerdings ein 25 Fingerzeig, daß die Aachener Zeitung solchem Mißverständniß der Augs burger allgemeinen Zeitung gegenüber schon hätte früher zuvorkommen können. Hatte die Rheinische Zeitung einmal jenen Augsburger Artikel ganz auf sich genommen, so konnte sie den beiläufigen Abdruck jener Notiz in der Mannheimer Abendzeitung wohl ohne Wegweiser passiren 30 lassen, da ja ihre Leser schon wußten, wohin das gehöre. Folgende Stellen 241 Publizistische Arbeiten des heutigen Artikels der Aachener Zeitung bedürfen keiner weitern Be merkung: „Sie weiß, daß wir nicht gegen irgend eine freie Forschung sind, daß wir nicht Bestrebungen von Männern schwächen werden, welche sich das Wohl irgend einer Klasse von Menschen angelegen sein lassen. Wir sind liberal gegen Alle, und das ist mehr, als die Masse manches Liberalis mus bis jetzt von sich sagen kann. Das aber haben wir gesagt, daß der Communismus bei uns keinen Grund und Boden finden kann, daß er dagegen in Frankreich und England eine natürliche Erscheinung ist. Endlich haben wir hinzugefügt, selbst gegen communistische Bestrebungen in Deutschland Nichts zu haben, uns wohl aber entschieden gegen jede klubistische Verbrüderung der Art erklärt, wie dieselbe in Schlesien auf getaucht sein soll. Die liberalen Ideen sind noch nicht so festgewurzelt bei uns, haben bei uns noch nicht solche Fortschritte gemacht, daß nicht jedes Streben sorgfältig zu pflegen wäre. In der Regel sehen wir aber bei uns die Blätter Einer Farbe viel zu wenig Hand in Hand miteinander gehen, ohne zu bedenken, daß niemals das Vereinzelte allen Raum aus füllen, daß eine Gesammtwirkung nur erfolgen kann, wenn das Eine sich abwechselnd zum Träger und Verbreiter der Ideen des Andern macht." Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 242 Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst. Titelblatt der Nr. 273 vom 16. November 1842, in der Marx' Artikel „Noch ein Wort über,Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit'" ersch' Noch ein Wort über „Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit" von Dr.O. F.Gruppe. Berlin 1842 Deutsche Jahrbücher. Nr. 273, 16. N o v e m b er 1842 Noch ein Wort über: „Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit von Dr. O. F. Gruppe. Berlin 1842." Wollte man in Deutschland die Komödie des Dilettantismus schreiben, so 5 wäre Herr Dr. O. F. Gruppe die unentbehrliche Person. Das Schicksal hat diesen Mann mit jener eisernen Zähigkeit ausgerüstet, deren die großen Männer nicht entrathen können, am wenigsten die großen Männer des Dilettantismus. Enden auch seine meisten Abentheuer, wie die des Sancho Pansa, mit zweideutigen Zeichen der Anerkennung, so wird diese Monotonie 10 des Erfolgs mannigfach gehoben und variirt durch die komische Un befangenheit und die rührende Naivität, womit Herr Gruppe seine Lor beeren entgegennimmt. Man kann sogar eine Art von Seelengröße nicht verkennen in der Consequenz, die den Herrn Gruppe schließen lehrt: Weil ich aus der Schulstube der Philologie herausgeworfen worden bin, 15 so wird es mein Beruf sein, auch aus dem Ballsaal der Aesthetik und aus den Hallen der Philosophie herausgeworfen zu werden. Aber das ist viel, es ist nicht alles. Meine Rolle ist erst durchgespielt, wenn ich aus dem Tempel der Theologie herausgeworfen werde : und Herr Gruppe ist gewissen haft genug, — seine Rolle durchzuspielen. 20 25 Allein Herr Gruppe hat bei seinem letzten Auftreten einigermaßen die Höhe seines Standpuncts verläugnet. Wir zweifeln zwar keinen Augen blick, daß seine letzte Schrift: „Bruno Bauer und die akademische Lehr freiheit" keineswegs „im Dienst einer Partei oder unter einem Einfluß" geschrieben ist. Herr Gruppe empfand die Nothwendigkeit, aus der Theo- logie herausgeworfen zu werden, aber die Weltklugheit griff hier seinem komischen Instinkt unter die Arme. Herr Gruppe hat, wie es komischen Charakteren ziemt, bisher mit dem ergötzlichsten Ernst und seltsamster 245 Publizistische Arbeiten Wichtigthuerei gearbeitet. Die Halbheit, die Oberflächlichkeit, die Miß verständnisse waren sein Schicksal, aber sie waren nicht seine Tendenz. Der große Mann spielte seine Natur, aber er spielte sie für sich und nicht für andre. Er war Hanswurst aus Beruf: wir können nicht zweifeln, daß er in seinem letzten Auftreten Hanswurst auf Bestellung und Recompens ist. Die böse Absicht, die gewissenlose Entstellung, die gemeine Perfidie werden auch den Leser nicht zweifeln lassen. 5 Es wäre wider unsre Ansicht von den komischen Naturen, weitläufigen kritischen Apparat an Herrn Gruppe zu verschwenden. Wer verlangt eine kritische Geschichte Eulenspiegels? Man verlangt Anekdoten und 10 wir geben von Herrn Gruppe eine Anekdote, welche die Anekdote seiner Broschüre ist. Sie betrifft Bauer's Auslegung des Matthäus 12, V.39—42. Der gütige Leser wird sich einen Augenblick mit theologicis behelligen müssen, aber er wird nicht vergessen, daß Herr Gruppe und nicht die Theologie unser Zweck ist. Er wird es billig finden, daß die Charakteristik 15 von Bauer's Gegnern vor das Zeitungspublikum gebracht wird, nachdem man Bauer's Charakter und Lehre zu einer Zeitungsmythe gemacht hat. Wir setzen die fragliche Stelle des Matthäus in ihrem ganzen Umfange her. „Da antworteten etliche unter den Schriftgelehrten und Pharisäern und 20 sprachen: Meister, wir wollten gern ein Zeichen von dir sehn." „Und er antwortete und sprach zu ihnen: Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen, und es wird ihr kein Zeichen gegeben werden, denn das Zeichen des Propheten Jonas." „Denn gleichwie Jonas war drei Tage und drei Nächte in des Wallfisches Bauch; also wird des Menschen 25 Sohn drei Tage und drei Nächte mitten in der Erde sein." „Die Leute von Ninive werden auftreten am jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht und werden es verdammen: denn sie thaten Buße nach der Predigt des Jonas. Und siehe, hier ist mehr, denn Jonas." „Die Königin von Mittag wird auftreten am jüngsten Gericht mit diesem Geschlecht, und wird es ver- 30 dämmen; denn sie kam vom Ende der Erde her, Salomon 's Weisheit zu hören. Und siehe, hier ist mehr denn Salomon." Den protestantischen Theologen fiel der Widerspruch auf, daß Jesus hier die Wunder verwirft; während er sonst Wunder verrichtet. Ihnen fiel der größre Widerspruch auf, daß der Herr in demselben Momente, wo er 35 die Fordrung der Wunder von sich weist, ein Wunder verspricht und zwar ein großes Wunder, seinen dreitägigen Aufenthalt in der Unterwelt. Da nun die protestantischen Theologen zu gottlos sind, um einen Wider spruch der Schrift mit ihrem Verstände, da sie zu scheinheilig sind, um einen Widerspruch ihres Verstandes mit der Schrift zuzugeben, so ver- 40 fälschen, entstellen und verdrehen sie die klaren Worte und den einfachen 246 Noch ein Wort über „Bruno Bauer und die akademische Lehrfreiheit" Sinn der Schrift. Sie behaupten, daß Jesus hier nicht seine Lehre und seine geistige Persönlichkeit der Fordrung der Zeichen entgegen stellt; sie behaupten, daß: „er von dem Ganzen seiner Erscheinung spreche, die mehr sei als die Erscheinung Salomon's und des Jonas, und wozu ,ins 5 Besondre' auch seine Wunder gehörten". Bauer weist ihnen nun durch die gründlichste Exegese das Ungeräumte dieser Auslegung nach. Er citirt ihnen dann den Lukas, wo die störende Stelle von dem Wallfisch und dem dreitägigen Aufenthalt in der Erde fehlt. Es heißt dort: „Dieß Geschlecht ist böse: ein Zeichen fordert es und ein 0 Zeichen wird ihm nicht gegeben werden, außer dem Zeichen des Jonas. Denn wie Jonas ein Zeichen war den Niniviten, so wird es des Menschen Sohn diesem Geschlecht sein", worauf Lukas den Herrn sagen läßt, wie die Niniviten auf die Predigt des Jonas Buße gethan und die Königin des Mittags von den Enden der Erde her gereist sei, um Salomon's Weisheit 5 zu hören. Noch einfacher, zeigt Bauer, findet sich der Kern bei Markus. „Was, sagt Jesus, was fordert dieß Geschlecht ein Zeichen? Wahrlich, ich sage euch, es wird diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben. Da ließ sie Jesus stehn." Gegen die falsche Deutung und die willkürliche Schriftentstellung der 20 Theologen erhebt sich nun Bauer und verweist sie auf das, was geschrieben steht, indem er noch einmal den Sinn der Rede Jesu zusammenfaßt, in fol genden Worten: „Hebe dich weg von mir, Theologe! denn es stehet geschrieben: hier ist mehr als Jonas, mehr als Salomo, d. h. die Niniviten haben auf die Predigt 25 des Jonas Buße gethan, die Königin des Mittags kommt von dem Ende der Erde, um die Weisheit Salomon's zu hören, ihr aber habt meinen Worten, meiner Rede keinen Glauben geschenkt und dennoch sind diese Worte der Ausdruck einer Persönlichkeit, deren geistiger Umfang unendlich ist, während Jonas und Salomo noch beschränkte Persönlichkeiten waren. 30 Es soll aber dabei bleiben, nur das Zeichen des Jonas soll euch gegeben werden, ein andres Zeichen sollt ihr nicht sehen, als diese meine Person und ihren, wenn auch unendlichen Ausdruck im Wort." Nachdem Bauer dergestalt die Rede Jesu erklärt, fügt er hinzu: „Wo bleiben also insbesondre die Wunder?" 35 Und Herr Gruppe? Herr Gruppe sagt: „Das Sonderbarste ist es dabei, daß B. in seiner barocken Weise sich selbst als einen Propheten darstellt. S.296 lesen wir die emphatische Stelle: Hebe dich weg von mir, Theo loge! etc." (S.20.) Herrn Gruppe's Schamlosigkeit will dem Leser aufbürden, Bauer rede to von sich selbst, er gebe sich selbst für die unendliche Persönlichkeit aus, während Bauer die Rede Jesu exegesirt. So sehr wir auch wünschen, wir 247 Publizistische Arbeiten können dieses Qui pro quo, diese Eulenspiegelei, nicht mit der notorischen Verstandesschwäche und dilettirenden Ignoranz des Herrn Gruppe entschul digen. Der Betrug liegt auf der Hand. Nicht nur, daß Herr Gruppe dem Leser verschweigt, wovon es sich handelt! Wir könnten immer noch glauben, der Dilettant habe zufällig S. 296 in Bauer's Schrift aufgeschlagen 5 und in der muntern Flüchtigkeit seiner Buchmacherei keine Zeit gehabt, die vorhergehende und die nachfolgende Entwicklung zu lesen. Aber Herr Gruppe unterschlägt den Schluß der „emphatischen Stelle", den über alles Mißverstehen erhabenen Schluß: „Es soll aber dabei bleiben, nur das Zeichen des Jonas soll euch gegeben werden, ein andres Zeichen sollt ihr 10 nicht sehn, als diese meine Person und ihren, wenn auch unendlichen Aus druck im Wort. Wo bleiben also insbesondre' die Wunder?" Herr Gruppe sah ein: auch den befangenen Leser, den Leser, der so thöricht wäre, Bauer nicht in Bauer's Schriften, sondern in den Schriften des Herrn Gruppe zu suchen, auch ihn müßten diese Worte überzeugen, 15 daß Bauer nicht von sich, daß er von dem spreche, was geschrieben steht. Abgesehn von allen andern Abgeschmacktheiten, was sollten sonst die Worte: „Wo bleiben also insbesondre die Wunder?" Wir zweifeln, ob die deutsche Litteratur eine ähnliche Schamlosigkeit aufzuweisen hat. 20 Herr Gruppe sagt in der Vorrede: „Mir ist während meiner Arbeit immer anschaulicher geworden, daß wir in einer Zeit der Rhetoren und Sophisten leben." (S. IV.) Soll dieß ein Selbstbekenntniß sein, so müssen wir ernstlich dagegen protestiren. Herr Gruppe ist weder ein Rhetor, noch ein Sophist. Er war bis zur Epoche der Broschüre über Bauer ein komischer Charakter, 25 er war ein Schelm im naiven Sinn, er hat seitdem nichts verloren als seine Naivität und ist also jetzt — doch das sage ihm sein Gewissen. Uebrigens mag es Bauer als Anerkennung seiner geistigen Ueberlegenheit betrachten, daß man nur Männer gegen ihn schicken kann, die unter allem Geist und außer jeder Ueberlegenheit sind, die er also nur treffen könnte, wenn 30 er sich fallen ließe. K.M. 248 Die „liberale Opposition" in Hannover Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 312, 8. N o v e m b er 1842. Beiblatt Da der Ausdruck „liberale Opposition" in der Ueberschrift nicht von dem Verfasser des quästionirten Artikels, sondern von der Redaktion herrührt, so findet diese sich veranlaßt, Einiges zur Erläuterung dieser Benennung beizubringen. 5 Man führt zwei Gründe gegen den fraglichen Ausdruck an. Was die Form betreffe, sei die Opposition nicht liberal, weil sie konservativ sei, weil sie die Fortdauer eines bestehenden Rechtszustandes bezwecke, eine Dialektik, nach welcher die Julirevolution eine konservative, also illiberale Revolution war, denn sie bezweckte zunächst die Konservation der Charte. 10 Nichtsdestoweniger hat sich der Liberalismus die Julirevolution vindicirt. Der Liberalismus ist allerdings konservativ, er konservirt die Freiheit, und den Angriffen roher, materieller Gewalt gegenüber selbst die ver kümmerten Statusquogestalten der Freiheit. Es kommt hinzu, daß, wenn solche Abstraktion konsequent sein will, ihr eigener Standpunkt die Opposi- 15 tion eines Rechtszustandes, der vom Jahr 1833 datirt, progressiv und liberal finden muß gegen eine Reaktion, welche das Jahr 33 gewaltsam in das Jahr 19 zurückdrängt. Was den Inhalt betreffe, wird ferner angeführt, sei der Inhalt der Opposition, das Staatsgrundgesetz von 1833, kein Inhalt der Freiheit. 20 Zugegeben! So wenig das Staatsgrundgesetz von 1833 eine Gestalt der Freiheit ist, wenn es an der Idee der Freiheit, so sehr ist es eine Gestalt der Freiheit, wenn es an der Existenz des Staatsgrundgesetzes von 1819 gemessen wird. Ueberhaupt handelte es sich zunächst nicht um den be stimmten Inhalt dieses Gesetzes: es handelte sich darum, für gesetzlichen 25 Inhalt gegen ungesetzliche Usurpation zu opponiren. Die Redaktion war um so mehr befugt, die hannoversche Opposition liberal zu nennen, als beinahe alle deutschen Kammern ihr als liberaler Opposition, als einer Opposition der gesetzlichen Freiheit acclamirten. Ob ihr nun vor dem Richterstuhl der Kritik dies Prädikat gebühre, ob sie 30 über die bloße Meinung und Prätension des Liberalismus zu wirklichem 249 Publizistische Arbeiten Liberalismus fortgegangen sei, das eben zu untersuchen, war die Aufgabe des quaestionirten Artikels. Wir bemerken beiläufig, daß nach unserer Ansicht der wahre Liberalismus in Hannover künftig weder das Staatsgrundgesetz von 1833 zu verfechten, noch zu dem Gesetz von 1819 zurückzukehren, sondern eine völlig neue, einem tieferen, durchgebildeteren und freieren Volksbewußtsein ent sprechende Staatsform zu erstreben hat. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 250 Die Kommunalreform und die „Kölnische Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 312, 8. N o v e m b er 1842 X Köln, 7. November. Wir haben es nicht für angemessen erachtet, bei der Erörterung der Kommunal-Reformfrage dasjenige zu berücksichtigen, was darüber in Provinzial-Blättern und namentlich in der „Kölnischen Zeitung" erschienen ist. Wir werden uns leicht rechtfertigen, wenn wir an einem 5 Beispiel die ungefähre Stärke des Raisonnements, welches die Trennung der Stadt- und Landgemeinden unter seine Protektion hat nehmen wollen, aufzeigen. In der Beilage 309 der „Kölnischen Zeitung" werden unter der Firma: „Rekapitulation" die Autoritäten für die Affirmative und Negative der 10 quästionirten Trennung beigebracht. Unter andern Kuriositäten finden sich als Gründe gegen die Trennung „einige Zeitungsartikel", für die Trennung „gleichfalls Zeitungsartikel", wie denn auch für die Censur gleichfalls Zeitungsartikel erschienen sind. Jedenfalls müssen wir eine Devotion, welche einen Artikel schon deßwegen für einen Grund hält, weil er ein 15 Zeitungsartikel ist, als eine zwar sehr unkritische, aber trotz ihres komi schen Behabens immerhin seltene Anerkennung der Zeitungspresse rühm lichst erwähnen. Die Zierde einer gleich rühmlichen Unbefangenheit schmückt keineswegs die Zusammenstellung zweier anderer Autoritäten für und wider die Trennung der Stadt- und Landgemeinden. Gegen diese 20 Trennung sei der Landtag von 1833, der noch dazu durch eine einzelne energische Persönlichkeit vermocht worden sei, hienach also nur diese einzelne Persönlichkeit, für die Trennung der gesammte Landtag vom Jahre 1827 mit Ausnahme einer Stimme; aber, beste Rekapitulation, wenn der Landtag von 1833 nur so viel gilt, als die einzelne Persönlichkeit, 25 der er folgte, wo liegt die Unmöglichkeit, daß der Landtag von 1827 nicht so viel gilt, als die eine Stimme, der er opponirte, und bleibt dann über haupt der so schwankende, so unselbstständige Landtag noch eine Autorität! Werden ferner die Petitionen von Köln, Aachen und Koblenz als Petitionen für die Trennung der Stadt- und Landgemeinden angeführt, weil sich diese 30 Petita auf Köln, Aachen und Koblenz beschränken, so wäre damit im 251 Publizistische Arbeiten besten Falle nur die Beschränktheit dieser Petita, aber keineswegs ihre Vernünftigkeit nachgewiesen; allein so wenig diese Städte in der ersten Hast die Allgemeinheit der Frage begriffen und das Interesse der ganzen Provinz in's Auge gefaßt haben, so wenig haben sie ihre besondere Reform in irgend einen Gegensatz zur allgemeinen Reform gefaßt. Sie haben nur 5 für sich, aber sie haben keineswegs gegen das Land petitionirt. Wir be wunderten gleich im Beginn die komische Unbefangenheit der „Rekapitu lation", und wenn sie solcher auch nicht durchgehend treu bleibt, sondern, wie wir eben gehört, nebenbei nicht umhin konnte, in kleine absichtliche Schlauheiten zu verfallen, so stellt sich diese Komik und diese Unbefangen- 10 heit am Schlüsse wieder siegreich her. Für die Trennung von Stadt und Land seien auch „die übrigen Städte der Rheinprovinz, deren Petitionen ihrem Inhalte nach nicht bekannt sind, die aber das, was sie begehrt, wohl nur für sich begehren konnten, da kein einzelner Ort das Organ eines ganzen Landes sein kann". Also nicht nur ein Zeitungsartikel in abstracto 15 ist eine Autorität, sogar die entschiedene Mittelmäßigkeit eines „wohl nur" enträthselt den unbekannten Inhalt der übrigen städtischen Petitionen. Daß dieser Prophet, der „wohl nur" heißt, ein falscher Prophet ist, beweist die Petition der Stadt Trier. Am Schluß der „Rekapitulation" tritt der innere Grund hervor, welcher der eigentliche Lebensgrund einer Trennung 20 von Stadt und Land ist. Man will nicht nur die Stadt vom Lande, man will die einzelnen Städte von einander und von der Provinz, man will die Provinz von ihrer eigenen Vernunft trennen. Ein einzelner Ort könne nicht das Organ eines ganzen Landes sein? Richtig, der einzelne Ort soll nicht das ganze Organ, aber er soll ein Theil dieses Organs, also für seinen 25 Theil das Organ des ganzen und allgemeinen Interesses sein. Oder hebt etwa solche Ansicht nicht alle Möglichkeit selbst einer einzelnen städti schen Communalordnung auf? Wenn ein einzelner Ort nicht das Organ des ganzen Landes, kann ein einzelner Bürger das Organ einer ganzen Stadt sein? Dieser Bürger, wie aus dem obigen Raisonnement folgt, kann 30 daher was er begehrt nur für sich, aber nicht für die ganze Stadt begehren, und da die ganze Stadt nur aus einzelnen Bürgern besteht, so kann über haupt nichts Städtisches begehrt werden. Die Rekapitulation endet damit, womit die Trennung von Stadt und Land, will sie konsequent sein, über haupt enden muß, nicht nur die Stadt, nicht nur die Provinz, sondern 35 > sogar den Staat selbst unmöglich zu machen. Will man einmal das Particulare im feindlichen Gegensatz gegen das Allgemeine geltend machen, so muß man damit schließen, alle politischen und socialen Gestaltungen vor der letzten untheilbaren Particularität, dem einzelnen Individuum in seinen physischen Gelüsten und Zwecken verschwinden zu lassen. Die Truppen, 40 welche die Recapitulation für sich aufmarschiren läßt, gleichen mit wenigen 252 Beginn des Artikels „Die Kommunalreform und die ,Kölnische Zeitung' mit Änderungen von Marx' Hand. Rheinische Zeitung. Nr. 312, 8. November 1842 Die Kommunalreform und die „Kölnische Zeitung" Ausnahmen den Rekruten des Falstaff. Sie taugen nur dazu, die Bresche mit Gedankenleichen zu füllen. Genug des Todtengräbergeschäfts! Schließlich eine wohlgemeinte Erinnerung an die „Kölnische Zeitung". Zum erstenmal hat den leitenden Artikel ein Gefühl der Bescheidenheit und des Mißtrauens in seine Kräfte beschlichen, obschon er sonst de omnibus rebus et de quibusdam aliis sich maaßgebend zu ergehen pflegt. Nicht zum erstenmal, wohl aber für allemal kann sich die „Kölnische Zeitung" bei dieser Gelegenheit von der Unhaltbarkeit ihres Redaktions prinzips überzeugen. Da alle Gratis-Mitarbeiter willkommen sind, so reichen einige schreiblustige Finger, von einem mittelmäßigen Kopfe in Bewegung gesetzt, hin, den Ausdruck der öffentlichen Meinung zu ver fälschen. Wirft man einen Blick auf die Spalten der „Kölnischen Zeitung", so sollte man glauben, die Ansicht für die Trennung von Stadt und Land herrsche in der Rheinprovinz vor. Wirft man einen Blick auf die Rhein provinz, so sollte man glauben, die Rheinprovinz herrsche nicht in der „Kölnischen Zeitung" vor. Rheinische Zeitung. Nr. 316, 12. N o v e m b er 1842 X Köln, 11. Nov. Unser Zuruf an die Rheinischen „Provinzialblätter" in Betreff der Kommunalreformfrage ist nicht ohne Resultate geblieben. Die „Kölnische Zeitung" hat sich bewogen gefunden, ihr Blatt vom 11. November statt in gewohntes Helldunkel, in Scheinhell einzutunken, und obschon mit unverkennbarer Mißstimmung, mit zögernden Klauseln, mit verdächtigenden Seitenblicken, mit absichtlicher Zweideutigkeit die gleiche Berechtigung von Stadt und Land anzuerkennen. Wir ergreifen heute noch einmal die Gelegenheit, der „Kölnischen Zeitung" ihren Geistes zustand zum Bewußtsein zu bringen, und wollen nicht ablassen von der angenehmen, obgleich phantastischen Hoffnung, daß sie ihren Standpunkt verlieren wird, sobald sie ein Bewußtsein über ihren Standpunkt gewonnen hat. — „Was übrigens", schließt die „Kölnische Zeitung" ihren heutigen Artikel, „die das allgemeine Interesse in so hohem Grade ansprechende Frage des Kommunalwesens betrifft, so findet die Redaction der ,Kölni- schen Zeitung' angemessen, zu erklären, daß sie auch in dieser Beziehung dem Grundsatze der Rechtsgleichheit huldigt, daß sie es aber als ihre Pflicht erachtet, der Diskussion über die Formen, in denen eine Verbes serung der gegenwärtig durchaus unfreien und von allen Parteien als nicht länger haltbar anerkannten Zustände zu bewirken ist, den möglichst freien Spielraum zu lassen." — Die „Kölnische Zeitung" hat bisher keinen einzigen Artikel über die Formen gebracht, in denen die Kommunalreform, das 255 Publizistische Arbeiten 5 Prinzip der Rechtsgleichheit festgehalten, zu bewirken ist. Wir konnten daher unmöglich einen Gegner bekämpfen, der nicht existirt. Oder hält die „Kölnische Zeitung" die „Trennung von Stadt und Land", eine Trennung, welche mehrere ihrer Artikel durch eine getrennte Kommunalordnung gesetzlich zu fingiren vorschlugen, ebenfalls für eine der Formen, in denen sich das Prinzip der Rechtsgleichheit krystallisirt? Hält sie die fixirte Rechtsungleichheit für eine Form der Rechtsgleichheit? Der Kampf in der „Kölnischen Zeitung" bewegte sich nicht um die verschiedenen Formen eines und desselben Prinzips, sondern vielmehr um die Verschiedenheit des Prinzips selbst, und zwar zählte dieser Kampf, wenn wir die Artikel 10 der „Kölnischen Zeitung" nach dem Vorschlag der „Kölnischen Zeitung" als bloße Artikel, d.h. nach ihrer numerischen Masse betrachten, die meisten Truppen unter den Gegnern der Gleichheit. — Wir sagten der „Kölnischen Zeitung": Seid ehrlich, verfälscht nicht den Ausdruck der öffentlichen Meinung, erfüllt den Beruf eines rheinischen Blattes, den 15 rheinischen Geist darzustellen, abstrahirt von persönlichen Rücksichten, verschließt eure Spalten in einer Lebensfrage der Provinz allen individuel len Meinungen, welche die Schwäche besitzen, eine aparte Stellung dem Volkswillen gegenüber behaupten zu wollen, und wie antwortet die „Kölnische Zeitung"! 20 Sie findet es „angemessen", dem Prinzip der Rechtsgleichheit in Bezug auf die Communalreform zu huldigen, ein „Angemessenfinden", das man der Rheinprovinz gegenüber sehr klug finden und nicht gerade als einen Beweis von der Erfindungskraft der Kölnischen Zeitung betrachten wird. Neben dieser gemessenen Huldigung vor dem Geist der Provinz hält es 25 aber die Kölnische Zeitung für ihre „Pflicht", der Diskussion über die „Formen" der Communalreform den möglichst freien Spielraum zu über lassen, unter welchen Formen sie auch die Formen der „Ungleichheit" versteht. Man wird diese „Pflichtbeflissenheit" vom Standpunkt ihrer Privatinteressen und Privatrücksichten aus angemessen finden, so un- 30 angemessen dieser Standpunkt selbst ist. Um der Kölnischen Zeitung, die sich hinter den Unterschied von Form und Inhalt verkriecht, jeden Schlupf winkel abzuschneiden, stellen wir die kategorische Frage, ob sie die durch eine getrennte Communalordnung gesetzlich fixirte Ungleichheit von Stadt und Land für eine „Form" der Rechtsgleichheit erklärt und der Prätension 35 derselben als bloßer Formfrage fernerhin ihre Spalten öffnen zu dürfen glaubt? Wir werden morgen auf den quästionirten Artikel der „Kölnischen Zeitung" zurückkommen. 256 Die Kommunalreform und die „Kölnische Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 317, 13. N o v e m b er 1842 χ Köln, 12. Nov. Der die das (um in einer eleganten, der „Kölnischen Zei tung" geläufigen Redefügung zu beginnen) allgemeine Interesse in so hohem Grade ansprechende Frage des Communalwesens anbetreffende Artikel in Nro.314 der „Rheinischen Zeitung" ist nichts als ein avant-propos zu der 5 ausführlichen, durch unser Beiblatt fortlaufenden Erörterung über Gleich heit der Communal-Ordnung für Stadt und Land. Ihre Bezugnahme hierauf, d.h. auf die Sache selbst, leitet die „Kölnische Zeitung" mit „Uebrigens" ein, wie der ouvrier im Handwerkerfest seinen Vortrag mit „Ueberhaupt" beginnt, was aber der „Kölnischen Zeitung" keineswegs das Verdienst 10 der Originalität schmälern soll, da wir es vielmehr als eine eben so eigen- thümliche, wie lobenswerthe Gewohnheit derselben anerkennen, bei der Behandlung einer Frage von allgemeinem Interesse „Uebrigens"auch die „Sache selbst" zu berühren. Diese Methode der Behandlung, von einiger Absichtlichkeit getragen, besitzt eine wunderbare Geschmeidigkeit, die 15 seltsamsten Mißverständnisse möglich, und für Dritte sogar als den eigent lichen Verstand der Sache wahrscheinlich zu machen. So beginnt die „Kölnische Zeitung" ihren quästionirten Artikel vom 11. November mit der Anekdote, daß ein „benachbartes Blatt", die „Rhei nische Zeitung" nämlich, „alle rheinischen Provinzialblätter" aufrufe, gegen 20 „die angeblich von Berlin aus bedrohte Rechtsgleichheit der Stadt- und Landgemeinden mit Kraft zusammenzuhalten" und die gemeinsame Losung austheile: „Gleichheit für Alle, für Bürger und Bauer." Die „Kölnische Zeitung" erklärt sich bereit, diese Losung zu theilen, „sofern unter Gleich heit nicht der thörichte Traum der Communisten, sondern wie wir voraus- 25 setzen, die einzig mögliche Gleichheit, Gleichheit der Rechte verstanden wird". Dieser schalkhafte Seitenblick auf die communistischen Träume reien wäre eben so unmöglich, als die großmüthige Voraussetzung unserer acommunistischen Tendenz unnöthig gewesen, hätte die „Kölnische Zei tung" ihren Bericht mit der Sache selbst, mit dem Faktum begonnen: die 30 „Rheinische Zeitung" begehre eine gleiche Communalordnung für Stadt und Land, und bezeichne diese Gleichheit sogar ausdrücklich in dem angezogenen Artikel als „Rechtsgleichheit der Stadt- und Landgemeinde". Gälte aber der „Kölnischen Zeitung" diese Gleichheit selbst für commu- nistische Thorheit, so wäre sie einfach auf ihr eigenes Bekenntniß, ein- 35 geleitet durch das katonische: „Caeterum", zu verweisen. Der lächerliche communistische Seitenhieb genügt noch nicht. Die „Kölnische Zeitung" hält es für nöthig, mit der Konfession der Rechts gleichheit eine andere Konfession zu verbinden. „Aber", sagt sie, „wir müssen gestehen, daß wir die Besorgniß auf keine Weise zu theilen ver- 257 IL Publizistische Arbeiten mögen, als gehe die weise Regierung Friedrich Wilhelm 's IV. damit um, die rheinische Rechtsgleichheit anzutasten. Ehe wir davon überzeugt werden, müssen uns Thatsachen und nicht Behauptungen vorliegen, von denen wir hoffen, daß sie alles Grundes entbehren." Mit dieser ungeschickten und perfiden Insinuation, welche uns eine 5 absichtliche Verletzung der rheinischen Rechtsgleichheit von der weisen Regierung Friedrich Wilhelm's IV. besorgen und verbreiten läßt, flüchtet die „Kölnische Zeitung" von dem Gebiete der Argumente in das Gebiet des Verdachtes und der Denunziation, überzeugt sie uns von Neuem, daß die Ohnmacht des Verstandes sich in letzter Instanz durch die Ohnmacht des 10 Charakters, durch die gehaltlose Verwegenheit der Demoralisation zu be haupten sucht. Worauf gründet sich die Insinuation der „Kölnischen Zei tung"? Wir haben nach Berliner Nachrichten mitgetheilt, daß den rhei nischen Deputirten der Centraiausschüsse der Entwurf einer Communal- ordnung vorliegt, welcher die Gleichheit von Stadt und Land nicüranerkennt: 15 wir haben der rheinischen Presse für diesen Fall die Haltung und die Energie der Wahrheit empfohlen. Wenn die Regierung den rheinischen Deputirten eine Communalordnung, die Stadt und Land trennt, zur Begutachtung vorlegt, so folgt schon aus dieser einfachen Thatsache, daß die Regierung, von jeder versteckten 20 Absichtlichkeit entfernt, vielmehr die volle Ueberzeugung hegt, durch eine solche Trennung die rheinische Rechtsgleichheit nicht anzutasten. Wenn die rheinische Presse, das Organ der Rheinprovinz, von der ent gegengesetzten Ansicht der Provinz überzeugt ist, so folgt eben so einfach, daß sie eine gemeinsame Communalordnung für Stadt und Land als eine 25 nothwendige Konsequenz der rheinischen Rechtsgleichheit nachzuweisen hat, oder ist es nicht selbst eine Verpflichtung der Presse gegen die Regie rung, die Volksüberzeugung ohne Rücksicht auf die exclusive Meinung einzelner Individuen, nicht nur auszusprechen, sondern auch den ver nünftigen Gehalt dieser Ueberzeugung zu beweisen? 30 Endlich ist es mehr als Indecenz von der „Kölnischen Zeitung", die Allerhöchste Person Seiner Majestät in dergleichen Controversen hereinzu ziehen. Es gehört wahrlich ein Minimum von Verstand und ein Maximum von Gesinnungslosigkeit dazu, jede politische Diskussion in einem rein monarchischen Staate durch das einfache und leichte Manöver unmöglich 35 zu machen, daß man vom wirklichen Gehalt der Diskussion abstrahirt, eine persönliche Beziehung zum Monarchen abgewinnt und damit jede sachliche Debatte in eine Vertrauensdebatte verwandelt. Wir haben die Hoffnung ausgesprochen, daß alle rheinischen Blätter die Ansicht der Rheinprovinz repräsentiren werden, weil und sofern wir die unerschütterliche Ueber- zeugung hegen, daß Seine Majestät der allgemeinen rheinischen Ansicht die 40 258 Die Kommunalreform und die „Kölnische Zeitung" Anerkennung ihrer großen Bedeutsamkeit nicht versagen werden, selbst wenn unsere Berliner Nachrichten gegründet sind, was wir zu bezweifeln keinen Anlaß haben, selbst wenn die rheinischen Deputirten eine Trennung von Stadt und Land billigen, was um so weniger über allen Zweifel erhaben 5 scheinen kann, als eben erst die Artikel der „Kölnischen Zeitung" bewiesen haben, daß nicht alle Rheinländer die Ueberzeugung der unverhältnißmäßig überwiegenden Majorität zu verstehen und zu theilen wissen. Die „Rheinische Zeitung" stellte Rechtsgleichheit für Stadt und Land als Losung auf und die „Kölnische Zeitung" acceptirte diese Losung mit der 10 vorsichtigen Bedingung, daß wir unter „Rechtsgleichheit" Rechtsgleichheit und keine communistische Träumerei verstehen. Die „Rheinische Zeitung" begleitete die Berliner Nachrichten mit einem Aufruf an die Gesinnung der Rheinischen Blätter und die „Kölnische Zeitung" denuncirt sie der Be sorgnisse gegen die Absichten Seiner Majestät. Die „Rheinische Zeitung" 15 forderte die verschiedenen Redaktionen unserer Provinzialblätter auf, individuelle Rücksichten und vorgefaßte Meinungen dem Vaterlande zu opfern und die „Kölnische Zeitung" bringt eine trockene, von aller Be gründung entblößte Anerkennung der Rechtsgleichheit von Stadt und Land, eine Anerkennung, deren formelles Verdienst sie selbst wieder aufhebt, indem sie die „Trennung" von Stadt und Land für eine „Form" der Rechts gleichheit erklärt. Ist es möglich, unlogischer, charakterloser und elender zu schreiben? Ist es möglich, deutlicher mit dem Mund die Freiheit und mit dem Herzen die Unfreiheit zu proklamiren? Aber die „Kölnische Zeitung" kennt den Shakespear'schen Spruch: „Ehrlich sein, bester Herr, ist, wie die 25 Welt heute läuft, Einer unter Hunderten sein" und die „Kölnische Zeitung" 20 unterlag nicht der Versuchung, Einer unter Hunderten zu sein. Schließlich noch ein Wort über die „Trennung von Stadt und Land". Selbst von den allgemeinen Gründen abgesehen, so kann das Gesetz nur das ideelle, selbstbewußte Abbild der Wirklichkeit sein, der theoretische 30 verselbstständigte Ausdruck der praktischen Lebensmächte. In der Rhein provinz sind Stadt und Land nicht wirklich getrennt. Also kann das Gesetz diese Trennung nicht dekretiren, ohne seine eigene Nichtigkeit zu dekre- tiren. 259 Der Ehescheidungsgesetzentwurf Kritik der Kritik Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 319, 15. N o v e m b er 1842. Beiblatt Vorstehende Kritik des Ehescheidungs-Gesetzentwurfes ist vom Stand punkte der rheinischen Jurisprudenz aus entworfen, wie die früher mitge- theilte Kritik (Siehe das Beiblatt zu Nr. 310 der Rheinischen Zeitung) sich auf den Standpunkt der altpreußischen Jurisprudenz und ihre Praxis gestellt hatte. Es bleibt eine dritte Kritik, die Kritik des vorzugsweise allgemeinen, des rechtsphilosophischen Standpunktes, vorbehalten. Es wird nicht mehr genügen, die einzelnen Scheidungsgründe pro und contra zu prüfen. Es wird nöthig sein, den Begriff der Ehe und die Consequenzen dieses Begriffes zu entwickeln. Beide Aufsätze, die wir bisher mitgetheilt, verwerfen gleich mäßig die Einmischung der Religion in das Recht, ohne jedoch zu ent wickeln, in wie fern das Wesen der Ehe an und für sich selbst religiös sei oder nicht, ohne also entwickeln zu können, wie der conséquente Gesetz geber, der sich nach dem Wesen der Dinge richtet und es keineswegs bei der bloßen Abstraktion von einer Bestimmung dieses Wesens genügen lassen kann, nothwendig verfahren muß. Wenn der Gesetzgeber nicht die menschliche Sittlichkeit, sondern die geistliche Heiligkeit als das Wesen der Ehe betrachtet, also an die Stelle der Selbstbestimmung die Bestimmung von oben, an die Stelle der innern natürlichen Weihe eine übernatürliche Sanction, an die Stelle einer loyalen Unterwerfung in die Natur des Ver hältnisses vielmehr einen passiven Gehorsam gegen Gebote setzt, die über der Natur dieses Verhältnisses stehen, kann man diesen religiösen Gesetz geber nun tadeln, wenn er auch der Kirche, welche dazu berufen ist, die Forderungen und Ansprüche der Religion zu realisiren, die Ehe unterwirft und die weltliche Ehe unter die Oberaufsicht der geistlichen Behörde stellt? Ist das nicht einfache und nothwendige Consequenz? Man täuscht sich, wenn man den religiösen Gesetzgeber dadurch zu widerlegen glaubt, daß man dieser oder jener seiner Bestimmungen ihren Widerspruch mit dem weltlichen Wesen der Ehe nachweist. Der religiöse Gesetzgeber polemisirt nicht gegen die Auflösung der weltlichen Ehe, er polemisirt vielmehr gegen das weltliche Wesen der Ehe und sucht sie von dieser Weltlichkeit theils zu reinigen, theils, wo dieses unmöglich ist, dieser Weltlichkeit, als einer blos 260 Redaktionelle Fußnote „Der Ehescheidungsgesetzentwurf. Kritik der Kritik' mit Änderungen von Marx' Hand. Rheinische Zeitung. Nr. 319, 15. November 1842. Beiblatt Der Ehescheidungsgesetzentwurf. Kritik der Kritik geduldeten Seite, jeden Augenblick ihre Schranken zu Gemüthe zu führen und den sündigen Trotz ihrer Consequenzen zu brechen. Ganz unzureichend ist aber der Standpunkt der rheinischen Jurisprudenz, der auf scharfsinnige Weise in der oben mitgetheilten Kritik durchgeführt ist. Es ist unzureichend, 5 die Ehe in zwei Wesen zu vertheilen, in ein geistliches und in ein weltliches Wesen, so daß das eine nur der Kirche und dem Gewissen der einzelnen Individuen, das andere dem Staat und dem Rechtsbewußtsein der Staats bürger anzuweisen sei. Man hebt dadurch nicht den Widerspruch auf, daß man ihr zwei verschiedene Sphären zutheilt, man schafft vielmehr einen 10 Widerspruch und eine ungelöste Collision zwischen diesen Lebenssphären selbst, und kann man den Gesetzgeber zum Dualismus, kann man ihn zu einer doppelten Weltanschauung verpflichten? Muß nicht der gewissen hafte Gesetzgeber, der auf religiösem Standpunkt steht, in der wirklichen Welt und in weltlichen Formen zur einzigen Macht erheben, was er in der 15 geistlichen Welt und in religiösen Formen als die Wahrheit selbst weiß, als die einzige Macht anbetet? Erscheint an diesem Punkte der Grundmangel der rheinischen Jurisprudenz, ihre zwiespaltige Weltanschauung, welche durch eine Trennung des Gewissens und des Rechtsbewußtseins auf ober flächliche Art die schwierigsten Collisionen nicht löst, sondern entzweihaut, 20 welche die Welt des Rechts von der Welt des Geistes, daher das Recht vom Geist, daher die Jurisprudenz von der Philosophie scheidet, so hat sich in der Opposition gegen das vorliegende Gesetz noch mehr die gänzliche Haltungslosigkeit der altpreußischen Jurisprudenz auf die unzweideutigste Weise manifestirt. Wenn es wahr ist, daß keine Gesetzgebung die Sittlich- 25 keit verordnen, so ist es noch wahrer, daß keine Gesetzgebung die Unsitt- lichkeit als zu Recht gültig anerkennen kann. Das Landrecht basirt auf einer Verstandesabstraktion, die in sich selbst inhaltslos, den natürlichen, recht lichen, sittlichen Inhalt als äußerliche, in sich selbst gesetzlose Materie aufnahm und nun diese geist- und gesetzlose Materie nach einem äußern 30 Zweck zu modeln, einzurichten und anzuordnen versuchte. Es behandelt die gegenständliche Welt nicht nach deren eingebornen Gesetzen, sondern nach willkürlichen, subjectiven Einfällen, und nach einer außer der Sache selbst stehenden Absicht. Die altpreußischen Juristen haben nur wenig Einsicht in diese Natur des Landrechtes gezeigt. Sie haben nicht sein Wesen, sondern 35 einzelne Aeußerlichkeiten seiner Existenz kritisirt. Sie haben daher auch nicht die Art und Weise des neuen Ehescheidungsgesetzentwurfes, sondern seine reformatorische Tendenz angefeindet. Sie haben in schlechten Sitten einen Beleg für schlechte Gesetze finden zu dürfen vermeint. Wir verlangen von der Kritik vor Allem, daß sie sich kritisch zu sich selbst verhalte und to die Schwierigkeit ihres Gegenstandes nicht übersehe. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 263 Kabinettsordre in bezug auf die Tagespresse Rheinische Zeitung. Nr. 320, 16. N o v e m b er 1842 Köln, 15. Nov. Die Kölnische Zeitung von heute bringt folgende königliche Kabinetsordre, die im Laufe des vorigen Monats sämmtlichen Oberprä sidien zugegangen ist: 5 „Ich habe schon öfter auf die Nothwendigkeit hingewiesen, der Tendenz des schlechten Theils der Tagespresse: die öffentliche Meinung über allgemeine An- gelegenheiten durch Verbreitung von Unwahrheiten oder entstellten Thatsachen irre zu leiten, dadurch zu begegnen, daß jeder solchen falschen Mittheilung augen blicklich die Wahrheit durch Berichtigung der Thatsachen in denselben Blättern gegenüber gestellt werde, welche sich der Verfälschung schuldig gemacht haben. — Es genügt nicht, die Gegenwirkung gegen schlechte, für den öffentlichen Geist 10 verderbliche Bestrebungen eines Tageblattes den andern, von einem bessern Geiste geleiteten Blättern zu überlassen und nur von ihnen zu erwarten. Eben da, wo das Gift der Verführung eingeschenkt worden ist, muß es auch unschädlich gemacht werden; das ist nicht nur Pflicht der Obrigkeit gegen den Leserkreis, dem das Gift geboten worden, sondern es ist zugleich unter allen Mitteln das wirksamste, die 15 Tendenzen der Täuschung und Lüge, wie sie sich zeigen, zu vernichten, indem man die Redaktionen zwingt, das Urtheil über sich selbst zu veröffentlichen. Ich habe es darum mißfällig wahrgenommen, daß dies, eben so rechtmäßige als nothwendige Mittel, Ausartungen der Presse zu zügeln, bisher wenig oder gar nicht angewendet worden ist. Sofern die bisherigen Gesetze die Verpflichtung der inländischen Zei- 20 tungen zur unweigerlichen Aufnahme aller, unter amtlicher Autorität ihnen zu gesandten thatsächlichen Berichtigungen, und zwar ohne alle Anmerkungen und einleitende Betrachtungen, nicht genügend festgestellt haben sollten, erwarte Ich von dem Staats-Ministerio vordersamst die Vorschläge zu der nöthigen Ergänzung derselben. Wenn sie aber für den Zweck schon jetzt ausreichen, so will Ich, daß 25 dieselben auch zum Schutz des Rechtes und der Wahrheit von Meinen Behörden kräftig gehandhabt werden, und empfehle dies, nebst den Ministerien selbst, ins besondere der unmittelbaren Sorgfalt der Ober-Präsidenten, denen das Staats- Ministerium die Weisungen deshalb zu ertheilen hat. Je ernster es Mir am Herzen liegt, daß der edlen, loyalen, mit Würde freimüthigen 30 Gesinnung, wo sie sich kund geben mag, die Freiheit des Wortes nicht verkümmert, der Wahrheit das Feld der öffentlichen Besprechungen so wenig als möglich be- 264 Kabinettsordre in bezug auf die T a g e s p r e s se schränkt werde, desto unnachsichtiger muß der Geist, welcher Waffen der Lüge und Verführung gebraucht, darnieder gehalten werden, auf daß die Freiheit des Wortes unter dem Mißbrauche desselben nicht um ihre Früchte und ihren Segen betrogen werden könne. Sanssouci, 14. Oktober 1842. (gez.) Friedrich Wilhelm." Wir beeilen uns um so mehr, unsern Lesern die vorstehende königliche Kabinetsordre mitzutheilen, als wir in ihr eine Garantie der preußischen Presse erblicken. Jedes loyale Blatt wird es nur als eine bedeutende Unter stützung von Seiten der Regierung betrachten, wenn Unwahrheiten oder entstellte Thatsachen, deren Mittheilung bei der größten Umsicht der Redaktion nicht immer zu vermeiden ist, aus authentischer Quelle berichtigt werden. Die Regierung garantirt der Tagespresse durch diese amtlichen Erläuterungen nicht nur eine gewisse historische Korrektheit des faktischen Gehalts, sondern erkennt auch, was noch wichtiger ist, die große Bedeut samkeit der Presse durch eine positive Theilnahme an, welche die negative Theilnahme durch Verbot, Unterdrückung und Censur in immer engere Schranken zurückweisen wird. Zugleich geht die königliche Kabinetsordre von der Voraussetzung einer gewissen Unabhängigkeit der Tagespresse aus, da ohne eine solche, wenn nicht Tendenzen der Täuschung, Lüge und verderbliche Bestrebungen, so noch weniger edle, loyale, mit Würde frei- müthige Gesinnung, irgendwie in den Zeitungen auftauchen und sich etabliren könnten. Diese königliche Voraussetzung einer gewissen Unab hängigkeit der Tagespresse ist als die vorzüglichste Garantie dieser Un abhängigkeit und als eine unzweideutige Aeußerung des königlichen Willens von den preußischen Zeitungen zu begrüßen. 265 Ein Korrespondent der „Kölnischen Zeitung" und die „Rheinische Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 321, 17. N o v e m b er 1842 X Köln, 16. Nov. Der rüstigste Verfechter der „Trennung von Stadt und Land" in der „Kölnischen Zeitung" erhebt heute abermals seine polternde Stimme und heute hat er nicht das Land, sondern die „Rheinische Zeitung" zum verherrlichenden Opfer seiner Privatintelligenz und seiner Privat illusionen auserkoren. Wir glauben dem guten Manne, daß ihm das Lesen der Artikel der „Rheinischen Zeitung" über Gemeindeverfassung beim Frühstück den Kopf betäubt und in „überaus verworrene Träume" zurück gestürzt hat. Wir glauben, daß es einem Kenner von Köln und Bickendorf sehr ungelegen kommt, durch den Orient, durch Griechenland, Rom, Germanien, Gallien und Frankreich, und sogar durch Gedanken, die der Routine des praktischen Verkehrs und engbegrenzter Anschauung noth- wendig als „Sophistereien" und „dialektische Kunstgriffe" erscheinen, gejagt zu werden. Wir wollen dieser heitern Selbstgefälligkeit die keines wegs temperirten Artigkeiten, die sie ihren eignen Leistungen zu sagen weiß, nicht übeldeuten, denn es liegt im Charakter der Beschränktheit, ihre individuellen Schranken für die Schranken und Säulen der Welt zu halten. Da nun unser guter und humoristischer Freund keine neuen Gründe vor bringt, sondern der Ansicht huldigt, ein Grund, der bei seiner ersten Prä sentation abgewiesen und widerlegt worden, könne wie ein zudringlicher Petitionair endlich zum Ziele gelangen, sobald er Beharrlichkeit besitzt, immer von Neuem wiederzukehren; da also unser Freund die Wirkung seiner wohlgesetzten und richtig abgezählten Gründe, den in Bezug auf Zeitungsartikel aufgestellten Prinzipien getreu, nicht von ihnen selbst, sondern von ihrer Wiederholung erwartet, so bleibt Nichts zu thun übrig, als schließlich einige Phantasmagorien, die ihm im „Schlaf" und im „ver worrenen Traum" aufgestiegen sein mögen, aus der realen Welt auszu weisen, und so zur Beseitigung des wieder auftauchenden Gespenster glaubens, der bekanntlich seine Träume über die Gegenstände mit den Gegenständen selbst verwechselt, so viel an uns, mitzuwirken. Unsere Somnambule sah im Traum, wie die Bauern von der „Rheinischen Zeitung" 266 F Ein Korrespondent der „Kölnischen Zeitung" und die „Rheinische Zeitung" in Allarm gesetzt werden, „um mit Schuppen und Hacken gegen die Städte loszuziehen, weil diese tyrannische Absichten im Schilde führten". Unsere Somnambule wird in den Intervallen des klaren Bewußtseins, sich mit sich selbst darüber zu verständigen haben, daß die „Städte" nicht in der „Köl- 5 nischen Zeitung" liegen, daß wir sogar ihre willkürliche Interpretation der städtischen Absichten zurückgewiesen, und daß endlich eine Arbeit, die sogar über den Gesichtskreis eines „Kenners von Köln und Bickendorf" hinaus geht, noch weniger den Bauersmann zu einer Demonstration mit „Schuppen und Hacken", welche wahrscheinlich als eine Probe der „aus 10 dem praktischen Leben und dem Verkehr" geschöpften „vorurtheilsfreien Anschauungen" ihre Rolle spielen, irritiren können. Unsere Somnambule wird es ferner beim Erwachen über allen Zweifel erhaben finden, daß eine Zurechtstellung eines angeblichen „Korrespondenten" der „Kölnischen Zeitung" keine „Entstellung der Wahrheit", daß die Sollicitation der „Un- 15 Zufriedenheit" mit der „Kölnischen Zeitung" und das Parteinehmen gegen ihren sinnigen Korrespondenten kein staatswidriges „Regemachen von Unzufriedenheit und Parteiwuth" ist, oder lägen etwa nicht nur „die Städte" in der „Kölnischen Zeitung", sondern wäre auch der Staat selbst in ihr und ihren Mitarbeitern incorporirt! Unser Freund wird dann zugleich begreifen, 20 daß man den „unbegrenzten Uebermuth" wagen kann, die schriftstelleri schen Produktionen des Zeichens —.— zu irritiren, ohne sich „gegen die höchsten Staatsbehörden", die er nicht nur für seine Meinungen, sondern sogar für seine Argumentationen verantwortlich machen will und die diesen selbstgestellten Bundesgenossen desavouiren möchten, „durch ungebühr- 25 liehe Ausfälle zu vermessen". Bei dem jetzigen Stand der deutschen Wissenschaft wird es mehr als eine Umwälzung bewirken, wenn die hohlen Theorieen, welche sich als Resultate der Weltgeschichte zu erfassen bemühen und die allgemeinen Gesichts kreise der heutigen Doktrin das herbe Schicksal erfahren sollten, ihr kriti- 30 sches Maß zu finden in den „vorurtheilsfreien", aus dem bürgerlichen Verkehr und dem praktischen Leben geschöpften Anschauungen des „Kenners von Köln und Bickendorf", der es begreiflich finden wird, daß wir bis zur Epoche dieser Reformation und der muthmaßlichen schrift stellerischen Größe des Zeichens —.—, seine jetzigen vereinzelten Bestre- 35 bungen für zu fragmentarisch, und er erlaube uns zu sagen, für zu un bedeutend in jeder Hinsicht halten, um durch eine weitere Würdigung den Traum von ihrer Gewichtigkeit zu nähren und großzuziehen. 267 Die polemische Taktik der Augsburger Zeitung Rheinische Zeitung. Nr. 334, 30. N o v e m b er 1842 *** Köln, 29. Nov. „Es ist nur ein Gelüst des Bluts, eine Nachgiebigkeit des Willens!" Die Augsburger Allgemeine Zeitung beobachtet bei ihrer gelegentlichen Polemik gegen die „Rheinische Zeitung" eine eben so eigenthümliche als lobenswerthe Taktik, welche, mit Konsequenz durchgeführt, ihren Eindruck auf den oberflächlichen Theil des Publikums nicht verfehlen kann. Bei jeder Zurechtweisung, die ihren Attaquen auf Prinzip und Tendenz der Rheini schen Zeitung galt, bei jeder wesentlichen Streitfrage, bei jedem prinzipiellen Angriff von Seiten der Rheinischen Zeitung hüllte sie sich in die vieldeutige Toga des Schweigens, indem es immer unentschieden bleibt, ob dieß Schweigen dem Bewußtsein der Schwäche, die nicht antworten kann, oder dem Bewußtsein der Ueberkraft, die nicht antworten will, sein unschein bares Dasein verdankt. Wir hätten in dieser Beziehung der Augsburgerin keine besondern Vorwürfe zu machen, denn sie behandelt uns, wie sie Deutschland behandelt, dem sie ihre Theilnahme durch ein tiefsinniges Schweigen, das nur selten von Reisenotizen, Gesundheitsbülletins und paraphrasirten Hochzeitsgedichten unterbrochen wird, am gedeihlichsten darthun zu können glaubt, und die Augsburgerin mag Recht haben, wenn sie ihr Schweigen als einen Beitrag zur öffentlichen Wohlfahrt betrachtet. Allein die Augsburgerin handhabt neben der Taktik des Schweigens noch eine andere Manier der Polemik, die in ihrer breiten, selbstgefälligen und hochbetheuernden Redseligkeit gleichsam die aktive Ergänzung zu jener passiven und melancholischen Stille bietet. Die Augsburgerin schweigt, wo es den Prinzipienkampf, den Kampf um das Wesen gilt; aber sie lauscht im Versteck, sie beobachtet von Weitem, sie erlauert den Augenblick, wo ihre Gegnerin die Toilette vernachlässigt, einen faux pas beim Tanze verbricht, ihr Schnupftuch fallen läßt und — „sie spreizt sich tugendlich und dreht sich weg", sie schmettert den langverhaltenen, wohlmeinenden Aerger mit 268 Die p o l e m i s c he Taktik der Augsburger Zeitung imperturbablem Aplomb, mit dem ganzen Zorn der Toilettenpruderie in die Luft und ruft Deutschland zu: „Da seht ihr's, das ist der Charakter, das die Gesinnung, das die Konsequenz der Rheinischen Zeitung!" „Dort ist Hölle, dort ist Nacht, dort ist der Schwefelpfuhl, Brennen, Sieden, Pestgeruch, 5 Verwesung — pfui, pfui, pfui! — Pah! Pah! — Gib etwas Bisam, guter Apothe ker!" 15 Bei Gelegenheit solcher Basenimpromptüs weiß die Augsburgerin nicht nur ihre verschollene Tugend, ihre Ehrbarkeit und gesetztes Alter dem ver geßlichen Publikum in das treulose Gedächtniß zu rufen, nicht nur mit ab- 10 gelebten und verwelkten Erinnerungen die eingefallenen Schläfen zu schmücken, sondern außer diesen kleinen und harmlosen Erfolgen der Koketterie noch andere praktische Erfolge zu erschleichen. Sie steht, quasi re bene gesta, der Rheinischen Zeitung gegenüber, polternd, verweisend, provocirend, eine rüstige Kämpferin, und die Welt vergißt über der petu- lanten Provokation das altersschwache Schweigen und die eben erst er folgte Retraite. Zudem entsteht der geflissentlich gehegte Schein, als drehe sich der Kampf der Augsburger Allgemeinen Zeitung und der Rheinischen Zeitung um dergleichen Erbärmlichkeiten, skandalöse Histörchen und Toilettensünden. Das Heer der Geist- und Gesinnungslosen, das den 20 wesentlichen Kampf, indem wir sprechen und die Augsburgerin schweigt, nicht versteht, dagegen in den mäkelnden Häkeleien und kritischen Kleinig keiten der Augsburger Allgemeinen Zeitung seine eigene schöne Seele wiederfindet, klatscht dann Beifall und huldigt der ehrbarlichen Frau, die in eben so gewiegter als gemessener Weise ihre ungestüme Gegnerin züchtigt, 25 mehr um zu erziehen, als um zu verletzen. In Nro. 329 der Augsburger Allgemeinen Zeitung findet sich wieder eine Probe dieser altklugen, wider lichen und kleinstädtischen Polemik. Ein Korrespondent vom Main berichtet, die Allgemeine Augsburger Zeitung habe Julius Mosens politischen Roman: „Der Kongreß von Verona" 30 gelobt, weil er im Verlage von Cotta erschienen sei. Wir gestehen, daß wir auf den literarisch-kritischen Theil der Augsburger Allgemeinen Zeitung seiner Nichtigkeit wegen nur gelegentlich einen Blick werfen, auch ihre Kritik über Mosen nicht kennen, hierin dem Gewissen des Korrespondenten uns à discretion anvertrauten. Den Thatbestand als richtig vorausgesetzt, 35 fehlte es der Korrespondenz nicht an innerer Wahrscheinlichkeit, da nach neuern mit Chikanen, aber nicht mit Gründen widerlegten Aufklärungen die Unabhängigkeit des kritischen Gewissens der Allgemeinen Augsburger Zeitung von dem Druckorte zu Stuttgart wenigstens bezweifelt werden darf. Bleibt also übrig, daß wir den Druckort des politischen Romans nicht 40 kannten, und enfin, es ist keine politische Todsünde, den Druckort eines Romans nicht zu kennen. 269 Γ j ι j ί «' j'l, . j L Publizistische Arbeiten Später auf die irrthümliche Angabe des Druckorts aufmerksam gemacht, erklärte die Redaction in einer Note: „Wir erfahren so eben, daß der ,Κοη- greß zu Verona' von dem Dichter Julius Mosen keineswegs bei Cotta er schien, und bitten daher unsere Leser, die in Nr. 317 dieses Jahres befind liche Korrespondenz vom Main hiernach berichtigend zu beurtheilen." Da 5 der Hauptvorwurf des Mainer Korrespondenten wider die Augsburger Allgemeine Zeitung einzig auf der Prämisse beruhte, der „Kongreß von Verona" sei bei Cotta erschienen, da wir erklärten, er sei nicht bei Cotta erschienen, da jedes Raisonnement durch Aufhebung seiner Prämisse von selbst fällt, so dürften wir allerdings an die Urtheilskraft der Leser die 10 überschwängliche Anforderung stellen, nach dieser Erklärung jene Korre spondenz zu berichtigen, und wir konnten glauben, unser Unrecht gegen die Augsburger Allgemeine Zeitung gesühnt zu haben. Aber die Augsburger Logik! Die Augsburger Logik interpretirt unsere Berichtigung folgender maßen: „Wäre Mosens ,Kongreß von Verona' bei Cotta erschienen, so wäre 15 er von allen Freunden des Rechts und der Freiheit als ein schlechter Krebs und Ladenhüter zu betrachten; da wir aber nachträglich erfahren, daß er in Berlin herausgekommen, so bitten wir unsere verehrten Leser, ihn nach des Dichters eigenen Worten als einen der Geister der ewigen Jugend zu begrüßen, die auf strahlensprühender Bahn einherschreiten und 20 dem alten Gelichter eisern auf's Genick treten." Der Bursch führt seinen Bogen wie eine Vogelscheuche: Spannt mir eine volle Tuchmacherrolle! — In's Schwarze, in's Schwarze! — Hui! „Das ist", ruft die Augsburgerin triumphirend, „das ist, was die Rhei nische Zeitung ihre Gesinnung, ihre Konsequenz nennt!" Hat die Rhei- 25 nische Zeitung jemals die Konsequenzen der Augsburger Logik für ihre Konsequenz oder gar die Gesinnung, auf welcher diese Logik basirt, für ihre Gesinnung erklärt? Die Augsburgerin hätte nur schließen dürfen: „Das ist die Art und Weise, wie man zu Augsburg Konsequenz und Gesinnung mißversteht!" Oder glaubt die Augsburger Allgemeine Zeitung im Ernst, 30 wir hätten in Mosens Trinkspruch einen berichtigenden Kommentar zur Be- urtheilung des „Kongresses von Verona" liefern wollen? Wir haben das Schillertest weitläufiger im Feuilleton besprochen, wir haben auf Schiller, „als den Propheten der neuen Bewegung der Geister" (Siehe 326, Korre spondenz aus Leipzig) und auf die daraus sich ergebende Bedeutung des 35 Schillerfestes hingewiesen, und warum sollten wir Mosens Trinkspruch, der diese Bedeutung hervorhob, zurückweisen? Etwa, weil er einen Ausfall auf die Augsburger Allgemeine Zeitung enthält, den sie schon wegen ihrer Beurtheilung Herwegh's verdient hat? Das alles hatte aber doch nichts mit der Mainer Korrespondenz zu thun, wir hätten denn, was die Augsburgerin 40 uns unterschiebt, schreiben müssen: „Der Leser beurtheile die Korrespon- 270 Die polemische Taktik der Augsburger Zeitung denz vom Main in Nr. 317 nach Mosens Gedicht in Nr. 320." Diesen Unsinn bringt die Augsburger Logik exprès zu Stande, um ihn nachher uns an den Kopf werfen zu können. Das Urtheil der Rheinischen Zeitung im Feuilleton zu Nr. 317 über „Mosens Bernhard von Weimar" beweist, was keines Be weises bedarf, daß sie bei Mosen von ihrer gewohnten sachlichen Kritik sich um kein Haar entfernt hat. Wir geben übrigens der Augsburgerin zu, daß selbst die Rheinische Zei tung kaum die literarischen Condottieri's von sich abzuwenden vermag; dies zudringliche und widerwärtige Geschmeiß, das in jener Zeitungsära — deren Incorporation die Augsburger Allgemeine Zeitung ist, — aller Orten in Deutschland — emporwucherte. Schließlich erinnert uns die Augsburger Zeitung an das Wurfgeschütz, das „mit großen Worten und Phrasen um sich wirft, welche die Wirklichkeit unberührt lassen". Die Augsburger Allgemeine Zeitung berührt allerdings alle mögliche Wirklichkeit, mexikanische Wirklichkeit, brasilianische Wirk lichkeit, aber keine deutsche, aber nicht einmal barriscile Wirklichkeit, und wenn sie dergleichen einmal berührt, so gilt ihr unfehlbar der Schein für Wirklichkeit und die Wirklichkeit für Schein. Handelte es sich um die geistige und wahre Wirklichkeit, die Rheinische Zeitung könnte der Augs burger mit Lear zurufen: „Thu dein Aergstes, blinder Amor. Sieh nur die Schriftzüge!" und die Augsburgerin würde mit Gloster antworten: „Wär'n alle Lettern Sonnen, ich sah keine." 271 Der Artikel in Nr. 335 und 336 der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" über die ständischen Ausschüsse in Preußen Rheinische Zeitung. Nr. 345, 11. D e z e m b er 1842 * * Köln, 10. Dez. In der Beilage zu Nr. 335 der Augsburger Allgemeinen Zeitung findet sich ein nicht uninteressanter Aufsatz über die ständischen Ausschüsse in Preußen. Da wir ihn der Kritik unterwerfen wollen, müssen wir zunächst eine einfache, aber nichts desto weniger von einer leiden schaftlichen Parteipolemik oft übersehene Maxime an die Spitze stellen. 5 Die Darstellung einer Staatsinstitution ist nicht die Staatsinstitution selbst. Eine Polemik gegen diese Darstellung ist daher auch keine Polemik gegen die Staatsinstitution. Die conservative Presse, die jeden Augenblick daran erinnert, daß die Auffassung der kritischen Presse als eine nur individuelle Meinung und Entstellung der Wirklichkeit zu verwerfen sei, vergißt jeden 10 Augenblick, daß sie selbst nicht die Sache, sondern nur eine Meinung über die Sache, also der Kampf mit ihr nicht immer ein Kampf mit ihrem Gegen stand ist. Jeder Gegenstand, werde er lobend oder tadelnd in die Presse eingeführt, wird zu einem literarischen Gegenstand, also zu einem Gegen stand der literarischen Diskussion. 15 Das eben ist es, was die Presse zum mächtigsten Hebel der Kultur und der geistigen Volksbildung macht, daß sie den stofflichen Kampf in einen ideellen Kampf, den Kampf von Fleisch und Blut in einen Geister-Kampf, den Kampf des Bedürfnisses, der Begierde, der Empirie in einen Kampf der Theorie, des Verstandes, der Form verwandelt. 20 Der questionirte Aufsatz führt die Ausstellungen gegen die Institution der ständischen Ausschüsse auf zwei Hauptpunkte zurück, auf Ausstel lungen gegen ihre Zusammensetzung und auf Ausstellungen gegen ihre Bestimmung. Wir müssen es nun gleich als einen logischen Grundmangel rügen, daß 25 zunächst über die Zusammensetzung diskutirt und die Untersuchung über die Bestimmung für einen folgenden Artikel verspart wird. Die Zusammen setzung kann nichts anders sein, als der äußere Mechanismus, der in der Bestimmung seine leitende und ordnende Seele besitzt. Wer wird aber über die zweckmäßige Zusammensetzung einer Maschine urtheilen wollen, ehe 30 272 Die „ A l l g e m e i ne Zeitung" über die ständischen A u s s c h ü s se er die Bestimmung der Maschine untersucht und erkannt hat? Es wäre möglich, daß die Zusammensetzung der Ausschüsse der Kritik unterliegt, weil sie ihrer Bestimmung entspricht, indem eben diese Bestimmung nicht als eine wahrhafte Bestimmung anzuerkennen; es wäre möglich, daß die 5 Zusammensetzung der Ausschüsse anerkennenswerth, weil sie ihrer Be stimmung nicht entspricht und über dieselbe hinausgeht. Dieser Gang der Darstellung ist also ein erster Fehler, aber ein erster Fehler, der die ganze Darstellung zu einer verfehlten macht. Man habe, sagt der questionirte Artikel, fast von allen Seiten mit be- 10 merkenswerther Uebereinstimmung darüber geklagt, daß „vorherrschend nur das Grundeigenthum mit dem Recht ständischer Vertretung bedacht worden sei". Dagegen sei einerseits auf den Aufschwung der Industrie, andererseits „mit noch größerer Emphase" auf die Intelligenz und „das Recht derselben zur Theilnahme an der ständischen Vertretung" hinge- 15 wiesen worden. Wenn aber nach dem organischen Gesetz über die Provinzialstände das Grundeigenthum zur Bedingung der Standschaft gemacht werde, eine Disposition, die folgerechterweise auf die aus der Mitte der Provinzial stände gebildeten ständischen Ausschüsse übergegangen sei, so bilde das 20 Grundeigenthum, wenn auch die allgemeine Bedingung, dennoch keines wegs den einzigen Maßstab für die Theilnahme an dem Recht der ständi schen Repräsentation. Auf einer Verwechselung jener beiden wesentlich verschiedenen Prinzipien beruhten aber „zum großen Theil die lebhaften Einwendungen, welche gegen die Zusammensetzung der ständischen Aus- 25 schüsse erhoben worden seien". Der Grundbesitz vertritt alle Stände. Das ist ein Faktum, welches der Verfasser zugibt, allein, fügt er hinzu, nicht der Grundbesitz schlechthin, nicht der abstrakte Grundbesitz, sondern der Grundbesitz mit gewissen Nebenumständen, der Grundbesitz von einem gewissen Charakter. Der 30 Grundbesitz ist die allgemeine Bedingung der ständischen Vertretung, aber er ist nicht die einzige Bedingung. Wir stimmen vollkommen mit dem Verfasser überein, wenn er behauptet, daß die hinzutretenden Bedingungen das allgemeine Prinzip der Vertretung durch den Grundbesitz wesentlich alteriren, aber wir müssen zugleich 35 behaupten, daß die Gegner, welche schon das allgemeine Prinzip zu be schränkt glauben, sich keineswegs widerlegt finden dürften durch den Nachweis, daß man dies an sich beschränkte Prinzip noch nicht für be schränkt genug, sondern weitere, seinem Wesen fremde Schranken hinzu zufügen für nothwendig erachtet habe. Wenn wir von den ganz allgemeinen 40 Erfordernissen des unbescholtenen Rufs, des dreißigjährigen Lebensalters abstrahiren, wobei die erstere sich einerseits von selbst versteht, anderer- 273 Publizistische Arbeiten seits einer zu unbestimmten Deutung unterliegt, so sind die folgenden speziellen Bedingungen: „1) die zehnjährige NichtUnterbrechung des Grundbesitzes; 2) die Gemeinschaft mit einer christlichen Kirche; 3) der Besitz eines vormals unmittelbaren Landes für den ersten Stand; 4) der Besitz eines reichsritterschaftlichen Gutes für den zweiten Stand; 5) die Magistratur oder die Betreibung eines bürgerlichen Gewerbes für den Stand der Städte; 6) die Selbstbewirthschaftung des Gutes als Haupt gewerbe für den vierten Stand", so sind diese Bedingungen keine Be dingungen, welche aus dem Wesen des Grundbesitzes hervorgehen, son dern Bedingungen, welche aus ihm fremden Rücksichten ihm fremde Grän zen hinzufügen, welche sein Wesen beschränken, statt es zu verall gemeinern. Nach dem allgemeinen Prinzipe der Vertretung durch Grundbesitz wäre kein Unterschied zwischen jüdischem und christlichem Grundbesitze, zwischen dem Grundbesitze eines Advokaten und dem Grundbesitze eines Kaufmanns, zwischen zehnjährigem und einjährigem Grundbesitze zu entdecken. Nach diesem allgemeinen Prinzipe existiren sämmtliche auf gezählten Unterscheidungen nicht. Fragen wir also, was der Verfasser nachgewiesen hat, so können wir nur antworten: Die Beschränkung der allgemeinen Bedingung des Grundbesitzes durch besondere Bedingungen, die nicht im Wesen des Grundbesitzes liegen, durch Rücksichten auf den Ständeunterschied. Und der Verfasser gibt zu: „In nahem Zusammenhange steht die von vielen Seiten vernommene Klage darüber, daß auch bei diesen ständischen Ausschüssen in angeblichem Widerspruche mit dem gegenwärtigen Zu stande unserer sozialen Verhältnisse und mit den Forderungen des Zeit geistes, der nur der Vergangenheit angehörige Ständeunterschied wieder hervorgesucht und als Prinzip der ständischen Organisation in Anwendung gebracht worden sei." Der Verfasser untersucht nicht, ob die allgemeine Bedingung des Grund besitzes nicht der Vertretung der Stände widerspreche oder sie sogar un möglich mache! Es hätte ihm sonst schwerlich entgehen können, daß eine Bedingung, welche nur das Wesen des Bauernstandes bildet, bei einer konsequenten Verfolgung des ständischen Prinzips unmöglich zur all gemeinen Bedingung der Vertretung der übrigen Stände gemacht werden könne, deren Dasein auf keine Weise durch den Grundbesitz bedingt ist. Die Vertretung der Stände kann doch nur durch den wesentlichen Unter schied der Stände, also durch Nichts, was außer diesem Wesen liegt, be stimmt werden. Wenn also das Prinzip der Vertretung des Grundbesitzes durch die besondern Standesrücksichten, so wird dies Prinzip der Standes vertretung durch die allgemeine Bedingung des Grundbesitzes aufgehoben 274 Die „ A l l g e m e i ne Zeitung" über die ständischen Ausschüsse und keins dieser Prinzipien kömmt zu seinem Rechte. Der Verfasser unter sucht ferner nicht, ob der in der fraglichen Institution vorausgesetzte Unterschied der Stände die Stände der Vergangenheit oder die Stände der Gegenwart charakterisirt, wenn selbst ein Unterschied der Stände ange- 5 nommen wird. Statt dessen bespricht er den Ständeunterschied überhaupt. Es werde so wenig gelingen, ihn zu vertilgen, „als den in der Natur vor handenen Unterschied der Elemente zu vernichten und zur chaotischen Einheit zurückzuführen". Man könnte dem Verfasser antworten: So wenig es Jemanden einfallen werde, den Unterschied der Naturelemente zu ver- 10 nichten und zur chaotischen Einheit zurückzuführen, so wenig wolle man den Unterschied der Stände vertilgen; aber man müßte zugleich den Ver fasser auffordern, der Natur ein angestrengteres Studium zu widmen und sich von der ersten sinnlichen Wahrnehmung der verschiedenen Elemente zur vernünftigen Wahrnehmung des organischen Naturlebens zu erheben. 15 Statt des Gespenstes einer chaotischen Einheit würde ihm der Geist einer lebendigen Einheit erscheinen. Selbst die Elemente verharren nicht in ruhiger Trennung. Sie verwandeln sich beständig in einander und dieser Wandel allein bildet die erste Stufe des physischen Erdenlebens, den meteorologischen Prozeß. Im lebendigen Organismus nun gar ist jede Spur 20 der verschiedenen Elemente als solcher verschwunden. Der Unterschied existirt nicht mehr im getrennten Dasein der verschiedenen Elemente, sondern in der lebendigen Bewegung unterschiedener Funktionen, die alle von einem und demselben Leben begeistet sind, so daß ihr Unterschied selbst nicht diesem Leben fertig vorangeht, sondern vielmehr aus ihm 25 selbst beständig hervorgeht und eben so beständig in ihm verschwindet*und paralysirt wird. So wenig nun die Natur bei den vorhandenen Elementen stehen bleibt, vielmehr schon auf der untersten Stufe ihres Lebens diese Verschiedenheit als ein bloses, sinnliches Phänomen beweist, das keine geistige Wahrheit besitzt, so wenig darf und kann der Staat, dieses natür- 30 liehe Geisterreich, in einer Thatsache der sinnlichen Erscheinung sein wahres Wesen suchen und finden. Der Verfasser hat daher die „göttliche Weltordnung" nur oberflächlich ergründet, wenn er bei dem Unterschiede der Stände, als ihrem letzten und entscheidenden Resultate stehen blieb. Aber, meint der Verfasser, es „ist aber dafür zu sorgen, daß das Volk 35 nicht als eine rohe unorganische Masse in Bewegung gesetzt wird". Es könne daher „nicht davon die Rede sein, ob überhaupt Stände existiren sollen, sondern nur davon: festzustellen, in wie weit und in welchem Ver hältniß die vorhandenen Stände zur Theilnahme an der politischen Wirk samkeit berufen sind". Es fragt sich hier allerdings nicht, inwiefern die 40 Stände existiren, sondern es fragt sich, inwiefern sie ihre Existenz bis in die höchste Sphäre des Staatslebens fortsetzen sollen. So unpassend es 275 Publizistische Arbeiten wäre, das Volk als rohe unorganische Masse in Bewegung zu setzen, so wenig wird eine organische Bewegung erreicht, wenn es mechanisch in feste und abstrakte Bestandtheile aufgelöst und von diesen unorganischen, gewaltsam fixirten Theilen eine selbstständige Bewegung, die nur konvul sivisch sein kann, verlangt wird. Der Verfasser geht von der Ansicht aus, 5 daß das Volk außer einigen willkürlich aufgegriffenen Ständeunterschieden als eine rohe unorganische Masse im wirklichen Staate vorhanden sei. Er kennt also keinen Organismus des Staatslebens selbst, sondern nur ein Nebeneinander heterogener Theile, die der Staat auf eine oberflächliche und mechanische Weise umspannt. Aber seien wir aufrichtig. Wir verlangen 10 nicht, daß man bei der Volksvertretung von den wirklich vorhandenen Unterschieden abstrahire, wir verlangen vielmehr, daß man an die wirk lichen, durch die innere Konstruktion des Staats geschaffenen und bedingten Unterschiede anknüpft und nicht aus dem Staatsleben in eingebildete Sphären zurückfalle, die das Staatsleben längst ihrer Bedeutsamkeit beraubt 15 hat. Und nun werfe man auf die allen bekannte, allen offenbare Wirklichkeit des preußischen Staates einen Blick. Die wahren Sphären, nach denen der Staat regiert, gerichtet, verwaltet, besteuert; einexercirt, geschult wird, in denen seine ganze Bewegung vorgeht, es sind Kreise, Landgemeinden, Regierungen, Provinzialregierungen, Militairabtheilungen, aber es sind 20 nicht die vier Kategorien von Ständen, welche vielmehr in diesen höheren Einheiten bunt in einander übergehen und nicht von dem Leben selbst, sondern nur von Akten und Registern unterschieden werden. Und jene Unterscheidungen, die jeden Augenblick in der Einheit des Ganzen durch ihr eignes Wesen aufgehen, sie sind freie Schöpfungen aus dem Geist des 25 preußischen Staats, aber sie sind keine von blinder Naturnothwendigkeit und von dem Auflösungsprozeß einer vergangenen Zeit der Gegenwart aufgedrängte Rohstoffe! Sie sind Glieder, aber keine Theile, sie sind Be wegungen aber keine Stände, sie sind Unterscheidungen der Einheit, aber sie sind keine Einheiten des Unterschieds. So wenig unser Verfasser nun 30 wird behaupten wollen, daß etwa die große Bewegung, wodurch der preu ßische Staat täglich in ein stehendes Heer und eine Landwehr übergeht, die Bewegung einer rohen unorganischen Masse sei, so wenig wird er es von einer Volksvertretung behaupten dürfen, die auf ähnliche Prinzipien fundirt ist. Wir wiederholen noch einmal. Wir verlangen nur, daß der 35 preußische Staat sein wirkliches Staatsleben nicht bei einer Sphäre ab bricht, welche die bewußte Blüthe dieses Staatslebens sein soll, wir ver langen nur konsequente und allseitige Ausführung der preußischen Funda- mental-Institutionen, wir verlangen, daß man nicht plötzlich das wirkliche organische Staatsleben verlasse, um in unwirkliche, mechanische, unter- 40 geordnete, unstaatliche Lebenssphären zurückzusinken. Wir verlangen, ì < I i 276 Die „ A l l g e m e i ne Zeitung" über die ständischen A u s s c h ü s se daß der Staat sich nicht in dem Akt auflöse, welcher der höchste Akt seiner innern Einigung sein soll. Wir werden die weitere Kritik des questionirten Aufsatzes in einem folgenden Artikel geben. Rheinische Zeitung. Nr. 354, 20. D e z e m b er 1842 ** Köln, 19. Dez. Der Verfasser will seinem Standpunkte gemäß fest- 5 stellen: „in wie weit die vorhandenen Stände zur Theilnahme an der poli tischen Wirksamkeit berufen sind". Unser Verfasser untersucht nicht, wie schon bemerkt, in wie weit die im Wahlgesetz vorausgesetzten Stände die vorhandenen Stände, in wie weit überhaupt Stände vorhanden sind; er macht vielmehr zur Grundlage seiner Untersuchung eine Thatsache, deren 10 Beweis das Hauptgeschäft seiner Untersuchung bilden mußte, und argu- mentirt also weiter: „Die Bestimmung der Ausschüsse ist sowohl in den Verordnungen vom 21. Juni 1. J. über deren Bildung als auch in der Königlichen Kabinets-Ordre vom 19. August über deren Zusammenberufung zu einem Centrai-Ausschuß 15 so deutlich ausgesprochen, daß darüber durchaus kein Zweifel obwalten kann. Es soll nach den Worten der obenerwähnten Kabinets-Ordre der ständische Beirath der einzelnen Provinzen durch ein Element der Einheit ergänzt werden. Hiernach ist also zunächst die allgemeine Bestimmung der ständischen Ausschüsse, insofern dieselbe, wie die der Provinzialstände 20 selbst, als es sich dabei gleichfalls um eine berathende Mitwirkung bei öffentlichen Angelegenheiten und insbesondere beim Geschäft der Gesetz gebung handelt und dagegen besteht das Charakteristische der denselben angewiesenen Wirksamkeit in deren Centralisation. Somit wäre es bei den Bedenken, welche gegen die Zusammensetzung der ständischen Aus- 25 schüsse erhoben worden sind, darum zu thun gewesen, nachzuweisen, inwiefern in deren Vereinigung zu einem Central-Ausschusse Gründe ent halten sind, weshalb die Elemente, aus denen man dieselben gebildet, der Bestimmung ihrer centralen Thätigkeit nicht zu entsprechen vermögen. Anstatt solchen Beweis zu versuchen, hat man es bei der bloßen Versiche- 30 rung bewenden lassen, die Zusammensetzung der ständischen Ausschüsse (welche auf demselben Prinzip beruht, wie die der Provinzialstände) möchte wohl genügen zur Berathung über untergeordnete Provinzial-Interessen, nicht aber für eine den ganzen Staat umfassende Wirksamkeit. Hiermit in Widerspruch würden dann die erwähnten Beschwerden vorgetragen, wel- 35 che, wenn sie begründet wären, auch auf die Provinzialstände ihre Anwen dung finden würden." Wir haben gleich von vorn herein auf das Unlogische aufmerksam ge- 277 Publizistische Arbeiten macht, die Zweckmäßigkeit der Zusammensetzung der ständischen Aus schüsse untersuchen zu wollen, bevor man ihre Bestimmung kritisirt hat. Es konnte nicht fehlen, unser Verfasser setzt in einem unbewachten Augen blick die Zweckmäßigkeit der „Bestimmung" voraus, um die Zweckmäßig keit der „Zusammensetzung" folgern zu können. Er sagt uns, die Bestim mung der Ausschüsse sei klar! Die Klarheit, diese formelle Korrektheit der „Bestimmung" zugegeben, ist damit ihr Inhalt, und die Wahrheit dieses Inhalts auch nur berührt? Die Ausschüsse, sagt unser Verfasser, unterscheiden sich nur durch die „Cen- tralisation" von den „Provinzialständen". Es sei also nachzuweisen, „in wie fern in deren Vereinigung zu einem Centralausschusse Gründe ent halten sind, weßhalb die Elemente, aus denen man dieselben gebildet, der Bestimmung ihrer centralen Thätigkeit nicht zu entsprechen vermögen". Wir müssen diese Forderung als unlogisch abweisen. Es fragt sich nicht, in wie fern in der Vereinigung der Provinzialstände zu einem Centralaus schusse Gründe enthalten sind, weshalb ihre Bildungselemente der Be stimmung der centralen Thätigkeit nicht zu entsprechen vermögen, sondern umgekehrt, es fragt sich, in wie fern in den provinzialständischen Bildungs elementen Gründe enthalten sind, welche eine wahrhafte Vereinigung zu einem wirklichen Centrai-Ausschuß, also auch eine wahrhaft centrale Thätigkeit paralysiren. Die Vereinigung kann nicht die Bildungselemente, aber die Büdungselemente können die Vereinigung unmöglich machen. Setzt man aber eine wirkliche Vereinigung, eine wahrhafte Centralisation voraus, so verliert die Frage nach der Möglichkeit der centralen Thätigkeit allen Sinn, denn die centrale Thätigkeit ist nur die Aeußerung, die Folge, die Lebendigkeit einer wahrhaften Centralisation. Ein centraler Ausschuß schließt von selbst eine centrale Thätigkeit ein. Wie beweist nun der Ver fasser die Angemessenheit der Bildungselemente, der Provinzialstände zu Centraiausschüssen! Wie beweist er also das wirkliche, nicht illusorische Dasein eines Centraiausschusses! Er sagt: „Wenn sie begründet wären, (die gegen die Zusammensetzung der Ausschüsse vorgebrachten Beschwerden) so würden sie auch auf die Provinzialstände ihre Anwendung finden." Allerdings, denn es wird ja eben behauptet, diese Elemente seien keine geeigneten Elemente zu einem centralen Ganzen. Der Verfasser kann doch damit seine Gegner nichl widerlegt glauben, daß er sich selbst ihre Einwendungen erst zum Bewußt sein bringt und formulirt? Statt sich damit zu begnügen, daß die Beschwerden gegen die Zusammen setzung der ständischen Ausschüsse, Beschwerden gegen die Zusammen setzung der Provinzialstände sind, mußte der Verfasser vielmehr nach weisen, in wie fern die Einwendungen gegen die Provinzialstände aufhören 278 Die „ A l l g e m e i ne Zeitung" über die ständischen Ausschüsse Einwendungen gegen die ständischen Ausschüsse zu sein. Der Verfasser mußte sich nicht fragen, wodurch die ständischen Ausschüsse einer zentra len Wirksamkeit nicht entsprechen, sondern er mußte sich fragen, wodurch sie zu einer zentralen Wirksamkeit befähigt sein sollen? Es ist in diesen 5 Blättern weitläufig und an konkreten Beispielen dargethan worden, wie wenig die Provinzialstände zu einer Betheiligung an der Gesetzgebung (be stehe sie nun in Beirath oder in der Beithat, was einen Unterschied in der Macht, aber keineswegs in der Fähigkeit der Landstände bilden kann) be rufen sind. Es kommt ferner hinzu, daß die Ausschüsse nicht einmal aus !0 den Provinziallandtagen als moralischen Personen, sondern vielmehr aus den in ihre mechanischen Theile aufgelösten Provinziallandtagen hervor gehen. Nicht der Landtag wählt, sondern die verschiedenen, isolirten Theile des Landtags wählen jeder für sich ihre Ausschuß-Deputirten. Diese Wahl beruht also auf einer mechanischen Auflösung des Landtagskörpers in seine 15 einzelnen Bestandtheile, auf einer itio in partes. Dadurch wird es möglich, daß nicht die Majorität, sondern die Minorität des Landtages in den Aus schüssen vertreten ist, denn ein Deputirter der Ritterschaft kann z.B. in seinem Stande die Majorität haben, so wenig er die Majorität des Landtags hat, da diese vielleicht eben durch das Hinzutreten der Minorität des Ritter- 20 Standes zu dem Stande der Städte oder der Bauern gebildet wird. Die Ein wendungen gegen die Zusammensetzung des Landtages fallen also nicht einfach, sondern verdoppelt auf die Ausschüsse zurück, indem hier der einzelne Stand dem Einfluß des Ganzen entzogen und in seine besondern Schranken zurückgetrieben wird. Doch wir sehen selbst hiervon ab. 25 Wir gehen von einer Thatsache aus, die der Verfasser unstreitig zugeben wird. Wir nehmen an, die Zusammensetzung der Provinzialstände ent spreche durchaus ihrer Bestimmung, also der Bestimmung, ihre besondern Provinzial-Interessen von dem Standpunkte ihrer besondern Standes interessen zu vertreten. Dieser Charakter der Landtage wird der Charakter 30 jeder ihrer Handlungen, also auch der Charakter ihrer Wahlen zu den Aus schüssen, wird der Charakter der Ausschußdeputirten selbst sein, denn ein Landtag, der seiner Bestimmung entspricht, wird doch wohl in seiner wichtigsten Handlung, wird doch wohl in den selbsterwählten Repräsen tanten seiner Bestimmung treu bleiben. Welches neue Element verwandelt 35 nun plötzlich die Vertreter der Provinzial-Interessen in Vertreter der Staats- Interessen und verleiht ihrer besondern Thätigkeit das Wesen einer all gemeinen Thätigkeit? Offenbar kein anderes Element, als der gemein schaftliche Ort der Zusammenkunft. Ist aber der blose abstrakte Raum im Stande, einem Manne von Charakter einen neuen Charakter zu geben und 40 sein geistiges Wesen chemisch zu zersetzen? Man würde dem materiellsten Mechanismus huldigen, wollte man dem blosen Räume eine solche organi- 279 Publizistische Arbeiten sirende Seele zumuthen, nun besonders, da in der Ausschußversammlung die vorhandene Besonderung auch räumlich anerkannt und dargestellt wird. Wir können nach dem Bisherigen die weiteren Gründe, womit unser Verfasser die Zusammensetzung der Ausschüsse rechtfertigen will, nur als Versuche zur Rechtfertigung der Zusammensetzung der Provinzial stände betrachten. Rheinische Zeitung. Nr. 365, 31. D e z e m b er 1842 * * Köln, 30. Dez. Der Lobredner der ständischen Ausschüsse in der Augs burger Allgemeinen Zeitung vertheidigt, wie wir in einem früheren Artikel gezeigt haben, nicht die Zusammensetzung der ständischen Ausschüsse, sondern die Zusammensetzung der Provinziallandtage. Es erscheint ihm „befremdlich, die Intelligenz als ein der ständischen Vertretung bedürftiges besonderes Element neben der Industrie und dem Grundeigenthum angeführt zu finden". Wir freuen uns, einmal mit dem Verfasser übereinstimmen und uns darauf beschränken zu können, seine Worte nicht zu widerlegen, sondern zu erklären. Worauf reduzirt sich diese Befremdung über jene Intelligenzgelüste? Die Intelligenz sei kein Element der ständischen Vertretung, oder glaubt man etwa, der questionirte Artikel behaupte nur, sie sei kein besonderes Element? Allein die ständische Ver tretung kennt nur besondere Elemente, die nebeneinander bestehen. Was also kein besonderes Element ist, ist kein Element der ständischen Ver tretung. Der questionirte Artikel bezeichnet ganz richtig die Art und Weise, wie die Intelligenz in eine ständische Vertretung tritt, als „die allgemeine Eigenschaft intelligenter Wesen", also nicht als besondere Eigenschaft der ständischen Vertreter, denn eine Eigenschaft, die ich mit allen gemein habe und in einem allen gemeinen Grade besitze, büdet nicht meinen Charakter, nicht meinen Vorzug, nicht mein besonderes Wesen. In einer Naturforscherversammlung genügt es nicht, die „allgemeine Eigenschaft" eines intelligenten Wesens zu theilen, aber in einer Ständeversammlung genügt es, die Intelligenz als eine allgemeine Eigenschaft zu besitzen, zu dem naturgeschichtlichen Genius der „intelligenten Wesen" zu gehören. Zu dem Landstand muß die Intelligenz als allgemeine menschliche Eigen schaft, aber zu dem Menschen muß nicht die Intelligenz als besondere landständische Eigenschaft hinzutreten, das heißt, die Intelligenz macht den Menschen nicht zum Landstand, sondern sie macht den Landstand nur zum Menschen. Daß damit der Intelligenz keine besondere Stellung auf dem Landtag eingeräumt ist, wird unser Verfasser zugeben. Jede Zeitungs- 280 Die „ A l l g e m e i ne Zeitung" über die ständischen A u s s c h ü s se annonce ist eine Thatsache der Intelligenz. Wer wollte deshalb in den Annoncen die Repräsentanten der Literatur aufsuchen? Der Acker kann nicht sprechen, sondern nur der Ackerbesitzer. Der Acker muß daher in einer intelligenten Form auftreten, um sich geltend zu machen; die Wün- 5 sehe, die Interessen sprechen nicht, sondern nur der Mensch spricht; ver liert deshalb Acker, Interesse, Wunsch seine Beschränktheit, weil er als menschliches Wesen, als intelligentes Wesen sich geltend machte? Es han delt sich nicht um die bloße Form, es handelt sich um den Inhalt der Intelli genz. Wenn die Intelligenz, was wir dem Verfasser gerne zugeben, nicht 10 nur keiner ständischen Vertretung, sondern sogar einer nichtständischen Vertretung bedarf, so bedarf umgekehrt die ständische Vertretung der Intelligenz, aber nur einer sehr beschränkten Intelligenz, wie jeder Mensch so viel Verstand nöthig hat, als hinreicht, seine Absichten und Interessen durchzusetzen, wodurch noch keineswegs seine Absichten und Interessen 15 zu Absichten und Interessen „des Verstandes" werden. Die nützliche Intelligenz, die für ihren Heerd kämpft, unterscheidet sich wohl von der freien Intelligenz, die trotz ihrem Heerd das Rechte durch zukämpfen weiß. Es ist eine andere Intelligenz, die einem bestimmten Zwecke, einem bestimmten Stoffe dient, und es ist eine andere Intelligenz, 20 die jeden Stoff beherrscht und nur sich selbst dient. Der Verfasser will also nur sagen: die Intelligenz ist keine ständische Eigenschaft; er fragt nicht, ob der Stand eine intelligente Eigenschaft ist! Er tröstet sich damit, daß die Intelligenz eine allgemeine Eigenschaft des Standes, aber er versagt uns den tröstlichen Beweis, daß der Stand eine 25 besondere Eigenschaft der Intelligenz ist! Es ist ganz konsequent, nicht nur nach den Prinzipien unseres Verfassers, sondern nach den Prinzipien der ständischen Vertretung, wenn er die Frage nach dem Recht der Vertretung „der Intelligenz" auf den Landtagen in die Frage nach dem Recht der Vertretung der gelehrten Stände, der Stände, 30 welche die Intelligenz monopolisti haben, der Intelligenz, welche ständig geworden ist, verwandelt. Unser Verfasser hat Recht, insofern bei einer ständischen Vertretung auch nur von einer standgewordenen Intelligenz die Rede sein kann, aber er hat Unrecht, indem er das Recht der gelehrten Stände nicht anerkennt, denn wo das Ständeprinzip herrscht, müssen alle 35 Stände vertreten werden. Wie er aber darin irrt, daß er Geistliche, Lehrer, Privatgelehrte ausschließt, und sogar Advokaten, Aerzte etc. nicht einmal als fragliche Subjekte erwähnt, so verkennt er das Wesen der ständischen Vertretung gänzlich, wenn er die zur Regierung gehörigen „Staatsdiener" in gleiche Reihe mit den oben benannten ständigen Gelehrten stellt. Die 40 Regierungsbeamten sind in einem ständischen Staat die Repräsentanten der Staatsinteressen als solcher, stehen also den Repräsentanten der stän- 281 Publizistische Arbeiten dischen Privatinteressen feindlich gegenüber. So wenig Regierungsbeamte in einer Volksrepräsentation ein Widerspruch sind, so sehr sind sie es in einer ständischen Repräsentation. 5 Der questionirte Artikel sucht weiter nachzuweisen, daß das Grund eigenthum in der französischen und englischen Verfassung eben so sehr, wenn nicht noch mehr vertreten sei, als in der preußischen Ständever fassung. Wäre dem wirklich so, hört ein Mangel dadurch auf, ein Mangel in Preußen zu sein, daß er auch in England und Frankreich existirt? Wir wollen nicht ausführen, wie gänzlich unzulässig diese Vergleichung schon darum, weil die französischen und englischen Deputirten nicht als Vertreter 10 des Grundbesitzes, sondern als Volksvertreter gewählt werden, und was die besonderen Interessen betrifft, z.B. ein Fould Vertreter der Industrie bleibt, obschon er in irgend einem Winkel von Frankreich eine verhältniß- mäßig unbedeutende Grundsteuer zahlt. Wir wollen nicht wiederholen, worauf wir in unserm ersten Artikel hingewiesen, wie das Prinzip der stän- 15 dischen Vertretung das Prinzip der Vertretung des Grundbesitzes aufhebe und umgekehrt von ihm aufgehoben werde, wie also weder wirkliche Ver tretung des Grundbesitzes, noch wirkliche Ständevertretung, sondern nur eine inkonsequente Amalgamirung beider Prinzipien stattfinde. Wir wollen nicht weiter den Grundfehler der Vergleichung selbst verfolgen, der die 20 verschiedenen Zahlen für England und Frankreich und Preußen ohne die nöthige Beziehung auf die verschiedenen Verhältnisse dieser Länder auf greift. Wir heben nur den einen Gesichtspunkt hervor, daß in Frankreich und England veranschlagt wird, was der Staat vom Grundeigenthum genießt und welche Lasten der Besitzer trägt, während umgekehrt in Preußen z. B. 25 bei den meisten Rittergütern und den Mediatisirten in Anschlag kommt, wie frei sie von den Staatslasten sind und wie unabhängig ihr Privatgenuß ist. Nicht, was einer hat, sondern, was er für den Staat hat, nicht der Besitz, sondern gleichsam die Staatsthätigkeit des Besitzes verleiht in Frankreich und England, deren Systemen wir übrigens keineswegs beipflichten, das 30 Recht der Repräsentation. Der Verfasser sucht ferner zu beweisen, daß das große Grundeigenthum nicht unverhältnißmäßig gegen das kleine Grundeigenthum vertreten sei. In Bezug hierauf, wie auf den eben besprochenen Punkt, verweisen wir auf die Schrift: „Ueber die ständische Verfassung in Preußen" (Stuttgart und 35 Tübingen Verlag der Cotta'sehen Buchhandlung) und Ludwig Buhl's Schrift über die preußischen Provinzialstände. Wie wenig aber, vom Unterschied des großen und kleinen Eigenthums abgesehn, eine richtige Vertheilung stattfindet, mögen folgende Beispiele veranschaulichen. Die Stadt Berlin hat einen Grundwerth von hundert Mülionen Thalern und die Rittergüter 40 der Mark Brandenburg nur einen von 90 Millionen Thalern, und doch 282 r Die „ A l l g e m e i ne Zeitung" über die ständischen A u s s c h ü s se schickt die erstere nur drei, während die Besitzer der letztern 20 Deputirte aus ihrer Mitte wählen. Selbst unter den Städten ist die Vertheilung nach dem angenommenen Maßstabe des Grundbesitzes nicht konsequent fest gehalten. Potsdam beschickt den Landtag mit einem Deputirten, obgleich 5 der Werth seiner Grundstücke kaum den 10. Theil der in Berlin befind lichen erreichen mag. In Potsdam kommt ein Deputirter auf 30,000 und in Berlin auf 100,000 Einwohner. Noch greller ist der Kontrast, wenn man die kleineren Städte, denen man aus historischen Gründen eine Virilstimme bewilligt hat, mit der Hauptstadt vergleicht. 10 Um übrigens die wahren Verhältnisse der Intelligenzvertretung und der ständischen Vertretung des Grundeigenthums festzusetzen, kehren wir noch einmal zu dem klassischen Hauptsatz zurück, zu der oben angeführten berechtigten Befremdung „die Intelligenz als ein der ständischen Vertretung bedürftiges besonderes Element neben der Industrie und dem Grundeigen- 15 thum angeführt zu finden". Der Verfasser sucht mit Recht die Quelle der Provinzialstände nicht in einer Staatsnothwendigkeit und betrachtet sie nicht als ein Staatsbedürfniß, sondern als ein Bedürfniß der Sonderinteressen gegen den Staat. Nicht die organische Staatsvernunft, sondern die Nothdurft der Privatinteressen ist 20 der Baumeister der ständischen Verfassung und allerdings die Intelligenz ist kein bedürftiges, egoistisches Interesse, ist das allgemeine Interesse. Eine Vertretung der Intelligenz in einer Ständeversammlung ist also ein Widerspruch, eine ungereimte Forderung. Wir machen übrigens den Ver fasser auf die Konsequenzen aufmerksam, die so unvermeidlich sind, wenn 25 man die Bedürftigkeit zum Prinzip der Volksvertretung macht, daß unser Verfasser selbst einen Augenblick vor ihnen zurückschreckt und nicht nur bestimmte Forderungen von Seiten der Vertretung der Sonderinteressen, sondern die Forderung dieser Vertretung selbst zurückweist. Entweder ist nämlich das Bedürfniß wirklich, und dann ist der Staat 30 unwirklich, weil er Sonderelemente hegt, die in ihm nicht ihre gerechte Befriedigung finden, sich daher neben ihm als besondere Körper konstituiren und in ein Transaktionsverhältniß zu ihm treten müssen, oder das Bedürfniß ist wirklich im Staate befriedigt, also seine Vertretung gegen den Staat entweder illusorisch oder gefährlich. Der Verfasser wirft sich einen Augen- 35 blick auf die Seite der Illusion. Er bemerkt in Bezug auf die Industrie, daß, wenn sie selbst auf den Landtagen nicht hinlänglich vertreten wäre, ihr doch Wege genug blieben, ihre Interessen im Staate und bei der Regierung geltend zu machen. Er behauptet also, die ständische Vertretung, die Ver tretung nach dem Prinzip der Bedürftigkeit sei eine Illusion, weil die Bedürf te tigkeit selbst eine illusorische sei. Was nämlich von dem Stand der Industrie, gilt von allen Ständen, gilt aber von dem Stand des Grundeigenthums in 283 Publizistische Arbeiten einem noch höheren Grade, als von der Industrie, denn er ist schon durch den Landrath, die Kreisstände u. s.w., also durch völlig konstituirte Staats organe vertreten. 5 Es versteht sich nach dem bisherigen von selbst, daß wir nicht nur nicht in die Klagen über die beschränkte Geschäftsordnung der Ausschüsse ein- stimmen können, sondern im Gegentheil, gegen jede Erweiterung derselben als staatswidrig ernstlich protestiren müßten. Eben so verkehrt ist der Liberalismus, der die Intelligenz auf dem Landtag vertreten sehen will. Die Intelligenz ist nicht nur kein besonderes Element der Vertretung, sie ist überhaupt kein Element, sondern ein Prinzip, das an keiner elementarischen 10 Zusammensetzung Theü zu nehmen, sondern nur eine Gliederung aus sich selbst zu erschaffen vermag. Es kann von der Intelligenz nicht als einem integrirenden Theile, es kann von ihr nur als der organisirenden Seele die Rede sein. Es handelt sich hier nicht um eine Ergänzung, sondern um einen Gegensatz. Es fragt sich: „intelligente Vertretung" oder „ständische Ver- 15 tretung". Es fragt sich, ob das besondere Interesse die politische Intelligenz, oder ob die politische Intelligenz die besonderen Interessen vertreten soll. Die politische Intelligenz wird z.B. das Grundeigenthum nach den Staats maximen, aber sie wird nicht die Staatsmaximen nach dem Grundeigenthum regeln, sie wird das Grundeigenthum nicht nach seinem Privategoismus, 20 sondern nach seiner Staatsnatur geltend machen, sie wird nicht nach diesem besondern Wesen das allgemeine Wesen, sondern sie wird nach dem all gemeinen dies besondere Wesen bestimmen. Das repräsentirende Grund eigenthum dagegen richtet sich nicht nach der Intelligenz, sondern es richtet die Intelligenz nach sich, gleich dem Uhrmacher, der seine Uhr nicht nach 25 der Sonne, sondern die Sonne nach seiner Uhr richten wollte. Die Frage resumirt sich in zwei Worte: Soll das Grundeigenthum die politische Intelli genz, oder soll die politische Intelligenz das Grundeigenthum critisiren und beherrschen? Für die Intelligenz gibt es nichts Aeußerliches, weil sie die innere be- 30 stimmende Seele von allem ist, während umgekehrt für ein bestimmtes Element, wie das Grundeigenthum alles äußerlich ist, was nicht es selbst ist. Nicht nur die Zusammensetzung des Landtags, sondern auch seine Hand lungen sind daher mechanisch, denn er muß sich zu allen allgemeinen und selbst zu den von ihm verschiedenen besonderen Interessen, als einem 35 Ungehörigen und Fremden verhalten. Alles Besondere, wie das Grundeigen thum, ist an sich beschränkt. Es muß also als Beschränktes, d. h. von einer allgemeinen, über ihm stehenden Macht behandelt werden, aber es kann die allgemeine Macht nicht nach seinen Bedürfnissen behandeln. Die Landtage sind durch ihre eigenthümliche Zusammensetzung nichts 40 als eine Gesellschaft von Sonderinteressen, die das Privilegium haben, 284 Die „ A l l g e m e i ne Zeitung" über die ständischen Ausschüsse ihre besondern Schranken gegen den Staat geltend zu machen, also eine berechtigte Selbstkonstituirung unstaatlicher Elemente im Staate. Sie sind also ihrem Wesen nach dem Staat feindlich gesinnt, denn das Be sondere ist in seiner isolirten Thätigkeit immer ein Feind des Ganzen, denn 5 eben dies Ganze gibt ihm das Gefühl seiner Nichtigkeit, weil seiner Schran ken. Wäre diese politische Verselbstständigung der Sonderinteressen eine Staatsnothwendigkeit, so wäre sie nur die Erscheinung von einer innern Krankheit des Staats, wie ein ungesunder Körper in Polypen nach Natur- 10 gesetzen ausschlagen muß. Man müßte sich zu einer der beiden Ansichten entschließen, entweder daß die Sonderinteressen, sich überhebend und dem politischen Staatsgeist entfremdet, den Staat beschränken wollen, oder daß der Staat sich in der Regierung allein concentrirt und dem beschränkten Volksgeiste als Entschädigung blos eine Sphäre zur Ventilirung seiner 15 Sonderinteressen einräumt. Man könnte endlich beide Ansichten zusammen fassen. Soll das Verlangen nach einer Vertretung der Intelligenz also Sinn haben, so müssen wir es auslegen, als das Verlangen nach bewußter Ver tretung der Volksintelligenz, die nicht einzelne Bedürfnisse gegen den Staat geltend machen will, sondern deren höchstes Bedürfniß es ist, den 20 Staat selbst, und zwar als ihre That, als ihren eigenen Staat geltend zu machen. Vertreten werden ist überhaupt etwas Leidendes; nur das Mate rielle, Geistlose, Unselbstständige, Gefährdete bedarf einer Vertretung; aber kein Element des Staates darf materiell, geistlos, unselbstständig, gefährdet sein. Die Vertretung darf nicht als die Vertretung irgend eines Stoffes, der 25 nicht das Volk selbst ist, sondern nur als seine Selbstvertretung begriffen werden, als eine Staatsaktion, die, nicht seine einzige, ausnahmsweise Staatsaktion, sich nur durch die Allgemeinheit ihres Inhalts von den übrigen Aeußerungen seines Staatslebens unterscheidet. Die Vertretung darf nicht als eine Konzession an die schutzlose Schwäche, an die Ohnmacht, son- 30 dem muß vielmehr als die selbstgewisse Lebendigkeit der höchsten Kraft betrachtet werden. In einem wahren Staate gibt es kein Grundeigenthum, keine Industrie, keinen materiellen Stoff, die als solche rohe Elemente mit dem Staat ein Abkommen treffen könnten, es gibt nur geistige Mächte und nur in ihrer staatlichen Auferstehung, in ihrer politischen Wiedergeburt 35 sind die natürlichen Mächte stimmfähig im Staate. Der Staat durchzieht die ganze Natur mit geistigen Nerven und an jedem Punkt muß es erschei nen, daß nicht die Materie, sondern die Form, nicht die Natur ohne den Staat, sondern die Staatsnatur, nicht der unfreie Gegenstand, sondern der freie Mensch dominirt. 285 Über Adolph Stahr Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Die Redaction bezeugt, daß der Verfasser, einer der ersten deutschen Philologen, nie Dramen geschrieben hat. Rheinische Zeitung. Nr. 352, 18. D e z e m b er 1842. Beiblatt 286 Der Ehescheidungsgesetzentwurf Rheinische Zeitung. Nr. 353, 19. D e z e m b er 1842 * * Köln, 18. Dez. Die „Rheinische Zeitung" hat in Bezug auf den Eheschei dungsgesetzentwurf eine gänzlich isolirte Stellung eingenommen, deren Unhaltbarkeit ihr bis jetzt von keiner Seite nachgewiesen worden ist. Die „Rheinische Zeitung" stimmt mit dem Entwürfe überein, so weit sie die 5 bisherige preußische Ehegesetzgebung für unsittlich, die bisherige Unzahl und Frivolität der Scheidungsgründe für unzulässig, die bisherige Prozedur nicht der Würde des Gegenstandes angemessen findet, was übrigens von dem ganzen altpreußischen Gerichtsverfahren gelte. Dagegen machte die Rheinische Zeitung gegen den neuen Entwurf folgende Haupteinwendun- 10 gen: 1) Daß an die Stelle einer Reform eine blose Revision getreten, also das preußische Landrecht als Fundamentalgesetz beibehalten worden, wodurch eine große Halbheit und Unsicherheit entstanden sei; 2) daß die Ehe nicht als sittliche, sondern als religiöse und kirchliche Institution von der Gesetzgebung behandelt, also das weltliche Wesen der Ehe verkannt 15 worden sei; 3) daß die Prozedur sehr mangelhaft und eine äußerliche Kom position widersprechender Elemente sei; 4) daß einerseits polizeiliche, dem Begriff der Ehe widersprechende Härten, andererseits eine zu große Nachgiebigkeit gegen die sogenannten Billigkeits-Gründe nicht zu verken nen seien; 5) daß die ganze Fassung des Entwurfes an logischer Konse- 20 quenz, Präzision, Klarheit und durchgreifenden Gesichtspunkten viel zu wünschen übrig lasse. So weit die Gegner des Entwurfes einen dieser Mängel rügen, stimmen wir daher mit ihnen überein, können dagegen ihre unbedingte Apologie des früheren Systems keineswegs billigen. Wir wiederholen noch einmal unsern 25 früher ausgesprochenen Satz: „Wenn die Gesetzgebung die Sittlichkeit nicht verordnen, so kann sie noch weniger die Unsittlichkeit als zu Recht gültig anerkennen." Fragen wir, worauf das Raisonnement dieser Gegner (die nicht Gegner der kirchlichen Auffassung und der andern angegebenen Mängel sind) fußt, so sprechen sie uns beständig von dem Unglücke der 30 wider ihren Willen gebundenen Ehegatten. Sie stellen sich auf einen eudä- 287 Publizistische Arbeiten monistischen Standpunkt, sie denken nur an die zwei Individuen, sie ver gessen die Familie, sie vergessen, daß beinahe jede Ehescheidung eine Familienscheidung ist, und selbst rein juristisch betrachtet, die Kinder und ihr Vermögen nicht von dem willkürlichen Belieben und seinen Einfällen abhängig gemacht werden können. Wäre die Ehe nicht die Basis der Familie, 5 so wäre sie eben so wenig Gegenstand der Gesetzgebung, als es etwa die Freundschaft ist. Jene berücksichtigen also nur den individuellen Willen oder richtiger die Willkür der Ehegatten, aber sie berücksichtigen nicht den Willen der Ehe, die sittliche Substanz dieses Verhältnisses. Der Gesetz geber aber hat sich wie ein Naturforscher zu betrachten. Er macht die 10 Gesetze nicht, er erfindet sie nicht, er formulirt sie nur, er spricht die innern Gesetze geistiger Verhältnisse in bewußten positiven Gesetzen aus. Wie man es nun als die maßloseste Willkür dem Gesetzgeber vorwerfen müßte, sobald er an die Stelle des Wesens der Sache seine Einfälle treten ließe, so hat doch wohl der Gesetzgeber nicht minder das Recht, es als die maß- 15 loseste Willkür zu betrachten, wenn Privatpersonen ihre Kapricen gegen das Wesen der Sache durchsetzen wollen. Niemand wird gezwungen, eine Ehe zu schließen; aber jeder muß gezwungen werden, sobald er eine Ehe schließt, sich zum Gehorsam gegen die Gesetze der Ehe zu entschließen. Wer eine Ehe schließt, der macht, der erfindet die Ehe nicht, so wenig als 20 ein Schwimmer die Natur und die Gesetze des Wassers und der Schwere erfindet. Die Ehe kann sich daher nicht seiner Willkür, sondern seine Will kür muß sich der Ehe fügen. Wer willkürlich die Ehe bricht, der behauptet, die Willkür, das Gesetzlose ist das Gesetz der Ehe, denn kein Vernünftiger wird die Anmaßung besitzen, seine Handlungen für privüegirte Handlun- 25 gen, für Handlungen zu halten, die ihm allein zustehen, wird sie vielmehr für gesetzmäßige, allen zustehende Handlungen ausgeben. Wogegen oppo- nirt ihr aber? Gegen Gesetzgebungen der Willkür, aber ihr werdet doch nicht in demselben Momente die Willkür zum Gesetze machen wollen, wo ihr den Gesetzgeber der Willkür anklagt. 30 Hegel sagt: An sich, dem Begriffe nach, sei die Ehe untrennbar, aber nur an sich, d.h. nur ihrem Begriffe nach. Es ist damit nichts Eigenthümliches über die Ehe gesagt. Alle sittlichen Verhältnisse sind ihrem Begriff nach unauflöslich, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man ihre Wahrheit voraussetzt. Ein wahrer Staat, eine wahre Ehe, eine wahre Freundschaft 35 sind unauflöslich, aber kein Staat, keine Ehe, keine Freundschaft ent sprechen durchaus ihrem Begriff, und wie die wirkliche Freundschaft sogar in der Familie, wie der wirkliche Staat in der Weltgeschichte, so ist die wirkliche Ehe im Staate auflösbar. Keine sittliche Existenz entspricht, oder muß wenigstens nicht ihrem Wesen entsprechen. Wie nun in der 40 Natur von selbst die Auflösung und der Tod da erscheint, wo ein Dasein 288 Der Ehescheidungsgesetzentwurf seiner Bestimmung durchaus nicht mehr entspricht, wie die Weltgeschichte entscheidet, ob ein Staat so sehr mit der Idee des Staates zerfallen ist, daß er nicht weiter zu bestehen verdient, so entscheidet der Staat, unter welchen Bedingungen eine existirende Ehe aufgehört hat, eine Ehe zu sein. Die 5 Ehescheidung ist nichts als die Erklärung: diese Ehe ist eine gestorbene Ehe, deren Existenz nur Schein und Trug ist. Es versteht sich von selbst, daß weder die Willkür des Gesetzgebers, noch die Willkür der Privat personen, sondern nur das Wesen der Sache entscheiden kann, ob eine Ehe gestorben ist oder nicht, denn eine Todeserklärung hängt bekannter- 10 maßen vom Thatbestand und nicht von den Wünschen der betheiligten Parteien ab. Wenn ihr aber bei dem physischen Tod prägnante unverkenn bare Beweise verlangt, sollte nicht der Gesetzgeber nur nach den untrüg lichsten Symptomen einen sittlichen Tod konstatiren dürfen, da das Leben der sittlichen Verhältnisse zu konserviren, nicht nur sein Recht, sondern 15 auch seine Pflicht, die Pflicht seiner Selbsterhaltung ist! Die Sicherheit, daß die Bedingungen, unter denen die Existenz eines sittlichen Verhältnisses seinem Wesen nicht mehr entspricht, treu, dem Stande der Wissenschaft und der allgemeinen Einsicht angemessen, ohne vorgefaßte Meinungen konstatirt werden, wird allerdings nur dann vor- 20 handen sein, wenn das Gesetz der bewußte Ausdruck des Volkswillens, also mit ihm und durch ihn geschaffen ist. Ueber die Erleichterung oder Erschwerung der Ehescheidung fügen wir noch ein Wort hinzu: Haltet ihr einen Naturkörper für gesund, für fest, für wahrhaft organisirt, wenn jeder äußere Anstoß, jede Verletzung ihn aufheben wird? Würdet ihr euch nicht 25 für beleidigt halten, wenn man als Axiom aufstellte, eure Freundschaft könne den kleinsten Zufällen nicht widerstehen und müsse vor jeder Grille sich auflösen? Der Gesetzgeber kann aber hinsichtlich der Ehe nur be stimmen, wann sie aufgelöst werden darf, also ihrem Wesen nach aufgelöst ist. Die richterliche Auflösung kann nur eine Protokollirung der innern 30 Auflösung sein. Der Gesichtspunkt des Gesetzgebers ist der Gesichtspunkt der Nothwendigkeit. Der Gesetzgeber ehrt also die Ehe, erkennt ihr tiefes sittliches Wesen an, wenn er sie für mächtig genug hält, viele Collisionen bestehen zu können, ohne sich selber einzubüßen. Die Weichheit gegen die Wünsche der Individuen würde in eine Härte gegen das Wesen der Indi- 35 viduen, gegen ihre sittliche Vernunft, die sich in sittlichen Verhältnissen verkörpert, umschlagen. Schließlich können wir es nur eine Uebereilung nennen, wenn die Länder der strengen Ehescheidung, zu denen das Rheinland stolz ist sich zu zählen, von manchen Seiten der Heuchelei beschuldigt werden. Nur ein Gesichts- 40 kreis, der über die ihn umgebende Sittenverderbniß nicht hinausreicht, kann dergleichen Anschuldigungen wagen, die man z.B. in der Rhein-Provinz 289 Publizistische Arbeiten lächerlich findet und höchstens als einen Beweis hinnimmt, wie selbst die Vorstellung sittlicher Verhältnisse verloren gehen und jede sittliche That- sache als ein Mährchen und eine Lüge verstanden werden kann; was die unmittelbare Consequenz solcher Gesetze ist, welche nicht die Hoch achtung vor dem Menschen diktirt hat, ein Fehler, der dadurch nicht auf gehoben wird, daß man von der materiellen Verachtung zu der ideellen Verachtung übergeht und statt der bewußten Unterwerfung unter sittlich natürliche Mächte, einen bewußtlosen Gehorsam gegen eine übersittliche und übernatürliche Autorität verlangt. 290 Das Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" für den preußischen Staat Rheinische Zeitung. Nr. 1, I.Januar 1843 * Köln, 31. Dez. Die deutsche Presse beginnt das neue Jahr unter scheinbar trüben Auspizien. Das so eben erfolgte Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" für die preußischen Staaten widerlegt wohl schlagend genug alle selbstgefälligen Träume der Leichtgläubigen von den großen Konzessionen 5 der Zukunft. Da die Leipziger Allgemeine Zeitung, die unter sächsischer Censur erscheint, wegen ihrer Besprechung der preußischen Angelegen heiten verboten wird, so wird damit zugleich die Hoffnung einer censur- freien Besprechung unserer innern Angelegenheiten verboten. Das ist eine faktische Konsequenz, die Niemand ableugnen wird. 10 Die Hauptvorwürfe, die gegen die Leipziger Allgemeine Zeitung verlaut- barten, waren ungefähr folgende: „Sie bringe Gerücht auf Gerücht, und hinterher erweise sich mindestens die Hälfte als falsch. Zudem halte sie sich nicht an die Thatsachen, sondern spähe nach den Triebfedern; und wie falsch ihr Urtheil hier oftmals auch sei, immer spreche sie dasselbe mit dem 15 Pathos der Unfehlbarkeit und oft mit der gehässigsten Leidenschaft aus. Ihr Treiben sei unstät, ,indiskret', ,unfertig', mit einem Worte ein schlechtes Treiben." Angenommen, diese Anschuldigungen seien sämmtlich begründet, sind es Anschuldigungen gegen den willkürlichen Charakter der „Leipziger 20 Allgemeinen Zeitung" oder sind es nicht vielmehr Anschuldigungen gegen den nothwendigen Charakter der eben erst entstehenden jungen Volks presse?Handelt es sich nur um die Existenz einer gewissen Art von Presse, oder handelt es sich um die Nichtexistenz der wirklichen Presse, d. h. der Volkspresse? 25 Die französische, die englische, jede Presse hat in derselben Art und Weise begonnen, wie die deutsche Presse, und jede dieser Pressen hat dieselben Vorwürfe verdient und erhalten. Die Presse ist nichts und soll nichts sein, als das laute, freilich „oft leidenschaftliche und im Ausdruck übertreibende und fehlgreifende tägliche Denken und Fühlen eines wirklich 30 als Volk denkenden Volkes". Daher ist sie, wie das Leben immer werdend, 291 Publizistische Arbeiten nie fertig. Sie steht im Volke und fühlt all sein Hoffen und sein Fürchten, sein Lieben und sein Hassen, seine Freuden und seine Leiden ehrlich mit. Was sie hoffend und fürchtend erlauscht, verkündet sie laut und urtheilt darüber heftig, leidenschaftlich, einseitig, wie ihr Gemüth und Gedanken eben im Augenblicke bewegt sind. Das Irrige in Thatsachen und Urtheilen, was sie heute brachte, wird sie morgen widerlegen. Sie ist die eigentliche „naturwüchsige" Politik, die ihre Gegner ja sonst zu lieben pflegen. Die Vorwürfe, die in letzten Tagen in einem Athem der jungen „Presse" gemacht wurden, hoben sich wechselseitig auf. Seht, sagte man, welche feste, gehaltene, bestimmte Politik haben englische und französische Blätter. Sie basiren auf dem wirklichen Leben, ihre Ansicht ist die Ansicht einer vorhandenen fertigen Macht, sie doktriniren das Volk nicht, sie sind die wirklichen Doktrinen des Volkes und seiner Parteien. Ihr aber sprecht nicht die Gedanken, die Interessen des Volkes aus, ihr macht sie erst oder schiebt sie ihm vielmehr unter. Ihr schafft den Parteigeist. Ihr seid nicht seine Schöpfungen. So wird es der Presse zum Vorwurf gemacht, bald daß keine politischen Parteien bestehen, bald daß sie diesem Mangel abhelfen und politische Parteien schaffen will. Aber es versteht sich von selbst. Wo die Presse jung ist, ist der Volksgeist jung und das tägliche laute politische Denken eines eben erst erwachenden Volksgeistes wird unfertiger, form loser, übereilter sein, als das eines Volksgeistes, der in politischen Kämpfen groß und stark und selbstgewiß geworden ist. Vor allem das Volk, dessen politischer Sinn erst erwacht, fragt weniger nach der faktischen Richtigkeit dieser oder jener Begebenheit, als nach ihrer sittlichen Seele, mit welcher sie wirkt; Thatsache oder Fabel, sie bleibt eine Verkörperung der Gedanken, Befürchtungen, Hoffnungen des Volks, ein wahres Mährchen. Das Volk sieht dies sein Wesen in dem Wesen seiner Presse abgespiegelt und wo es dies nicht sähe, würde es sie als ein Unwesentliches keiner Theilnahme würdigen, denn ein Volk läßt sich nicht betrügen. Mag sich daher die junge Presse täglich kompromittiren, mögen schlechte Leidenschaften in sie eindringen, das Volk erblickt in ihr seinen eigenen Zustand, und weiß, daß trotz allem Gift, was die Bosheit oder der Unverstand herbeischleppt, ihr Wesen immer wahr und rein bleibt und das Gift in ihrem immer bewegten, immer vollen Strome zur Wahrheit und zur heilsamen Arznei wird. Es weiß, daß seine Presse seine Sünden trägt, sich für es erniedrigt und zu seinem Ruhme, auf Vornehmigkeit, Suffisance und Unwiderleglichkeit verzich tend, die Rose des sittlichen Geistes innerhalb der Dornen der Gegenwart darstellt. Wir müssen also die Vorwürfe, die man der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" gemacht hat, als Vorwürfe gegen die junge Volkspresse, also gegen die wirkliche Presse betrachten, denn es versteht sich von selbst, 292 Das Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" daß die Presse nicht wirklich werden kann, ohne ihre notwendigen, in ihrem Wesen begründeten Entwicklungsstadien durchzumachen. Wir müssen aber die Verwerfung der Volkspresse für eine Verwerfung des politischen Volksgeistes erklären. Und dennoch haben wir im Beginn unseres Artikels die Auspicien der deutschen Presse als scheinbar trübe bezeichnet. Und so ist es, denn der Kampf gegen ein Dasein ist die erste Form seiner Anerkennung, seiner Wirklichkeit und seiner Macht. Und nur der Kampf kann sowohl die Regierung, als das Volk, als die Presse selbst von der wirklichen und nothwendigen Berechtigung der Presse über zeugen. Nur er kann zeigen, ob sie eine Konzession oder eine Nothwendig keit, eine Illusion oder eine Wahrheit ist. 293 Zur Polemik der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 3, 3. Januar 1843 * Die „Augsburgerin " ist in jenes Stadium getreten, wo das schöne Ge schlecht die Jugend selbst nicht mehr zu heucheln wagt und nun den Schwestern nichts Erschrecklicheres vorzuwerfen weiß, als eben die Jugend. In Nr. 360 hat indessen der Altersthermometer die ehrwürdige Sibylle wunderlich irre geführt. Sie spricht von der Kühlung des „jungen Müthchens" der Rheinischen Zeitung bei Gelegenheit eines Korrespon denten, der zufälligerweise ein Sechziger ist und ein Testimonium seiner Jugend schwerlich in den Spalten der Augsburger Allgemeinen Zeitung zu finden gedachte. Aber so geht's! Bald ist die Freiheit zu alt, bald ist sie zu jung, niemals ist sie an der Tagesordnung, wenigstens nicht an der Tages ordnung der Augsburger Allgemeinen Zeitung, von der das Gerücht immer entschiedner behauptet, daß sie zu Augsburg erscheint. 294 Ankündigung der „Rechtfertigung des f t-Korrespondenten von der Mosel" Rheinische Zeitung. Nr. 3, 3. Januar 1843 * Köln, 2. Jan. Da die „Berichtigungen" des Herrn Oberpräsidenten von Schaper und die verlangten Erklärungen der Rheinischen Zeitung vielfach von der Presse ventilirt worden, so sehen wir uns veranlaßt, zu erklären, daß in der nächsten Woche unsere Antwort, deren Verzögerung nur durch viele nothwendig gewordene Nachforschungen verursacht war, erfolgen wird. 295 Rechtfertigung d es tt-Korrespondenten von der Mosel Abschnitt A und Β Rheinische Zeitung. Nr. 15, 15. Januar 1843 tt Von der Mosel, im Jan. Die Nro. 346 und Nro. 348 der „Rheinischen Zeitung" enthalten zwei Artikel von mir, wovon der eine die Holznoth an der Mosel, der andere die besondere Theilnahme der Mosellaner an der königlichen Kabinetsordre vom 24. Dezember 1841 und der durch sie be wirkten freieren Bewegung der Presse betrifft. Der letzte Artikel ist in 5 grobe und wenn man will, rohe Farben getaucht. Wer unmittelbar und häufig die rücksichtslose Stimme der Noth in der umgebenden Bevölkerung vernimmt, der verliert leicht den ästhetischen Takt, welcher in den feinsten und bescheidensten Bildern zu sprechen weiß, der hält es vielleicht sogar für seine politische Pflicht, auf einen Augenblick öffentlich jene populäre 10 Sprache der Noth zu führen, welche er in seiner Heimath zu verlernen keine Gelegenheit fand. Handelt es sich nun aber darum, die Wahrheit solcher Worte zu beweisen, so kann wohl schwerlich der Beweis bis auf den Wort laut gemeint sein, denn in dieser Rücksicht würde jedes Resumé unwahr sein und es wäre überhaupt unmöglich, den Sinn einer Rede wiederzugeben, 15 ohne die Rede selbst zu wiederholen. Wurde also z.B. behauptet: „Man hielt den Nothschrei der Winzer für freches Gekreisch", so wird billiger Weise nur verlangt werden können, daß eine ungefähr richtige Gleichung gezogen sei, d. h„ daß ein Gegenstand nachgewiesen werde, der die resu- mirende Bezeichnung „freches Gekreisch" einigermaßen aufwiegt und zu 20 einer nicht unpassenden Bezeichnung macht. Ist diese Probe geliefert, so kann es sich nicht mehr um die Wahrheit, sondern nur mehr um die sprach liche Precision handeln, und schwerlich möchte ein mehr als problemati sches Urtheil über die verschwindend-feinen Nuancen des sprachlichen Ausdrucks gefällt werden können. — 25 Zu vorstehenden Bemerkungen veranlassen mich zwei Reskripte des Herrn Oberpräsidenten von Schaper'm Nro. 352 der „Rheinischen Zeitung", d. d. Koblenz, 15. Dez., worin mir in Bezug auf meine beiden oben angeführ ten Artikel mehre Fragen auferlegt werden. Die verspätete Erscheinung meiner Antwort ist zunächst durch den Inhalt dieser Fragen selbst ver- 30 296 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β anlaßt, indem ein Zeitungskorrespondent nach bestem Gewissen die ihm zu Ohren kommende Volksstimme mittheilt, keineswegs aber auf ihre er schöpfende und motivirte Darstellung im Detail, in den Veranlassungen und den Quellen derselben vorbereitet sein muß. Abgesehen von dem Zeit- 5 verlust, von den vielen Mitteln, die eine solche Arbeit erfordert, kann sich der Korrespondent einer Zeitung nur als ein kleines Glied eines vielver zweigten Körpers betrachten, an dem er sich eine Funktion frei auserwählt und wenn etwa der eine mehr den unmittelbaren von der Volksmeinung empfangenen Eindruck eines Nothzustandes schildert, wird der andere, 10 der Historiker ist, dessen Geschichte, der Gemüthsmensch die Noth selbst, der Staatsökonom die Mittel, sie aufzuheben, besprechen, welche eine Frage wieder von verschiedenen Seiten bald mehr lokal, bald mehr im Verhältniß zum Staatsganzen etc. gelöst werden kann. So wird bei lebendiger Preßbewegung die ganze Wahrheit in die Erschei- 15 nung treten, denn wenn das Ganze zuerst auch nur als ein bald absichtlich, bald zufällig neben einander laufendes Hervorheben der verschiedenen einzelnen Gesichtspunkte zum Vorschein kommt, so hat endlich diese Arbeit der Presse selbst einem ihrer Glieder das Material bereitet, aus dem er nun das eine Ganze schaffen wird. So setzt sich die Presse nach und 20 nach durch die Theilung der Arbeit in den Besitz der ganzen Wahrheit, nicht indem Einer Alles, sondern, indem Viele Weniges thun. Ein anderer Grund der Verspätung meiner Antwort liegt darin, daß die Redaktion der Rheinischen Zeitung nach dem ersten Bericht, den ich ihr einsandte, noch mehrere ergänzende Aufschlüsse, eben so nach einem 25 zweiten und dritten Berichte noch Zusätze und diesen Schlußbericht be gehrte, endlich theils mich selbst um Mittheilung meiner Quellen ersuchte, theils sich bis dahin die Publikation meiner Einsendungen vorbehielt, wo sie selbst auf anderem Wege die Bestätigung meiner Angaben erlangt habe.*) 30 Meine Antwort erscheint ferner anonym. Ich folge darin der Ueber zeugung, daß zum Wesen der Zeitungs-Presse Anonymität gehört, die eine Zeitung aus einem Sammelplatz vieler individueller Meinungen zu dem Organ eines Geistes macht. Der Name schlösse einen Artikel so fest von dem andern ab, wie der Körper die Personen von einander abschließt, höbe 35 also seine Bestimmung, nur ein ergänzendes Glied zu sein, völlig auf. End lich macht die Anonymität nicht nur den Sprecher selbst, sondern auch das Publikum unbefangener und freier, indem es nicht auf den Mann sieht, welcher spricht, sondern auf die Sache, die er spricht, indem es von der 40 *) Indem wir die obigen Angaben bestätigen, bemerken wir zugleich, daß die verschiedenen sich wechselseitig interpretirenden Briefe eine Zusammenstellung v on unserer Seite nöthig Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. machten. 297 Publizistische Arbeiten empirischen Person ungestört die geistige Persönlichkeit allein zum Maaß seines Urtheils macht. Wie ich aber meinen Namen verschweige, so werde ich in allen Detail angaben Beamten und Gemeinden nur dann nennen, wenn gedruckte, im Buchhandel befindliche Dokumente angezogen werden oder wenn die Nennung des Namens ganz harmlos ist. Die Presse muß die Zustände, aber sie darf meiner Ueberzeugung nach nicht die Personen denunciren, es sei denn, daß einem öffentlichem Uebel nicht anders zu steuern wäre oder daß die Publizität schon das ganze Staatsleben beherrscht und also der deutsche Begriff der Denunciation verschwunden ist. Am Schlüsse dieser einleitenden Bemerkungen, glaube ich die gerechte Hoffnung aussprechen zu dürfen: daß der Herr Oberpräsident nach Durch lesung meiner ganzen Darstellung sich von der Reinheit meiner Absicht überzeugen und selbst die möglichen Irrthümer, aus einer falschen Ansicht, nicht aber aus böswilliger Gesinnung, erklären wird. Meine Darstellung selbst muß beweisen, ob ich die harte Anschuldigung der Verläumdung wie des Zwecks, Unzufriedenheit und Mißvergnügen zu erregen, selbst für den jetzt wirklich eintretenden Fall einer fortgesetzten Anonymität verdient habe, Anschuldigungen, die um so schmerzlicher sein müssen, als sie von einem in der Rheinprovinz vorzugsweise hochverehrten und geliebten Manne ausgehen. Zur leichtern Uebersicht habe ich meine Antwort in folgende Rubriken getheilt: A. Die Frage in Bezug auf die Holzvertheilung. B. Das Verhältniß der• Moselgegend zu der Kabinetsordrevom 24. Dezem ber 1841 und der durch dieselbe bewirkten freieren Bewegung der Presse. C. Die Krebsschäden der Moselgegend. D. Die Vampyre der Moselgegend. E. Vorschläge zur Abhülfe. A. Die Frage in Bezug auf die Holzvertheilung. In meinem Artikel „Von der Mosel, 12. Dez." No. 348 der Rheinischen Zeitung führe ich folgenden Umstand an: „Die aus mehreren tausend Seelen bestehende Gemeinde, der ich an gehöre, besitzt als Eigenthümerin die schönsten Waldungen, aber ich weiß mich nicht zu erinnern, daß die Gemeindeglieder einen unmittelbaren Genuß aus ihrem Eigenthum durch Holzparticipationen gezogen hätten." 298 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β Der Herr Oberpräsident bemerkt hiezu: „Ein solches, mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht im Einklang stehendes Verfahren würde sich nur durch ganz besondere Umstände motiviren lassen" und verlangt zugleich, zur Prüfung des Thatbestandes 5 die Nennung des Namens der Gemeinde. Ich bekenne freimüthig: Einerseits glaube ich, daß ein mit den Gesetzen nicht im Einklang, also im Widerspruch stehendes Verfahren, sich kaum durch Umstände motiviren lassen, sondern stets ungesetzlich bleiben dürfte; andererseits kann ich das von mir geschilderte Verfahren nicht 10 ungesetzlich finden. Die in Folge des Gesetzes vom 24. Dezember 1816 und der Allerhöchsten Kabinetsordre vom 18. August 1835 erlassene, in der Beilage zum Amts blatt No. 62 der königlichen Regierung zu Koblenz publicirte Instruktion (d. d. Koblenz, den 31. August 1839) über die Verwaltung der Gemeinde- 15 und Institutenwaldungen in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier, bestimmt im §.37 wörtlich Folgendes: „In Beziehung auf die Verwerthung des in den Waldungen aufkommenden Materials gilt es als Regel, daß so viel veräußert werden muß, als zur Deckung der Waldkosten (Steuern und Verwaltungsausgaben) erforderlich ist." 20 „Im Uebrigen hängt es von den Beschlüssen der Gemeinden ab, ob das Material zur Deckung anderweitiger Gemeindebedürfnisse meistbietend veräußert werden soll, oder ob es unter die Gemeindeglieder ganz oder theilweise, unentgeldlich oder gegen bestimmte Taxe zu vertheilen sei. Indessen gilt als Regel, daß das Brenn- und Geschirrholz in natura vertheilt, 25 das Bauholz aber, so weit es nicht zu Gemeindebauten oder zur Unter stützung einzelner Mitglieder bei Brandschäden u. s. w. zu verwenden, meistbietend verkauft werde." Diese von einem Vorgänger des Herrn Oberpräsidenten der Rheinprovinz erlassene Instruktion scheint mir zu beweisen, daß die Vertheilung des 30 Brennholzes unter die Gemeindeglieder von dem Gesetze weder geboten, noch verboten, sondern lediglich eine Frage der Zweckmäßigkeit ist, wie ich denn auch in dem questionirten Artikel nur die Zweckmäßigkeit des Verfahrens besprochen habe. Hiernach möchte der Grund, aus welchem der Herr Oberpräsident den Namen der Gemeinde zu wissen verlangte, 35 wegfallen, da es sich nicht mehr um die Untersuchung einer Gemeinde verwaltung, sondern nur um Modifikation einer Instruktion handeln wird. Ich nehme aber keinen Anstand, die Redaktion der Rheinischen Zeitung, zur Namhaftmachung der Gemeinde, in der mir keine Holzvertheilung erinnerlich ist, auf besonderes Verlangen des Herrn Oberpräsidenten, zu 40 ermächtigen, indem der Gemeindevorstand dadurch nicht denuncirt, das Wohl der Gemeinde aber nur gefördert werden kann. 299 Publizistische Arbeiten Rheinische Zeitung. Nr. 17, 17. Januar 1843 B. Das Verhältniß der Moselgegend zur Kabinetsordre vom 24. Dezember 1841 und der durch dieselbe bewirkten freieren Bewegung der Presse. Der Herr Oberpräsident bemerkt in Bezug auf meinen Artikel „Bernkastel, 5 vom 10. Dez. in Nro. 346 der Rheinischen Zeitung" worin ich die Behaup tung aufstelle, daß der Mosellaner die durch die Allerhöchste Kabinets ordre vom 24. Dezember v. J. der Presse zu Theil gewordene, größere Frei heit seiner besonders bedrängten Lage wegen vor allen enthusiastisch begrüßt habe, Folgendes: 10 „Soll dieser Artikel einen Sinn haben, so muß es dem Mosellaner seither versagt gewesen sein, seinen Nothstand, die Ursachen desselben, sowie die Mittel zu seiner Abhülfe öffentlich freimüthig zu besprechen. Ich be zweifele, daß dem so ist. Denn bei dem Bestreben der Behörden, dem anerkannten Nothstande der Weinbauern Abhülfe zu verschaffen, hat 15 ihnen nichts erwünschter kommen können, als die möglichst offene und freimüthige Besprechung der dort herrschenden Zustände." „Der Herr Verfasser des obigen Artikels würde mich daher sehr verpflichten, wenn er die Fälle speziell nachzuweisen die Güte haben wollte, wo auch vor dem Erscheinen der Allerhöchsten Kabinetsordre vom 24. Dezember vorigen 20 Jahres eine freimüthige öffentliche Besprechung des Nothstandes der Moselbewohner von der Behörde verhindert worden ist." Weiter unten bemerkt der Herr Oberpräsident: „Daß übrigens, wie der Eingangs gedachte Artikel sagt, das Nothgeschrei der Winzer höheren Orts lange Zeit für freches Gekreisch gehalten sei, glaube ich zwar schon von vornherein für 25 eine Unwahrheit erklären zu können." Meine Antwort auf diese Fragen wird folgenden Gang nehmen. Ich werde zu beweisen suchen: 1) daß zunächst, gänzlich abgesehen von den Befugnissen der Presse vor der Allerhöchsten Kabinetsordre vom 24. Dezember 1841, aus der 30 eigenthümlichen Natur des Nothzustandes an der Mosel das Bedürfniß einer freien Presse noth wendig hervorgeht; 2) daß, selbst wenn keine speziellen Verhinderungen der „freimüthigen und öffentlichen Besprechung" vor dem Erscheinen der beregten Kabinets ordre Statt gefunden haben, meine Behauptung nichts von ihrer Richtigkeit 35 einbüßt und die vorzugsweise Theilnahme der Mosellaner an der Aller höchsten Kabinetsordre und der durch sie bewirkten freieren Bewegung der Presse gleich verständlich bleibt; 300 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der Mosel. Abschnitt A und Β 3) daß wirklich spezielle Umstände eine „freimüthige und öffentliche" Besprechung verhinderten. Innerhalb des ganzen Zusammenhangs wird sich dann ergeben, in wiefern meine Behauptung: „Der desolate Zustand der Winzer war höheren Orts lange Zeit in Zweifel gezogen und ihr Nothgeschrei für freches Gekreisch gehalten worden", eine Wahrheit oder eine Unwahrheit ist. 5 ad 1. Bei der Untersuchung staatlicher Zustände ist man all zu leicht ver sucht, die sachliche Natur der Verhältnisse zu übersehen und alles aus dem Willen der handelnden Personen zu erklären. Es gibt aber Verhältnisse, 10 welche sowohl die Handlungen der Privatleute, als der einzelnen Behörden bestimmen und so unabhängig von ihnen sind, als die Methode des Athem- holens. Stellt man sich von vornherein auf diesen sachlichen Standpunkt, so wird man den guten oder den bösen Willen weder auf der einen, noch auf der andern Seite ausnahmsweise voraussetzen, sondern Verhältnisse 15 wirken sehen, wo auf den ersten Anblick nur Personen zu wirken scheinen. Sobald nachgewiesen ist, daß eine Sache durch die Verhältnisse nothwendig gemacht wird, wird es nicht mehr schwierig sein, auszumitteln, unter welchen äußern Umständen sie nun wirklich ins Leben treten mußte und unter welchen sie nicht ins Leben treten konnte, obgleich ihr Bedürfniß schon 20 vorhanden war. Man wird dies ungefähr mit derselben Sicherheit be stimmen können, mit welcher der Chemiker bestimmt, unter welchen äußern Umständen verwandte Körperstoffe eine Verbindung eingehen müssen. Wir glauben daher durch den Beweis: daß aus der Eigenthümlich- keit des Nothzustandes an der Mosel die Nothwendigkeit einer freien Presse 25 folgt, unserer Darstellung eine Basis zu geben, die über alles Persönliche hinausragt. Der Nothzustand der Moselgegend kann nicht als ein einfacher Zustand betrachtet werden. Man wird mindestens immer zwei Seiten unterscheiden müssen, den Privatzustand und den Staatszustand, denn so wenig die 30 Moselgegend außerhalb des Staats, so wenig liegt ihr Nothzustand außer der Staatsverwaltung. Die Beziehung beider Seiten auf einander bildet erst den wirklichen Zustand der Moselgegend. Um nun die Art und Weise dieser Beziehung zu ermitteln, theilen wir ein authentisches und aktenmäßiges Gespräch zwischen den wechselseitigen Organen der beiden Seiten mit. 35 In dem 4ten Hefte der „Mittheilungen des Vereins zur Förderung der Weinkultur an der Mosel und Saar zu Trier" findet sich eine Verhandlung zwischen dem Finanzministerium, der Regierung zu Trier und der Direktion des angegebenen Vereins. Der Verein hatte in einer Vorstellung an das Finanzministerium u. a. auch eine Berechnung des Ertrages der Weinberge 40 aufgestellt. Die Regierung zu Trier beauftragte mit der Begutachtung des auch ihr zugegangenen Schreibens den Vorsteher des trierischen Kataster- 301 Publizistische Arbeiten Bureau's, Steuer-Inspektor v. Zuccalmaglio, der hierzu, wie die Regierung selbst in einem Schreiben sagt, um so geeigneter schien, als er „zur Zeit der Ermittelung der Katastral-Erträge der Weinberge an der Mosel thätigen Antheil genommen". Wir stellen nun einfach das amtliche Gutachten des Herrn v. Zuccalmaglio und die Réplique der Direktion des Vereins zur Förderung der Weinkultur in ihren schlagendsten Stellen sich gegenüber. Der amtliche Berichterstatter: Der in der Eingabe aufgestellten Berechnung des Bruttoertrags eines Morgen Weinberges, während der letzten 10 Jahre von 1829—1838 aus den zu der dritten Weinsieuerklasse gehörenden Gemeinden liegt: 1) Die Kreszenz auf einem Morgen. 2) Der Preis, wofür ein Fuder Wein im Herbste verkauft worden, zu Grunde. Die Berechnung entbehre aber aller als genau nachgewiesenen Prämissen, denn: „Ohne amtliche Einwirkung und Kontrole ist es weder einem Einzelnen, noch auch einem Verein möglich, zuverlässige Nach richten auf dem Privatwege über den Weingewinn aller einzelnen Eigen- thümer, während einem Zeitraum in einer großen Anzahl von Gemeinden zu erlangen, weil es gerade im Interesse vieler Eigenthümer liegen kann, hierin die Wahrheit möglichst zu verheimlichen." Die Réplique der Vereinsdirektion: „Daß das Kataster-Bureau das Kata- stralverfahren nach Kräften in Schutz nimmt, befremdet uns nicht: dennoch aber bleibt das nun folgende Raisonnement schwer begreiflich" etc. „Der Herr Kataster-Vorsteher sucht mit Ziffern darzuthun, daß die Katastral-Erträge überall die richtigen sind: sagt auch, daß die von uns angenommene 10jährige Periode hier nichts beweisen könne etc. etc." „Auf Ziffern lassen wir uns nicht ein, indem, wie er am Eingange seiner Bemer kungen sehr weislich vorausschickt, uns dazu die amtlichen Mittheilungen fehlen; wir halten es auch nicht nöthig, da seine ganze auf Amtlichkeit ge stützte Rechnung und sein Raisonnement gegen die von uns aufgestellten Thatsachen nichts beweisen können." „Wenn wir sogar zugestehn, daß die Katastral-Erträge im Augenblicke ihrer Ermittelung ganz richtig, daß sie sogar zu niedrig gewesen, so kann uns mit Erfolg nicht in Abrede gestellt werden, daß sie bei der gegenwärtigen jammervollen Umgestaltung der Dinge als Basis nicht mehr dienen können." Der amtliche Berichterstatter. „Es zeigt sich demnach nirgend ein Fak tum, das zu der Annahme berechtigt, daß die Katastral-Erträge der in der letzten Zeit abgeschätzten Weinberge zu hoch seien, wohl aber ließe sich leicht nachweisen, daß die in früherer Zeit abgeschätzten Weinberge der Land- und Stadtkreise Trier und des Kreises Saarburg, sowohl an und für sich, als gegen die übrigen Kulturen zu gering stehen." Die Réplique der Vereinsdirektion. „Oer um Hülfe Flehende fühlt sich 302 Γ Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β schmerzlich berührt, wenn ihm auf seine gegründete Klage erwiedert wird, daß bei einer Ermittelung die Kataster-Erträge eher höher, als niedriger gestellt werden dürften." „Uebrigens, bemerkt die Replik, hat auch der Herr Berichterstatter bei 5 allem Absprechen unserer Angabe bei der Einnahme fast Nichts wider legen, oder anders stellen können, daher nur gesucht, bei der Ausgabe andere Resultate herbeizuführen." Wir wollen nun hinsichtlich der Ausgabeberechnung einige der schlagend sten Kontroversen zwischen dem Herrn Berichterstatter und der Direktion 10 des Vereins gegenüberstellen. Der amtliche Berichterstatter, „ad Position 8 muß besonders bemerkt werden, daß das Ausbrechen der üblichen Lotten oder das sogenannte Geitzen eine Operation ist, die nur von wenigen Wein-Gutsbesitzern in neue rer Zeit eingeführt worden, nirgend aber, weder an der Mosel, noch an der 15 Saar, als zu der landesüblichen Bauart gehörig, angesehen werden kann." 20 Die Réplique der Vereinsdirektion: „Das Ausbrechen und Rühren, meinte der Herr Katastervorsteher, sei erst in neuerer Zeit von wenigen Guts besitzern eingeführt worden etc." Dem ist jedoch nicht so. „Der Winzer habe erkannt, daß, will man nicht ganz untersinken, man nichts unversucht lassen darf, was die Qualität des Weines einigermaßen heben kann. Diesen Geist soll man zum Gedeihen des Landes sorgsam heben, statt ihn zu unter drücken." „Und wem würde es einfallen, die Kulturkosten der Kartoffeln deshalb herunterzusetzen, weil es Ackersleute gibt, welche dieselben ihrem Schick- 25 sale und der Güte Gottes überlassen." Der amtliche Berichterstatter: „Die bei Position 14 aufgeführten Kosten für das Faß können hier gar nicht in Ansatz kommen, da, wie schon be merkt worden, in den aufgeführten Weinpreisen die Kosten für das Gebinde oder das Faß nicht einbegriffen sind. Wird nun beim Verkaufe des Weines 30 das Faß mit verkauft, wie Regel ist, so wird auch dem Weinpreise der Kostenpreis hierfür noch zugesetzt, wodurch die Fässer wieder vergütet werden." Die Réplique der Vereinsdirektion: „Wo Wein verkauft wird, geht das Faß mit fort, ohne daß von dessen Vergütung auch nur im Entferntesten die 35 Rede wäre, oder auch nur sein könnte. Die wenigen Fälle, wo Wirthe hiesiger Stadt ohne Faß kaufen, können auf das Ganze nicht in Anschlag kommen." „Es ist nicht mit dem Weine, wie mit andern Waaren, die bis zum Verkaufe im Magazine liegen, dann aber auf Kosten des Empfängers ver packt und versendet werden, da also der Weinkauf das Faß stillschweigend 40 nach sich zieht, so ist es einleuchtend, daß dessen Preis zu den Produk tionskosten mit angerechnet werden muß." 303 Publizistische Arbeiten Der amtliche Berichterstatter: „Wird die in der Anlage angegebene Crescenz nach den amtlichen Nachweisungen hierüber berichtigt, dagegen die Kostenberechnung sogar in allen Theilen als richtig angenommen und nur aus derselben die Grund- und Mosisteuer und die Kosten für das Faß oder die Positionen 13,14 und 16 weggelassen, so ergibt sich Folgendes: 5 Der Brutto-Ertrag beträgt Die Kosten ohne 13, 14 und 16 Mithin Reinertrag 53 Thlr. 21 Sgr. 6 Pfg. 5 " 39 " 14 Thlr. 16 Sgr. 6 Pfg." Die Réplique der Vereinsdirektion: „Die Rechnung als solche ist richtig, 10 nicht aber so das Resultat. Wir haben nicht mit unterstellten, sondern mit solchen Zahlen gerechnet, die wirkliche Beträge repräsentiren, und gefun den, daß, wenn man von 53 Thlr. wirklicher Auslage 48 Thlr. wirklicher und alleiniger Einnahme abzieht, 5 Thlr. Zubuße bleiben." Der amtliche Berichterstatter: „Ist aber nun dennoch nicht zu verkennen, 15 daß der Nothstand an der Mosel gegen die Periode vor dem Entstehen des Zollverbandes bedeutend zugenommen, daß sogar theilweise eine wirkliche Verarmung zu befürchten steht, so ist der Grund hievon — lediglich in dem frühern, zu hohen Ertrage derselben zu suchen." „Durch das an der Mosel in dem bestehenden frühern Quasi-Monopol im 20 Weinhandel und die schnell aufeinander gefolgten günstigen Weinjahre 1819, 1822, 1825, 1826, 1827, 1828 hatte sich dort ein nie gekannter Luxus gebildet. Die großen Summen Geldes in den Händen des Winzers verlei teten ihn zum Ankauf von Weinbergen zu ungeheuren Preisen, zur Anlage von neuen Weinbergen mit übermäßigen Kosten in Distrikten, die sich zum 25 Weinbau nicht mehr eigneten. Jeder wollte Eigenthümer werden, und so wurden Schulden kontrahirt, die früher von einem guten Jahre leicht ge deckt werden konnten, die aber jetzt bei den eingetretenen, nachtheiligen Konjunkturen den in die Hände der Wucherer gefallenen Winzer noth- wendig ganz zu Boden drücken müssen." 30 „Eine Folge wird sein, daß die Weinkultur sich auf die bessern Lagen beschränken und wieder, wie früher, mehr in die Hände von reichen Guts besitzern übergehen wird, wozu sie auch wegen den damit verbundenen großen Vorlagen sich hauptsächlich eignet, die leichter im Stande sind, nachtheilige Jahre zu überstehen, und dennoch Mittel genug haben, die 35 Kultur zu verbessern und ein Produkt zu erzielen, welches mit dem aus den nun geöffneten Zollvereinsländern die Konkurrenz bestehen kann. Aller dings wird dies nicht ohne große Kalamitäten bei der ärmeren Winzerklasse, die aber auch wohl größtentheils in der vorhergegangenen günstigen Zeit Eigenthümer geworden sind, in den ersten Jahren geschehen können; in- 40 dessen bleibt dabei immer zu berücksichtigen, daß der frühere Zustand ein 304 Γ Rechtfertigung d es Korrespondenten von der Mosel. Abschnitt A und Β unnatürlicher war, der sich jetzt an dem Unvorsichtigen rächt. Der Staat... wird sich lediglich darauf beschränken können, durch dazu geeignete Mittel der gegenwärtigen Bevölkerung den Uebergang möglichst zu erleichtern." Die Réplique der Vereinsdirektion: „Wahrlich, wer die Armuth an der 5 Mosel erst befürchtet, hat sie, die in ihrer gräßlichsten Gestalt unter der moralisch guten, unermüdet regsamen Bevölkerung dieses Landestheils bereits ganz eingebürgert ist und täglich mehr und mehr um sich greift, noch nicht gesehen, und daß man hier nicht sage, wie es der Herr Kataster- Vorsteher thut, es sei die eigene Schuld des Verarmten; nein, der vorsich- 10 tige, wie der nichtachtende, der fleißige, wie der gleichgültige, der bemittelte, wie der unbemittelte Winzer, alle liegen mehr oder weniger darnieder, und wenn es einmal dahin gekommen ist, daß selbst die vermögenden, fleißigen und sparsamen Winzer sagen müssen, wir können uns nicht mehr nähren, dann muß doch wohl die Ursache außer ihnen gesucht werden." 15 „Wahr ist es, daß die Winzer in den günstigen Zeiten zu höhern Preisen als sonsten Güter angeschafft und — darauf rechnend, daß ihre Mittel, wie selbe sich ihnen zeigten, zureichen würden, Alles nach und nach zu berich tigen — Schulden kontrahirt hatten; allein wie man dieses, was als Beweis der Thätigkeit und Gewerbsamkeit dieser Leute dient, Luxus nennen, und 20 sagen kann, daß der gegenwärtige Zustand der Winzer davon herrühre, daß der frühere ein unnatürlicher gewesen, der sich jetzt an den Unvorsichtigen räche, bleibt unbegreiflich." „Der Herr Katastervorsteher stellt auf, daß durch die ungewöhnlich gün stigen Zeiten verlockt, die Leute, welche nach ihm früher nicht einmal 25 Eigenthümer gewesen!! die Masse der Weinberge unverhältnißmäßig ver mehrt hätten, und daß jetzt nur in der Verminderung der Weinberge Heil zu suchen sei" „Allein wie unbedeutend ist die Zahl derjenigen Weinberge, die zum Anbaue von Frucht und Gemüse verordnet werden könnten, gegen die 30 Masse derer, die außer dem Weine nur Hecken und Gesträuche hervor bringen können! und soll die gewiß höchstachtbare, wegen dem Weinbaue auf eine so verhältnißmäßig kleine Bodenfläche zusammengedrängte Be völkerung, die dem Unglücke so männlich entgegenkämpfte, nicht einmal des Versuchs werth sein, ob ihre Existenz durch Erleichterungen nicht 35 gefristet werden könne, bis günstigere Verhältnisse es ihr möglich machen, sich wieder zu erheben, und dem Staate wieder zu werden, was sie ihm früher waren; nämlich eine Quelle des Einkommens, wie nicht leicht eine zweite auf gleicher Bodenfläche, ohne Zurechnung von Städten, zu treffen sein wird." 40 Der amtliche Berichterstatter: „Daß aber diese Noth der ärmern Winzer nun auch von den reichern Gutsbesitzern benutzt wird, um durch grelle 305 Publizistische Arbeiten Darstellung des frühern glücklichen Zustandes im Gegensatz mit dem jetzi gen weniger günstigen, aber doch noch immer lohnenden, sich alle mög lichen Erleichterungen und Vortheile zu verschaffen, ist wohl sehr begreif lich." Rheinische Zeitung. Nr. 18, 18. Januar 1843 Die Réplique der Vereins-Direktion: „Wir sind unserer Ehre und unserm innern Bewußtsein schuldig, uns gegen die Anschuldigung zu verwahren, daß wir die Noth der ärmern Winzer benutzen, um uns durch grelle Dar stellungen alle möglichen Vortheile und Erleichterungen zu verschaffen." „Nein, wir betheuren es, und das wird, so hoffen wir, zu unserer Recht fertigung genügen, daß jede selbstsüchtige Absicht uns fremd war, und daß wir bei dem ganzen Schritte nichts vor Augen hatten, als durch eine offene und wahre Darstellung der Verhältnisse der armen Winzer, den Staat auf das aufmerksam zu machen, was bei weiterm Umsichgreifen für ihn selbst gefährlich werden muß! Wer die Umgestaltung kennt, welche die gegen wärtige traurige Lage der Winzer in ihren häuslichen und industriellen Beziehungen, selbst hinsichtlich der Moralität in progressivem Fortschritte, schon bis jetzt hervorgebracht hatte, dem muß, denkt er an ein Fortbe stehen, oder gar Zunehmen solcher Noth vor der Zukunft grauen." Zunächst wird man zugeben müssen, daß die Regierung nicht entschieden sein, sondern schwanken mußte zwischen der Ansicht ihres Berichterstatters und der gegnerischen Ansicht der Weinbautreibenden. Bedenkt man ferner, daß das Referat des Herrn v. Zuccalmaglio vom 12. Dezember 1839 und die Antwort des Vereins vom 15. Juli 1840 datirt, so folgt, daß bis zu dieser Zeit die Ansicht des Herrn Berichterstatters, wenn auch nicht die einzige, doch immer die herrschende Ansicht des Regierungskollegiums gewesen sein muß. Wenigstens tritt sie noch im Jahr 1839 als Regierungsgutachten, also gleichsam als Resumé der Regierungsansicht dem Memoire des Vereins gegenüber, denn bei einer konsequenten Regierung darf man wohl ihre letzte Ansicht als die Summe ihrer frühern Ansichten und Erfahrungen betrachten. In dem Bericht wird nun nicht nur der Nothzustand nicht als allgemeiner anerkannt, sondern auch dem anerkannten Nothstand soll nicht abgeholfen werden, denn es heißt: „Der Staat wird sich nur lediglich darauf beschränken können, durch dazu geeignete Mittel der gegenwärtigen Bevölkerung den Uebergang möglichst zu erleichtern." Unter dem Ueber- gang ist unter diesen Umständen aber der allmälige Untergang zu ver stehen. Der Untergang der ärmeren Winzer wird gleichsam als ein Natur- ereigniß betrachtet, wobei der Mensch im Voraus resignirt und nur das 306 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β Unausbleibliche zu mildern sucht. „Allerdings, heißt es, wird dies nicht ohne große Kalamitäten abgehen." Der Verein wirft daher auch die Frage auf, ob der Moselwinzer nicht einmal „eines Versuches" Werth sei? Hätte die Regierung eine entschieden gegnerische Ansicht gehabt, so würde sie 5 den Bericht von vorn herein modifizirt haben, da er eine so wichtige Sache, wie die Aufgabe und den Entschluß des Staats in dieser Angelegenheit, bestimmt angibt. Man sieht hieraus, daß der Nothstand der Winzer aner kannt sein konnte, ohne daß das Bestreben vorhanden war, ihm abzuhel fen. 10 Wir führen nun noch ein Beispiel davon an, wie den Behörden über den Moselzustand referirt ward. Im Jahre 1838 bereiste ein hochgestellter, administrativer Beamter die Moselgegend. In einer zu Pisport gehaltenen Konferenz mit zwei Landräthen, frug er Einen derselben, wie es mit den Vermögensverhältnissen der Winzer aussehe, und erhielt zur Antwort: 15 „Die Winzer lebten zu luxuriös, und schon deshalb könnten ihre Sachen nicht schlecht stehen." Dennoch war der Luxus schon zu einer Sage frühe rer Tage geworden. Wie wenig diese mit dem Regierungs-Referate überein stimmende Ansicht allgemein aufgegeben ist, darauf machen wir nur bei läufig aufmerksam. Wir erinnern an die Stimme, welche sich in der Bei- 20 läge I. des Frankfurter Journals Nr. 349 (1842) aus Koblenz vernehmen ließ und von dem angeblichen Nothstande der Weinbauern an der Mosel spricht. Ebenso spiegelt sich höhern Orts die eben vernommene amtliche Ansicht als ein Bezweifeln „der desolaten" Zustände und der allgemeinen Wirkungen 25 der Noth, also auch ihrer allgemeinen Ursachen wieder. Die angezogenen Mittheilungen des Vereins enthalten u.a. folgende Erwiderungen des Finanzministeriums auf verschiedene Eingaben: „Wenngleich, wie die marktgängigen Weinpreise ergeben, die Besitzer der in die Iste und 2te Steuerklasse eingeschätzten Weinberge an der Mosel und Saar keine Ver- 30 anlassung zur Unzufriedenheit haben, so wird doch nicht verkannt, daß die Weinbauern, deren Erzeugniß von minder guter Art ist, sich nicht in einem gleich günstigen Verhältnisse befinden." So heißt es in einer Antwort auf ein Gesuch um Steuer-Erlaß für 1838: „Auf Ihre hierher gerichtete Vor stellung vom 10.Oktober v.J. wird Ihnen eröffnet, daß auf den in Antrag 35 gebrachten allgemeinen Erlaß der ganzen Weinsteuer für 1838 nicht ein gegangen werden kann, da Sie selbst keineswegs zu derjenigen Klasse ge hören, welche der meisten Berücksichtigung bedarf und deren Nothstand etc. in ganz andern, als den steuerlichen Verhältnissen zu suchen ist." Wie wir in dieser ganzen Darstellung nur auf Faktisches zu bauen wün- 40 sehen und uns bestreben, so viel an uns, nur Thatsachen in eine allgemeine Form zu erheben, so werden wir zunächst den Dialog zwischen dem trieri- 307 F H ? I ί Publizistische Arbeiten ' • ' ' • ' — sehen Verein zur Förderung der Weinkultur und dem Berichterstatter der Regierung in seine allgemeinen Grundgedanken übersetzen. Die Regierung muß einen Beamten zur Begutachtung des Mémoires ernennen. Sie ernennt natürlich einen möglichst sachkundigen Beamten, am liebsten also einen Beamten, der an der Regulirung der Moselverhält- 5 nisse selbst Antheil nahm. Dieser Beamte ist nicht abgeneigt, in der frag lichen Beschwerdeschrift Angriffe auf seine amtliche Einsicht und sein früheres amtliches Wirken zu entdecken. Er ist sich seiner gewissenhaften Pflichterfüllung und der offiziellen Detailkenntnisse, die ihm zu Gebote stehen, bewußt; er findet plötzlich eine entgegengesetzte Ansicht und was 10 ist natürlicher, als daß er Partei gegen die Bittsteller ergreift, daß ihre Ab- sichten, die doch immer mit Privatinteressen zusammenhängen können, ihm verdächtig erscheinen, daß er sie also verdächtigt. Statt ihre Darstellung zu benutzen, sucht er sie zu widerlegen. Es kömmt hinzu, daß der augen scheinlich arme Winzer weder Zeit, noch Büdung zur Schilderung seiner 15 Zustände besitzt, daß also der arme Winzer nicht sprechen kann, wahrend der Weinbau treibende, der sprechen kann, nicht augenscheinlich arm ist, also ohne Grund zu sprechen scheint. Wenn aber selbst der gebildete Wein bautreibende auf den Mangel an amtlicher Einsicht verwiesen wird, wie sollte der ungebüdete Winzer vor dieser amtlichen Einsicht bestehen 20 können! Die Privaten ihrerseits, die das wirkliche Elend an andern in seiner vollen Ausbüdung erblickt haben, die es an sich selbst heranschleichen sehen und überdem sich bewußt sind, daß das Privatinteresse, was sie beschützen, eben so sehr Staatsinteresse ist und als Staatsinteresse von ihnen bevor- 25 wortet wurde, fühlen nothwendig nicht nur ihre eigene Ehre verletzt, son dern glauben auch die Wirklichkeit von einem einseitig und willkürlich zurecht gemachten Standpunkte aus entstellt. Sie opponiren also gegen die sich überhebende Amtlichkeit, sie weisen die Widersprüche zwischen der wirklichen Gestalt der Welt und jener Gestalt auf, die sie in den Bureaus 30 annimmt, sie stellen den offiziellen Belegen die praktischen Belege gegen über, sie können endlich nicht umhin, in der gänzlichen Verkennung ihrer überzeugungssicheren und faktisch klaren Sachentwickelung eine selbst süchtige Absicht zu vermuthen, etwa die Absicht, den Beamtenverstand gegen die Bürgerintelligenz geltend zu machen. Der Private schließt also 35 ebenfalls, daß der sachkundige, mit seinen Verhältnissen in Berührung getretene Beamte, sie nicht vorurtheilsfrei darstellen werde, eben weil sie theilweise sein Werk sind, während der vorurtheüsfreie Beamte, der die hinlängliche Unparteilichkeit zur Begutachtung besäße, nicht sachkundig sei. Wenn aber der Beamte dem Privaten vorwirft, daß er seine Privatangelegen- 40 heit zu einem Staatsinteresse hinaufschraube, so wirft der Private dem 308 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β Beamten vor, daß er das Staatsinteresse zu seiner Privatangelegenheit herunterschraube, zu einem Interesse, von dem alle andern als Laien aus geschlossen seien, so daß selbst die sonnenklarste Wirklichkeit gegen die in den Akten, also amtlich, also staatlich vorliegende Wirklichkeit und die auf sie fußende Intelligenz ihm als illusorisch, so daß nur der Wirkungskreis der Behörde ihm als Staat, dagegen die außer diesem Wirkungskreis der Behörde liegende Welt als Staatsgegenstand erscheine, der aller staatlichen Gesinnung und Einsicht baar sei. Wenn endlich der Beamte bei einem notorischen Mißstand das Meiste auf die Privaten schiebt, die ihren Zu stand selbst verschuldet hätten, dagegen die Vortrefflichkeit der Verwal tungsmaximen und Institutionen, die selbst amtliche Schöpfungen sind, nicht antasten läßt, auch von ihnen nichts aufgeben will, so verlangt umge kehrt der Private, der sich seines Fleißes, seiner Sparsamkeit, seines harten Kampfes mit der Natur und den socialen Verhältnissen bewußt ist, daß der Beamte, der allein staatsschöpferische Macht besitze, nun auch seine Noth wegschaffe und wenn er Alles gut zu machen behaupte, nun auch beweise, daß er die bösen Zustände durch seine Operationen gut machen könne oder zum wenigsten Einrichtungen, die für eine Zeit passend waren, als unpassend für eine gänzlich verwandelte Zeit erkenne. Derselbe Gesichtspunkt des höhern amtlichen Wissens und derselbe Gegensatz der Verwaltung und ihres Gegenstandes wiederholt sich inner halb der Beamtenwelt selbst und wie wir sehen, daß das Katasterbureau bei Begutachtung der Moselgegend hauptsächlich die Unfehlbarkeit des Katasters geltend macht, wie das Finanzministerium behauptet, das Uebel liege „in ganz andern" als den „steuerlichen" Ursachen, so wird die Ver waltung überhaupt nicht in sich, sondern außer sich den Grund der Noth finden. Der einzelne, dem Winzer zunächst stehende Beamte sieht nicht absichtlich, sondern nothwendig die Zustände besser oder anders an, als sie sind. Er glaubt die Frage, ob sich seine Gegend wohl befinde, sei die Frage, ob er sie wohl verwalte. Ob die Verwaltungsmaximen und Institutionen überhaupt gut sind, ist eine Frage, die außerhalb seiner Sphäre liegt, denn darüber kann nur von höhern Stellen geurtheilt werden, wo ein weiteres und tieferes Wissen über die amtliche Natur der Dinge, d. h. über ihren Zusam menhang mit dem ganzen Staate, herrscht. Daß er selbst gut verwaltet, davon kann er die gewissenhafteste Ueberzeugung haben. So wird er einer seits den Zustand nicht so ganz desolat finden, und andererseits, wenn er ihn desolat findet, wird er den Grund außerhalb der Verwaltung suchen, theils in der Natur, die vom Menschen unabhängig, theils im Privatleben, das von der Verwaltung unabhängig, theils in Zufällen, die von Niemand abhängig. Die höhere kollegialische Behörde nun muß offenbar ihren Beamten höhe- 309 Publizistische Arbeiten s res Vertrauen schenken, als den Verwalteten, von welchen die gleiche, amtliche Einsicht nicht zu präsumiren ist. Eine kollegialische Behörde hat überdem ihre Ueberlieferungen. Sie hat also auch in Bezug auf die Mosel gegend ihre einmal feststehenden Grundsätze, sie besitzt in dem Kataster die amtliche Gestalt des Landes, sie hat amtliche Festsetzungen über Ein- nahmen und Ausgaben, sie hat überall neben der reellen Wirklichkeit eine bweaufaatische Wirklichkeit, die ihre Autorität behält, so sehr die Zeit wechseln mag. Es kömmt hinzu, daß die beiden Umstände, das Gesetz der Beamtenhierarchie und der Grundsatz von einem doppelten Staatsbürger thum, dem aktiven wissenden Staatsbürgerthum der Verwaltung und dem 10 passiven, unbewußten der Verwalteten sich wechselseitig ergänzen. Nach der Maxime, wonach der Staat sein bewußtes und thätiges Dasein in der Verwaltung besitzt, wird jede Regierung den Zustand einer Gegend, so weit es sich um die Staatsseite handelt, für das Werk ihres Vorgängers halten. Nach dem Gesetz der Hierarchie wird dieser Vorgänger meistens schon 15 eine höhere Stellung, oft die unmittelbar höhere Stellung einnehmen. End lich hat jede Regierung einerseits das wirkliche Staatsbewußtsein, daß der Staat Gesetze hat, die er trotz aller Privatinteressen durchsetzen muß; andererseits hat sie als einzelne Verwaltungsbehörde nicht die Institutionen und Gesetze zu machen, sondern sie anzuwenden. Sie kann daher nicht die 20 Verwaltung selbst, sondern nur den Gegenstand der Verwaltung zu refor- miren suchen. Sie kann ihre Gesetze nicht nach der Moselgegend einrich ten, sie kann nur innerhalb ihrer feststehenden Verwaltungsgesetze das Wohl der Moselgegend zu befördern suchen. Je eifrigerxmd redlicher daher eine Regierung strebt, innerhalb der einmal angenommenen und sie selbst 25 beherrschenden Verwaltungsmaximen und Einrichtungen einen auffallen den, gar eine ganze Landstrecke umfassenden Nothstand zu heben, je hart näckiger das Uebel widersteht und trotz der guten Verwaltung zunimmt, um so inniger, aufrichtiger, entschiedener wird ihre Ueberzeugung, daß dies ein inkurabler Nothzustand sei, an dem die Verwaltung, d. h. der Staat 30 nichts ändern könne, der vielmehr eine Veränderung von Seiten der Ver walteten nöthig mache. Wenn aber die untern Verwaltungsbehörden der höherstehenden amt lichen Einsicht vertrauen, daß die Maximen der Verwaltung gut sind und selbst für ihre pflichtgetreue Ausführung im Einzelnen einstehen, so stehen 35 sich die höheren Verwaltungsbehörden für die Richtigkeit der allgemeinen Maximen und trauen ihren untergeordneten Gliedern die richtige amtliche Beurtheilung des Einzelnen zu, von der sie übrigens überdem amtliche offizielle Belege haben. So kann eine Regierung bei dem besten Willen zu dem von dem Regie- 40 rungs-Referenten zu Trier über die Moselgegend ausgesprochenen Grund- 310 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β satz kommen: „Der Staat wird sich nur lediglich darauf beschränken kön nen, durch dazu geeignete Mittel der gegenwärtigen Bevölkerung den Uebergang zu erleichtern. " Betrachten wir nun einige der bekanntgewordenen Mittel, welche die 5 Regierung zur Milderung des Nothstandes der Mosel anwandte, so wird sich unser Raisonnement wenigstens durch die offen darliegende Ver waltungsgeschichte bestätigt finden, und nach der geheimen Geschichte können wir natürlich unser Urtheil nicht formuliren. Wir zählen zu diesen Mitteln: die Steuererlasse in schlechten Weinjahren, den Rath, zu einer 10 andern Kulturart, etwa dem Seidenbau, überzugehen, und endlich die Motion, die Parcellirung des Grundbesitzes zu beschränken. Das ersre Mittel soll offenbar nur erleichtern, nicht abhelfen. Es ist ein momentanes Mittel, in welchem der Staat eine Ausnahme von seiner Regel macht und eine Ausnahme, die nicht kostspielig ist. Es ist auch nicht der konstante 15 Nothstand, es ist ebenfalls eine ausnahmsweise Erscheinung desselben, die erleichtert wird; es ist nicht die chronische Krankheit, an die man sich gewöhnt hat, es ist eine akute Krankheit, von der man überrascht wird. Mit den beiden andern Mitteln tritt die Verwaltung aus ihrem eigenen Kreise heraus. Die.positive Thätigkeit, die sie nun entwickelt, besteht 20 darin, daß sie theils den Mosellaner belehrt, wie ersieh selbst helfen könne, theils ihm eine Beschränkung und Entsagung eines bisherigen Rechts vor schlägt. Hier wird also der oben entwickelte Gedankengang verwirklicht. Die Verwaltung, die den Nothstand der Mosel inkurabel und in Umständen, die außerhalb ihrer Maximen und ihrer Thätigkeit liegen, begründet ge- 25 funden hat, stellt an den Mosellaner den Rath, seinen Zustand so einzu richten, daß er in die jetzigen Verwaltungs-Institutionen hineinpasse und innerhalb derselben erträglich existiren könne. Der Winzer selbst fühlt sich durch dergleichen Vorschläge, wenn sie auch nur gerüchtweise zu ihm dringen, schmerzlich berührt. Er wird es mit Dank anerkennen, wenn die 30 Regierung Experimente auf eigene Kosten anstellt; aber er fühlt, daß die Anweisung, an sich selbst Experimente vorzunehmen, eine Resignation der Regierung ist, durch eigene Thätigkeit zu helfen. Er begehrt Hülfe und nicht Rath. So sehr er dem amtlichen Wissen in der ihm angehörigen Sphäre vertraut und sich vertrauungsvoll an dasselbe wendet, eben so sehr 35 traut er in seiner Sphäre sich selbst die nöthige Einsicht zu. Eine Be schränkung der Parcellirung des Grundbesitzes aber widerstreitet seinem angeerbten Rechtsbewußtsein; er erblickt darin den Vorschlag, seiner physischen Armuth noch die rechtliehe Armuth hinzuzufügen, denn in jeder Verletzung der gesetzlichen Gleichheit erblickt er einen Nothzustand 40 des Rechts. Er fühlt es bald bewußter, bald unbewußter, daß die Verwal tung des Landes und nicht das Land der Verwaltung wegen da ist, daß aber 311 Publizistische Arbeiten das Verhältniß umgekehrt wird, sobald das Land seine Sitten, Rechte, die Art seiner Arbeit und seines Eigenthums umwandeln soll, um in die Ver waltung zu passen. Der Mosellaner verlangt also, daß wenn er die ihm durch die Natur und die Sitte angewiesene Arbeit vollbringt, der Staat ihm die Atmosphäre verschaffe, in welcher er wachsen, gedeihen, leben kann. Dergleichen negative Erfindungen prallen daher erfolglos an der Wirklich keit nicht nur der Zustände, sondern auch des bürgerlichen Bewußtseins ab. Rheinische Zeitung. Nr. 19, 19. Januar 1843 Welches ist also die Beziehung der Verwaltung zum Nothzustand der Mosel? Der Nothzustand der Mosel ist zugleich ein Nothzustand der Ver waltung. Der constante Nothstand eines Staatstheiles, (und ein Nothstand, der seit länger als einem Decennium fast unbemerkt eintretend, erst allmälig, dann unaufhaltsam zum Culminationspunkt sich entwickelt und in immer bedrohlicherem Wachsthum begriffen ist, kann wohl constant genannt werden) ein solcher constanter Nothstand ist ein Widerspruch der Wirklichkeit mit den Verwaltungsmaximen, wie ja andererseits, nicht nur das Volk, sondern auch die Regierung, den Wohlstand einer Landesgegend als eine faktische Bestätigung der Verwaltung betrachtet. Die Verwaltung aber kann ihrem bureaukratischen Wesen nach die Gründe der Noth nicht in der verwalteten Gegend, sondern nur in der natürlichen und privatbür gerlichen Gegend, die außer der verwalteten Gegend liegt, erblicken. Die Verwaltungsbehörden können bei dem besten Willen, bei der eifrigsten Humanität und der stärksten Intelligenz mehr als augenblickliche und vor übergehende Collisionen, eine constante Collision zwischen der Wirklich keit und den Verwaltungsmaximen nicht lösen, denn weder liegt es in der Aufgabe ihrer Stellung, noch vermag der beste Wille ein wesentliches Ver hältniß oder Verhängniß, wenn man will, zu durchbrechen. Dies wesent liche Verhältnißist das bureaukratische, sowohl innerhalb des Verwaltungs körpers selbst, als in seinen Bezügen zu dem verwalteten Körper. Andrerseits kann eben so wenig der weinbauende Private verkennen, daß sein Votum absichtlich oder unabsichtlich, durch das Privatinteresse getrübt sein, also die Wahrheit desselben nicht unbedingt präsumirt werden kann. Er wird auch einsehen, daß es viele leidende Privatinteressen im Staat gibt, zu deren Hebung allgemeine Verwaltungsmaximen nicht ver lassen oder modificirt werden können. Wird ferner der allgemeine Charak ter eines Nothstandes behauptet, wird behauptet, der Wohlstand sei in der Weise und dem Umfang gefährdet, daß das Privatleiden zum Staatsleiden und seine Wegräumung zu einer Pflicht des Staates gegen sich setösrwerde, 312 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β so scheint diese Behauptung der Verwalteten der Verwaltung gegenüber unpassend zu sein, da die Verwaltung wohl am besten beurtheilen wird, inwiefern das Staatswohl gefährdet und von ihr eine tiefere Einsicht in das Verhältniß des Ganzen und seiner Theile präsumirt werden muß, als von 5 diesen Theilen selbst. Es kömmt hinzu, daß der Einzelne und selbst viele Einzelne ihre Stimme nicht für die Volksstimme ausgeben können; vielmehr ihre Darstellung immer den Charakter der privaten Beschwerdeschrift beibehalten wird. Wäre endlich selbst die Ueberzeugung der beschwerde führenden Privaten die Ueberzeugung der ganzen Moselgegend, so nimmt 10 die Moselgegend selbst, als ein einzelner Verwaltungstheil und als einzelner Landestheil, ihrer eigenen Provinz, wie dem Staate gegenüber, die Stellung eines Privatmannes ein, dessen Ueberzeugungen und Wünsche erst an der allgemeinen Ueberzeugung und dem allgemeinen Wunsche zu messen sind. Die Verwaltung und die Verwalteten bedürfen zur Lösung der Schwierig- 15 keit also gleichmäßig eines dritten Elements, welches politisch ist, ohne amtlich zu sein, also nicht von bureaucratischen Voraussetzungen ausgeht, welches ebenso bürgerlich ist, ohne unmittelbar in die Privatinteressen und ihre Nothdurft verwickelt zu sein. Dieses ergänzende Element von staats bürgerlichem Kopf und von bürgerlichem Herzen ist die freie Presse. Im 20 Bereich der Presse können die Verwaltung und die Verwalteten gleich mäßig ihre Grundsätze und Forderungen critisiren, aber nicht mehr inner halb eines Subordinationsverhältnisses, sondern in gleicher staatsbürger licher Geltung, nicht mehr als Personen, sondern als intellektuelle Mächte, als Verstandesgründe. Die „freie Presse", wie sie das Produkt der öffent- liehen Meinung ist, so producirt sie auch die öffentliche Meinung und ver mag allein ein besonderes Interesse zum allgemeinen Interesse, vermag allein den Nothstand der Moselgegend zum Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit und der allgemeinen Sympathie des Vaterlandes zu machen, vermag allein die Noth schon dadurch zu mildern, daß sie die 25 30 Empfindung der Noth unter alle vertheilt. Die Presse verhält sich als Intelligenz zu den Volkszuständen, aber sie verhält sich eben so sehr zu ihnen als Gemüth; ihre Sprache ist daher nicht nur die kluge Sprache der Beurtheilung, die über den Verhältnissen schwebt, sondern zugleich die affektvolle Sprache der Verhältnisse selbst, 35 eine Sprache, die in amtlichen Berichten weder gefordert werden kann, noch darf. Die freie Presse endlich trägt die Volksnoth in ihrer eigenen, durch keine bureaukratischen Medien durchgegangenen Gestalt an die Stufen des Thrones, zu einer Macht, vor welcher der Unterschied von Verwaltung und Verwalteten verschwindet und es nur mehr gleich nah und gleich fern 40 stehende Staatsbürger gibt. Wenn also die freie Presse durch den eigenthümlichen Nothstand der 313 Publizistische Arbeiten Mosel nothwendig gemacht ward, wenn sie hier heftiges, weil wirkliches Bedürfnis war, so scheint es, daß keine ausnahmsweise Preßhindernisse dazu gehörten, um dies Bedürfniß hervorzubringen, sondern daß vielmehr eine ausnahmsweise Preßfreiheit dazu gehört hätte, um das vorhandene Bedürfniß zu befriedigen. ad 2. Die Presse über die Moselangelegenheiten ist jedenfalls nur ein Theil der preußischen politischen Presse. Um daher ihren Zustand vor der oft beregten Kabinetsordre zu ermitteln, wird es nöthig sein, einen raschen Blick auf den Zustand der gesammten preußischen Presse vor dem Jahre 1841 zu werfen. Wir lassen einen Mann von anerkannt loyaler Gesinnung sprechen: „StÜl und ruhig", heißt es in „Preußen und Frankreich von David Hanse mann, zweite Auflage, Leipzig, 1834, p. 272", „still und ruhig entwickeln sich die allgemeinen Ideen und die Dinge um so unbemerkter in Preußen, als die Censur keine gründliche Erörterung der den Staat betreffenden politischen und selbst staatswirthschaftlichen Fragen in preußischen Tages schriften gestattet, wenn die Abfassung auch noch so anständig und ge messen ist; unter einer gründlichen Erörterung kann nur eine solche ver standen werden, wo die Gründe und die Gegengründe vorgetragen werden dürfen; gründlich kann fast keine staatswirthschaftliche Frage erörtert werden, wenn nicht auch die Beziehungen derselben auf innere und äußere Politik untersucht werden, denn nur bei wenigen, vielleicht bei keiner ein zigen staatswirthschaftlichen Frage finden diese Beziehungen nicht Statt. Ob diese Ausübung der Censur zweckmäßig sei, ob die Censur überhaupt anders als auf solche Weise nach dem Zustande der Regierung in Preußen ausgeübt werden könne, darauf kommt es hier nicht an; genug, so ist's." Bedenkt man ferner, daß schon der §. 2 des Censuredikts vom 19. Dezem ber 1788 lautet: „Die Absicht der Censur aber ist keineswegs eine an ständige, ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit zu hin dern, oder sonst den Schriftstellern irgend einen unnützen und lästigen Zwang aufzuerlegen"; findet man im Art. 2. des Censuredikts vom 18. Okto ber 1819 die Worte wieder: „Die Censur wird keine ernsthafte und beschei dene Untersuchung der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern unge bührlichen Zwang auferlegen"; vergleicht man hiermit die Eingangsworte der Censurinstruktion vom 24. Dezember 1841: „Um schon jetzt die Presse von unstatthaften, nicht in der Allerhöchsten Absicht liegenden Beschrän kungen zu befreien, haben Seine Majestät der König durch eine an das königliche Staatsministerium erlassene Allerhöchste Kabinetsordre jeden ungebührlichen Zwang der schriftstellerischen Thätigkeit ausdrücklich zu mißbilligen und — uns zu ermächtigen geruht, die Censoren zur angemessenen Beachtung des Art. 2. des Censuredikts vom 18. Oktober 1819 von neuem 314 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der Mosel. Abschnitt A und ß 5 anzuweisen"; erinnert man sich endlich der folgenden Worte: „Der Censor kann eine freimüthige Besprechung auch der innern Angelegenheiten sehr wohl gestatten. - Die unverkennbare Schwierigkeit, hiefür die richtigen Grenzen aufzufinden, darf von dem Streben der wahren Absicht des Ge- seizes zu genügen, nicht abschrecken, noch zu jener Aengstlichkeit ver leiten, wie sie nur zu oft schon zu Mißdeutungen über die Absicht des Gouvernements Veranlassung gegeben hat"; so scheint nach allen diesen offiziellen Aeußerungen die Frage: warum bei dem Wunsche von Seiten der Behörden, die Moselzustände möglichst freimüthig und öffentlich 10 besprochen zu hören, Censurhindernisse stattgefunden? sich vielmehr in die allgemeinere Frage zu verwandeln, warum rrorzder „Absicht des Gesetzes", der „Absicht des Gouvernements" und endlich der „Allerhöchsten Ab sicht" die Presse eingestandenermaßen noch im Jahre 1841 „von unstatt haften Beschränkungen" zu befreien und die Censur i. J. 1841 an den Art. 2. 15 des Edikts von 1819 zu erinnern war! In Bezug auf die Moselgegendnament- lich, würde jene Frage sich dahin formuliren, nicht, welche speziellen Preßhindernisse stattgefunden, sondern vielmehr, welche speziellen Preß begünstigungen diese theilweise Besprechung der innern Zustände zu einer freimüthigen und öffentlichen Besprechung ausnahmsweise möglichst 20 begeistet hätten? Ueber den innern Gehalt und den Charakter der politischen Literatur und Tagespresse vor der beregten Kabinetsordre verständigen am klarsten wohl folgende Worte der Censurinstruktion: „Auf diesem Wege darf man hoffen, daß auch die politische Literatur und die Tagespresse ihre Bestim- 25 mung besser erkennen, einen würdigeren Ton sich aneignen und es künftig verschmähen werden, durch Mittheilungen gehaltloser, aus fremden Zei tungen entlehnter Korrespondenzen etc. etc. auf die Neugierde ihrer Leser zu speculiren... Es ist zu erwarten, daß dadurch eine größere Theilnahme an vaterländischen Interessen erweckt und so das Nationalgefühl erhöht 30 wird." Es scheint sich hienach zu ergeben, daß, wenn durchaus keine speziellen Maßregeln eine freimüthige und öffentliche Besprechung der Moselzu stände verhinderten, der allgemeine Zustand der preußischen Presse selbst ein unbesiegbares Hinderniß, sowohl der Freimüthigkeit, als der Oeffent- 35 lichkeit sein mußte. Fassen wir die angezogenen Stellen der Censurinstruk tion zusammen, so besagt sie, daß: die Censur überaus ängstlich und eine äußere Schranke einer freien Presse war, daß hiemit Hand in Hand die innere Beschränktheit der Presse ging, die den Muth und selbst das Streben aufgegeben hatte, sich über den Horizont der Neuigkeit zu erheben, daß 40 endlich im Volke selbst die Theilnahme an vaterländischen Interessen und das Nationalgefühl verloren gegangen waren, also gerade die Elemente, 315 Publizistische Arbeiten welche nicht nur die schöpferischen Mächte einer freimüthigen und öffent lichen Presse, sondern auch die Bedingungen sind, innerhalb deren allein eine freimüthige und öffentliche Presse wirken, und volksthümliche An erkennung finden kann, eine Anerkennung, welche die Lebensathmosphäre der Presse bildet, ohne welche sie rettungslos hinsiecht. Wenn also Maßregeln der Behörden eine unfreie Presse schaffen können, so liegt es dagegen außerhalb der Macht der Behörden, bei der Unfreiheit des allgemeinen Preßzustandes speziellen Fragen eine möglichst freimüthige und öffentliche Besprechung zu sichern, indem selbst freimüthige Worte, welche über einzelne Gegenstände etwa die Spalten der Zeitungen füllten, keine allgemeine Theilnahme hervorzurufen, sich also keine wahrhafte Oeffentlichkeit zu verschaffen wüßten. Es kömmt hinzu, was Hansemann richtig bemerkt, daß vielleicht bei keiner einzigen staatswirthschaftlichen Frage die Beziehungen auf innere und äußere Politik nicht stattfinden. Die Möglichkeit einer freimüthigen und öffentlichen Besprechung der Moselzustände setzt also die Möglichkeit einer freimüthigen und öffentlichen Besprechung der ganzen „innern und äußern Politik" voraus. Diese darzubieten, lag so wenig in der Macht ein zelner Verwaltungsbehörden, daß vielmehr nur der unmittelbar und ent schieden ausgesprochene Wille des Königs selbst hier bestimmend und nachhaltig eingreifen konnte. Wenn die öffentliche Besprechung nicht freimüthig war, war die frei müthige Besprechung nicht öffentlich. Sie beschränkte sich auf dunkle Lokalblätter, deren Gesichtskreis natürlich über den Kreis ihrer Verbrei tung nicht hinausging und nach dem vorherigen nicht hinausgehen konnte. Zur Charakteristik solcher Lokalbesprechungen geben wir einige Excerpte aus verschiedenen Jahrgängen des „Bernkasteler gemeinnützigen Wochen blatts". In dem Jahrgang 1835 heißt es: „Im Herbste 1833 machte eine aus wärtige Person in Erden 5 Ohm Wein. Um das Fuder voll zu machen, kaufte sie 2 Ohmen dazu für den Preis von 30 Thlr. Das Faß kostete 9 Thlr. Most steuer 7 Thlr. 5 Sgr. Einherbsten 4 Thlr. Kellermiethe 1 Thlr. 3 Sgr. Kiefer lohn 16 Sgr.; folglich, ungerechnet die Baukosten, eine reine Ausgabe von 51 Thlr. 24 Sgr. Am 10. Mai wurde das Faß Wein verkauft zu 41 Thlr. Noch ist zu bemerken, daß dieser Wein gut ist und nicht aus Nothdurft verkauft worden, auch in keine wucherische Hände gefallen ist." (p. 87.) „Am 21. No vember wurden aufm Markt zu Bernkastel 3/4 Ohm 1835 Wein zu 14 Sgr. vierzehn Silbergroschen versteigert und am 27. ejusdem 4 Ohm sammt Fuderfaß zu 11 Thlr., wobei noch zu bemerken ist, daß am verflossenen Michelstag das Fuderfaß zu 11 Thlr. eingekauft wurde." (p.267 ibid.) Unter dem 12. April 1836 eine ähnliche Anzeige. Noch mögen hier einige Auszüge aus dem Jahrgange 1837 stehen: „Am 316 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der Mosel. Abschnitt A und ß 1. d. M. ward in Kinheim in öffentlicher Versteigerung vor Notar ein junger vierjähriger Wingert von circa 200 Stöcken, gehörig aufgepfählt mit ge wöhnlichem Zahlungsausstand der Stock zu 11/2 Pfennig überlassen. Im Jahre 1828 kostete derselbe Stock dort 5 Sgr." (p.47.) Eine Wittwe zu 5 Graach ließ ihren Herbst um die Hälfte des Ertrages einthuen und für ihren Antheil wurde ihr eine Ohm Wein zu Theil, welche sie gegen 2 Pfund Butter, 2 Pfund Brod und 1/2 Pfund Zwiebeln veräußerte. (In Nr. 47 ibid.) „Am 20. d.M. wurden hier zwangsweise versteigert: 8 Fuder 36er Wein von Graach und Berncastel theilweise aus den besten Lagen und 1 Fuder 35er 10 Wein von Graach. Es wurden 135 Thaler 15 Sgr. im Ganzen erlöst (Faß mit), demnach kostet ein Fuder in's Andere circa 15 Thaler. Das Faß mag allein 10—12 Thaler gekostet haben. Was bleibt nun dem armen Winzer für seine Baukosten übrig? Ist es denn nicht möglich, daß dieser schrecklichen Noth abgeholfen wird?!! (Eingesandt)" (Nr.4, p.30). 15 Man findet hier also nur einfache Erzählung von Thatsachen, die manch mal von einem elegischen kurzen Nachwort begleitet, eben durch ihre un geschminkte Einfachheit erschüttern mögen, schwerlich aber den Charak ter einer freimüthigen und öffentlichen Besprechung der Moselzustände auch nur ansprechen dürften. 20 Wenn nun ein Einzelner und gar der zahlreiche Theil einer Bevölkerung von einem auffallenden und erschreckenden Unglücke betroffen werden und niemand bespricht das Unglück, niemand behandelt es als eine denk- und sprechwürdige Erscheinung, so müssen sie schließen, entweder, daß die andern nicht sprechen dürfen, oder daß sie nicht sprechen wollen, weil 25 sie die der Sache beigelegte Wichtigkeit für illusorisch halten. Die Anerken nung seines Unglücks, diese geistige Betheiligung an demselben, ist aber selbst dem ungebildetsten Winzer ein Bedürfniß, — schlösse er auch nur, daß wo alle denken, viele sprechen, bald auch einige handeln werden. Wäre es wirklich erlaubt gewesen, frei und offen die Moselzustände zu diskutiren, 30 so geschah es doch nicht und es ist klar, daß das Volk nur an das Wirkliche glaubt, nicht an die freimüthige Presse, die existiren kann, sondern an die freimüthige Presse, die wirklich existirt. Hatte der Mosellaner also vor Erscheinen der Allerhöchsten Kabinetsordre zwar seine Noth empfunden, zwar sie bezweiflen gehört, nur nichts von einer öffentlichen und frei- 35 müthigen Presse vernommen, sah er dagegen nach Erscheinen dieser Kabinetsordre diese Presse gleichsam aus dem Nichts hervorspringen, so scheint sein Schluß, daß die königliche Kabinetsordre die einzige Ursache dieser Preßbewegung, an welcher der Mosellaner nach den früher ausge führten Gründen einen vorzugsweisen, weil unmittelbar durch wirkliches 40 Bedürfniß bedingten Antheil nahm, wenigstens ein sehr volksthümlicher Schluß gewesen zu sein. Endlich scheint es, daß auch, abgesehen von der 317 Publizistische Arbeiten Volksthümlichkeit dieser Meinung, eine kritische Prüfung zu demselben Resultate gelangen wird. Die Eingangsworte der Censurinstruktion vom 24. Dezember 1841, daß „Seine Majestät der König jeden ungebührlichen Zwang der schriftstellerischen Thätigkeit ausdrücklich zu mißbilligen und unter Anerkennung des Werths und des Bedürfnisses einer freimüthigen und anständigen Publizität... geruht etc.", diese Eingangsworte versichern der Presse eine besondere königliche Anerkennung, also eine Staatsbedeu tung. Daß ein königliches Wort so bedeutend zu wirken vermag und von dem Mosellaner selbst als ein Wort von magischer Kraft, als ein Universal mittel gegen alle seine Leiden begrüßt wurde, das scheint nur von der echt 10 royalistischen Gesinnung der Mosellaner und ihrer nicht abgemessenen, sondern überströmenden Dankbarkeit zeugen zu können. s Rheinische Zeitung. Nr. 20, 20. Januar 1843 ad 3. Wir haben zu zeigen gesucht, daß das Bedürfniß einer freien Presse aus der Eigenthümlichkeit der Moselzustände nothwendig hervorging. Wir haben ferner gezeigt, wie die Verwirklichung dieses Bedürfnisses vor dem 15 Erscheinen der Allerhöchsten Kabinetsordre, wenn auch nicht durch spe- zielle Preßerschwerungen, schon durch den allgemeinen Zustand der preußi schen Tagespresse verhindert worden wäre. Wir werden endlich zeigen, daß wirklich spezielle Umstände einer freimüthigen und öffentlichen Bespre chung der Moselzustände feindlich entgegentraten. Auch hier müssen wir 20 zunächst den leitenden Gesichtspunkt unserer Darstellung hervorheben und die Macht der allgemeinen Verhältnisse in dem Willen der handelnden Persönlichkeiten wiedererkennen. Wir dürfen in den speziellen Umständen, welche eine freimüthige und öffentliche Besprechung der Moselzustände verhinderten, nichts erblicken als die augenfällige Erscheinung der oben entwickelten allgemeinen Verhältnisse, nämlich der eigenthümlichen Lage der Verwaltung zu der Moselgegend, des allgemeinen Zustandes der Tagespresse und der öffentlichen Meinung, endlich des herrschenden politischen Geistes und seines Systèmes. Waren diese Verhältnisse, wie es denn scheint, die allgemeinen, unsichtbaren und 30 zwingenden Mächte jener Zeit, so wird es kaum der Andeutung bedürfen, daß sie auch als solche wirken, in Thatsachen ausschlagen und als einzelne, dem Schein nach willkürliche Handlungen sich äußern mußten. Wer diesen sachlichen Standpunkt aufgibt, verfängt sich einseitig in bittere Empfin dungen gegen Persönlichkeiten, in welchen die Härte der Zeit-Verhältnisse 35 ihm gegenübertrat. tatsächliche Verkörperung und 25 Man wird zu den speziellen Preßhindernissen nicht nur einzelne Censur- 318 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β Schwierigkeiten, sondern eben so sehr alle speziellen Umstände zählen müssen, welche die Censur überflüssig machten, weil sie einen Gegenstand der Censur nicht einmal versuchsweise aufkommen ließen. Wo die Censur in auffallende, anhaltende und harte Collisionen mit der Presse geräth, da 5 kann man mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß die Presse schon an Lebendigkeit, Charakter und Selbstgewißheit gewonnen hat, denn nur eine wahrnehmbare Aktion erzeugt eine wahrnehmbare Reaktion. Wo dagegen die Censur nicht da ist, weil die Presse nicht da ist, obgleich das Bedürfniß einer freien, also censurfähigen Presse vorhanden, da muß man die Vor- 10 censur in Umständen suchen, welche den Gedanken schon in seinen an spruchsloseren Formen zurückgeschreckt haben. Es kann nicht unser Zweck sein, eine vollständige Darstellung dieser speziellen Umstände auch nur annähernd zu geben; das hieße die Zeit geschichte seit 1830, so weit sie die Moselgegend berührt, schildern wollen. 15 Wir glauben unsere Aufgabe gelöst zu haben, wenn wir nachweisen, daß das freimüthige und öffentliche Wort in allen Formen, in der Form der münd lichen Rede, in der Form der Schrift, in der Form des Drucks, sowohl des noch nicht censirten, als auch des schon censirten Drucks, mit speziellen Hindernissen in Conflikt gerieth. 20 Die Verstimmung und die Muthlosigkeit, welche ohnehin jene moralische Kraft, die zur öffentlichen und freimüthigen Besprechung gehört, bei einer nothleidenden Bevölkerung brechen, wurden namentlich genährt durch die auf vielfache Denunciationen nothwendig gewordenen gerichtlichen Ver- urtheilungen „wegen Beleidigung eines Beamten im Dienste oder in Bezug 25 auf seinen Dienst". Eine derartige Prozedur lebt noch im frischen Andenken vieler Mosel winzer. Ein wegen seiner Gutmüthigkeit besonders beliebter Bürger äußerte in scherzhafter Weise zu der Magd eines Landraths, welcher Abends zuvor in fröhlicher Gesellschaft bei Gelegenheit der Feier des Königs-Geburts- tages fleißig dem Becher zugesprochen hatte: „Euer Herr war gestern Abend etwas bespitzt." Er ward wegen dieser unschuldigen Aeußerung öffentlich vor das Zuchtpolizeigericht zu Trier gestellt, jedoch, wie sich von selbst versteht, freigesprochen. 30 Wir haben gerade dieses Beispiel gewählt, weil sich eine einfache Refle- 35 xion nothwendig an dasselbe anknüpft. Die Landräthe sind die Censoren in ihren respektiven Kreisstädten. Die landräthliche Verwaltung wird aber mit Einbegriff der ihr untergeordneten amtlichen Sphären, vornehmster, weil nächster Gegenstand der Lokalpresse sein. Wenn es nun überhaupt schwer ist, in eigner Sache zu richten, so müssen Vorfälle der oben er- 40 wähnten Art, welche eine krankhaft reizbare Vorstellung von der Unantast barkeit der amtlichen Stellung dokumentiren, schon die bloße Existenz der 319 Publizistische Arbeiten landräthlichen Censur zu einem hinreichenden Grund für die Nichtexistenz einer freimüthigen Lokalpresse machen. Sehen wir also die unbefangene und anspruchslose mündliche Rede den Weg zum Zuchtpolizeigericht bereiten, so hat die schriftliche Form des freien Worts, die Petition, welche noch weit von der Oeffentlichkeit der 5 Presse entfernt ist, denselben zuchtpolizeilichen Erfolg. Wie dort die Un antastbarkeit der amtlichen Stellung, tritt hier die Unantastbarkeit der Landesgesetze der freimüthigen Sprache entgegen. Durch eine „Kabinetsordre" vom 3. Juli 1836, worin es unter anderm heißt, der König sende seinen Sohn in die Rheinprovinz, um von deren 10 Zuständen Kenntniß zu nehmen, fühlten sich einige Landleute aus dem Regierungsbezirke Trier veranlaßt, ihren „Landtagsabgeordneten" zu ersuchen, ihnen eine Bittschrift für den Kronprinzen anzufertigen. Sie gaben zugleich die einzelnen Beschwerdepunkte an. Der Landtagsabgeord nete, um die Wichtigkeit der Petition durch eine größere Anzahl von Petitio- 15 nären zu erhöhen, schickte einen Boten in die Umgegend, und veranlaßte dadurch die Unterschriften von 160 Bauern. Die Petition lautete folgender maßen: Da wir unterschriebenen Einwohner des Kreises..., Regierungsbezirk Trier, unterrichtet, daß unser guter König zu uns Seine Königliche Hoheit 20 den Kronprinzen sendet, um unsere Lage zu beherzigen, und um Seiner Königlichen Hoheit die Mühe zu ersparen, die Klagen vieler Einzelnen anzuhören, beauftragen wir hiermit unseren Landtagsabgeordneten, Herrn..., Seiner Königlichen Hoheit, des besten Königs Sohn, dem Kron prinzen von Preußen, unterthänigst anzutragen, daß: 25 1) „Wenn wir unsere überflüssigen Produkte, besonders an Vieh und Wein, nicht absetzen können, uns unmöglich ist, die in allen Verhältnissen zu hohen Steuern zu bezahlen, weswegen eine bedeutende Verminderung derselben gewünscht wird, da wir sonst Hab' und Gut den Steuerboten belassen, wie Anlage beweiset; (enthält einen Zahlungsbefehl eines Steuer- 30 boten von R. 1-25 Sgr. 5 d.)" 2) „Daß Seine Königliche Hoheit nicht von unserer Lage urtheilen möge, nach den Demonstrationen von unzähligen, gar zu hoch besoldeten Ange stellten, Pensionirten, Diätaren, Civil und Militär, Rentner und Gewerbe treibenden, welche in den Städten in einem Luxus von unseren so im Preise 35 gefallenen Produkten wohlfeil leben, was hingegen in der armen Hütte des verschuldeten Landmannes nicht gefunden wird und für ihn ein empörender Contrast ist. Wo früher 27 angestellt mit 29,000 Thalern, jetzt 63 Beamte ohne Pensionirte mit 105,000 Thalern besoldet." 3) „Daß unsere Communalbeamten direkt durch die Gemeinen, wie 40 früher, gewählt werden mögen." 320 Γ Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β 4) „Daß die Zollanmeldungs-Bureaux nicht Stundenlang während des Tages geschlossen, sondern jede Stunde offen bleiben, damit der Land mann, der einige Minuten unverschuldet sich verspätet, nicht fünf bis sechs Stunden, ja die ganze Nacht auf der Straße erkalten oder am Tage 5 verbrennen muß, da doch der Beamte stets für das Volk bereit sein soll und muß." 5) „Daß was zufolge §. 12. des Gesetzes vom 28sten April 1828, erneuert durch's Amtsblatt der Königlichen Regierung vom 22sten August letzthin unter Strafe verboten worden, 2 Fuß vom Grabenrande zu ackern, bei 10 durchführenden Straßen gehoben und den Eigenthümern erlaubt werde, ihr sämmtliches Land bis an den Chaussee-Graben pflügen zu können, damit dasselbe nicht von den Wegewärtern den Eigenthümern geraubt werde." Euer Königlichen Hoheit ergebenste Unterthanen. (Folgen nun die Unterschriften). 15 Diese Petition, die der Landtagsabgeordnete dem Kronprinzen über reichen wollte, wurde von andrer Seite in Empfang genommen mit dem ausdrücklichen Versprechen, sie Seiner Königlichen Hoheit übergeben zu wollen. Nie erfolgte eine Antwort, wohl aber wurde gegen den Landtags abgeordneten, als den Urheber einer Petition, worin „frecher unehrbietiger 20 Tadel gegen die Landesgesetze" ausgesprochen sei, von Seiten der Ge richte eine Verfolgung eingeleitet. In Folge dieser Klage wurde der Land tagsabgeordnete in Trier zu sechsmonatlicher Gefängnißstrafe und in die Kosten verurtheilt, diese Strafe aber vom Appellhofe dahin modificirt, daß nur der Kostenpunkt des fraglichen Urtheils belassen werde, und zwar 25 weil das Benehmen des Inkriminirten nicht ganz frei von Unbesonnenheit gewesen sei und er somit zu dem Processe Veranlassung gegeben habe. Der Inhalt der Petition selbst wird dagegen keineswegs für strafbar er kannt. Wenn man erwägt, daß die fragliche Petition theils durch den Zweck der 30 kronprinzlichen Reise, theils durch die Stellung des Incriminirten als Land tagsabgeordneten in der ganzen Umgebung zu einem besonders wichtigen und entscheidenden Ereigniß sich steigern und die öffentliche Aufmerk samkeit in hohem Grade erregen mußte, so möchten ihre Konsequenzen eine öffentliche und freimüthige Besprechung der Moselzustände nicht 35 eben provocirt, noch hierauf bezügliche Wünsche der Behörden wahr scheinlich gemacht haben. Wir kommen nun zum eigentlichen Preßhinderniß, zur Censurverweige- rung, welche nach obigen Andeutungen in dem Grade zu den Seltenheiten gehören mußte, als der Versuch einer Censurfähigen Besprechung der 40 Moselzustände zu den Seltenheiten gehörte. Einem Schöffenraths-Protokoll, worin nebst einigen barocken auch einige 321 Publizistische Arbeiten freimüthige Worte sich befinden, wurde von der landräthlichen Censur die Druckerlaubnis verweigert. Die Berathung fand im Schöffenrath statt, das Raths-Protokoll aber war von dem Bürgermeister abgefaßt. Seine Ein gangsworte lauten: „Meine Herren! Das Land an der Mosel zwischen Trier und Koblenz, zwischen der Eifel und dem Hundsrücken ist äußerlich ganz 5 arm, weil dasselbe vom Weinbau allein lebt, und diesem durch die Handels verträge mit Deutschland der Todesstoß gegeben ist; das gedachte Land ist aber auch geistig arm etc." Daß endlich eine öffentliche und freimüthige Besprechung, wenn sie alle angegebenen Hindernisse überwunden und ausnahmsweise in die Zeitungs- 10 spalten gelangt war, als eine Ausnahme behandelt und hinterher annihilirt wurde, möge ebenfalls eine Thatsache bezeugen. Ein vor mehren Jahren von dem Professor der Kameralwissenschaften Kaufmann zu Bonn „über den Nothstand der Winzer an der Mosel etc." in der „Rhein- und Mosel zeitung" abgedruckter Aufsatz wurde, nachdem er während 3 Monaten in 15 verschiedenen öffentlichen Blättern kursirt hatte, von der königlichen Regierung verboten, welches Verbot noch jetzt faktisch fortbesteht. Hiermit glaube ich nun die Frage über das Verhältniß der Moselgegend zur Kabinetsordre vom 10. Dezember, der auf sie gegründeten Censur- instruktion vom 24. Dezember und der seitherigen freieren Preßbewegung 20 genügend beantwortet zu haben. Es bleibt noch übrig meine Behauptung: „Der desolate Zustand der Winzer war höheren Orts lange in Zweifel ge zogen und ihr Nothgeschrei für freches Gekreisch gehalten worden", zu motiviren. Man wird den questionirten Satz in zwei Theile auflösen können: „Der desolate Zustand der Winzer war höhern Orts lange in Zweifel ge- 25 zogen worden" und: „Ihr Nothgeschrei war für freches Gekreisch gehalten worden." Der erste Satz glaube ich, wird keines Beweises mehr bedürfen. Der zweite Satz „Ihr Nothgeschrei war für freches Gekreisch gehalten worden", kann nicht geradezu, wie es der Herr Oberpräsident thut, aus dem ersten 30 Satze interpretirt werden: „Ihr Nothgeschrei war höhern Orts für freches Gekreisch gehalten worden." Indessen auch diese Interpolation kann gelten, sofern „höhern Orts" und „amtlichen Orts" für gleichbedeutend genommen werden. Daß von einem „Nothgeschrei" der Winzer nicht nur figürlich, sondern 35 im eigentlichen Sinne des Wortes gesprochen werden konnte, wird sich aus den bisherigen Mittheilungen ergeben haben. Daß diesem Nothgeschrei einerseits sein Mangel an Berechtigung vorgeworfen, die Schilderung der Noth selbst, als eine grelle, aus selbstsüchtigen schlechten Motiven ent sprungene Uebertreibung betrachtet, andererseits die Klage und die Bitte 40 dieser Noth als „frecher unehrbietiger Tadel gegen die Landesgesetze" 322 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der M o s e l. Abschnitt A und Β verstanden wurde, diese Prämissen haben ein Regierungsreferat und ein Kriminalverfahren bewiesen. Daß ferner ein übertreibendes, die Sachver hältnisse verkennendes, von schlechten Motiven outrirtes, frechen Tadel gegen die Landesgesetze involvirendes Schreien identisch mit „Gekreisch" und zwar „frechem Gekreisch" ist, dürfte wenigstens keine fernliegende oder unredlich gesuchte Behauptung sein. Daß also schließlich an die Stelle der einen Seite die andere gesetzt werden konnte, scheint sich einfach als logische Consequenz zu ergeben. 323 Rechtfertigung des tt-Korrespondenten von der Mosel Fragment des Abschnitts C: Krebsschäden der Moselgegend tf Von der Mosel, im Januar 1843. (Fortsetzung des abgebrochenen Arti kels.) C. Krebsschäden der Moselgegend. Wir beginnen zunächst mit Thatsachen, die sich im Regierungsbezirke Trier, unter den Präsidenten von Schaper, von Bodelschwingh und von Ladenberg ereigneten, die nicht nur für den Gemeindehaushalt charakte ristisch sind, sondern deren Interesse noch durch die Art und Weise erhöht wird, wie die Regierung ihre Stellung zwischen den ihr subordinirten Be amten und Verwalteten auffassen zu müssen glaubte. Facta loquentur. 1. Factum. Durch Urtheil erster Instanz wurde der Landrath aus Trier, vor circa 10 Jahren, in Folge der gegen ihn erhobenen Beschuldigung: „Aus eigennützigen Absichten die Unterbeamten zu ungesetzlichen, das Ver mögen der Gemeinden verkürzenden Handlungen, verleitet und zu dem Ende ein förmliches Complott organisirt zu haben, die Entfernung aus dem Dienste der diesen Absichten widerstrebenden Beamten bezweckend", zu sechs monatlicher Gefängnißstrafe condamnirt. Durch Erkenntniß des Appellationshofes jedoch wurde er, weil die Beschuldigung als verjährt betrachtet wurde, freigesprochen. Diese für ihn glückliche Wendung der Dinge verdankte er dem Umstände, daß der gerichtlichen Untersuchung eine mehrjährige von Seiten der Regierung voranging. Auf einen Antrag derselben an das königliche Ministerium und die Angabe eines Rechtsgut achtens von einem königlichen Obergerichtshof über die gegen ihn statt gehabte gerichtliche Untersuchung wurde ihm von Seiten der hiesigen Regierung eröffnet, daß zu Folge Rescripts des königlichen Ministeriums des Innern und der Polizei dieser Antrag, als durch keine gesetzliche An ordnung gerechtfertigt, für unstatthaft erachtet worden sei. Dieser Eröff nung fügte die Regierung noch folgende Bemerkung bei: „Wir hegen die feste Ueberzeugung, daß sie fernerhin sich angelegen sein lassen werden, durch gewissenhafte, umsichtige und rege Erfüllung ihrer Dienstpflichten die 324 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der Mosel. Abschnitt C Zufriedenheit und den Beifall Ihrer vorgesetzten Behörden sich zu erhalten, und in jeder Hinsicht das Vertrauen zu rechtfertigen, welches dieselben ihnen bisher gewidmet haben." Schließlich füge ich noch die Bemerkung hinzu, daß dieses Vertrauen allerdings gerechtfertigt worden zu sein 5 scheint, indem er später mit einem Orden belohnt wurde. 2. Factum. Vor circa neun Jahren kaufte der später zu sechs Jahren Zwangsarbeit verurtheilte Gerichtsvollzieher M. mehrere Urtheile gegen den Winzer Herres aus Leiwen, welcher, da er einem Juden in die Hände gerathen war, in seinen Verhältnissen zurückging, und ließ dessen Güter, 10 da er nicht zahlen konnte, subhastiren. Kurz vor dem zur Versteigerung anberaumten Termine kam Herres bei der Regierung mit dem Gesuche ein, sie möge die Landarmenhaus-Verwaltung autorisiren, ihm die in der Zeitung ausgebotene Summe von 1000 Thlr. gegen hypothekarische Siche rung verabfolgen zu lassen. Die Regierung ließ sich, da sich einige Personen 15 für den Unglücklichen interessirten, sogleich von gedachter Verwaltung ein Gutachten abgeben, welches vom Rendanten und Inspektor E. ausging und in Folge dessen eine abschlägige Antwort erfolgte. Dies geschah am Tage der Subhastation, und fast in dem Augenblicke, in welchem E. sein Gutachten abgegeben hatte, setzte er sich in seinen Wagen, um nach 20 Schweich zu fahren, wo die Versteigerung abgehalten wurde. Dort ange kommen gibt er vor, im Interesse der Familie Herres versteigern zu wollen, so daß es nun Niemand wagte aufzubieten und ihm das ganze Grundeigen thum für die Anschlagssumme d. h. für den dritten Theil des eigentlichen Werthes zugeschlagen wurde. Den folgenden Tag ging der Herres zu E., 25 um sich mit ihm über seine Angelegenheiten zu besprechen und ihm für den ihm geleisteten Dienst zu danken. Aber welches war sein Erstaunen, als ihn dieser mit schnöden Worten abwies und ihm erklärte, er habe für sich gesteigert und sei keineswegs geneigt, seinen Vortheil aus den Händen zu geben. Auf eine Anzeige über dieses Verfahren erfolgte von Seiten der 30 Regierung weiter nichts als ein Verweis für den Ankläger. 3. Factum. Im Jahre 1832, als die Cholera auch unsere Gegend heimzu suchen drohte, wurde in der Gemeinde Weißkirchen, zufolge Schöffen- Rathsbeschluß, ein Grundstück für den Preis von 40 Thlr. acquirirt, um als Friedhof für die an der Cholera Gestorbenen gebraucht zu werden. In der 35 Kaufurkunde war ausdrücklich ausbedungen, daß, wenn die Cholera nicht ausbrechen sollte, das aus Vorsicht bereits angekaufte und nun unnöthig gewordene Grundstück dem Eigenthümer verbleiben sollte. Später, als eine Heimsuchung durch die Cholera nicht mehr zu befürchten war, wurde abermals ein Schöffen-Rathsbeschluß gefaßt, wodurch bestimmt wurde, 10 daß auf dem, an die zur Zeit neuerbaute Pfarrkirche angrenzende Pfarr- wittum, sobald der alte Friedhof zu klein werde, ein neuer anzulegen sei. 325 Publizistische Arbeiten Der alte Friedhof lag um die alte Kirche, welche nach Erbauung der neuen abgerissen wurde, wodurch denn auch derselbe bedeutend größer und die Nothwendigkeit eines neuen weiter ausgeschoben wurde. Zur Entschädi gung sollte dem Pastor der alte Friedhof, womit dieser einverstanden war, für die Abtretung des genannten Pfarrwittums zur Benutzung überlassen 5 bleiben. Gleichwohl ließ nun der Bürgermeister, ohne durch einen Schöffen- Rathsbeschluß dazu ermächtigt zu sein, auf Kosten der Gemeinde eine Mauer um das für 40 Thaler acquirirte und zum Cholera-Friedhof bestimmt gewesene Grundstück aufführen. Die Kosten wurden auch im Budget aufgeführt und aus der Gemeindekasse bezahlt. Die Gemeinde beschwerte 10 sich bitter hierüber, reichte Bittschrift über Bittschrift ein und da alles ohne Erfolg blieb, reisten zuletzt alle Schöffen der ganzen Pfarrei, welche aus mehreren Dörfern besteht, nach Trier, um persönlich beim Regierungs präsidenten ihre Klagen vorzubringen. Der Herr Chef-Präsident von Bodel schwingh, gestützt auf den Bericht des Landraths aus Merzig, der wieder 15 seine Quelle, nach dem Geschäftsgang, in den Berichten des Bürgermeisters hatte, betrachtete dieselben als zudringliche und hartnäckige Querulanten und sagte ihnen geradezu, ihre Behauptungen seien unwahr. Später trugen sie sogar darauf an, daß eine Commission auf Kosten des unterliegenden Theiles von der Regierung an Ort und Stelle zur Untersuchung der Sache 20 niedergesetzt werde; auch dieses wurde ihnen abgeschlagen. Nun traf es sich, daß ein großjährig gewordenes Kind des Verkäufers des fraglichen Grundstücks eine Theilungsklage einleitete. Das zu 40 Thlr. verkaufte, VI2 Morgen große Grundstück wurde ebenfalls zur Theilung gezogen und der geschehene Verkauf auf Grund der obengedachten Verkaufsbedingung 25 für ungültig erklärt. Die vom Gerichte ernannten 3 Sachverständigen er klärten das questionirte Grundstück für untheilbar und so kam dasselbe zur öffentlichen Versteigerung, in welcher aber nur der ursprüngliche Ver käufer und der Bürgermeister und sonst Niemand aufbot. Es war der mit bietende Eigenthümer in dem Glauben, daß der Bürgermeister vom Landrath 30 den Auftrag habe, das fragliche Grundstück zu jedem Preise anzusteigern, und so trieb er dasselbe zu 1700 Thlr., für welchen Preis es dem für die Gemeinde steigernden Bürgermeister zugeschlagen wurde. Auf diese Weise kommt der neue Friedhof, mit den Kosten der Umfassungsmauer, der Ge meinde 2400 Thlr. zu stehen, der sehr bedeutenden Gerichtskosten, welche, 35 wenn die Gemeinde den zwischen ihr und dem Eigenthümer noch schwe benden Prozeß verliert, derselben noch erwachsen können, nicht zu ge denken. Wäre es der Gemeinde überlassen geblieben, den eingetauschten Friedhof an der neuen Pfarrkirche mit ihrer eigenen Arbeit und ihren Fuhr werken aus ihren eigenen Materialien mit einer Mauer zu umgeben und 40 einzurichten, so würde er ihr höchstens 200 Thaler gekostet haben. So lag 326 Rechtfertigung d es Korrespondenten von der Mosel. Abschnitt C die Sache, als im Jahr 1841 der Bürgermeister den alten Friedhof abschloß und den Befehl ertheilte, daß von nun an die Leichen auf dem neuen be graben werden sollten. Zu dem nächsten Leichenbegängnisse versammelten sich alle Pfarrgenossen ohne Ausnahme, und begruben die Leiche, trotz 5 allen Demonstrationen des Bürgermeisters und der Anwesenheit der Gensdarmen, auf dem alten Friedhofe, vorgebend, sie würden, bevor sie den neuen Friedhof in Gebrauch nähmen, die Antwort des Königs, an den sie sich gewendet hätten, abwarten. Der Bürgermeister errichtete über diese Widersetzlichkeiten ein Protokoll, in Folge dessen eine gerichtliche Unter- 10 suchung eintrat und neun Bürger, worunter ein Schöffe, verhaftet wurden. Dieselben wurden jedoch nach dreitägiger Haft gegen Cautionsleistung freigelassen und später mit einer geringen Geldbuße bestraft. Der damalige Chef-Präsident, Herr von Schaper hielt die Sache für wichtig genug, sich an Ort und Stelle zu begeben, wo er denn auch die 15 Ueberzeugung gewonnen haben wird, daß der alte Friedhof dem Bedürf nisse entsprechend war. Leider war es jetzt zu spät, das Geschehene zu redressiren. Auf das Gesuch der Gemeinde, die Regierung möge den Bürgermeister entfernen, und ihnen an dessen Stelle einen Mann, der sich des Zutrauens 20 Aller zu erfreuen hätte, geben, erwiederte dieselbe, sie würde den Bürger meister, wenn es ohne Verkürzung seines Gehalts geschehen könnte, ver setzen; diese Versetzung sollte aber keineswegs als eine Bestrafung zu betrachten sein, sondern sie fände lediglich Statt, weil der Bürgermeister das zur Verwaltung unumgänglich nöthige Zutrauen der Bürger nicht be- 25 säße. Statt nun den allgemein gewünschten, der Regierung bezeichneten Mann an diesen Posten zu senden, schickte dieselbe einen Bürgermeister, welcher von seinen früheren Verwalteten wegen ähnlicher Mißbräuche angeklagt, seines Amtes seit zwei Jahren entsetzt und zuletzt nur ab instantia freigesprochen war. 327 Die „Kölnische Zeitung" und das Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 4, 4. Januar 1843 * Köln, 3. Jan. Die „Kölnische Zeitung" brachte in ihrer Nummer vom 31. Dezember einen „Leipzig, 27." bezeichneten Korrespondenz-Artikel, der beinahe frohlockend das Verbot der Leipziger Allgemeinen-Zeitung mittheilte, während die Kabinetsordre, welche das Verbot jener Zeitung dekretirt und in der gestern hier eingetroffenen Staatszeitung enthalten ist, 5 vom 28. Dezember datirt. Das Räthsel löst sich einfach durch die Bemer kung, daß am 31. Dezember die Nachricht von dem Verbote der Leipziger Allgemeinen Zeitung bei hiesiger Post eintraf und die „Kölnische Zeitung" es angemessen fand, nicht nur eine Korrespondenz, sondern auch einen Korrespondenten zu schreiben und ihrer eigenen Stimme die gute Stadt 10 Leipzig zum Domizil anzuweisen. Die „merkantile" Phantasie der „Köl nischen Zeitung" war so „gewandt", die Begriffe zu verwechseln. Sie erblickte die Residenz der „Kölnischen Zeitung" in Leipzig, weil die Resi denz der „Leipziger Zeitung" in Köln eine Unmöglichkeit geworden. Sollte die Redaktion der „Kölnischen Zeitung" auch bei kälterem Nachdenken 15 das Spiel ihrer Phantasie als eine trockene Wahrheit der Thatsache ver theidigen wollen, so würden wir uns genöthigt sehen, in Bezug auf die mystische Korrespondenz aus Leipzig noch eine Thatsache mitzutheilen, die „alle Schranken des Anstandes überschreitet und auch bei uns jedem Gemäßigten und Besonnenen als eine unbegreifliche Indiskretion" er- 20 scheinen wird. Was das Verbot der Leipziger Allgemeinen Zeitung selbst betrifft, so haben wir unsere Ansicht ausgesprochen. Wir haben nicht die an der Leipziger Allgemeinen Zeitung gerügten Mängel als aus der Luft gegriffen bestritten, aber wir haben behauptet, daß es Mängel sind, welche aus dem 25 Wesen der Volkspresse selbst hervorgehen, also in ihrem Entwickelungs- gang geduldet werden müssen, wenn man ihren Entwickelungsgang über haupt dulden will. Die Leipziger Allgemeine Zeitung ist nicht die ganze deutsche Volks presse, aber sie ist ein nothwendiger integrirender Theil derselben. Die 30 328 Die „Kölnische Zeitung" und das Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung" verschiedenen Elemente, welche die Natur der Volkspresse bilden, müssen bei naturgemäßer Entwickelung derselben zunächst jedes für sich seine eigenthümliche Ausbildung finden. Der ganze Körper der Volkspresse wird also in verschiedene Zeitungen von verschiedenen, sich wechselweis ergänzenden Charakteren zerfallen, und wenn z.B. in der einen die poli tische Wissenschaft, wird in der andern die politische Praxis, wenn in der einen der neue Gedanke, wird in der andern die neue Thatsache das vor wiegende Interesse bilden. Nur dadurch, daß die Elemente der Volkspresse ihre ungehinderte, selbstständige und einseitige Entwickelung erhalten und sich in verschiedene Organe ver selbstständigen, kann die „gute" Volks presse gebildet werden, d. h. die Volkspresse, die alle wahren Momente des Volksgeistes harmonisch in sich vereinigt, so daß in jeder Zeitung der wirk liche sittliche Geist eben so ganz gegenwärtig ist, wie in jedem Blatt der Rose ihr Duft und ihre Seele. Aber, damit die Presse ihre Bestimmung er reiche, ist es vor Allem nothwendig, ihr keine Bestimmung von Außen vorzuschreiben, und ihr jene Anerkennung zu gewähren, die man selbst der Pflanze zu gewähren gewohnt ist, die Anerkennung ihrer innern Gesetze, denen sie nicht nach Willkür sich entziehen darf und kann. 329 Die gute und die schlechte Presse Rheinische Zeitung. Nr. 6, 6. Januar 1843 * Köln, 5. Jan. Wir haben schon manches in abstracto über den Unterschied der „guten"und der „schlechten"Presse hören müssen. Veranschaulichen wir einmal den Unterschied an einem Beispiel! Die „Elberfelder Zeitung" vom 5. Januar bezeichnet sich selbst in einem von Elberfeld datirten Artikel als „gute Presse". Die Elberfelder Zeitung 5 vom 5. Januar bringt folgende Notiz: „Berlin, 31. Dez. Das Verbot der Leipziger Allgemeinen Zeitung hat hier im Ganzen einen geringen Eindruck gemacht." Dagegen berichtet die „Düsseldorfer Zeitung" übereinstimmend mit der „RheinischenZeitung": „Berlin, 1. Jan. Das unbedingte Verbot der Leipziger Allgemeinen Zeitung 10 erregt hier die größte Sensation, da die Berliner dieselbe sehr gerne lasen etc." Welche Presse, die „gute" oder die „schlechte" Presse ist nun die „wahre" Presse! Welche spricht die Wirklichkeit und welche spricht die gewünschte Wirklichkeit aus! Welche stellt die öffentliche Meinung dar und welche 15 entstellt die öffentliche Meinung! Welche verdient also das Staatsver trauen ? Mit der Erklärung der „Kölnischen Zeitung" sind wir wenig zufrieden gestellt. Sie beschränkt sich in ihrer Réplique auf unsere Bemerkung über ihre „beinahe frohlockende" Ankündigung des Verbots der Leipziger 20 Allgemeinen Zeitung nicht nur auf den statistischen Theil, sondern auf einen Druckfehler. Die Kölnische Zeitung wird wohl selbst wissen, daß in dem Passus: „das Räthsel löst sich einfach durch die Bemerkung, daß am 31. Dezember die Nachricht von dem Verbote der Leipziger Allgemeinen Zeitung bei hiesiger Post eintraf" — stehen mußte und nur durch einen 25 Druckfehler nicht steht: am 30. Dezember. Am 30. Dezember Mittags erhielt nämlich, was wir nöthigenfalls beweisen können, die „Rheinische", also wohl auch die „Kölnische" Zeitung diese Nachricht von der hiesigen Post. Γ Replik auf den Angriff eines „gemäßigten" Blattes Rheinische Zeitung. Nr. 8, 8. Januar 1843 * Köln, 7. Jan. Ein gemäßigtes rheinisches Blatt, wie die Allgemeine Augs burger Zeitung in ihrer diplomatischen Sprache sagt, d.h. ein Blatt von mäßigen Kräften, sehr mäßigem Charakter und allermäßigstem Verstand, hat unsere Behauptung: „Die Leipziger Allgemeine Zeitung ist ein noth- 5 wendiger integrirender Theil der deutschen Volkspresse" in die Behaup tung umgestellt, die Lüge sei ein nothwendiger Theil der Presse. Wir wollen keinen großen Anstoß daran nehmen, daß dieses mäßige Blatt einen ein zelnen Satz aus unserm Raisonnement herausreißt und die im questionirten Artikel, wie in einem früheren gegebene Auseinandersetzung seiner hohen 10 und ehrenvollen Berücksichtigung nicht werth erachtet hat. So wenig wir an Jemanden die Anforderung stellen, aus seiner eigenen Haut heraus zu springen, so wenig dürfen wir verlangen, ein Individuum oder eine Partei solle über ihre geistige Haut, über die Schranken ihres Verstandes-Horizon- tes einen salto mortale wagen, am Wenigsten eine Partei, der ihre Be- 15 schränktheit für Heiligkeit gilt. Wir erörtern also nicht, was jene Bewohnerin des intellektuellen Mittelreiches thun mußte, um uns zu widerlegen, wir erörtern nur ihre wirklichen Thaten. Zunächst werden die alten Sünden der Leipziger Allgemeinen Zeitung aufgezählt, ihr Verhalten zu den hannoverschen Angelegenheiten, ihre 20 Parteipolemik gegen den Katholizismus (hinc illae lacrimae! würde unsere Freundin dasselbe Verhalten, nur nach entgegengesetzter Richtung hin, zu den Todsünden der Münchner politischen Blätter zählen?) ihre Klatsche reien etc. etc. Es fällt uns hierbei ein Aperçu aus den „Wespen" von Alphons Karr ein. Herr Guizot, heißt es, schildert den Herrn Thiers, und 25 Herr Thiers schildert den Herrn Guizot als Landesverräther und leider haben Beide Recht. Wenn sämmtliche deutschen Zeitungen alten Styls sich ihre Vergangenheit vorwerfen wollten, so könnte sich der Prozeß nur um die formelle Frage bewegen, ob sie gesündigt haben durch das, was sie thaten, oder durch das, was sie nicht thaten. Wir würden unserer Freundin 30 gern den harmlosen Vorzug vor der Leipziger Allgemeinen Zeitung ein- 331 Publizistische Arbeiten räumen, nicht nur keine schlechte, sondern gar keine Existenz gewesen zu sein. Indeß unser incriminirter Artikel sprach nicht von dem vergangenen, sondern von dem gegenwärtigen Charakter der Leipziger Allgemeinen Zeitung, obgleich wir, wie sich von selbst versteht, gegen ein Verbot der 5 „Elberfelder Zeitung", des „Hamburger Correspondenten" und der zu Coblenz erscheinenden „Rhein- und Moselzeitung" nicht minder ernst gemeinte Einwendungen zu machen hätten, denn der Rechtszustand wird durch den moralischen Charakter oder gar die politischen und religiösen Meinungen der Individuen nicht alterirt. Der rechtlose Zustand der Presse 10 ist vielmehr über allen Zweifel erhaben, sobald man ihre Existenz von ihrer Gesinnung abhängig macht. Bis jetzt giebt es nämlich noch keinen Codex der Gesinnung und keinen Gerichtshof der Gesinnung. Der letzten Phase der Leipziger Allgemeinen Zeitung wirft nun das „gemäßigte" Blatt die falschen Thatsachen, Entstellungen, Lügen vor und 15 beschuldigt uns daher mit ehrlicher Entrüstung, die Lüge für ein n o t w e n diges Element der Voi&spresse zu halten. Und wenn wir diese fürchterliche Folgerung gelten ließen, wenn wir behaupteten, die Lüge sei ein n o t w e n diges Element der Volkspresse, namentlich der deutschen Volkspresse? Wir meinen nicht die Lüge der Gesinnung, die geistige Lüge, wir meinen 20 die Lüge der Thatsache, die körperliche Lüge! Steiniget! Steiniget! würde unsere christliche Freundin rufen. Steiniget! Steiniget! würde der Chorus einfallen. Aber übereilen wir uns nicht, nehmen wir die Welt, wie sie ist, seien wir keine Ideologen und wir geben unserer Freundin das Zeugniß, kein Ideologe zu sein. Das „gemäßigte" Blatt werfe auf seine eigenen 25 Spalten einen prüfenden Blick und berichtet es nicht, wie die preußische Staatszeitung, wie alle deutschen, wie alle Zeitungen der Welt, täglich Lügen aus Paris, Klatschereien über bevorstehende Ministerialwechsel in Frankreich, von irgend einem Pariser Blatt ausgeheckte Falsa, die der nächste Tag, die nächste Stunde widerlegt! Und hält die „Rhein- und 30 Moselzeitung" die faktische Lüge für ein nothwendiges Element in den Rubriken England, Frankreich, Spanien, Türkei, aber für ein verdammliches, todeswürdiges Verbrechen in der Rubrik Deutschland oder Preußen. Woher dies doppelte Maaß und Gewicht? Woher diese doppelte Ansicht von Wahrheit? Warum darf dasselbe Blatt auf der einen Kolumne die frivole 35 Sorglosigkeit eines Neuigkeitsboten, warum muß es auf der andern Kolumne die trockene Unwiderleglichkeit eines Amtsblattes zur Schau tragen? Offen bar, weil es für deutsche Zeitungen eine französische, englische, türkische, spanische Zeit, aber keine deutsche Zeit, sondern nur eine deutsche Zeit- losigkeit geben soll. Sind aber nicht vielmehr die Blätter zu loben und von 40 Staatswegen zu loben, welche die Aufmerksamkeit, das fieberhafte Inter- 332 Γ Replik auf den Angriff e i n es „ g e m ä ß i g t e n" Blattes esse, die dramatische Spannung, die alles Werdende, die vor Allem die werdende Zeitgeschichte begleiten, dem Ausland entreißen und dem Vater- landerobern! Nehmt selbst an, sie erregten Unzufriedenheit, Verstimmung! So erregen sie doch deutsche Unzufriedenheit, deutsche Verstimmung, so 5 haben sie dem Staate immer noch die abgewandten Gemüther zurück geschenkt, wenn auch zunächst aufgeregte, verstimmte Gemüther! Und sie haben nicht nur Unzufriedenheit und Verstimmung, sie haben Befürch tungen und Hoffnungen, sie haben Freud' und Leid, sie haben vor Allem eine wirkliche Theilnahme am Staat erregt, sie haben den Staat zu einer 10 Herzens-, zu einer Hausangelegenheit seiner Glieder, sie haben statt Peters burg, London, Paris: Berlin, Dresden, Hannover etc. zu den Hauptstädten auf der Landkarte des politischen deutschen Geistes gemacht, eine That, die ruhmwürdiger ist, als die Verlegung der Welthauptstadt von Rom nach Byzanz. 15 Wenn aber die deutschen und preußischen Zeitungen, die sich das Ziel stellten, Deutschland und Preußen zum Hauptinteresse der Deutschen und Preußen zu machen, das mysteriöse priesterliche Wesen des Staates in ein lichtes, allen zugängliches und gehöriges Laienwesen, den Staat in das Fleisch und Blut der Staatsbürger zu verwandeln, wenn sie an fakti- 20 scher Wahrheit den französischen und englischen Zeitungen nach stehen, wenn sie oft ungeschickt und mährchenhaft sich benehmen, so bedenkt, daß der Deutsche seinen Staat nur vom Hörensagen kennt, daß verschlos sene Thüren keine Brillen sind, daß ein geheimes Staatswesen kein öffent liches Staatswesen ist, so macht nicht zu einem Fehler der Zeitungen, was 25 nur ein Fehler des Staats ist, ein Fehler, den eben diese Zeitungen zu korrigiren suchen. Wir wiederholen also nochmals: „Die Leipziger Allgemeine Zeitung ist ein nothwendiger integrirender Theil der deutschen Volkspresse. " Sie hat vorzugsweise das unmittelbare Interesse an der politischen Thatsache, 30 wir haben vorzugsweise das Interesse an dem politischen Gedanken be friedigt, wobei es sich von selbst versteht, daß weder die Thatsache den Gedanken, noch der Gedanke die Thatsache ausschließt, aber es handelt sich hier um den vorherrschenden Charakter, um das Unterscheidungs merkmal. 333 Replik auf die Denunziation eines „benachbarten" Blattes Rheinische Zeitung. Nr. 10, 10. Januar 1843 * Köln, 9. Jan. Es wäre wider alle Ordnung gewesen, wenn die „gute" Presse jetzt nicht von allen Seiten her ihre Rittersporen an uns zu verdienen suchte, an ihrer Spitze die Prophetin Hulda aus Augsburg, der wir nächstens auf ihre abermalige Herausforderung zum Tanz aufspielen werden. Heute haben wir es mit unserer invaliden Nachbarin zu thun, mit der höchst 5 ehrenwerthen „Kölnischen Zeitung"! Toujours perdrix! Zunächst: „Etwas Vorläufiges" oder ein „Vorläufiges Etwas", ein Denkzettel, den wir ihrer heutigen Denunciation zur Verständigung voraus schicken wollen, ein allerliebstes Histörchen von der Art und Weise, wie die „Kölnische Zeitung" sich „Achtung" bei der Regierung zu verschaffen 10 sucht, die „wahre Freiheit" im Gegensatz zur „Willkür" geltend macht und sich von innen „Schranken" zu setzen weiß. Der geneigte Leser wird sich erinnern, wie in Nro. 4 der „Rheinischen Zeitung" die „Kölnische Zeitung" geradezu beschuldigt ward, ihre Korrespondenz aus Leipzig, welche beinahe frohlockend das vielfach besprochene Verbot ankündigte, selbst 15 fabrizirt zu haben, wie ihr zugleich von einer ernstlichen Vertheidigung der Echtheit jenes Dokuments wohlmeinend abgerathen ward unter der be stimmten Androhung, daß wir widrigenfalls „in Bezug auf die mystische Korrespondenz aus Leipzig" noch eine unangenehme Thatsache ver öffentlichen müßten. Der gütige Leser wird sich der zahmen, ausweichen- 20 den Réplique der „Kölnischen Zeitung" vom 5. Januar erinnern, unserer berichtigenden Duplique in Nro. 6 und der „leidenden Stille", welche die „Kölnische Zeitung" hierauf zu beobachten für gut fand. Die fragliche That sache ist diese: Die „Kölnische Zeitung" fand das Verbot der Leipziger Allgemeinen Zeitung durch eine Mittheilung gerechtfertigt, die „alle 25 Schranken des Anstandes überschreitet und auch bei uns jedem Gemäßigten und Besonnenen als eine unbegreifliche Indiskretion erscheinen muß". Es war hiermit offenbar die Publikation des Herwegh 'sehen Briefes gemeint. Man konnte vielleicht diese Ansicht der „Kölnischen Zeitung" theilen, wenn die „Kölnische Zeitung" nur nicht selbst wenige Tage vorher den 30 334 Γ Replik auf die Denunziation e i n es „benachbarten" Blattes Herwegh'sehen Brief dem Publikum hätte mittheilen wollen und nur „von außen " auf „Schranken" gestoßen wäre, die ihre gute Absicht vereitelten. Wir wollen damit keineswegs der „Kölnischen Zeitung" ein illoyales Gelüste vorwerfen, aber wir müssen dem Publikum anheimstellen, ob es 5 eine begreifliche Diskretion ist, ob es nicht alle Gränzen des Anstandes und der öffentlichen Moral verletzen heißt, wenn man dieselbe That seinem Nächsten als Todeswürdiges Verbrechen vorwirft, die man eben im Be griffe stand, selbst auszuführen, die nur ein äußeres Hinderniß nicht zur eigenen That werden ließ. Man wird es nach dieser Aufklärung verständlich 10 finden, wenn das böse Gewissen der „Kölnischen Zeitung" uns heute mit einer Denunziation antwortet. Sie sagt: „Es wird dort (in der Rheinischen Zeitung) behauptet, daß der ungewöhn lich scharfe, fast schneidende, jedenfalls unangenehme Ton, den die Presse gegen Preußen annehme, keinen andern Grund habe, als den, sich dadurch 15 der Regierung bemerklich zu machen und sie wecken zu wollen. Denn das Volk sei über die vorhandenen Staatsformen schon weit hinaus, diese litten an eigenthümlicher Hohlheit; das Volk wie die Presse hätten kein Ver trauen zu diesen Institutionen, und noch weniger zu einer Entwickelung von innen heraus." Die „Kölnische Zeitung" begleitet diese Worte mit 20 folgendem Ausruf: „Muß man nicht staunen, daß neben solchen Aeußerun- gen noch immer Klagen über mangelhafte Preßfreiheit erschallen? Kann man mehr verlangen, als die Freiheit, der Regierung in's Gesicht zu sagen, daß alle Staatsinstitutionen Plunder seien, nicht einmal gut, den Uebergang zu etwas Besserem zu bilden." 25 30 Zunächst müssen wir uns über die Art und Weise des Citirens verstän digen. Der Verfasser des questionirten Artikels wirft, sich die Frage auf, woher der scharfe Ton der Presse gerade in Bezug auf Preußen komme? Er antwortet: „ich glaube den Grund hauptsächlich in Folgendem finden zu müssen." Er behauptet nicht, was ihm die „Kölnische Zeitung" unter- schiebt, daß kein anderer Grund vorhanden sei, er gibt seine Ansicht viel mehr nur als seinen Glauben, als seine individuelle Meinung. Der Verfasser räumt ferner ein, was die „Kölnische Zeitung" verschweigt, daß: „der Aufschwung von 1840 sich zum Theil in die Staatsformen hineingeworfen; ihnen Fülle und Leben zu geben versucht" habe. Dennoch fühle man, „daß 35 der Volksgeist eigentlich an ihnen vorbeigehe, sie kaum streift und fast auch als Durchgang zu einer weitern Entwickelung noch nicht zu erkennen oder doch nicht zu achten versteht". Der Verfasser fährt fort: „Ob dieselben ein Recht haben oder nicht, lassen wir dahin gestellt sein: genug, das Volk, so wie die Presse haben kein volles Vertrauen zu den Institutionen, noch 40 weniger zu der Möglichkeit einer Entwickelung aus ihnen heraus und von unten herauf." Die „Kölnische Zeitung" verwandelt „kein volles Vertrauen" 335 Publizistische Arbeiten in kein Vertrauen und läßt von dem letzten Theile des angeführten Satzes die Worte aus: „und von unten herauf", wodurch der Sinn wesentlich modifizirt wird. Die Presse, fährt unser Verfasser fort, wandte sich daher beständig an die Regierung, weil es „sich noch um die Formen selbst zu handeln schien, 5 innerhalb deren der berechtigte sittliche Willen, die heißen Wünsche, die Bedürfnisse des Volkes eine freie, offene, gewichtige Sprache der Regie rung gegenüber führen könnten". Fassen wir nun diese Stellen zusammen, behauptet der questionirte Artikel, was die „Kölnische Zeitung" ihn „der Regierung ins Gesicht" sagen läßt: „daß alle Staatsinstitutionen Plunder 10 seien, nicht einmal gut den Uebergang zu einem besseren zu bilden"? Handelt es sich hier um alle Staatsinstitutionen? Es handelt sich nur um die Staatsformen, in denen sich „der Volkswille" „frei, offen und gewich tig" aussprechen könne. Und welches waren bis vor kurzem diese Staats formen? Offenbar nur die Provinzialstände. Hat das Volk den Provinzial- 15 ständen besonderes Vertrauen geschenkt? Hat es eine große volksthümliche Entwickelung aus ihnen heraus erwartet? Hat der loyale Bülow-Cummerow sie für einen wahren Ausdruck des Volkswillens gehalten? Aber nicht nur das Volk und die Presse, die Regierung hat anerkannt, daß Staatsformen selbst noch fehlten, oder hätte sie ohne diese Anerkennung auch nur Anlaß 20 gehabt, eine neue Staatsform, die „Ausschüsse" zu schaffen? Daß aber auch die Ausschüsse in ihrer jetzigen Gestalt nicht ausreichten, das haben nicht nur wir behauptet, das ist in der „Kölnischen Zeitung" von einem Ausschußmitglied behauptet worden. Die fernere Behauptung, daß die Staatsformen eben noch als Formen 25 dem Inhalt gegenüberstehen und der Volksgeist sich nicht in ihnen als seinen eigenen Formen „heimisch" fühle, sie nicht als die Formen seines eignen Lebens wisse, diese Behauptung wiederholt nur, was von vielen preußischen und auswärtigen Zeitungen, am meisten aber von konservativen Schriftstellern ausgesprochen wurde, nämlich, daß die Bureaukratie noch 30 zu mächtig sei, daß weniger der ganze Staat, als ein Theil des Staates, die „Regierung" ein eigentliches Staatsleben führe. In wiefern die jetzigen Staatsformen geeignet seien, theils sich selbst mit lebendigem Inhalt zu füllen, theils die ergänzenden Staatsformen sich anzureihen, die Beant wortung dieser Frage mußte die Kölnische Zeitung da suchen, wo wir die 35 Provinzialstände und Provinzialausschüsse in Bezug auf unsere ganze Staatsorganisation betrachten und sie hätte dort die sogar ihrer Weisheit verständliche Auskunft gefunden. „Wir verlangen nicht, daß man bei der Volksvertretung von den wirklich vorhandenen Unterschieden abstrahire, wir verlangen vielmehr, daß man an die wirklichen durch die innere Kon- 40 struktion des Staats geschaffenen und bedingten Unterschiede anknüpft." 336 r Replik auf die Denunziation e i n es „benachbarten" Blattes „Wir verlangen nur konsequente und allseitige Durchbildung der preußi schen Fundamentalinstitutionen, wir verlangen, daß man nicht plötzüch das wirkliche und organische Staatsleben verlasse, um in unwirkliche, mechanische, untergeordnete, unstaatliche Lebenssphären zurückzusin- 5 ken." (Rheinische Zeitung Jahrg. 1842 Nro.345). Und was läßt uns die ehrenwerthe „Kölnische Zeitung" sagen? „daß alle Staatsinstitutionen Plunder seien, nicht einmal gut den Uebergang zu etwas Besserem zu bil den!" Es scheint beinahe, als glaube die „Kölnische Zeitung" den Mangel an eigner Kühnheit dadurch ersetzen zu können, daß sie andern die frechen 10 Ausgeburten ihrer feigen, aber muthwillig vagirenden Phantasie unter schiebt. 337 Erwiderung auf ein Nachwort der Augsburger „Allgemeinen Zeitung" Bemerkung der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 12, 12. Januar 1843 5 (Wollte die Redaktion der Rheinischen Zeitung nun ein Nachwort in der Weise der Allgemeinen Augsburger Zeitung vorstehender Korrespondenz hinzufügen, so könnten wir ihr selbst, die so gütig war, in der „Rheinischen Zeitung" den Fähndrich „Pistol" wieder zu finden, nur die Wahl lassen zwischen dem „Dorchen Lakenreisser" und der „Wittwe Hurtig". Ihr männliches Glaubensbekenntniß aber würden wir bei dem Freund jener Damen bei Falstaff suchen: „Ehre beseelt mich vorzudringen. Wenn aber Ehre mich beim Vordringen entseelt? Wie dann? Kann Ehre ein Bein an setzen? Nein! Oder einen Arm? Nein. Oder den Schmerz einer Wunde stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein. Was 10 ist Ehre. Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Nahrung! Wer hat sie? Er, der vergangenen Mittwoch starb! Fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Todten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verläumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. — Ehre ist 15 nichts als ein gemahlter Schild beim Leichenzuge und so endigt mein Kate chismus." Und so endigt der politische Katechismus der Augsburger All gemeinen Zeitung, so erinnert sie die „Presse", daß man in täuschen Zeiten Arm und Bein verlieren könne, so verläumdet sie die Ehre, weil sie auf jede Ehre verzichtet hat, die verläumdet werden könnte. 20 Die Augsburger Allgemeine Zeitung versprach mit uns auf einen Prin zipienkampf einzugehen und sie hat dies Versprechen gelöst. Sie hat keine, also ihre Prinzipien gegen uns in den Kampf geschickt; sie hat hier und da ihre Indignation uns zugesichert, kleine Verdächtigungen ausgestreut, kleine Berichtigungen versucht, große Miene zu ihren kleinen Leistungen ge- 25 macht, eine Altersherrschaft in Anspruch genommen und in Bezug auf diesen Punkt, auf ihre Vereranentitel können wir ihr zurufen, was Herr Dézamy dem Herrn Cabet zuruft: «Que monsieur Cabet ait bon courage: avec tant de titres, il ne peut manquer d'obtenir bientôt ses invalides!» Die Augsburgerin lebt von einem Rechnungsfehler, von einem Anachro- 30 338 Erwiderung auf ein Nachwort der „Allgemeinen Zeitung" nismus. Die Form, das Einzige, was sie in früheren Tagen besaß, selbst die Form, den parfum littéraire, hat sie eingebüßt, eine spießbürgerliche, breite und anmaßende Formlosigkeit ist an die Stelle getreten und Niemand wird die Platitude von „Herrn Puff" und das Gleichniß von „einem Frosche, der sich zum Ochsen aufgeblasen hat" elegant finden, weil er dergleichen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung findet.) 339 Die Denunziation der „Kölnischen" und die Polemik der „Rhein- und Mosel-Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 13, 13. Januar 1843 * Köln, 11. Januar. «Votre front à mes yeux montre peu d'allégresse! Serait-ce ma présence, Eraste, qui vous blesse? Qu'est-ce donc? qu'avez-vous? et sur quels déplaisirs, Lorsque vous me voyez, poussez-vous des soupirs?» Diese Worte zunächst der benachbarten „Kölnerin"\ Die „Kölnische Zeitung" verbreitet sich nicht über ihre „angebliche Denunciation", sie läßt diesen Hauptpunkt fallen und beschwert sich nur, daß man die „Redaktion" bei dieser Gelegenheit nicht eben auf die angenehmste Weise in den Kampf verwickelt habe. Allein, beste Nachbarin, wenn ein Korrespondent der „Kölnischen Zeitung" eine unserer Berliner Korrespondenzen mit der „Rheinischen Zeitung" identifizirt, warum sollte die „Rheinische Zeitung" die erwiedernde Rhein-Korrespondenz der Kölnischen Zeitung nicht mit der „Kölnischen Zeitung" identifiziren dürfen? Nun ad vocem: Thatsache: „Sie (die Rheinische Zeitung) wirft uns keine Thatsache, sondern eine Absicht vor!" Wir werfen der „Kölnischen Zeitung" nicht nur eine Absicht, sondern eine Thatsache dieser Absicht vor. Eine Thatsache, die Aufnahme des Herwegh'schen Briefes wurde der Kölnischen Zeitung durch äußere Zufälle in eine Absicht verwandelt, obgleich sich ihre Absicht schon in eine Thatsache verwandelt hatte. Jede vereitelte Thatsache sinkt zur bloßen Absicht zurück, gehört sie darum weniger vor die Gerichte? Jedenfalls wäre es eine sonderbare Tugend, welche die Rechtfertigung ihrer Thaten in dem Zufall fände, der diese Thaten vereitelte, sie zu keiner That, sondern zur bloßen Absicht der That werden ließ. Aber unsere loyale Nachbarin wirft die Frage auf, zwar nicht an die Rheinische Zeitung, die bei ihr in dem mißlichen Verdacht steht, von ihrer „Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit" nicht so leicht um eine Antwort „in Verlegenheit" gelassen zu werden, sondern an „jenen geringen Theil des Publikums, der etwa noch nicht ganz im Klaren darüber ist, welchen Glauben die Verdächtigungen (soll wohl 340 Die Denunziation der „Kölnischen" und die Polemik der „Rhein- und Mosel-Zeitung" heißen: die Vertheidigungen gegen Verdächtigungen) dieses Blattes ver dienen", aber, fragt sie, woher weiß die Rheinische Zeitung, „daß wir mit dieser Absicht (sc. der Mittheilung des Herwegh'schen Briefes) nicht auch die andere (signo haud probato)*) Absicht verbanden, die Zurechtweisung 5 hinzuzufügen, die der kindische Muthwillen des Verfassers verdient hatte"? Aber, woher weiß die Kölnische Zeitung, welche Absicht die Ver öffentlichung der Leipziger Allgemeinen Zeitung hatte? Warum nicht etwa die harmlose Absicht, eine Neuigkeit zuerst mitzutheilen? Warum nicht etwa die loyale Absicht, jenen Brief einfach vor den Richterstuhl der 10 öffentlichen Meinung zu stellen? Wir wollen unserer Nachbarin eine Anek dote erzählen. In Rom ist der Druck des Korans verboten. Ein verschmitzter Italiener wußte sich zu helfen. Er gab eine Widerlegung des Korans heraus, d. h. ein Buch, welches auf dem Titelblatt sich „Widerlegung des Korans" benennt, aber hinter dem Titelblatt ein einfacher Abdruck des Korans ist. 15 Und haben nicht alle Ketzer diese Finte zu spielen gewußt? Ist nicht Vanini verbrannt worden, obgleich er in seinem Theatrum mundi, bei Verkündi gung des Atheismus, sorgfältig und prunkend alle Gegengründe wider denselben geltend macht. Hat nicht selbst Voltaire in seiner „Bible enfin expliquée" im Text den Unglauben und in den Noten den Glauben ge- lehrt und hat man an die purificirende Kraft dieser Noten geglaubt? „Aber, schließt unsere ehrenwerthe Nachbarin, war, wenn wir diese Ab sicht hatten, unsere Aufnahme des ohnedies allgemein bekannten Schrei bens mit der ursprünglichen Veröffentlichung in gleiche Reihe zu stellen?" Aber, beste Nachbarin, auch die Leipziger Allgemeine Zeitung veröffent- lichte nur ein Schreiben, was in vielen Abschriften circulirte. „Fürwahr Mylord, ihr seid zu tadelsüchtig." 25 20 In dem päbstlichen Encyclicum ex cathedra vom 15. August 1832, Maria Himmelfahrt, steht zu lesen: „Wahnsinn (Deliramentum) ist es, zu behaup ten, jedem Menschen sei Gewissensfreiheit zuzugestehen; nicht genug zu 30 verabscheuen ist Preßfreiheit." Diese Sentenz trägt uns von Köln nach Koblenz zu dem „mäßigen" Blatt, zu der „Rhein- und Moselzeitung", deren Wehgeschrei gegen unser Verfechten der Preßfreiheit nach jenem Citat verständlich und gerechtfertigt sein wird, so sonderbar es hiernach auch lauten müßte, wollte sie etwa sich selbst „zu den sehr eifrigen Freunden 35 der Presse" zählen. Aus den „mäßigen" Spalten des Blattes springen heut zwar nicht zwei Löwen, wohl aber ein Löwenfell und eine Löwenkutte heraus, denen wir die gebührende naturhistorische Aufmerksamkeit widmen wollen. Nro. 1 expektorirt sich unter anderm dahin: „Der Kampf ist von ihrer Seite (der Rheinischen Zeitung) ein so loyaler, daß sie uns gleich von 40 vornherein die Zusicherung ertheilt, sogar gegen ein Verbot der Rhein- und *) Durch keinen B e w e is konstatirt 341 Publizistische Arbeiten Moselzeitung würde sie sich um des ihr so sehr am Herzen liegenden ,Rechtszustandes' willen aufmachen, eine Zusicherung, welche eben so schmeichelhaft als beruhigend für uns wäre, wenn nur nicht zufällig in demselben Athem eine Schmähung gegen die bekanntermaßen längst wirk lich bei uns verbotenen Münchener historisch-politischen Blätter dem Ritter für jede gekränkte Preßfreiheit entschlüpfte." Sonderbar, daß in demselben Moment, wo die faktische Zeitungslüge mit einem Verdikt be legt wird, faktisch gelogen wird! Die Stelle, auf welche angespielt wird, lautet wörtlich: „Zunächst werden die alten Sünden der Leipziger All gemeinen Zeitung aufgezählt, ihr Verhalten zu den hannoverschen Ange legenheiten, ihre Parteipolemik gegen den Katholizismus (hinc illae lacri maci); würde unsere Freundin dasselbe Verhalten, nur nach entgegen gesetzter Richtung hin, zu den Todsünden der Münchener politischen Blätter zählen?" In diesen Zeilen wird von den „Münchener politischen Blättern" eine „Parteipolemik" gegen den Protestantismus ausgesagt. Haben wir damit ihr Verbot gerechtfertigt? Konnten wir es dadurch recht fertigen wollen, daß wir „dasselbe Verfahren", welches wir bei der Leip ziger Allgemeinen Zeitung als keine Ursache zu einem Verbot darstellen, „nur nach entgegengesetzter Richtung hin" in den „Münchener politischen Blättern" wiederfinden? Im Gegentheü! Wir fragten das Gewissen der „Rhein- und Moselzeitung", ob ihr dasselbe Verfahren auf der einen Seite ein Verbot rechtfertige und auf der andern ein Verbot nicht rechtfertige! Wir fragten sie also, ob sie das Verfahren selbst, oder ob sie nicht vielmehr nur die Richtung des Verfahrens mit einem Verdikt belege? Und die „Rhein- und Moselzeitung" hat unsere Frage beantwortet, sie hat dahin geantwortet, daß sie nicht, wie wir, die religiöse Parteipolemik, sondern nur die Parteipolemik verdammt, die so verwegen ist, protestantisch zu sein. Wenn wir in demselben Moment, wo wir die Leipziger Allgemeine Zeitung gegen „das eben erfolgte" Verbot in Schutz nahmen, ihrer Partei polemik gegen den Katholizismus mit der Rhein- und Moselzeitung erwähn ten, durften wir die Parteipolemik der „längstverbotenen" „Münchener politischen Blätter" nicht ohne die „Rhein- und Moselzeitung" erwähnen? Nro. 1 war also so gütig, die „geringe Oeffentlichkeit des Staats", die „Unfertigkeit" eines „täglichen", lauten und ungewohnten „politischen Denkens", den Charakter der „werdenden Zeitgeschichte", lauter Gründe, womit wir die faktische Zeitungslüge entschuldigten, mit einem neuen Grund zu vermehren, mit der faktischen Verstandesschwäche eines großen Theils der deutschen Presse. Die „Rhein- und Moselzeitung" hat an sich selbst den Beweis geliefert, wie ein unwahres Denken notwendig und unabsichtlich unwahre Thatsachen, also Entstellungen und Lügen produ- zirt. 342 Die Denunziation der „Kölnischen" und die Polemik der „Rhein- und Mosel-Zeitung" Wir kommen zu Nro.2, zu der Löwenirutie, denn die weitern Gründe von Nro. 1 machen hier weitläufiger den Prozeß ihrer Verwickelung durch. Die Löwenkutte unterrichtet zunächst das Publikum über ihre wenig interes santen Gemüthszustände. — Sie habe einen „Zornerguß" erwartet. Nun 5 brächten wir eine „anscheinend leicht hingeworfene, vornehme Abferti gung". Ihrem Danke für diese „unerwartete Schonung" mischt sich der ärgerliche Zweifel bei, „ob jene unerwartete Schonung in der That als ein Zug der Milde, oder vielmehr als eine Folge der geistigen Unbehaglichkeit und Ermattung anzusehen". 10 Wir wollen unserm frommen Herrn nicht auseinandersetzen, wie geist liche Behaglichkeit wohl einen Grund zu geistiger Unbehaglichkeit abgeben könnte, wir wollen gleich zu dem „Inhalt der fraglichen Erwiderung" über gehen. Der fromme Herr gesteht „leider nicht verhehlen zu können", daß seinem „allermäßigstem Verstände" die Rheinische Zeitung „ihre Ver- legenheit nur hinter leeren Wortfechtereien zu verbergen suche" und um keinen Augenblick den Schein einer „geheuchelten" Demuth oder Be scheidenheit aufkommen zu lassen, belegt der fromme Herr seinen „aller- mäßigsten" Verstand sogleich mit den schlagendsten, unwiderleglichsten Proben. Er beginnt, wie folgt: 15 20 „ ,Die alten Sünden der Leipziger Allgemeinen Zeitung, ihr Verhalten zu den hannoverschen Angelegenheiten, ihre Parteipolemik gegen den Katho lizismus, ihre Klatschereien etc.', nun ja, die können nicht geläugnet werden; aber — meint unsere vortreffliche Schülerin des großen Philosophen Hegel — diese Vergehen sind vollkommen dadurch entschuldigt, daß auch andere 25 Blätter sich dergleichen haben zu Schulden kommen lassen, — (gerade wie ja auch ein Spitzbube vor Gericht sich nicht glänzender rechtfertigen kann, als indem er sich auf die schlechten Streiche seiner zahlreichen, noch frei in der Welt umherspazierenden Kameraden beruft)." Wo haben wir gesagt, „die alten Sünden der Leipziger Allgemeinen 30 Zeitung seien vollkommen dadurch entschuldigt, daß auch andere Blätter sich dergleichen haben zu Schulden kommen lassen"? Wo haben wir diese alten Sünden auch nur zu „entschuldigen" versucht? Unser wirkliches Raisonnement, welches sehr wohl zu unterscheiden ist von dem Wieder schein unsers Raisonnements in dem Spiegel des „allermäßigsten Ver- 35 Standes", unser wirkliches Raisonnement lautete also: Zunächst zählt die „Rhein- und Moselzeitung" die „alten Sünden" der Leipziger Allgemeinen Zeitung auf. Wir spezificiren darauf diese Sünden und fahren dann fort: „Wenn sämmtliche deutsche Zeitungen alten Styls sich ihre Vergangenheit vorwerfen wollten, so könnte sich der Prozeß nur um die formelle Frage 40 bewegen, ob sie gesündigt haben durch das, was sie thaten, oder durch das, was sie nicht thaten. Wir würden unserer Freundin der ,Rhein- und 343 Publizistische Arbeiten Moselzeitung' gern den harmlosen Vorzug vor der Leipziger Allgemeinen Zeitung einräumen, nicht nur keine schlechte, sondern gar keine Existenz gewesen zu sein." Wir sagen also nicht, daß auch andre Blätter, wir sagen, daß sämmtliche deutsche Zeitungen älteren Styls, worunter wir ausdrücklich die „Rhein- 5 und Moselzeitung" begreifen, nicht sich mit einander vollständig entschul digen, sondern sich mit Recht dieselben Vorwürfe machen können. Nur könne die „Rhein- und Moselzeitung" den zweideutigen Vorzug in An spruch nehmen, durch das gesündigt zu haben, was sie nicht that, also ihre Unterlassungssünden den Begehungssünden der Leipziger Allgemeinen 10 Zeitung gegenüberstellen. Wir können der „Rhein- und Moselzeitung" ihre passive Schlechtigkeit an einem frischen Beispiel erklären. Sie kühlt jetzt an der todten Leipziger Allgemeinen Zeitung ihr fanatisches Gelüste, wäh rend sie die Leipziger Allgemeine Zeitung bei Lebzeiten excerpirte, statt sie zu widerlegen. Das Gleichniß, womit der „allermäßigste Verstand" unser 15 Raisonnement sich zu verdeutlichen strebt, bedarf einer kleinen aber wesentlichen Correktur. Er hatte nicht von einem Spitzbuben sprechen müssen, der sich vor Gericht mit den andern frei umher laufenden Spitz buben entschuldigt. Er hätte von zwei Spitzbuben sprechen müssen, von denen der eine, der sich nicht gebessert hat und nicht eingesperrt wird, 20 über den andern triumphirt, der eingesperrt wird, obgleich er sich gebessert hat. „Zu dem" fährt der „allermäßigste Verstand" fort, „zu dem ,wird der Rechtszustand durch den moralischen Charakter oder gar die politischen und religiösen Meinungen der Individuen nicht alterirt', und hat folglich selbst ein absolut schlechtes Blatt eben dadurch, daß es lediglich eine 25 schlechte Existenz ist, auch ein Recht, eine solche schlechte Existenz zu sein: (gerade wie allem übrigen Schlechten auf Erden, eben wegen seiner schlechten Existenz auch das Recht zu existiren nicht bestritten werden kann.)" Es scheint, der fromme Herr will uns überzeugen, daß er nicht nur nicht 30 bei keinem „großen", sondern auch nicht einmal bei einem „kleinen" Philosophen in die Schule gegangen ist. Der Passus, dem unser Freund so wunderlich verzerrte und verworrene Züge andichtet, lautete, ehe er in dem Medium des „allermäßigsten Ver standes" sich gebrochen hatte, also: 35 „Indeß unser inkriminirter Artikel sprach nicht von dem vergangenen, sondern von dem gegenwärtigen Charakter der Leipziger Allgemeinen Zeitung, obgleich wir, wie sich von selbst versteht, gegen ein Verbot etc. etc. der zu Koblenz erscheinenden ,Rhein- und Moselzeitung' nicht minder ernst gemeinte Einwendungen zu machen hätten, denn der Rechtszustand 40 wird durch den moralischen Charakter oder gar die politischen und religiö- 344 Die Denunziation der „Kölnischen" und die Polemik der „Rhein- und Mosel-Zeitung" sen Meinungen der Individuen nicht alterirt. Der rechtlose Zustand der Presse ist vielmehr über allen Zweifel erhaben, sobald man ihre Existenz von ihrer Gesinnung abhängig macht. Bis jetzt gibt es nämlich noch keinen Codex der Gesinnung und keinen Gerichtshof der Gesinnung." 5 Wir behaupten also nichts, als daß ein Mensch nicht eingesperrt, oder seines Eigenthums oder irgend eines andern juristischen Rechtes verlustig gehen könne wegen seines moralischen Charakters, wegen seiner politi schen und religiösen Meinungen, welche letztere Behauptung unseren religiösen Freund besonders zu alteriren scheint. Wir wollen den Rechts- 10 zustand einer schlechten Existenz ungefährdet wissen, nicht weil sie schlecht ist, sondern insoweit ihre Schlechtigkeit in der Gesinnung, für die es keinen Gerichtshof und keinen Codex gibt, stecken bleibt. Wir stellen also die Existenz der schlechten Gesinnung, für die es keinen Gerichtshof gibt, der Existenz der schlechten Handlungen entgegen, die, wenn sie 15 ungesetzmäßig sind, ihren Gerichtshof und ihre strafenden Gesetze finden. Wir behaupten also, daß eine schlechte Existenz, obschon schlecht, wenn nur nicht ungesetzmäßig, ein Recht zu existiren habe. Wir behaupten nicht, was unser Scheinecho zurückhallt, daß einer schlechten Existenz, eben weil sie „lediglich eine schlechte Existenz" sei, „das Recht zu existiren 20 nicht bestritten werden könne". Vielmehr wird sich unser ehrwürdiger Gönner überzeugt haben, daß wir ihm und der „Rhein- und Moselzeitung" das Recht, eine schlechte Existenz zu sein, bestreiten, und sie daher mög lichst zu guten Existenzen umwandeln wollen, ohne uns deswegen zu einem Angriff auf den „Rechtszustand" der Rhein- und Moselzeitung und ihres 25 Schildknappen berechtigt zu halten. Noch eine Probe von dem „Verstandes maß" unseres frommen Eiferers: „Wenn aber das Organ ,des politischen Gedankens' so weit geht, zu behaupten, daß solche Blätter, wie die Leipziger Allgemeine Zeitung (und ganz vorzüglich sie, die Rheinische, wie sich von selbst versteht) ,vielmehr zu loben und von Staatswegen zu loben' seien, 30 weil sie auch angenommen, daß sie Unzufriedenheit und Verstimmung erregten, doch deutsche Unzufriedenheit und deutsche Verstimmung er regten, so können wir doch nicht umhin, unsern Zweifel an diesem selt samen ,Verdienst um das deutsche Vaterland' auszusprechen." Die an gezogne Stelle lautet im Original also: „Sind aber nicht vielmehr die Blätter 35 zu loben und von Staatswegen zu loben, welche die Aufmerksamkeit, das fieberhafte Interesse, die dramatische Spannung, die alles Werdende, die vor Allem die werdende Zeitgeschichte begleiten, dem Ausland entreißen und dem Vaterland erobern! Nehmt selbst an, sie erregten Unzufriedenheit, Verstimmung! So erregen sie doch deutsche Unzufriedenheit, deutsche 40 Verstimmung, so haben sie dem Staat immer noch die abgewandten Ge müther zurückgeschenkt, wenn auch zunächst aufgeregte, verstimmte 345 Publizistische Arbeiten Gemüther! Und sie haben nicht nur Unzufriedenheit und Verstimmung etc., sie haben vor Allem eine wirkliche Theilnahme am Staate erregt, sie haben den Staat zu einer Herzens-, zu einer Hausangelegenheit etc. gemacht." Unser Ehrwürdiger läßt also die verbindenden Mittelglieder aus. Es ist, als wenn wir ihm sagten: Bester Mann! Sein Sie uns dankbar. Wir klären Ihren Verstand auf, und wenn wir Sie auch ein wenig ärgern, so ist es doch immer ihr Verstand, der dabei gewinnt, und unser Freund antwortete: Wie! ich soll Ihnen dankbar sein, weil Sie mich ärgern! Nach diesen Proben des „allermäßigsten Verstandes" wird man die unmäßige Phantasie unseres Verfassers, die uns schon Kohortenweise „sengend und brennend die deutschen Gauen durchziehen" läßt, auch ohne tiefere psychologische Studien erklärlich finden. Zum Schlüsse wirft unser Freund die Maske weg. „Ulrich v. Hutten und seine Genossen", unter denen bekanntlich auch Luther zählt, werden der Löwenkutte in der „Rhein- und Moselzeitung" ihren ohnmächtigen Aerger verzeihen. Wir können nur über eine Ueber- treibung erröthen, die uns so großen Männern anreiht, und wollen, weil ein Dienst des andern werth ist, unseren Freund mit dem Hauptpastor Goeze zusammenstellen. Wir rufen ihm also mit Lessing zu: „Und sonach meine ritterliche Absage nur kurz. Schreiben Sie, Herr Pastor, und lassen Sie schreiben, so viel das Zeug halten will; ich schreibe auch. Wenn ich Ihnen in dem geringsten Ding Recht lasse, wo Sie nicht Recht haben: dann kann ich die Feder nicht mehr rühren." 346 Die „Rhein- und Mosel-Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 16, 16. Januar 1843 * Köln, 15. Jan. Der Nr. 1 der Rhein- und Moselzeitung vom 11. Januar, dem wir als Vorreiter des Löwenartikels eine flüchtige Aufmerksamkeit vor einigen Tagen gewidmet haben, sucht heute an einem Beispiel nach zuweisen, wie wenig „die in ihrer Dialektik Ueber schlagende (die Rheinische Zeitung) einen einfachen, klar ausgesprochenen Satz klar aufzufassen" vermöge. Er, Nr. 1, habe nämlich gar nicht gesagt, daß die „Rheinische Zeitung" das Verbot der Münchener politischen Blätter zu rechtfertigen gesucht, „wohl aber, daß sie in demselben Moment, worin sie zur Ver fechterin unbedingter Preßfreiheit sich aufwirft, keinen Anstand nimmt, ein wirklich verbotenes Blatt zu schmähen, daher die Ritterlichkeit, womit sie selbst gegen ein Verbot der Rhein- und Moselzeitung in die Schranken treten zu wollen versichert, nicht eben weit her zu sein scheine". Der Vor reiter Nr. 1 übersieht, daß zwei Gründe seine Unruhe über unser ritterliches Betragen bei einem etwaigen Verbot der Rhein- und Moselzeitung ver ursachen konnten und daß auf beide Gründe geantwortet wurde. Der gute Vorreiter, mußten wir denken, traut entweder unserer Versicherung nicht, weil er in der angeblichen Schmähung auf die Münchener politischen Blätter eine versteckte Rechtfertigung ihres Verbots sieht. Wir konnten einen solchen Gedankengang bei dem guten Vorreiter um so mehr voraussetzen, als der gemeine Mann die eigenthümliche Schlauheit besitzt, aus solchen, wie ihm scheint, unbewußt „entschlüpften" Aeußerungen die wahre Mei nung herausdeuten zu wollen. Für diesen Fall beruhigen wir den guten Vorreiter dadurch, daß wir ihm nachweisen, wie unmöglich ein Zusammen hang zwischen unserer Aeußerung über die Münchener politischen Blätter und einer Rechtfertigung ihres Verbots vorhanden sein könne. Oder Nr. 1, war die zweite Möglichkeit, findet es überhaupt bedenklich und unritterlich, daß wir einem wirklich verbotenen Blatt, wie den Mün chener politischen Blättern, Parteipolemik gegen den Protestantismus vor werfen? Er erblickt hierin eine Schmähung. Und für diesen Fall stellten wir an den guten Vorreiter die Frage: „Wenn wir in demselben Momente, wo wir 347 Publizistische Arbeiten die Leipziger Allgemeine Zeitung gegen das ,eben erfolgte Verbot' in Schutz nahmen, ihrer Parteipolemik gegen den Katholizismus mit der Rhein- und Moselzeitung erwähnen, durften wir die Parteipolemik der ,längst ver botenen' ,Münchener politischen Blätter' nicht ohne die Rhein- und Mosel zeitung erwähnen?" Das hieß: Wir schmähen die Leipziger Allgemeine 5 Zeitung nicht, indem wir ihrer antikatholischen Parteipolemik mit dem Consens der Rhein- und Moselzeitung erwähnen. Wird unsere Behauptung von der katholischen Parteipolemik der Münchener politischen Blätter zur Schmähung werden, weil sie so unglücklich ist, nicht den Consens der Rhein- und Moselzeitung zu besitzen? 10 Weiter hat Nr. 1 doch nichts gethan, als unsere Behauptung eine Schmä hung genannt, und seit wann haben wir uns verpflichtet, dem Nr. 1 aufs Wort zu glauben? Wir sagten: Die Münchener politischen Blätter sind ein katholisches Parteiblatt und in dieser Rücksicht eine umgekehrte Leipziger Allgemeine Zeitung. Der Vorreiter in der Rhein- und Moselzeitung sagt: 15 Sie sind kein Parteiblatt und keine umgekehrte Leipziger Allgemeine Zei tung. Sie seien keine „gleiche Niederlage von Unwahrheiten, dummen Klatschereien und Verhöhnungen gegen nicht-katholische Bekenntnisse". Wir sind weder theologische Klopffechter der einen noch der andern Seite, aber man lese nur die psychologische, klatschhaft-gemeine Schüderung 20 Luthers in den Münchner politischen Blättern, man lese nur, was die „Rhein- und Moselzeitung" von „Hutten und seinen Genossen" sagt, um zu entscheiden, ob das „gemäßigste" Blatt den Standpunkt einnimmt, von dem es entscheiden könnte, was religiöse Parteipolemik sei und was nicht. Schließlich verspricht uns der gute Vorreiter eine „nähere Charakteri- 25 sirung der Rheinischen Zeitung". Nous verrons. Die kleine Partei zwischen München und Koblenz fand schon einmal, daß der „politische" Sinn der Rheinländer entweder für gewisse unstaatliche Bestrebungen ausgebeutet, oder als ein „Aergerniß" unterdrückt werden müsse. Sollte sie in der schnellen Verbreitung der Rheinischen Zeitung durch die Rheinprovinz 30 ihre gänzliche Bedeutungslosigkeit konstatirt sehen, ohne sich zu ärgern? Ist der jetzige Moment ungünstig zum Aergern? Wir finden das alles passa bel gut überlegt und bedauern nur, daß jene Partei in Ermangelung eines bedeutenderen Organs mit dem guten Vorreiter und seinem unscheinbaren „gemäßigten" Blatte vorlieb nehmen muß. Man mag aus diesem Organ auf 35 die Macht der Partei schließen. 348 Γ Randglossen zu den Anklagen des Ministerialreskripts I I j ' ι ' |i|Randglossen zu den Anklagen des Ministerialrescripts. ι „Dasselbe (das Rheinische Blatt) verfolgte von seiner Entstehung an eine 5 so verwerfliche Richtung etc." „Unverkennbar" heißt es „herrschte in der Zeitung fortgesezt die Absicht vor, die Verfassung des Staats in ihrer Basis anzugreifen, Theorien zu entwickeln, welche auf Erschütterung des monarchischen Prinzips abzielen, das Verfahren der Regierung in der öffentlichen Meinung böswillig zu verdächtigen, einzelne Stände der Nation 10 gegen die anderen aufzureizen, Mißvergnügen mit den bestehenden gesetz- liehen Zuständen zu erwecken und sehr feindseelige Richtungen gegen be freundete Mächte zu begünstigen. Die Ansichten über angebliche Mängel der Verwaltung wurden, abgesehen davon, daß sie meist aus der Luft ge griffen waren und größtentheils der Gründlichkeit und Sachkenntniß ent- 15 behrten, nicht in ernstem, ruhigem und würdigem Tone, sondern unter ge hässiger Anfeindung des Staates und seiner Verwaltungsformen und Organe entwickelt." Eine Richtung wird offenbar nicht schon dadurch verwerflich, daß die Regierung sie für verwerflich erklärt. Auch das kopernikanische Welt- 20 system wurde von der zeitweiligen höchsten Autorität nicht nur verwerflich gefunden, sondern wirklich verworfen. Ferner ist es überall Rechtens, daß der Ankläger den Beweis führt. Endlich wird der Rheinischen Zeitung die „unverkennbare Absicht" der zur Last gelegten Frevelthaten imputirt. Eine Absicht ist aber erst erkennbar, also noch mehr unverkennbar, sobald sie 25 sich in Thaten verwirklicht hat./ |ll| Geben wir aber selbst einen Augenblick zu, (was wir indessen förm lich in Abrede stellen), sämmtliche Anschuldigungen des Ministerialrescripts 349 Publizistische Arbeiten seien begründet, so wird sich nichts desto weniger ergeben, daß sie in ihrer jetzigen unbestimmten und vieldeutigen Fassung das Verbot jeder belie bigen Zeitung ebenso viel und ebenso wenig motiviren würden, wie das Verbot der Rheinischen Zeitung. Zunächst soll in der Rheinischen Zeitung die „unverkennbare Absicht" 5 vorgeherrscht haben, „die Verfassung des Staats in ihrer Basis anzugreifen". Bekanntlich herrscht aber unverkennbar eine grosse Meinungsverschieden heit über die preussische Verfassung und ihre Basis vor. Einige läugnen, daß die Basis eine Verfassung, andre, daß die Verfassung eine Basis habe. Eine andere Ansicht haben Stein, Hardenberg, Schön, eine andere 10 Rochow, Arnim, Eichhorn. Hegel glaubte zu seinen Lebzeiten in seiner Rechtsphilosophie die Basis der preussischen Verfassung niedergelegt zu haben und die Regierung und das deutsche Publicum glaubten es mit ihm. Die Regierung bewies dieß unter anderm durch das officielle Verbreiten seiner Schriften; das Publicum aber, indem es ihm vorwarf, preussischer 15 Staatsphilosoph zu sein, wie im alten Leipziger Conversationslexikon zu lesen steht. Was damals Hegel glaubte, glaubt heut zu Tage Stahl. Hegel las im Jahre 1831 auf speziellen Befehl der Regierung Rechtsphilosophie. | IIIIj Im Jahre 1830 erklärte die Staatszeitung Preussen für eine Monar chie, umgeben mit republikanischen Institutionen. Sie erklärt es heute für 20 eine Monarchie umgeben mit christlichen Institutionen. Bei dieser grossen Meinungsverschiedenheit über die preussische Ver fassung und ihre Basis, scheint es natürlich, daß auch die Rheinische Zeitung ihre Meinung hatte, die zwar von der zeitweiligen Regierungsansicht abweichen mag, die aber nichts desto weniger sowohl die preussische Ge- 25 schichte, als viele Elemente des gegenwärtigen Staatslebens, als endlich hochgestellte Autoritäten für sich anzuführen hat. Weit entfernt also, daß die Rheinische Zeitung beabsichtigt hätte, die preussische Verfassung in ihrer Basis anzugreifen, griff sie, ihrer Ueber zeugung nach, im Gegentheil nur die Abweichungen von dieser Basis an. 30 In Bezug auf das Verbot der Rheinischen Zeitung bezeichnet ein officiel- ler Artikel in der „Allgemeinen Königsberger Zeitung" Preussen als den Staat der „liberalen Souverainetät". Es ist dieß eine Definition, die sich nicht im preussischen Landrecht findet und die alle möglichen Deutungen zuläßt. I 31 IIV J Man kann unter „liberaler Souverainetät" ein doppeltes verstehn, entweder, daß die Freiheit blos persönliche Gesinnung des Königs sei, also seine persönliche Eigenschaft oder daß die Freiheit der Geist der Souveraine tät sei, also auch in freien Institutionen und Gesetzen verwirklicht ist oder wenigstens verwirklicht werden soll. Im ersten Fall hat man den despotisme 40 éclairé und stellt die Person des Fürsten dem Staatsganzen, als einem geist- 350 Randglossen zu den Anklagen d es Ministerialreskripts losen und unfreien Stoffe gegenüber. Im lezten Falle beschränkt man, und dieß war die Ansicht der Rheinischen Zeitung, den Fürsten nicht auf die Grenzen seiner Person, sondern betrachtet den ganzen Staat als seinen Körper, so daß die Institutionen die Organe sind, in denen er lebt und wirkt, 5 so daß die Gesetze die Augen sind, mit denen er sieht. Es soll ferner die Absicht der Rheinischen Zeitung gewesen sein „Theo rien zu entwickeln, welche auf Erschütterung des monarchischen Prinzips abzielen". Wiederum fragt es sich, was versteht man unter „monarchischem Prin- 10 cip"? Die Rheinische Zeitung z.B. behauptete ||v| das Vorherrschen der Standesunterschiede, einseitige Bureaucratie, Censur etc. widersprächen dem monarchischen Prinzip und sie hat ihre Behauptungen stets zu beweisen gesucht, sie hat sie nicht als blose Einfälle hingestellt. Ueberhaupt aber hat die Rheinische Zeitung niemals mit besondrer Vorliebe eine besondre 15 Staatsform behandelt. Ihr war es um ein sittliches und vernünftiges Gemein wesen zu thun, sie betrachtete die Forderungen eines solchen Gemein wesens als Forderungen, die unter jeder Staatsform verwirklicht werden müßten und verwirklicht werden könnten. Sie behandelte also das monar chische Prinzip nicht als ein apartes Princip, sie behandelte vielmehr die 20 Monarchie als Verwirklichung des staatlichen Princips überhaupt. War dieß ein Irrthum, so war es kein Irrthum der Geringschätzung, sondern der Ueberschätzung. Die Rheinische Zeitung hat ferner nie gesucht, das Verfahren der Regie rung in der öffentlichen Meinung böswillig zu verdächtigen. Sie hat viel- 25 mehr aus gutem Willen dem Volksgeist widerstrebende Maaßregeln der Regierung selbst zu verdächtigen gesucht. Sie hat ferner nie die ||[VI]| Regie rung dem Volk abstrakt gegenübergestellt, sondern vielmehr die Staats gebrechen ebenso sehr als Gebrechen des Volks, wie der Regierung betrachtet. 30 Was die Gründlichkeit und Sachkenntniß, wie den Ton der Rheinischen Zeitung betrifft, so hat wenigstens keine einzige Zeitung in Deutschland mehr Gründlichkeit und Sachkenntniß entwickelt. Der Ton aber ist wahrhaft ernst, ruhig und würdig, wenn man ihn mit dem polternden Ton der servilen (conservativen) Journale vergleicht. Es ist der Rheinischen Zeitung in dieser 35 Hinsicht wohl nicht mit Unrecht der Vorwurf der Impopularität, der zu wissenschaftlichen Form gemacht worden, was dem Vorwurf des Ministe riums direkt widerspricht. Die Rheinische Zeitung hat ebenso wenig einzelne Stände der Nation gegen andre einzelne Stände, sie hat vielmehr jeden Stand gegen seinen 40 eigenen Egoismus und Beschränktheit aufzureizen gesucht, sie hat überall die Staatsbürgerliche Vernunft gegen die ständische Unvernunft und die 351 Publizistische Arbeiten menschliche Liebe gegen den ständischen Haß geltend gemacht. Sie hat hierin überdem, wenn ||[VII]| sie gesündigt hat, nur eine Sünde begangen, die durch das Gesetz und die Sitte der Rheinprovinz sanktionirt ist. Der Vorwurf „Mißvergnügen mit den bestehenden gesetzlichen Zu ständen erregt" haben zu wollen, kann in dieser unbestimmten Fassung 5 nicht einmal als Vorwurf betrachtet werden. Auch die Regierung hat Mißvergnügen mit den bestehenden gesetzlichen Zuständen, z.B. mit den altpreussischen Ehezuständen zu erregen gesucht. Jede Gesetzreform und Revision, jeder Fortschritt beruht auf solchem Mißvergnügen. 10 Da eine gesetzliche Entwicklung nicht möglich ist ohne Entwicklung der Gesetze, da eine Entwicklung der Gesetze unmöglich ist ohne eine Kritik der Gesetze, da jede Kritik der Gesetze den Kopf also auch das Herz der Staatsbürger mit den bestehenden Gesetzen entzweit, da diese Entzweiung als Mißvergnügen ||[VIII]| empfunden wird, so ist eine loyale Betheiligung 15 der Presse an der Staatsentwicklung unmöglich, wenn sie nicht Mißvergnü gen mit den bestehenden gesetzlichen Zuständen erregen darf. Der Vorwurf, daß die Rheinische Zeitung loyale Organe mit unwürdigem Spott verfolgt, der sich wohl auf die Zeitungspolemik beziehn soll, kann keinen Grund zu einem Verbot abgeben. Die Rheinische Zeitung wurde von 20 allen Seiten denuncirt, mit Koth geworfen, angegriffen. Es war ihre Pflicht sich zu vertheidigen. Ueberdem giebt es keine officielle Presse. Die Rheinische Zeitung hat auswärtige Mächte nicht beleidigt, sondern nur deren Beleidigungen gegen Deutschland gerügt. Sie hat hierin nur eine nationale Politik befolgt. Was die deutschen Bundesstaaten angeht, so hat 25 sie hier nur die Ansicht der Majorität der Volksvertreter in diesen Staaten ausgesprochen. | |ix| In Bezug auf die Religion endlich hat sie nach dem Art. II des Cen suredicts von 1819 gehandelt, nämlich dem fanatischen Herüberziehn von Religionswahrheiten in die Politik und der daher entspringenden Verwirrung 30 der Begriffe entgegengearbeitet. II Hätte die Rheinische Zeitung eine systematische Opposition gegen die Regierung bilden wollen, so hätte sie eine ganz entgegengesezte Taktik beobachten müssen. 35 Sie hätte den Vorurtheilen der Rheinprovinz geschmeichelt, statt ihnen entgegenzutreten. Sie hätte vor allem den religiösen Vorurtheilen gehuldigt und in der Manier der Ultramontanen den Gegensatz der nord- und süd- 352 Randglossen zu den Anklagen d es Ministerialreskripts deutschen Bildung ||[X]| ausgebeutet, statt die norddeutsche Bildung in die Rheinprovinz einzuführen. Sie hätte sich an französische und nicht an deutsche Theorien angelehnt. Sie hätte der Staatsidee in ihrer Einheit den Provinzialgeist in seinen 5 besonderen Schranken entgegengesezt, also vor allem, wie Görres es thut, die Provinziallandtage in Schutz genommen. 10 Sie hätte alles Gute auf Seite der Stände und alles Böse auf Seite der Regierung gesehn, wie es der gewöhnliche Liberalismus thut. Sie hätte nicht, was sie in Gegensatz zu vielen rheinischen Liberalen brachte, in ihrer Kritik der Rheinischen Stände die allgemeine Weisheit der Regierung gegen den Privategoismus der Stände hervorgehoben. Sie hätte endlich mit anderen Blättern Chorus gemacht und erweiterte |j[XI]| Rechte der Aus schüsse begehrt, statt ein solches Begehren als Staatswidrig darzustellen. III 15 Endlich ist es eine seltsame Uebertreibung von der Böswilligkeit der ganzen Tendenz zu sprechen, da sonach 1) der Kampf für den Zollverein 2) für Preussen in der russischen Cartelangelegenheit 3) für die preussische Hegemonie 4) das beständige Hinweisen auf Preussen als den Staat des Fortschritts 5) das Lob der preussischen Volksthümlichen Einrichtungen, als Heer, 20 Verwaltung etc. ebenfalls bösartig wäre. So hat auch die Rheinische Zeitung nicht einseitig die Bureaucratie be- 25 kämpft. Sie hat sie vielmehr ||[XII]| geltend gemacht: 1) gegen Bülow-Cummerow, 2) gegen die romantische Richtung. Sie war vielmehr die einzige liberale Zeitung, welche auch ihre gute Seite, wie die gute Seite der altpreussischen Gesetzgebung anerkannte. 30 So hat die Rheinische Zeitung allein den Hauptgrundsatz des neuen Ehescheidungsgesetzes vertheidigt im Widerspruch fast zu allen andern Blättern. So hat sie endlich die Cabinetsordre über die Berichtigungen zuerst und fast allein als einen Fortschritt begrüßt. 35 Wir führen diese Beispiele nur an, um zu beweisen, daß die Rheinische Zeitung nicht systematische, abstrakte Opposition gemacht, sondern immer nur das ihrer Ueberzeugung nach Vernünftige geltend gemacht, mochte es nun von dieser oder jener Seite ausgehn.| 353 Zum Ausbleiben der Fortsetzung der „Rechtfertigung des tt-Korrespondenten von der Mosel" Erklärung der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Trier'sche Zeitung. Nr. 55, 25. Februar 1843 Unterzeichnete Redaction findet sich durch eine Anfrage der „Trier'schen Zeitung" zu der Erklärung veranlaßt, daß die Fortsetzung der Moselcorre- spondenz auf Hindernisse stieß, die weder dem Correspondenten, noch der Redaction imputirt werden können. Die Redaction der Rheinischen Zeitung. 354 Die hiesige Landtagsabgeordnetenwahl Rheinische Zeitung. Nr.68, 9. März 1843 * Köln, 9. März. Die „Rhein- und Moselzeitung", welche so bescheiden ist, weder „die am meisten gelesene Zeitung der Rheinprovinz", noch eine „Trägerin des politischen Gedankens" zu sein, bemerkt in Bezug auf die Abgeordnetenwahl der Stadt Köln u. a. 5 „Wir sind gern bereit, die Herren Merkens und Camphausen für sehr ehrenwerthe Männer zu halten, („und ehrenwerthe Männer sind sie alle", heißt es in der Tragödie), und selbst (man bedenke wohl!) selbst der Rhei nischen Zeitung Beifall zu schenken, (höchst werthvolles Geschenk!) wenn sie dieselben triumphirend den Gegnern der Rechte unserer Provinz ent- 10 gegenstellt, aber um so schärfer und entschiedener müssen wir die Gründe tadeln, durch die man auf die Wahl jener Herren einen Einfluß zu nehmen gesucht hat, nicht als ob diese Gründe keine Berücksichtigung verdienten, sondern weil sie keine so ausschließliche, nur eine sekundäre verdienten." Es wurde nämlich an verschiedene Wähler der Stadt Köln folgendes litho- 15 graphirte Schreiben vertheilt: „Was die Stadt Köln auf dem bevorstehenden Landtage zunächst und am wichtigsten zu vertreten hat, sind unbestreitbar ihre Handels- und industriel len Zustände, und deshalb wird die Wahl auf Männer fallen müssen, die neben ehrenhafter Gesinnung und unabhängiger, bürgerlicher Stellung unter 20 uns, mit dem Gange dieser Verhältnisse nach allen Richtungen genau be kannt und befähigt sind, sie von dem richtigen Standpunkte aufzufassen, zu beleuchten und zu entwickeln." Folgt die Hinweisung auf die obengenannten, gewiß sehr ehrenwerthen Männer. — Sodann heißt es zum Schluß: 25 „Unsere Stadt nimmt schon heute in der merkantilischen Welt einen mächtigen Sitz ein; es steht ihr aber eine noch weit größere Verbreitung ihres Handels und Gewerbes bevor, und die Entwickelungszeit ist nicht ferne. - Segel- und Dampf-Schifffahrt, Schlepp-Schifffahrt und Eisenbahn werden unserer Stadt die Zeit der alten Hansen zurückführen — nur muß 355 Publizistische Arbeiten ihr wahres Interesse mit Verstand und Umsicht auf dem bevorstehenden Landtage vertreten werden. Köln, am 24. Febr. Mehre Wähler." Dieses Schreiben veranlaßt die höchst spirituelle „Rhein- und Mosel zeitung" zu folgender Capucinade: „Wenn irgendwo die materiellen Lokal-Interessen der Gestalt vorherr schen, daß geistige und allgemeine Bedürfnisse nicht einmal leise durch schimmern, darf da es Wunder nehmen, wenn von denjenigen, die die Zügel der Regierung in Händen haben, auch nur auf die erstem Rücksicht ge nommen, die zweiten aber allein nach ihrem Gutbefinden angeordnet werden? Ο du große Stadt Köln, du heilige Stadt Köln, du witzige Stadt Köln, wie weit ist es mit den geistigen Zuständen und historischen Erinne rungen mancher deiner Kinder gekommen! Mit der Verwirklichung von Wünschen und Hoffnungen, die dich höchstens zu einem großen Klüngel- (Beutel) machen können, wähnen sie die Zeit der alten Hansen zurück zuführen!!!" Die „Rhein- und Moselzeitung" tadelt nicht die Wahl der Abgeordneten, sie tadelt die Gründe, welche auf diese Wahl „Einfluß genommen" haben sollen. Und welches waren diese Gründe? Die „Rhein- und Moselzeitung" citirt ein Umlaufsschreiben an verschiedene Wähler, worin die „Handels und industriellen Zustände" als die wichtigsten Gegenstände der Vertretung Köln's auf dem bevorstehenden Landtage bezeichnet werden. Woher weiß die Rhein- und Moselzeitung, daß dieses Umlaufsschreiben, das übrigens, wie die Rhein- und Moselzeitung selbst gesteht, nur an „verschiedene" Wähler gelangte, solchen Effekt auf die Gemüther der Wähler hervor brachte, daß es vorzugsweise und ausschließlich die Wahl der Herren Camphausen und Merkens entschied? Weil in einem Umlaufsschreiben aus ganz besonderen Gründen die Wahl dieser Herren empfohlen wird, und weil diese Herren wirklich gewählt wurden, folgt daher irgendwie, daß die Wahl dieser Herren eine Konsequenz jener Empfehlung und ihrer besondern Motivirung ist? Die „Rhein- und Moselzeitung" schenkt der Rheinischen Zeitung Beifall, wenn sie die Herren Camphausen und Merkens „triumphirend den Gegnern der Rechte unserer Provinz entgegenstellt". Was bewegt sie zu diesem „Beifallschenken"? Offenbar der Charakter der Gewählten. Sollte dieser Charakter zu Köln weniger bekannt gewesen sein als zu Koblenz? Unter den am Landtag zu vertretenden Interessen nennt die „Rhein- und Mosel zeitung" nur die „freiere Gemeindeverfassung" und die „Erweiterung der ständischen Rechte". Glaubt sie, man wisse zu Köln nicht, daß Herr Mer kens sich an verschiedenen Landtagen durch seinen Kampf für die „freie Gemeindeverfassung" ausgezeichnet, daß er sogar an einem Landtag im 356 Die hiesige Landtagsabgeordnetenwahl Gegensatz fast zur ganzen Versammlung die freie Gemeinde ver fas sung männlich und unverdrossen vertheidigt hat? Was aber „die Erweiterung der ständischen Interessen" betrifft, so ist es zu Köln sehr wohl bekannt, daß Herr Merkens vorzugsweise gegen die Schmälerung dieser Interessen durch die Autonomie protestirt hat, daß er indessen ebenso entschieden das ständische Interesse in seine Schranken zurückwies, wo es dem allgemei nen Interesse, dem allgemeinen Recht und der Vernunft opponirte, wie in den Debatten über das Holzdieb Stahls- und Jagdgesetz. Wenn also der allgemeine Beruf des Herrn Merkens zum Landtagsabgeordneten durch seine ganze parlamentarische Laufbahn außer allen Zweifel gesetzt ist, wenn die seltene, universale Bildung, die hohe Intelligenz und der ernste, ehrenwerthe Charakter des Herrn Camphausen allgemein bekannt und anerkannt sind, woher weiß die „Rhein- und Moselzeitung", daß die Wahl jener Herren nicht diesen in die Augen fallenden Gründen, sondern vielmehr dem citirten Umlaufsschreiben ihr Leben verdankt? Nein! nein! wird uns das ehrenwerthe Blatt antworten, das behaupte ich nicht, bei Leibe nicht! Mein zarter spiritualistischer Sinn nimmt nur Aerger- niß an den Urhebern jenes Umlaufschreibens, an jenen Materialisten, welche, statt der geistigen und wahrhaften Volksinteressen auch noch ganz andere und viel niedrigere Motive hervorgezogen, welche durch unpassende Gründe auf die Wahl jener Herren einen Einfluß zu nehmen gesucht haben, auf jene „Kinder Kölns", mit deren „geistigen Zuständen und historischen Erinnerungen" es so weit herabgekommen ist! Wenn die „Rhein- und Moselzeitung" nur mit den Urhebern jenes anonymen Schreibens zu thun hat, warum erhebt sie so großes Geschrei? Warum sagt sie: „Wenn irgendwo die materiellen Lokalinteressen der Gestalt vorherrschen, daß geistige und allgemeine Bedürfnisse nicht ein Mal leise durchschimmern, darf da es Wunder nehmen, wenn von denjeni gen, die die Zügel der Regierung in Händen haben, auch nur auf die erstem Rücksicht genommen, die zweiten aber allein nach ihrem Gutbefinden angeordnet werden!" Herrschen denn die materiellen Lokalinteressen aus schließlich in Köln vor, weil sie ausschließlich in einem anonymen Umlaufs schreiben vorherrschen! Eben so wenig, wie die juristischen Interessen ausschließlich in Köln vorherrschen, weil sie in einem andern, ebenfalls verschiedenen Wählern zugegangenen Umlaufsschreiben ausschließlich geltend gemacht sind! Gibt es nicht in jeder Stadt, wie in jeder Familie geistlose Kinder? Wäre es billig, von diesen Kindern auf den Charakter der Stadt oder der Familie zu schließen? Allein bei Licht besehen ist das Umlauf schreiben wirklich nicht so ver werflich, wie das ehrenwerthe Koblenzer Blatt uns glauben machen will. Es wird sogar durch den Beruf der Landstände, wie er einmal gesetzlich 357 Publizistische Arbeiten bestimmt ist, vollständig gerechtfertigt. Der gesetzliche Beruf der Stände besteht theils darin, das allgemeine Interesse der Provinz, theils darin, ihr besonderes Standesinteresse geltend zu machen. Daß die Herren Camp hausen und Merkens würdige Vertreter der rheinischen Provinzialinteressen seien, das ist eine allgemeine Ueberzeugung, die von den Urhebern des 5 Umlaufschreibens weder befestigt, noch auch nur erwähnt zu werden brauchte. Es handelte sich also, da der allgemeine Beruf dieser Herren zu Land tagsabgeordneten über alle Diskussion erhoben war, nur mehr um die be sondern Erfordernisse eines kölnischen Deputaten, es handelte sich darum, 10 welches Stadtinteresse Köln auf dem „bevorstehenden Landtage" „zu nächst und am wichtigsten" zu vertreten habe! Wird man läugnen wollen, daß dies die „Handels- und industriellen Zustände" sind! Aber auch das einfache Läugnen wird nicht hinreichen, man wird den Beweis führen müssen. 15 Besondern Anstoß nimmt die „Rhein- und Moselzeitung" an dem Passus: „Segel- und Dampf-Schiff fahrt, Schlepp-Schifff ahrt und Eisenbahn werden unserer Stadt die Zeit der alten Hansen zurückführen." Ο Jammer über die arme Stadt Köln! Wie sie getäuscht wird! Wie sie sich selbst täuscht! „Mit der Verwirklichung von Wünschen und Hoffnungen, jammert die ,Rhein- 20 und Moselzeitung', die dich höchstens zu einem großen Klüngel-(Beutei) machen können, wähnen sie die Zeit der alten Hansen zurückzuführen!" Arme Rhein- und Moselzeitung! Sie versteht nicht, daß unter der „Zeit der alten Hansen" nur die Zeit des alten Handelsflors gemeint sein will, daß wirklich „alle geistige und allgemeine Bedürfnisse" zu Grabe geläutet, 25 daß die „geistigen Zustände" vollständig verrückt, daß alle „historische Erinnerungen" rein ausgelöscht sein müßten, wenn Köln die politische, sociale und intellectuelle Zeit der Hansastädte, die Zeit des Mittelalters zurückzuführen wünschte! Müßte die Regierung die „geistigen und all gemeinen Bedürfnisse" nicht ausschließlich zu ihrer Privatdomäne schlagen, 30 wenn eine Stadt sich aller vernünftigen und gesunden Anschauung der Gegenwart so völlig entfremdet hätte, um nur mehr in dem Traum der Vergangenheit zu leben! Wäre es nicht sogar die Pflicht der Regierung, die Pflicht ihrer Selbsterhaltung, die Zügel da straff anzuziehen, wo man in vollem Ernst dahinstrebte, die ganze Gegenwart und die Zukunft in die Luft 35 zu sprengen, um gewesene und verweste Zustände zurückzuführen! Wir wollen unsern Lesern reinen Wein einschenken. Es fand in Köln — und das zeugt am lautesten für seine politische Regsamkeit — ein ernster Wahlkampf statt, ein Kampf zwischen den Männern der Gegenwart und den Männern der Vergangenheit. Die Männer der Vergangenheit, die 40 Männer, welche die „Zeit der alten Hansastädte" mit Haut und Haar j 358 Die hiesige Landtagsabgeordnetenwahl restaurirt sehen möchten, sind trotz aller Machinationen völlig aus dem Felde geschlagen worden. Und nun kommen diese phantastischen Materia listen, denen jedes Dampfschiff und jede Eisenbahn ihre krasse Geistlosig- keit ad oculos demonstriren sollte, und sprechen heuchlerisch von „geistigen Zuständen" und „historischer Erinnerung" und weinen an den Gewässern Babylons über „die große Stadt Köln, die heilige Stadt Köln, die witzige Stadt Köln" — und hoffentlich sollen ihre Thränen so bald nicht versiegen! 359 Die „Rhein- und Mosel-Zeitung" als Großinquisitor Rheinische Zeitung. Nr. 71, 12. März 1843 * Köln, 11. März. Vor einigen Tagen publicirte die „Rhein- und Mosel zeitung" eine religiöse Bannbulle gegen die fromme „Kölnische Zeitung", heute steht die „ Trierische Zeitung" vor dem Inquisitionsgericht zu Koblenz und — mit Recht. „Die Trierische Zeitung" sagt nämlich bei Gelegenheit Friedrichs v. Sallet 5 u. A. „Vor uns liegt sein Werk, das ,Laien-Evangelium', das uns die heiligen, ewigen Wahrheiten des Evangeliums unverfälscht offenbart." „Er (Sallet) bestrebte sich, Mensch in dem hohen Sinne zu sein, wie Jesus das Vorbild gegeben, und offenbarte als wahrer Streiter des Herrn ewige Wahrheit." „Wer das lieset", sagt die „Rhein- und Moselzeitung", „und weiter nichts 10 von dem Hochgepriesenen weiß, sollte der nicht glauben, Herr v. Sallet müsse doch ein gläubiger Christ gewesen sein und in seinem Laien-Evan gelium des Herren Wort mit Flammeneifer gepredigt haben! Was aber ist in Wahrheit der Inhalt dieses Evangeliums ! Jene falsche und verderbliche Lehre, die ein Strauß, ein Feuerbach, ein Bruno Bauer, und wie sie alle 15 heißen mögen, die Apostel des modernen Heidenthums, in Hörsälen und in Schriften dem engeren Kreise der Gelehrten vortragen u. s. w." Als authentische Belege ihrer Behauptung citirt die „Rhein- und Mosel zeitung" „eine Stelle aus diesem Laien-Evangelium und zwar diejenige, worin die Parallele zwischen dem Verräther Judas und dem evangelischen 20 Christus, d. h. dem Christus, wie er in der Bibel dargestellt ist, gezogen wird". Die angeführten Belege beweisen schlagend, in welchen bewußten Gegen satz Sallet sich zu dem historischen Christenthum gestellt hatte. Eine verkehrte Humanität wird vielleicht durch die rücksichtslose Pole mik der Rhein- und Moselzeitung gegen den kaum Verstorbenen verletzt 25 werden, allein ist die Apologie der „Trierischen Zeitung" nicht viel inhuma ner, nicht ungleich verletzender? Ehre ich den Todten, wenn ich seine geistige Persönlichkeit verfälsche?Sallet bestrebte sich allerdings, Wahrheit zu offenbaren, aber keineswegs die Wahrheit des Evangeliums. Sallet bestrebte sich allerdings, ein wahrer Mensch zu sein, aber keineswegs ein 30 Streiter für die kirchliche Wahrheit. 360 Die „Rhein- und Mosel-Zeitung" als Großinquisitor Sallet glaubte vielmehr, die vernünftige Wahrheit nur im Gegensatz gegen die heilige Wahrheit, glaubte den sittlichen Menschen nur im Gegensatz gegen den christlichen Menschen geltend machen zu können — und darum schrieb er sein Laienevangelium. Und wie? Sein Apologet in der „Trier'schen 5 Zeitung" ehrte den Mann, wenn er sein ganzes Streben geradezu auf den Kopf stellt? Würdet Ihr den Luther ehren, wenn Ihr sagtet, er sei ein guter Katholik gewesen und den Pabst Ganganelli, wenn ihr ihn einen Jesuiten- mäcenas nenntet? Welche Heuchelei! Welche Schwachheit! Sallet war ein Republikaner; bist Du sein Freund, wenn Du seinen Royalismus prunkend 10 ausposaunst? Sallet liebte vor allem die Wahrheit und ihr glaubt, ihm nicht besser huldigen zu können, als durch die Unwahrheit? Oder kämpfen in Euch Christenthum und Freundschaft! Gut! So gesteht es ein, so sagt: Sallet war ein guter Mensch u. s. w. — aber ein schlechter Christ! Beklagt das, wenn ihr wollt, beklagt es öffentlich, nur gebt seine Werke nicht für leuchtende 15 Testimonia seines Christenthums aus. Verdammt ihr das Streben eures Freundes, so verdammt es sans gêne, wie die Rhein- und Moselzeitung, aber nicht auf einem heuchlerischen Umweg, nicht dadurch, daß ihr das an ihm lobt, was er nicht war, also eben das an ihm verwerft, was er wirk lich war. 20 Wenn wir auch zugestehen, daß das „Laienevangelium" selbst Anlaß zu einer solchen Auffassung geben mochte, daß Sallet hier noch keineswegs mit sich selbst im Klaren ist, daß er selbst den wahren Sinn des Evangeliums zu lehren glaubt, daß es ein leichtes ist, dem Citat der „Rhein- und Mosel zeitung" ganz christlich-klingende, widersprechende Citate entgegenzu- 25 stellen, so behält die „Rhein- und Moselzeitung" immer darin Recht, daß er an die Stelle des historischen ein selbstgemachtes Christenthum stellt. Schließlich noch ein Wort über die von der „Rhein- und Moselzeitung" citirten Stellen! Sie leiden an einem Grundmangel, an der Unpoesie, und überhaupt welch' verkehrter Einfall, theologische Controversen poetisch 30 behandeln zu wollen! Ist es je einem Componisten eingefallen, die Dogma- tik in Musik zu setzen? Abgesehen von dieser Ketzerei gegen die Kunst, was ist der Inhalt der citirten Stelle? Sallet findet es mit der Göttlichkeit Christi unvereinbar, daß Christus die verrätherische Absicht Judae kennt, ohne daß er ihn zu 35 bessern oder die Frevelthat zu vereiteln sucht. Sallet ruft daher (so citirt die Rhein- und Moselzeitung) aus: „Weh' dem Verblendeten! wer es auch sei, Der solche Züge von dem Herrn erdacht, Und, ihm dies Bischen Menschenkennerei Zu retten, ihn zum Zerrbild uns gemacht." 40 361 Publizistische Arbeiten Sallets Urtheil zeugt dafür, daß er weder Theologe, noch Philosoph war. Als Theologen konnte ihn der Widerspruch mit menschlicher Vernunft und Sittlichkeit nicht beunruhigen, denn der Theologe mißt das Evangelium nicht an menschlicher Vernunft und Sittlichkeit, sondern umgekehrt die menschliche Vernunft und Sittlichkeit an dem Evangelium. Als Philosoph dagegen würde er solche Widersprüche in der Natur des religiösen Den kens begründet gefunden, den Widerspruch daher als notwendiges Pro dukt der christlichen Anschauung begriffen und keineswegs als eine Ver fälschung derselben verdammt haben. Die „Rhein- und Moselzeitung" möge in ihrem Glaubenswerke rüstig fortfahren und das San-Benito sämmtlichen rheinischen Zeitungen um werfen. Wir werden sehen, ob die Halben, die Lauen, die weder kalt, noch warm sind, ob sie sich besser vertragen werden mit dem Terrorismus des Glaubens als mit dem Terrorismus der Vernunft. 362 Stilistische Übungen der „Rhein- und Mosel-Zeitung" * Köln, 13. März. Auf unsern Artikel vom 9. März über die Landtagsabgeord neten replicirt die „Rhein- und Moselzeitung" von heute. Wir wollen unserm Leser einige Proben dieses stylistischen Meisterwerkes nicht vorenthalten. Unter andern Delikatessen findet sich folgende: Rheinische Zeitung. Nr. 7 2 / 7 3, 14. März 1843 5 „So hat die Rheinische Zeitung in weit ausgeholten Streichen zwar nicht mit einer Hellebarde, sondern mit ihrem gewohnten Knüttel auf ein Ge spenst losgehauen (man bedenke wohl! Ein gewohnter Knüttel! In Streichen mit einem Knüttel loshauen!), das sie in einem Artikel der Rhein- und Moselzeitung zu erblicken glaubte, und, wie sich von selbst versteht (wel- 10 eher Luxus, Worte über Dinge zu machen, die sich von selbst verstehen!), sind alle ihre Streiche daneben gefahren, (danebengefahren! neben die Rhein- und Moselzeitung, also etwa auf ihren Redakteur!) und das ange griffene (das Gespenst wurde ja nur angegriffen!) Blatt befindet sich durch aus unverletzt und unversehrt." Welche freigiebige Logik, die der Klugheit ihrer Leser nicht einmal den Schluß überläßt, daß Streiche, die neben das angegriffene Blatt, nicht auf das angegriffene Blatt gefallen sind! Welcher Verstandes-Luxus, welche gründliche Geschichtserzählung! Allein man erwäge auch, wie interessant es der Rhein- und Moselzeitung scheinen mußte, die Unversehrtheit ihres Rückens zu proklamiren. Wie sehr der 20 herrliche Einfall von dem „Gespenst" und der Rheinischen Zeitung, die darauf loshaut, und den abseits gefallenen Prügeln der Phantasie der Rhein- und Moselzeitung zusetzt, mögen folgende eben so sinnreiche, als über raschende Variationen dieses allergrößten Thema's beweisen, bei deren Aufzählung wir nicht verfehlen wollen, auf die feinen Nuancen und 15 25 Schattirungen aufmerksam zu machen: Also: 1) „So hat die Rheinische Zeitung vom 9. März in weit ausgeholten Streichen mit ihrem gewohnten Knüttel auf ein Gespenst losgehauen, das sie in einem Artikel der Rhein- und Moselzeitung zu erblicken glaubte, und wie sich von selbst versteht, sind alle ihre Schläge daneben gefallen." 30 2) „Der Artikel aber, welcher die Rheinische Zeitung zur Geistesseherin 363 Publizistische Arbeiten (vorhin war der Geist ein Gespenst und seit wann hätte die Rheinische Zeitung auch in dem ultramontanen Winkelblatt Geist gesehen!) und in Folge davon zur Heldin an einem Schatten gemacht." Also diesmal wäre wenigstens der Schatten der Rhein- und Moselzeitung getroffen worden! 5 3) „Allein die Rheinische Zeitung, welche sich dessen wohl auch bewußt ist, daß an allem Substantiellen, Wahren und Kernhaften (dem Rücken der Rhein- und Moselzeitung?) ihre Kräfte zu Spotte werden (und welche geistige Kraft würde nicht an einem Rücken zum Spotte?) und die nun doch ein Mal zeigen will, daß sie Hörner (der „gewohnte Knüttel" hat sich unter der Hand in „Hörner" verwandelt) hat und zustoßen (früher in weit aus- 10 geholten Streichen loshauen) kann, hat sich ein Gespenst ausgesonnen (früher „gesehen" oder „zu sehen geglaubt"), das sie für den eigentlichen Geist unseres Artikels möchte angesehen wissen (eine Wiederholung, um dem Leser den Thatbestand in's Gedächtniß zu rufen!), an dem sie nach Herzenslust ihren Muth kühlt und ihre Stärke erprobt (eine tüchtige rheto- 15 rische Ausführung), gerade so wie bei der Stierhetze die gereizte Bestie (mehr oben war die Rheinische Zeitung „der Mann mit dem Knüttel", also wohl die Rhein- und Moselzeitung die „Bestie") an dem ihr vorgeworfenen Strohmann ihren Muth ausläßt und sich nach der Zerfetzung desselben für den Sieger achtet." Wahrhaft homerisch! Man bedenke nur die epische 20 Breite. Und wohl auch äsopisch dieses tiefe Eindringen in die bestialische Psychologie! Diese feine Deutung der Seelenzustände eines Stiers, der sich für den Sieger achtet! Es wäre „sehr kindlich und unschuldig", aber nicht minder „abgeschmackt und trivial", wollten wir mit einem so „eminenten Publicisten" auf die 25 Sache selbst eingehen. Also nur zur Charakteristik des Mannes selbst noch Folgendes: Die „Rhein- und Moselzeitung" äußerte in ihrem so unglücklich ange griffenen Artikel „nur" den „Zweifel", „ob mit der Erreichung ihrer (sc. der Urheber des Umlauf S c h r e i b e ns über die Wahl der Herren Cfamphausen] 30 und M[erkens]) Hoffnungen dann wirklich die Zeit der alten Hansen zurück geführt sein würde", aber „von einer Zurückführung gewesener und ver wester Zustände" ist in ihrem „Artikel keine Rede". Fasse es, wer es fas sen kann! Ferner: Die Rheinische Zeitung ging darauf aus: „eine offenbare Lüge 35 anzubringen, indem sie sagt: ,Unter den am Landtag zu vertretenden Interes sen nennt die Rhein- und Moselzeitung nur die freiere Gemeindeverfassung und die Erweiterung der Ständischen Rechte', während in der Rhein- und Moselzeitung der Zusatz zu lesen ist: Die Feststellung so vieler andern schwebenden Fragen in der Entwickelung des Volkslebens". Hat denn die 40 Rhein- und Moselzeitung irgend eine dieser „schwebenden Fragen" fixirt 364 Stilistische Übungen der „Rhein- und Mosel-Zeitung" oder gar genannt? glaubt sie, solche unbestimmte Schwebeleien, wie die „Feststellung vieler andern schwebenden Fragen" können für eine Nam haftmachang dieser Fragen, für eine bestimmte Forderung an die Land tagsabgeordneten gelten? Und nun wende unser Leser noch einmal seine Blicke auf die stylistische Originalität der Rhein- und Moselzeitung: Zu „den Interessen, welche an demselben (sc. dem Landtag) zu vertreten sind", gehört „die Feststellung so vieler schwebenden Fragen in der Entwickelung des Volkslebens"! Eine in der Entwickelung des Volkslebens schwebende Frage! Eine zu vertretende Feststellung! 365 Erklärung Rheinische Zeitung. Nr. 77, 18. März 1843 Erklärung. Unterzeichneter erklärt, daß er der jetzigen Censurverhältnisse wegen aus der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" mit dem heutigen Tage aus getreten ist. Köln, den 17. März 1843. Dr. Marx. 366 A N H A NG Von Marx veränderte Texte anderer Autoren Herweghs und Ruges Verhältnis zu den Freien Brief von Georg Herwegh Redigiert von Karl Marx Georg H e r w e gh an die Redaktion der „Rheinischen Zeitung". 22. N o v e m b er 1842 Rheinische Zeitung. Nr. 333, 29. N o v e m b er 1842 |Dienstag. Meine lieben Freunde! + Berlin, 25. Nov. Die Elberfelder Zeitung und aus ihr die Didaskalia enthalten die Nachricht, daß ich die Gesellschaft der 5 Freien besucht, dieselbe aber unter 10 aller Kritik befunden. Ich habe diese Gesellschaft nicht besucht, sie also weder unter noch über der Kritik finden können. Ich habe sie nicht be- sucht, weü Rüge mir von den Zu sammenkünften unserer Freunde nicht viel Erbauliches erzählte. Sie compromittiren durch diese revolu tionäre Romantik, diese Geniesucht, 15 diese Renommage unsere Sache und Par tei; Rüge und ich haben ihnen dieß un umwunden erklärt. Sie haben es uns übel ich möchte genommen — immerhin! nicht gegen sie auftreten, und bitte Sie 20 daher um eine Notiz in der Rheinischen Zeitung, die die Sache in ihrem wahren Lichte zeigt. Wenn ich die Gesellschaft der Freien, die einzeln meistens treffliche Leute 25 sind, nicht besucht habe, so geschah es nicht, weü || ich etwa eine andere Sache verfechte, sondern es geschah lediglich darum, weü ich diese Frivolität, diese Berlinerei in der Art ihres Auftretens, 30 weü ich diese platte Nachäfferei der französischen Clubbs, bei aller Ach tung vor und Enthusiasmus für die französische Revolution, Die „Elberfelder Zeitung" und aus ihr die „Didaskalia" enthalten die Nachricht, daß Herwegh die Gesellschaft der „Freien" besucht, dieselbe aber unter aller Kritik befunden habe. Herwegh hat diese Gesellschaft nicht besucht, sie also weder unter, noch über der Kritik finden können. Herwegh und Rüge fanden, daß die „Freien" durch ihre politische Romantik, Geniesucht und Renommage die Sache und die Partei der Freiheit kompromit tiren, was auch offen erklärt wurde, und vielleicht Anstoß gegeben haben mag. Wenn Herwegh also die Gesellschaft der Freien, die einzeln meistens treffliche Leute sind, nicht besucht hat, so geschah es nicht, weü er etwa eine andere Sache verficht, sondern es geschah lediglich darum, weil er die Frivolität, die Ber linerei in der Art des Auftretens, die platte Nachäfferei der französischen Klubbs, 371 Von Marx veränderte Texte anderer Autoren als ein Mensch, der auch von der Autorität dieser Revolution frei sein will, hasse und lächerlich finde. Da haben Sie meine Ansicht; machen Sie den passenden Gebrauch davon, ich bitte Sie. Ich bin bei Gott so revo lutionär, als diese Freien, und will legitim machen, aber sie Alle noch der Skandal, die blose polissonerei führt zu Nichts. —J als ein Mann, der auch von französischen Autoritäten frei sein will, haßt und lächerlich findet. Der Skandal, die Polissonerie müssen laut und entschlossen in einer Zeit des- avouirt werden, die ernste, männliche und gehaltene Charaktere für die Er kämpfung ihrer erhabenen Zwecke ver langt. 10 372 Die inquisitorische Behandlung eines Gefangenen in Hannover Korrespondenz von Lothar Hörner Redigiert von Karl Marx [Düsseldorf den 30l Decbr. 7 Jan. Der in No 360 der Rheinischen Zeitung enthaltene Artikel über das inquisitorische Verfahren der Gefangenen in Hannover, veranlaßt mich Ihnen einen ähnlichen Fall mitzutheüen, der erst kürzlich dort vorgekommen. Vor ungefähr zehn Jahren be ungefähr reiste ein hiesiger sehr achtbarer Kupferstecher Hannv. um dort auf eine von ihm Hannover in Arbeit habende Kupferplatte Subscribenten zu sammeln. Den Subscribenten befindliche bemerkte er aber, daß wohl einige Jahre bis zur Vollendung hingehen würden. Krankheit und sonst unvorhergesehene Fälle, verursachten das die Abdrucke der Fälle verursachten, daß Platte erst im vorigen Sommer (1841.) fertig wurden. Der Künstler hatte nichts Eiligeres zu thun, als seinen Bruder mit der Ablieferung der Blätter an die resp. Subscribenten nach Hannover zu senden. Da eine geraume Zeit zwischen der Subscripsion und der Ablieferung lag, so mogte wohl Mancher nicht mehr daran Subscription gedacht haben, und konnte nur die Unterschrift dazur Erinnerung beitragen, heit vergessen haben und nur durch seine Unterschrift an sie erinnert worden. Nachdem er fast alle Exemplare abgeliefert, gerieth er an einen Ehrenmann, welcher behauptete auf dieses Blatt nicht subscribirt zu haben, obschon er nicht die Angelegen mochte auf dieses Blatt nicht subscribirt zu haben behauptete, läugne daß es seine Unterschrift seye, es müsse daher eine andere Zeichnung unterschoben worden sein. Der junge Mann betheuerte die Richtigkeit, bedauerte zugleich das er noch Zweifel hege, indes wolle er durchaus nicht auf sein Recht daß bestehen, in dem er es ihm anheim stelle, ob er das Blatt wünsche oder nicht, ihm vielmehr und empfahl sich. Am selben Abend wurde jedoch der junge Mann verhaftet verhaftet, empfehle 373 Von Marx veränderte Texte anderer Autoren in Ketten gelegt, und in einem unterirdischen Gefängnisse angeschmiedet. Acht Monate lag er in diesem Loche, wo nicht einmal ein Lichtstrahl hineindrang, auf faulem Stroh, und um ihm die Qualen des Lebendig Begrabenseins recht fühlbar zu machen und ihn zum Geständniß zu zwingen, ließen sie ihn nicht verhungern, ließ man man gab ihm täglich ein Pfund Brod, ein Krug Wasser, und alle zwei Tage 5 einen etwas warmes zu Essen. || Nach acht Monate schwanden aber die Kräfte, und um ihn länger quälen zu können mußten sie den lebendigen Leichnam in einen können, mußte man bessern Kerker schaffen, und er erhielte einen. Β ehälter gleicher Erde, er konnte Monaten erhielt das Tageslicht wieder sehen, er konnte wieder sehen wann es Tag und Nacht sehen, wurde. In diesem Behälter blieb er wieder 4 Monate angeschmiedet. Während 10 abermals dieser Zeit wurden nun die Verhandlungen gepflogen, man sandte die Subscrib- tionsliste an das hiesige Landgericht um die Richtigkeit der Unterschriften Landgericht, sowohl wie des Budes zu untersuchen. Das hiesige Gericht sandte die Akten mit sowohl, dem glänzendsten Beweis zurück, das Alles in größter Richtigkeit sey. Doch man daß glaubte dem hiesigen Gerichte nicht. Nun wurden alle Subscribenten in ganz 15 Hannover, deren einige Tausend waren einzeln vorgeladen, von denen fast Alle sich noch gut erinnerten, erinnerten sich noch deutlich, geworden ist, nur einige bemerkten, sie könnten dieses nicht mit Gewißheit mehr waren, daß es dieselbe Platte sey, worauf subscribirt Beinahe Alle vorgeladen. worden, behaupten, und diese einige, waren Freunde oder Verwandte des quaestionirten Biedermanns. Trotz aller möglichen Kaution die der junge Mann stellen wollte, 20 Kaution, ließ man ihn nicht frey und erst nach einem ganzen Jahre, nachdem man noch ward er nicht freigegeben alle mögliche Mühe sich gegeben ihn zu einem Geständnisse zu über Sachen zu veranlassen, wo von er nichts wußte, entließ man ihn mit dem Endresultate, veranlassen, von denen „wegen Mangel an Beweisen" freigegeben — Welch herrliche Genugthuung! Da dem Unglücklichen nie erlaubt wurde an seine Angehörigen schreiben 25 wurde, zu 374 Die inquisitorische Behandlung eines Gefangenen in Hannover. Erste Seite des Manuskripts von Lothar Hörner mit Änderungen von Marx' Hand Hörner: Über die inquisitorische Behandlung e i n es G e f a n g e n en zu dürfen, er auch nie einen Brief von den Seinigen empfing, weil alles unter schreiben, schlagen wurde, so mußte sein junges Weib, mit welcher er erst ein Jahr verehlicht, erst ein Jahr mit ihm verehlichtes Weib glauben er sei in Mörderhand gefallen, und sie starb aus Gram. So kam er vor | I etwa sechs Wochen hieher zurück, und fand ein ödes Haus. Menschenhände haben dem Schuldlosen geraubt was ihm. ein Gott verliehen — Freiheit und Gattin die höchsten Güter geraubt und dem Kinde die Mutter l| seinem iLoth. Hörner. Ι 377 Dubiosa Über die Kommunalreform Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 296, 23. Oktober 1842. Beilage Wir begleiten diesen Artikel mit der Bemerkung, daß wir der darin ausgesprochenen Ansicht über den wahren Sinn der Bittschriften vollkommen beipflichten, diesen Gegenstand übrigens für zu unwesentlich halten, um ferneren Diskussionen hierüber Raum geben zu können; um so weniger, als die Frage selbst, „ob eine Trennung von 5 Stadt- und Landgemeinden in der Rheinprovinz begründet sei", einer gründlicheren Erörterung von uns unterworfen werden wird. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 381 Übergabe eines Gemeindeordnungsentwurfs, welcher die Rechtsgleichheit zwischen Stadt- und Landgemeinden nicht anerkennt, an die rheinischen Deputierten in Berlin Rheinische Zeitung. Nr. 314, 10. N o v e m b er 1842 X Köln, 9. Nov. Unser heutiges Beiblatt bringt die Fortsetzung des Artikels über die Gleichheit der Gemeindeordnung für Stadt und Land. Da diese Frage der Gleichheit die politische Lebensfrage der ganzen Communalreform ist, so glauben wir ein allgemeineres, über die Grenzen der Rheinprovinz übergreifendes, Interesse vor aussetzen und einer ausführlichen Erörterung Raum gestatten zu dürfen. Die Störung der Gleichheit aller Staatsbürger involvirt eine Verletzung der großen und geheiligten Prinzipien, die als Niederschlag der letzten europäischen Stürme das Herz von ganz Deutschland erobert, aber fast nur auf dem Boden der Rheinprovinz Früchte getragen haben. Tief durchdrungen von den Mängeln der Rheinischen Volkszustände, dürfen wir es dennoch aussprechen, daß den Rheinländern die hohe Aufgabe zu gefallen ist, durch Bewahren und Weiterbüden der Resultate eines großen geschicht lichen Prozesses, die zum Theü ihr faktisches Eigenthum sind, allen Provinzen des gemeinsamen Staates die gleichen Güter: „Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichtsverhandlungen, Schwurgerichte, Gleichheit aller Staatsangehörigen vor der Justiz und der Administration " vorzubereiten. So tief ist der Eindruck, den selbst ein kurzer Genuß jener Güter zurückläßt, daß er sogar in dem langen Winterschlafe, der uns befangen, sich nicht verloren hat. Sollen wir nun freiwillig im Wachen auf geben, was wir selbst schlafend festzuhalten wußten? Unsere neuesten Berliner Nachrichten lassen keinen Zweifel darüber, daß die gegenwärtige Bewegung nur das Vorspiel eines Kampfes ist, der alle unsere Aus dauer erheischt, wenn er nicht mit einer schmählichen Niederlage enden soll. Den rheinischen Deputirten zu den Central-Ausschüssen ist der Entwurf einer Gemeinde ordnung übergeben worden, der die Rechtsgleichheit der Stadt und Landgemeinden nicht anerkennt. Wir zweifeln keinen Augenblick, daß die Redaktionen aller rheinischen Provin- zial-Blätter, denen die Aachener Zeitung mit einem rühmlichen Beispiel voran gegangen ist, eine feste Haltung annehmen, und sollten sie vielleicht von irgend einer vorgefaßten Meinung zu Irrthümern sich haben hinreißen lassen, jede per sönliche Rücksicht dem Vaterlande aufopfern werden. Gleichheit für Alle, fur Bürger und Bauer sei unsere gemeinsame Loosung. Es ist Zeit, daß die Rheinprovinz ihren historischen Beruf, die Resultate der französischen Freiheitskämpfe mit den Resultaten der norddeutschen Kämpfe auf dem Gebiet der Wissenschaft zu ver einen und die Freiheit zu verdeutschen, mit Bewußtsein verfolge. Wie in Athen der 382 Übergabe e i n es Gemeindeordnungsentwurfs Familie der Eumolpiden, so ist in Preußen und dadurch in Deutschland der Rhein provinz die Hütung der allen gemeinsamen Mysterien vom Geist der Geschichte anvertraut! Mache sie sich dieses Vertrauens würdig! 383 Zur Korrespondenz „Die Besetzung der Insel Fernando Po durch die Engländer" Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 321, 17. N o v e m b er 1842 5 Die Engländer haben zwar die militairische Besetzung der Insel Fernando Po in Abrede gestellt und es steht nur fest, daß die englischen Dampfschiffe der Niger- Expedition ihre Kranken auf besagter Insel abgesetzt haben, allein die Lage der Insel Fernando Po, wie die Unterhandlungen der Engländer mit Espartero machen es gleich wahrscheinlich, daß sie auf gütlichem oder gewaltsamem Wege diese Insel unter den Verwaltungskreis ihres Kolonialministeriums einzureihen suchen werden. Wir haben daher unbedenklich die obige Korrespondenz aufgenommen, um so mehr, da es sich bei jeder Handelsusurpation nur fragen kann, ob die Engländer sie schon hazardirt haben, oder sie erst hazardiren werden, ob sie als eine Usurpation der Vergangenheit oder als eine U surpation der Zukunft zu bezeichnen ist. Immerhin 10 bleibt es bei der bekannten empfindsamen Humanität der Engländer möglich, daß sie ihren Kranken eine militairische Eskorte von ihren in der Nähe segelnden Kreuzern zur Verpflegung zugesellt und diese englischen Krankenwärter wären sehr geeignet, zugleich die Aerzte der Insel zu spielen. Was den Rath unseres Korrespondenten betrifft, den Durchsuchungsvertrag von deutscher Seite zu 15 brechen, so steht diesem wohlgemeinten Rath nur das Faktum der abermaligen Ratifikation entgegen und obschon die Engländer die Strafgelder, zu welchen sie wegen ungesetzlicher und brutaler Behandlung der Hanseschiffe verurtheilt, noch nie bezahlt, so haben sie auch die Bezahlung noch nie abgelehnt, also nach deut schen Begriffen, die auf späte Resultate eingerichtet sind, den Vertrag noch nicht 20 gebrochen. Da aber Nordamerika, Frankreich und Spanien den Vertrag nicht anerkannt haben und schwerlich anerkennen werden, so steht nichts den Deutschen im Wege, eine dieser ausländischen Flaggen aufzuspannen. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 384 Über Schutzzölle Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr.326, 22. N o v e m b er 1842. Beiblatt Wir können die historische Argumentation des Herrn Verfassers anerkennen, wir können weiter zugeben, was die Thatsachen reden, daß England seit 4 bis 500 Jahren vorzugsweise viel zum Schutz der Industrie und des Gewerbes gethan, ohne dem System der Schutzzölle beistimmen zu müssen. Das Beispiel Englands widerlegt 5 sich selbst, indem gerade in England die verderblichen Consequenzen eines Systems hervortreten, welches nicht mehr das System unserer Zeit ist, so sehr es den mittel- altrigen Zuständen, die auf die Trennung und nicht auf die Einheit basirten, die jeder besondern Sphäre einen besondern Schutz verleihen mußten, weil der allgemeine Schutz, ein vernünftiger Staat und ein vernünftiges System der einzelnen Staaten fehlte, entsprechen mochte. Handel und Gewerbe sollen beschützt werden, aber eben das ist der streitige Punkt, ob Schutzzölle Handel und Gewerbe wahrhaft beschützen? Wir betrachten vielmehr ein solches System als Organisation des Kriegszustandes im Frieden, eines Kriegszustandes, der zunächst gegen fremde Länder gerichtet in seiner Ausführung sich nothwendig gegen das eigene Land kehrt. 15 Allerdings ist aber ein einzelnes Land, so sehr es das Prinzip der Handelsfreiheit anerkennen mag, durch den Weltzustand überhaupt bedingt und kann daher diese Frage nur von einem Völkerkongreß, aber nicht von einem einzelnen Kabinet ent schieden werden. 10 Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 385 Zur Rede von Dr. Coremans „Die niederdeutschen Belgier, ihre Sprache, ihre Literatur" Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 328, 24. N o v e m b er 1842. Beiblatt Wir theilen diese vom Herrn Dr. Coremans selbst uns eingesandte Rede als einen Beitrag zur Charakteristik der deutschen Partei in Belgien mit. Sollten wir auch mit den literarischen Urtheilen des Herrn Redners, etwa über den germanischen Gehalt des Käthchens von Heilbronn wie der deutschen Romantik überhaupt nicht über einstimmen, so wird andererseits jede Bestrebung, die deutsche Nationalität zur Anerkennung im Ausland zu bringen, als eine bedeutsame Anticipation der Zukunft und als Beweis des wiedererwachten Selbstgefühls von uns begrüßt werden. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 386 Über das Projekt merkantilischer Jahreskongresse Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 331, 27. N o v e m b er 1842 5 Unser Korrespondent vom Rhein in Nr. 324 der Rheinischen Zeitung stellte die Behauptung auf, das früher schon in Anregung gebrachte großartige Projekt eines merkantilischen Kongresses „scheine aus dem Grunde nicht zu Stande gekommen zu sein, weil es einerseits an einer hinlänglich kräftigen Leitung fehlte und anderer- seits die Zeit noch nicht zur Genüge vorbereitet wäre". Was nun die Leitung be trifft, so ist ihre genügende oder ungenügende Kraft jedenfalls Gegenstand der Diskussion und es liegt nicht in der Befugniß der Redaktion, ihren Korrespondenten über dergleichen problematische Gegenstände ein Urtheil vorzuschreiben. Was zweitens die größere Vorbereitung der jetzigen Zeit zu Kongressen und Associatio- 10 nen anbelangt, so wird man sie nicht in Abrede stellen wollen. Nach unserm Korrespondenten mochte es ferner einigen Anstoß erregen, daß man zugleich von vorn herein Propositionen über jährliche Kontributionen der Mitglieder, über Bestallung eines salarirten Sekretärs u.dgl. fallen lassen zu müssen glaubte. 15 Geht nun auch aus den mitgetheüten Statuten hervor, daß nur ein einmaliges Eintrittsgeld von einem Thaler proponirt worden, so bleibt das Faktum, daß über haupt eine Kontribution der Mitglieder von vornherein bestimmt, wie daß dem Sekretär, wenn nicht ein Salair, so doch eine Vergütung nach Verhältniß seines Zeitaufwandes zugesprochen worden ist, und es scheint allerdings passender, 20 dergleichen DetaUbestimmungen von der projektirten Gesellschaft selbst votiren zu lassen, statt sie von vornherein eigenmächtig zu dekretiren. Uebrigens wird Herr Hoffmann aus der bereitwilligen Aufnahme seiner Uebersendungen sehen, wie wenig die Redaktion mit jener Korrespondenz ihm und seinem Projekt in den Weg zu treten gesonnen war. 25 Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 387 Die „Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe" Zum Beginn des zweiten Jahrgangs Rheinische Zeitung. Nr.335, I . D e z e m b er 1842 Die „Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe" 5 beginnt mit dem ersten Januar 1843 ihren zweiten Jahrgang. Sie ruft dem gesammten deutschen Vaterlande in's Gedächtniß zurück, daß ihre Tendenz und Entwicklung auf der durch die Censurinstruction vom 24. December vorigen Jahres gestatteten freieren Bewegung der Presse basirt, so wie, daß in der Weise ihrer Begründung durch eine Aktiengesellschaft die sicherste Gewähr ihrer freien und unabhängigen Stellung zu finden ist. Die sehr schnelle Verbreitung der „Rheinischen Zeitung" in ganz Deutschland, wie die fortwährende Zunahme des Kreises ihrer Mitarbeiter durch die tüchtigsten Männer Deutschlands dürfen wohl als Zeichen einer ehren- 10 vollen Anerkennung verstanden werden. Die ausführliche Bearbeitung, welche die „Rheinische Zeitung" vorzugsweise den politischen Zuständen des deutschen Vaterlandes mit gleicher Berücksichtigung aller seiner Theile gewidmet hat, ist selbst im Auslande nicht übersehen worden, und hat den faktischen Beweis geliefert, daß Deutschland anfängt, sich selbst das interessanteste Land zu sein, und in dem 15 Gefühle der nationeilen Größe schon so weit erstarkt ist, daß es wagen darf, sich selbst der Kritik zu unterwerfen. Die „Rheinische Zeitung" erscheint täglich in Großfolio-Format, je nach dem vorhandenen Stoff mit einem Feuilleton und wöchentlich dreimal mit einem Bei blatt, worin in größerem Umfange die wichtigsten Fragen auf dem Gebiete der 20 Politik, Wissenschaft und Kunst erörtert werden. Das „Gemeinnützige Wochenblatt" des Gewerbevereins in Köln wird von der „Rheinischen Zeitung" ferner nicht mehr ausgegeben, wogegen sie die wichtigsten Erscheinungen im Kreise der Gewerbe selbst besprechen wird. Der Abonnementspreis für's Quartal beträgt in Köln bei der Expedition, inclusive 25 des Tragegeldes, 1 Thlr. 12'/2 Sgr., auswärts bei allen königlich preußischen Post- und Postwärter-Aemtern 2 Thlr. (Porto und Stempel einbegriffen). Bei Insertionen wird die Petitzeile oder deren Raum mit 1 Sgr. 6 Pf. berechnet, und sind zur Auf nahme von Anzeigen bei den Herren Flohr, Hochstraße Nr. 121; Ritzefeld, Marsplatz Nr. 8; Bleicher, Severinsstraße Nr. III; Klein, Rothgerberbach Nr. 19; Reinartz, 30 Hohepforte Nr. 1; Faßbender, Breitestraße Nr. 173; Bechern, Komödienstraße 388 Die „Rheinische Zeitung". Zum Be.ginn d es z w e i t en Jahrgangs Nr. 28; Wirtz, Marzellenstraße Nr. 22, — Kasten errichtet, woselbst man solche zu jeder Zeit des Tages abgeben kann. Geneigte Bestellungen auf die „Rheinische Zeitung" für das mit dem 1. Januar beginnende erste Quartal des kommenden Jahres wolle man in Kö7nbei der Expedi tion, Schilderergas se Nr. 99, auswärts bei der nächsten Postanstalt möglichst früh zeitig machen. Köln, am 1. December 1842. 389 Zur Korrespondenz „Kampf zwischen Deutschtum und Dänentum" Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 350, 16. D e z e m b er 1842 Nach den in unserm vorgestrigen Blatte aus Schleswig mitgetheilten Nachrichten, hatte der König schon in einem Rescript, wenn auch formell gegen den Abgeordneten Lprenzen, so doch materiell für seine Prätentionen entschieden. Es wird nun die Aufgabe aller deutschen Blätter sein, sich ihrer Kompatrioten anzunehmen. Es ist eine große, ehrenvolle, unerhörte Thatsache für Deutschland, daß seine abgerissenen Glieder sich nach ihm zurücksehnen. Es gab eine Zeit, wo eine deutsche und eine liberale Gesinnung Gegensätze schienen. Um das Vaterland zu lieben, muß man ein Vaterland haben, aber nur ein Land der Freiheit kann das Vaterland von Männern sein. Die innere Auferstehung Deutschlands wird die Wiedergewinnung aller seiner losgerissenen Glieder unmittelbar zur Konsequenz haben, denn nur die Lethargie des ganzen Körpers konnte den Schein eines fremdartigen isolirten Lebens seiner einzelnen Glieder heraufbeschwören. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 390 Über Geschwornengerichte Fußnote der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 6, 6. Januar 1843 So sehr wir mit dem Herrn Correspondenten im Allgemeinen übereinstimmen, und es für ein unbezweifelbares Bedürfniß der Rheinprovinz halten, daß das Institut der Geschwornengerichte wieder in die Rechte eingesetzt werde, die es selbst nach der französischen Gesetzgebung ursprünglich anzusprechen hat, daß es über die Grän- 5 zen der französischen Gesetzgebung erweitert und von den mißtrauischen Ein schiebseln und Verunstaltungen des napoleonischen Despotismus gereinigt, mit einem Wort, weiter entwickelt werde, so können wir andrerseits die Anwendung desselben auf das Cïvïfrecht einstweilen noch nicht für ausführbar halten. Dazu gehörten ein andres Civilrecht und eine andre Staatsorganisation. Dagegen bestä- 10 tigen wir die Behauptung, daß die Rheinprovinz nicht die Mängel des jetzigen Ge- schwornengerichts verkennt, nämlich die Mängel, die nicht aus der Natur des Geschwornen-Gerichts, sondern aus der rheinischen Existenz des Geschwornen- Gerichts hervorgehen, einer Existenz, die ihrem Wesen nicht nur nicht überall entspricht, sondern oft gradezu widerspricht. Es ist beinahe zu einem rheinischen 15 Vorurtheil geworden, man habe bisher eine Entwicklung unsrer gerichtlichen Institutionen aus ihrem eignen Geist heraus verhindert, um die Institutionen selbst zu verhindern, um sie an dem Widerspruch ihrer unbewegten Existenz mit den fortschreitenden Bedürfnissen und Entwickelungen der Zeit sterben zu lassen. Wir können endlich den Verfasser versichern, daß kein einziges Institut, im eigentlichen 20 Sinne des Wortes, hier so populär ist, als das Institut der Geschwornen. Wären denn in den alten Provinzen Fälschungen, bedeutendere Diebstähle und Diebstähle unter erschwerenden Umständen, schwerere Verwundungen, wie sie fast täglich in jeder Bauernrauferei vorfallen, Nothzucht etc. so selten, daß sie eine Analogie mit Pestüenz und Krieg darböten? Es gehört nicht zu den Aufgaben der Gesetzgebung, 25 den Sinn für volksthümliche Gerichtsbarkeit in der Rheinprovinz hervorzubringen, aber es gehört allerdings zu ihren Aufgaben, diesem vorhandenen Sinn ein größeres Terrain der Handlung anzuweisen, und dazu wäre die von dem Herrn Correspon denten vorgeschlagene Aufhebung der Zuchtpolizeigerichte und die Verweisung der politischen Vergehen an das Geschwornengericht das nächste Mittel. 30 Redaktion der Rheinischen Zeitung. 391 Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" I Denkschrift betreffend die Unterdrückung der Rheinischen Zeitung. Ein den Geranten der Rheinischen Zeitungs-Gesellschaft von dem Königlichen Regierungs-Präsidenten Herrn von Gerlach zu Cöln am 24ten Januar dieses Jahres — dem Publikum durch die Cölnische Zeitung vom 26ten desselben Monats pu- 5 blizirtes Rescript der dem Censurwesen vorgesetzten hohen Ministerien bestimmt, daß die Rheinische Zeitung mit dem letzten Tage des Monats März aufhören werde zu erscheinen. Es stützte diese Maaßregel auf die Voraussetzungen: I. daß die Rheinische Zeitung einer definitiven Conzession entbehre — nur faktisch nicht rechtlich existirt habe; II. daß aber auch abgesehen hiervon, die Zurücknahme der Conzession bei der offenbar böswilligen Tendenz der Rheinischen Zeitung vollkommen gerechtfertigt sein würde, ja bei der Consequenz, mit der jene feindselige Richtung verfolgt werde, die gänzliche Unterdrückung sogar als das allein wirksame Mittel der Regierung vom Gesetze geboten sei; III. daß die Tendenz der Rheinischen Zeitung eine durchaus verwerfliche, auf den Umsturz der grundgesetzlichen Basis des Preußischen Staates böswillig ab zweckende, das Bestehende in Kirche und Staat gleich gefährdende sei. Wie irrthümlich jene Suppositionen in Wahrheit sind, wie ganz unmotivirt hier 10 15 nach die Maß||nahmen der drei hohen Ministerien erscheinen — ist Inhalt und 20 Resultat nachstehender Erörterungen. ad I. Die Conzession. Das Ministerial-Rescript beginnt damit, die Antecedenzien der Rheinischen Zeitung historisch (jedoch mit den mannigfaltigsten faktischen Unrichtigkeiten von unter geordnetem Interesse) zu entwickeln, indem es anerkennt, daß sich zur Fortführung 25 einer den Doktoren Rave und Schulte ertheilten Zeitungsconzession in Cöln eine Commandit-Aktien-Gesellschaft unter der Bezeichnung: „Rheinische Zeitungs- Gesellschaft" bildete. Der nominelle Ankäufer der Conzession, (und dies übergeht das Ministerial-Rescript), der Buchhändler J. E. Renard, wandte sich zur Erlangung 392 Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" 5 der gesetzlichen Genehmigung dieses Uebertrages unter dem 19ten November 1841 an den Königlichen Ober-Präsidenten. Dieser, zur Genehmigung solcher Wechsel in der Person des Berechtigten durch die Vorschrift des Rescriptes vom 5ten März 1833 befugt, ertheilte dem Uebertrag die gesetzliche Sanktion unter dem Vorbehalte des jederzeitigen Widerrufs durch sein Rescript vom 13ten December 1841. Hören wir, wie das Ministerial-Rescript diese Thatsache darstellt: „Derselbe, (nämlich der Ober-Präsident)" heißt es, „gab, da die Zeitung vom lten Januar 1841 (soll heißen 1842) ab erscheinen sollte und dieser Termin nahe bevorstand, zur Vermeidung von Verlegenheiten für die Aktionaire, seine vorläufige 10 Zustimmung, welche jedoch ausdrücklich an den Vorbehaltder Genehmigung Seitens der Censurministerien geknüpft wurde, wie solche nach Art: XVII. des Censur- Edikts vom 18ten October 1819 und §.3. der Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 6ten August 1837 erforderlich ist. Diese Genehmigung ist || meni ertheüt worden. Das Blatt beruht daher nur auf einer durch die gesetzlich erforderliche, ministerielle 15 Zustimmung nicht ergänzten, lediglich als faktisch zu betrachtenden Zulassung und entbehrt der rechtlichen Grundlage." „Es bedarf", schließt daher das Ministerial-Rescript (sc. zur Unterdrückung der Rheinischen Zeitung) „nur der Beendigung des bisherigen provisorischen Zu standes." 20 Diese Behauptung einer nur vorläufigen Zustimmung wird jedoch schlagend widerlegt durch das Rescript der Königlichen Regierung zu Cöln vom 17ten De cember 1841 an den Concessionair Renard, worin es wörtlich lautet: „Auf Ihre Vorstellung vom 19ten v. Mts. hat der Herr Ober-Präsident der Rhein provinz mittelst Rescript vom 13. d. Mts. Ihnen die durch Verzichtleistung erledigte 25 Conzession zur Herausgabe der ,allgemeinen Rheinischen Zeitung' und des Beiblattes .Rheinisches Volksblatt' unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs übertragen und gleichzeitig die beabsichtigte Vergrößerung des Formats und die Umänderung des Titels der Zeitung in: .Rheinische Zeitung' u. s.w. — u. s.w. genehmigt." 30 Da dies das einzige Aktenstück ist, welches die Conzessions-Uebertragung betrifft - so folgt daraus, daß die Behauptung des Ministerial-Rescriptes, der Ober-Präsident habe eine „nur vorläufige Zustimmung" ertheüt und dieselbe „ausdrücklich an den Vorbehalt der Genehmigung Seitens der Censurministerien geknüpft", ganz un begründet ist. Weder hat der Oberpräsident, Herr von Bodelschwingh, die Ge nehmigung der Censur-Ministerien als Vorbehalt ausbedungen, noch sie mit einer 35 Silbe erwähnt, noch endlich die Vorlaufigkeit der Conzession auch nur angedeutet. Herr von Bodelschwingh hat vielmehr der Rheinischen Zeitung eine vollständige Conzession ertheüt; und wenn er dieselbe an den „Vorbehalt des jederzeitigen Wi([derrufs" geknüpft hat, so liegt grade hierin der unumstößlichste Beweis, daß die Conzession eine vollständige und keine provisorische war; denn wie sollte der 40 Widerruf einer Conzession vorbehalten werden, die selbst noch nicht vorhanden ist; wie sollte die fakultative Zurücknahme der Conzession vorbehalten sein, wo die Conzession selbst noch vorbehalten bleibt. Diese Clausel „unter Vorbehalt des jeweiligen Widerrufes" also weit entfernt der Conzessionsertheilung den Charakter einer provisorischen aufzudrücken, beweist grade, daß sie eine definitive, wenn auch 45 widerrufbare ist. 393 Dubiosa Ebenso wenig aber vermag diese Clausel der Conzession eine exceptionelle Natur zu verleihen, da die Widerruflichkeit der Zeitungsconzessionen aus dem Art: XVII. des Censur-Edikts vom Jahre 1819 folgt, also eine gesetzliche, eine allgemeine Be dingung für jede Zeitungsconzession ist. — Eine Thatsache, die auch durch die tägliche Praxis noch unterstützt wird: „in neuerer Zeit" (heißt es in dem Buch: die Preußische Preßgesetzgebung von F.H.Hesse Berlin 1843), „werden die Con- zessionen von den Ministerien nur auf Widerruf ertheüt." 5 Steht es hiernach fest, daß der damalige Ober-Präsident der Rheinprovinz, Herr von Bodelschwingh, der Rheinischen Zeitung eine definitive Conzession ertheüt hat, so fragt sich noch, ob Herr von Bodelschwingh der Rheinischen Zeitung eine solche 10 Conzession ertheüen konnte? und ob er sie gesetzmäßig ertheüt hat? — Diese Frage kann für die Vorsteher der Rheinischen Zeitung nur dahin formulirt werden: Mußten sie präsumiren, daß Herr von Bodelschwingh gesetzmäßig gehandelt habe? Es liegt klar am Tage, daß die Vertreter der Rheinischen Zeitungs-Gesellschaft bei der so ausgezeichneten Geschäftskenntniß des Herrn von Bodelschwingh, bei dem 15 unbedingten Vertrauen, das dieser hohe Beamte nicht nur bei seinen Administrirten, | I sondern ebenso bei den Behörden in seiner früheren Stellung genoß — jene Frage sich kaum aufwerfen durften; — indessen konnte immerhin auch die mißtrauischeste Prüfung keinen begründeten Zweifel an der Gesetzmäßigkeit der Uebertrags- Genehmigung aufkommen lassen. 20 Es handelt sich nämlich, wie schon angedeutet, nicht um die Ertheilung sondern um die Uebertragung einer schon ertheüten Conzession. Hierüber bestimmt das Rescript der Censurministerien vom 5ten März 1833: „Da die von den Ministerien ressortirende Ertheilung oder Versagung zur Her ausgabe einer Zeitschrift von der Persönlichkeit des Redakteurs und davon, ob 25 dieselbe das im §.9. des Censur-Gesetzes vom 18ten October 1819 vorausgesetzte Vertrauen einflößt, wesentlich abhängig ist, so kann auch ein die ursprüngliche Genehmigung vorzüglich verändernder Wechsel in der Person des Berechtigten von den Provinzialbehörden ohne vorherige Anfrage nicht gestattet sein." Die respektive Provinzialbehörde, Herr von Bodelschwingh war also zur Ge- 30 nehmigung des Uebertrages der Conzession vollkommen und einzig competent; — jedoch galt für ihn es als Vorschrift, diese Genehmigung nicht eher zu ertheilen, bis er höheren Orts angefragt hatte. Indem er also den Uebertrag wirklich gestattete, mußte die Seinerseits erforderliche vorherige Anfrage bei den Censurministerien von den Unternehmern der Rheinischen Zeitung als erfolgt V o r a u s g e s e t zt werden. Sie hatten weder die Pflicht, noch die Befugniß, einen Nachweis der erfolgten Anfrage zu verlangen—und erlangten durch das ungehinderte Forterscheinen der Rheinischen Zeitung die Gewißheit, daß jene Anfrage geschehen und die Bewilligung von Seiten der Censur-Ministerien erfolgt sei, weil andern Falls die Censur-Ministerien pflicht mäßig die nun wirklich erscheinende Rheinische Zeitung sofort hätten unterdrücken | 40 I müssen, da Art: XVII. des Censur-Edikts von 1819 bestimmt: 35 „Zeitungen dürfen nur mit Genehmigung der obengedachten Ministerien er scheinen." Schließlich noch die Bemerkung, daß unter keinen Umständen der Fehler der mangelnden Genehmigung dadurch gerügt werden konnte, daß wie geschehen die 45 394 Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" Beendigung eines provisorischen Zustandes beschlossen, die Nichtertheilung der Conzession ausgesprochen wurde, vielmehr mußte die bisherige Conzession für ungültig, für formell nichtig erklärt werden, was den Unternehmern der Rheinischen Zeitung den Civü-Regreß gegen den Herrn von Bodelschwingh eröffnet haben 5 würde. Ad. II. Die Zurücknahme der Conzession. Steht es nach Obigem fest, daß die Rheinische Zeitung wirklich eine Conzession hat, daß also das Ministerial-Rescript, indem es nur einen provisorischen Zustand auf zuheben erklärte, die Rheinische Zeitung gar nicht tangirt, so erscheint es um so 10 wichtiger, die Grundsätze kennen zu lernen, nach welchen das Ministerial-Rescript eventuell die ertheüte Conzession zurückzunehmen sich für berechtigt hält. Die Deduktion des Ministerial-Rescripts läßt sich in folgende Hauptsätze zusam men fassen: 1. bei dem spezifisch bösartigen Charakter der Rheinischen Zeitung habe kein 15 Redaktionswechsel sondern nur eine ungewöhnlich strenge Censur als geeignetes Mittel gegen dieselbe erscheinen können. 2. Es sei aber nicht der Beruf der Censur, dem Unwesen einer consequent schlech ten Tendenz zu steuern. 3. Es bleibe also nur die bei conzessionirten Zeitungen durch Art: XVII. des 20 Censur-Edikts vom Jahre 1819 den betreffenden Ministerien anheimgestellte Zu rücknahme der Conzession übrig. Der Widerspruch dieser Sätze mit der ganzen bisherigen Preßgesetzgebung und vorzüglich mit || dem Geiste der jüngsten Erlasse geht aus folgenden Vergleichungen klar hervor: 25 ad. I. Das Ministerial-Rescript sagt: „Bei der systematischen und consequenten Art, in welcher die Unternehmer des Blattes ihre anfeindende Richtung verfolgen, läßt sich nicht annehmen, daß die Berufung des inzwischen bezeichneten neuen Redakteurs von wesentlich er sprießlichen Folgen sein würde; denn dieses positive Mittel kann nur da Gewähr für 30 das Gute leisten, wo die Grundtendenz des Unternehmers nicht eine schlechte ist. Hier bliebe also nur das negative Mittel einer Verhinderung aller jener unaufhörlich und täglich wiederkehrenden Ueberschreitungen durch eine ungewöhnlich strenge Censur übrig." Es läßt sich nicht annehmen, sagen also die Censurministerien, daß hier das posi- 35 tive Mittel des Redakteur-Wechsel s geeignet sei; es bleibt nur das negative Mittel der Censur übrig. Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften machen aber die entgegengesetzte Annahme. Im Rescript der Censurministerien vom 18ten December 1833 lautet es beinahe umgekehrt: 40 „Die Censur, in welcher man bisher das Mittelzu erkennen gewohnt gewesen, allen aus solchen Concessionsertheilungen entspringenden Nachtheilen zu begegnen, vermag zwar allerdings offenbaren Verletzungen der Religion und Sittlichkeit, Angriffen auf die gesetzliche Ordnung und direkter Höhnung einzelner Individuen 395 Dubiosa in der Regel vorzubeugen, sie ist aber, wie die tägliche Erfahrung zur Genüge lehrt, keineswegs im Stande, die unverständliche oder versteckte böse Tendenz un- unterrichteter oder böswilliger Redaktoren und Herausgeber von Zeitungsblättern zu beseitigen." „Diesen Uebelständen zu begegnen, scheint es vielmehr nur ein Mittel zu geben, nämlich: || bei Ertheilung von Concessionen zur Herausgabe periodischer Schrif ten mit der größten Vorsicht zu verfahren und dergleichen nur solchen Personen zu gewähren, welche einmal zu einem Unternehmen dieser Art entweder notorisch qualifizirt etc. etc. oder über deren Qualification die Königlichen Ober-Präsidien sonst auf irgend eine Weise befriedigende Auskunft einzuziehen Gelegenheit 10 gehabt haben, zum Andern aber durch amtliche Zeugnisse der betreffenden Polizei darzuthun vermögen, daß auf ihrem sittlichen Ruf kein Makel haftet." 5 Ebenso bezeichnet die Censurinstruction vom 24. December 1841 die Vorsicht in Auswahl der Redakteure als das geeignete Mittel gegen Mißbrauch der zu ge stattenden, größeren Censurfreiheit. 15 Es ist um so auffallender, daß die Censurministerien im Widerspruch mit diesen gesetzlichen Vorschriften statt des Redakteurwechsels eine ungewöhnlich strenge Censur als das wahre Mittel gegen eine verderbliche Zeitungsrichtung bezeichnen, als ihr eignes gegen die Rheinische Zeitung seither beobachtetes Verfahren nur durch eine entgegengesetzte Annahme erklärt werden kann. Zunächst wurde nämlich die 20 Entfernung des früheren Redakteurs, des Dr. Rutenberg, auf eine gesetzwidrige Art bewirkt. Es heißt nämlich im Rescript der Ministerien des Innern und der Polizei vom 6ten October 1837: „Ew. pp. erwiedern wir wegen der beabsichtigten Annahme eines andern ver antwortlichen Redakteurs, daß es nach Art: DC. des Censurgesetzes vom 18ten Oc- 25 tober 1819 keiner Bestätigung oder Genehmigung eines Redakteurs bedarf, der Ober-Censurbehörde vielmehr nur das Recht vorbehalten ist, der Unternehmung einer Zeitung zu erklären, daß der angegebene Redakteur nicht von der Art sei, das nöthige Zutrauen einzuflößen, in welchem Falle entweder ein anderer Redakteur | I angenommen, oder von dem beizubehaltenden Kaution geleistet werden muß." 30 Im Widerspruch mit dieser gesetzlichen Bestimmung verlangte die Regierung die augenblickliche Entlassung des Dr. Rutenberg unter Androhung der sofortigen Unterdrückung der Rheinischen Zeitung. Zugleich aber wurde die Präsentation eines neuen Redakteurs begehrt, welchem Verlangen die Geranten der Rheinischen Zeitungs-Gesellschaft durch die Präsentation des Dr. Rave entsprochen haben. 35 Endlich wurde das fernere Fortbestehen des Blattes von dem Sinne abhängig ge macht, in welchem der zu bestätigende Redakteur die Zeitung leiten würde. Da nun die Bestätigung des Dr. Rave noch nicht erfolgt, ihm daher auch die Redaktion noch nicht anvertraut worden ist, da also die Censurministerien die Verwirklichung der Bedingung, von welcher sie das fernere Bestehen des Blattes abhängig machten, 40 bisher selbst verhindert haben, so muß es um so unerwarteter sein, wenn plötzlich im Widerspruch nicht nur mit ihrem eigenen Verfahren, sondern auch mit den gesetzlichen Bestimmungen erklärt wird, nicht ein Redakteur-Wechsel, sondern nur eine ungewöhnlich strenge Censur habe als das geeignete Mittel gegen die Richtung der Rheinischen Zeitung erscheinen müssen. 45 396 Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" Die Incohärenz dieses Verfahrens wird endlich noch dadurch gesteigert, daß der Dr. Rave notorisch qualifizirt ist, schon einmal einem ähnlichen Unternehmen hier vorgestanden hat und auch sonst der Regierung ganz genehm scheint, 5 ad. 2. Gibt man aber die Prämisse zu, nur das negative Mittel „einer ungewöhnlich strengen Censur" könne der verderblichen Richtung einer Zeitung entgegengestellt werden, so behauptet das Ministerial-Rescript, es sei nicht der Beruf der Censur, einer solchen Richtung auf die Dauer entgegen zu arbeiten.] 10 |„Es ist aber nicht", lautet es „deren (der Censur) Aufgabe, auf die Dauer einem auf so hartnäckig festgehaltenen, bösartigen Tendenzen beruhenden Unwesen zu steuern; sie hat vielmehr den Beruf, in Schriften, die sich im Allgemeinen innerhalb der Schranken des Gesetzes und der Sitte halten, und bei welchen keine Absicht hervortritt, dieselben zu überschreiten, den einzelnen, aus Unkunde oder augen blicklicher Verirrung hervorgehenden Uebertretungen des Gesetzes vorzubeugen. Böswilligkeit der ganzen Tendenz und unveränderte Consequenz in Befolgung eines 15 gemeingefährlichen Systems bei einer Zeitung definitiv zu hindern, ist sie nicht berufen." Auch diese Behauptung der Censurministerien steht im schneidendsten Wider spruche mit der ganzen Preßgesetzgebung. Im Art: II. des Censuredikts vom I8ten October 1819 wird der Zweckder Censur, also auch ihr Beruf, folgendermaßen 20 bestimmt: „Ihr (der Censur) Zweck ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grund sätzen der Religion, ohne Rücksicht auf die Meinung und Lehre einzelner Re ligionsparteien und im Staate geduldeter Sekten, zuwider ist; zu unterdrücken, was die Moral und guten Sitten beleidigt; dem fanatischen Herüberziehen von Religions- 25 W a h r h e i t en in die Politik und der dadurch entstehenden Verwirrung der Begriffe entgegen zu arbeiten; endlich zu verhüten, was die Würde und Sicherheit, sowohl d es Preußischen Staates, als der übrigen deutschen Bundesstaaten verletzt. Hierher gehören alle auf Erschütterung der monarchischen und in diesen Staaten bestehenden Verfassungen abzweckende Theorien; jede Verunglimpfung der mit dem Preußi- 30 sehen Staate in freundschaftlicher Verbindung stehenden Regierung und der sie constituirenden Personen, ferner alles, was || dahin zielt, im Preußischen Staate oder den deutschen Bundesstaaten Mißvergnügen zu erregen und gegen bestehende Verfassungen aufzureizen; alle Versuche, im Lande und außerhalb desselben Par teien, oder ungesetzmäßige Verbindungen zu stiften, oder in irgend einem Lande 35 bestehende Parteien, welche am Umsturz der Verfassung arbeiten, in einem günstigen Lichte darzustellen." Das Edikt verlangt also von der Censur ein Steuern, Unterdrücken, Ent gegenarbeiten, Verhüten alles dessen, was der Rheinischen Zeitung zur Last gelegt wird. Es gibt ferner die bestimmten, thatsächlichen Preßverirrungen an, die von 40 der Censur zu hindern und zu unterdrücken sind; es macht keinen Unterschied zwischen Preßvergehen, die aus einer guten oder einer bösen, einer consequent oder inconsequent durchgeführten Tendenz hervorgehen. Es verlangt im Gegen- theil, daß alle Staatsgefährlichen Theorien, jede Verunglimpfung auswärtiger Regie rungen pp., Alles, was dahin zielt, Mißvergnügen zu erregen, alle Versuche, am 45 Umstürze pp. arbeitender Parteien zu begünstigen, von der Censur unterdrückt wer- 397 Dubiosa den. Das Gesetz spricht von Allem und Jedem, es spricht nicht von Diesem oder Jenem. In dem ganzen Censuredikt vom Jahre 1819 findet sich nicht einmal das Wort „Tendenz", ein Begriff, der erst seit den demagogischen Untersuchungen und der July-Revolution in der Preußischen Preßgesetzgebung gefunden wird. 5 So heißt es im Rescript der Censur-Ministerien vom 18. December 1833: „Die Censur vermag zwar allerdings offenbaren Verletzungen der Religion und Sittlichkeit, Angriffen auf die gesetzliche Ordnung und direkter Höhnung einzelner Individuen in der Regel vorzubeugen, sie ist aber keineswegs im Stande, die un verständliche und versteckt böse Tendenz ununterrichteter oder böswilliger Re- 10 daktoren und Herausgeber von Zeitblättern zu beseitigen." Allein auch dieses Rescript widerspricht direkt der gegen die Rheinische Zeitung geltend gemachten Definition von || dem Berufe der Censur, wie denn überhaupt nicht zu übersehen ist, daß Rescripte ein Gesetz nicht aufheben können. Das ange führte Rescript spricht erstlich nicht von dem Beruf, sondern von der Macht der 15 Censur, von dem, was die Censur im Stande ist, zu leisten. Dann aber scheitert nach ihm diese Macht nur an der versteckt bösen Tendenz, nicht aber an ihren offenbaren Aeußerungen, wogegen nach dem jetzigen Ministerial-Rescript grade da der Beruf der Censur aufhört, wo die Absicht nicht mehr versteckt ist, sondern hervortritt und ihre Verständlichkeit sogar durch eine fortgesetzte conséquente Durchführung über 20 allen Zweifel erhoben wird. Während aber das Censuredikt von 1819 blos die Verhinderung der thatsächlichen Ueberschreitung von Gesetz und Sitte ohne alle Rücksicht auf die Tendenz zum Berufe der Censur macht, während das oben citirte Rescript von 1833 die Censur zwar für berufen, aber nicht für fähig hält, einer versteckt bösen Tendenz zu steuern und 25 hierfür Vorsicht in der Auswahl der Conzessionäre und Redakteure anordnet, macht dagegen die Censurinstruktion vom 24ten December 1841 der Censur direkt zur Pflicht, zum Zweck, zum Beruf, die Tendenz zu censiren. Es heißt darin: „Es ist aber dabei eine unerläßliche Voraussetzung, daß die Tendenz der gegen die Maaßregeln der Regierung ausgesprochenen Erinnerungen nicht gehässig und bös- 30 willig, sondern wohlmeinend sei, und es muß von dem Censor der gute Wille und die Einsicht verlangt werden, daß er zu unterscheiden wisse, wo das Eine und das Andere der Fall ist. Mit Rücksicht hierauf haben die Censoren ihre Aufmerksamkeit auch besonders auf die Form und den Ton der Sprache der Druckschriften zu rich ten und, insofern durch Leidenschaftlichkeit, Heftigkeit und Anmaßung ihre 35 Tendenz sich als eine verderbliche darstellt, den Druck nicht zu gestatten." Es ergibt sich hieraus, daß gerade das, was das Ministerial-Rescript als den Beruf der Censur läugnet, von der Instruktion, auf welcher die jüngste Preßbewegung und namentlich die Rheinische Zeitung basirt, zur || vorzugsweisen, zur eigentlichen Aufgabe der Censur gemacht wird. — Die Instruktion verkennt nicht die Schwierig- 40 keiten einer solchen Tendenz-Censur; sie sagt vielmehr ausdrücklich: „Die unverkennbare Schwierigkeit, hierfür die richtigen Gränzen aufzufinden, darf von dem Streben der wahren Absicht des Gesetzes vollkommen zu genügen, nicht abschrecken, noch zu jener Aengstlichkeit verleiten etc. etc." Diese Schwierigkeit konnte aber bei der Rheinischen Zeitung nicht einmal vor- 45 398 Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" handen sein, es bedurfte keines großen Unterscheidungsvermögens, es war einfach (wie die Instruktion sagt) der Druck nicht zu gestatten, wenn die Behauptung des Ministerial-Rescripts wahr ist, wenn die grundschlechte Tendenz der Rheinischen Zeitung unverkennbar, offen hervortretend mit hartnäckiger Consequenz durch- 5 geführt ist. Noch weiter als die Instruktion vom 24. December 1841 geht die Kabinetsordre vom 14. October 1842. Es heißt hier in Bezug auf die den Behörden aufgetragenen Be richtigungen der Presse: „Es genügt nicht, die Gegenwirkung gegen schlechte, für den öffentlichen Geist 10 verderbliche Bestrebungen eines Tageblattes den andern von einem besseren Geiste geleiteten Blättern zu überlassen und nur von ihnen zu erwarten. Eben da, wo das Gift der Verführung eingeschenkt worden ist, muß es auch unschädlich gemacht werden: das ist nicht nur Pflicht der Obrigkeit gegen den Leserkreis, dem das Gift geboten worden, sondern es ist zugleich unter allen Mitteln das Wirksamste, die 15 Tendenzen der Täuschung und Lüge, wo sie sich zeigen, zu vernichten, indem man die Redaktionen zwingt, das UrtheU über sich selbst zu veröffentlichen." Diese Allerhöchste Kabinetsordre erkennt zwar die Unzulänglichkeit der Censur an, aber sie befiehlt nicht die Unterdrückung der Tageblätter „von verderblichen Bestrebungen", sie legt vielmehr den Behörden als allerwirksamstes Mittel gegen 20 „Tendenzen der Lüge und Täuschung" die Arbeit der Berichtigung auf. Vier Monate später verordnen die Censurministerien, die den Beruf der Censur im Gegensatze mit der ganzen preußischen Preßgesetzgebung interpretiren, im Gegensatze zu dieser Kabinetsordre die Unterdrückung der Rheinischen Zeitung. | |ad. 3. Es bedarf nach Obigem keines Nachweises mehr, daß der Schluß, den das 25 Ministerial-Rescript aus den als falsch nachgewiesenen Prämissen zieht, selbst falsch ist, der Schluß nämlich, als ob nur die bei conzessionirten Zeitungen durch Art: XVII. des Censurediktes von 1819 den betreffenden Ministerien anheimgestellte Zurück nahme der Conzession hier als einziges Mittel übrig sei. 30 Jedenfalls also erscheint die Maßregel der drei Ministerien als ganz unmotivtt. Das Anrufen der Bestimmung des Art: XVII. des Censuredikts vom 18. October 1819 kann diesen Mangel keineswegs ersetzen und für sich schon die Maßregel gesetzlich rechtfertigen. Der Artikel sagt: „Zeitungen und andere periodische Schriften, sobald sie Gegenstände der Religion, der Politik, Staatsverwaltung und der Geschichte gegenwärtiger Zeit in sich auf- 35 nehmen, dürfen nur mit Genehmigung der obengedachten Ministerien erscheinen und sind von denselben zu unterdrücken, wenn sie von dieser Genehmigung schädlichen Gebrauch machen." Der richtige Sinn dieser Bestimmung ist nicht aus den bloßen Worten des Artikels sondern nur aus dem Ganzen, dessen Theil sie ist, zu interpretiren, wobei zu 40 bemerken, daß dieses Ganze hier nicht einmal die Totalität des Censur-Edikts vom Jahre 1819 sondern vielmehr die gesammte, in Kraft bestehende Preßgesetzgebung ist. Diese beweist es klar, daß nicht jeder schädliche Gebrauch, den ein Zeitungs unternehmer von seiner Conzession macht, durch die nur schließlich und offenbar als subsidiäres Mittel aufgeführte Befugniß der Unterdrückung beseitigt werden darf, 45 399 Dubiosa sondern daß dieses an sich gehässige Mittel nur da zur Anwendung kommen darf, wo die regelmäßigen und gesetzlichen Präventivmaßregeln nicht Platz greifen können — ein Grundsatz, den das Ministerial-Rescript selbst anerkennt, indem es nur, weil es fälschlich den || Redakteurwechsel und die Censur hier für unzulänglich und wirkungslos hielt, die eventuelle Anwendbarkeit des Art: XVII. des Edikts be- 5 hauptete. Wo also der Redakteurwechsel (der U n t e r g e b e ns im Werke war) ein Aus kunftsmittel darbietet; wo die Censur in ihrer ungeschmälerten Ausübung besteht und den behaupteten Tendenzmängeln vorbeugen konnte und mußte, da darf gesetzlich von einer Cpnzessionsentziehung nicht die Rede sein. Eine solche würde nach dem 10 Geiste des Censur-Edikts und aller späteren Rescripte nur in zwei Fällen eintreten können. 1. wo bei der Wahl eines Redakteurs weder eine der Regierung genehme Person präsentirt, noch die geforderte Kaution geleistet worden wäre, und 2., wo durch Umgehung der Censur oder vermittelst künstlicher und absichtlicher Täu schung derselben ein Mißbrauch der Conzession bewirkt wäre — Fälle, die bei der 15 Rheinischen Zeitung nicht vorliegen. Die Richtigkeit dieser positiven Grundsätze geht a contrario aus der obigen Deduktion in Betreff der Bestimmungen über die Wahl der Redakteure und über den Beruf der Censur hervor — sie findet aber auch eine gesetzliche Anerkennung in den schon angeführten Worten der Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 14ten October 20 1842 über die Pflicht der Behörden zu berichtigen, indem dieses Gesetz die rechtliche Existenz der Zeitungen „von verderblichen Bestrebungen" anerkennt und zur Abwehr ihrer Tendenz der Täuschung und Lüge nicht die Conzessionsentziehung, sondern die Berichtigung des Falschen den Behörden zur Pflicht macht. III. Die Tendenz. 25 Bisher ist immer von der Voraussetzung ausgegangen, daß die harten Vorwürfe, mit denen die Rheinische Zeitung in dem Ministerial-Rescript überschüttet wird, auch wirklich begründet seien. Es hat sich aus der bisherigen Deduktion herausgestellt, | I daß es darauf zur Beurtheüung der Maßregel der Censur-Ministerien zunächst gar nicht ankommt. Dennoch mag es hier versucht werden, auch in diesem Punkte die 30 Schwäche der gegnerischen Argumentation nachzuweisen, wie mißlich es auch sein mag, auf ganz allgemein gehaltene Beschuldigungen — auf Imputationen zu ant worten, die nicht Thatsachen sondern Laster artikuliren, die nicht Thaten, sondern den Charakter anklagen. In dieser Beziehung wird jedoch von vorne herein die Betrachtung trösten, daß der Vorwurf der Böswilligkeit und Perfidie einen so großen 35 Kreis der geachtetsten Männer der Provinz trifft, daß dieser Umstand allein hinreicht, um die Anklage für zu voreilig zu erachten: Denn die Verwerflichkeit einer Richtung wird offenbar durch eine noch so kategorische Erklärung der Regierung keineswegs bewiesen. Es gab eine Zeit, wo die Zeitweilige höchste Autorität das Kopernikanische Weltsystem nicht nur verwerflich fand, sondern auch wirklich verwarf. Wenn es also 40 im Ministerial-Rescript heißt: „das Blatt verfolgte von seiner Entstehung ab eine so verwerfliche Richtung, daß etc. etc.", so fragt man bülig nach dem Beweis. Das Ministerial-Rescript antwortet: 400 Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" „Unverkennbar herrschte in der Zeitung fortgesetzt die Absicht vor, die Ver fassung des Staates in ihrer Basis anzugreifen, Theorien zu entwickeln, welche auf Erschütterung des monarchischen Prinzipes abzielen, das Verfahren der Regierung in der öffentlichen Meinung böswillig zu verdächtigen, einzelne Stände der Nation 5 gegen die andern aufzureizen, Mißvergnügen mit den bestehenden gesetzlichen Zuständen zu erwecken und sehr feindselige Richtungen gegen befreundete Mächte zu begünstigen." Der Rheinischen Zeitung werden nicht faktische Ver||gehen, ihr wird vielmehr nur die unverkennbare Absicht dieser Vergehen vorgeworfen. Unter diesen pro- 10 blematischen Freveln steht oben an die Absicht, die Verfassung des Staates in ihrer Basis anzugreifen. Nun herrscht aber bekanntlich eine große Meinungsverschieden heit über die Verfassung des Preußischen Staates. Die Gesetze selbst stimmen hier nicht überein (exempla sunt odiosa). Im Jahre 1830 wird Hegel, im Jahre 1842 Stahl als offizieller preußischer Staats-Phüosoph betrachtet. Die Preußische Staats-Zeitung 15 erklärte zur Zeit der July-Revolution den Preußischen Staat für eine Monarchie, umgeben mit republikanischen Institutionen; sie erklärt ihn heut zu Tage für eine Monarchie umgeben mit christlichen Institutionen. Friedrich der Große und die Preußischen Staatsmänner Hardenberg, Stein, Schön hatten und haben ihre eigene Meinung von der Basis des Preußischen Staates, — 20 Bülow-Cummerow und die modernen Staatsmänner haben die ihrige. Auch die Rheinische Zeitung hatte ihre eigene Meinung von der Preußischen Staatsverfassung und ihrer Basis, die sich allerdings oft in Widerspruch stellte mit der zeitweiligen Regierungsmeinung. Stellte sich aber die Rheinische Zeitung in solchen Widerspruch, so griff sie ihrer Ueberzeugung nach nicht die Basis der Preußischen Staats- 25 Verfassung, sondern vielmehr das Abweichen von dieser Basis an. Was die „Theorie" betrifft, deren Zweck „die Erschütterung des monarchischen Prinzips" sein soll, so kommt alles darauf an, was man unter monarchischem Princip versteht. Die Rheinische Zeitung z. B. erklärte einseitige Beamtenherrschaft, mittelalterliche 30 Standesrechte, Censur und dergleichen für Elemente, welche dem monarchischen Prinzipe widerstreiten. Sie hatte es überhaupt nicht, wie der gewöhnliche Liberalis mus, vorzugsweise mit einer bestimmten Staatsform zu thun; es handelte sich ihr hauptj |sächlich um den Inhalt, um die Demokratie in dem Sinne, daß der freie Mensch das Prinzip des Staates sein solle. Sie verlangte die Bedingungen eines vernünftigen 35 und sittlichen Gemeinwesens im Staate verwirklicht. Sie erblickte also im mon archischen Prinzip kein besonderes Prinzip, sondern das staatliche Prinzip über haupt. Sie bewies eben dadurch, daß sie in dem monarchischen Staate die mögliche Verwirklichung des vernünftigen Staates erblicke. Es ist niemals die Absicht der Rheinischen Zeitung gewesen „das Verfahren der 40 Regierung in der öffentlichen Meinung böswillig zu verdächtigen", sie hat vielmehr aus gutem Willen die dem Volksgeiste widerstrebenden Maßregeln der Regierung selbst verdächtig zu machen gesucht. Eben so wenig beabsichtigte die Rheinische Zeitung „einzelne Stände der Nation gegen die Andern aufzureizen"; sie reizte vielmehr jeden Stand gegen sich selbst, 45 gegen seinen eigenen Egoismus auf; sie machte den Staatsbürger gegen den Ständi- 401 Dubiosa sehen Bürger geltend; sie drückte hierin überdem nur einen rheinischen Pro vinzialismus aus, indem der Rheinländer jeden gesetzlichen Unterschied der Stände vor dem Gesetze perhorrescirt. Ferner die Anschuldigung: Die Rheinische Zeitung habe „Mißvergnügen mit den bestehenden gesetzüchen Zuständen zu erregen" gesucht. Auch die Regierung hat Mißvergnügen mit den bestehenden gesetzlichen Zu ständen z.B. mit den altpreußischen Ehezuständen, zu erregen gesucht. Jede Ge setzesrevision geht von einem solchen Mißvergnügen aus. Da die Entwickelung der Gesetze nur durch eine Kritik der Gesetze möglich wird, da eine Kritik der Gesetze den Verstand, also auch das Gemüth mit ihnen entzweit, also Mißvergnügen er wecken muß, so ist jede loyale Betheiligung der Presse an der Staatsverwaltung untersagt, sobald es ihr untersagt ist, Mißvergnügen mit den bestehenden gesetzlichen Zuständen zu erwecken. | |Die Rheinische Zeitung soll auch „sehr feindselige Richtungen gegen befreundete Mächte begünstigt" oder wie später ausgeführt wird, „selbst auswärtige Mächte sowohl innerhalb als außerhalb des deutschen Bundes beleidigt" haben. Was die Bundesstaaten betrifft, so war die Rheinische Zeitung nur das Organ der Majorität der dortigen liberalen Volksvertreter. Kann man es aber eine Beleidigung der außerdeutschen Mächte nennen, wenn die Rheinische Zeitung Deutschland gegen die Anmaßungen dieser Mächte in Schutz nahm? die deutsche Nationalität gegen die Beleidigungen der fremden Nationalitäten vertrat? Auf den Vorwurf, daß die „angeblichen Mängel der Staatsverwaltung meist aus der Luft gegriffen waren und größtentheils der Gründlichkeit und Sachkenntniß entbehrten, nicht in ernstem, ruhigen Tone, sondern unter gehässiger Anfeindung des Staates und seiner Verwaltungsformen und Organe entwickelt" wurden, genügt es, zu erwiedern, daß Presse und Verwaltung verschiedene Ansichten über Gründ lichkeit haben und haben müssen, daß die Heimlichkeit des Staatshaushaltes und aller Verwaltungs-Resultate eine vollständige Sachkenntniß fast unmöglich machen — für etwaige Unrichtigkeiten aber das Gegengift in der gesetzlich anbefohlenen Be richtigung stets zur Hand war; daß endlich der Ton der Sprache durchgängig vom Censor nach seinem Gutdünken modifizirt wurde. Wenn von der „Verfolgung loyaler Organe durch unwürdigen Spott" die Rede ist: so sind darunter wohl Zeitungen zu verstehen. Die Verspottung einiger Zeitungen aber selbst, wenn sie konstatirt wäre, könnte doch wohl keinen Grund zur Unter drückung abgeben, da es keine officielle Klassifikation derselben in Deutschland gibt. Der Rheinischen Zeitung wird noch eine Untergrabung der Kirche vorgeworfen. Sie hat aber in Bezug auf Religion eine Aufgabe zu lösen gesucht, deren Lösung nach Art: II. des Censur-Edikts vom 18ten October || 1819 der Censur vorgeschrieben ist, nämlich „dem fanatischen Herüberziehen von Religionswahrheiten in die Politik und der dadurch entstehenden Verwirrung der Begriffe zu steuern". Religion und Politik zu scheiden ist sie unabläßig bemüht gewesen, und immer und überall hat sie pro- testirt, wo Dogma oder Kirche ein Staatsgesetz bestimmten, mag es sich von einem katholischen Kniebeugungs-Gesetz in Bayern oder einem evangelischen Ehe scheidungsgesetz in Preußen gehandelt haben. Endlich spricht das Ministerial-Rescript auch von der „Böswilligkeit der ganzen 402 Denkschrift betreffend die Unterdrückung der „Rheinischen Zeitung" Tendenz". Hiernach würde der Kampf der Rheinischen Zeitung für Preußens Geistige Hegemonie, für Preußens Merkantü-System, für den deutschen Zollverein, hiernach würde die Sorgfalt, mit der sie jeden, auch den kleinsten Fortschritt an erkennend hervorhob — hiernach würde die warme Vaterlandsliebe, mit der sie für 5 Deutschlands Ehre gegen Außen gestritten, mit der sie im Innern das wiedererwachte Nationalgefühl gehegt und gekräftigt, hiernach würde Alles das auch zum Symptome der Böswilligkeit werden. Von allen Vorwürfen scheint also nur der der Consequenz stehen zu bleiben. Die Consequenz aber ist vielmehr ein Beweis aufrichtiger, einsichtsvoller Ueberzeugung 10 als absichtlicher Böswilligkeit. Eine Consequenz schlechter Gesinnungen ist nicht wohl denkbar, da die Con sequenz der Gesinnungen — Gesinnung ist, die nicht schlecht sein kann. Gesinnung zu bethätigen ist die Rheinische Zeitung in's Leben gerufen worden. Sie wird ihr treu bleiben und nur der Gewalt weichen. 15 20 Steht es hiernach fest, daß sich alle die Vorwürfe des Ministerial-Rescripts bei einer genauem Betrachtung in grades Gegentheü umwandeln, so ist wenigstens so viel gewiß, daß diese Beschuldigungen in ihrer jetzigen Unbestimmtheit zum Verbot keiner oder jeder Preußischen Zeitung ausreichen. 403 Erwiderung auf eine Kritik des Pastors von Erpel Bemerkung der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 52, 21. Februar 1843 Der Pastor von Erpelhat ein Inserat in die Nr. 51 der „Kölnischen Zeitung" geliefert, worin es unter Anderm heißt: „Die ,Rheinische Zeitung' hatte in ihrem Beiblatt zu Nr. 317 vom 13. November v. J. über den Entwurf zum neuen Ehegesetz einen ersten Artikel veröffentlicht, worin nebst vielen Absurditäten für die katholische Kirche die Verläumdung enthalten war, 5 daß sie die Anbetung der Heiligen, also völlige Abgötterei, gebiete. .. .Nun wurde der Redaktion der »Rheinischen Zeitung' die betreffende Entgegnung ungesäumt unter Berufung auf ihre Unparteilichkeit, mit der gleichen Bitte um Aufnahme, zugestellt. Aber die Redaktion der ,Rheinischen Zeitung' versagte die Bitte, indem sie den Referenten belehrte, ,daß sie keineswegs, wie irrig angenommen worden, 10 unparteiisch sei, und die Aufnahme des Artikels habe verweigern müssen'. Nach den einfachsten Grundsätzen der Billigkeit hätte sich die .Rheinische Zeitung', so sollte man doch denken, verpflichtet fühlen müssen, die Abwehr einer so schmäh lichen Calumnie gegen eine ganze christliche Kirche gerne in ihren Spalten zu ver öffentlichen, nachdem sie selbst die Calumnie in die Welt gesendet hatte. Ohne eine 15 dritte und vierte Zeitung um Aufnahme anzugehen, ließ es Referent dabei bewen den, daß er dem hohen Ober-Präsidium unter Vorlage der Entgegnung u. s. w. Kunde von dem Hergang der Sache ertheilte und ausdrückliche Beschwerde gegen die Redaktion der .Rheinischen Zeitung' bei ihm niederlegte." Wir antworten auf diesen TheU des Inserats, weil eine confessionelle Polemik 20 dem Prinzipe der „Rheinischen Zeitung" widerspricht. Die incriminirte Stelle lautet in ihrem Zusammenhange wörtlich also: „Die An erkennung der Abhängigkeit des Staates von der Kirche führt consequent zum geistlichen Regimente zurück, aber die Zeit kann nicht rückwärts schreiten und der Entwurf selbst hat Anstand genommen, alle Folgen, die sich aus dem vorangestellten 25 Satze herleiten ließen, laut auszusprechen. Consequent hätte er dem Christenthume, oder, da wir ein ungetheiltes Christenthum nur imaginair besitzen, den verschiedenen Confessionen, welche der Staat als christliche anerkennt, ein direktes Eingreifen oder Aufsichtsrecht gestatten müssen; statt dessen aber beschrankt man sich, die Consequenz eben so, wie die absolute Weigerung fürchtend, auf einzelne Conces- 30 sionen, die gefährlich, gleich allen Mittelwegen, die geistliche Partei, die sich noch nie mit einem Finger begnügte und ihrem Wesen nach nicht begnügen konnte, 404 Erwiderung auf e i ne Kritik d es Pastors von Erpel keineswegs zufrieden stellen, allen Andern aber gerechte Besorgniß einflößen werden." „Man bestimmte erstens, daß bei der, jeder Ehescheidung nothwendig vorher gehenden Sühne, es dem competenten Geistlichen lediglich überlassen sein solle, 5 Zeit und Ort derselben zu bestimmen, ohne daß es dem Ehegericht zusteht, den selben ohne seinen Antrag vor sich zu laden; zweitens, daß Ehen geschiedener Katholiken und Katholiken mit geschiedenen Personen, deren Ehegatten noch am Leben, nicht eingesegnet werden sollen. Durch jenen ersten Satz lähmte man auf schwer verantwortliche Weise die richterliche Gewalt, die gänzlich abhängig vom 10 Geistlichen und gar vom einzelnen Geistlichen gestellt wird. WÜ1 dieser die Sühne — selbst aus schlechtem Motiv, da er Keinem Rechenschaft schuldig —, nicht vor nehmen, so ist die Unthätigkeit des Richteramtes, des einzigen, oder doch allein gesetzlichen Rechtsschutzes im Staate, und damit die Rechtlosigkeit des Bürgers entschieden; durch die andere, die Ehen geschiedener Katholiken betreffende Be- 15 S t i m m u ng greift der Staat mit seiner Zwangsgewalt in das freie Gebiet der religiösen Ueberzeugung, die keinen Zwang kennt, noch duldet, hinüber. Der Staat hat dem katholischen Glauben seinen Schutz zugesagt, aber daraus folgt nur, daß er die Bekenner dieses Glaubens nicht zu einer, den Vorschriften desselben widerstrei tenden Handlung anhalten, in concreto die betreffenden Geistlichen nicht zwingen 20 darf, eine Ehe einzusegnen, die nach ihrer Lehre als vorschriftswidrig, als sündhaft erschiene. Durch seine Schutzgewalt aber wird der Staat keineswegs zum Exekutor der Kirchengerichte. Der Katholik hat dem Staate gegenüber genug gethan, wenn er seinen, des Staates Gesetzen nachkommt: für die Beobachtung der Kirchengesetze ist er nur der Kirche verantwortlich, und Seitens des Staates auch hier zwingend 25 eintreten wollen, hieße Ueberschreitung der Kompetenz. Das Verbot, eine zweite Ehe nach geschiedener erster einzugehen, ist nur ein Kirchengebot, gerade wie die Beichte, Fasten, Abstinenzen und die Anbetung der Heiligen." Es wird also in diesem Artikel der Bereich des Staats und der Kirche streng ge schieden, und ihre wechselseitige Integrität in Anspruch genommen. Aus dieser mit 30 klaren Worten ausgesprochenen Grundansicht des Verfassers folgt von selbst, wie wenig irgend eine Verläumdung gegen die katholische Kirche, deren Unabhängigkeit als Kirche er vielmehr vom Staate verlangt, in seiner Absicht liegen konnte. Wenn also die Anbetung der Heiligen als Kirchengebot angeführt wird, so war dies als ein nur faktischer Irrthum zu berichtigen. 35 Hätte sich also der Herr Pastor auf eine solche thatsächliche Berichtigung be schränkt, hätte er sich auf die Anführung beschränkt, das tridentinische Concil (Sessio XXV.) spreche nur von einer invocatio et veneratio sanctorum (Anrufung und Verehrung der Heiligen), nicht aber von einer Anbetung derselben, der Ver fasser des questionirten Artikels habe also jene Ausdrücke falsch übersetzt, so 40 wären die Spalten der „Rheinischen Zeitung" seiner Berichtigung so wenig ver schlossen worden, als allen andern Berichtigungen von Thatsachen. Statt dessen aber sandte er uns einen langen Artikel ein, worin er die angeblichen „Absurditäten" jenes Aufsatzes zu enthüllen strebte. Stand es ihm frei, in jenem Aufsatz, der von einem angesehenen Kölnischen 45 Juristen herrührt, Absurditäten zu entdecken, so stand es uns frei, seine Entdeckun- 405 Dubìosa gen in gleicher Weise zu würdigen. Welche einfache Billigkeit aber die „Rheinische Zeitung" verpflichten sollte, der schriftstellerischen Thätigkeit des Pastors von Erpel zu dienen, ist nicht abzusehen. Schließlich wollen wir an einem argumentum ad oculos darthun, wie nicht nur der Verfasser des incriminirten Aufsatzes, sondern eben so sehr der Gegner dieses Verfassers an Irrthümern laborirt. Der Herr Pastor beschwerte sich wegen Nicht Aufnahme seines Aufsatzes bei dem Oberpräsidium, aber er irrte sich, wenn er glaubte, die unterzeichnete Redaktion könne zur Aufnahme seines Aufsatzes von irgend einer Behörde gezwungen oder auch nur wegen Nichtaufnahme desselben gerügt werden. Das Rescript der Ministerien des Innern und der Polizei vom 27. November 1832 bestimmt nämlich: „Es ist lediglich Sache der Redaktion, zu beurtheilen, ob sie Artikel über öffentliche Angelegenheiten, welche ihr von Privat personen mitgetheilt werden, zur Aufnahme geeignet findet oder nicht." Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 406 Unwahrheiten der „Rhein- und Mosel-Zeitung" Bemerkung der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 58, 27. Februar 1843 + Köln, 26. Febr. Die Rhein- und Moselzeitung von gestern enthält folgenden Artikel: „Köln, 23. Febr. Sicherem Vernehmen nach ist Einer der Geranten der Rheinischen Zeitung, Herr Oppenheim, nach Berlin abgereist, um die Zurücknahme des Verbotes dieses Blattes zu erwirken. Derselbe wird, wie es heißt, persönliche Garantieen für die ruhigere und besonnenere Haltung der Rheinischen Zeitung und insbesondere dafür geben, daß dieselbe fortan eine entschieden christliche Tendenz verfolgen werde. Mehre öffentliche Blätter haben bereits berichtet, daß die Majorität der Aktionäre der gedachten Zeitung in der am 12. d. M. stattgehabten Versammlung derselben sich entschieden in diesem Sinne ausgesprochen hat. Daß die Redaktion auf ein solches Ergebniß gefaßt war, dürfte schon aus dem Umstände hervorgehen, daß dieselbe in der zu Gunsten der Rheinischen Zeitung in Umlauf gesetzten ersten Petition sogar die der bisherigen Richtung des Blattes .feindlich' gesinnten Personen um ihre Unterschriften bitten zu müssen geglaubt hat." Die Redaktion der Rheinischen Zeitung bemerkt zu diesem Artikel nur, daß er von vorn bis hinten kein wahres Wort enthält, die Nachricht ausgenommen, daß Herr Oppenheim wirklich nach Berlin gereist ist. Während die Rheinische Zeitung gehindert ist, freie Tendenzpolemik zu führen, sollte man ihr doch auch die Mühe sparen, im eigenen Interesse stets faktische Unwahrheiten zu berichtigen. 407 Die Augsburger „Allgemeine Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 59, 28. Februar 1843 + Köln, 27. Febr. Die Augsburger Allgemeine Zeitung legte neulich der Preußischen Staatszeitung unter den Fuß, ihr Beruf sei es, die schlechte Presse, die liberalen Opponenten, kurzum die Gegner der „guten Presse", an deren (nämlich der guten Presse) Spitze bekanntlich in Preußen die Staatszeitung steht, zum Schweigen zu bringen. Diesen Vorwurf einer Unterlassungssünde fand vor einigen Tagen die 5 Staatszeitung Gelegenheit mit dem Vorwurf einer Begehungssünde zu erwiedern. In einem polemischen Artikel gegen das Journal de la Haye (der, beiläufig gesagt, interessante Dinge über das Verhältniß Hollands zu Preußen zur Sprache bringt) sagt die Staatszeitung vom 23. Februar: „Wir finden es natürlich, daß das hollän dische Journal die Agitation deutscher Blätter gegen das freisinnigere Handels- 10 system des Zollvereins im Interesse des Handels selbst bekämpft; eine Agitation, die, wie man weiß, zunächst gegen Preußen gerichtet ist und zu welcher bekanntlich auch die Allgemeine Zeitung zwar nicht bei dieser, wohl aber bei anderen Gelegen heiten sich in sehr ausgedehntem Maße hergegeben hat." Wie man in Berlin über die Augsburger Allgemeine Zeitung denkt, darüber 15 liefert die vorstehende Stelle schon Andeutung genug. Nun lesen wir in der Trier- schen Zeitung vom 26. Februar auch noch Folgendes aus Berlin: „Seine Majestät der König haben Allerhöchst ihr Mißfallen über den Ton aus gesprochen, in welchem sich bisher öfter die ,Augsburger Allgemeine Zeitung' über Preußen vernehmen ließ. Man hat darüber nach Baiern berichtet und von da durch 20 den baierischen Minister des Auswärtigen, Freiherrn v. Gise, zur Antwort erhalten, daß Seine Majestät der König von Baiern geeignete Maßregeln treffen werde, der betreffenden Zeitung ähnliche mißfällige Aeußerungen über Preußen unmöglich zu machen." Wir finden in diesen Urtheilen und Vorgängen das tröstende Walten unserer 25 Freundin, der Nemesis, auf die wir uns in mythologischer Frömmigkeit stets ver lassen haben. Wer hat mehr, als die Augsburger Allgemeine Zeitung, alle Kräfte angestrengt, um durch Bekämpfung zeitgemäßer Bestrebungen das Oberwasser in dem Strom der Journalistik zu halten und sich als den Hort und Champion der „Loyalität" zu bezeigen? Jetzt zeigt es sich, daß ihr der ganze edle Eifer nichts 30 genützt und daß man durch die loyale Maske hindurch gerade da ihre wahre Physio gnomie erkannt hat, wo sie sich von ihrer Taktik den meisten Erfolg versprach. Wir sind weit entfernt, Freude zu empfinden, wenn wir unsere Gegner auf Kosten 408 Die Augsburger „ A l l g e m e i ne Zeitung" der Freiheit demüthigen sehen. Wir gönnen diese Arbeit viel lieber uns selbst und bedürfen dazu eben nur der Freiheit. Wenn es uns daher sehr willkommen ist, daß man die wahren Intentionen der Augsburger Allgemeinen Zeitung trotz ihren Ver mummungen erkannt hat, so schmerzt es uns zugleich, daß man gegen ihr Treiben kein anderes Mittel zu finden wußte, als Preßbeengungen. Kampffreiheit an der Isar und Kampffreiheit am Rhein wie an der Spree — und es braucht Keinem für den Sieg der guten Sache bange zu sein, wenn er in der guten Sache nur die Wahrheit erblickt. 409 Verleumdungen seitens der „Rhein- und Mosel-Zeitung" Rheinische Zeitung. Nr. 65, 6. März 1843 + Köln, 5. März. Die Rheinische Zeitung vom 27. Februar sah sich genöthigt, einen auf sie bezüglichen Artikel in der Rhein- und Moselzeitung vom 25. Februar un wahrer Angaben zu bezichtigen. Insbesondere war in diesem Artikel gesagt wor den, die Redaktion der Rheinischen Zeitung sei auf den (angeblichen) Tadel der Aktionäre gefaßt gewesen, was schon aus dem Umstand hervorgehe, daß dieselbe (die Redaktion) „in der zu Gunsten ihrer Zeitung in Umlauf gesetzten ersten Peti tion sogar die der bisherigen Richtung des Blattes feindlich' gesinnten Personen um ihre Unterschriften bitten zu müssen geglaubt habe". 5 Aus dieser Stelle wird wol kein Leser etwas Andres entnehmen, als daß 1) die „Redaktion"um Unterschriften gebeten und 2) diese Bitte speciell an solche Personen wirklich gerichtet worden, die notorisch 10 der Tendenz der Zeitung feindlich waren. Bekanntlich wurden die Unterschriften der ersten Petition (einer Bürgerpetition) von Mitgliedern einer durch die Geranten oder den Auf sichtsrath der Rheinischen Zeitung eingeladenen Bürgerversammlung, also nicht von der Redaktion, einge- 15 sammelt. Daß auch diese Bürger Niemanden um Unterschrift gebeten haben, den sie als Feind der Zeitung kannten, darf man voraussetzen. Jedenfalls war es eine grobe Unwahrheit, daß die Redaktion ihre Feinde (d. h. die Feinde ihrer Tendenz) um Unterschriften solle gebeten haben. (Von der Logik, welche aus einer solchen Bitte die Nothwendigkeit eines Tadels von Seiten der Aktionäre herleitet, wollen 20 wir ganz schweigen.) Die Rhein- und Moselzeitung von heute (5ten) will uns nun den Vorwurf unwahrer Angaben zurückgeben, indem sie die Wahrheit der ihrigen durch folgende Stelle aus der erwähnten Petition zu beweisen sucht: „ allein man mag den politischen Ueberzeugungen dieses Blattes zugethan*), ja, man mag ihnen entschieden feind- 25 lieh sein, in jedem Falle muß der wahre Freund des kräftigen und freien Staats lebens den Schlag, der dieses Blatt getroffen, lebhaft bedauern u. s. w." Der höchste Grad von Differenz, welcher hiernach möglicher Weise zwischen den Ueberzeugungen der Rheinischen Zeitung und denen der Petitionaire ange nommen werden kann, ist offenbar durch das Wort „fremd" bezeichnet. Es braucht 30 *) Hier enthält die Petition noch folgende, sehr entscheidende Worte, w e l c he die Rhein- und Moselzeitung weislich ja, m an m a g" u.s.w. ihnen, wie Viele der Unterzeichner, ausgelassen: „man mag fremd, 410 Verleumdungen s e i t e ns der „Rhein- und Mosel-Zeitung" wol keinem Leser auseinandergesetzt zu werden, daß die in den weitern Worten angedeutete, von der Rhein- und Moselzeitung als faktisch bestanden gemeldete „Feindlichkeit" in der Petition nur eine hypothetische, keineswegs den Unter zeichnern zugeschriebene war. — Hier also die zweite Unwahrheit. Wir haben uns die Mühe gegeben, die Rhein- und Moselzeitung nochmals in dieser Angelegenheit zu widerlegen, um an einem neuen Pröbchen zu zeigen, welche kleinliche Mittel angewandt werden, um die Rheinische Zeitung zu diskreditiren, und welche Taktik sich Blätter anzueignen nicht schämen, die um Alles in der Welt nicht von der „guten Presse" ausgeschlossen werden möchten. Uebrigens ver wahren wir uns vor dem Verdacht, als seien unsre Worte gegen die geistigen Mittel der Rhein- und Moselzeitung gerichtet; sie können nur der schlechten Absicht gel ten, der Verläumdung! 411 Die neue Zensurinstruktion Rheinische Zeitung. Nr. 67, 8. März 1843 + Köln, 6. März. Die Verordnung vom 23. Februar über die Organisation der Censur- behörden, welche den Schluß der jüngst erlassenen Censurvorschriften bildet, sagt in ihrem letzten Paragraph Folgendes: „Gegenwärtige Verordnung tritt erst am 1. Juli d. J. in Kraft. Mit eben diesem Tage hört die Wirksamkeit des jetzigen Obercensur-Kollegiums auf, so wie die 5 Gültigkeit aller bisherigen, dieser Verordnung entgegenstehenden Bestim- . mungen. " Der Tag, mit welchem die neue Censur-Instruktion vom 31. Januar er. in Kraft, treten soll, ist in derselben nicht bestimmt; es muß also angenommen werden, daß diese Instruktion ihre Wirksamkeit erst mit eben dem Tage beginnen wird, von 10 welchem ab vorgedachte Verordnung, welche gleichzeitig mit ihr erschienen ist und welche sich auf sie stützen muß, in Anwendung kommen soll. Diejenige Censurinstruktion, welche gegenwärtig und bis zum 1. Juli in Kraft bleibt, wäre also das freudig begrüßte, unter dem 24. Dezember 1841 an die Qber- präsidenten erlassene Circular. 15 Daß dies Circular nicht vor dem 1. Juli als aufgehoben betrachtet werde, dies zu wünschen, hat die Presse mehre Gründe: 1) Die neue Instruktion beengt im Allgemeinen den Spielraum der liberalen Presse wie der liberalen Censur offenbar mehr, als jenes Circular; 2) sie thut dies (IV., §. 1) speziell in Bezug auf die Besprechung der ständischen 20 Institutionen und würde daher, wenn sie schon jetzt als bindende Norm für die Censur zu betrachten wäre, dieselbe leicht veranlassen können, die Bespre chung der nächsten, wahrscheinlich sehr wichtigen und interessanten Landtags- Verhandlungen in zu enge Gränzen einzuschließen; 3) Wenn das neue Gesetz (die Censur-Instruktion) eher in's Leben träte, als das 25 neue Gericht (das Obercensur-Gericht), so würde darin in so fern eine Ungerech tigkeit gegen die Presse liegen, als dieselbe von der einen Seite den verschärften Verordnungen unterworfen wäre, ohne von der andern bei dem, mit Rücksicht auf diese Verordnungen eingesetzten Richter Schutz suchen zu können. Man verkenne das Eigenthümliche der Lage nicht, worin die Regierung sich 30 über die Unzulänglichkeit bisheriger Vorschriften ausspricht und gleichzeitig für eine ziemlich ferne Zukunft andere an die Stelle setzt, ohne mithin die frühern sofort aufzuheben. Gerade bei der Preßgesetzgebung und zwar bei einer restriktiven 412 Die n e ue Zensurinstruktion Preßgesetzgebung ist diese Lage doppelt eigenthümlich, da es sich hierbei nicht um Beurtheilung bestimmter, unzweideutiger Fakta, sondern um Behandlung von Absichten und Tendenzen handelt, bei welcher die Versuchung zur Aengstlichkeit oder Willkür durch den für die Zukunft ausgesprochenen Willen der Regierung 5 schon jetzt sehr nahe gelegt ist. In dem Zwischenräume bis zum 1. Juli stehen wir nun zwischen zwei, in mehr facher Hinsicht verschiedenen Gebietern: der bisherigen und der künftigen Vor schrift, von welcher uns die erstere bindet, die letztere uns bedeutet. Wir halten den hier angeregten Punkt nicht für unwichtig und es wäre sehr zu 10 wünschen, daß derselbe nicht blos von der Presse, sondern namentüch auch von der Censur im Auge behalten werde. Eine in der Ausübung der Censur sich manifestirende Kollision zwischen der Tendenz künftiger Gesetze und der durch die bisherigen Bestimmungen herbei geführten Praxis kann offenbar nur zum Nachtheil der unter solchen Umständen 15 völlig schutzlosen Presse gereichen. Die Censur möge also die Zukunft nicht zu sehr antecipiren! Die Rheinische Zeitung wird wohl noch Gelegenheit finden, über die freilich schon als fertige Gesetze dastehenden, veränderten Censurbestimmungen im Gegensatz zur Preßfreiheit ein offenes Wort zu sprechen; für jetzt beschränkt sie 20 sich darauf, den einstweiligen status quo im Gegensatz zur Zukunft in Schutz zu nehmen. 413 Mitteilungen der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 293, 20. Oktober. S. 1. Sp. 2 . - F u ß n o te zum ersten Abschnitt der Korrespondenz „Ankunft der Mitglieder zu dem ständischen Centrai-Ausschuß" (Titel der Übersicht d es Inhalts entnommen). Bezugsstelle: „Die Mitglieder der Centrai-Ausschüsse fangen schon an hier einzutreffen. .. .Vielleicht gelingt es mir auf irgend einem W e ge eine vollständige Liste derselben zu erhalten, und dann w e r de ich nicht ermangeln, Ihnen solche 5 zur Veröffentlichung zuzustellen, da der letzten irgend ein gültiges Verbotsgesetz nicht ent g e g en steht." Ist durch die Publikation der Staatszeitung (Siehe unser gestriges Blatt) erledigt. Redaktion der Rheinischen Zeitung. Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 293, 20. Oktober. S . 1. Feuilleton. - Fußnote zum Gedicht 10 „Das freie Wort. Ausgebracht als Toast am Geburtstage Sr. Maj. d es Königs". Wir danken dem Herrn Einsender für die Mittheüung dieses Toasts, der von der erwachten politischen Gesinnung in den Rheinlanden eine neue erfreuliche Kunde gibt. Die Redaktion. 15 Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr.303, 30.Oktober. S . 1. S p . 1. - Vorbemerkung zu einem Bericht über die Sitzung d es ständischen Zentralausschusses am 21. Oktober 1842. Die „Preußische Staats-Zeitung" enthält in ihrer Nro. 298 vom 27. Oktober folgenden Bericht, datirt Berlin, den 22. Okt. über die Sitzung der Centraiausschüsse vom 21. d. M., den wir unsern Lesern, obgleich er wesentlich nichts Neues mehr enthält, 20 sondern nur die schon bekannt gewordenen Mittheilungen bestätigt, doch seiner Authenticität wegen mittheilen wollen. 414 Mitteilungen der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 309, 5. November. S. 3. Sp. 1. — Fußnote zur Korrespondenz „Die Entsetzung Lubienski's" (Titel der Übersicht d es Inhalts entnommen). Diesen Artikel, uns im Original zugeschickt, lesen wir auch im Frankfurter Journal vom gestrigen Datum. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 322, 18. November. S.3. S p . 3. — Berichtigung zur Korre spondenz „Die Absperrung von Anzeigen aus den Blättern d es Herrn von Cotta" (Titel der Übersicht d es Inhalts entnommen). Der „Congreß von Verona" vom Dichter Julius Mosen verfaßt, ist nicht bei Cotta 10 sondern bei Duncker und Humblot erschienen. Wir bitten daher unsere Leser, die in Nummer 317 d.J. befindliche Korrespondenz # „vom Main" hiernach berichtigend zu beurtheilen. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. In einigen Exemplaren der Nr. 322 lautet d i e se Berichtigung w ie folgt: 15 Wir erfahren so eben, daß der „Congreß zu Verona" von dem Dichter Julius Mosen keineswegs bei Cotta erschien und bitten daher unsere Leser, die in Nummer 317 d.J. befindliche Korrespondenz # „vom Main" hiernach berichtigend zu beur theilen. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 20 Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 3 2 5 , 2 1. November. S.4. N i c h t r e d a k t i o n e l l e r T e i l . - F u ß n o te zu einem Satz d es Briefes von Schepelers an die „Rheinische Zeitung". Bezugsstelle: „Sie, Herr Redakteur der Rheinischen Zeitung, müssen wir bitten, zu erklären, ob der in Ihrem Blatte vom 1 3 . d . M. enthaltene Artikel aus Aachen von uns ist." Der in Bezug genommene Korrespondenz-Artikel aus Aachen rührt nicht von dem 25 Herrn v. Schepeler her. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 328, 24. November. S.2. Feuilleton. — Fußnote zu e i n em Satzteil d es Artikels „Schillerfest". B e z u g s s t e l l e: „ . .. Dr. Julius M o s en feierte in e i n em treff lichen Gedicht ,die junge Zeit und die politischen Sänger' . . ." 30 Wir haben dasselbe im Feuilleton zu Nr. 320 der Rheinischen Zeitung bereits mit- getheüt. Die Redaktion. 415 Dubiosa Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr.335, I . D e z e m b e r. S.3. S p . 3. — Bemerkung zur Korre spondenz „Erste Vorlesung Dahlmanns" (Titel der Übersicht d es Inhalts entnommen). An die Leser! Wegen der vielen Druckfehler in der, in unserm gestrigen Blatte mitgetheilten, ersten Vorlesung des Prof. Dahlmann bitten wir um Entschuldigung. Dieselbe lief so spät ein, daß vor Abgang der ersten Posten eine exacte Korrektur unmöglich war. Köln, 30. November. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 5 Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 342. 8. Dezember. S. 2. Sp. 3. - Fußnote zur Korrespondenz „Die Hasen-Ritter" (Titel der Übersicht d es Inhalts entnommen). Wir nehmen vorstehende Korrespondenz ihres kuriosen Inhalts wegen auf, müssen 10 es aber auffallend finden, daß Bürger über die Unbilden einiger Junker lamentiren, statt sie durch Mittel, die ihnen rechtmäßig zustehen, selbst in die gebührenden Schranken zurückzuweisen. Mit der Behauptung der Unangemessenheit der jetzigen Jagdgesetze stimmen wir überein. Die Redaktion. 15 Rheinische Zeitung. Köln. 1842. Nr. 353, 19. Dezember. Beilage. S. 1. S p . 2. - Vorbemerkung zum Artikel „Die preußische Eherechts-Reform". Die Nro. 332 der allgemeinen Preußischen Staatszeitung enthält unter der Ueber- schrift „die Preußische Eherechts-Reform" folgenden bemerkenswerthen Artikel, den wir zur Vervollständigung unserer bisherigen Mittheüungen über das Ehegesetz, 20 nachträglich aufnehmen. Rheinische Zeitung. Köln. 1842. N r . 3 6 0 - 6 1, 27. Dezember. Beiblatt. S.2. S p . 2. - Fußnote zum Artikel „Das g e h e i me inquisitorische Verfahren". Wir haben an dem Aufsatze unseres verehrten Herrn Mitarbeiters nichts ändern wollen, müssen zum Schlüsse jedoch darauf aufmerksam machen, daß die Eingangs 25 erwähnte Mainzer Prozedur nicht vor Geschwornen, sondern vor dem Zuchtpolizei gerichte Statt hatte, ein Irrthum, der freilich weder den Thatsachen an ihrem Inter esse, noch dem Raisonnement an seiner Schärfe Abbruch thut. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. Rheinische Zeitung. Köln. 1843. Nr. 4, 4. Januar. S. 1. Sp. 1. — Fußnote zur Kabinettsordre über 30 das Verbot der „Leipziger Allgemeinen Zeitung". Die Preußische Staatszeitung vom 31. Dezember war uns zu spät zugekommen, um die nachstehende königliche Kabinetsordre nebst dem Berichte der Censurministe rien noch in unsere gestrige Nummer aufnehmen zu können. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 35 416 Mitteilungen der Redaktion der „Rheinischen Zeitung" Rheinische Zeitung. Köln. 1843. Nr.7, 7.Januar. S . 1. S p . 2. - Fußnote zu einem Satzteil der Korrespondenz „Die Steuern" (Titel der Übersicht d es Inhalts entnommen). Bezugsstelle (die Fußnote bezieht sich auf den zweiten Grundsatz): „ D i e se drei, bisher nur stümperhaft be folgten Grundsätze [des Kommunismus und Sozialismus] sind e r s t e n s: die Heilsamkeit und 5 Nothwendigkeit der Vergesellschaftung und g e g e n s e i t i g en Versicherung zur Abwendung oder Linderung des Elends; z w e i t e n s: der Lohn muß in g e r e c h t em Verhältnisse zur Arbeit stehen; drittens: die Staatssteuer muß in g e r e c h t em Verhältnisse zum Einkommen s t e h e n ." Der konsequenteste, scharfsinnigste socialistische Schriftsteller „Proudhon" be streitet diesen Satz, wie auch vom Journal „La Fraternité" geschehen ist. IO Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. Rheinische Zeitung. Köln. 1843. Nr. 2 7 - 2 8, 28. Januar. S . 3. Nichtredaktioneller Teil. - Fußnote zu einem Satz der „Mittheilung an die Mitglieder der Pommerschen ökonomischen Gesell schaft" von Adolf von Thadden. Bezugsstelle: „Wann w e r d en doch Zeitungen, die, um mit Herrn H e r w e gh zu reden, sich nach .Recht und Gerechtigkeit die S e e le ausschreien', die 15 nach allen Seiten hin die Oeffentlichkeit predigen — selbst so g e r e c ht und offen sein, und nicht anonym persönlich s c h m ä h e n de Korrespondenz-Artikel aufnehmen, g e g en Leute, die offen und ehrlich auftreten und die ausdrücklich um Nennung der N a m en ihrer G e g n er ge beten h a b e n ?" Herr von Thadden wirft uns vor, daß wir einen anonymen, persönlich schmähenden 20 Correspondenz-Artikel aufgenommen hätten. Was die Anonymität betrifft, so steht der Vorwurf des Einsenders in direktem Widerspruche mit seinem an uns gerich teten Schreiben, worin er ausdrücklich erklärt, daß er nie daran gezweifelt habe, daß der Verfasser des quästionirten Artikels uns bekannt sei. Eben so ungerecht ist der Vorwurf, daß der in Rede stehende Artikel persönliche Schmähungen ent- 25 halte. Jeder unbefangene Leser wird sich vom Gegentheil überzeugen. Uebrigens wollen wir zum Ueberfluß und auf den ausdrücklichen Wunsch des Herrn Ein senders noch öffentlich versichern, daß eben so wenig der Verfasser des mehr erwähnten Artikels als die Redaktion die Absicht gehabt hat, den Herrn v. Thadden an seiner persönlichen Ehre zu kränken. Durch Herausgabe der Broschüre war 30 Herr v. Thadden der schriftstellerischen Kritik verfallen, und nur diese wollten wir üben. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. Rheinische Zeitung. Köln. 1843. Nr.60, I.März. S.2. Sp. 1. - Fußnote zum letzten Abschnitt der Korrespondenz „Literatur und Journale. — H e r w e g h" (Titel der Übersicht d es Inhalts 35 entnommen). Bezugsstelle: „So e b en trifft hier die Nachricht ein, daß Herwegh an einer Hirnentzündung, die natürliche Folge der mannigfachen Aufregungen, krank darnieder liege; . . ." Die Nachricht von Herwegh's Erkrankung ist hoffentlich unwahr; wenigstens be rechtigt uns zu dieser Annahme ein dieser Tage hier eingegangenes Schreiben des 10 Dichters, worin von Krankheit nicht die Rede ist. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. 417 Oubiosa Rheinische Zeitung. Köln. 1843. Nr. 65, 6. März. S. 1. S p . 3. - Fußnote zur Korrespondenz „Die Augsb. Allg. Ztg." (Titel der Übersicht d es Inhalts entnommen). Die Rheinische Zeitung gibt dieser Polemik noch Raum, weil dieselbe eine frühere, nicht erledigte Frage behandelt. Wir machen aber bei dieser Gelegenheit unsere Korrespondenten auf den gegenwärtigen Zustand der Augsburger Allgemeinen Zeitung aufmerksam, der uns daran mahnt, nicht nach ihrem Beispiel gegen sie selbst zu verfahren. Die Redaktion der Rheinischen Zeitung. Rheinische Zeitung. Köln. 1843. Nr.66, 7.März. Beiblatt. S . 1. Sp. 1. - Fußnote zum Artikel „ D ie S c h w e iz und Deutschland, oder Wider den Aufsatz in der Beilage zu Nro. 10 der Rhei nischen Zeitung: ,die Schweiz in ihrem Verhältnisse zu Deutschland und dem Zollverein'". Die Redaktion der Rheinischen Zeitung ist weit entfernt, alle Ansichten des vor liegenden Aufsatzes zu adoptiren; sie bemerkt, um in Bezug auf die Tendenz ihres Blattes nicht mißverstanden zu werden, daß sie es für zuträglich hält, über den beregten Gegenstand, der noch zu wenig in's Klare gestellt ist, auch die entgegen gesetztesten Meinungen sich aussprechen zu lassen, damit hierdurch die richtige Ansicht sich fixire. 418 Dokumente Petition Kölner Bürger um das Fortbestehen der „Rheinischen Zeitung" \Cöln im Februar 1843. Petition Kölner Bürger um das Fortbestehen der Rheinischen Zeitung. 5 A l l e r d u r c h l a u c h t i g s t e r, G r o ß m ä c h t i g s t er K ö n i g! A l l e r g n ä d i g s t er K ö n ig u nd H e rr ! Kaum Ein Jahr ist verflossen, daß Eure Majestät in jenem denkwürdigen, königlich freien Entschlüsse die Presse von den drückenden Fesseln befreite, in die sie durch die Ungunst der Umstände gezwungen worden war. Jeder von echtem Freiheitssinn und Patriotismus beseelte Bürger wendete sich mit verdoppeltem Vertrauen der 10 Gegenwart und nächsten Zukunft zu, wo die öffentliche Gesinnung in ihren mannig fachen Ueberzeugungen und in ihren tief eingreifendsten Gegensätzen entsprechende Organe der Presse || erhalten und durch immer gründlichere Ausarbeitung, durch immer erneuerte Rechtfertigung ihres eigensten Gehaltes sich zu jener Reinheit, Klarheit und Entschiedenheit läutern werde, in der sie der nationalen Gesetzgebung 15 die reichhaltigste, sicherste und belebendste Quelle darbietet. Besonders der Rhein länder, Ma/esiäf / ward von der edelsten Freude erfüllt, als er dem freien, öffentlichen Worte, dessen hohen Werth, dessen innere Würde in seiner Gerichtsverfassung er so überzeugend kennen gelernt hatte, auch in andern Regionen des Staatslebens, da, wo es vor Allem Noth thut, auf dem Gebiete der politischen Ueberzeugungen, 20 diesem eigentlichsten, sittlichsten Kerne des Staatslebens, wenigstens Bahn ge brochen sah. Jenes Vertrauen und diese Freude ward — wir sprechen es frei aus — auf's schmerz lichste berührt durch die Kunde der Maßregeln, welche gegen die „Rheinische Zeitung" beschlossen worden sind. Unmittelbar in jenen durch die Thronbesteigung 25 Eurer Majestät hervorgerufenen Aufschwung des öffenüichen Lebens eintretend, hat jenes Blatt seine Auffassung der staatlichen || Verhältnisse allerdings mit rück sichtsloser Consequenz verfolgt, ja, nicht selten mit Schroffheit ausgesprochen. Allein, man mag den politischen Ueberzeugungen dieses Blattes zugethan, man mag ihnen, wie Viele der Unterzeichner, fremd, ja, man mag ihnen entschieden feindlich 30 sein, in jedem Falle muß der wahre Freund des tüchtigen und freien Staatslebens 421 Dokumente den Schlag, der dieses Blatt getroffen, lebhaft bedauern. Durch die Unterdrückung auch nur dieses Einen Blattes wird der gesammten vaterländischen Presse jene Unabhängigkeit genommen, die, wie sie die Grundlage aller sittlichen Verhältnisse bildet, auch zu einer gesinnungsvollen Besprechung der eigenen Staatsangelegen heiten durchaus nothwendig ist, und ohne welche weder tüchtige Talente, noch feste Charaktere sich der politischen Literatur zuwenden mögen. | |Die unterzeichneten Bürger Köln's, in deren Mitte das bedrohte Blatt seine Ent stehung genommen, fühlen sich vor Allen verpflichtet und gedrungen, die Gefühle des Schmerzes über die verhängte Unterdrückung vor Eurer Majestät, den sie als mächtigsten Hort des freien Wortes zu verehren gelernt haben, freimüthig auszu sprechen und an den Stufen des Thrones die unterthänigste Bitte niederzulegen: Es wollen .Eure Majestät allergnädigst geruhen zu befehlen, daß die von den hohen Censurministerien unterm 20 Januar er. gegen die „Rheinische Zeitung" verhängten Maßregeln aufgehoben werden, und dieses Blatt ohne Einschrän kung der bisherigen unserer inländischen Presse im Allgemeinen durch Eure Majestät Selbst eingeräumten Freiheit fortbestehe. Es ersterben in tiefster Unterthänigkeit Eurer Majestät getreue Bürger von Köln| [Es folgen 29, in die Rubriken „Namen" und „Stand" unterteilte Listen mit Unter schriften, darunter auf einer Liste an dritter Stelle von Marx' Hand:] C. Marx Doctor 422 Bittschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft um das Fortbestehen der „Rheinischen Zeitung" nebst Denkschrift | A l l e r d u r c h l a u c h t i g s t e r, G r o ß m ä c h t i g s t er K ö n i g, A l l e r g n ä d i g s t er K ö n ig u nd H e r r! Unterthänige Bittschrift der Aktionaire der Rheinischen Zeitungsgesellschaft um das Fortbestehen der „Rheinischen Zeitung". 5 Die dem Censurwesen vorgesetzten Hohen Königlichen Ministerien haben ver mittels Rescripts vom 20ten Januar laufenden Jahres das Aufhören der hier in Köln erscheinenden „Rheinischen Zeitung" mit dem nächsten ersten April verfügt, und damit einem Unternehmen den Untergang gedroht, welches von den Unterzeich- 10 neten nicht ohne bedeutende Geldopfer begründet, um zunächst einem dringen den Bedürfnisse ihrer Vaterstadt abzuhelfen, || dann aber auch dazu bestimmt war, unter dem Schutze Euer Majestät und im Vertrauen auf Allerhöchstdero hoch herzige Intentionen als ein freies, unabhängiges Organ des öffentlichen Geistes furchtlos und uneigennützig für die Ehre und Interessen des Vaterlandes zu wir- 15 ken. Daß jener Beschluß der Hohen Censurministerien nicht blos mit einem formellen Mangel behaftet ist, sondern daß er auch dem Geiste der ganzen bisherigen Preß gesetzgebung so wie den erhabenen Absichten Euer Majestät widerstreitet, das glauben die Unterzeichneten in einer Denkschrift nachgewiesen zu haben, die sie in tiefster Unterthänigkeit an den Stufen des Thrones niederlegen. 20 Um den Wünschen der Hohen Censurministerien entgegen zu kommen, werden die allerunterthänigst Unterzeichneten den ihnen nach den Bestimmungen des unterthänigst || beigefügten Statuts zustehenden Einfluß dahin richten, daß der Ton des Blattes in mäßiger würdiger Weise gehalten und jeder Anstoß möglichst ver- 25 mieden werde, und sie sprechen daher um so vertrauungsvoller die ehrfurchtsvollste Bitte aus: Es wolle Eure Könighche Majestät geruhen, mit Wiederaufhebung des Mini sterial Reskripts der hohen dem Censurwesen vorgesetzten Ministerien vom 20ten Januar laufenden Jahres das ungehinderte Fortbestehen der Rheinischen Zeitung zu befehlen. 30 423 Dokumente Es ersterben in tiefster Unterthänigkeit Euer Majestät getreue Unterthanen, die Actionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft. Cöln den 12. Februar 1843/ [Es folgen die Unterschriften der Aktionäre, darunter auf der vierten Seite von Marx' Hand:] Dr. Marx für mich und in Vollmacht [für] Dr. Schleicher aus Trier praktischer Arzt praktischer Arzt Dr. Vencelius dt Kaufmann dt Cetto Gutsbesitzer dt Clentgen Advokat dt Mittweg 424 Denkschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft {Denkschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungs-Gesellschaft] 5 JDas Rescript der dem Censurwesen vorgesetzten hohen Ministerien vom 20ten Januar laufenden Jahres, welches das Aufhören der Rheinischen Zeitung mit dem lten April verfügt, basirt auf der Voraussetzung, daß die Rheinische Zeitung eine bloß provisorische Concession besitze, also bisher zwar f actisch, nicht aber rechtlich existirt habe. „Der Ober-Präsident, heißt es darin, gab, da die Zeitung vom lten Januar 1841 ab erscheinen sollte und dieser Termin nahe bevorstand, zur Vermeidung von Verlegenheiten für die Aktionäre, seine vorläufige Zustimmung, welche jedoch 10 ausdrücklich an den Vorbehalt der Genehmigung Seitens der Censurministerien geknüpft wurde, wie solche nach Art: XVII des Censur-Edicts vom 18ten October 1819 und §.3. der AEerhöchsten Kabinets-Ordre vom 6ten August 1837 erforderlich ist. Diese Genehmigung ist nicht ertheüt worden; das Blatt beruht daher nur auf einer, durch die gesetzlich erforderliche, ministerielle Zustimmung nicht ergänzten, lediglich als faktisch zu betrachtenden Zulassung und entbehrt der rechtlichen Grundlage. Es bedarf daher, schließt das Ministerial-Rescript, zur Unterdrückung der Rheinischen Zeitung nur der Beendigung des bisherigen provisorischen Zu standes." 15 Das gegen die Rheinische Zeitung beobachtete Verfahren wird also nicht als eine 20 Concessionsentziehung, sondern als eine Verweigerung der in den allegirten || Ge setzesstellen vorherbestimmten Concessionsbestätigung Seitens der hohen Censur ministerien qualifizirt; die einfache Darlegung der Thatsachen wird jedoch darthun, daß der in dem Ministerial-Rescripte vom 20ten Januar angeführte Art: XVII des Censur-Edictes vom 18ten October 1819, so wie der §.3. der Allerhöchsten Kabi- 25 nets-Ordre vom 6ten August 1837 auf die Rheinische Zeitung keine Anwendung erleiden, daß dieselbe vielmehr sich im Besitze einer von den hohen Censurmini sterien genehmigten Concession und zwar ihr mit Genehmigung der competenten Provinzialbehörde übertragenen und verkauften Concession befindet, daß folglich zur Unterdrückung der Rheinischen Zeitung eine Verweigerung der Concessions- 30 bestätigung, wie sie das Ministerial-Rescript vom 20ten Januar enthält, nicht hin reichte, vielmehr eine förmliche Entziehung der Concession erforderlich war. Die Rheinische Zeitung hat nämlich zu ihrem Entstehen nie eine Concession 425 Dokumente nachgesucht, vielmehr brachte sie durch Kauf die bis dahin von den Herren Dr. Rave und Dietz zur Herausgabe der Rheinischen Allgemeinen Zeitung benutzte Conces sion an sich, und suchte nach Vorschrift des Gesetzes bei der Provinzialbehörde die Genehmigung dieser Concessionsübertragung nach. Aus dem Ministerial- Rescript vom 5ten März 1833 erhellt, daß ein solcher Concessionsübertrag von der Provinzialbehörde zwar genehmigt werden kann, jedoch eine vorherige Anfrage bei den Censurministerien vorgeschrieben ist. Das Rescript vom 5ten März 1833 drückt sich hierüber folgendermaßen aus: 5 „Da die von den Ministerien ressortirende || Ertheflung oder Versagung der Er- laubniß zur Herausgabe einer Zeitschrift von der Persönlichkeit des Rédacteurs 10 und davon, ob derselbe das im §.9. des Censur-Edictes vom 18ten October 1819 vorausgesetzte Zutrauen einflößt, wesentlich abhängig ist, so kann auch ein die ursprüngliche Genehmigung vorzüglich verändernder Wechsel in der Person des Berechtigten von den Provinzial-Behörden ohne vorherige Anfrage nicht gestattet werden." 15 Diese den Provinzialbehörden unter der Bedingung einer vorherigen Anfrage bei den Censurministerien gestattete Genehmigung des Concessionsübertrags erfolgte von Seiten des Ober-Präsidiums der Rheinprovinz denn auch wirklich durch Rescript vom 13ten Dezember 1841, wie sich aus folgender Verfügung der Königlichen Regie rung zu Cöln vom 17ten desselben Monats ergeben wird. 20 „Auf Ihre Vorstellung vom 19ten v. M. hat der Herr Ober-Präsident der Rhein provinz mittelst Rescripts vom 13ten d.M. Ihnen die durch Verzichtleistung er ledigte Concession zur Herausgabe der .allgemeinen Rheinischen Zeitung' und des Beiblatts ,Rheinisches Volksblatt' unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs übertragen und gleichzeitig die beabsichtigte Vergrößerung des Formats und die 25 Umänderung des Titels der Zeitung in: ,Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe' und des Beiblatts in: »Rheinische Blätter für Wissenschaft, Litteratur und Kunst' genehmigt. Indem wir Sie hiervon in Kenntniß setzen, weisen wir Sie in Gefolge weitern höhern Auftrages zugleich an, die Censurblätter an die Registratur des Königlichen Oberpräsidii zu Coblenz und an das || Königliche Ober-Censur-Kollegium und Ein vollständiges Exemplar am Schlüsse des Jahres an die Königliche Bibliothek zu Berlin und an die der Universität zu Bonn portofrei einzusenden. 30 35 Cöln den 17ten December 1841. Königliche Regierung, Abtheilung des Innern, gez: Kloss. An Herrn Renard hier" Aus dieser Verfügung der Königlichen Regierung zu Cöln ergibt sich, wie sehr 40 irrthümlich das Ministerialrescript vom 20. Januar laufenden Jahres behauptet, der Herr Ober-Präsident der Rheinprovinz habe eine „nur vorläufige Zustimmung" ertheüt, er habe dieselbe ausdrücklich an den Vorbehalt der Genehmigung Seitens der Censurministerien geknüpft; er hat weder das eine noch das andere gethan; er konnte es schon deshalb nicht thun, weil das Ministerial-Rescript vom 5ten März 45 426 Denkschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft 1833 ihm beides ausdrücklich untersagt; weü dieses Ministerialrescript bei Con- cessionsübertragungen den Provinzialbehörden nicht den Nachsuch der Bestätigung, sondern die vorherige Anfrage bei den Censurministerien zur Pflicht macht. Daß aber der Herr Ober-Präsident der Rheinprovinz die Genehmigung der Censur- 5 ministerien als Vorbehalt ausdrücklich ausbedungen, daß er den Konzessionsüber trag nur vorläufig genehmigt, wie das Ministerialrescript vom 20. Januar behauptet, davon findet sich in dem durch die Königliche Regierung zu Cöln mitgetheilten Rescripte des Herrn Ober-Präsidenten nicht eine Sübe. Der Herr Ober-Präsident hat vielmehr eine durch Verzichtleistung erledigte Koncession zur Herausgabe 10 einer Zeitung auf den Geranten der Rheinischen Zeitungs-Gesellschaft, Herrn Renard, übertragen, und zwar unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs, eine Klausel, die gerade geeignet ist, zu || beweisen, daß es sich dabei nicht von einer provisorischen, sondern von einer definitiven Concession handelte; denn wie sollte der Widerruf einer Concession vorbehalten bleiben können, wo die Concession selbst noch vorbehalten bleibt, also noch gar nicht vorhanden ist? Wie sollte der Herr Ober-Präsident den Widerruf sich vorbehalten, wo die Verweigerung der Be stätigung hinreichte? — 15 Die Klausel selbst, „unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs", kann aber auch der Concession der Rheinischen Zeitung keinen exceptionellen Charakter verleihen, 20 da die Widerruflichkeit der Zeitungs-Concessionen aus dem Art: XVII des Censur- Edictes von 1819 folgt, mithin eine gesetzliche, eine allgemeine Klausel für jede Concession ist. Diese Ansicht bestätigt die Praxis. „In neuerer Zeit, sagt Herr Regie rungs-Rath Hesse in seiner Schrift über die Preußische Preßgesetzgebung, werden die Concessionen von den Ministerien nur auf Widerruf ertheüt." 25 Es ist hiernach über allen Zweifel erhaben, daß die Rheinische Zeitung durch den von der competenten Provinzialbehörde genehmigten Uebertrag in den Besitz einer vollgültigen, definitiven Koncession gelangt ist, und es kann höchstens noch die Frage aufgeworfen werden, ob der Herr Ober-Präsident der Rhein-Provinz den Uebertrag gesetzmäßig genehmigt hat, ob er, wie durch das Ministerial-Rescript 30 vom 5ten März 1833 vorgeschrieben, bei den Censurministerien vorher angefragt h a t ?- Das Ministerial-Rescript vom 20ten Januar scheint diese Frage nicht zu verneinen, denn sonst hätte es die Mängel, womit die Concession der Rheinischen Zeitung behaftet sein soll, nicht aus den Bestimmungen des Art: XVII des Censur-Edictes 35 vom 18ten October 1819, so wie aus §.3. der Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 6. August 1837, sondern eben aus dem Ministerial-Rescripte vom || 5ten März 1833 nachweisen, die Censurministerien hätten ferner die Rheinische Zeitung, als eine solche, über deren Concessionserwerb die gesetzlich vorgeschriebene Anfrage bei ihnen nicht geschehen war, bei ihrem ersten Erscheinen unterdrücken müssen. 40 Sollte aber auch der Herr Ober-Präsident die vorschriftsmäßige Anfrage unterlassen haben, die Unternehmer der Rheinischen Zeitung mußten sie als erfolgt voraus setzen, in dieser Voraussetzung haben sie die ihnen anvertrauten Kapitalien in dem Unternehmen angelegt und wenn die Censurministerien auf eine Herstellung der von der Provinzial-Behörde etwa verletzten Form nicht verzichten wollten, so 45 durfte dies offenbar nicht erst nach Jahresfrist geschehen, wobei die Rheinische 427 Dokumente 5 Zeitungs-Gesellschaft für eine Vernachläßigung der Behörde mit dem völligen Ver luste ihres Kapitals büßen müßte. Hat aber, bevor der Herr Ober-Präsident den Concessionsübertrag auf die Rheinische Zeitung genehmigte, die vorherige Anfrage bei den Censurministerien wirklich Statt gefunden — und diese Annahme darf man bei der ausgezeichneten Geschäftskenntmß des Herrn von Bodelschwingh bis zum Nachweis des Gegentheüs festhalten — so befindet sich die Rheinische Zeitung im Besitz einer vollgültigen definitiven Koncession, die Verweigerung der Koncessions- bestätigung, als welche allein das Ministerial-Rescript vom 20. Januar verfügt, reicht zu ihrer Unterdrückung nicht aus, es müßte eine förmliche Rücknahme der Con cession erfolgen, es müßte das Verfahren gegen die Rheinische Zeitung beobachtet 10 werden, welches das Ministerial-Rescript vom 20. Januar nicht beobachtet, wohl aber als das gesetzmäßige Verfahren bei der Unterdrückung concessionirter || Zei tungen darstellt. Da nun die Rheinische Zeitung wirklich, wie nachgewiesen, eine concessionirte Zeitung ist, so wird eine Prüfung der im Ministerial-Rescripte vom 20ten Januar „über die Zurücknahme der Zeitungs-Concessionen" aufgestellten 15 Behauptungen nothwendig. Zurücknahme der Concession wäre die einzige Maß regel, welche die Rheinische Zeitung treffen könnte — es soll nachgewiesen werden, daß, verfügte das Ministerial-Rescript diese Maßregel wirklich, sie dennoch durch die in dem Rescripte aufgestellten Grundsätze nicht hinlänglich gerechtfertigt wäre. 20 Die Deduction des Ministerial-Rescripts läßt sich in folgenden Hauptsätzen zusammenfassen. 1. Bei dem bösartigen Charakter der Rheinischen Zeitung habe kein Redacteur- wechsel, sondern nur eine ungewöhnlich strenge Censurais geeignetes Mittel gegen dieselbe erscheinen können. 25 2. Es sey aber nicht der Beruf der Censur, dem Unwesen einer consequent schlechten Tendenz zu steuern, es bleibe also nur 3. die bei concessionirten Zeitungen durch Art: XVII des Censur-Edictes vom 18ten October 1819 den Censurministerien anheimgestellte Zurücknahme der Concession übrig. 30 In Folgendem wird der Widerspruch dieser Sätze mit der ganzen bisherigen Preß gesetzgebung und ganz vorzüglich mit dem Geiste der jüngsten Preßgesetzgebung nachgewiesen werden. Ueber die Wirkungslosigkeit eines Redacteurwechsels drückt sich das Mini sterial-Rescript vom 20ten Januar folgendermaßen aus: 35 „Bei der systematischen und consequenten Art, in welcher die Unternehmer der Rheinischen Zeitung ihre anfeindende Richtung verfolgen, läßt sich nicht || anneh men, daß die Berufung des inzwischen bezeichneten neuen Rédacteurs von wesent lich ersprießlichen Folgen sein würde; denn dieses positive Mittel kann nur da Gewähr für das Gute leisten, wo die Grundlage des Unternehmens nicht eine 40 schlechte ist. Hier bliebe also nur das negative Mittel einer Verhinderung aller jener unaufhörlich und täglich wiederkehrenden Ueberschreitungen durch eine ungewöhnlich strenge Censur übrig." Es läßt sich nicht annehmen, sagen die Censurministerien, daß das positive Mittel des Redacteurwechsels zum Ziele führen würde, es bleibt hier nur das negative 45 428 Denkschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft Mittel der Censur übrig. Die bisherigen gesetzlichen Vorschriften gehen von der entgegengesetzten Annahme aus. Im Rescripte der Censurministerien vom 18ten Dezember 1833 lautet es beinahe umgekehrt, nämlich: „Die Censur, in welcher man bisher das Mittel zu erkennen gewohnt gewesen, 5 allen aus solchen Concessionsertheüungen entspringenden Nachtheilen zu begegnen, vermag zwar allerdings offenbaren Verletzungen der Religion und Sittlichkeit, Angriffen auf die gesetzliche Ordnung und directer Höhnung einzelner Individuen in der Regel vorzubeugen; sie ist aber, wie die tägliche Erfahrung zur Genüge lehrt, keineswegs im Stande, die unverständliche oder versteckt böse Tendenz ununter- 10 richteter oder böswilliger Redactoren und Herausgeber von Zeitblättern zu be seitigen. Diesen Uebelständen zu begegnen, scheint es vielmehr nur ein Mittel zu geben, das nämlich, bei Ertheilung von Concessionen zur Herausgabe periodischer Schrif ten mit der größten Vorsicht zu verfahren, und dergleichen nur solchen Personen 15 zu gewähren, welche einmal zu einem Unternehmen dieser Art entweder notorisch qualifizirt, d.h. mit der nöthigen || gründlichen, wissenschaftlichen Vorbildung zur angemessenen Unterhaltung und Belehrung des Publikums versehen sind, oder über deren Qualification die Königlichen Ober-Präsidien sonst auf irgend eine Weise befriedigende Auskunft einzuziehen Gelegenheit gehabt haben: zum andern aber 20 durch amtliche Zeugnisse der betreffenden Polizeibehörde darzuthun vermögen, daß auf ihrem sittlichen Rufe kein Makel haftet." Eben so bezeichnet die Censurinstruction vom 24. Dezember 1841 die Vorsicht in Auswahl der Redacteure als das geeignete Mittel gegen Mißbrauch der zu ge stattenden größeren Censurfreiheit. 25 Es ist um so auffallender, daß die Censurministerien im Widerspruch mit diesen Vorschriften statt des Redacteurwechsels eine ungewöhnlich strenge Censur als das wahre Mittel gegen eine verderbliche Zeitungsrichtung bezeichnen, als ihr eigenes gegen die Rheinische Zeitung seither beobachtetes Verfahren nur durch eine entgegengesetzte Annahme erklärt werden kann. 30 Zunächst wurde nämlich die Entfernung des früheren Rédacteurs, des Herrn Dr. Rutenberg, auf eine den Gesetzen widersprechende Art bewirkt. Es heißt nämlich im Rescript der Censurministerien vom 6ten October 1837: „Ew. etc. erwiedern wir auf den Bericht vom lten v.M. wegen der von der Ver legerin des in Köln unter dem Titel: ,Allgemeines Organ für Handel und Gewerbe', 35 erscheinenden Blattes beabsichtigten Annahmeeines andern verantwortlichen Rédac teurs, daß es nach Art: IX des Censurgesetzes vom 18ten October 1819 keiner Be stätigung oder Genehmigung eines Rédacteurs bedarf, der Ober-Censur-Behörde vielmehr nur das Recht vorbehalten ist, dem Unternehmer einer Zeitung zu erklären, daß der angegebene Rédacteur nicht von der Art sei, das nöthige Zutrauen einzu- 40 flößen, in welchem Falle entweder ein anderer || Rédacteur angenommen, oder von dem Beizubehaltenden Kaution geleistet werden muß." In Widerspruch mit dieser gesetzlichen Bestimmung verlangte die Regierung die augenblickliche Entlassung des Herrn Dr. Rutenberg unter Androhung der sofortigen Unterdrückung der Rheinischen Zeitung. Zugleich aber wurde die Präsentation eines andern Rédacteurs begehrt, welchem Verlangen die Geranten der Rheinischen 45 429 Dokumente Zeitung durch die Präsentation des Herrn Dr. Rave entsprochen haben, endlich wurde das Fortbestehen der Rheinischen Zeitung, oder, wie die Regierung sich irrthümlich ausdrückte, die Ertheüung einer definitiven Concession, von dem Sinne abhängig gemacht, in welchem der zu bestätigende Redakteur das Blatt leiten würde. Die Bestätigung des Herrn Dr. Rave ist aber bis heute noch nicht erfolgt; es ist ihm also auch die Redaction noch nicht anvertraut worden; die Censurministerien haben die Verwirklichung der Bedingung, von der sie das Fortbestehen des Blattes ab hängig erklärten, bisher selbst verhindert, und es muß folglich um so unerwarteter kommen, wenn plötzlich, im Widerspruch nicht nur mit den bisherigen Regierungs ansichten, sondern auch mit ihrem eigenen Verfahren die Censurministerien er- 10 klären, nicht ein Redacteurwechsel, sondern nur eine ungewöhnlich strenge Censur habe als das geeignete Mittel gegen die Richtung der Rheinischen Zeitung erscheinen müssen. 5 Die Incohärenz dieses Verfahrens wird endlich dadurch gesteigert, daß Herr Dr. Rave, wie das Rescript vom 18ten Dezember 1833 will, notorisch qualifizirt ist, 15 ja seit mehr als 12 Jahren ähnlichen Unternehmen zur Zufriedenheit der Regierung vorgestanden hat. Geben wir aber auch die Prämisse zu, nur das negative Mittel einer ungewöhnlich strengen Censur könne der verderblichen Richtung einer Zeitung || entgegengestellt werden, so behauptet das Ministerial-Rescript vom 20ten Januar, es sei nicht der 20 Beruf der Censur, einer solchen Richtung auf die Dauer entgegen zu arbeiten. „Es ist aber nicht, lautet es, die Aufgabe der Censur, auf die Dauer einem auf so hartnäckig festgehaltenen bösen Tendenzen beruhenden Unwesen zu steuern. Sie hat vielmehr den Beruf in Schriften, die sich im Allgemeinen innerhalb der Schran ken des Gesetzes und der Sitte halten, bei welchen keine Absicht hervortritt, diesel- 25 ben zu überschreiten, den einzelnen aus Unkunde, oder augenblicklicher Ver- irrung hervorgehenden Uebertretungen des Gesetzes vorzubeugen. Böswilligkeit der ganzen Tendenz und unveränderte Consequenz in Befolgung eines gemeinge fährlichen Systems bei einer Zeitung definitiv zu hindern, ist sie nicht berufen." Diese Definition vom Berufe der Censur steht mit der ganzen seitherigen Preß- 30 gesetzgebung in Widerspruch, wie sich aus Folgendem ergeben wird. Der Artikel II des Censur-Edictes vom 18. October 1819 bestimmt den Zweckder Censur, also auch ihren Beruf so: „Ihr Zweck ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ohne Rücksicht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionspartheien 35 und im Staate geduldeten Sekten, zuwider ist; zu unterdrücken, was die Moral und guten Sitten beleidigt; dem fanatischen Herüberziehen von Religionswahrheiten in die Politik und der dadurch entstehenden Verwirrung der Begriffe entgegen zu arbeiten; endlich zu verhüten, was die Würde und Sicherheit, sowohl des Preußi schen Staats, als der übrigen deutschen Bundesstaaten, verletzt. Hierher gehören 40 alle auf Erschütterung der monarchischen und in diesen Staaten bestehenden Ver fassungen II abzweckende Theorien; jede Verunglimpfung der mit dem Preußischen Staate in freundschaftlicher Verbindung stehenden Regierungen und der sie kon- stituirenden Personen, ferner alles, was dahin zielt, im Preußischen Staate oder den deutschen Bundesstaaten Mißvergnügen zu erregen, und gegen bestehende Ver- 45 430 Denkschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft fassungen aufzureizen; alle Versuche, im Lande und außerhalb desselben Partheien oder ungesetzmäßige Verbindungen zu stiften, oder in irgend einem Lande be stehende Partheien, welche am Umsturz der Verfassung arbeiten, in einem günstigen Lichte darzustellen." 5 Das Edict erwartet also von der Censur ein Steuern, Unterdrücken, Entgegen arbeiten, Verhüten alles dessen, was der Rheinischen Zeitung zur Last gelegt wird. Es gibt ferner die bestimmten, thatsächlichen Preßverirrungen an, die von der Censur zu hindern und zu unterdrücken sind; es macht keinen Unterschied zwischen Preßvergehen, die aus einer guten oder bösen, schwankenden oder consequenten 10 Tendenz hervorgehen; es verlangt im Gegentheil, daß alle staatsgefährlichen Theorien, jede Verunglimpfung auswärtiger Regierungen, alles, was dahin zielt, Mißvergnügen zu erregen, alle Begünstigung am Umsturz des Bestehenden arbei tender Partheien, von der Censur unterdruckt werden. Es ist klar, daß das Censur- edict von 1819 die Censur als das geeignete Mittel gegen ein ähnliches Wirken, wie 15 es der Rheinischen Zeitung vorgeworfen wird, bezeichnet. Dasselbe ergibt sich aus dem Rescript der Censurministerien vom 18ten Dezember 1833: „Die Censur, heißt es da, vermag zwar allerdings offenbaren Verletzungen der Religion und Sittlichkeit, Angriffen auf die gesetzliche Ordnung und directer Höhnung einzelner Individuen in der Regel || vorzubeugen, sie ist aber keineswegs im Stande, die unverständliche, oder versteckt böse Tendenz ununterrichteter oder böswilliger Redactoren und Herausgeber von Zeitblättern zu beseitigen." 20 Die Macht der Censur scheitert also nach diesem Rescripte nur an der versteckt bösen Tendenz, die sie nicht herauszufinden vermag, nicht an ihrem offenen Hervor treten, das ihr nicht entgehen kann, wogegen nach dem letzten Ministerial-Rescript 25 umgekehrt die deutliche, consequent durchgeführte, täglich hervortretende Bös willigkeit nicht in den Wirkungskreis der Censur gehört. Dieses letzte Ministerial- Rescript läßt den Beruf der Censur gerade da schon aufhören, wo er nach dem Rescripte vom 18ten Dezember 1833 erst anheben soll. 30 Ferner, während das Censur-Edict von 1819 bloß die Verhinderung der that- sächlichen Ueberschreitung von Gesetz und Sitte ohne alle Rücksicht auf die Ten denz zum Berufe der Censur macht, während das Rescript von 1833 nur bei der versteckt bösen Tendenz zwar nicht den Beruf, wohl aber die Fähigkeit der Censur bezweifelt, macht dagegen die Censurinstruction vom 24. Dezember 1841 gerade die Bekämpfung der verderblichen Tendenz zur Pflicht, zum Zwecke, zum Berufe der 35 Censur. Sie sagt nämlich: „Es ist aber dabei eine unerläßliche Voraussetzung, daß die Tendenz der gegen die Maßregeln der Regierung ausgesprochenen Erinnerungen nicht gehässig und böswillig, sondern wohlmeinend sei, und es muß von dem Censor der gute Wille und die Einsicht verlangt werden, daß er zu unterscheiden wisse, wo das Eine und das 40 Andere 11 der Fall ist. Mit Rücksicht hierauf haben die Censoren ihre Aufmerksamkeit auch besonders auf die Form und den Ton der Sprache der Druckschriften zu rich ten und insofern durch Leidenschaftlichkeit, Heftigkeit und Anmaßung ihre Ten denz sich als eine verderbliche darstellt, deren Druck nicht zu gestatten." Es ergibt sich hieraus, daß gerade das, was das Ministerial-Rescript als den 45 Beruf der Censur läugnet, von der Instruction, auf welcher die jüngste Preßbewegung 431 Dokumente und namentlich die Rheinische Zeitung basirt, zur vorzugsweisen, zur eigentlichen Aufgabe der Censur gemacht wird. Die Instruction verkennt nicht die Schwierigkeit einer solchen Tendenzcensur, sie sagt vielmehr ausdrücklich: „Die unverkennbare Schwierigkeit, die richtigen Grenzen aufzufinden, darf von dem Streben, der wahren Absicht des Gesetzes zu genügen, nicht abschrecken." 5 Diese Schwierigkeit konnte aber bei der Rheinischen Zeitung nicht einmal vor handen sein; es bedurfte keines großen Unterscheidungsvermögens, es war einfach, wie die Instruction sagt, der Druck nicht zu gestatten, wenn anders die eigene Be hauptung des Ministerial-Rescripts wahr ist, wenn die grundschlechte Tendenz der Rheinischen Zeitung unverkennbar, offen hervortretend, mit hartnäckiger Conse- 10 quenz durchgeführt ist. Noch weiter als die Instruction vom 24. Dezember 1841 geht die Kabinets-Ordre vom 14ten October 1842. Es heißt hier in Bezug auf die den Behörden aufgetragenen Berichtigungen der Presse: „Es genügt nicht, die Gegenwirkung gegen schlechte, || für den öffentlichen 15 Geist verderbliche Bestrebungen eines Tagesblattes den andern, von einem bessern Geiste geleiteten Blättern zu überlassen und nur von ihnen zü erwarten. Eben da, wo das Gift der Verführung eingeschenkt worden ist, muß es auch unschädlich gemacht werden; das ist nicht nur Pflicht der Obrigkeit gegen den Leserkreis, dem das Gift geboten worden, sondern es ist zugleich unter allen Mitteln das wirksamste, 20 die Tendenzen der Täuschung und Lüge, wo sie sich zeigen, zu vernichten, indem man die Redactionen zwingt, das Urtheil über sich selbst zu veröffentlichen." Diese Allerhöchste Kabinets-Ordre erkennt zwar die Unzulänglichkeit der Censur an, aber sie befiehlt nicht die Unterdrückung der Tagesblätter von verderb lichen Bestrebungen, sie legt vielmehr den Behörden als das allerwirksamste Mittel 25 gegen Tendenzen der Lüge und Täuschung die Arbeit der Berichtigung auf. Aus dieser Darstellung ergibt sich zur Genüge, daß die dem Censurwesen vor gesetzten Ministerien, indem sie von einer nach dem Wortlaute des Art: XVII des Censur-Edictes von 1819 ihnen allerdings zustehenden Befugniß Gebrauch machten und zu einer in der Geschichte der Preußischen Presse unerhörten Maßregel schrit- 30 ten, dem Geiste der ganzen Preußischen Preßgesetzgebung zuwidergehandelt und die Bedeutung der neuesten Preßbewegung, wie sie aus den freien Entschlüssen Seiner Majestät hervorgegangen, verkannt haben. Aus dem Art: II des Censur- Edictes vom 18ten October || 1819, so wie aus dem Ministerial-Rescripte vom 18ten Dezember 1833 erhellt die Ansicht der frühern Preßgesetzgebung, daß gegen 35 alle erdenklichen Mißbräuche der Presse, insofern sie offen hervortreten, die Censur das geeignete, das ausreichende Mittel sei, gegen die unverständliche und versteckt böse Tendenz empfiehlt sie Vorsicht in Ertheilung der Concessionen, und letzterer Ansicht schließt sich die Censurinstruction vom 24. Dezember 1841 ausdrücklich an. Aus dieser letztern und noch mehr aus der Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 40 14ten October 1842 ergibt sich — und damit hebt für die Preußische Presse eine neue Epoche glorreicher Entwickelung an — daß jener Theil der Presse, der eine anfeindende Richtung systematisch und consequent verfolgt, wie das Rescript vom 20ten Januar ihn bezeichnet, jene Presse, die in England seit Jahrhunderten besteht und von den erleuchtetsten Staatsmännern dieses Landes als ein eben so nothwen- 45 432 Denkschrift der Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft diger Bestandtheil eines tüchtigen Staatslebens angesehen worden, wie die Regie rung selbst, — kurz, daß die Oppositions-Presse in Preußen zu einer gesetzlich anerkannten Existenz gelangt ist, und daß ihre gewaltsame Unterdrückung dem Geiste der neuesten Preßgesetzgebung und den Absichten Seiner Majestät des Königs nicht gemäß ist. | 433 Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung der Rheinischen Zeitungsgesellschaft am 12. Februar 1843 I Verhandelt in der außerordentlichen Generalversammlung vom zwölften Februar 1843. Gegenwärtig die Herren: Renard verantwortlicher Rédacteur; G.Jung, D.Oppen heim, Geranten; Dr. Fay, Präsident des Aufsichtsraths; Dr. Ciaessen, Dr. Stucke, Dr. Thomé, Assessor Bürgers, Advocat Mayer, Herr Haan, Mitglieder des Auf sichts- 5 rathes; Dr. Marx, Herr Kamp, Herr Carl Stein, Herr Appelationsgerichtsrath Leist, Herr J.J. vom Rath, Herr Dr.D'Ester, Herr Dr.Haaß, Herr G.F.Esch, Herr Oppenheim, Herr Mallinckrodt, Herr F. C. Heuser, Herr J. Mülhens, Herr Plassmann, Herr Ph. Engels, Herr C.Heinzen, Herr L. Camphausen, Herr Georg Heuser, Herr Kaufmann, Herr J. Herstatt, Herr J.Boisserée, Herr W. Boisserée, Herr Boismard, 10 Herr S. B. Cohen, Herr J. De Jonge, Herr Christians von Overath, || Herr J. W. Dietz, Herr Kühn, Herr Carl Engels, Herr Rüb, Herr T.Göbbels, Herr J.Horst, Herr von Hontheim, Herr J.Hermanns, Herr H.Hellwitz, repräsentirt durch Herrn Hertz, Herr Advocat Bloemer, repräsentirt durch Referendar Scherer, Herr W. Kühn, Herr M. Morel, Herr J. Müller, Herr Ochse-Stern, Herr B. Reichard, Herr J. P. vom Rath, 15 Herr J.Ritter, Herr C.Reimbold, Herr A.Rogge, Herr J.B.Rick für sich und als Vertreter des Notars Bendermacher, Herr Dr. Stucke als Vertreter für H. Bauendahl, Herr J.F.Sehlmeyer, Herr Advocat Seligmann, Herr V. Vili, Herr E.Vahrenkamp, Herr Ch. Welcker, Herr A.Zuntz—Bonn.) 11 j Der Präsident des Aufsichtsrathes Herr Fay eröffnete die Versammlung durch 20 einen Vortrag worin er ausführte wie der ministerielle Erlaß, der Anlaß der heutigen Versammlung, ein Ausfluß des Principienkampfes zwischen den büreaukratischen Staatsgewalten und der öffentlichen Meinung sey. Das Volk verlange Antheil an der Gesetzgebung, gestützt auf Gesetze und Versprechen gestützt auf die Vergangenheit von 1807 bis 1815 und auf die beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelm IV neu- 25 erweckten Hoffnungen und Wünsche. Diese Reibung zwischen Volk und Staats gewalt manif estire sich in der Presse, und gegen diese Manifestation im Allgemeinen sey der ministerielle Erlaß gerichtet. Herr Oppenheim hob hervor wie das Verbot der Rheinischen Zeitung durchaus unmotivirt erscheine, wie vor dem 12ten November v. J. keine Warnung, ja nicht 30 die leiseste Andeutung einer solchen stattgefunden habe. Herr Oppenheim verlas sodann den Erlaß des Oberpräsidenten Herrn Schaper vom 12. November, sowie die 434 Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung in Folge Auftrages des Oberpräsidiums durch den Herrn Präsidenten Gerlach ge machten weiteren Eröffnungen, wie die darauf erfolgte Antwort des verantwort lichen Rédacteurs Herrn Renard, endlich die Eingabe des Letzteren an das Ober präsidium, und die darauf erfolgte Erwiederung des Oberpräsidenten vom 19. No- 5 vember 1842. Dem letzten Erlasse sey keine Entgegnung von Seiten der Redaction geworden, weil die Redaction die festeste Ueberzeugung von der Falschheit und Ungesetzlich keit der in Bezug auf die || Concession der Rheinischen vom Oberpräsidium ge stellten Prämissen stets gehegt hat und noch hege. 10 15 Herr Oppenheim verlas sodann die Verfügung des Präsidenten Herrn Gerlach vom 24. Januar er., hob die Ungesetzlichkeit der von den Ministerien getroffenen Maaßregeln hervor, und stellte es der Generalversammlung anheim, gegen jene Ungesetzlichkeit die geeigneten Maaßregeln zu berathen und zu ergreifen. Jene Ungesetzlichkeit selbst wurde in dem nachfolgenden durch Herrn Dr. Ciaessen ver- lesenen Memoire näher begründet, und zu diesem Zwecke die Verfügung der Regie rung zu Cöln vom 17. Dezember angezogen und beleuchtet. Herr Fay fordert die Versammlung auf die Berathung zu eröffnen und Beschlüsse zu fassen und macht dieselbe mit einer im Schoose des Aufsichtsrathes stattgefun denen Berathung bekannt als deren Resultat der gesammte Aufsichtsrath folgende 20 Erklärung zu Protocoll giebt: Herr Dr. Haaß eröffnet die Discussion mit folgenden Worten: vor 10 Tagen haben sich mehrere Actionäre im Royal Hof versammelt und eine Petition entwor fen. Ich habe jene Petition unterzeichnet und wünsche das Resultat zu verneh men. 25 Herr Oppenheim erwiedert die Listen seyen noch nicht alle eingelaufen. | |Herr Hontheim. Wir bezwecken alle dahin zu wirken daß die Rheinische Zeitung noch ferner fortbestehen möge. Welche Mittel sind zu ergreifen um eine Zurück nahme des ministeriellen Beschlusses zu erwirken? Der Redner wül die Gesetzlich keit oder Ungesetzlichkeit nicht erörtern. Würde auch der Erlaß vom 20. Januar 30 zurückgenommen, so wird die Rheinische Zeitung den Ministerien fortdauernd doch mißfällig erscheinen. Die ertheilte Concession könne nach den bestehenden Gesetzen stets zurückgenommen werden, und eine solche Zurücknahme würden die Ministerien gewiß beschließen. Es böte sich nun die Frage, seyen mit der Ehre der Actionäre Schritte in einem den Wünschen des Ministeriums entsprechenden 35 Sinne vereinbar? Zunächst dürfte dies Ziel durch Ausscheiden einzelner Mitglieder des Aufsichtsrathes, durch Ernennung einer neuen Redaction zu erreichen seyn. Ueber die Tendenz will der Redner sich nicht verbreiten, sondern sagt: „Wir haben mit einer Behörde zu rechten und müssen uns an den rechtlichen Standpunct hal ten. Möge ein Mitglied des Aufsichtsrathes sich darüber aussprechen, wie es möglich 40 sey dem Ministerium solche Concessionen zu machen, durch die ein Fortbestehen sichergestellt wird."] JHerr Jung. Es ist nicht wohl möglich zu wissen, welche Concessionen das Mini sterium fordern wird. Die Rheinische Zeitung ist eine Parthei, die frei und ganz ergriffen werden muß. Kommen wir den Ministerien entgegen so müßten wir ein 45 neues dem bisherigen widersprechendes Leben anfangen und dazu werden nur 435 Dokumente wenige Mitglieder des Aufsichtsrathes sich verstehen. Eine Zurücknahme des ministeriellen Erlasses sey am ersten von den Petitionen der gesammten Provinz zu erwarten. Herr Marx glaubt die Frage durch Verlesung des folgenden officiellen Artikels aufklären zu können und äußert sich dahin, daß die Tendenz werde umgeändert werden müssen, wenn man mit der herrschenden liberalen Souveränität sich ver ständigen wolle. 5 Herr Ciaessen. Ich stimme der Meinung des Herrn Hontheim in Bezug auf das Fortbestehen des Blattes bey glaube aber nicht daß ein Redacteurwechsel zum Ziel führen wird. Herr Hontheim hat anerkannt daß das Ministerialrescript mit einem 10 formellen Mangel behaftet ist. Er glaubt jedoch daß es den Ministerien möglich sey diesen Mangel jederzeit zu verbessern. Aus dem Memoire was ich verlesen geht hervor, daß eine Entziehung einer ertheilten Concession durchaus ||2| dem Geiste der preussischen Gesetzgebung und den Absichten seiner Mayestät widerspricht. Die Mayestät hat es ausgesprochen daß eine conséquente Opposition bestehen 15 darf. Im Namen des Aufsichtsrathes mache ich Ihnen meine Herren den Vorschlag, das eben verlesene Memoire unterstützt von der nachfolgenden Petition der hohen Beschlussnahme seiner Mayestät des Königs zu unterbreiten. Herr Ciaessen verlas sodann die nachfolgende Petition. Ich glaube annehmen zu können, meine Herren daß ihre Ansichten in Bezug auf den Rechtspunct mit den Motiven der Denkschrift 20 übereinstimmen werden, es fragt sich nur, ob andere Schritte noch zur Erhaltung der Rheinischen Zeitung beschlossen werden sollen. Herr Leist fragt warum das Memoire nicht im November eingesandt worden sey. Herr Oppenheim erwiedert daß gar kein Anlaß dagewesen zu glauben, daß die 25 Censur Ministerien je solche Behauptungen wie die nun thatsächlich bestehenden hätten aussprechen können. Herr Bürgers. Ich glaube eine allgemeine Ueberzeugung auszusprechen, wenn ich sage das Motiv das uns bei Gründung der Rheinischen Zeitung geleitet war die Darstellung eines durchaus unabhängigen Blattes. || Um jene Unabhängigkeit zu 30 sichern sind von den Actionären Geranten und Aufsichtsrath gewählt worden. Die Tendenz der Geranten und des Aufsichtsrathes, wie sie in ihrem Geiste erwogen, in ihren Herzen empfunden werden, mußten ausgesprochen werden. Wir beschlossen die Principien, die wir für das Wohl des Vaterlandes am ersprießlichsten halten, klar und frei auszusprechen und zu vertreten. Diese Principien sind mit den Principien, 35 den augenblicklich gouvernementalen, in Widerspruch gerathen. Diese Tendenz hat die Unterdrückung des Blattes durch die Gewalt zur Folge gehabt. Ich frage nun wird sich die ursprüngliche Unabhängigkeit der Gesinnung der Gesellschaft bewähren? Ist auch die Majorität nicht mit Ausführung der Tendenz einverstanden, so wird doch gewiß über das leitende Princip kein Widerspruch seyn. | 40 |Herr Kamp. Wenn ich Herrn Hontheim richtig verstanden so glaubt er daß eine Erörterung über Gesetzlichkeit und Ungesetzlichkeit zu keinem Resultate führen könne. Ich theüe diese Ansicht und spreche mich für eine Eingabe an Seine Mayestät aus. Ich kann mich jedoch mit der eben vorgeschlagenen Fassung nicht einver standen erklären. Die Hauptfrage scheint mir heute die zu seyn, büligen die Actionäre 45 436 Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung die Tendenz und die Principien, dem Inhalt und der Form nach, die die Rheinische Zeitung bisher verfolgt hat. Vorhin wurde die oppositionelle Presse erwähnt. Ich begreife eine solche nur in einem constitutionellen nicht aber in unserem monar chischen Staate. Wir verdanken unsere Freiheiten der Gnade, und wenn wir diese 5 Freiheit mäßig gebrauchen, so werden unsere Ansichten häufig gnädige Aufnahme finden. Viele hohe Beamte haben die Tendenz der Rheinischen Zeitung mir gegen über gelobt, aber den Ton, die Form, die schroffe Fassung getadelt. Billigen nun die Actionäre den Ton so muß fortgefahren werden. Büligen Sie Form und Ton nicht so wird diese Mißbüligung zu einer den Ministerien gefälligen Abänderung leicht führen. || Wir alle wollen eine freimüthige Besprechung der inneren und äußeren Angelegenheiten. Möge die Versammlung nun entscheiden wie diese frei müthige Besprechung verstanden werden soll. 10 Jung. Die Generalversammlung hat kein Recht, die Form der freimüthigen Be sprechung ihrer Kritik zu unterwerfen. Die Geranten sind die Geschäftsleiter der 15 Rheinischen Zeitung. Das Blatt ist bei der jetzigen Form aufgeblüht hat Leser in überraschender Zahl mit staunenswerther Schnelligkeit gefunden. Das ist das Werk der jetzigen Leiter und so stehen wir vom commerziellen Standpunct aus gewiß gerechtfertigt da. Doch will ich keineswegs die Erörterung der Tendenz zurück weisen. Ich wiederhole Ihnen meine Herren unsere Zeitung war und mußte ein 20 Parteiblatt seyn sowohl vom Standpunct der Ueberzeugung wie vom Standpunct des commerziellen Interesses. Einzig auf dem eingeschlagenen Wege war das erreichte Resultat möglich. Die Rheinische Zeitung ist zum Waffenplatz der liberalen Rich tung Deutschlands geworden. Ohne Leidenschaft aber keinen Kampf. Da hilft kein Ruf, vorwärts und zurück; im Kampfe entscheidet der Augenblick. Einzelnes meine 25 Herren können sie nicht tadeln. Weisen sie uns mit Haut und Haar zurück, oder acceptiren sie uns.| | 3| Herr Seligmann. Die Rheinische Zeitung will keinen finanziellen Gewinn son dern die Vertretung bestimmter Tendenzen. Darum hat die Versammlung das Recht die Geranten zu fragen, habt ihr unsere Tendenzen vertreten? Meine Herren die 30 Leipziger Zeitung ist durch eine Verfügung seiner Mayestät unterdrückt worden. Wie viel mehr muß die Unterdrückung der Rheinischen im Einverständnisse mit seiner Mayestät erfolgt seyn. Von einer Petition erwarte ich unter diesen Umstän den keinen Erfolg. Ich erkläre hier offen daß die Rheinische Zeitung meiner Ueberzeugung nach, 35 der gerechten Anforderung der Staatsgewalt nicht entsprochen hat. Wir müssen uns jetzt in die uns durch die Staatsgewalt gesteckten Gränzen zurückziehen. Dann können wir von diesem Standpuncte aus das Recht einer weiteren Entwicklung entgegenführen. Principienkämpfe sind nicht dem Augenblicke gemäß. Die General versammlung muß heute die Anforderung an die Geranten stellen, in die durch die 40 Gewalt gesteckten Grenzen der freien Besprechung zurückzukehren. Wollen die jetzigen Geranten dies nicht so muß die Generalversammlung neue Geranten er wählen. Wir müssen hier versprechen, in die erwähnten Grenzen zurückzukehren um das Fortbestehen zu sichern. | |Herr A.Oppenheim. Wir alle wollen den Schlag der die Rheinische Zeitung ge- 45 troffen wo möglich abwenden. Wir haben heute nicht das Recht, die Tendenz der 437 Dokumente Rheinischen Zeitung einer Kritik zu unterwerfen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Statuts. Die Actionäre haben sich des Rechtes begeben die Tendenz festzustellen. Einzig die Erneuerung des Aufsichtsrathes steht der Generalversammlung zu. Selbst die eifrigsten Anhänger der Rheinischen Zeitung werden wohl zugeben daß zuweilen die Form etwas schroff gewesen und in Berlin verletzt hat. Der Vorschlag des letzten Redners würde die Auflösung der Gesellschaft herbeiführen. Mir scheint es daß wir die Petition modifiziren können und müssen. Kehrt sich das Schwerdt der Gewalt gegen uns so müssen wir unterliegen. Erkennen wir an den Stufen des Thrones an daß wir Actionäre die etwas schroffe Färbung des Blattes nicht billigen daß wir aber das bestehende Recht für uns in Anspruch nehmen, und auf diesen Grund seine Mayestät um Aufhebung des Verbotes bitten. Es ist gewiß anzunehmen daß auf eine solche Bittschrift eine erwünschte Ent scheidung erfolgen wird. | |Wir dürfen ja mit Sicherheit erwarten daß die Geranten und der Aufsichtsrath künftig die schroffen Härten vermeiden werden. Herr Mülhens. Ich muß darauf bestehen daß die Gesellschaft sich darüber erklärt ob sie mit der Tendenz der Zeitung und mit der Form ihrer Ausführung einver standen ist. Erst dann kann eine Petition in einem bestimmten Geiste entworfen werden. Herr Oppenheim. Wie können wir durch Stimmenmehrheit über die Tendenz entscheiden? Die Geranten und der Auf sichtsrath können eine solche Entscheidung ablehnen. Was würde aber eine Mißbilligung der jetzigen Tendenz zur Folge haben? Die jetzige Rheinische Zeitung würde zu Grund gehen, und ein anderes dem jetzigen so erfolgreichen ganz fremdes Blatt würde erstehen. Es fragt sich hier nun was die Klugheit gebietet um das Fortbestehen zu sichern? Herr Mülhens. Ich bin der festen Ueberzeugung daß einstimmige BUligung der Tendenz das Resultat der Abstimmung seyn wird. Einzig die Form wird Anfech tungen unterworfen werden können. Herr Leist. Bleibt die Redaction bei der Meinung daß es ihr unmöglich ist, etwas an der Form zu ändern? Bleibt sie dabei so widersetze ich mich jeder Eingabe an die Mayestät als einen ganz erfolglosen Schritt. || Es muß gewiß Männern, die von der Wahrheit ihrer Ueberzeugung durchdrungen sind, möglich seyn, ihre Ueber zeugung in warmen hinreißenden statt in kaustischen und spöttischen Worten aus zusprechen. Die Schwierigkeit, die Sprache bestimmter Persönlichkeiten zu modi fiziren, verkenne ich nicht. Bürgers. Mir scheint die Ansicht irrig die in der Form der Rheinischen Zeitung den Grund der Unterdrückung finden will. Kein Wort davon findet sich in dem ministeriellen Erlaß. Ganz andere Beschuldigungen werden auf uns geschleudert. Man könnte zweifelhaft seyn, ob nicht diese Grundsätze nur vorgeschoben und dennoch die Form der wirkliche Grund der Unterdrückung wäre? Aber leider be weist alles, was seit einem Jahre im ganzen Staatsleben geschehen daß die Tendenz, die die Rheinische Zeitung als Standarte aufgepflanzt hat, überall consequent unter drückt und zum Schweigen gebracht wird. Von Seiten des Königs muß meiner Ueberzeugung nach der Ministerialerlaß gänzlich mißbilligt werden, oder die Rhei nische Zeitung in ihren jetzigen Principien muß zu Grund gehen. | 438 Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung |4| Bürgers. Meine Herren wir haben eine höhere als Geldrücksicht. Wir haben ein Princip zum Durchbruch bringen wollen. Von diesem Princip können wir nicht ablassen. Heuser. Mag die Ansicht seyn welche sie wolle jedenfalls erfordert es die Klug- 5 heit, das schroffe der Form durch die Actionäre rügen zu lassen. v. Hontheim. Herr Bürgers hat ausgeführt daß es nicht Form sondern Tendenz fehler sind, die die Ministerien rügen. Wir als Actionäre haben nun zwei Partheien, die Geranten und der Aufsichtsrath und die Ministerien. Können diese beiden Partheien, ohne ihren Grundprincipien etwas zu vergeben, sich vereinigen? Das 10 Thema ist durch die Proposition des Dr. Ciaessen gegeben. Soll die Petition wie sie vorgelegt unterschrieben oder soll sie eventuell modifizirt werden? Ich werde als Amendement vorschlagen daß die Actionäre bei den Ministerien sich dahin verwen den, daß die Rheinische Zeitung unter der jetzigen doppelten Censur noch ferner 3· Monate vom 1 Aprü an fortbestehen möge. 15 Herr Camphausen. Es wird unvermeidlich seyn eine persönliche Einwirkung in der Residenz eintreten zu lassen. || Nur auf diesem Wege sind die Anforderungen des Ministeriums zu erfahren. Herr Mayer. Der Auf sichtsrath sieht nichts Beleidigendes darin daß er eine Maß regel der Klugheit dadurch adoptirt, daß der schroffe Ton der Rheinischen Zeitung 20 desavouirt werde. Wie können wir aber eine fernere Fortexistenz von 3 Monaten beantragen bei den Ministerien, deren Erlaß unsere Ehre, unser Recht aufs härteste angegriffen hat. Die Rheinische Zeitung ist ja in ihrer jetzigen Gestalt so verstümmelt, daß eine Fortexistenz in dieser Gestalt den einmal erworbenen Ruf nur vernichten kann. 25 Herr Haaß. Ich wiederhole die Frage eines früheren Redners, ob die Geranten und die Mitglieder des Aufsichtsraths keine Modification ihrer Ansicht durch die klar ausgesprochene Meinung der Generalversammlung wollen eintreten lassen? Keine Opfer sollen gebracht werden die der Ehre der leitenden Personen Gefahr drohen können. Ich erkläre mich gegen jede persönliche Intervention in Berlin. 30 Eine solche würde gewiß zu keinen Resultaten führen. Belehrung wird das Ministe rium nicht annehmen. Dafür ist die Zeit noch nicht reif. | |Herr Kaufmann. Wir alle wollen die Erhaltung des Blattes. Ein Tadel der Ten denz führt zu keinem Ziel. Ich wünsche Rechtfertigungsgründe in die Petition ein geführt. 35 Herr Heinzen. Ich glaube daß die Gesellschaft über folgende Puncte einverstan den. Durch den Erlaß der Ministerien sind die Rechte der Actionäre gekränkt, auch dann wenn wir die von den Geranten und dem Auf sichtsrath vertretenen Tenden zen nicht büligen. Die Tendenz der Zeitung mag in der nächsten Generalversamm lung die den Auf sichtsrath zu erneuern hat erörtert werden. Nehmen wir an der 40 Aufsichtsrath habe ein Unrecht begangen so wird es darauf ankommen, jetzt den Ministerien Garantien zu bieten und diese Garantien können durch Hinweisung auf die demnächst stattfindenden neuen Wahlen in Aussicht gestellt werden. Diese Garantie ist die einzige die geboten werden kann. Ich schlage Ihnen nun vor, in die heutige Petition folgendes einzuschalten:! 45 |Herr Seligmann. Meine Herren. Ich schlage Ihnen vor das Project einer Petition 439 Dokumente an den König gänzlich fallen zu lassen und statt einer Immediateingabe an den König eine Eingabe an die Censur Ministerien zu machen und solche durch die Vermittelung des Herrn Präsidenten Gerlach einsenden zu lassen. Die Censur Ministerien werden gewiß nicht ohne vorher eingeforderten Bericht entscheiden. Bei Innehaltung des regelmäßigen Instanzenzugs ist Zeitverlust unvermeidlich. Eine Immediateingabe scheint mir verfassungswidrig weil wir die niederen Instanzen überspringen und uns sogleich an die höchste Instanz wenden. Dieser unverfas sungsmässige Schritt wird die Ministerien verletzen. Deshalb schlage ich Ihnen eine Eingabe an jene Ministerien vor umsomehr, da hier keine Hoffnung da ist daß die Mayestät die Schritte seiner Minister mißbilligen werde. Herr Kamp. Erwägen wir zunächst Competenz und Befugnisse der Actionäre. Heute morgen haben wir gehört daß die Actionäre nur über die commerziellen Verhältnisse der Gesellschaft zu entscheiden haben. Jetzt werden den Actionären weitere Rechte im Einklänge mit den Statuten zugewiesen. ||5| Stellen wir nun zunächst das Recht der Actionäre fest. Ich trage darauf an daß ein Beschluß darüber gefaßt wird ob die Actionäre befugt sind über die Tendenz des Blattes einen Be schluß zu fassen? Herr Oppenheim. Die Actionäre haben das Recht eine Petition in jedem ihnen beliebigen Sinn abzufassen. Wird eine solche Abfassung beliebt die mit unserer Ehre, unserer Ueberzeugung sich nicht verträgt so wird man von uns die Unter zeichnung einer solchen Petition nicht fordern. Der Moment zu einer mißbilligenden Aeußerung scheint mir im Interesse der Actionäre schlecht gewählt. Mag man auch die schroffe Form tadeln so bedenke man, daß die freiere Entwicklung der Presse noch neu, daß Mißgriffe bei jedem neuen Institute nicht zu vermeiden sind. Herr Haaß. Ich möchte den Gegensatz zwischen Geranten, Aufsichtsrath und Actionären von der Hand weisen. Suchen wir eine Einigung aller Interessen zum Besten des Instituts zu veranlassen. Herr Oppenheim. Wir wollen die Fassung der Bittschrift Ihnen gerne in die Hand legen, ohne ihnen dadurch eine Verantwortlichkeit für irgend||eine Handlung der Verwaltung aufzubürden. Herr Leist. Die Rechte der Actionäre sind zu enge begrenzt gefaßt worden. Die Generalversammlung hat statutengemäß das Recht, den Auf sichtsrath und mittel bar die Geranten seiner Beurtheüung zu unterwerfen. Herr Oppenheim. Eine Kritik der Verwaltung habe ich den Actionären nicht absprechen wollen wohl aber eine directe Einmischung in die Maaßregeln der Verwaltung. Herr Jung. Die Generalversammlung kann sehr leicht in der Petition sagen daß sie ihren Einfluß dahin verwenden wolle, um Abänderungen im Sinn des Ministe riums bei der Redaction herbeizuführen. Herr Kamp. Eben darum muß über die Befugnisse der Generalversammlung zuerst entschieden werden. Herr Jung. Die Generalversammlung kann die Geranten nicht zwingen eine bestimmte Tendenz zu befolgen. Die Generalversammlung kann nur mittelbar durch die Wahl des Aufsichtsraths influiren. Herr Ciaessen. Die Geranten haben ja erklärt daß sie bereit sind zurückzutreten 440 Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung sobald das Ministerium Concessionen verlangt, die mit der Ueberzeugung der Geranten etc. unvereinbar sind, falls die Generalversammlung diese Concessionen genehmigen sollte. | |lch erlaube mir Ihnen folgendes Amendement zu der heute morgen vorgelesenen 5 Petition vorzuschlagen. Herr Haaß. Die Generalversammlung hat das Recht Billigung und Tadel auszu sprechen, und ich muß mich aufs Bestimmteste für die Aufrechthaltung dieses Rechtes aussprechen. Herr Seligmann. Die Rheinische Zeitung hat sich bisher bestrebt constitutionelle 10 Ideen zu verbreiten und die Theünahme der Masse an der Gesetzgebung zu be wirken, und heute soll die Masse kein Recht der Einwirkung haben? Die Verwaltung ist nur ein Ausfluß des Willens der Generalversammlung und dieser Wille kann stets geltend gemacht werden. Herr Camphausen. Auch ich glaube daß die Geranten und der Auf sichtsrath ihre 15 und die Befugnisse der Generalversammlung nicht scharf genug aufgefaßt haben. Ich bin der Meinung daß die Competenz der Generalversammlung viel weiter reiche als die Herren Geranten glauben, aber ich erkenne der Frage keine practische Be deutung zu. Würde je eine Generalversammlung einen Tadel aussprechen so glaube ich daß die Wirkung stets dieselbe seyn würde möge die Competenz bestritten 20 werden oder nicht. Die Frage wird nur die seyn. Will die Generalversammlung die Petition mit oder ohne Amendement annehmen? | |Herr von Hontheim. Das Recht zur Beschlussnahme kann glaube ich der General versammlung nicht bestritten werden. In dem Statute ist freilich nichts über die Tendenz nichts darüber ob die Tendenz der Actionäre durch die Verwaltung ver- 25 wirklicht werden soll, bestimmt. Aber eine solche Prämisse ist durch die Sache selbst gegeben. Ich halte den Vorschlag des Herrn Heinzen für am besten geeignet die Befugnisse der Actionäre neu zu verwirklichen. Dennoch scheint mir jener Vorschlag nicht ausführbar, weil wir schwerlich neue Mitglieder für den Auf sichts rath finden werden. Ich wiederhole meinen Vorschlag beim Ministerium den Antrag 30 zu stellen eine verlängerte 3monatliche Frist vom 1 Aprü an zu gestatten. Ich glaube daß die doppelte Censur keineswegs ein Hinderniß der Fortexistenz seyn kann. Herr Fay. Wir sind hier nicht zusammen, um das Statut zu interpretiren. Wir sind vereinigt, um bestimmte Schritte und Maaßregeln zu beschliessen. Zuerst stelle ich nun die Frage: Soll eine Petition an den König immédiat gerichtet werden. 35 Diese Frage wird einstimmig von der Versammlung bejaht. | |ö| Herr Fay. Soll zugleich mit der Petition das heute verlesene Pro Memoria ein gereicht werden? Die Generalversammlung beschließt durch Majorität der Stimmen den Beschluß des Pro Memorias. 40 Herr Fay. Soll die Petition in der jetzigen Fassung angenommen oder soll dieselbe durch Amendements modif izirt werden. Die Generalversammlung beschliesst die in der Discussion entwickelten Amen dements zuerst zur Abstimmung zu bringen. Diesem Beschlüsse gemäß schlägt Herr Dr. Ciaessen folgendes Amendement vor. 45 Die Generalversammlung genehmigt durch Stimmenmehrheit die Einschaltung 441 Dokumente jenes Amendements. Herr Dr. Marx, Jung, Bürgers erhoben sich gegen jenes Amen dement. Herr Kamp beantragt daß der Passus betreffend die bedeutenden Geldopfer der Gesellschaft unterdrückt werde. Herr Kamp steht von der Abstimmung über dieses Amendement ab. 5 Herr Fay beantragt sodann die Abstimmung über die Petition incl. des angeführ ten Amendements. Die Generalversammlung beschliesst durch Stimmenmehrheit die Annahme der also modifizirten Petition. | |Herr Fay. Die Generalversammlung wolle sich jetzt darüber aussprechen, ob die 10 Bittschrift durch eine Deputation persönlich der Mayestät überreicht, oder per Post eingesandt werden soll. Herr Fay beantragt im Falle die Generalversammlung für die Ueberreichung per Deputation sich aussprechen solle, die Wahl einer Commis sion, um derselben die Unterhandlung mit den zu jener Deputation abzuordnenden Mitgliedern der Actiengesellschaft zu übertragen. 15 Herr Kamp hofft von jener Deputation keinen Erfolg. Herr Jung. Ich bin ganz der Meinung des Herrn Kamp. Das Ministerium wird Concessionen die wir nicht bewilligen können, fordern, und größere Anforderungen an eine Deputation, als auf anderem Wege stellen. Herr Ciaessen stimmt für eine Deputation da dadurch auch das Amendement des 20 Herrn Hontheim, die Erlangung einer 3monatlichen Frist betreffend, sich erledigt finde. Herr vom Rath stimmt für die Deputation um dadurch jedenfalls die Verlängerung der Frist zu bewirken. | I Herr Bürgers. Der Ruf der Zeitung wird durch eine Deputation in der öffentlichen 25 Meinung entschieden gefährdet. Schon das Urtheil über den Schritt des Herrn Brockhaus in Berlin mag zum Maaßstabe in dieser Beziehung genügen. Herr von Hontheim beantragt, einen der Freunde der Rheinischen Zeitung mit der Ueberreichung der Petition in Berlin zu beauftragen. Herr Camphausen. Ich theile die Ansicht des Herrn Bürgers nicht. Auch scheint 30 es mir nicht nöthig, die Deputation mit unbedingter Vollmacht zu versehen. Herr von Hontheim. Alles wird von der Wahl der Personen abhängen. Herr Fay. Ich bringe die Frage zur Abstimmung ob die Petition durch eine Depu tation überreicht werden soll? Herr Haaß stimmt dem Antrage des Herrn von Hontheim bei. Herr Jung. Mir scheint es kein Unglück wenn die Rheinische Zeitung mit dem 1. April aufhört, sollte auch die Zurücknahme des Verbotes später erfolgen. Die Rheinische Zeitung würde dann als solche in ihrem wahren Wesen neu erstehen und sie würde gewiß ihren Leserkreis augenblicklich wieder gewinnen. Sie wird den selben aber sicher verlieren, wenn die Rheinische Zeitung abhängig von Doppel- 40 censur und Gnade eine Zeitlang matt und kraftlos fortvegetiren wird. | 35 jvon Hontheim glaubt daß es Sache der Geranten und des Aufsichtsrathes sey, eine Deputation abzuordnen oder nicht, auch müsse diesen die Wahl der betreffen den Personen gänzlich überlassen werden. Bei der Abstimmung über die Frage ob eine Deputation abgeordnet werden soll, 45 442 Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung haben sich für die Abordnung einer Deputation 61 und 53 Stimmen dagegen erklärt. Demnach ist die Abordnung einer Deputation durch Stimmenmehrheit beschlossen. In Gemäßheit dieses Beschlusses ertheüt die Generalversammlung den Geranten den Auftrag eine Deputation auf Kosten der Gesellschaft abzuordnen. Die Geranten 5 acceptiren diesen Auftrag unter dem Vorbehalte die Petition schriftlich einzusenden, wenn es Ihnen nicht möglich seyn sollte in den nächsten acht Tagen eine geeignete Deputation zu finden. Nach diesem Beschlüsse erklärt der Präsident Herr Fay die heutige Generalversammlung geschlossen. Cöln, 12. Februar 1843. 10 G. Mevissen, Protokollführer; M. Kaufmann, Dr. Stucke, Wuhelm Boisserée, Hein- zen, H.Haan, I.Bürgers, G.Fay, G.Mallinckrodt! 443 Protokoll der ordentlichen Generalversammlung der Rheinischen Zeitungsgesellschaft am 24. Februar 1843 I Protokoll der ordentlichen Gener al-Ver Sammlung der Herren Aktionäre der Rheinischen Zeitungsgesellschaft vom 24ten Februar 1843. 5 Herr Advokat Anwalt Fay eröffnet als Vorsitzer des Aufsichtsrathes die Versamm lung und legt die einzelnen Punkte vor welche der heutigen Versammlung zur Be- rathung vorgelegt wurden. Zugleich schlägt er im Namen des Aufsichtsrathes vor in Betracht der außerordentlichen Umstände unter welchen sich die Gesellschaft be finde die ordentliche Generalversammlung zu vertagen und den Auf sichtsrath zu beauftragen im Laufe des Monats März nach vorhergehender Einladung im Zeitraum von zwei bis drei Tagen die ordentliche Generalversammlung zu berufen oder viel- 10 mehr die auf unbestimmte Zeit vertagte fortzusetzen. Hierauf berichtet Herr Fay über den Erfolg der Petitionen die in verschiedenen Orten zu Gunsten des Fortbe stehens II der Rheinischen Zeitung in Umlauf gesetzt worden wären. Herr Direktor Kamp schloß sich dem Antrag des Aufsichtsrathes an, glaubt nur es sey zweckmäßi ger die Berufung der Versammlung einige Tage früher wie der Antrag des Auf sichts- 15 raths wolle geschehen soll. Herr Appellationsrath Leist wünscht einen bestimmten Tag jetzt schon festgesetzt, wogegen Herr Advokat Mayer bemerkt daß das unmöglich sey weil die Berufung von dem Berichte der nach Berlin abgegangenen Deputation abhänge. Herr Leist sehe in dem Antrag des Aufsichtsrathes etwas Statutenwidriges, weil das Statut eine Frist von 14 Tagen bestimme. Herr Kamp wünscht daß der 20 Beschluß der heutigen Versammlung in der Zeitung bekannt gemacht würde welcher Meinung sich Herr Fay anschloß. Der Antrag des Aufsichtsrathes ward angenommen und II bestimmt daß drei/vier Tage zwischen der Generalversammlung und deren Berufung wenigstens liegen sollten. Zugleich ward bestimmt von diesem Beschlüsse in der Zeitung die Herren Aktionäre zu benachrichtigen und die Einladung täglich 25 wenn sie erfolge in die Zeitung zu setzen. Gegenwärtiges Protokoll, welches von dem dazu berufenen Dr. D'Ester abgefaßt ward, ward vorgelesen, genehmigt und in Gemäßheit des Statutes unterschrieben. Dr. D'Ester, J. E. Renard, G. Fay, Seligmann, Wilhelm Boisserée, Dr. Marx, Gustav Mevissen, Jung, Mayer, Advokat, G.Mallinckrodt, Bürgers| 30 444 Z W E I T ER TEIL A B I T U R A R B E I T EN U ND L I T E R A R I S C HE V E R S U C HE Abiturarbeiten Die Vereinigung der Gläubigen mit Christo nach Johannes 15,1—14, in ihrem Grund und Wesen, in ihrer unbedingten Notwendigkeit und in ihren Wirkungen dargestellt Religionsaufsatz I K.Marx. Die Vereinigung der Gläubigen mit Christo nach Joh. 15,1—14, in ihrem Grund und Wesen, in ihrer unbedingten Nothwendigkeit und in ihren Wirkungen dargestellt. 5 Ehe wir den Grund und das Wesen und die Wirkungen der Vereinigung Christi mit den Gläubigen betrachten, wollen wir sehen, ob diese Vereini gung nothwendig, ob sie durch die Natur des Menschen bedingt ist, ob er nicht durch sich selbst den Zweck zu erreichen vermag, für welchen ihn 10 Gott aus dem Nichts hervorgerufen. Wenden wir unseren Blick der Geschichte, der großen Lehrerinn der Menschheit zu, so werden wir in ihr mit eisernem Griffel eingegraben fin den, daß jedes Volk, wenn es selbst den höchsten Grad der Kultur erreicht hatte, wenn die größten Männer aus seinem Schoose entsprossen waren, 15 wenn die Künste in ihm ihre volle Sonne hatten aufgehn lassen, wenn die Wissenschaften die schwierigsten Fragen gelöst hatten, daß es dem unge achtet die Fesseln des Aberglaubens nicht abzustreifen vermochte, daß es weder von sich, noch von der Gottheit würdige und wahre Begriffe gefasst hatte, daß selbst die Sittlichkeit, die Moral nie rein von fremden Zusätzen, 20 von unedlen Einschränkungen in demselben erscheint, daß selbst seine Tugenden mehr von einer rohen Größe, von einem ungebändigten Egois mus, von einer Sucht nach Ruhm und kühnen Thaten erzeugt waren, als durch das Streben nach wahrer Vollendung. Und die alten Völker, die Wilden, denen noch nicht die Lehre Christi 25 erschallt ist, sie zeigen eine innere Unruhe, eine Furcht vor dem Zorne ihrer Götter, eine innere Ueberzeugung von ihrer Verwerflichkeit, indem sie ihren Göttern Opfer darbringen, indem sie durch Opfer ihre Schuld zu sühnen wähnen. 449 Abiturarbeiten Ja, der größte Weise des Alterthums, der göttliche Plato, spricht in mehr als einer Stelle eine tiefe Sehnsucht nach einem höheren Wesen aus, dessen Erscheinung das unbefriedigte Streben nach Wahrheit und Licht erfüllte. So lehrt uns die Geschichte der Völker die Nothwendigkeit der Ver einigung mit Christo. 5 Auch wenn wir die Geschichte der Einzelnen, wenn wir die Natur des Menschen betrachten, sehn wir zwar stets einen Funken der Gottheit in seiner Brust, eine Begeistrung für das || Gute, ein Streben nach Erkenntniß, eine Sehnsucht nach Wahrheit, allein die Funken des Ewigen erstickt die Flamme der Begier; die Begeistrung für die Tugend übertäubt die lockende 10 Stimme der Sünde, sie wird verhöhnt, sobald das Leben uns seine ganze Macht fühlen gelassen; das Streben nach Erkenntniß verdrängt ein niederes Streben nach irdischen Gütern, die Sehnsucht nach Wahrheit erlöscht durch die süßschmeichelnde Macht der Lüge und so steht der Mensch da, das einzige Wesen in der Natur, das seinen Zweck nicht erfüllt, das einzige 15 Glied in dem Alle der Schöpfung, das des Gottes nicht werth ist, der es erschuf. Aber jener gütige Schöpfer vermochte sein Werk nicht zu hassen; er wollte es zu sich erheben und sandte seinen Sohn und läßt uns durch diesen zurufen: „ihr seid jezt rein, um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe." 20 (Joh. 15, 3) „Bleibet in mir und ich in euch." (Joh. 15, 4.) Nachdem wir so gesehn, wie die Geschichte der Völker und die Be trachtung der Einzelnen die Nothwendigkeit der Vereinigung mit Christo erweist, wollen wir den lezten und sichersten Beweis, das Wort Christi 25 selbst betrachten. Und wo drückt er deutlicher die Nothwendigkeit der Vereinigung mit sich aus, als in dem schönen Gleichnisse des Weinstocks und der Rebe, wo er sich den Wein stock, uns die Reben nennt. Die Rebe vermag durch eigne Kraft keine Früchte hervorzubringen und so, sagt Christus, könnt 30 ihr ohne mich nichts thun. Noch stärker spricht er sich hierüber aus, wenn er sagt: „Wer nicht in mir bleibet etc." (Joh. 15, 4, 5, 6.) Indessen darf man dieses blos von denjenigen verstehn, die das Wort Christi kennen zu lernen vermochten; denn den Rathschluß Gottes über 35 solche Völker und Menschen können wir nicht beurtheilen, da wir ihn nicht einmal zu erfassen im Stande sind. Unser Herz, die Vernunft, die Geschichte, das Wort Christi rufen uns also laut und überzeugend zu, daß die Vereinigung mit ihm unbedingt nothwen- dig ist, daß wir ohne ihn unseren Zweck nicht erreichen können, daß wir 40 ohne ihn von Gott verworfen wären, daß nur er uns zu erlösen vermochte. 450 Die Vereinigung der Gläubigen mit Christo So durchdrungen von der Ueberzeugung, daß diese Vereinigung unbe dingt nothwendig ist, || sind wir begierig zu erforschen, worinn denn dieses hohe Geschenk besteht, dieser Lichtstrahl, der aus höheren Welten be seelend in unser Herz fällt und es geläutert zum Himmel emporträgt, 5 welches das innere Wesen und der Grund derselben ist? Sobald wir die Nothwendigkeit der Vereinigung erfasst haben, steht der Grund derselben, unsere Erlösungsbedürftigkeit, unsere zur Sünde hin geneigte Natur, unsere schwankende Vernunft, unser verdorbenes Herz, unsere Verwerflichkeit vor Gott klar vor unseren Augen und, welcher er 10 sei, brauchen wir nicht mehr zu forschen. Wer aber könnte schöner das Wesen der Vereinigung ausdrücken, als Christus es in dem Gleichnisse des Weinstocks mit der Rebe gethan hat? Wer könnte in großen Abhandlungen alle Theile, das Innerste, was diese Vereinigung begründet, so umfassend vor das Auge legen, als Christus mit 15 den Worten: „Ich bin ein rechter Weinstock, mein Vater ist ein Weingärtner." (Joh. 15,1.) „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben." (Joh. 15, V.) Wenn die Rebe empfinden könnte, wie würde sie freudig auf den Gärtner 20 blicken, der ihrer wartet, der sie ängstlich von Unkraut reinigt und sie fest an den Weinstock knüpft, aus dem sie Nahrung und Säfte zu schöneren Blüthen zieht. In der Vereinigung mit Christo wenden wir also vor allem zu Gott das liebende Auge, fühlen wir für ihn den glühendsten Dank, sinken wir freudig 25 vor ihm auf die Knie. Dann, wenn uns eine schönere Sonne durch die Vereinigung mit Christo aufgegangen ist, wenn wir unsere ganze Verwerflichkeit empfinden, zu gleich aber über unsere Erlösung jauchzen, können wir erst den Gott lieben, der uns früher als beleidigter Herrscher, jezt als vergebender Vater, als 30 gütiger Erzieher erscheint. Aber nicht nur zu dem Weingärtner würde die Rebe emporschauen, wenn sie empfinden könnte, sie würde sich innig an den Stock anschmiegen, sie würde sich mit ihm und den Reben, die an ihm emporgeschossen, auf's ge naueste verbunden fühlen; sie würde schon die anderen Reben lieben, weil 35 ein Gärtner sie besorgt, ein Stamm ihnen Kraft leiht. So besteht die Vereinigung mit Christo aus der innigsten, lebendigsten Gemeinschaft mit ihm, darin, daß wir ihn vor Augen und im Herzen haben, und, indem wir so von j| der höchsten Liebe zu ihm durchdrungen sind, wenden wir unser Herz zugleich den Brüdern zu, die er inniger mit uns ver- 40 bunden, für die er sich auch geopfert hat. Aber diese Liebe zu Christus ist nicht fruchtlos, sie erfüllt uns nicht nur 451 Abiturarbeiten mit der reinsten Verehrung und Hochachtung gegen ihn, sondern sie bewirkt auch, daß wir seine Gebote halten, indem wir uns für einander aufopfern, indem wir tugendhaft sind, aber nur tugendhaft aus Liebe zu ihm. (Joh. 15, v.9, 10, 12, 13, 14.) Dieses ist die große Kluft, welche christliche Tugend von jeder andern trennt und über jede andre erhebt, dieses ist eine der größten Wirkungen, die die Vereinigung mit Christo im Menschen erzeugt. 5 Die Tugend ist kein finstres Zerrbild mehr, wie es die stoische Philo sophie aufstellt; sie ist nicht das Kind einer harten Pflichtenlehre, wie wir sie bei allen heidnischen Völkern finden, sondern, was sie wirkt, wirkt sie 10 aus Liebe zu Christus, aus Liebe zu einem göttlichen Wesen und, wenn sie aus dieser reinen Quelle entspringt, erscheint sie von allem Irdischen befreit und wahrhaft göttlich. Jede abstoßende Seite taucht sich unter, alles Irdische sinkt, alles Rohe erlöscht und die Tugend ist verklärter, indem sie zugleich milder und menschlicher geworden ist. 15 Nie hätte die menschliche Vernunft sie so darzustellen vermocht; ihre Tugend wäre immer eine beschränkte, eine irdische Tugend geblieben. Sobald ein Mensch diese Tugend, diese Vereinigung mit Christo erlangt hat, wird er still und ruhig die Schläge des Schicksals erwarten, muthig dem Sturme der Leidenschaften sich gegenüberstellen, unerschrocken die Wuth 20 des Schlechten ertragen, denn, wer vermag ihn zu unterdrücken, wer vermag ihm seinen Erlöser zu rauben? Was er bittet, davon weiß er, daß es erfüllt wird, denn er bittet blos in der Vereinigung mit Christo, also blos Göttliches und wen sollte diese Ver sicherung nicht erheben und trösten, die der Heiland selbst verkündet? 25 (Joh. 15, v.7) Wer sollte nicht gern Leiden erdulden, da er weiß, daß durch sein Be harren in Christo, durch seine Werke Gott selbst geehrt wird, daß seine Vollendung den Herrn der Schöpfung erhebt? (Joh. 15, v. 8.) Also leiht die Vereinigung mit Christo innere Erhebung, Trost im Leiden, 30 ruhige Zuversicht und ein Herz, das der Menschenliebe, das allem Edlen, allem Großen, nicht aus Ehrgeitz, nicht aus Ruhmsucht, sondern nur Christi wegen geöffnet ist; also leiht die Vereinigung mit Christo eine Freudigkeit, die der Epikuräer vergebens in seiner leichtfertigen Phüo- sophie, der tiefere Denker vergebens in den verborgensten Tiefen des 35 Wissens zu erhaschen strebt, die nur das unbefangne, kindliche, mit Christo und durch ihn mit Gott verbundene Gemüth kennt, die das Leben schöner gestaltet und erhebt. (Joh. 15, 11)| 452 Aus Sophoclis Trachiniae. V. 140—176 Übersetzung aus dem Griechischen Deianira. Nachdem du, wie sich vermuthen läßt, mein Leid vernommen, bist du da; wie ich aber das Herz mir grämend verderbe hast du noch nicht leidend erfahren; jezt aber bist du noch unerfahren. — 5 Denn die Jugend freut sich in diesen Ländereien, die ihm gehören; aber ihn erregt nicht mehr der Strahl des Gottes, nicht mehr der Regen, und kein Wind mehr, sondern der im Schoose der Freude von Mühen befreite wünscht so lange zu leben, bis eine, nicht mehr als Jungfrau, sondern als Gattinn prangt und Antheil genommen hat an der Nacht der Sorgen, sowohl für den 10 Gatten als die Kinder bekümmert. Dann könnte einer, auf seine eigne Lage schauend, sehen, durch welche Leiden ich beschwert werde. Leiden habe ich schon viele beweint; eines aber, wie noch nie ein früheres gewesen, werde ich erzählen. Denn als der Herrscher Herkules den lezten Weg von seinem Hause her, betrat, damals ließ er im Hause eine alte Tafel 15 zurück, die mit Weissagungen überschrieben war, von welchen er mir früher nie zu sprechen gewagt hatte, wenn er viele Kämpfe einging; aber, wie einer, der handien wollte, ging er, || und nicht wie ein Sterbender. Jezt aber, sagte er, als wenn er nicht mehr leben werde, daß ich mir des Ehebunds Besitz nehmen sollte; er sagte aber, welchen Theil er als einen 20 solchen, der den Kindern zu vertheilen sei, wählen wolle. Er stellte aber die Zeit fest, da, wenn er ein Jahr und 3 Monate aus dem Lande gegangen wäre, er dann entweder zu der Zeit sterben müsse oder, nachdem er die Grenze der Zeit übersprungen hätte, die übrige fürder in einem ungetrübten Leben zubringen. Er sagte, dieses von den Göttern beschiedne sei an den herkuli- 25 sehen Arbeiten erfüllt, da er behauptete, daß es einst auf der alten Buche von zwei Tauben zu Dodona gesungen worden sei. Und die Wahrheit von diesem trifft mit der gegenwärtigen Zeit so überein, daß sie erfüllt werden muß; so daß ich süß schlummernd vor Furcht aufspringe, Freundinnen, indem ich zittere, wenn ich des besten aller Männer beraubt bleiben muß. I 453 Betrachtung eines Jünglings bei der Wahl eines Berufes Deutscher Aufsatz [Betrachtung eines Jünglings bei der Wahl eines Berufes. Dem Thiere hat die Natur selber den Wirkungskreis bestimmt, in welchem es sich bewegen soll und ruhig vollendet es denselben, ohne über ihn hinaus zustreben, ohne auch nur einen anderen zu ahnen. Auch dem Menschen gab 5 die Gottheit ein allgemeines Ziel, die Menschheit und sich zu veredlen, aber sie überließ es ihm selber, die Mittel aufzusuchen, durch welche er es er ringen kann; sie überließ es ihm, den Standpunkt in der Gesellschaft zu wählen, der ihm am angemessensten ist, von welchem aus er sich und die Gesellschaft am besten erheben kann. 10 Diese Wahl ist ein großes Vorrecht vor den übrigen Wesen der Schöpfung, aber zugleich eine That, die sein ganzes Leben zu vernichten, alle seine Pläne zu vereiteln, ihn unglücklich zu machen vermag. Diese Wahl ernst zu erwägen, ist also gewiß die erste Pflicht des Jünglings, der seine Laufbahn beginnt, der nicht dem Zufall seine wichtigsten Angelegenheiten überlassen 15 will. Jeder hat ein Ziel, ein Ziel, das ihm wenigstens groß scheint, vor Augen, das auch groß ist, wenn die tiefste Ueberzeugung, die innerste Stimme des Herzens es so nennt, denn die Gottheit läßt den Irdischen nie ganz ohne Führer; sie spricht leise aber sicher. 20 Leicht aber wird diese Stimme übertäubt und, was wir für Begeistrung gehalten, kann der Augenblick erzeugt haben, wird der Augenblick vielleicht auch wieder vernichten. Unsere Phantasie ist vielleicht entflammt, unser Gefühl erregt, Scheinbilder gaukeln um unser Auge und begierig stürzen wir zu dem Ziele, von dem wir wähnen, die Gottheit selbst habe es uns 25 gezeigt; || aber, was wir glühend an unseren Busen gedrückt, stößt uns bald zurück und unsre ganze Existenz sehn wir vernichtet. Wir müssen daher ernst prüfen, ob wir wirklich für einen Beruf begeistert sind, ob eine Stimme von Innen ihn billigt, oder ob die Begeisterung Täu- 454 Betrachtung e i n es Jünglings bei der Wahl e i n es Berufes schung, das, was wir für einen Ruf der Gottheit gehalten, Selbstbetrug gewesen ist. Wie aber vermögen wir dieses zu erkennen, als wenn wir der Quelle der Begeistrung selbst nachspüren? Das Große glänzt, der Glanz erregt Ehrgeitz und der Ehrgeitz kann leicht 5 die Begeisterung, oder, was wir dafür gehalten, hervorgerufen haben; aber, wen die Furie der Ehrsucht lockt, den vermag die Vernunft nicht mehr zu zügeln, und er stürzt dahin, wohin ihn der ungestümme Trieb ruft: er wählt sich nicht mehr seinen Stand, sondern Zufall und Schein bestimmen ihn. Und nicht zu dem Stande sind wir berufen, in welchem wir am meisten 10 zu glänzen vermögen; er ist nicht derjenige, der in der langen Reihe von Jahren, in welchen wir ihn vielleicht verwalten, uns nie ermatten, unsern Eifer nie unter sinken, unsere Begeistrung nie erkalten läßt, sondern bald werden wir unsere Wünsche nicht gestillt, unsere Ideen nicht befriedigt sehn, der Gottheit grollen, der Menschheit fluchen. 15 Aber nicht nur der Ehrgeitz kann eine plötzliche Begeisterung für einen Stand erregen, sondern vielleicht haben wir denselben durch unsere Phan tasien ausgeschmückt und die hat ihn zu dem Höchsten, was das Leben zu bieten vermag, ausgeschmückt. Wir haben ihn nicht zergliedert, nicht die ganze Last betrachtet, die große Verantwortlichkeit, die er auf uns wälzt; 20 wir haben ihn nur von der Ferne gesehn und die Ferne täuscht. Hierinn kann unsre eigne Vernunft nicht die Rathgeberinn sein; denn weder Erfahrung, noch tiefere Beobachtung || unterstützen sie, während sie von dem Gefühle getäuscht, von der Phantasie geblendet wird. Zu wem sollen wir aber die Blicke wenden, wer soll uns da unterstützen, wo unsere 25 Vernunft uns verläßt? Die Eltern, die schon die Bahn des Lebens durchwandelt, die schon die Strenge des Schicksals erprobt haben, ruft unser Herz. Und wenn dann noch unsere Begeisterung fortwährt, wenn wir dann noch den Stand lieben und für ihn berufen zu sein glauben, nachdem wir ihn 30 kalt geprüft, nachdem wir seine Lasten erblickt, seine Beschwerden kennen gelernt haben, dann dürfen wir ihn ergreifen, dann täuscht uns weder Be geisterung, noch reißt uns Uebereilung dahin. Aber wir können nicht immer den Stand ergreifen, zu dem wir uns be rufen glauben; unsere Verhältnisse in der Gesellschaft haben einigermaßen 35 schon begonnen, ehe wir sie zu bestimmen im Stande sind. Schon unsere physische Natur stellt sich oft drohend entgegen und ihre Rechte wage keiner zu verspotten. Wir vermögen zwar, uns über dieselbe zu erheben; aber dann sinken wir desto schneller unter, dann wagen wir ein Gebäude auf morsche Trümmer 40 zu erbauen, dann ist unser ganzes Leben ein unglücklicher Kampf zwischen dem geistigen und körperlichen Prinzip. Wer aber nicht in sich selbst die 455 Abiturarbeiten kämpfenden Elemente zu stillen vermag, wie soll sich der dem wilden Drange des Lebens entgegenstellen können, wie soll er ruhig handien und aus der Ruhe allein können große und schöne Thaten emportauchen; sie ist der Boden, in dem allein gereifte Früchte gedeihn.| I Obgleich wir mit einer physischen Natur, die unserem Stande nicht 5 angemessen ist, nicht lange und selten freudig wirken können, so erhebt doch stets der Gedanke, unser Wohl der Pflicht aufzuopfern, schwach dennoch kräftig zu handien; allein, wenn wir einen Stand gewählt, zu dem wir nicht die Talente besitzen, so vermögen wir ihn nie würdig auszufüllen, so werden wir bald beschämt unsere eigene Unfähigkeit erkennen und uns 10 sagen, daß wir ein nutzloses Wesen in der Schöpfung, ein Glied in der Gesellschaft sind, das seinen Beruf nicht erfüllen kann. Die natürlichste Folge ist dann Selbstverachtung und welches Gefühl ist schmerzlicher, welches vermag weniger durch alles, was die Außenwelt bietet, ersezt zu werden? Selbstverachtung ist eine Schlange, die ewigwühlend die Brust 15 zernagt, das Lebensblut aus dem Herzen saugt und es mit dem Gifte des Menschenhasses und der Verzweiflung vermischt. Eine Täuschung über unsere Anlagen für einen Stand, den wir näher be trachtet, ist ein Vergehn, das rächend auf uns selbst zurückfällt, das, wenn es auch nicht von der Außenwelt getadelt wird, in unserer Brust eine 20 schrecklichere Pein erregt, als jene hervorzurufen vermag. Haben wir dieses alles erwägt und gestatten unsere Lebensverhältnisse, einen beliebigen Stand zu wählen, so mögen wir den ergreifen, der uns die größte Würde gewährt, der auf Ideen gegründet ist, von deren Wahrheit wir durchaus überzeugt sind, der das größte Feld darbietet, um für die Mensch- 25 heit zu wirken und uns selbst dem allgemeinen Ziele zu nähern, für welches jeder Stand nur ein Mittel ist, der Vollkommenheit. Die Würde ist dasjenige, was den Mann am meisten erhebt, was seinem | |Handlen, allen seinen Bestrebungen einen höheren Adel leiht, was ihn unangetastet, von der Menge bewundert und über sie erhaben dastehn läßt. 30 Würde kann aber nur der Stand gewähren, in welchem wir nicht als knechtische Werkzeuge erscheinen, sondern wo wir in unserem Kreise selbständig schaffen; kann nur der Stand gewähren, der keine verwerfliche, selbst dem Anscheine nach nicht verwerfliche Thaten erheischt, den der Beste mit edlem Stolze ergreifen kann. Der Stand, der dieses am meisten 35 gewährt, ist nicht immer der höchste, aber stets der vorzüglichste. Wie aber ein Stand ohne Würde uns erniedrigt, so erliegen wir sicher unter der Last eines solchen, der auf Ideen gegründet ist, die wir später als falsch erkennen. Da sehn wir keine Hülfe mehr, als in der Selbsttäuschung und welche 40 verzweifelte Rettung, die Selbstbetrug gewährt! 456 Betrachtung e i n es Jünglings bei der Wahl e i n es Berufes Jene Stände, die nicht sowohl in das Leben eingreifen, als mit abstrakten Wahrheiten sich beschäftigen, sind die gefährlichsten für den Jüngling, dessen Grundsätze noch nicht gediegen, dessen Ueberzeugung noch nicht fest und unerschütterlich ist, obwohl sie zugleich als die erhabensten 5 erscheinen, wenn sie tief in der Brust Wurzeln geschlagen haben, wenn wir für die Ideen, die in ihnen herrschen, das Leben und alle Bestrebungen zu opfern vermögen. Sie können den beglücken, der für sie berufen ist, allein sie vernichten den, der sie übereilt, unbesonnen, dem Augenblicke gehorchend, ergreift. 10 Die hohe Meinung hingegen, die wir von den Ideen haben, auf die unser Stand gegründet ist, leiht uns einen höheren Standpunkt in der Gesellschaft, vergrößert unsre eigne Würde, macht unsere Handlungen unerschütterlich. | |Wer einen Stand erwählt, den er hoch schäzt, der wird davor zurück beben sich seiner unwürdig zu machen, der wird schon deßwegen edel 15 handien, weil seine Stellung in der Gesellschaft edel ist. Die Hauptlenkerinn aber, die uns bei der Standeswahl leiten muß, ist das Wohl der Menschheit, unsere eigne Vollendung. Man wähne nicht diese beiden Intressen könnten sich feindlich bekämpfen, das eine müsse das andre vernichten, sondern die Natur des Menschen ist so eingerichtet, daß 20 er seine Vervollkommnung nur erreichen kann, wenn er für die Voll endung, für das Wohl seiner Mitwelt wirkt. Wenn er nur für sich schafft, kann er wohl ein berühmter Gelehrter, ein großer Weiser, ein ausgezeich neter Dichter, aber nie ein vollendeter, wahrhaft großer Mensch sein. Die Geschichte nennt diejenigen als die größten Männer, die, indem sie 25 für das Allgemeine wirkten, sich selbst veredelten; die Erfahrung preißt den als den Glücklichsten, der die meisten glücklich gemacht; die Religion selber lehrt uns, daß das Ideal, dem alle nachstreben, sich für die Menschheit geopfert habe und wer wagte solche Aussprüche zu vernichten? Wenn wir den Stand gewählt, in dem wir am meisten für die Menschheit 30 wirken können, dann können uns Lasten nicht niederbeugen, weil sie nur Opfer für alle sind; dann genießen wir keine arme, eingeschränkte, egoisti sche Freude, sondern unser Glück gehört Millionen, unsere Thaten leben still aber ewig-wirkend fort und unsere Asche wird benezt von der glühen den Thräne edler Menschen. 35 Marx. Ι 457 Exemples qui servent à prouver, que l'homme peut modifier les influences du climat qu'il habite Übersetzung ins Französische I Marx. Exemples, qui servent à prouver, que l'homme peut motiver les influences du climat, qu'il habite. Ceux, qui séjournent à Pensylvanie depuis longtemps ou à les colonies 5 voisines, ont observé, que leur climat s'est changé considérablement depuis quarante ou cinquante ans, et que les hivers ne sont plus autant froids. La température de l'air en Pensylvanie est différente de celle des con trées de l'Europe, qui sont situées sous le même parallèle. Pour juger de la chaleur d'un pays, il ne suffit d'avoir égard au cercle de 10 large, mais aussi à sa situation et aux vents, qui sont accoutumés à y régner, parce que ceux ne savent pas se changer, sans que le climat ne se change pas. La face d'un pays peut être metarmophosée entièrement par culture, et on sera convaincu, en recherchant la cause des vents, que leur cour puisse prendre de même une nouvelle direction. 15 Depuis l'établissement de nos colonies, dit Mr. Villiamson, nous avons y réussi, non seulement à donner à la terre des arrondissements habités, mais aussi à changer partiellement la direction des vents. Les hommes de marine, qui sont y interressés le plus, nous ont dit, qu'ils avaient eu besoin autrefois de 4—5 semaines, pour aborder à nos côtes, 20 pendant qu'ils abordent aujourd'hui dans un temps, de moitié moins. On en est aussi d'accord, que la || froideur est moins rudee, le neige moins abondant et moins durant qu'il l'a été jamais, depuis nous nous sommes établis dans notre province. Ily aplusieurs causes, qui peuvent augmenter ou diminuer la chaleur de l'air, mais on me rapporterait difficillement un seul 25 exemple du changement du climat, qu'on ne puisse attribuer au défriche ment du pays, où il avait lieu. 458 Exemples qui servent à prouver On me objectera, qu'une exception de cette règle commune, le change ment, qui a eu lieu depuis mille sept cent ans en Italie et en quelques districts de l'Orient. On dit, que l'Italie a été cultivée mieux au temps d'Auguste, qu'il n'est aujourd'hui et que pourtant le climat y est modéré. C'est vrai, que l'hiver en Italie avant mille sept cent ans était plus rude, qu'il n'est aujourd'hui, mais on en peut attribuer la cause aux vastes bois, dont l'Allemagne, qui se trouve au Nord de Rome, était couverte ce temps là.| 459 Mathematische Arbeit [Marx. I) Man soll mit einem gegebnen Radius einen Kreis beschreiben, der einen zweiten, der Größe und Lage nach gegebnen berührt und eine der Lage nach gegebene grade Linie so schneidet, daß ein der Größe nach gegebnes Stück derselben Sehne des Kreises ist. Analyse. Der Kreis um b sei der gesuchte Kreis, dann ist der Abstand von b und der Linie ng, die der Lage nach gegeben ist, bekannt, weil der Radius des Kreises um b gegeben ist. Ziehe ich nun durch b mit ngeine Parallele, und fälle aus g ein Perpendikel auf bo, so ist go = bi, dem Abstände. Ich weiß also daß b auf einer Parallele mit ng liegt, die um bi davon entfernt ist. Ich habe also nur zu suchen, welcher Punkt der Parallele b ist. b muß aber um die Summe der beiden Radien von α entfernt sein, wenn die Kreise, wie wir jezt annehmen wollen, sich außerhalb berühren; wenn ich also aus α mit der Summe der Radien als Diameter einen Bogen beschreibe, so ist der Punkt, in welchem dieser die Parallele schneidet, b. 460 Mathematische Arbeit Construction. Auf der unbestimmten, aber der Lage nach gegebenen Linie ng, beschreibe ich aus 2 beliebigen Punkten Bogen mit dem gegebnen Radius des zu suchenden Kreises; gesezt sie schnitten sich in o, so fälle ich aus ο ein Perpendikel auf ng, und dieses ist = bi; aus ο ziehe ich eine Parallele mit ng und beschreibe aus a mit p + q als Diameter einen Bogen; wo er die Parallele schneidet, ist das Centrum. || Berühren die Kreise sich innerhalb, so ist die Differenz statt der Summe der Abstand des Perpen dikels vom Centrum a und die Auflösung ist die selbe. 5 10 Von einem Δ ist die Grundlinie, die Höhe und der Winkel an der Spitze gegeben. II) 15 20 Da aber der Winkel a gegeben ist, kenne ich auch den Kreis durch a, b, c, da ich einen Kreis über ab beschreiben kann, der des Winkels a fähig ist. (Dieses wird später in der Construction gezeigt.) Ich kenne also auch den Radius desselben und habe die Gleichung: xy = dh, wenn d der Durchmesser des Kreises ist: setze das in I, so habe ich: ; also: I Cos. a = irr, 2 an x* + f = Cos. a*2dh+ a2; also: II χ2 = 2 dhCos. a + a2 - y2; ist Winkel b spitz, (wenn er stumpf ist, ist die Auflösung dieselbe.) 461 Abiturarbeiten 5 10 15 20 25 462 M a t h e m a t i s c he Arbeit II) Das Δ zu construiren, wenn dieselben Stücke gegeben sind. In der Mitte von ab errichte ich ein Perpendikel no; an ο trage ich einen Winkel = dem gegebnen Winkel; er sei mon, verlängere den Schenkel mo, bis er ab schneidet; aus a ziehe mit mo eine Parallele; diese schneide no in c, so ist acn= mon und c ist das Centrum des Kreises. || Ich verlängere nc, bis es gleich ist der gegebnen Höhe, z.B. bis i; durch iziehe ich eine Parallele mit der Grundlinie ab, bis sie den Kreis in rund d schneidet und verbinde d mit a und b durch grade Linien, ebenso r mit a und b, so erfüllen diese zwei Δ die Bedingungen, denn Winkel r hat die Hälfte des Bogens ab zum Maße, ebenso Winkel d. Winkel acb, das Doppelte des gegebenen Winkels, hat ab zum Maße; also ist Winkel r = — dem gegebnen Winkel. Dasselbe findet bei Winkel d statt. Die Δ haben auch die gegebne Höhe zur Höhe und die gegebene Grundlinie zur Grundlinie. Also lösen diese 2 Δ die Aufgabe. III) 3 Personen kaufen zusammen ein Gut für 50000 Th. Der ersten fehlt, wenn sie dasselbe ganz allein zahlen sollte, die Hälfte des Geldes der zweiten; die 2te würde es allein ganz zahlen können, wenn sie zu ihrem Gelde den 3ten Theil des Geldes der ersten hätte und die dritte Person würde ebenfalls das Gut allein zahlen können, wenn sie zu ihrem Gelde noch den 4ten Theil des Geldes der ersten hätte. Wie viel Geld hat jede dieser Personen? Ich nenne das Geld der ersten x, das der zweiten y, das der dritten z- 5 10 15 20 463 Abiturarbeiten 5 Marx. I 464 An principatus Augusti merito inter feliciores reipublicae Romanae aetates numeretur? Lateinischer Aufsatz I Marx An principatus Augusti merito inter feliciores reipublicae aetates numeretur? Quaerenti, qualis Augusti aetas fuerit, plura occurrunt, ex quibus de ea 5 judicari potest; primum comparatio cum aliis Romanae historiae aetatibus, nam, si ostenderis, aetatibus prioribus, quas felices appellant, similem fuisse Augusti aetatem, illis vero, quas aequalium et recentium judicium, versis et mutatis moribus in pejorem partem, republica in factiones divisa, in bello etiam rebus male gestis, dissimilem, de ea ex aliis conjecturam tacere potes; 10 tum quaerendum est, quae veteres de ea ipsi dixerint, quid externae gentes de imperio habuerint, an id veriti sint aut contemserint, denique vero quales artes litteraeque fuerint. Ne verolongius sim, quam necesse, pulcherrimam aetatem ante Augustum, quam morum simplicitas, virtutis studia, magistratuum plebisque integritas 15 felicem fecerunt, aetas, qua Italia inferior subigebatur, illamque Neronis, qua nulla miserior, cum Augusti aetate comparabo. Nullo tempore magis a studiis optimarum artium Romani abhorruere, quam aetate ante bella punica, eruditione minime aestimata, cum in agri- culturam summi illarum aetatum homines praecipue Studium operamque 20 collocarent, eloquentia supervacua, cum paucis verbis de rebus agendis dicerent neque orationis elegantiam, sed sententiarum vim peterent, historia vero eloquentiae non egente, cum res gestas tantum referret solumque in Annalium II confectione consisterei. Tota vero aetas patrum plebisque lite impleta, nam ab expulsis regibus 25 usque ad primum bellum punicum de utriusque jure certatur et magna historiae pars leges tantum refert, quas tribuni aut consules, magna utrimque cum contentione, fecere. 465 Abiturarbeiten Quid eo tempore laudandum sit, jam diximus. Neronis aetatem si describere volumus, non multa verba opus sunt, nam, optimis occisis civibus, turpi regnante arbitrio, legibus violatis, urbe cremata, ducibus, cum vererentur, ne res bene gestae suspicionem excitarent neque quid ad magna facta eos commoveret, pace potius quam bello gloriam 5 quaerentibus, quis interrogabit, qualis illa aetas fuerit? Quin Augusti aetas huic dissimilis sit, nemo dubitare potest, nam ejus Imperium dementia insigne est, cum Romani, quam vis omnis libertas, omnis etiam libertatis species evanuerat, jussis principis instituta legesque mutare valentibus omnibusque honoribus, quos prius tribuni plebis, censores, 10 consules habuerant, tum ab uno viro occupatis, tamen putarent, se regnare, imperatorem tantum aliud nomen dignitatibus, quas prius tribuni aut con sules tenuissent, neque libertatem sibi dereptam vidèrent. Hoc vero magnum clementiae argumentum, si cives dubitare possunt, quis princeps sit, an ipsi régnent, an regnentur. 15 Bello vero Romani nunquam feliciores, nam Parthi subjecti, Cantabri vieti, Rhaeti et Vindelicii prostrati sunt: Germani vero, summi Romanis hostes, Il quos Caesar frustra pugnasset, singulis quidem proeliis et proditione et insidiis et virtute silvisque Romanos superarunt: sed omnino et Romana civitate, quam singulis Augustus praebuit, et armis, quae duces periti gessere, 20 et inimicitia, inter eos ipsos excitata, multorum Germaniae populorum vis frangebatur. Domi militiaeque igitur Augusti aetas non comparanda cum Neronis pejorumque principum tempore. Partes litesque autem, quas aetate ante bellum punicum invenimus, turn 25 cessarant, nam Augustum omnes partes, omnes dignitates, omnem potesta- tem in se collegisse videmus, neque igitur Imperium a se ipso dissidere potuit, quod omni civitati summum affert periculum, auctoritate apud externos populos ea re dimminuta, et rebus publicis magis ambitionis causa quam propter civitatis salutem administratis. 30 Tali modo vero Augusti aetas oculos ad se rapere non debet, ne multis in rebus ilia aetate inferiorem videremus, nam, moribus, liberiate, virtute aut dimminutis aut plane demotis, dum avaritia, luxuria, intemperantia regnant, aetas ipsa f elix nominari non potest, sed imperium Augusti, instituta legesque hominum, quos elexerat, ut rempublicam perturbatam meliorem redderent, 35 valde effecerunt, ut perturbatio, a bellis civilibus evocata, decesserit. Exempli causa senatum, quem corruptissimi homines ingressi erant, a vestigiis sceleris expiare videmus Augustum, multis ab eo expulsis, || quorum mores ei invisi, multis introductis, qui virtute et intelligentia excelluere. Augusto principe semper viri, virtutis et sapientiae gloria praestantes, 40 munere reipublicae functi erant, nam Maecenate, Agrippa quis viros eo 466 An principatus Augusti merito inter feliciores reipublicae Romanae aetates numeretur? Letzte Seite des lateinischen Aufsatzes mit Korrekturen und Bemerkungen des Lehrers An principatus Augusti tempore majores nominare potest! Principis ingenium ipsum, quamvis nunquam simulationis integumentis nudatum conspicimus, ut jam diximus, potestate non abutens, invisam vim mitiore specie tegens videtur, et, si respublica, qualis ante bella punica fuerit, Uli tempori aptissima erat, quod animos ad magnas res excitabat, viros hostibus terribiles reddidit, pulchram inter patres plebemque aemulationem, a qua vero non semper invidia abest, evocavit, respublica, qualem Augustus instituerai, ejus temporibus aptissima mihi quidem videtur, nam, animis effeminatis, simplicitate morum decessa, civitatis magnitudine aucta, imperator potius quam libera respublica populo libertatem afferre valet. Jam ad id venimus, quale veterum de Augusti aetate judicium fuerit? Eum ipsum divinum apellant neque hominem sed deum potius putant. Quod non dici posset, Horatio tantum teste, sed strenuus historiae scriptor, Tacitus, semper de Augusto ejusque aetate maxima reverentia, summa admiratione, amore etiam loquitur. Litterae vero artesque nullo tempore magis floruere, ea aetate plurimis scriptoribus viventibus, e quibus, fontibus quasi, omnes populi eruditionem hauriebant. Cum respublica igitur bene instituta videatur, principe populo felicitatem ferre cupiente, summis viris vero eo auctore honores tenentibus, cum Augusti aetas optimis historiae Romanae aetatibus non inferior, malis vero dissimilis videatur, cum partes litesque cessas videas, artes litterasque vero florentes, Augusti principatus merito inter meliores aetates numerandus valdeque vir aestimandus, qui, etsi omnia ei licerent, tarnen, assecutus Imperium, reipu blicae salutem tantum efficere studuit. I 5 10 15 20 25 469 "'{/' ~:- ,_,., ... f,: Reifezeugnis. Erste Seite De Hemsterhusii moribus Lateinisches Extemporale |Marx. De Hemsterhusii moribus. Hemsterhusii animus talis erat, qualis, tantis sapientiae praeceptis eruditus, esse debebat, virtutis unae verae et sincerae admirator, rerum mortalium et vilium contemtor. Qualis ingenii firmitas ei fuerit, ex eo uno exemplo videri potest. 5 Franeceram aliquando illustrissimi quidam vénérant hospites e claro vassenario genere, ut duos dies laete cum eo agerent. Omnes, remissis ad laetitiam animis, cum discubuerant, ecce, litteris accipit nuntium, eximia spe filium, qui e re navali gloriam petere cupiit, a patria remotum maturum assecutum finem et quid Hemsterhusius? 10 Vultum minime commutane epistolam deponit, laetum animum simulât, et per duos dies acerbissimum opprimit dolorem, quod hilaritatem, cui hospites se dederant, muliebri vanaque ejulatione perturbare noluit. Tali firmitate germanus ille socraticae scholae discipulus, Xenophon, in sacrificando morte filii Grylli ei nuntiata, usque dum solemnem perfecerat sacrificationem, || distulit tristitiam. 15 Jactantia et vanus fastus ei invisi erant non solum cetera in vita, sed etiam in doctrina, ita ut alieni, ad ejus scholam profecti, hune ilium esse Hemster- husium, de quo talia tantaque praedicata audierant, vix putarent. | 20 470 Reifezeugnis. Zweite Seite Reifezeugnis. Dritte Seite Literarische Versuche Buch der Liebe. Erster Teil I Buch der Liebe Meiner theuren, ewiggeliebten Jenny v. Westphalen. Berlin 1836, 5 am Ende des Herbstes. Κ. H. Marx. ERSTER THEIL. Ι Buch der Liebe. Erster Teil. Titelblatt Buch der Liebe. Erster Teil 11) I An Jenny. Die zwei Himmel. Auf der Reise nach Berlin im Wagen. Die Berge ziehen, Die Wälder fliehen Weg von dem sehnenden Blick, Sie lassen keine Spur zurück. Und kaum ist ihre Pracht entglommen, Und himmelwärts ragt kaum ihr Bau, Da hat ein Gott sie weggenommen In bunter Wechselschau. Vergebens suchen wir ihr Bild zu halten, Uns ziehen fort die wogenden Gestalten, Und die Brust bleibt so kalt, so leer, Und Befriedigung saugen wir nimmermehr. Vergebens wollen wir uns hangen An dieses Glühen, diese Pracht, Schon ist der Zauber untergegangen, Und ein Satyr höhnisch lacht. So rollen die Bilder vorüber, Bald heller, bald trüber, Wir scheinen in Wahn und in Strudel gezogen, Und plätschern dahin mit den rauschenden Wogen. 2)| Doch über allem dem Spielen und Treiben Zwei Himmel stehen bleiben, 5 : 10 15 20 25 483 Literarische Versuche Es ist der Himmel da oben, Mit Wolken und Sternen umwoben, Es ist der Himmel tief in der Brust, Ihn umhüllen Schmerzen und Lust. Am Himmel da oben leuchten viel Sterne, Hinab in die Nacht, hinein in die Ferne, Doch einer glühet allzumal, In das wogende Meer, in das ragende Thal, Und ob die andern verschwimmen, Bald hier, bald dorthin glimmen, Er steht Ewig in Mayestät. Am Himmel da unten blitzen viel Flammen, Die vom Allgeist stammen, Meteorengleich Hausen sie in der Tiefe Reich. Sie sind vom Vater weggeflogen, Es hat sie zum Menschen hingezogen, Sie tanzen in ungeregeltem Gang, Stimmen bald hoch, bald tieferen Klang, | |3)| Scheinen ihm oft die Brust zu zersprengen, Ihn in das All und den Aether zu drängen, Zeigen ihm das unbekannte Land, Von dem sie sich weggewandt, Und ihn ergreift es wie Lust und wie Wehen, Er möcht' in sich selber vergehen, Er fühlt sich so groß, er fühlt sich so klein, Er dünkt sich bald Nacht und bald Aetherschein. Auch diese vergänglich unvergänglichen Flammen, Hält eine Sonne zusammen, Sie strahlt das Gewirre klar, Das dämonenwunderlich war, Sie läßt in Klangestönen Gluth und Schatten sich söhnen, Ihr Allaut Mit dem Hohen und Tiefen sich traut, Und durch das ganze Getriebe Blizt sie und heißt: Liebe. 5 10 15 20 25 - 30 35 .„ 484 5 10 15 20 25 30 Buch der Liebe. Erster Teil Auch in meinem Busen mußte sie auferstehn, Als ich, Jenny, Dein Seelenauge gesehn, Als Geist und Blick so sehnsuchtstrunken In Deine Gestalt versunken, | 4)| Als Du an mir vorübergeschwebt, Jeder Nerv vor Empfindung gebebt, Als ich so ganz in Dich verloren, Da war auch mir der Himmel erkoren, Da brannte die Brust, da glühte der Blick Und jede finstere Macht wich zurück. Der Himmel da oben bleibt ewig stehen, Wird ewig liebeathmend auf Wolken und Blitzen gehen, Uns beiden ist er ewig gemein, Seine Gluth und sein Aetherschein. O! Laß auch den Himmel im Herzen nicht fallen, Laß einen Ton ihn zwei Seelen durchhallen! Brichst Du das Band, so stürz' ich hinab, Mich umhüllt die Fluth, mich verschlingt das Grab, Es haben beide Himmel sich untergetauchet, Und die blutende Seele verhauchet. 1 |5)| Die Nacht. An Jenny. Die Nacht ist gewebt aus Melodien, Die sehnend herüber, hinüberziehn, Dann falln sie vom Himmel nieder, Umhüllen des Alles Glieder, Ich gestalte mit sinnender Hand Aus ihrem Gewebe ein Flügelgewand, Flieg' so in die seeligen Weiten, Die den Schleier um Jennyen breiten, Da horch' ich von Sehnsucht und Lust erfüllt, Wie das Wortl aus dem süssen Munde quillt, Wie keines ein Herz verhehlet, Das Götter zum Sitz sich erwählet, 485 Literarische Versuche Und die Worte sie werden mir Sphärengesang, Ich schwelge im Seelen- und Liebesdrang. Doch, wenn Dein Busen höher schlägt, Wenn der Schmerz in die Lüfte sich ringend trägt, Wenn allzugewaltig Sehnen Hervorblizt in grossen Thränen, Wenn ein höher Roth auf die Wange flieht, Ein Himmel aus Deinem Auge zieht, | |ö)| Wenn Dein tief inneres Leben, Ganz sich selber dahingegeben, Die Last nicht mehr faßt, die es eingeengt, Vor sich selber sich zeigt, die Kette zersprengt, Und bewegt von dunklem Verlangen, Sich erschöpft in Sehnen und Bangen, Wenn die schöne, hehre Zaubergestalt, Noch höher verklärt ist durch Schmerzesgewalt, Dann möchte ich niederfallen, Ein kühnes Wort Dir lallen, Dir sagen, daß ich allein Dich erkannt, Daß ich von derselben Gluth entbrannt, Daß bei mir in wilder Entfaltung, In verzweiflender Hohngestaltung Dieselbe Macht aus dem Busen spricht, Die sich bei Dir in Thränen bricht. Daß das Schicksal groß geschrieben, Von Ahnen und That und von Lieben, Daß tiefes Leiden untergeht, Wenn Flammenvereinung über uns steht. | |7)| Ich möchte dann ewig weilen, Seele und Athem mit Dir theilen, Ich möchte verglühn an Deiner Brust, Hinsinken seelig und unbewußt, Möcht' mit Dir untergehen, Ein Hauch mit Dir weiterwehen. 5 10 15 20 25 30 35 486 Buch der Liebe. Erster Teil |8)| Der Gedanken. An Jenny. Jenny, laß die Sphären rollen, Du bist Sonne mir und Aetherschein, Laß mir Welten feindlich grollen, Ich besieg sie, Jenny, bleibst Du mein. Grösser als der Sphären Räume, Höher als des Himmels Aetherhaus, Schöner als das Land der Träume, Tiefer als des Meeres Schreck und Graus; Unermessen, unbeschränket, Ein Gedanke, wie ihn Gott gedacht, Wie sein Allherz stets ihn denket, Ist durch Dich in meiner Brust erwacht. Und Du selbst bist der Gedanken, Schönheit hauchet ihn das schwache Wort, Kann die Allgluth nicht umranken, Doch im Herzen brennt sie sicher fort. |9)| Menschenstolz. An Jenny. Als ich diese stolzen Hallen Schaute und der Häuser Riesenlast, Und der Menschen stürmisch Wallen, Und die unruhvolle Fieberhast; Fühlte ich der Pulse Schlagen, Und der Seele stolze Riesengluth: Sollen dich die Wellen tragen Hin in Leben und in Meeresfluth? 5 10 15 20 25 487 Literarische Versuche Soll ich staunen vor den Massen, Die zum Himmel keck sich aufgethürmt? Soll mich dieses Leben fassen, Das dem Ungefähr entgegenstürmt? Nein! ihr armen Zwerggiganten, Und du kaltes, steinern Ungethüm, Schaut den Blick, den Weggewandten, Ihn durchglüht der Seele Ungestüm!| j 10) j Er durchkreuzet rings die Kreise, Flieht durch sie mit raschem Forschersinn, Und die Sehnsucht blizt, die heisse, Höhnend durch die weiten Hallen hin. Wenn ihr alle stürzet, sinket, Giebt's nur eine bunte Scherbenwelt, Ob die kalte Pracht uns blinket, Ob Ruin sich dumpf entgegenstellt. Keine Grenze ist gezogen, Keine harte, arme Scholle bannt, Und wir segeln durch die Wogen, Und wir wandern fort in fern'res Land. Keines mag uns festzuhalten, Keines schliesset unser Hoffen ein, Es enteilen die Gestalten, Und es bleibt des Busens Gluth und Pein. | | l l )| Diese weiten Ungeheuer Sind nur Bruchwerk, ängstlich aufgerafft, Und sie fühlen nie das Feuer, Das aus leerem Nichts sie mühsam schafft. 5 - 10 15 21 25 Keine Riesen säule hebet Aus sich selbst in eins sich siegend auf, 30· • Dürftig Stein an Stein gewebet Formen arm den bangen Schneckenlauf. Doch die Seele fasset Alle, Ist nur eine hohe Riesengluth, Selber noch in ihrem Falle Reißt sie Sonnen in Vernichtungsfluth. 35 488 Buch der Liebe. Erster Teil Aus sich selber hebt sie siegend Auf sich zu der Himmel hehrem Sitz, Götter in der Tiefe wiegend, Und in ihrem Auge Donn'rers Blitz. | |l2)| Und ihr schwindelt nicht vor Stegen, Wo der Gottgedanke sinnend geht, Wagt am Busen ihn zu pflegen, Eigne Grösse ist ihr Hochgebet. Muß sie in sich selbst verzehren, In der eignen Grösse untergehn, Dann tönt's, wie Vulkanengähren, Und Dämonen weinend um sie stehn. Trotzend will sie unterliegen, Einen Thron erbaun für Riesenhohn, Und ihr Fallen selbst ist Siegen, Und ihr stolz Verschmähen Heldenlohn. Doch, wenn Wechselgluth sich bindet, Wenn zwei Seelen ineinanderwehn, Eine leis der andern kündet, Nicht so einsam mehr durch's All zu gehn;| |l3)| Hört man's laut durch Welten tönen, Mild in vollem Aeolsharfenklang; Und im Strahl des Ewigschönen Glühn zusammen Wunsch und Seelendrang. Jenny! Darf ich kühn es sagen, Daß Wir unsre Seelen ausgetauscht, Daß in eins sie glühend schlagen, Daß ein Strom durch ihre Wellen rauscht? Dann werf ich den Handschuh höhnend Einer Welt in's breite Angesicht, Und die Riesenzwerginn stürze stöhnend, Meine Gluth erdrückt ihr Trümmer nicht. Götterähnlich darf ich wandeln, Siegreich ziehn durch ihr Ruinenreich, Jedes Wort ist Gluth und Handeln, Meine Brust dem Schöpferbusen gleich. 1 5 10 15 20 25 30 35 489 Literarische Versuche | l 4 )| Des Sängers leztes Lied. Ballade. Es steht der greise Sänger Um Mitternacht allein, Die Brust pocht bang' und bänger, Strömt in das All hinein. Von seiner Schulter schwebet Herab ein Schleifenband, An ihr 'ne Leier bebet, Gefaßt in Diamant. Die ist allein ihm eigen, Die ist sein liebstes Gut, Die Locken längst erbleichen, Das Auge schießt noch Gluth. Die Lüfte wehn gelinde, Der Himmel lacht entzückt, Er steht im lauen Winde, Kein Schlaf sein Herz beglückt. | 15)| Es hat ihn weggetrieben Aus engem Schlafgemach, Das All scheint er zu lieben, Die Sterne sind sein Dach. Dann tönt es zart und leise Aus voller Dichterbrust, Und stärker wird die Weise, Und tiefer Schmerz und Lust: „So pocht das Herz noch immer, Wie einst im Jugendtraum, Und Ruhe füllet nimmer, Den kleinen, bangen Raum." „Noch immer so ungemessen Treibt's mich in das All und die Nacht, Nicht sauget das Herz Vergessen, Nicht schweigt die tiefe Macht."| 5 - 10 15 20 25 30,- • 490 Buch der Liebe. Erster Teil 16) I „Dem Sänger scheint es gegeben, Daß ein Gott ihn weitertreibt, Daß ungestümm sein Leben In dem Grabe nur stehen bleibt." „Und doch in der tiefsten Seele Steht noch das erste Bild, Gleich goldgefaßtem Juwele So strahlend und hehr und mild." „Und wie es aufgegangen, So glüht es ewig fort, So bleibt es ewig Verlangen, Und Gestaltung an keinem Ort." „Die Jahre ziehn herüber, Hinüber mit Allgewalt, Doch nimmer wird es trüber, Stets bleibt ihm Aethergestalt."| 17)| „Und der Greis will's noch erreichen, Den der Odem fast verläßt, Und sieht's doch stets entweichen, Und hält das Bild nie fest." „So kann der Sänger nicht rasten, Bis das Feuerherz verglimmt, Bis Berge auf ihm lasten, Bis er im Nichts verschwimmt." „So muß er ewig ringen Nach Sonnenstrahl und Licht, Bis Wellen ihn verschlingen, Und bis sein Busen bricht." „So treibt's ihn durch die Lande, So muß er ewig fliehn, Und wo er weilt, der Verbannte, Muß Sehnen mit ihm ziehn." | |l8)| Den Sänger ergreift's, wie Sehnen, Und ungeheurer Schmerz, Er muß auf die Zyther sich lehnen, Und pressen das greise Herz. 5 10 15 20 25 30 35 491 Literarische Versuche Er läßt die Blicke schweifen Zum All und Aether hinauf, Ol könnt' er sie ergreifen In kühnem Titanenlauf! Er steht da, so hehr und versunken, Gleich einem leidenden Gott, Den Busen von Ahnungen trunken, Beschämt er den kecksten Spott. Dann rafft er auf die Bürde, Die hehre, greise Gestalt, Steht da in Manneswürde, Dann tönt's mit Allgewalt: | |l9)| „Nur zweimal darf er halten Das liebewarme Bild, Die wogenden Gestalten, Wird des Sängers Sehnen gestillt." „Wenn Liebe ihn durchdringet, Die heisse Götterlust, Und wenn er siegend singet, Aus tiefbewegter Brust." „Fühlt dann sich so gewaltig, 'ner Rieseneiche gleich, Steht da, so gottgestaltig, In seinem Wunderreich." „Schlürft heiß in langen Zügen, Den Zauberbalsam ein, Kann nimmer sich genügen, 5 10 15 20 25 Und schwelgt im Aetherschein."| |20)| „Doch auch die Liebeswonne Wird dem Armen zur Seelenpein, 30 . Und in die helle Sonne Wirft ein Gott den Schmerz hinein." „Der Sänger soll nur hoffen, Bis ihm der Busen bricht, Den Himmel sieht er offen, Erfassen darf er ihn nicht." 35 492 Buch der Liebe. Erster Teil „Drum nur, wie Glühn der Sterne, Das hohen Himmel schmückt, In weiter, weiter Ferne Ist meine Liebe entrückt." „Mir darf nur die Göttin erscheinen, Wie aus fernem Aetherland, Ich darf nur stille weinen, Den Blick zum Himmel gewandt." | |21)| „Der Sang allein ist geblieben, Die ewige Himmelsgluth, Und die Seele wird noch getrieben Auf seiner Klangesfluth." „Hier darf ich noch umschlingen Alle Höhen und Tiefen der Brust, Hier darf noch frei erklingen, Das Ewige, Sehnen und Lust." „O! dürfte die Seele verhauchen In heissem Sängerdrang, Dürft' sie noch sterbend sich tauchen In Harmonie und Gesang!" „Wenn die Welten noch einmal entstiegen, Aus tiefer Brust sich aufgethan, Dürft' ich dann sterbend siegen, Verklärt der Geliebten nahn!"| |22)| Und über die bleichen Wangen 'ne grosse Thräne rollt, Und des Busens tiefem Verlangen Der Greis ein Opfer zollt. Und noch einmal stimmt er die Saiten, Noch einmal erschallt es hehr, Dann läßt er die Leier gleiten, Und singet nimmermehr. 5 10 15 20 25 30 493 Literarische Versuche |23)| Das bleiche Mädchen. Bailade. Das Mägdlein sizt da so bleich, So still und verschlossen, Die Seele, engelweich Ist trüb und verdrossen. Da lacht kein Strahl hinein, Da treiben die Wogen, Da spielen Liebe und Pein, Die sich wechselnd betrogen. Sie war so fromm, so mild, Dem Himmel ergeben, Der Unschuld seeliges Bild, Das Grazien weben. Da kam ein Ritter hehr Auf prunkendem Rosse, Im Auge ein Liebemeer Und Gluthgeschosse.| |24)| Das traf so tief in die Brust, Doch er zog von dannen, Hinstürmend in Kriegeslust, Nichts mag ihn zu bannen. Und die stille Ruhe geflohn, Der Himmel gesunken, Das Herz des Jammers Thron, Und sehnsuchtstrunken. Und wie es nun Abend ist, Da wirft sie sich nieder, Hin vor den heiligen Christ, Und betet wieder. Doch zwischen seine Gestalt Ein and'rer sich dränget, Der faßt sie mit Allgewalt, Wie sie's Herz auch zwänget. | 5 10 15 20 25 30 494 Buch der Liebe. Erster Teil |25)| „Bist doch das Liebchen mein, Und für stets mir eigen, Dem Himmel magst du zum Schein Die Seele zeigen." Da ergreift es sie graus, Wie Eises Beben, Und sie stürmt entsezt hinaus, Vom Dunkel umgeben. Sie ringt die Lilienhand, Und bricht in Thränen: „So ist die Brust entbrannt, Und das Herz voll Wähnen." „So ist der Himmel geraubt, So bin ich verloren, Der Geist, der an Gott geglaubt, Ist der Hölle erkoren."| |26)| „Doch ach! er war so groß, So gottgestaltig, Das Auge so bodenlos, So hehr und gewaltig." „Und hat mich nicht gesehn, Keinen Blick mir gesendet, Und läßt mich trostlos vergehn, Bis die Seele endet." ,,'ne Andre umschlingt sein Arm Und darf ihn pressen, Und ahnt nicht meinen Harm So unermessen." „Wie gern gab' ich Seelenheil Und all mein Hoffen, Würd' mir sein Blick zu Theil, War' sein Herz mir offen."| |27)| „Wie kalt muß der Himmel sein, Den er nicht durchglühet, Ein Land voll Sehnsucht und Pein, Und Schmerz durchsprühet." 5 10 : 15 20 25 30 35 495 Literarische Versuche „Hier rauschet Welle und Fluth, Die mögen kühlen, Des Herzens rasende Gluth, Und der Seele Fühlen." Und sie wirft sich mit Macht In die sprudelnden Wogen, Und in düstere kalte Nacht Wird sie fortgezogen. Und das Herz, das so heiß empfand, Darf nicht weiter pochen, Und der Blick, ein Flammenland, Ist stumm und gebrochen. | |28)| Und die Lippe, so süß und mild, Ist entfärbt und gebleichet, Und ihr schlankes Aetherbild Im Nichts entweichet. Und es fällt kein weinendes Laub Von den Zweigen nieder, Die Erde, der Himmel sind taub, Erwecken nicht wieder. Und die Welle rauscht ruhig fort Durch Thal und Klippen; Am harten, felsigen Ort Zerschmettern die Rippen. Und den Ritter hehr und groß 'ne Buhle umschlinget, Und von Glück und Liebesloos Die Zyther klinget. | (29)| Lucinde. Ballade. Freudig wogten rings die Reihen, Leben schien mit Lust vermählt, Und dem Glücke sich zu weihen, Hielt sich jeder auserwählt. 5 10 15 20 25 30 496 Buch der Liebe. Erster Teil Höher blizt das Roth der Wangen, Rascher flieht des Herzens Lauf, Und ein seeliges Verlangen Trägt zu Himmeln kühn hinauf. Bruderkuß und Herzenseinung Schliesset alle in den Kreis, Nicht mehr trennen Stand und Meinung, Liebe herrscht und ihr Geheiß. Doch's ist nur ein nichtig Träumen, Das das warme Herz umfängt, Das aus Staub und Erdenräumen Sich zum Aether wagend drängt. | 130) I Götter können nimmer schauen, Daß der Ird'sche sich vergißt, Daß er seelig im Vertrauen Himmel mit dem Erdengeist durchmißt. Und es schleicht mit Dolch und Schneide Durch die Reihn ein trüber Gast, Seine Brust entbrennt vom Neide, Hohn sein armes Herz erfaßt. Denn sie war ihm Lieb' und Leben, Die im Brautkranz heute prangt, Hatte schon das Wort gegeben,' Und das Herz, das er verlangt. Ruhig war er hingegangen, Zu erkämpfen hohes Gut, Götter krönten sein Verlangen, Und es siegten That und Muth.| |31)| Und er kehret Ruhmbekränzet, Zu der stillen Stadt zurück, Wo sein schönstes Kleinod glänzet, Wo ihn Sehnen ruft und Glück. Schon erschauet er die Zinnen, Seine Brust erträgt es kaum, Alles darf er jezt gewinnen, Und zum Wesen wird der Traum. 5 10 15 20 25 30 35 497 Literarische Versuche Eilend stürzt er zu der Schwelle, Zu dem vielgeliebten Haus, Es erglänzt in Lampenhelle, Gäste wogen ein und aus. Doch den Gast, den ungestümmen, Hält ein Diener hemmend auf: „Fremdling, willst das Dach erklimmen, Wohin stürmt dein blinder Lauf?" | |32)| „Scheinst hierhin nicht zu gehören, Trägst kein gülden Festgewand, Kannst die Freude nur uns stören, Bist aus einem fernen Land." „Mensch! ich frage nach Lucinden!" Und der Diener staunend schaut: „Heute kann die jeder finden, Denn Lucinde, sie ist Braut." Und der Fremde steht betroffen, Der Athletenhohe wankt, Stier reißt er das Auge offen, Bis er zu der Pforte schwankt. „Festlich mußt du hier erscheinen An dem frohgeschmückten Ort, Willst du dich den Gästen einen." Schallt des Dieners rauhes Wort. | 33) I Stolzverbissen kehrt er eilend Auf dem wehbekannten Weg, Wuth und Schmerz, den Busen theilend, Halten Geist und Auge reg. Und er stürzt mit Sturmesschritten Nach der eig'nen Wohnung hin, Und vor seinem Stoß und Tritten Thür und Riegel offen fliehn. Raubt der Dienerin die Leuchte, Wehrt der Hand, die zitternd trägt, Angstschweiß deckt die Stirn, die feuchte, Die der Arme stumm sich schlägt. 5 : 10 15 20 25 30 35 498 Buch der Liebe. Erster Teil Einen Mantel läßt er prangen, Purpurn von der Schulter walin, Schmücket sich mit gold'nen Spangen, Läßt das Haar herunterfalln. | |34)| An des Busens Heiligthume Preßt er goldverziert ein Schwerdt, Schwang es einst zu hohem Ruhme, Seiner, der Geliebten werth. Rückwärts trägt auf Windesflügeln Ihn sein Schritt zum frohen Sitz; Ach! er kann sein Herz nicht zügeln, Und die Bücke rolln Vernichtungsblitz. Bebend tritt er in die Pforte, In das helle Festgemach, Parzen sprechen Fluch und Worte Ihrem Opfer zischend nach. Stummgebeugt naht er und trauernd, Stolz verhüllt in Prachttalar, Alle Gäste packt es schauernd, Allen scheint er wunderbar. | |35)| Wie ein Geist scheint er zu schreiten, Einsam durch den vollen Saal; Doch die Paare weiter gleiten, Und es schäumt der Festpokal. Mögen auch die Reihen schwellen, Nur Lucinde glänzt hervor, Und in üppig vollen Wellen Strömt die Brust aus leichtem Flor. Jeden faßt ein still Verlangen, Faßt's mit tiefer Allgewalt, Alle Bücke sehnend hangen An der schwebenden Gestalt. Und das Aug' voll Geistesregung, Lacht in unbewölktem Glanz, Und in Grazienbewegung Führt sie fort den bunten Tanz. I 5 10 15 20 25 30 35 499 Literarische Versuche 36)| Schwebet leicht an ihm vorüber, Der nicht von der Stelle weicht, Und ihr Gluthenblick wird trüber, Und die Purpurwange bleicht. Und der Schaar will sie sich mischen, Von dem Fremdling abgewandt, Da erschallt ein höhnend Zischen, Und ein Gott hält sie gebannt. Und er mißt sie groß und strenge, Wagt es finster ihr zu nahn, Und versteinert steht die Menge, Und sie blickt sich fragend an. Doch Lucinden's Hauch und Kehle Scheint von Göttern zugepreßt, Nach Erholung ringt die Seele, An der Zofe hält sie fest. | |37)| „Ha! so muß ich treulos finden, Dich, die längst mir angetraut, Dich meineidig, dich Lucinden, Dich als eines andern Braut!" Und die Menge will ihn fassen, Scheut sein Thun am frohen Ort, Doch er schleudert weg die Massen, Und wie Donner tönt sein Wort: „Keiner wage mich zu stören!" Und die finstern Augen grolln, Und sie müssen auf ihn hören, Und dem Schmerz ein Opfer zolin. „Nimmer will ich sie verletzen, Fürchtet nimmer für ihr Heil, Schauspiel soll sie nur ergetzen, Gastlich geb' ich ihr's zu Theü."| J 38) I „Magst nur rasch dich weiterschwingen, Ganz der frohen Lust geweiht, Magst den Buhlen nur umschlingen, Bald bist du von mir befreit." 5 ; io •-•·. 15 20 25 30 35 500 Buch der Liebe, Erster Teil „Auch ich werde heut' begehen Einer Hochzeit bunte Pracht, Hab' mich anders umgesehen, Meine Braut ist Dolch und Nacht." „Doch noch einmal laß mich saugen Wollust aus dem Blick und Gluth; So! nun seh' ich deine Augen, Und du schauest jezt mein Blut." Rasch durchbohren ihn die Klingen, Die er lange schon gezückt, Und die Lebensfäden springen, Und die Nacht sein Auge drückt. | |39)| Dumpf und krachend stürzt er nieder, Jede Muskel bricht entzwei, Tod umhüllet Pracht und Glieder, Und kein Gott erweckt ihn neu. Und Lucinde stumm ergreifet Dolch und Schneide zitternd schnell, Und das Eisen schon sie streifet, Und es springt der Purpurquell. Doch die Zofe, rasch besonnen, Bebend vor des Blutes Strahl, Hat die Waffe schon gewonnen, Reißt ihr weg den scharfen Stahl. Und sie sinkt, durchbohrt von Schmerzen, Trauernd auf den Leichnam hin, Saugt das Blut von seinem Herzen, Und läßt ihres in es ziehn. | |40)| Und die weisse Gazbedeckung, Die den schlanken Leib umschließt, Färbet sich in Blutbefleckung, Die sich sprudelnd drüber gießt. Und sie bleibet lange hangen, Klammernd an dem theuren Mann, Und er lebte, wenn Verlangen Einen Todten neu beseelen kann. 5 10 15 20 25 30 35 501 Literarische Versuche Hebet dann sich bleich und blutend Von dem Mann, den sie erkohr, Und die Menge murmelnd, fluthend Schreckt entsezt und bang empor. Eine Göttin, selbst sich richtend, Dem Verderben auserwählt, Hebet sie den Blick vernichtend Zu dem Mann, der ihr vermählt. | 1-4-1) j Und ein Lächeln, eisig, höhnend Ziehet um den bleichen Mund, Und ein Angstschrei, dumpf und stöhnend Thut den Wahn entsetzlich kund. Und zerstiebet sind die Reigen, Alles fliehet ohne Wahl, Und die lauten Zymbeln schweigen, Und verödet ist der Saal. 1 |42)| Sängerliebe. An Jenny. Ewig muß der Sänger lieben, Ewig glühend, ewig fest, Bis die Fluth ihn weggetrieben, Bis der Odem ihn verläßt. Was er einmal festumschlungen, In des Herzens tiefem Ort, Was die Seele ihm durchdrungen, Ewig brennt's im Geiste fort. Und er sucht's in allen Räumen, Prägt's in allen Formen aus, Sucht's in tiefen Ahnungsträumen, Sucht's im hohen Aetherhaus. 5 10 15 20 - 25 30 502 Buch der Liebe. Erster Teil Er nur kann es rein erhalten, In des Himmels zartem Schmuck, Denn des Busens Gottgewalten Wahren ihn vor Erdendruck. | j4-3)J Peitscht ein Dämon ihn durch's Leben, Ohne Frieden, ohne Rast, Wird das Glück ihm nie gegeben, Weil ihn Sehnen stets erfaßt; Dafür darf er ewig glühen, Bleibt ihm Jugend und Gefühl, Und die Funken nie versprühen In der Erde Dranggewühl. Einen grossen Tausch hat er gewaget, Weil's ein Gott ihm anbefahl, Aller Lebenslust entsaget Für des Schönen Wonnequal. Denn das Schöne ist ein Sehnen, Ist ein schwankend zarter Schein, Muß auf Geister fest sich lehnen, Schwebet in den luft'gen Reihn. | |44)| Und es steiget nur hernieder, Wo ein Gott im Busen ruht, Wärmet seine zarten Glieder An des Herzens tiefer Gluth. Diese mag es nur zu halten, Hält es stark und liebewarm,. Wo noch and're Geister walten, Flieht es aus dem Erdenarm. Darum herrscht in den Gefilden Ew'ges Sehnen, ew'ger Schmerz, Ringen ist des Dichters Bilden, Seine Kunst ein grosses Herz. Nur die Liebe bannt die Worte An der Seele warmen Hauch, Zieht den Geist aus hohem Orte In des Bildes Schwall und Rauch. I 5 10 15 20 25 30 35 503 Literarische Versuche |45)| Wenn die Göttin niedersinket, Wenn es ausgeflammt das Licht, Harmonie im Nichts ertrinket Und die schöne Form zerbricht. Darum halten warm die Musen, Bis die Geister ausgehaucht, In des Dichters vollem Busen, Was ein Gott in ihn getaucht. Darum halt ich Gluthumfangen Jenny, Dich im Aetherschein, Bleibt auch Sehnen mein Verlangen, Wirst Du nie mein eigen sein. Darum denk' an Deinen Sänger, Wenn ein andrer dich umschlingt, Wenn Dein Busen bang und bänger Voll an seinen Busen dringt. | |46)| Wie er wild umhergetrieben, Hoffnungslos durch Ewigkeit, Dich nur, Jenny, mag zu lieben, Dir nur seine Lieder weiht. Wie er in sich selbst verschlossen Selber ringend sich verzehrt, Wie das Glück, das er genossen Nur die tiefe Pein vermehrt. Seh' ich einst in hoher Feier, Einem Gatten Dich vermählt, Dann tönt einmal noch die Leier Gluthgesang, der Dir erwählt. Hat das Lied Dein Aug' erhellet, Dann erlieg ich meinem Schmerz, Und die Leier ist zerschellet Und geknickt des Sängers Herz. 1 5 10 15 20 25 30 504 Buch der Liebe. Erster Teil |47)| Der Wilden Brautgesang. Ballade. Sie tritt aus Schilf und Röhren Im lockig schwarzen Haar: „Mir soll nicht mehr gehören, Was stets mein eigen war." „Ich lauschte hier den Wellen, Dem hohen Wasserfall, Und schlürpft' aus seinen Quellen, Und bebt' vor seinem Schall." „Hier floh auf Fels und Stegen Vor mir das Reh, so schlank, Bis es dem Pfeil erlegen, Und sterbend niedersank." „Hier hab ich eine Eiche Mir selber großgezielt, Die hohe, schattenreiche, Die mit dem Blitze spielt." | J48)| „Hier flocht' ich mir aus Zweigen, Aus weichem Laub und Moos, In kunstgezierten Reigen Den Kranz, so voll, so groß." „Den weiht' ich frommgeschäftig Den Geistern in der Luft, Die wohnen schön und mächtig Jezt in dem Balsamduft." „Hier irrt' ich in dem Brausen In Donnersungestüm, Wenn die Dämonen hausen In Schrecken und in Grimm." „Hier lag ich hoch und prangend, Wenn alles rings gelacht, Hier schaut' ich still verlangend In Dunkel und in Nacht."! 5 10 15 20 25 30 505 Literarische Versuche |49)| „Stieg wagend oft in Tiefen, Zu suchen einen Schatz, Man sagt, daß viele schliefen Am stillverborg'nen Platz." „Und alles soll ich missen, Verlassen Vaterhaus, Die Kränze sind zerrissen, Die Jugend, sie ist aus." Sie wirft sich bebend nieder, Die Brust pocht bang und laut, Sie schlägt sich stumm die Glieder, Die wilde braune Braut. Rings ist sie eingeschlossen Von Berg und Gruft und Stein, Und liegt dahingegossen Ein Bild von dumpfer Pein. | 150) j Die langen Haare rollen Wohl um den schlanken Leib, Da hört man's ferne grollen, Es naht ein ältlich Weib. Das Alter hat gezogen Viel Falten in's Gesicht, Aus starkgeschnitt'nen Wogen Die harte Seele spricht. Die Farbe scheint getauchet In Düster und in Nacht, Der Blick nicht Müde hauchet, Und keine Muskel lacht. Sie hebt sich stämmig ragend So wie ein Fels empor, Aus Glas 'ne Kette tragend Und Ringe in dem Ohr. | |51)| „Was eilst du weg vom Hause, Du ungehorsam Kind, Komm mit zum Hochzeitschmause, Wo viele Gaben sind." 5 10 15 20 25 30 35 506 Buch der Liebe. Erster Teil „Da will ich reich dich schmücken, Mit Ringen und mit Stein, Koralln an's Herz dir drücken, Die Schönste sollst du sein." „Ein Kleid hab' ich gewebet Aus zartem Stroh und Halm, Und zitternd drüber bebet Des Weihrauchs süsser Qualm." „Komm! alle Nachbarn bringen Dir Gaben, reich und viel, Und Festgesänge klingen, Und buntes Hochzeitsspiel." | |52)j Die Tochter blickt entsetzet Zur Mutter bebend bang, Ihr Herzblut ist verletzet, Dann tönt's, wie Grabgesang: „Ist Platz nicht in der Hütte Für alle aufbewahrt? Ihr treibt aus eurer Mitte, Die sich so gern euch paart." „Ich soll dem Mann mich schmiegen, Soll seine Sklavin sein, Mich ihm, dem Rauhen fügen, Mich ihm als Opfer weihn!" „Frei darf der Rehbock jagen Durch Busch und Berg und Thal, Frei darf der Vogel wagen, Den Flug in Licht und Strahl."] 53) I „Frei darf das Wasser strudeln Von Klipp' und Felseshöhn, In Tropfentanz und Sprudeln Sich wonniglich ergehn." „Und ich bin angekettet Für stets dem rauhen Mann, Kein Gott mich mild errettet, Aus Sklaverei und Bann." •• 5 10 15 20 25 30 35 507 Literarische Versuche „Wenn wir das Wild erlegen, Sträubt es sich sterbend noch, Die Rosse, die wir hegen, Sie bäumen unter'm Joch." „Die Bäume, die wir fällen, Sie stürzen krachend dumpf, Und wie ein Geistergellen Hallt es aus ihrem Rumpf." | |54)| „Und ich, die, wie ihr saget, Vom guten Geiste stammt, Die hoch den Nacken traget, Bin Sklavin und verdammt!" „Mein Alles muß ich geben, Den Leib, der unentweiht, Der schlanker als die Reben, Den Busen, voll und breit." „Mein Alles wird sein eigen, Des Odems warmer Hauch, Ich muß mich zuckend neigen, Nach Opfers Wehebrauch." „Was ich mir froh erworben, Was ich mir liebgewann, Euch bin ich nun gestorben, Und nur dem harten Mann."| |55)| „ 0! laßt mich fliehn in Buchten, Dem Raubthier zugesellt, Wo sich in Fels und Schluchten Der Schreck entgegenstellt!" „So lieb ist mir die Stätte, So werth der stille Raum, Zum Grab wird mir das Bette, Zum Grab der Hochzeitsbaum." Aus der Mutter rauhen Zügen Eine mild're Sonne spricht, Als wenn Geister aus ihr schlügen Voll Erin'rung und voll Licht. 5 10 ," 15 20 25 30 35 ; 508 Buch der Liebe. Erster Teil „Bei der Dämm'rung darfst du hören, Was dein Gatte kühn gethan, Wie nicht Kluft und Fels ihn stören, Wie vergebens Feinde nahn."| |56)| „Zarte Kinder darfst du pflegen, An dem Busen liebewarm, Darfst dich kosend bei sie legen, Darfst sie pressen in dem Arm." „Ha! mich kann es nimmer freuen, Wenn er kämpfet, wenn er siegt, Denn er wird den Sieg erneuen Bei der Armen, die erliegt." „Geissein wird er meine Kleinen, Die ich an dem Busen trug, Und noch fröhlich muß ich scheinen, Wenn nur mich sein Schilfrohr schlug." Doch das Herz der rauhen Alten Hat nur plötzlich aufgeblizt, Und die Züge schon erkalten, Starrsinn eisig drüber sizt. | |57)| „Glaubst du dich erhaben allen, Willst du besser als wir sein? Was uns längst schon zugefallen, Dir auch werde Druck und Pein!!" „Willst du nicht dich folgsam wenden, Schlepp' ich dich zur Wohnung hin, Werd' ich dich mit meinen Händen An dem Haar zum Festbaum ziehn." „Sei's! ich will mich ihm ergeben, Folgen zu des Fluches Haus!" Und die Nerven alle beben, Und das Haar es sträubt sich kraus. Dumpf zerschmettert stürzt sie nieder, Und ein Schrei heult aus der Brust, Dann erhebt sie rasch sich wieder, Folget zu dem Sitz der Lust. | 5 10 15 20 25 30 35 509 Literarische Versuche 58) I Und die Berge stolz sich lehnen, Und der Himmel golden lacht, Denn er kennt nicht Menschensehnen, Freut sich ruhig seiner Pracht. Knospen schwellen, Blüthen prangen, Denn nichts Grosses ist geschehn; Eine Seele Todtumfangen, Und ein Herz muß stumm vergehn. |59)| Trennungsabend. An Jenny. I Sie schritten vor uns munter In schnelleförderndem Lauf, Die Welten gingen uns unter, Und tauchten sich schöner auf. Wir wollten nimmer eilen Vom freien Himmelsort, Erst Seele und Athem theilen, Dann rissen wir bebend uns fort. Der Sternenhimmel lachte, Doch sahen wir ihn nicht, Denn schöner in uns erwachte Ein ewiges Gluthenlicht. Die Häuser und Mauerwalle, Sie wichen im Nichts zurück, Denn höher als sie alle Und bodenlos war der Blick. | |60)j Ich war so ganz versunken In Deine hehre Gestalt, Ich war so liebetrunken, Berauscht von Deiner Gewalt. 5 10 15 20 25 510 Buch der Liebe. Erster Teil Wir flüsterten heimlich Worte, Die niemand sonst vernahm, Der Schall wie durch Geistespforte Aus vollem Busen kam. Doch konnte er nimmer umranken, Was tief in uns erscholl, Den grossen Allgedanken, Der aus der Seele quoll. Und mehr als Wort' und Laute Sprach unser Händedruck, Der Blick, der unendlich schaute, Das war Dein schönster Schmuck. | | 6 1 )| π Die anderen konnten sich freuen, Nichts als sich freuen nur, Wir konnten nur erneuen Der Seele Liebesschwur. Du gabst mir heimlich leise Dein schön braunlockigtes Haar, Geflochten in Ringesweise So künstlich und wunderbar. Darunter steht geschrieben, In Flammenwindung gebannt, Dein Namen, er tönt wie Lieben, Tönt süß wie aus besserem Land. Nur Engel dürfen ihn tragen, So voll, so melodisch-und weich, Aus seinen Zügen schlagen Mir Götter und Aetherreich. | | 6 2 )| Von braunen Locken umhüllet Verbirgt er verschämt sich und hold, Ist mehr als Bücher gefüllet Von Liedern und Liebessold. 5 10 15 20 25 30 511 Literarische Versuche Ich habe noch nie gelesen In einem Blatt so viel, Die Seele mußte genesen, Wie durch ein Zauberspiel. Vergebens war ich getrieben Im Foliantenmeer, Das Herz war krank geblieben, Die volle Seele leer. Doch jezt hab ich gefunden Ein süsses Zauberbuch, Und kräftig zu gesunden, War Jenny, Dein Name genug. |63)| III Ich preß' die Locke am Morgen, Sobald ich aufgewacht, Ich halt' sie am Herzen verborgen, In dämmernder Sehnsuchtsnacht. Da ruft sie mir schöne Träume, Aus tiefer Seele empor, Trägt mich in ferne Räume, Die ein Gott Dir zum Sitz' erkor. Und sind die Lieder verklungen, Hat der Busen ausgehallt, Dann halt' ich sie liebesumschlungen, Und von neuem die Zyther schallt. Und Geister hüpfen leise Um mich im Liebestanz, Und lehren mich neue Weise, Und es schwillt der Blüthenkranz. | [64)I Ich mein', ich könnte nicht enden, So klingt es ewig fort, Zum Flammenreich mich zu wenden, Zu einen Seele und Wort. 5 TO 15 20 25 30 512 Buch der Liebe. Erster Teil Du tönest durch die Lieder, Dein Hauch sich durch sie bewegt, Du beginnest und endest sie wieder, Die Du selber aufgeregt. Was ich früher gewagt und gesehnet, Wie war es so ungestalt, Hin in die Weite gelehnet, Es fehlte der Seelenhalt. Jezt hast Du mir ihn gegeben, Jezt irr' ich nicht ohne Wahl, Es entsteigt ein schöner Leben, Du bist sein Sonnenstrahl. | |65)| IV Ich gab Dir schwellende Blüthen, Wie neid' ich ihr süsses Loos, Daß sie am Busen erglüthen, So seelig lebegroß. Sie dürfen wiederstrahlen Der Göttin vollen Schein, Und in ihren Farben mahlen Sich Seele und Auge Dein. Sie dürfen bei Dir sterben, Dir Zauberbalsam wehn, O! dürft' ich so seelig verderben, In Deinen Armen vergehn! Doch ach! vielleicht schon zerrissen Dein Blick sie nicht mehr erreicht, Und wie sie Hege missen, Mein Bild aus der Seele weicht. | |66)| Es war nur aufgegangen In nichtigem Selbstbetrug, Und nicht mehr fühlst Du Verlangen Und Deine Liebe war Trug. 5 10 15 20 25 30 513 Literarische Versuche Du hattest mir nur empfunden, Vom Augenblicke berauscht, Bist nicht für ewig gebunden, Hast mich um Höh'res getauscht! Du wolltest nicht vernichten Des Jünglings stolzen Wahn, Zu mild, um ihn zu richten, Trug Dich selber die Gluth hinan. Und wie er fortgezogen, Der Dir so heiß empfand, Da stürzte sein Bild in die Wogen, Gebrochen war das Band.l 67)| V Es schlugen Zwölf die Glocken, Da hielt ich Dich bebend warm, Und wühlt' in den braunen Locken, Und preßt' Dich in meinen Arm. An jener heü'gen Stelle, Da tanzte Geisterschaar, Sie glühte sonnenhelle, So düster die Nacht auch war. Du wandtest zu mir die Augen, Die Liebe großgenährt, Ich durfte da Wollust saugen, Ich sah Dein Antlitz verklärt. Du warst so liebesprühend, So hehr, so warm und mild, In Lieb und Schmerz erglühend Der Schönheit reinstes Bild. |68)| Da ward die Nacht zerrissen, Ich sah im vollsten Licht, Von Staunen hingerissen Der Erde schönst' Gedicht. 5 10 15 20 25 30 514 Buch der Liebe. Erster Teil So hatt' ich's einst geschauet, Begeistert in der Brust, Doch rings von Flor umgrauet, Und schwankendunbewußt. Jezt dürft' ich kühn es halten, Zum Gotte eingeweiht, Die schwebenden Gestalten, Sie wurden Wirklichkeit. Ich sah das Ewigschöne, In Zauberform gebannt, Verdichtete Klangestöne, Den Himmel im Erdenland. | |69)| VI Und nichtig war nicht mein Sinnen, Das nach ihm aufgestrebt, Das Höchste wollt' ich gewinnen, Es schaun, wie es glüht und lebt. Ich sucht's im Land der Ideen, In fernen Phantasien, In warmer Lüfte Wehen, In gold'ner Sterne Ziehn. Doch nimmer konnten sie stillen Der Seele heiß Begehr, Wo warme Pulse nicht quülen, Da herrscht es nimmermehr. Jezt hab' ich es belauschet In seinem hellsten Strahl, Die Seele noch bebend rauschet Von Schönheitslust und Qual. | |70)| Ich hielt Dich schwebend, tragend, Zu sichern das theure Gut, Die Arme um dich schlagend, Dich pressend an Herzensgluth. 5 10 15 20 25 30 515 Literarische Versuche So war' ich gern gestürmet Bis an das Ende der Welt, Wo das Nichts sich ragend thürmet, Wo ein Gott sich entgegenstellt. Doch ach! wir kamen zum Sitze, Der neidisch Dich umfängt, Wo zwischen Seelenblitze Die Trennung sich höhnend drängt. Ich hielt Dich noch einmal umschlungen, Ich preßte Deine Hand, Und die Pforte war zugeklungen, Und uns trennen Fluthen und Land. |71)| Die Zerrißne. Ballade. I. Sie steht im Prachtgewände, Von Purpurkleid geziert, In zartem Atlasbande, Das sich im Busen verliert. Und spielend in den Locken Ein Rosenkranz ihr ruht, Die einen gleich Schneesflocken, Die andern, wie Feuer und Blut. Doch nimmer der Rose Flammen In ihrem Antlitz spielt, Sie sinket gebeugt zusammen, Wie ein Wild, das der Pfeil erzielt. Sie blicket so bleich und so bebend In vollem Demantenschein, Das Blut von der Wange strebend, Es schlägt in's Herz hinein. | 5 10 15 20 25 30 .-•· 516 Buch der Liebe. Erster Teil |72)| „Schon wieder mußt' ich eilen, Zu stürzen in leere Lust, Die Schritte schwebend theilen, Gepreßt in tiefer Brust!" „Mir schlägt ein ander Verlangen Durch der Seele wogend Meer, Als mich an Pracht zu hangen, So kalt, so liebeleer!" „Ich weiß mir nicht zu erklären, Was in dem Busen brennt, Der Himmel kann's nur gewähren, Kein irdischer Laut es nennt." „Und keinem darf ich's vertrauen, Sie spotten meiner nur, Vermögen nicht zu schauen In tiefere Natur." „Ach! dürft' ich fliehen, fliehen Zum Aether hoch hinauf, Doch Stürm' und Wogen ziehen Mich fort im Erdenlauf." „Ich möcht' so gerne sterben, Im Schmerze untergehn, Den Himmel zu erwerben, Und schöner Land zu sehn!"| |73)| Sie schlägt den Bück mit Thränen, Hinauf zum Himmelslicht, Und ihres Busens Wähnen In stummen Seufzern bricht. Dann legt sie leis sich nieder, Und spricht ein tief Gebet, Und Schlaf umhüllt die Glieder, Und ein Engel über ihr steht. 5 10 15 20 25 30 517 Literarische Versuche II. Und Jahre zogen herüber, Die Wangen fielen ein, Sie wurde still und trüber, Sank mehr in sich hinein. Vergebens sucht sie zu kämpfen, Zu stillen den tiefen Schmerz, Die Riesengewalten zu dämpfen, Es springt das volle Herz. Sie lag einst wieder versunken Im Bette ohne Rast, Schien schon im Nichts ertrunken, Vom Schlage tief erfaßt. Der Blick ist aufgerissen, Er schaut so hohl und irr, Scheint nicht mehr von sich zu wissen, Sie redet geisterwirr. | |74)| Und aus dem Auge quillet Ein Blutstrom ohne Wahl, Da scheint der Schmerz gestület, Da blizt es wie Geistesstrahl: „Ich seh' den Himmel offen, Mich faßt's so seltsam an, Zum Wesen wird mein Hoffen, Ich darf den Sternen nahn." So bebt's von den Lippen, den bleichen, So hallt die Seele aus, Die zarten Geister weichen, Und fliehn zum Aetherhaus. Hin trieb sie ein tiefes Streben, Dort zog sie's wie Zauberband, Zu kalt war ihr das Leben, Zu arm das Erdenland. 5 10 15 20 25 30 518 5 10 15 20 25 30 Buch der Liebe. Erster Teil 1*75)1 Schlußsonette. An Jenny. I) So nimm sie hin, die Lieder alle, Die Liebe Dir zu Füssen legt, Wo frei in vollem Lyraschalle Der Seele Gluth sich hinbewegt. O! wenn von ihrem Widerhalle Dein Busen sehnend aufgeregt, Dein Puls in rasch'rem Lauf und Falle An's hehre Herz gewaltig schlägt, Dann tönt's zu mir aus jenen Weiten, Wo leicht Dich trägt Dein Siegesgang. Dann darf ich kühner ringen, streiten, Dann klingt mein Lied verklärt und freier, Dann wagt sich höher mein Gesang, Dann weint vor Wehmuth meine Leier. Π) Mir kann kein Erdenruhm gewähren, Der weit durch Land und Menschen dringt, Den frohbesieget alle nähren, Wenn's bebend weiter durch sie klingt, Was Deine Blicke, wenn sie sich verklären, Dein Herz, wenn's warm die Gluth umschlingt, Was nur zwei tiefbewegte Zähren, Die mein Gesang dem Aug' entringt. Und gern verhaucht' ich alle Geister Dahin im tiefen Lyraton, Und fühlte sterbend mich als Meister, Könnt' ich dieß höchste Ziel erreichen, Erringen diesen schönsten Lohn, Von Lust und Schmerz Dich zu erweichen. | 519 Literarische Versuche |76)| III) Ach! diese Blätter dürfen fliegen, Sie dürfen Dir sich bebend nahn, Und meine Geister unterliegen, Vor Trennungsschmerz und Wahn. Und meine Phantasien wiegen Vergebens sich auf kühner Bahn, Ich darf das Höchste nicht ersiegen, Bald ist das Schmerzlichste gethan. Und wenn ich aus der Ferne kehre, Verlangend zu dem theuren Sitz, Umfaßt ein Gatte Dich, die hehre, Darf stolz an seine Brust Dich pressen, Und über mich rollt seinen Blitz Verzweiflung und Vergessen. I |77)| IV) Verzeih', wenn kühn Dir zu bekennen, Die Seelengluth Dir zu gestehn, Des Sängers Lippen heiß entbrennen, Die Flammenleiden weiterwehn. Kann ich mich von mir selber trennen, Und trostlos stumm in mir vergehn? Soll ich mich höhnend Sänger nennen, Nicht lieben Dich, die ich gesehn! So hoch ist zwar der Seele Wähnen, Du stehst so herrlich über mir, Doch ach! ich will ja nichts als Thränen, Will nur, Du sollst dem Sange lauschen, Verklärung ihm verleihn und Zier, Dann mag er dumpf im Nichts verrauschen. 5 in 15 20 25 30 Karl Marx 520 Buch der Liebe. Erster Teil Inhalt. 5 10 Die zwei Himmel. An Jenny. Die Nacht. An Jenny. Der Gedanken. An Jenny. Menschenstolz. An Jenny. Des Sängers leztes Lied. Ballade. Das bleiche Mädchen. Ballade. Lucinde. Ballade. Sängerliebe. An Jenny. Der Wilden Brautgesang. Ballade. Trennungsabend. An Jenny. Die Zerrißne. Ballade. Schlußsonette. An Jenny. S. 1—4. S. 5—7. S. 8. S. 9—13. S. 14—22. S. 23-28. S. 29-41. S. 42-46. S. 47-58. S. 59—70. S. 71-74. S.75—77. | 521 Buch der Liebe. Zweiter Teil Buch der Liebe Meiner theuren, ewiggeliebten Jenny v. Westphalen. Berlin 1836. November. ZWEITER THEIL. Buch der Liebe. Zweiter Teil |l)| Amulet. Jahre fliehn und schwanken, Endlos durch das All, Neigen sich und wanken, Nächtlich ew'ger Fall. Ich erschau sie lächelnd von dem hohen Sitz, ob sie wonnefächelnd, nahn, ob Sturm und Blitz. Weil ich jezt gefunden, Einen Talisman, Seine Kraft löscht Wunden, Treibt mich kühn hinan. Preisen ihn und nennen, Hauchen im Gesang, Allen Hohn entbrennen, Liebe, Seelenklang, Endlos tiefen Drang Nähren ist ihn nennen. |2)| Das Gift. Honig prangt an Deinen Händen, Und ich küßt' ihn rasch hinweg, Mir die Seele zu entwenden, Waren viel Dämonen reg. 527 5 10 15 20 25 Literarische Versuche Ach! das süsse Gift drang weiter, In die volle Brust zu ziehn, Und das Auge sonst so heiter, Mußte Schwermuth nun umfliehn. Hast Du mir das Gift gegeben, Süsse, holde Zauberin, . So nimm ganz mir Geist und Leben, Laß mein alles in dich ziehn. So nur kannst Du Wunden heilen, Die Dein süsses Gift genährt, Doch Du darfst nicht zaudernd weilen, Denn Das Gift am Leben zehrt. |3)| Pultlied. Da oben auf dem Pulte, Da steht ein Genius, Ihn tragen zarte Flügel, Er weiht mit Geist und Gruß. Sein Antlitz ist verkläret, Er hebt den vollen Arm, Sein Auge scheint zu lächeln, Als fühlt er lebewarm. Und sitz' ich ganz alleine, So ist er mein Gesell, Und schaut auf mich so milde Herab vom hoh'n Gestell. Dann quillen meine Lieder, So reich in Jugendkraft, Doch leiht er sie wohl nimmer, Ich weiß, wer sie erschafft. Es ist ein and'rer Engel, Der hehr im Herzen strahlt, Und nur in meinen Liedern Im Farbenschimmer mahlt. I 5 : 10 15 20 25 30 528 5 10 15 20 25 30 Buch der Liebe. Zweiter Teil 4)| Er ist so weit, so ferne, Und ist doch immer da, Ich kann ihn nimmer halten, Und stets ist er doch nah. |5)| Lied an die Sterne. Es tanzen eure Reigen In Schimmer und in Strahl, Und eure Bilder steigen, Und schwellen ohne Zahl. Hier bricht die schönste Seele, Hier springt das vollste Herz, Und gleich 'nem Goldjuwele Umfaßt es Todtesschmerz. Es hebt zu euch die Augen, Mit dunkler Allgewalt, Und will da Hoffnung saugen Und Ewigkeitsgehalt. Doch ach! ihr glüht nur immer, In ruh'gem Aetherschein, Und Götter werfen nimmer, Die GJuth in euch hinein. | 6)| Ihr seid nur Truggebilde, Von Strahlen flammt's Gesicht, Doch Herzensgluth und Milde, Und Seele habt ihr nicht. Und euer Schein ist Höhnen Für That und Schmerz und Drang; An euch zerschellt das Sehnen, Und Busens Flammensang. Wir müssen Leid ergrauen, Verzweiflend untergehn, Und dann zum Hohne schauen, Daß Erd' und Himmel stehn; 529 Literarische Versuche Daß, wenn wir auch zersplittern, 'ne Welt in uns ertrinkt, Kein Baumstamm muß zersplittern, Kein Stern herunter sinkt. | |7)| Sonst lägt ihr all begraben Im tiefen blauen Meer, Würd't keine Strahlen haben, Und längst kein Feuer mehr. Dann sprächt ihr stumm die Wahrheit, Und lögt nicht todte Pracht, Und prangtet nicht in Klarheit, Und ringsum war' es Nacht. 1 18)| Die zwei Sterne. Räthsel. Es wohnen weit in Himmelsferne Zwei goldumstrahlte, süsse Sterne, Die ewig voneinanderfliehn, Die ewig sich entgegenziehn. Sie strecken aus die lichten Schwingen, Damit sie einst zusammenklingen, Und dennoch ziehn sie weg die Hand, Sobald verknüpft erscheint ihr Band. Kannst, Jenny, Du die Sterne nennen? Doch will ich treulich Dir bekennen, Wir sind wohl nicht damit gemeint, Denn stets bin ich mit dir geeint. Hin! durch des Alles weite Massen, Durch Elementenkampf und Hassen, Strömt meine Liebe in Dein Herz, Strömt hin mein Sehnen und mein Schmerz. 5 10 15 20 25 30 530 Buch der Liebe. Zweiter Teil |9)| Meine Welt. Welten können nicht mein Sehnen stillen, Keines Gottes Zaubermacht, Höher als sie alle ist mein Willen, Der im Busen stürmisch wacht. Zog' ich in mich aller Sterne Glühen, Aller Sonnen Licht und Strahl, Nicht belohnt fühlt' ich mein kühnes Mühen, Nicht gestillt der Wünsche Zahl. Hin! in ungemeß'nem Kampf und Streiten, Wie ein ferner Talisman, Treibt's dämonisch mich in Nebelweiten, Darf ich nie dem Ziele nahm. Und doch ist's nur todter Stein und Trümmer, Der mein Sehnen all' umschließt, Wo in einen lichten Himmels S c h i m m er All mein Hoffen glühend fließt. | ] 10)j Und doch sind's nur enggemeß'ne Räume, Bang von Menschen eingeringt, Wo sie steht, die Grenze meiner Träume, Wo mein Wunsch nicht weiter dringt. Jenny! Kannst Du mich die Deutung fragen, Und der Worte Räthselsinn? Ach! dann würd' ich sie vergebens sagen, Nutzlos wäre mein Beginn. Schaue selbst in Deines Auges Glühen, Tiefer als des Himmels Grund, Heller als der Sonne Strahl und Sprühen, Und die Lösung wird Dir kund. 5 10 15 20 25 " 30 Schwelge kühn in Schönheit und in Leben, Presse Deine weiche Hand, Und die Lösung mußt Du selbst Dir geben, Kennst ein fernes Himmelsland. I 531 Literarische Versuche 11)| Ach! von Deiner Lippe nur ein Hauchen, Nur ein einzig warmes Wort, Und ich mußt' in Wahnbegeist'rung tauchen, Und es trug mich mächtig fort! Ha! es schlug mir so durch Nerv und Geister In der Seele tiefsten Sitz, Wie Dämonen, wenn der Zaubermeister, Auf sie schleudert Bann und Blitz. Doch, wie sollen Worte nichtig zwängen, Selber Nebelrauch und Schall, Was unendlich ist, wie Geistesdrängen, Wie Du selber und das All. 1 |l2)| Glöckner's Thurmlied. Es wanket, es bebet, Der Thurm, der Thurm, In Gewitter und Sturm; Der Staub, er hebet, Sich prasselnd empor, Und umhüllt mit Schauer, Die Kuppel und Mauer In dunkelem Flor. Ha! Häuser erzittern, Die Seele graut, Das Auge schaut, Und weint vor den Splittern, Die losgeprallt, Nach Freiheit ringen Und dumpf erklingen, Daß es weithin hallt. | |l3)| Lang war gebunden Die Riesenmacht In gold'ner Pracht, Vom Aether umwunden, 5 10 15 20 25 30 532 Buch der Liebe. Zweiter Teil Da brach sie entzwei Die prangenden Ketten, Erwacht aus den Betten, Und waltet frei. Was sie faßt und ereilet, Wo ihr Fuß hinwankt, Was sie schlängelnd umrankt, Das wird getheilet, Entsetzlich zerknickt, Bis Vernichtung und Trümmer, Und Asche und Schimmer Das Auge nur blickt. | |14) Und doch ist entstiegen Das Ungethümm Im Ungestümm In Riesensiegen, Aus Liebesverein, Den geschlossen die Mächte, Die Töchter der Nächte Im Blitzesschein. Es sprühte zusammen Ihr Seelenlicht, Ihr Geistergewicht In seinen Flammen, Da leuchtet er kühn, Und hellet Alle, Dann stürzt er im Falle, Im höchsten Bemühn. | |15)| Und vernichtet sinkend, Verhauchend den Geist, Der sich stürmisch entreißt, Versprudelnd, ertrinkend, Die eigene Kraft, Und rings, was im Prangen, Im Schönheitsverlangen, Ein Gott erschafft. 5 10 15 15 20 25 30 30 35 533 Literarische Versuche So blizt in der Liebe Der Geister Chor Vereint empor, Erd Himmelstriebe, Doch kaum erfaßt Sich die ganze Seele In einem Juwele, Dann stürzt sie und haßt. 1 |l6)| Der Lampe Licht. Als ich müd' und hingesunken Auf das Lager schlummernd fiel, Tief in Ahnungsgluth ertrunken, In dem Herzen krankes Spiel; Lispelt leise noch die Lippe Meiner kleinen Lampe zu: „Schaust ja, wie ein Geistgerippe, Bring' die arme Seel' zur Ruh!" Und mit einem leisen Hauche, Löscht' ich schnell die Flamme aus, Sie entstieg in dünnem Rauche, In der Nächte dunkles Haus. Ach! da neidet ich ihr Leben, Leuchtend war sie ausgeglüht, Leben hat ihr Tod gegeben, War in Traumes Reich versprüht. | |l7)| Wolltest Du mit leisem Wehen Löschen meiner Seele Brand, Dürft' ich dann hinübergehen In der Träume heilig Land! Nicht, wo Dunkel sich ergiessen, Nein, wo Deine Sonne strahlt, Deine Himmel, zarte Riesen, Spiegelnd voll Dein Auge mahlt. 5 10 15 20 25 30 534 Buch der Liebe. Zweiter Teil Ach! da wollt' ich ewig träumen, Und Du selber wärst der Traum, Perlen sollten mich umsäumen, Eingefaßt im Himmelsraum. Voller würd' mein Busen klingen, Hehrer stürmt' mein Herz hinan, Und im Kämpfen und im Ringen War' das Schönste bald gethan. J18) j Empfindungen. Nimmer kann ich ruhig treiben, Was die Seele stark erfaßt, Nimmer still behaglich bleiben, Und ich stürme ohne Rast. And're mögen nur sich freuen, Wenn's so recht zufrieden geht, Mögen Glückwunsch sich erneuen, Beten nur ihr Dankgebet. Mich umwogt ein ewig Drängen, Ew'ges Brausen, ew'ge Gluth, Kann sich nicht in's Leben zwängen, Will nicht ziehn in glatter Fluth. | 19)| Himmel such' ich zu erfassen, Und die Welt in mich zu ziehn, Und in Lieben und in Hassen Möcht' ich bebend weitersprühn. Alles möcht' ich mir erringen, Jede schönste Göttergunst, Und in Wissen wagend dringen, Und erfassen Sang und Kunst; Welten selber stark zerstören, Weil ich keine schaffen kann, Weil sie meinem Ruf nicht hören, Stummgekreist im Zauberbann. | 5 10 15 20 25 30 535 Literarische Versuche j20)J Ach! die todten, stummen gaffen Uns're Thaten höhnend an, Wir zerfalln und unser Schaffen, Und sie wandeln ihre Bahn. Doch ich möcht' ihr Loos nicht tauschen, 5 . Von der Fluth dahingejagt, Ewig fort im Nichts zu rauschen, Pracht, die stets sich selbst beklagt. Denn die Mauern und die Hallen, Alles stürzt im raschen Lauf, Kaum sind sie im Nichts zerfallen, Und ein neues Reich steigt auf. | 121) I Und so schwankt es durch die Jahre, Von dem Nichts bis zu dem All, Von der Wiege bis zur Bahre, Ew'ges Steigen, ew'ger Fall. Und so treiben tief die Geister, Bis sie selbst sich aufgezehrt, Bis sie ihren Herrn und Meister Selber schonungslos verheert. Darum laßt den Kreis durcheilen, Den ein Gott uns herrschend zog, Laßt uns Lust und Leiden theilen, Wie die Schicksalswage wog. | |22)| Darum laßt uns alles wagen, Nimmer rasten, nimmer ruhn; Nur nicht dumpf so gar nichts sagen, Und so gar nichts woll'n und thun. Nur nicht brütend hingegangen, Aengstlich in dem niedern Joch, Denn das Sehnen und Verlangen, Und die That, sie blieb uns doch. 10 15 20 .· : 25 : 30 536 Buch der Liebe. Zweiter Teil |23)| Abendstunde. Die Lampe brennt so stille, Und wirft mir milden Schein, Sie scheint mit mir zu klagen, Als kennt' sie meine Pein. Sie sieht mich stets so einsam, In meine Brust versenkt, Wenn tiefe Geistgestalten Die Phantasie erdenkt. Sie scheinet selbst zu ahnen, Daß ihr armflackernd Licht Vor einer Gluth versinket, Die aus dem Busen bricht. Doch ach! die Gluth, sie ruhet, Nicht in sich selber mehr, Es sind nur schwache Strahlen Aus Deiner Seele Meer. |24)| Klage. So muß ich nichtig ringen Im heissen Seelenstreit, Zu Dir hinanzudringen, Von Fesseln kühn befreit. Mir wird kein Liebeszeigen, Kein einzig, gütig Wort, Und Deine Lippen schweigen, Und meine Gluth brennt fort. Bis sie im Nichts verrauchet, So unbefriedigt leer, Bis ich den Geist verhauchet, Der einst so Liebehehr. 5 10 15 20 25 30 537 Literarische Versuche Und meiner Seele Zweige, Sie streben nichtig auf, In luft'gem Aetherreiche, Zu enden ihren Lauf. Vergebens will ich saugen, Von oben Licht und Gluth; Du wendest weg die Augen, Und mir entsinkt der Muth. [25)| Mein Streben. So vieles ist geschrieben, Geheimnißvoll und tief, Wie Leben aufgetrieben Aus Nacht, wo's bange schlief. So viele Flammen zeigen Enthüllt das weite All, Wie sich die Sterne reigen, Wie schafft des Lebens Schall. Und ich will's nimmer lesen, Verzichte gern darauf, Will nicht darin genesen, Laß Sternen ihren Lauf. Ich will nur wenig Worte, Dahin gemeisselt schnell, Aus Deiner Lippen Pforte, Dann strahl' ich geisterhell. | 26) I Und das kannst Du versagen, Die reicher als das All, Die schöne Geister tragen Auf Melodienschall! Aus deren Seelen Augen Ein jeder Welten schlingt, Sich Welten Wollust saugen, Ein Sphärenklang erklingt. 5 10 15 20 25 30 538 Buch der Liebe. Zweiter Teil Du willst mir das nicht leihen, Die kleine Gabe zolin, Dem Herz, dem Geist dir weihen Sein schönstes Thun und Wolln! |27)| Das Gespenst. Ballade. Da oben steht ein Schloß, Da oben in dem Thal, Uralter Zeit Genoß, Erglänzt's im Sonnenstrahl. Es blickt so still verlassen, Herab vom hohen Sitz, Kann nicht den Wechsel fassen, Und nicht Vernichtungsblitz. Und in ihm wohnt ein Greis, In langem Silberhaar, Der lebt in ew'gem Gleis, So still und wunderbar. Und vor ihm liegen Rollen Von morschem Pergament; Die Donner mögen grollen, Und brausen 's Element;| 28)| Er hebet nicht den Bück, Vertieft in Träumerein, Da suchet er sein Glück, Sein bessres Thun und Sein. Die Pergamente flammen Von Wärme und von Licht, Doch ach! woher sie stammen, Der Greis enträthselt's nicht. 5 10 15 20 25 30 539 Literarische Versuche Und brütet schon so lang, Folgt auch der kleinsten Spur, In heissem Wissensdrang, Beseelt von Gottnatur. Im Buche steht geschrieben, Wie es sich selbst erschuf, Wie es hervorgetrieben Aus kühnem Schafferruf. | |29)| Im Buch, da ist enthüllet, Der Erd'- und Himmelsraum, Was Hohes Geister füllet Und jeder schönste Traum. Da ist im Licht erschlossen, Was jedes Herz verlangt, Mit Leben übergössen, 'ne jede Zeile prangt. Doch gold'ne Fesseln schlingen Sich um das Blätterhaus, Nur süsse Töne klingen Gar wunderlich heraus. Der Greis, er ist gebannt, Wie durch 'nen Talisman, Sein Auge Gluthentbrannt, Die Brust erfaßt vom Wahn.| |30)| Er will die Lust ergründen, Und aus der Fesseln Klaun, Die Tiefe stolz sich künden, Das Höchste seelig schaun. Doch kaum hat er's zersprengt Mit kühner Allgewalt, Die Ketten weggedrängt, Entfernt den Wiederhalt, Da fällt es dumpf und prallend, Und höhnend wieder zu, Wie Dämonslächeln schallend, Schließt's wieder sich im Nu. 5 10 15 20 25 30 ; 35 540 5 10 15 20 25 30 Buch der Liebe. Zweiter Teil So treibt er manches Jahr, Das bange Trugbemühn, Und trotzet der Gefahr, Voll Leben und voll Glühn. | |31)| So sizt er harrend, sehnend, Unheimlich und allein, Auf dürren Arm sich lehnend, In hehrem Zauberschein. Und leise Zähren rolln Auf's bleiche Angesicht; Doch seines Busens Wolln, Es wird dem Armen nicht. 132)| Traum. Noch ein Gedanken, Dann mag mich umranken Traum und Nacht, Bis ich erwacht. So dacht' ich, als ich sinnend, Des Abends so stille saß, Aus mir selber alles gewinnend, Steine und Welten vergaß. Ich dacht' ihn tief in der Seele, So rein und ohne Fehle, Dann fielen die Augen zu, Mich umhüllte Todtesruh'. Und als ich nun am Morgen Aus Morpheus Arm mich rang, Um Tageswerk zu besorgen, Zu kämpfen im Seelendrang; | |33)| Da hatte in Träumen, Den spielenden Schäumen, Derselbe Gedanken sich fortbewegt, Den ich Abends am Busen gehegt. 541 Literarische Versuche Er war mir da erschienen, Gar seltsam anzusehn, Mit hehren Himmelsmienen, In leisem Zephyrwehn. Und in ihm stand geschrieben: „Mein Namen, er tönt, wie Lieben." „Meine Gestalt ist dieß Götterbild, Der Schleier verbirgt es mild." Ich streifte weg den Schleier, Mit zuckend kühner Hand, Und hehr in Himmelsfeier, 'ne Göttin vor mir stand. | |34)| Und wie ich sie erblicket, Da sank ich Lieb'entzücket, Vor ihr in heissem Flehn, Könnt' nimmer genug sie sehn. Sie blickt' so mild herüber, So hehr und groß und hold, Die Seele ging mir über, Ich warb um Minnesold. Ich wagte zu bekennen, Sie meine Göttin zu nennen, Und, Jenny, nicht drang's zu Deinem Ohr, Wie ich bebend Dir Liebe schwor. |35)| Lied eines Schiff er's auf der See. „Ihr möget spielen, ihr möget schlagen, Und hüpfen um meinen Kahn, Ihr müßt ihn zum Ziele tragen, Ihr seid mir unterthan." „Und gleich 'nem schnellenden Pfeile, So flieh ich durch's Wasserland, Und trotz der stürmischen Eile Entflieht mir nicht Ufersrand." 542 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 35 Buch der Liebe. Zweiter Teil „Da warten sie alle, die Lieben, Bis der Kühne heimgekehrt, Den Wind und Welle so oft getrieben, Der immer unversehrt." | 136) J „Da unten, ihr blauen Wogen, Da ruht mein Bruder klein, Ihr habt ihn hinabgezogen, Und zehrt nun sein Gebein." „Ich selber war noch ein Knabe, Verwegen löst er das Schiff, Greift nach dem Ruderstabe, Und sank vom sandigen Riff." „Da schwur ich tief im Herzen, Bei den Wellen blau und naß, An euch zu rächen die Schmerzen, Euch zu peitschen ohn' Unterlaß." | |37)| „Und treulich hab' ich gehalten, Der Seele Schwur und Wort, Ich geiß'le euch stets ihr kalten, Ich peitsch' euch ohn Unterlaß." „Ihr möget nur immer erbossen, Wenn Ruderschlag sich erhebt, Wenn der Kahn auf dem Rücken, dem Grossen, So sanft und sicher schwebt." „So oft die Tiefe erbrauset, Die Glocke zittert vom Thurm, Und dumpf Orkan ersauset, Und es rast in Wuth und Sturm ;| |38)| Dann treibt's mich aus dem Bette, Von meinem sichern Sitz, Von der still und warmen Stätte, Zu segeln in Sturm und Blitz." „Und ich kämpfe mit Wind und Wellen, Und bete zu Gott, dem Herrn, Und laß die Segel gellen, Und schau zum sichern Stern." 543 Literarische Versuche „Dann sammeln sich die Kräfte, Voll Feuer und kühner Lust, Und in dem Todtgeschäfte, Ertönt das Lied aus der Brust: | |39)| „Ihr möget spielen, ihr möget schlagen, Und hüpfen um meinen Kahn, Ihr müßt ihn zum Ziele tragen, Ihr seid mir unterthan." „Ihr habt den Bruder gerissen, Hinab in den sprudelnden Schlund, Den Körper zart zerbissen, Getrieben in Meeresgrund." „Doch sein Geist ist hochgeflogen, Hinauf zu seinem Gott, Jezt hört er, wie die Wogen Erdröhnen von Schlag und Spott." | |40)| „Ich raub' euch eure Genossen, Für meinen sich'ren Teich, Zieh' sie an eig'nen Flossen Aus dem schauerlich dunk'len Reich." „Ich schlage euren Rücken, Und kämpfe mit eurer Wuth, Und alles muß mir glücken, Und beherrscht ist die Riesenfluth." „Dann müßt ihr wiederspiegeln Den Himmel licht und klar, Müßt eure Wellen zügeln, Mich bergen vor Gefahr. "| „Dann saug' ich der Lüfte Wehen, So frisch und lebend und kühl, Und keine Grenzen stehen, Und mich engt kein Strassengewühl." „Der Himmel lacht da oben, Hier unten trägt mich die Fluth, Der Blick ist frei und gehoben, Und der Frieden im Busen ruht." 1 5 10 15 20 25 30 35 544 Buch der Liebe. Zweiter Teil Umwandelung. Mein Auge schaut so irre, Die Wange ist so bleich, Der Kopf ist mir so wirre, Ein wunderliches Reich. Ich wollt' in kühnem Wagen Hinsegeln keck in's Meer, Wo tausend Felsen ragen, Und Fluthen, hohl und leer. Ich hielt mich am Gedanken, An seinem Flügelpaar, Und mocht mich Sturm umranken, Ich trozte der Gefahr. | |43)| Ich scheute nicht zurücke, Nur immer kühn hinan, Mit freiem Adlerblicke, Auf ungemeß'ner Bahn. Und nicht den Schmeichelsängen, Die die Sirene spinnt, Ich horchte nicht den Klängen, Wodurch sie's Herz gewinnt. Ich horchte nicht dem Tone, Und wandte weg mein Ohr, Nach einem höh'ren Lohne, Schlug meine Brust empor. | 144)I Doch ach! die raschen Wogen, Sie blieben nimmer stehn, Und manche war gezogen, Eh sie mein Blick gesehn. Vergebens wollt ich bannen Durch Zauberwort und Kraft, Sie zogen rasch von dannen, Bis alle hingerafft. 5 10 15 20 25 30 545 Literarische Versuche Und in dem Fluthgedränge Ergriff mich Schwindelmacht, Ich stürzte vor der Menge In nebelvolle Nacht. | |45)| Und als ich mich erhoben Aus nichtigem Bemühn, Da war die Kraft zerstoben, Erloschen Herzens Glühn. Ich blickte bleich und bebend In meine eig'ne Brust, Doch kein Gesang erhebend Erfüllte mich mit Lust. Entflohen war'n die Lieder, Entflohn die süsse Kunst, Mir gab kein Gott sie wieder, Und keines Ew'gen Gunst. | |46)| Die Veste war gesunken, Die einst so kühn dastand, Die Gluth, sie war ertrunken, Und öde Busens Land. Da schaut' ich dich im Glänze, Im reinsten Seelenlicht, Wo sich im Wechseltanze Um Erde Himmel flicht. Da ward ich tief gebunden, Da ward mein Auge klar, Da hatte ich gefunden, Was dunkles Streben war.| |47)| Da klang es stärker, freier, Aus tiefbewegter Brust, In hehrer Himmelsfeier Erschallt es und in Lust. Es tauchten alle Geister Aus meinem Busen auf, Und wie ein Zaubermeister Beherrscht ich ihren Lauf. 5 10 15 20 25 30 , 35 546 5 10 15 20 25 30 Buch der Liebe. Zweiter Teil Ich ließ die raschen Wellen, Die wechselvolle Fluth, Am Felsen nur zerschellen, Und hielt die inn're Gluth. Was nicht mein Geist erflogen, Getrieben vom Geschick, Das kam in's Herz gezogen Von selbst aus Deinem Blick. |48)| Todschmerz. Stürzten nur die Wogen, In Riesenfall und Bogen, Mit Allgewalt, Ohn' Wiederhalt, Sich meinem Wunsch entgegen, Drängten sich auf mich hin, Ich würde mich nicht wegen, In kühnem Wagbeginn. Alles würd' ich wagen, Mit Wind und Welle mich schlagen, Und es siegte der Muth, Die Riesengluth; Sie müßten ertrinken, Die sich entgegengethürmt, Sie müßten im Nichts versinken, Vor der Kraft, die sie aufgestürmt. Dann dürft ich Dich fassen, Und Liebe und Hassen, Könnt' ich besiegen, Würde nicht unterliegen. | |49)| Doch ach! nur Regenschauer, Tröpfeln von Dach und Mauer, Zehrt meine Kräfte auf, Hemmt meiner Wünsche Lauf. 547 Literarische Versuche Sie kann ich nicht besiegen, Sie höhlen mich tückisch dreist, Da muß ich unterliegen, Verwurmern der ewige Geist. Drum seh' ich kein Hoffen, Keinen Himmel mir offen, Gefesselt bin ich, besiegt, Eh der Kampf die Kräfte gewiegt. Und muß dich missen, Für Ewigkeit, Die Sterne herabgerissen, Und besiegt die Zeit, Getrotzet allen Gewalten, Um dich zu halten. Und er schlingt sich leise hinauf, Unsichtbar im Natternlauf, Der Feind in tückischem Ranken, Und ich seh ihn nicht, Bis alle Glieder wanken, Bis er's Herz durchsticht. | 50)| Dann sink' ich bebend, Das Auge noch hebend, Und, Jenny, die Lippe noch hallt, Und im Nichts die Seele verschallt. 5 i )| Der Knabe und das Mägdlein. Ballade. Ein Knabe und ein Mägdlein, Die hielten sich im Arm, Die preßten sich so bebend, So ungestümm und warm. 5 10 15 20 25 30 548 Buch der Liebe. Zweiter Teil Der Knabe sprach: „ich ziehe In fernes, fernes Land, Und lasse diese Rosen Als meiner Liebe Pfand!" Das Mägdlein steckt verschämet, An's warme Herz sie hold, Das Auge war bethränet, Und funkelte, wie Gold. Dann zogen sie von dannen, Und sprachen nimmermehr, Der Knabe stürmt gewaltig, In Manneskraft und hehr. Die Rose fiel zusammen, Des Mägdleins Liebe blieb, Doch ward die Wange bleicher, Und ach! das Auge trüb.| 52) I Die Rose war verwelket, Das Mägdlein welkte auch, Und wie 'ne zarte Blüthe Zerknickt sie Sturmeshauch. Sie ward hinausgetragen, In's kühle, kühle Haus, Der Purpurmund gebleichet, Und rings umfängt sie Graus. Und an dem kalten Busen 'ne todte Rose ruht; Sie war einst aufgegangen In lichter Jugendgluth. Und auf dem Grabe stehet Ein kampfgebräunter Mann; Er scheinet hier gefesselt, Als wie durch Zauberbann. Er preßt die kalte Erde, Er schlägt die hohe Stirn, Und eine wüde Kugel Zerschmettert ihm das Hirn. 5 10 15 20 25 30 35 549 Literarische Versuche |53)| Die Mutter. Ballade. Sie hält den zarten Knaben Wohl in dem Arme fest, Als wollt' allein sie haben, Den sie am Busen preßt. Sie blickt so still und wonnig, Das Antlitz hold verklärt, Das Auge glüht so sonnig, Von Liebe großgenährt. Sie ist so ganz versunken, In seinem süssen Bild, Sie lacht, so zärtlich trunken, Sie scherzt, so freundlich mild. Da zittert's durch die Glieder, Wie bebend Espenlaub, Der Busen sprengt das Mieder, Sie scheint des Todes Raub. Das theure Gut entgeistert In ihrem Arme liegt, Vom Schmerze übermeistert, Sie Todesleiden wiegt. 'ne Natter wühlt im Herzen, Und saugt das süsse Blut, Und schwelgt in seinen Schmerzen, Und trinkt die heisse Gluth. | |54)| Die Mutter preßt sie höhnend An's Herz im Ungestümm; Ein Angstschrei, dumpf und stöhnend, Und Sieg dem Ungethümm! Sie sinkt in tiefem Leiden, Ihr Herz des Knaben Grab, Noch liebevoll im Scheiden, Und Himmel schaun hinab. 5 10 15 20 25 30 35 550 Buch der Liebe. Zweiter Teil 155)| Sturm. Es braust der Sturm da draussen, In dumpfem Nebeldampf, Und Abgeschied'ne hausen, Zu stilln den Seelenkampf. Sie dürfen sich ergiessen, In's weite, weite All, In Ströme prasselnd fliessen, Vergehn in Sturmes Schall. Mir blizt noch durch die Wangen Ein jugendliches Blut, Und möcht' mich dennoch hangen An Sturmeskampf und Fluth. Denn die mir Lieben und Leben, Die Geister mir geeint, Sie will nicht zu mir schweben, Umsonst mein Auge weint. 156)| Vorwurf. Durch meiner Lieder Reihen Schwebst Du harmonisch hin, Nicht brauch' ich sie zu weihen, Von der sie zu mir ziehn. Wie Sehnen und wie Bangen Treibt's mich in Bild und Wort, Zu tragen mein Verlangen An fernen Himmelsort. Und Du, die mir bereitet, Das rastlos süsse Wehn, Die's tief in's Herz geleitet, Willst Trost mir nicht ersehn! 5 10 15 20 25 30 551 Literarische Versuche Mich zwingst Du, Gluthgesänge, In stetem Kampf zu reihn, Und nicht Erinn'rungsklänge Willst Du mir gütig leihn! Wunsch. Du sprichst mit vielen Lauten, Und Worte strömen hin, Die selber sich verzehren, Die rasch von dannen fliehn. 57)| O! samm'le sie und schreibe Auf wenig Pergament, Und schick' sie mir hinüber, Der sehnend danach brennt. Ich will an's Herz sie drücken, Sie halten liebewarm, Mein Zimmer damit schmücken, Das sonst so todt, so arm. Sie sollen Zauberkräftig Mir still'n des Auges Wehn; Es wird sogleich gesunden, Um selber sie zu sehn. 5 10 15 20 Karl Marx 552 Buch der Liebe. Zweiter Teil Inhalt. 5 10 15 20 S. 1. S. 2. S. 3 - 4. S. 5—7. S. 8. S. 9—11. S. 12-15. S. 16—17. Amulet. An Jenny. Das Gift. An Jenny. Pultlied. An Jenny. Lied an die Sterne. Die zwei Sterne. Räthsel. Meine Welt. An Jenny. Glöckners Thurmlied. Der Lampe Licht. An Jenny. Empfindungen. Abendstunde. An Jenny. Klage. An Jenny. Mein Streben. An Jenny. £>as Gespenst. Ballade. Traum. An Jenny. S. 35-41. Lied eines Schiffers auf der See. S. 42-47. Umwandelung. An Jenny. S. 48—50. Todschmerz. An Jenny. Der Knabe und das Mägdlein. Ballade. S. 51—52. Die Mutter. Ballade. Sturm. An Jenny. Vorwurf. An Jenny. Wunsch. An Jenny. S. 53-54. S. 55. S. 56. S. 56—57. S. 18—22. S. 23. S. 24. S. 25—26. S. 27—31. S. 32—34. 553 Buch der Lieder I Buch der Lieder Meiner theuren, ewiggeliebten Jenny v. Westphalen 5 Berlin 1836. von Karl Marx. Buch der Lieder |l)| Die Geister. Ballade. An Jenny. „Ach! war' ich nur ein Zaubermeister!" So wünscht' ich: gleich erschienen Geister, Gekettet wie durch Zauberband; „Bringt mir Sie her, ich muß erliegen, Schwelg' ich nicht gleich in ihren Zügen, Geht' bringt Sie mir aus fernem Land!" „Es klopfen meine Pulse alle In hoch verrätherischem Schalle, Sie melden, daß das Leben kämpft, Sich von mir selber loszuringen, Zu nahen Ihr auf gold'nen Schwingen, Die ihnen mir die Gluthen dämpft." | )| „Könnt ihr den Willen mir gewähren, So soll mein Blut euch, blut'ge, nähren, So geb' ich hin der Seele Heil; Was kann die Schaar der Ewigkeiten, In dumpfer Allgewalt erstreiten, Wird mir ihr Anblick nicht zu Theil!" Und gleich auf raschen Aetherwellen Enteilten mir die Luftgesellen, Getrieben schnöde vom Gewinn; 5 10 15 20 559 Literarische Versuche „Wenn sie den Wunsch mir hold erfüllen, Dann mag mich Hölle stets umhüllen, Ach! Hölle ist der Sehnsuchtssinn."| |3)| Rasch kehrt der Haufen zu mir wieder, Mit Hohn grinzt er auf mich hernieder, Im Auge tiefe Höllengluth: „Willst Du uns täuschen, Erdgebilde? Du liebst sie, jene Höh' und Müde, Dann knüpft kein Pakt dein rieselnd Blut." „Wir Höllengeister selber schwanken Vor ihrer Schönheit Allgedanken, Und wollten ew'ge Engel sein, Um ihr den Athem zuzufächeln, Zu fühlen ihres Mundes Lächeln, Zu schwelgen in dem Zauberschein." | 4)| „Und du hast schnöde List ersonnen, Nie warst du unser, nie gewonnen, Wenn sie in deinem Busen spielt; Und wenn du es mit Blut besiegelt, Mit Schwüren, Pakt und Schloß verriegelt, Gerettet ist, wer ihr gefühlt." „Dem ist ein Leben aufgegangen Von Hoheit und von Gluthverlangen, Das ihn nach oben schwebend trägt; Der ist für immer uns entrungen, Da ist die Hölle selbst bezwungen, Wo bebend ihr der Busen schlägt." | |5)| „Und wenn wir sie gebracht, wenn sie erschienen Mit ihren laut'ren Engelsmienen, Wir wären selbst gebannt gewesen; Wo war die Macht, Dich zu entreissen, Wir mußten horchen auf Ihr Heissen, Und Deine Brust, sie war genesen." 5 10 15 20 25 30 560 Buch der Lieder Da überlief's mich kalt, wie Schauer, Es bebte ringsum Burg und Mauer, Die Erde riß sich bebend auf, Und rings in dunklen Purpurwogen, Zu Tiefen mächtig hingezogen, Verschlang sie rasch ihr Gluthenlauf. | 6) I „Ihr dient mir nicht, der Hölle Mächte, Ihr Urgeburten ew'ger Nächte, Ihr sankt vor mir im Nichts herab, So naht, ihr lieben Genien, Die mich so oft im Scherz umfliehen, Naht! euch gebeut's mein Zauberstab!" „So Recht! Ihr holden Lichtgestalten, Ihr könnt mir nur Ihr Bild entfalten, Doch in mir selber liegt Ihr Herz; Geht! bringt, was ihr mir mild gegeben, Der Herrin, sagt, Sie sei mein Leben, Sei meine Lust und sei mein Schmerz." |7)| Alboin und Rosemunde. Romanze. I) Alboin, der kühne Streiter Taumelt wild sein rasches Roß, Freudig übt der stolze Reiter Sich in Bogen und Geschoß. Und es folget der Vasallen Kampfgeübtes wacker Heer, Und die Mauern und die Hallen Alle stehen stumm und leer. 5 10 15 20 25 30 561 Literarische Versuche Alle treibt es zu gewinnen Beute sich und Sieg und Ruhm, Und in kühnem Wagbeginnen Sammelt sich das Ritterthum. Und es tönet durch die Runde: „Führe uns zu Kampf und Schlacht, Dem Gepiden Kühnemunde Sei der Tod in's Land gebracht." | |8)| Und der Führer nicket leise, Alles stürmet rasch hinan, Jeder geht nach seiner Weise Auf des Ruhmes blut'ger Bahn. Auf den stolzen Rossen sitzen Reiter, kühn und hoch und hehr, Und die hellen Waffen blitzen Und es klinget Schild und Speer. Allen scheinet tief zu flammen In der Brust der Kriegesgott, Scheinen mir von ihm zu stammen Und ihr kecker Lebespott. Und die Erde prahlt in Prangen, Weil sie solche Männer trägt, Und des Busens Gluthverlangen Jedem aus dem Auge schlägt. | Ν π) Schon erblitzen die Gefilde Von der Sonne Lebensstrahl, Und in blut'gem Glanz und Bilde Lacht das tiefe, weite Thal. Die Gepiden kämpfen glühend Für den König und ihr Gut, Und von Rache tief ersprühend Schürren Weiber ihre Glut. 5 10 15 20 25 30 562 Buch der Lieder Eingehüllt in dichte Locken, Singend lauten Kriegsgesang, Lassen sie den Kampf nicht stocken, Mehren sie der Kämpfer Drang. Mancher stürzt zur kalten Erde Dumpf vom hohen Kriegerroß, Hin mit stummer Angstgeberde, Tief erfaßt vom Todgeschoß. | 110) I Sieg scheint ihnen schon zu winken, Rascher stürzen sie sich vor, Und die kecken Feinde sinken, Richten nie mehr sich empor. Doch mit Donnerunge stumme Stürzet Alboin hinein, Und gleich einem Ungethümme Glänzet er in blut'gem Schein. Alle müssen vor ihm weichen, Jeden schleudert er in Nacht, Seine raschen Pfeile reichen, Wo das Auge nicht mehr wacht. Und ein Gott scheint ihn zu schützen, Pfeil und Bogen von ihm prallt, Und von tausend scharfen Spitzen Dumpf sein Panzerkleid erschallt. |π)| ni) Und er stürzet durch die Runde, Die erschrocken vor ihm weicht, Bis er König Kühnemunde In dem eig'nen Heer erreicht. Der erbebt und schreckt und wanket, Eisesschauer packt sein Herz, Bis er langsam auf sich ranket, Kämpfend in dem Todesschmerz. 5 10 15 20 25 30 563 Literarische Versuche Doch schon stockt des Lebens Welle, Blut'ger Dampf das Haupt umraucht, Aus der Brust springt Blutesquelle, Und die Seele ist verhaucht. Die Gepiden packt es bange, Alle fliehen von dem Ort, Muthlos ziehet in dem Drange, Einer jezt den andern fort.| |l2)| Und die Weiber stürzen stöhnend, Ihren Gatten fluchend nach, Ihre Feigheit wild verhöhnend, Des Geschickes Ungemach. Eine nur im Prachtgewande Bleibet bei der Leiche stehn, Denn sie fesseln theure Bande, Und sie kann nicht weitergehn. Alboin nach Volkes sitte Trennt das Haupte von dem Rumpf, Spaltet rasch es in der Mitte, Und sie zuckt, und heulet dumpf: „Fluch soll dir der Himmel senden, Nacht sei dir der Sonne Licht, Eis sei Brand in deinen Händen, Gift in jedem Leibgericht." | |13)|IV) „Wärst ein Mann, ich wollte hämmern, Eisern Flüche auf dein Hirn, Daß dir nie mehr Morgendämmern Wogte um die schöne Stirn." „Doch! was seh' ich! Prachtgebilde! Meine Beute mußt du sein, Schaue nicht so ernst, schau milde, Alboin, der Herr ist Dein." 5 10 15 20 25 30 564 Buch der Lieder „Ha! des Königs Blut zu schänden, Der gestürzt vor Deinem Nahn! Eh durchbohrt von eignen Händen, Eh ich Alboin dir unterthan." „Ja! du bist von hohem Range, Eine hehre Königin, Sieh! ich füg' mich deinem Zwange, Geb' mein Herz dir sklavisch hin."[ 14)| „Hast den Vater mir erschlagen!" — „Doch! was braucht's hier Worte viel, Auf dem Arm werd' ich dich tragen, Wie's gestattet Kriegesspiel." Er umschlingt sie rasch und bebend, Tragt sie in sein Lager hin, Und sie sträubt sich widerstrebend, Doch erweicht scheint wohl ihr Sinn. Und er eilet rasch vorüber, Wo ein wild Gepiden Weib, Ihre Augen rollen trüber, Und das Haar flieht um den Leib: „Ha! ich weissag', schnöder Knabe, Der im Blut sich Wollust trinkt, Schwer wird dir die süsse Habe, Bis der Träger drunter sinkt!"] |15)| V) Alboin war heimgekehret Aus dem süssen Wonneland, Das vom Nord stets unversehret Als der Erde Stern da stand. Doch der Geist, er war entflohen Casars Landen, wie ein Dieb, Seine Macht geknickt, sein Drohen, Nur der Sternenhimmel blieb. 5 10 15 20 25 30 565 Literarische Versuche Götter, die nicht mitempfunden Dieser Erde blut'ge Wehn, Fühlten noch sich festgebunden, Wo die hohen Pappeln stehn. Alboin war dort gezogen Keck mit seiner Reiterschaar, Und sie stürzten, wie die Wogen Ueber Klippen und Gefahr. | |l6)| Rasch hat er den Sieg errungen, Kehrte dann zum trauten Sitz, Alles hat er selbst erzwungen, Seine Seel' ist Gottesblitz. Und im üpp'gen Südenlande Tönt von ihm der Cythersang, Wie er gleich 'nem Feuerbrande Sie bekämpft in Sturm und Drang. „Rosemunde! heute feiern Wir der Heimkehr Festgelag, Schaffe Zymbeln, schaffe Leiern, Gieb, was Deine Kraft vermag!" Und sie nickt ihm heimlich leise, Tief in ihre Brust versenkt, Ist so ganz besond'rer Weise, Wie wenn jemand fernes denkt. I |17)| VI) Schon erschäumen rings die Becher, Sprudelnd hoch vom Cypernwein, Den geraubt der kecke Zecher In dem Land vom Gluthenschein. „Nun Helmichis! Waffenträger, Prangend in der Schönheit Glanz, Siegberühmter Lautenschläger, Laut erschall's, wie Waffentanz." 5 10 15 20 25 30 566 ftjg Buch der Lieder „Wohl, mein Fürst!" und stolz erhebet Sich der Jüngling kühngesinnt, Greift die Leier, daß sie bebet, Und des Sanges Lauf beginnt: „Unten in dem Gluthenlande Ist der Götter liebster Sitz, Wie geknüpft von weichem Bande, Von des Aethers reinem Blitz."| 18)| „Und die Thränen, die sie weinen, Als sie sein Verderb ersehn, Spiegelnd mußten sie erscheinen, In der Traube aufzugehn." „Süsser Saft der Purpurreben, Ist der Götter Thränenfall, Den sie über Romas Streben Weinen und Vernichtungsschall." „Doch da kam er keck gezogen, Alboin, so Ruhmesreich, Ihn begrüßten stolz die Wogen, Und die Welle trug ihn weich." „Als die Götter ihn erblicket, Wurden alle sie besiegt, Und ihr Haupt dem Helden nicket, Und das Gluthenland erliegt!"| 119)] V II) „Schön! mein Sänger, nimm den Becher, Leere ihn auf einem Zug; So! Du bist ein wack'er Zecher, Und jezt thu ich dir genug." Alboin erfaßt ihn schnelle, Stürzet ihn auf aller Wohl, Und das Auge, jezt noch helle, Zuckt in Gluthen dunkel hohl. 5 10 15 20 25 30 567 Literarische Versuche „Jeder soll mir heute trinken Aus dem eig'nen Becher mein, Denen meine Sterne winken, Die gekämpft im Blutesschein." „Und vor allen, süsse Holde, Thue mir doch auch Bescheid; Sieh! der Becher strahlt im Golde, Und der Wein stillt jedes Leid."[ 20)| Und sie fähret scheu zusammen, Zuckt empor, die Wange bleicht, Ihre grossen Augen flammen, Alles Blut ihr bang entweicht. Und sie schlägt die hohe Stirne, Jeden Nerv' zerreißt der Schmerz: „Ha! mit meines Vaters Hirne Treibt ihr frev'lend euren Scherz!" „Und die Tochter soll gar saugen Blut aus seinem Schädelhorn, Eher trinken Blut die Augen, Springt nicht mehr des Lebens Born." „Was! Du willst mir widerstreben, Willst nicht trinken auf mein Heil? Bin ich Vater nicht und Leben, Deines Reichthums ganzer Theü?"| |21)| VIII) „Ha! ein Weib wagt mich zu höhnen, Dem die halbe Erde bebt, Dem Granit und Felsen stöhnen, Und ein Weib, das durch mich lebt! „Schnöde Buhlin, nicht mir Gatte, Von dem jämmerlichen Strand, Dessen Männer schon mein Schatte In den Tod hinabgesandt." 5 10 15 20 25 30 568 Buch der Lieder „Sieh! Du trinkst aus dem Pokale, Trinkst mir zu auf Wohl und Glück, Oder bei dem Schwerdt von Stahle, Kehrst zur Hölle gleich zurück." „Sei es! magst mich nur vernichten, Doch ich trotze dem Begehr, Würde selbst dich, Bube, richten, Prangt' ich nur in Manneswehr." | 22)I „Sieh! den Vater laß ich graben Aus der Erde weichem Sitz, Geb' ihn hin den Moderraben Und des Himmels raschem Blitz." „Die Gespielen laß ich schlachten, Für den hohen Sonnengott, Und dich selbst soll Tod umnachten, Treibst du, Buhle, frechen Spott." Und sie scheinet tief zu sinnen, Und sie fühlt Helmichis Hand: „Folge seinem Wuthbeginnen," Flüstert er, von Lieb' entbrannt. Und sie schwingt den Becher bebend, Zittert bang, wie Espenzweig; Alboin, sich stolz erhebend, Preßt sie an den Busen gleich. | |23)| IX) Einsam in der nächt'gen Stunde, Sizt sie da, in Wuthgestalt, Blickt sie brütend, Rosemunde, Als ein naher Ton erschallt: „Sieh! ich lieb' ihn, wie mein Leben, Doch du, Göttin, bist mir mehr, Alles will ich für dich geben, Opfern selbst sein Leben hehr!" 5 10 15 20 25 30 569 Literarische Versuche „Doch ich spiel' nicht, wie ein Knabe, Bist du mein, wenn ich's vollbracht? Bring' ich ihn zum tiefen Grabe, Und mein Frühlingsmorgen lacht?" „Sieh! dann wollen wir hinwallen, In des Südens golden Land; Ach! es zieht mich nach den Hallen, Wie ein zartes Dämonsband." | 24)| „Und an meine Brust will pressen Ich die süsse, zarte Last, Und das rauhe Land vergessen, Und den Mord, den es umfaßt!" „Denn ich liebt' dich seit dem Tage, Wo ich dich bethränt gesehn, Und ich stillte deine Klage, Und mußt' selbst im Schmerz vergehn." Und sie nickt ihm heimlich leise, Und er küßt sie glühend heiß, Schleicht dann fort in stüler Weise, Helmichis, der Sänger Preiß. Kaum ist er hinweggezogen, Naht ein Wesen, Nachterfüllt, Wenig Rede wird gepflogen, Und in Dunkel ist's verhüllt. | |25)| X) Auf dem Lager liegt versunken, Stolz und prangend Alboin, Tief in Träumerein ertrunken, Eingelullt in Phantasien. „Ha! war nimmer ich geboren, Alles drängt sich um mich her, Schon ein Roß hab' ich verloren, Meine Kraft erträgt's nicht mehr!" 5 10 15 20 25 30 570 Buch der Lieder „Helmichis, mein Kampfgenosse, Herrschend ist des Tags Gebot, Leihe mir die Gluthgeschosse, Leben gilt es oder Tod." „Komm! wir wollen durch sie sprengen, Eine Welt erdrückt mein Arm, Laß sie schaarenweis sich mengen, Sie besiegt Verzweiflungsharm. "| 26)| „Ach! er träumt! soll ich ihm stossen In die theure Brust das Schwerdt? Soll ich morden ihn, den Grossen, Der mich selbst im Traume ehrt?" „Nun! mein Helmichis! nicht wanket, Denn dem Mann geziemet Kraft, Einst mein Gnadenhimmel danket, Wenn wir uns hindurchgerafft!" „So! er drängt mich selbst zum Handeln, Spricht mir von dem süssen Lohn, Ha! wir wolln nach Süden wandeln, Wo des Himmels schönster Thron!" Schon durchbohrt des Schwerdtes Schneide Alboin in tiefer Brust: „Ah! zu spät! ich sink' im Leide, Flieh Helmichis, meine Lust!"| |27)| XI) Und auf hohen Kriegesrossen, In der Nächte dunklem Kleid, Schweben sie, gleich Blitzgeschossen, Die geschaffen schweres Leid. „Halt Helmichis!" und ermattet Sinket er vom raschen Speer, Und ein Weib, von Nacht beschattet Tritt aus Büschen gräßlich hehr. 5 10 15 20 25 30 571 Literarische Versuche Hohlig glotzen ihre Augen, Und ihr Haar strömt um den Leib, Rache scheint ihr Herz zu saugen, 's ist das arm Gepidenweib. „Ach! so muß mein Leben enden, Rosemunde und durch dich! Götter mußten so es wenden, Götter rächen fürchterlich. "| 28) I „Doch mein Geist flieht zu den Hallen, Wo die hohen Pappeln stehn, In den Blättern mag's erschallen, Will ich mich in Sang ergehn!" Rosemunde spricht mit Beben: „Nichts hab' ich für dich vollbracht, Opfer mußt' die Tochter geben Für des Vaters Todesnacht." Und er öffnet noch die Lippen, Geister fliehn in süssem Hauch, Ueber Meere, über Klippen In das Land vom Myrrhenrauch. „Komm jezt, meine Rosemunde Wallen wir in fernes Land, Tragen weit vom Volk die Kunde, Dem du ach! das lezte Pfand." |29)| Harmonie. An Jenny. Kennst Du das süsse Zauberbild, Wo Seelen in einander fliessen, In einem Hauche sich ergiessen, Melodisch voll und freundlich mild? Sie glühen auf in einer Purpurrose, Und bergen sich verschämt in weichem Moose. 572 5 10 15 20 25 30 Buch der Lieder Und walle weit durch Flur und Land, Das Zauberbild wirst Du nicht finden, Kein Talisman vermag's zu binden, Und keine Sonne je es fand. Es ist in ihrem Scheine nicht entsprossen, Hat keine Erdennahrung je genossen. | 30)| Drum bleibt es ewig prangend stehn, Ob schwingt die Zeit den raschen Flügel, Apollo faßt der Rosse Zügel, Und Welten stumm im Nichts vergehn. In sich hat's eine Kraft sich selbst erzeuget, Die keine Welt, die selbst kein Gott ihm beuget. Es ähnelt wohl dem Zytherklang, Gespielt auf einer ew'gen Leier, In stetem Glühen, steter Feier, In hohem, sehnsuchtsvollem Drang. O! horch den Saiten, die in Dir erschallen, Zu suchen wird Dein Fuß nicht weiterwallen. [31)| Seelenmusik. An Jenny. Manchmal hör's ich in der Seele klingen, Wie in Zauberwort und Spiel, Möcht' die heissen Töne gern umschlingen, Und ich bat sie oft und viel: „Wollt ihr Holden nicht bei mir yerweilen, Hört ihr nicht in meine Brust? Warum denn so stürmisch von mir eilen, Gönnt mir doch die süsse Lust!" „Seht! aus euch will ich mir auferbauen Einen Thron aus Melodien, Und die schönsten Bilder sollt ihr schauen, Und mit mir zum Aether fliehn."| 5 10 15 20 25 30 573 Literarische Versuche 32) I „Meinen Busen sollt ihr innehalten, Und ergetzen stets mein Ohr, Meine Seelengluth soll nie erkalten, Die ich euch zum Sitz erkor." „Schauen wir dann weiter, gold'ne Sterne, Ziehen in uns ihren Strahl, Schweben in entlegne Himmelsferne, In das heimathliche Thal!" Und sie sprechen zu mir neckend leise: „Glaube nicht, du rauher Mann, Daß uns fesselt deiner Lieder Weise, Daß uns hält dein Zauberbann!"| 33)| „Nun, so weilt bei Jennys süssem Namen!" Und sie blieben folgend stehn: „Jezt erkennst du, wie wir zu dir kamen, Wie wir schwebend von dir gehn." „Wenn die Lippen nur den Namen nennen, Kommen wir von selbst geflohn, Denn sie hauchen und ihr nicht entbrennen, War' dem Sängerherzen Hohn. 134)| Sehnsucht. An Jenny. Einen Harfenspieler seh ich ziehen, Leicht mit hoffnungsvollem Sinn, Dürft' ich weiter, weiter mit ihm fliehen, Zu dem kleinen Thale hin; Wo die Felsen hoch sich kuppen, In der Wolken fernen Sitz, Drunter lagern dichte Nebelgruppen, Um sie spielet Sturm und Blitz. 5 10 15 20 25 30 574 Buch der Lieder Führt der Wanderstab zu deinem Fenster, Stimmt' ich meine Leier tief, Scheuchte von Dir Unhold und Gespenster, Wenn Dein süsses Auge schlief: | j 35) j „Schlumm're meine Traute, Träume süsse Lust, Klinge meine Laute, Rein aus voller Brust." „Engel mögen schweben, Mild im Zephyrtanz, Himmel Dir zu geben, Und der Sterne Glanz." „Schwebe durch die Reigen, Schwebe auf und ab, Alles wird sich neigen, Wie durch Zauberstab." „Und es wallen nieder, Schlafesgötter mild, Hüllen Deine Glieder Süß in Wahngebild."| 36)| „Fliehn in Deine Augen, Leis in dichtem Flor, Wollust sich zu saugen, Lächeln sanft hervor." „Und auf Harmonien, Auf dem reinsten Laut, Wagen sie zu fliehen, Wo der Aether thaut." „Und die Geister kleiden Dich in Wolken schmuck, Und es fliehn die Leiden Und der Erdendruck." „Tragen Dich in Sterne, Hörst den Sphärentanz, Alle Näh und Ferne Schwillt im Blüthenkranz."! 5 10 15 20 25 30 35 575 Literarische Versuche „Um das Haupt siehst spielen Zarte Engelein, Deine Gluthen kühlen, Sich im Wolkenhein." „Busen klopft Dir freier, Schwillet mehr und mehr, Und in Himmelsfeier Brennt das Auge hehr." „Rings in Glanz gehüllet, Sanfte Himmelgluth, Von Gesang erfüllet, Auf des Aethers Fluth, Wie ein Gottgebilde, Ein verklärt Gesicht, Schaust Du groß und müde; Schatten nahen nicht." | 138)I „Süsse Kränze schwellen, Und es klingt der Sang, Schöne Geister quellen Aus der Seele Drang." „Und Du willst sie halten, Wonnelust und Pracht, Greifst nach den Gestalten" Und Dein Geist erwacht. „Ach der süsse Wonnetraum enteilet, Und mein zartes, schönes Glück!" „Nicht so Huldin, Götterleben weilet, Werfe in Dich selbst den Blick." [ 139) I Und ich preß' die Zyther an dem Herzen, Mit dem Spieler fortzuziehn: „Zu Dir treiben Sehnsucht mich und Schmerzen, Und das Schicksal zwingt zu fliehn!" Deinem Busen Geister sich entschwingen, Wie Erinn'rung schlägt's empor: „Hört ich nicht bekannte Töne klingen, Und ein treues Herz zum Ohr?" 576 5 10 15 20 25 30 35 Buch der Lieder |40)| Die beiden Harfensängerinnen. Ballade. „Was treibt dich her zu diesem Schlosse, Zu hauchen tiefen Gluthgesang? Weilt dir daselbst ein Liebgenosse, Zieht er dich her im Seelendrang?" „Kennst Du ihn, der seelenvoll hier wohnet, Fragst mich, ob ich ihm entbrannt? Hat sein Anblick Ird'sche je belohnet, Die die Sehnsucht hergesandt?" „Nimmer hab' ich ihn im Glanz geschauet, Doch der Edelsteine Glühn, Die das Prachtgebäude stolz erbauet, Mußten wohl mich herwärts ziehn." | |41)| „Denn es ist, als war' ich hier geboren, Hier mein heimathliches Land; Ach! es steht vom weichen Süd erkoren, Wie des Himmels Erdenland." „Hier erklingen meine Lieder freier, Schwillet höher mir die Brust, Tönt das süsse Spiel der gold'nen Leier, Wie von selbst in Wehmuthslust." „Und ich kenne nicht den hohen Meister, Der in's Herz gewaltig schlägt, Kenne nicht die zarten Himmelgeister, Die das Schloß im Schoose trägt!" „Und vergeblich ist mein heisses Sehnen, Nimmer öffnet sich die Pforte hold, Und ich muß mich an die Pfeiler lehnen, Und hier singen Minnesold." | |42) I Und sie schüttelt ihre schwarzen Locken, Strömt sich aus in Thränenfluth, Und die and're küßt die Wange trocken, Preßt sie heiß an Busens Gluth. 5 10 15 20 25 30 577 Literarische Versuche „Mich ziehen auch geheime Bande, Zu diesem heil'gen Göttersitz, Ich sucht' ihn wallend durch die Lande, Und fernher schlug's in mich, wie Blitz." „Doch sollen bange Thränen fließen, Warum der heisse Wehmuthstau? Wir dürfen ja das Bild gemessen, Und hüpfen in der Blumenau." „Der Busen darf uns voller glühen, Der Wehmuth Schauer süsser nahn, Die Blicke dürfen heller sprühen, Das Schönste ist hier bald gethan." | |43)| „Drum laß uns eine Hütte zielen, Drin klinge unser Weihgesang, Die mag der süsse West umspielen, Und tiefverborg'ner Geisterdrang." Sie weilten hier noch lange Tage, Und Abends klingt ihr Saitenspiel, Das lockt mit süsser Wehmuthsklage, Der Vögelein und Blüthen viel. Und einst vom Schlummer tief durchdrungen, In süssem Bett von weichem Moos, Die Arm' um zarten Leib geschlungen, Erschien ein Dämon zart und groß. Er trägt sie fort auf gold'nen Schwingen, Wo's sie wie Zauberfessel band, Und Töne wunderlich erklingen, Wo einst die stille Hütte stand. I 5 10 15 20 25 578 Buch der Lieder J44)J An Jenny. Sonette. I) Worte! Lügen seid ihr, hohle Schatten, Welche sich um Leben ziehn! Soll ich wehn in euch, ihr Todten, matten, Welche Geister mich durchsprühn? Doch der Erde neid'sche Götter hatten Tief erschaut des Ird'schen Glühn, Mit dem Laute muß der Arme gatten Seines Busens heisses Sprühn. Denn wenn's kühn und bebend aufgesprungen, In der Seele süssem Glanz, Hütt' es eure Welten keck umschlungen, Hätt' euch selbst von eurem Thron geschleifet, Uebersprudelt Zephyrtanz, Eine Welt war' über euch gereifet. | | 4 5 )| II) Darum mußt' es sich in Lumpen kleiden, Jämmerlichem Truggebild, Worte mußten kalt das Herz durchschneiden, Was ihm sprudelnd voll entquillt. Und so hallen Sehnen hin und Leiden, Werden kalt, eh' sie gestillt, Dürfen nimmer an sich selbst sich weiden, Und hinschmelzen voll und wild. Unsre Seele fassen nicht die Alle, Und ein Knochen hüllt uns ein, Und in rauh gewirktem Laut und Schalle, Ziehn die riesewogenden Gedanken, Eingehüllt in matten Schein, Bis sie dumpf im leeren Nichts entschwanken. | 5 10 15 20 25 30 579 Literarische Versuche |46)| HD Was sind Worte mir für meine Liebe, Für den ew'gen Riesengeist, Der im stolzen Stürzen und Getriebe, Felsen mit sich niederreißt? Ach! es sind der Seele nied're Diebe, Die uns spotten tückisch dreist, Was als Bodensatz vergessen bliebe, Jezt als Wesen prangend gleist. Jenny! hätte ich der Sphären Zungen, Und des Donners Harmonien, Meine Liebe war' durchs All geklungen, Und die weiten Räume müßten beben, Und du selber bange fliehn, Geistesblitze rings das All durchschweben. | |47)|rV) Dürfte meine Liebe sich gestalten, Immer höher würd' sie schweiin, Bis zum Riesen ragend sich entfalten, Zu der Wolken Nebelwelln, Sterne spielend in den Händen halten, Ströme ihrem Aug' entquelln, Sonnen müßten neben ihr erkalten, Und die Nächte sich erhelln. 5 10 15 20 Himmel würd' ihr Haupt im Nichts versenken, 25 ; Niederstossen in die Fluth, Und das All müßt' meine Liebe denken, Müßte weich vor meinem Schmerz zerfliessen, Aufwärts prasseln in der Gluth, Aus dem Schoose ihm Orangen spriessen. 30 580 Buch der Lieder (4-8)1 An Jenny. Kaum kann meine Leier tönen, Denn zu heftig wogt das Blut, Götter könnt' ich jezt verhöhnen, Trinken aus Vernichtungsfluth. Dürfen sie nicht Himmel fassen, In sich ziehn der Sterne Glanz, In des Aethers Wellen prassen, Lauschen süssem Sphärentanz? Höhnend werf ich ihre Gaben, Ihnen in das Angesicht, Ihren Staub will ich nicht haben, Und das Höchste leihn sie nicht. | |49)| Gönnen mag ich ihre Räume, Und das nebelvolle All, Und die Nacht und ihre Träume, Und den Tag in Gluthenschwall. Dich nur will ich mir erringen, Dich nur, süsse Jenny, Dich, Mag dann Zephyrsang erklingen, Oder Donner fürchterlich. Doch sie schleud'ren Ungeheuer Zwischen mich und meine Lust; Jenny! Dich erkauf ich theuer, Mit dem Leben meiner Brust. Denn ich werde niedersinken, Von der eignen Kraft verheert, Tod aus meiner Liebe trinken, Und dem Wunsch, den ich genährt. 50)| Sieh! er kam in Engelsschöne, Daß ich ihn am Busen zog, Doch jezt heult sein wild Gestöhne Selber, daß er mich belog. 5 10 15 20 25 30 581 Literarische Versuche Nimmer schau ich dich im Prangen, Nie an Deiner Brust vergehn! Und mein Leben wird Verlangen, Hier im rauhen Nord verwehn. Und ich kann die Gluth nicht zügeln, Und die warmen Geister fliehn, Schweben fort auf Wolkesflügeln, Jenny, in Dein Herz zu ziehn. Sind nicht weit des Alles Massen, Hüllen sie nicht Welten ein? Alier Lieben, aller Hassen, Alle Nacht und Sonnenschein? | |51)| Diese Räume, diese Grotten, Sind sie solcher Zwerges sitz? Oder ist's der Götter Spotten, Ihrer Seele neid'scher Blitz, Daß sie nicht das Streben fassen, Einer armen, bangen Brust? Götter, die in Gluthen prassen, Neiden sie der Liebe Lust? Ha! einst träumt' ich zu erfüllen, Länder mit des Herzens Sang, Mich in Ruhmesglanz zu hüllen, Zu erstürmen Geisterrang !| |52)| Doch zerfall'n die Luftgestalten, Und zertrümmert Liebeswahn! Blut'ge Nebelbilder halten Meiner Seele Glanz umpfahn! Und es steigt aus ihrem Grunde, Bebend bleicher Trugbeginn, Eine rasche, heisse Stunde, Und das Schicksal reißt mich hin. Mag der Tod zum Nichts mich schleifen, Schrecklich! find ich selbst das Land, Schrecklich! muß ich selbst mich reifen, Selbst mir schleud'ren Fackelbrand. 5 10 15 20 25 30 35 582 Buch der Lieder 153) I Die Romanze vom Grab. Die Winde ziehn, die Wolken eilen, Die Sonne weint, die Sterne stehn, Und Blitze rasch die Luft durchtheilen, Und stille Trauerweiden wehn. Es kommen die Wogen, An's Ufer gezogen, Und tragen Perlen an's ragende Grab, Und hüpfen auf nassem Wasserstab. | |54)| Und Meerbeschilfte Götter singen In's krummgebog'ne Muschelhorn, Vom grossen Mann, von Wunderdingen, Und von der Ew'gen Thun und Zorn. Da senkt sich hernieder, Der Nacht Gefieder, Und ringsum herrschet dumpfes Schweigen, Und es tanzen die Schatten in Nebelreigen. | 155) [ Es steigt aus schreckenvollem Schauer, Tief aus der Erde dunk'lem Herz, Ein Geist, die Stirn umhüllet Trauer, Und aus dem Auge blitzet Schmerz. Und vor ihm stehet, Von Dämonen erhöhet, Gebietend gefesselt durch Zauberbann, Wie von Eisen erbaut, ein Erdenmann. | |56)| „Ha! muß ich so mich selber quälen, Der Erdengeist, von Schmerz erfüllt! Dich sollten meine Zauber stählen, In Sonnen hart' ich dich gehüllt. Ich rann in Zähren, Dich Held! zu gebähren, Ich preßte zusammen Kraft und Pein, In dir ein waltender Gott zu sein."! 5 10 15 20 25 30 583 Literarische Versuche [57)| „Und was hast du zum Dank gegeben, Was liehst du mir als ew'gen Lohn? Du stürztest auf dich selbst das Leben, Und sankst vor ihm, Napoleon! Und des Busens Gewalten, Du Messest sie schalten, Die Erde, der du zum Gott gestaltet, Sie lag durch dich in Graun entfaltet." | 158)I „Du löschtest keck mit Frevelsinnen, Die Flammen, die ich dir gesandt, Vergebens war mein schön Beginnen, Du stürmtest weg, von mir gewandt. Und im Kämpfen und Ringen, Mich selber zu zwingen, Die Thränen bedeckt von der herrschenden Hand, Mußt' ich dich zertrümmern im Felsenland." | |59)| „Ach! meinen liebsten Sohn durchbohren, Für den mein Busen bebend schlug, Den ich zum Helden mir erkoren, Jahrtausend' in dem Schoose trug! Doch ich schwor's den Göttern, In Sturm und Wettern, Den Sohn, den ich ersehn zum Grossen, Wenn er sie höhnt, in die Tiefe zu stossen."| |60)[ „So muß ich stets mich selbst verletzen, Von meinem eig'nen Stamm verhöhnt, Denn Geister horchen den Gesetzen, Wodurch sich Erd' und Himmel söhnt." Und Welten rollen, Vor des Geistes Grollen, Und die Stirne rinnt von heissem Blut, Und Länder vergehn in des Tropfens Gluth. | 5 10 15 20 25 30 584 Buch der Lieder 61)| Die frohgeschmückten Auen spalten Die nebelvolle Tiefe auf, Und Blutgefärbte Nachtgestalten Entquillen rasch im Schattenlauf. Er schüttelt die Locken, Und wo die Flocken, In fernen Landen niederfalln, Da hört man's, wie Tod und Entsetzen schalln.| |62)| Und immer kleiner sinkt zusammen Der Held vor Geisteswort und Drohn, Und rings gehüllt in dunkle Flammen, Weint Riesenschmerz Napoleon. Und will sich retten Aus Bann und Ketten, Doch tiefer pressen ihn nur die Schranken, Er droht gezwungen im Nichts zu entschwanken. | |63)| Da naht aus ew'gen Regionen, 'ne mildverklärte Gluthgestalt, Und auf der hohen Stirne thronen Der Schönheit Zauber und Gewalt. Es tönt das Gebilde Melodischmilde, Und haucht Verklärung und strahlet Licht, Und lächelt süß und zürnet nicht. | |64)| „Ich nah! dich, Erdengeist zu söhnen Mit Deiner selbsterschaff'nen Wuth, Die strengen Götter mögen höhnen, Ich kenne Liebe nur und Gluth. So oft die Wogen Dich weggezogen, So oft du dich selber niedergebeuget In der stolzen Kraft, die du erzeuget, | 5 10 15 20 25 30 585 Literarische Versuche |65)| Dann werf ich süsse Prachtgewande, Der Dichtung Zauber um dein Kind, Und streife weg die Erdenbande Und sing die Rachegötter blind. Was geirrt und gefehlet, Die Leier verhehlet, Doch was die Seele zum Himmel gesandt, Das sing' ich und künde es Gluthentbrannt." |66)| „Im Leben hast du selbst gerichtet, Gebannt von Eid und ew'gem Wort, Doch ist der blut'ge Kampf geschlichtet, Dann trag' ich seine Zeichen fort. Und setz' an die Stelle, In Morgenhelle, Den Ruhmverklärten Weihekranz, Die ewige That, den fesselnden Glanz." | |67)| Der Lichtgott löst des Helden Schranken, Und schmückt der Schläfen hohes Paar, Der arme Erdgeist kann nicht danken, Er lächelt nur, so wunderbar. Und in Gluthentf altung, In Riesengestaltung, Schwillt auf der Held, zu Wolken gehoben, Und leuchtet als ewiger Stern von oben. |68)| Der Sirenen Sang. Ballade. Die Welle rauscht gelinde, Und spielet mit dem Winde, Und hüpfet hoch hinauf; Und tief aus ihnen heben Sirenen sich und schweben In schöngeformtem Lauf. 586 5 10 15 20 25 30 Buch der Lieder Sie schlagen ihre Leier In hehrer Himmelsfeier, In süssen Melodien; Sie wissen alle Ferne, Die Erde und die Sterne In ihren Sang zu ziehn. | |69)| Er faßt so tief und selten, Man kann dem Ton nicht schelten, Der glühend weiter haucht; Vor dunkelen Gewalten Kann sich kein Ird'scher halten, Bis Fluth ihn untertaucht. Es scheint im Wogenfliessen, Ein Reich empor zu spriessen, Geheimnißvoll und hehr Als wenn in Wassertiefen, Die Götter alle schliefen, Im dunkel blauen Meer.| |70)| Und wie verkörpert Sehnen, Enttauchen die Sirenen, In lichter Schönheitsgluth, Und ihre Blicke glühen, Und ihre Leiern sprühen, Und brennen durch die Fluth. Da nahet auf den Wellen, Die wonnig um ihn schwellen Ein Sänger, höh und mild. Er blickt so frei und offen, Wie Liebe und wie Hoffen Verkläret sich sein Bild. | |71)| Die Leier herrscht die Tiefen, Najaden, die da schliefen, Sie leihn ihr trunken Ohr; Und alle Wogen klingen Vor seinem Spiel und Singen, Und tanzen hoch empor. 5 10 15 20 25 30 35 587 Literarische Versuche Und horch! es klingt gleich Sehnen, Gleich fernen Zaubertönen, Wie der Sirenen Sang; Den Jüngling zu bestricken, Die Göttlichen sich schmücken In Schönheit und in Klang: | |72)| „Jüngling! schwebe und spiele, Herrsche das horchende Meer, Treibt dich wohl nach hohem Ziele, Busen schwillt dir hehr." „Hier in üpp'gen Wasserhallen Tönt allein der Sang, Wie die Fluthen niederfallen, Hebet sich der Klang." 5 10 „Tragen ihn spielend und treiben ihn weiter, 15 Daß er wirbelnd flieht, Und die Blicke klären sich heiter, Himmel niederzieht." „Komm in uns're Geisterkränze, Zauber lernt dein Herz, Horch nur auf die Wogentänze, Klingt wie Liebesschmerz."| |73)| „Welten sind der Fluth entstiegen, Geister trug das Meer, Durfte schon die Hohen wiegen Und das All war leer." „Wie die Himmel niederschauen, Und der Sterne Glanz, In die Wogen, in die blauen, In der Welle Tanz;" „Wie die Tropfen zitternd beben, Welten stolz umhülln, So entsteigt der Geister Leben, Die die Wogen fülln." 20 25 30 588 Buch der Lieder „Treibt es dich das All zu kennen, Auszuglühn Gesang, In dem Himmelsschein zu brennen, Rührt dich Gluthenklang;| 5 |74)| Steige nur zu uns hernieder, 10 15 20 25 30 35 Reich uns deine Hand, Geistig werden deine Glieder, Blickst das tiefe Land." Sie heben sich und steigen, Daß alle Wellen schweigen, Und bebend um sie ziehn; Und um den Nacken spielen Die Locken wohl und kühlen, Und alle Wasser glühn. | |75)| Den Jüngling faßt's wie Wähnen, Es stürzen ihm die Thränen, Es klopft die volle Brust; Er kann den Blick nicht trennen, Er muß für sie entbrennen, Vergehn in Liebeslust. Er scheinet tief zu sinnen, Sich Fassung zu gewinnen, Dann hebt er sich empor; Und blickt in stolzer Haltung, In kühner Gottgestaltung, Und laut erklingts zum Ohr: | |76)| „In euren kalten Gründen, Kann Hohes sich nicht künden, Da brennt kein ew'ger Gott; Ihr prangt, mich zu bestricken, Wollt nimmer mich beglücken, Und euer Sang ist Spott." „Ihr kennt nicht Busens Pochen, Des Herzens heisses Kochen, Der Seele hohen Flug; In meiner Brust, da walten Die Götter all und schalten, Und nimmer sinn' ich Trug."| 589 Literarische Versuche 77)| „Mich könnt ihr nicht erfassen, Mein Lieben nicht und Hassen, Und meine Sehnsuchtsgluth; Sie schlägt wie Blitz nach oben, Von zarter Kraft gehoben In Melodienfluth." Und die Sirenen sinken Vor seinem Drohn, und blinken In lichten Thränenquelln; Es zieht sie mit von dannen, Doch ach! die Fluthen bannen, Und hüllen sie in Wehn. |78)| Lied der Elfen. Wir spielen schwebend, Wie Stäubchen bebend Auf Zephyrgluth; Und schaun die Nebel, Und Kraft und Hebel, Wo Erdball ruht. Einst schwebt' auf Wellen, Die sprudelnd quellen, Ein Geist aus Licht; Der blickt in Weiten, Und Welten gleiten, Wo's Auge bricht.) 79)| Sein Blick gab Leben, Und Berge beben, Und Meere rolln, Und Erde neigen, Und Sterne steigen, Und Donner grolln. 5 10 15 20 25 30 590 Buch der Lieder Und im Maienglanze, Im Zephyrtanze Quillt zart und recht, Wie Geistesfächeln, Wie Sonnenlächeln Das Elf geschlecht. I 80)| Aus Knospen sprangen, Wie Gluthverlangen, Die Zarten auf; Den Leib, wie Blüthen, Die groß erglühten In schlankem Lauf. Die Stimme, wie Wehen, Wenn Sterne gehen, Das Auge, wie Gold, Das Herz sanft pochend, Nie wallend, nie kochend, Wie Minnesold. | [81)| Und auf Felsen und Klippen Wir Artigen nippen, Und stürmen und eilen, Durch Gluth und Rauch, Durch Busch und Strauch, Die Lüfte zu theilen. Und Abend's schliessen, Den Schlaf zu gemessen, In Blüthen uns ein; Wenn die erwachen, Uns aufzumachen Im Sonnenschein. I 182) j Und will es gelingen, Die Träume zu zwingen, So schweben wir hin, In die Augen der Schönen, In Liebessehnen Uns auszuglühn. 5 10 15 20 25 30 35 591 Literarische Versuche Und sperren die Träume, Die Blasen, die Schäume In Blüthen ein; Statt ihrer zu spielen Mit Menschenfühlen Und Herzenspein. 183) I Gnomenlied. Wir pochen, wir hämmern, Im Morgen und Dämmern, Mit Kunst und Macht; Und ziehen geschäftig, Betriebsam und kräftig Die Werke der Nacht. Ihr Elfen mögt prangen Mit Wind und Verlangen, Ihr kennt nicht das Land, Das tiefverschlossen Glanzübergossen Vor allem stand. | 84)| Hier schwellen die Räume, Wie schimmernde Träume, Von Edelgestein; Hier lodert's von Blitzen, Die ewig hier sitzen, Bald groß und bald klein. Wir bauen, wir weben, In künstlichem Streben Rubin und Demant, Draus werden Palläste, Des Himmels Gäste, Von Gluth gebrannt, j 5 10 15 20 25 30 592 Buch der Lieder 85)| Wir zählen hier unten Die Tage, die bunten, Die wechselnd entfliehn; Wir können erschauen, Wenn Welten thauen, Und wenn sie versprühn. Hier ruht in Gründen, Verborg'nen Schlünden, In Gold gehüllt, Ein Buch, das saget, Wann Welten getaget, Wann ihr Kreis erfüllt. | |86)| Das wissen die Alten, Die Greisen, die Kalten, Die in Zaubergestelln, Uns Junge erblicken, Wenn Perlen wir pflücken, Und Dunkel erhelln. Und fehlt es an Steinen, Die Alten nur weinen, Das blinkt dann so hehr, Draus thauet funkelnd, Demant verdunkelnd, Ein goldenes Meer. | |87)| Wir ziehen, wir wallen, Durch die weiten Hallen, Die die Tiefe umringt; Wir klopfen nur leise, Nach Sitt' und Weise, Und die Pforte springt. Und wenn wir feiern Auf Donnerleiern Die Schöpfung der Welt, Dann sprudeln Flammen, Hochweit zusammen, Und die Erde gellt. 5 10 15 20 25 30 35 593 Literarische Versuche |88)| Phantasiegebilde. Sonette an Jenny. I) Komm! wir wolln in ferne Lande, Süsse Zauberin, Weithinwegzuziehn, Festgeknüpft von ew'gem Bande, Wo in reinem Aetherbrande Alle Lüfte glühn, Und die Felsen sprühn, Wie verklärte Lichtgewände. Und wir stehn da, tiefversunken, Und von Deiner Nähe trunken, In der Liebe Pein, Schwellen wonnig die Gefilde, Buhlt der Aetherschein Um das magische Gebilde. | |89)|ll) Gluthvoll in den heissen Hallen, Selbst genährt vom Licht, Schatten hülln sie nicht, Darf die Liebe kühner wallen, Freier Herzenstöne schallen, Tiefer Geistgewicht, Bis der Busen bricht, Und die Klänge nicht verhallen, Klingen weiter, klingen freier Auf der Seele Aeolsleier, Schlagen jeden Ton Auf den gold'nen Wonnesaiten, Hin zum lichten Thron, Bis in's Herz sie wieder gleiten. | 5 10 15 20 25 30 594 Buch der Lieder |90)| III) Sinkest Du ermüdet nieder, Auf dem üpp'gen Moos, In der Blüthe Schoos, Hüll' ich Deine zarten Glieder; Und ich ruhe bei dir nieder, Blick das Auge groß, Und von Liebesloos, Schwellen tönend meine Lieder. Alle Götter schwör' ich mächtig, Und die Strahlen, süß und prächtig, Hin zum zarten Bund, Und der Blüthe holde Geister Haucht mein Sängermund, Und des Alles ew'gen Meister. I |91)|lV) Muß Dein Busen, hoch von Sehnen, Schwellen bei dem Sang, Tief erfaßt von Drang, Brichst Du aus in süssen Thränen, Läßt Dein Lockenhaupt sich lehnen, Voller Saitenklang, Wehmuthsvoll und bang An des Sängers Herz und Wähnen, Dann ergreift es mich, wie Brennen, Und das Ew'ge lern' ich kennen, Ferne Himmellust, Preß' von Zauber eingewieget, Dich an meine Brust, Und die Erde ist besieget. | |92)|V) Und wir hauchen Geistesflammen, Lebensgluth und Wehn, In uns zu vergehn, Wonnig süß und voll zusammen, 595 5 10 15 20 25 30 35 Literarische Versuche Wie sie tief vom Herzen stammen, Wo sie ewig stehn, Als der Liebe Lehn Zu entglühn in Wechselflammen; Welten tauchen uns dann unter, Doch es steigen schöner, bunter, And're vor uns auf; Ihre Sonnen Harmonien, Sphärengang ihr Lauf, Ihre Fluthen Geistessprühen.| |93)| VI) Ach! es sind nur gold'ne Träume, Die mein Herz erdenkt, Ewig abgelenkt, Fassen dich ja ferne Räume; Kühlen and're Schattenbäume, Ueber dich gesenkt; Süsse Labung schenkt And'rer Fluthensprung und Schäume. Deine Geister darf ich halten, Ahnen, gleich wie Traumgestalten, Deiner Schönheit Licht, Darf in Phantasien dich schmücken, Doch Du wirst mir nicht, Und ein Wahn ist mein Entzücken. 1 |94)| Die beiden Rosen. Romanze. „Es prangt in weichem Moose Gar voll 'ne Purpurrose, Den Feuergluthen gleich; Und an sie angeschmieget, 'ne andere sich wieget, Wie Schneesflocken bleich." 5 10 15 20 25 30 596 Buch der Lieder „Sie blinkt, wie Thränensehnen, Muß an die Gluth sich lehnen Mit tiefer Allgewalt; Die zarten Zauberbilder Verklären voll und milder I Harmoniegestalt." Zu 95)| „Und wie die Gluth verrauchet, In Staubeshülln getauchet, Vom Sturm entblättert liegt, So prangt die bleiche glühend, Von Himmelstönen sprühend, In Aetherglanz gewiegt." „Sie scheint emporzuflammen, Dann sinkt sie auch zusammen, Und beide hüllt ein Grab." So sang ein greiser Sänger, Und lehnt sich bang und bänger Auf seinen Wanderstab. |96)| Sonette an Jenny. I) Herrin! wolle mich nicht hassen, Muß ich Gluth gestehn, Muß ich Liebe flehn, Und dem Drang mich überlassen. Sieh! die armen Ird'schen prassen In des Zephyrs Wehn, In der Sterne Gehn, Dürfen nimmer doch sie fassen. Wie des Sturmes Nahn, Von der Felsenbahn, Unaufhaltsam dumpf zertrümmernd, Steigt aus tiefer Nacht, Allgewalt'ge Macht, Geister, Lieb' und Leben schimmernd. 597 5 10 15 20 25 30 35 Literarische Versuche |97)|II) Und sie stürzen hin und reissen, Uns'rer Seele Gluth, Wo das Höchste ruht, Gleich wie ein dämonisch Heissen. Ach! so muß ich singen, preissen, Treiben in der Fluth, Sinkt noch Hoffnungsmuth, Seh' ich auch der Wünsche Gleisen. Sang muß stets dir schalin, Stets mein Puls Dir walin, Bis der Strom mich weggetrieben, Bis mich faßt das Meer, Nächtig kalt und leer, Muß ich ewig, ewig lieben. | |98)| III) Und, wenn dumpf und losgerissen, Seele irrt in All'n, Ewig fortzuwalln, Ewig selber sich zu missen, Wenn verstummet Kampf und Wissen, Leben rings verhalln In dem Nichts verschalln, Und mein Geist sich selbst entrissen, Flammet noch ein Licht Flammt und löschet nicht, Sehnt sich nach verschwund'nem Bilde, Liebe hauchts das Wort, Sie nur brennt fort, Sucht Dich noch im Wahngefilde. 5 10 15 20 25 30 598 Buch der Lieder |99)| Vorerinnerung an Jenny. Jenny! gieb mir Flammenzeigen, Und des Himmels Melodien, So nur kann Dich Sang erreichen, Was ich sing', ist nichtig Mühn. 1100)| Die Zauberin. An Jenny. Es liegt in meiner Seele, Gleich goldenem Juweele Ein reines Götterbild; Für ewig ihm entbrennen, Es lieben und es kennen In einem Hauche quillt. Kein Mißlaut darf sich gatten, In Licht muß selbst der Schatten Entzückt zusammenfliehn; Des Antlitz Linienwellen In sanften Gluthen schwellen Zu ew'gen Harmonien. | 1101)| Der Himmel scheint gezogen Aus blauen Wolkenwogen In dieses Traumgesicht; Es sprüht, wie Geisterleben, Es klingt, wie Sehnsuchtsstreben, Es strahlt, wie Götter licht. Der Aether scheint gefangen, Im zarten Bild zu prangen, In Dieser Zauberin; Er kann nicht von ihr eilen, Des Hauches Gluth zu theilen, Des Blickes Geistersprühn. | 5 10 15 20 25 30 599 Literarische Versuche 1102)| Und in sich selbst geschlossen, Von Hoheit Übergossen, Im Schönheits-Aetherschein, Die Formen all sich wiegen, Und die Gefalte schmiegen Sich bebend im Verein. Von Geistermacht gehoben, Aus Melodien gewoben, Sich selber unbewußt, Quillt sanft in Schönheitsfluthen, Gewiegt in zarten Gluthen Aus leichtem Flor die Brust. | 1103)| Da lieget tief versunken, In Ahnungen ertrunken, Wie Äeolsleierklang, Geheimnißvolles Leben, Wo alle Saiten beben In fernem Himmelsdrang. Und wenn die Geister schlagen, Den Busen schwellend tragen, Das Lichtverklärte Herz, Dann faßt es Sie, wie Sehnen, Sie muß das Haupt sich lehnen, In tiefem Wehmuthsschmerz.| 1104)| Dann blickt sie groß und ferne, Und funkelt alle Sterne Aus ihres Blickes Sitz, Und alle Welten flammen In ihrer Gluth zusammen, In ihrer Seele Blitz. Das Todte scheint zu fühlen, Der Zephyr naht, zu kühlen, Die Wolke lacht entzückt, Der Erde Pulse schallen, Um zu ihr hinzuwallen Mit Blüthen rings geschmückt. 5 10 15 20 25 30 35 600 5 10 15 20 25 30 Buch der Lieder 105)| So steht sie sanftverkläret, Von Liebe großgenähret, Und braune Locken fliehn, Nach Schönheitsgluth sich sehnend, An zarten Nacken lehnend Um sie in Liebesmühn. Und was die Lippe hauchet, In süssen Sang sich tauchet, Und wie ein Gottgewand, Das Ganze zu durchbeben, Zum Höchsten zu erheben, Als wie der Liebe Pfand, | 106)| Wallt mild um alle Glieder, 'ne Gottheit sanft hernieder, In leisem Schleierkranz, Und klärt das Lichtgebilde Zu Hoheit und zu Milde, Zum höchsten Frauenglanz. Erfüllt von Sehnsuchtsgeistern, Schien sich zu übermeistern Ein Gott in Schaffermühn; Die Erde unterlieget, Der Himmel selber sieget In Deiner Schönheit Glühn. 1 1107) I An Jenny. Flieht ihr leeren Luftgestalten, Und du trüber Schmerzenssang, Sinkt in Fluthen, in die Kalten, Treibt im wilden Sturmesdrang. Denn Gewißheit darf ich pressen, An die trunken volle Brust! Zweifel! stürzet in Vergessen, Schwing dich auf ο Götterlust! 601 Literarische Versuche Seht ihr's! flammengroß geschrieben, Hört ihr Aeolssaitenton? Sie, die Göttin darf ich lieben, Gegenliebe wird zum Lohn!] 108)| Ha! zu weit für dieses Leben, Und zu ewig ist das Wort! Jenny will mir Liebe geben, Und es reißt mich schwindelnd fort. Darf der Ird'sche kühn es sagen, Wird ihm solche Götterhuld? Und nicht nichtig war sein Klagen, Und gelöst ist Liebesschuld! Brennet schöner weite Massen, Leuchte höher Sonnenblitz Denn ihr könnt die Gluth nicht fassen, Und zu eng ist euer Sitz. | 109)| Stürzt jezt über mich ihr Wogen, Und des Schicksals stolze Macht, Kreiset höher eure Bogen, Wälzet näher eure Nacht! Meinen Handschuh werf ich höhnend, Hin! in euer Angesicht Rast nur auf mich, dumpf und stöhnend, Und mein Fuß, er wanket nicht. Könnt ihr Liebesgluth empfinden, Ew'ge Seelenharmonien? Und ihr wollt die Flamme binden, Und in euren Kreis sie ziehn i| 110)| Prangend über euren Wellen, Ueber euren Grimm und Graus, Darf die Liebe ragend schwellen, In der Himmel hohes Haus. Jenny! Kannst Du bebend schwanken, Zittert Dir das hohe Herz? Liebe ist ein Allgedanken, Und nur Nebel ist der Schmerz. 5 10 15 20 25 30 35 602 Buch der Lieder Unser Bund ist Gluthumflossen, Seine Grenze Ewigkeit; Liebe hat ihn abgeschlossen, Und was ist der Liebe Zeit? | 111)| Darf ich nun an's Herz Dich pressen, Saugen Deines Geistes Wehn, Ird'sches lehre das Vergessen, Ew'ges bleibet ewig stehn. Ha! es sind nur Wirbelreihen, Armer Quellenrausch und Fall, Die der Liebe Bund entzweien, Und sie selber ist das All! | 1112)| An Jenny. Sonette. I) Jenny! Ist das hohe Gut mein eigen, Süsses Seelenwesen, hebst Du mich? Ha! Dein Geisterbusen hebet sich, Und die zarten Purpurlippen schweigen! Sollte sich der Himmel niederneigen, Der schon längst aus meiner Seele wich, Weggescheucht von Geistern fürchterlich; Und in Dir sein schönstes Kleinod reichen? Fieberisch verwirrte Traumgestalten, In der Nächte Dunkel eingehüllt, Wußten sich an meine Sehnsucht festzuhalten, Und sie tanzten um mich, Schattenbilder, Bis Verzweiflung bebend mich erfüllt, Schwollen sie zu Riesen, groß und wilder. | 5 10 15 20 25 603 Literarische Versuche 1113)| Π) Und es tönte, wie aus Schreckenstiefen Unerfaßbar aus der Seele Land: „Ach! zerrissen ist der Liebe Band, Und die Harmonien, die kaum entschliefen!" „Welch' verweg'ne Trugdämonen riefen Dir in zauberischem Prachtgewand Auf der Liebe süßgeschwellten Brand, Deren Aethernebel Wollust triefen? Sie, die prangend bis zum Himmel glühet, Himmel in des Herzens Tiefe wiegt, Die verklärt ein Lichtgebilde sprühet, Die so groß, wie Schönheits Allgedanken, Nimmer hattest Du ihr Herz besiegt, 5 10 Und dein Bild mußt' längst im Nichts entschwanken." 15 1114)| III) Und die Seele könnt' es nimmer fassen, Weinte ungeheure Schmerzensgluth, Rann dahin in wildbewegter Fluth, Ewig, ewig hat sie dich verlassen! Ha! verlacht hatt' ich der Welten Hassen, Und verhöhnt der Elemente Wuth, Stolz gehüllt in Busens Riesengluth, Konnte selbst in ihrem Zürnen prassen. Doch in leeres Nichts die Geister hallen, Und zerschmettert sinkt des Busens Kraft, Und die Pulse zitternd, bebend wallen, Und vernichtet, aus der Bahn gerissen, Von den Wellen brausend hingerafft, Stürz' ich, muß ich Dich, mein Leben, missen. | 1115)| IV) Doch noch ließ ich meine Leier klingen, Treu aus tiefbewegter Dichterbrust Ließ sie sprühn in Wehmuth und in Lust, Mich in Melodien hinanzuschwingen, 20 25 30 35 604 5 10 15 20 25 30 Buch der Lieder Hin zu meiner Göttin aufzudringen, Daß geheimnißvoll und unbewußt, Sie der fernen Stätte nahen mußt', Hergebannt durch Liebesgluth und Singen: „Mag sie denn sich ewig von mir wenden, Ewig bleibe ich ihr zugewandt, Ewig werd' ich süsses Lied ihr spenden, Ewig schwelgen in Erinn'rungstönen, Bis die Sehnsucht todt das Herz gebrannt, Geister sich auf Aetherwellen lehnen." | |H6)| V) „Ha! zu hoch blickt sie auf Dich hernieder, Und zu herrlich prangt ihr süsses Licht, Sehnen darfst du, doch erringen nicht, Singen darfst Du heisse Weihelieder, Doch dein Gluthensang, er tönt nicht wieder, Echo ist der Schmerz, an dem er bricht, Und der Träumerwahn sein Geistgewicht, Luftgebilde bauen seine Glieder. Zu den blauen, gold'nen Himmelssternen, Darf dein Sehnen funkelnd aufwärtsfliehn, Darf es fassen alle Näh' und Fernen, Doch in Schmerzgewirktem Schattenkreise, Muß es wieder bebend in sich ziehn, Und von neuem tönt die alte Weise."| 1117)| VI) Und Du liebst mich! darf ich stolz mir's sagen, Und Du klärest meinen Erdensinn, Und Du hebst hinan mich, zu Dir hin, Und Dein Busen will mir liebend schlagen! Ha! mein Geist vermag's noch nicht zu tragen, Und er taumelt vor dem Allgewinn, Betet zu Dir, Himmelsköniginn, Kaum kann er den Allgedanken wagen. 605 Literarische Versuche Kühner sprudeln jezt die Lebensgeister, Drängen fluthend mich zu That und Wort, Treten werd' ich jezt, ein Ruhmverklärter Meister, Herrschend in das wechselvolle Leben, Und es klinge weit durch Welten fort, Jenny, tone es, und ew'ges Strebeni| 1118)| VII) Und Du bebst vor Truggebor'nen Schatten, Vor des Lebens jämmerlichem Zwang? Laß es heulen seinen Bubensang, Laß es nur in neid'schem Hohn ermatten, Nimmer könnt' es sich dem Hohen gatten, Nimmer fassen ew'gen Seelendrang, Liebespein und Harmonienklang, Weü es nied're Geister inne hatten. Doch noch lauter tönet meine Zyther, Und noch kräft'ger schlägt mein liebend Herz, Uebertönet Sturm und Ungewitter, Faßt in allbelebten Riesenweiten Dich und meinen Sehnsuchtsschmerz, Und die Weltenschaar der Ewigkeiten. | 1119)| VIII) Laß sie stürzen, Jenny, laß sie sinken, Jahresreihn und Würmerschaar, Laß in Dunkel und in Sturmgefahr, Tausend Leben bleichen Tod sich trinken, Aus der Nacht wird golden Licht uns blinken, Und die Liebe beut uns Rettung dar, Und das Auge hebt sich stolz und klar, Und die ew'gen Himmelssterne winken. Jenny liebt mich! und wo sind noch Schranken, Klemmt uns nied're Erdenfessel ein? Wir verwehn in einen Allgedanken, Und die Geister, stürmisch fortgezogen, Glühn zusamm'n in einem ew'gen Sein, Und der Erdenwurm stürzt in die Wogen. 5 10 15 20 25 30 35 606 Buch der Lieder 1120)| An Jenny. Sonette. I) Jenny! spöttelnd wirst Du wohl mich fragen, Was mein Lied sich stets: „an Jenny" nennt, Da doch alle Pulse Dir nur schlagen, Alle meine Lieder Dir nur klagen, Alle Dich an ihrem Busen tragen, Da doch jede Sylbe dich bekennt, Jeder Ton für Dich melodisch brennt, Und kein Hauch sich von der Göttin trennt? Doch so süß ist mir des Namens Schallen, Und aus seinen Zügen schlägt so viel, Und er tönt so voll durch alle Hallen, Trifft mich, gleich wie fernes Geisterbeben, Wie ein Goldbesaitet Zytherspiel, Wie ein eigen, zauberhaftes Leben. | 1121)| II) Sieh! ich könnte tausend Bücher füllen, Und nur „Jenny" schrieb ich stets hinein, Und doch würden sie Gedanken hüllen, Ew'ge That, unwandelbaren Willen, Süsse Dichtung, zartes Sehnsuchtsstillen, Alle Gluth und allen Aetherschein, Alle Götterlust und Wehmuthspein, All mein Wissen und mein eigen Sein. In den Sternen kann ich ihn nur lesen, Aus dem Zephyr tönt er mir zurück, Aus der Welle Rauscherfülltem Wesen, Und ich denk' ihn einst in solchen Bann zu schreiben, Daß Jahrhunderte erschaut sein Blick, Jenny soll der Liebe Nähme bleiben. | 5 10 15 20 25 30 607 Literarische Versuche 1122)| An Jenny. Sonette. I) Ich weiß, in süßem Wähnen, Dein voller Götterbusen bebt; Und kaum verbirgst Du Thränen; Und allzutiefes Sehnen Muß sich auf Schmerzen lehnen. Und jeder feinste Nerv erbebt. Und jedes warme Hauchen strebt, Bis es zum Himmel glühend schwebt. Und niemand kann erfassen Die tiefdämonische Gewalt, Die Geister, die Dich fassen, Die, wie aus fernen Reichen, In zart ätherischer Gestalt Sich liebend zu Dir neigen. | 1123)| II) Doch, Jenny, sieh! es liehen Dem Sänger milde Götter Macht, Er kann sie in sich ziehen, Des Busens zartes Glühen, Dein Sehnen und Dein Sprühen, Und jeden Geist, der Dich bewacht, Und er versteht der Wehmuth Nacht, Und Deiner Seele gold'ne Pracht. Und soll er stumm verfliessen, In sich der Geistervolle Schmerz, Und Tod in sich gemessen? Und rings von Zwang gebunden, Entseelen tief das schöne Herz, Verbluten in den Wunden?! 5 10 15 20 25 30 608 Buch der Lieder 1124)| III) Dein Herz ist ja mein eigen, Und wenn das Grosse schwellend bricht, Muß auch das meine schweigen, Sich in die Dunkel neigen, Dem Schattentanz sich reigen, Dir selbst gehört das Hehre nicht, Drum ströme aus sein Geistgewicht, Und tauche Schmerz in Liebeslicht. Ich will den Zarten hegen, In Sange sblüthen Wunderreich, Will ihn mit Klängen pflegen, Verjüngt in Reitzgestalten Melodisch voll und weich, Soll er sich neu entfalten. 1 1127)1 Des Sängers Christabend. Romanze. Es sizt an Ufers Wellen, Die spielend glühn und schwellen, Ein Sänger stumm versenkt. Er scheinet tief zu sinnen, Er blicket weit von hinnen, Und fern sein Busen denkt. „Wie ihr, ihr raschen Wogen, Im Drange fortgezogen, In wechselvoller Fluth, So mußten süsse Zeiten Im Strome weitergleiten, So schwand die Jugendgluth."| 5 10 15 20 25 30 609 Literarische Versuche 1128)| „Für mich seid ihr geflohen, Ihr Flamm'n, ihr lichterlohen, Du süsse Sternennacht; Die Träume sind geschwunden, Die magisch mich gebunden, An tiefe Zaubermacht." „Einst wogt' in diesen Tagen Von sehnsuchtsvollem Schlagen Die jugendliche Brust, Und wenn in Traumgewanden Die heil'ge Nacht erstanden, Dann glühte sie von Lust."| 1129)| „Dann war ein Zauberleben Dem Irdischen gegeben, Ein göttlich schöner Wahn; Der Himmel nahte müde, Und brachte zart Gebilde Aus blauer Wolkenbahn." „Doch ist nicht aufgegangen, Wie sehnendes Verlangen, Wie ferner Geisterdrang, Die Himmel offenbarend, Das Höchste sinnig schaarend Der Liebe Zaubersang?" | 1130)| „Stieg nicht ein Götterwesen Den Busen zu genesen, Aus lichtem, fernem Raum, Und stillte all mein Sehnen, Lieh Leben jedem Wähnen, Und Wahrheit jedem Traum?" „Doch ach! sie könnt' nur leihen, Nur mir das Höchste weihen, Und Zweifel füllt ihr Herz, Und ringt der tiefen Seele, Dem reinen Goldjuweele Um seinen Glanz den Schmerz!" 5 10 15 20 25 30 35 610 Buch der Lieder 1131)( An Jenny. Es tönt, wie Glockenklang, Wie ferne Himmelslieder, Wie tiefer Geisterdrang, Vom Thurme sanft hernieder. Ein Phönix ist erstanden, Aus Gluth stieg er empor, Und glänzt durch alle Landen, In sich ein Geisterchor. Es reichen seine Schwingen Zum Himmel kühn hinan, Bis sie zusammenklingen Mit Aetherwolkenbahn. Und hehr in froher Feier, Von Himmelsgluth genährt, Ertönet jede Leier, Sprüht jeder Blick verklärt. | 1132)| Du, Jenny, denkst wohl bange An jene süsse Zeit, Wo bei der Glöcklein Klange Geschenke Dich erfreut, Wo's Dich so seltsam faßte, Wenn in dem hellsten Licht, Gleich einem Himmelsgaste, Der Christbaum schwellend bricht. Hat nicht aus Busens Fülle, Wo Schlummer süß ihn band In weicher Dichtungshülle, In zartem Traumesland, Ein Phönix sich getauchet, Ein milder Genius, Der rings von Flammen rauchet, Und klingt wie Liebesgruß? | 5 10 15 20 25 30 611 Literarische Versuche 133)| Dein Aug' hat ihn genähret, Dein Busen zog ihn groß, Bis er, wie Gold verkläret Mir bebend sich erschloß ! Ich stand vom Blitz getroffen, So seltsam tief gebannt, Von Lieben und von Hoffen War meine Brust entbrannt, Als wenn ich einst gebettet In tiefen Zauberschlaf, Und erst vom Bann gerettet, Als mich Dein Gluthblick traf! So nimm', mein süsses Leben, Der Lieder Reihenkranz; O! daß in's Herz sie schweben, Zu glühn in seinem Glanz! 5 10 15 612 Buch der Lieder Inhalt. 5 10 15 20 Die Geister. Ballade. An Jenny. Alboin und Rosemunde. Romanze in 11 Liedern. Harmonie. An Jenny. Seelenmusik. An Jenny. Sehnsucht. An Jenny. Die beiden Harfensängerinnen. Ballade. 4 Sonette. An Jenny. An Jenny. Die Romanze vom Grab. Der Sirenen Sang. Ballade. Lied der Elfen. Lied der Gnomen. Phantasiegebilde. 6 Sonette. An Jenny. Die beiden Rosen. Romanze. 3 Sonette. An Jenny. Vorerinnerung. An Jenny. Die Zauberin. An Jenny. | An Jenny. An Jenny. 8 Sonette. An Jenny. 2 Sonette. An Jenny. 3 Sonette. Des Sängers Christabend. Romanze. An Jenny. 1-6. S. S. 7-28. S. 29-30. S. 31-33. S. 34-39. S. 40-43. S. 44-47. S. 48-52. S. 53-67. S. 68-77. S. 78-82. S. 83-87. S. 88-93. S. 94-95. S. 96-98. S. 99. S. 100-106. | S. 107-111. S. 112-119. S. 120-121. S. 122-124. S. 127-130. S. 131-133. 613 Gedichte, meinem teuren Vater zu seinem Geburtstage 1837 I Gedichte, meinem theuren Vater zu seinem Geburtstage 1837, als schwaches Zeichen ewiger Liebe K. H. Marx. Berlin. Gedichte, meinem teuren Vater zu seinem Geburtstage 1837. Titelblatt Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 I Inhalt. Gedichte. An den Vater. Zauberharfe. Ballade. 5 Sehnsucht. Romanze. Nachtliebe. Romanze. Sirenensang. Ballade. Der Wassergreis. Ballade. Erste Elegie aus den Büchern der 10 Trauer des Ovid, frei übersezt. Die Wahnsinnige. Ballade. Blumenkönig. Phantastische Ballade. Erwachen. Des Verzweiflenden Gebet. 15 Lucinde. Ballade. Weltgericht. Scherz. Die beiden Harfensängerinnen. Ballade. Epigramme auf Hegel. Epigramme auf die Deutschen 20 und Pustkuchen. Auf einen Kahlkopf. Harmonie. Die Zerrißne. Ballade. Menschenstolz. 25 Oulanem. Trauerspiel. Erster Akt. Lied" an die Sterne. Lied eines Schiffers auf der See. Das bleiche Mädchen. Ballade. Waldquell. Spielmann. Ballade. Drei Lichtlein. Entführung. Ballade. Epigramme und Xenien. Gesucht. Gefunden. Sonett. Wechselgespräch. Ballade. Seefels. Männerl und Trommerl. Mährlein. Spatziergang. Zauberschiff. Ballade. Mondmann. Nachtgedanken. Dithyrambe. Traumbild. Dithyrambe. 30 Einige Kapitel aus: Scorpion und Felix. Humoristischer Roman. Anhang. 621 Literarische Versuche I Widmung. An den Vater. I.) Schöpfung. Ferne zog auf lichten Wellen Unerschaff'ner Schöpfergeist, Welten wogen, Leben quellen, Ewigkeit sein Auge kreist. Seiner Blicke Allbeseelend Walten Brennt sich magisch fester in Gestalten. Räume beben, Zeiten wallen, Betend um sein Antlitz hin, Fluthen branden, Sphären schallen, Und die gold'nen Sterne ziehn. Segnend winkt sein Vaterhaupt Gewährung, Liebend zieht sich um das All Verklärung. Leis in selbstempfund'nen Schranken Drängt sich Ew'ges sinnend fort, Bis die heil'gen Urgedanken Form verhüllt und Dichtungswort. Da ertönt's, wie fern von Donnerleiern, Wie ein ahndungsvolles Schöpferfeiern: | I „Sterne ziehn und strahlen milder, Welten ruhn in Urbergs Last, Meines Geistes sel'ge Bilder, Seid vom Geiste neu erfaßt. Wenn die Busen wogend zu euch schlagen, Sollt ihr liebend-fromm die Deutung Sagen." 5 10 15 20 25 622 Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 „Nur der Liebe seid erschlossen, Ihr des Ew'gen ew'ger Sitz, Wie ich mild in euch ergossen, Schlag' aus euch mein Seelenblitz." „Harmonie kann nur das Gleiche finden, Seelen können nur die Seele binden." „Aus mir brannten eure Geister, Zu Gebilden Deutungshehr, Rückwärts kehrt ihr zu dem Meister, Seid nun keine Bilder mehr, Von des Menschen Liebblick heiß umfangen, Ihr in ihm und er in mir vergangen!" I II.) Dichtung. Schöpferähnlich strömten Flammen Rieselnd mir aus Deiner Brust, Hochweit schlugen sie zusammen, Und ich nährt' sie in der Brust. Strahlend stand Dein Bild, wie Aeolsklingen, Deckt die Gluthen sanft mit Liebesschwingen. Rauschen hört' ich's, sah es blinken, Ferne Himmel zogen hin, Tauchten auf, hinabzusinken, Sanken, höher aufzufliehn. Als der inn're Kampf sich nun geschlichtet, Blickt' ich Schmerz und Lust im Lied verdichtet. Schmiegend an der Formen Milde, Steht die Seele festgebannt, Aus mir schwollen die Gebilde, Aus Dir waren sie entbrannt. Geistig lösen sie die Liebesglieder, Sprühn sie voll im Schöpferbusen wieder. 5 10 15 20 25 30 623 Literarische Versuche I Zauberharfe. Ballade. Es zieht gar seltsam sein Ohr entlang, Wie Harfenlust, wie Saitenklang. Ruft wach den Sängermeister; „Wie klopft die Brust so hoch, so bang, Was schallt herüber für Gesang, Als klagten Stern' und Geister?" Er rafft sich auf, er springt empor, Streckt aus sein Haupt in Schattenflor, Da sieht er's golden streifen; „Folg' Sänger, Stufen auf und ab, Hoch aus der Luft, tief in das Grab, Kannst keine Saite greifen!" Der Sänger sieht, wie's groß sich rankt, Dem Sänger tief die Seele schwankt, Da hört er's voller rauschen; Er folget nach, es zieht ihn mit, Trepp' auf, Trepp' ab, wie Geistesschritt, Muß oft die Wege tauschen. | JDa hält er still, da springt ein Thor, Und brausend stürzt Gesang hervor, Scheint ihn hinwegzutragen; 'ne Leier spielt in gold'ner Pracht, Als klängen aus ihr Tag und Nacht, Von keinem angeschlagen. Es greift ihn an, wie Weh, wie Lust, Es schwillt ihm hoch, es klopft die Brust, Nicht länger kann er's hehlen; „Die Zyther spielt mein eigen Herz, Das bin ich selbst, das ist mein Schmerz, Das hallt aus meiner Seelen." 5 10 15 20 25 30 624 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Und trunken faßt er Ton und Griff, 's klingt hoch, wie Quell vom Felsenriff, 's klingt tief, wie Abgrundsbrausen; Sein Blut tanzt wild, weit rauscht sein Sang, Ihn faßt's so selten Wehmuthsbang, Sah nie mehr Licht da draussen. 1 I Sehnsucht. Romanze. „Was seufzt die Brust, was glüht der Blick, Was brennen all' die Venen, Als drückt' dich Nacht, als peitscht' Geschick, Hinab in Sturm Dein Sehnen?" „Zeig' mir das Aug', wie Glockenklang, Gefaßt in Regenbogen, Wo's strömt wie Gluth, wo perlt Gesang, Wo Stern' herüberwogen!" „Mir träumt' davon, mir träumt' so schwer, Kannst nimmer wohl es deuten, Mein Kopf ist hohl, mein Herz ist leer, Will mir ein Grab bereiten!"| |„Was träumst du her, was träumst du hin, Was zieht's nach fernen Landen? Hier braust die Fluth, hier wogt Gewinn, Hier glüht's in Liebesbanden." „Hier wogt es nicht, hier glüht es nicht, Schon seh' ich's fernher blinken, Mich brennt die Lust, mich blendet Licht, Muß schier heruntersinken." Hoch blickt' er, bis das Aug' ersprüht, Da zucken alle Glieder, Die Sehnen schweiin, das Herz erglüht, Entgeistert sinkt er nieder. 5 10 15 20 25 30 625 Literarische Versuche I N a c h t l i e b e. Romanze. Zieht sie krampfhaft an's Herz, Schaut so dunkel in's Auge: „Viel Lieb' brennt dich Schmerz, Bebst, bebst meinem Hauche?" „Hast getrunken die Seele, Mein, mein deine Gluth, Glänz' meine Juweele, Glänz', glänz' Jugendblut!" „Holder schaust so bleich, Sprichst so wunderselten, Sieh', wie Sangesreich Ziehn am Himmel Welten!"| I „Ziehn, ziehn, Liebchen, ziehen, Sprühn Sterne, sprühn, Hinauf, hinauf dann entfliehen, Seelen zusammenglühn." Spricht dann leise flüsternd, Schaut gar hohl umher, Blicke, Flammen knisternd Glühn sein Auge leer. „Liebchen hast Gift getrunken, Mußt fort mit mir gehn, Hat längst die Nacht gewunken, Kann den Tag nicht mehr sehn!" Preßt sie krampfhaft an's Herz, Tod in Brust und Hauche, Sticht sie tiefinnerer Schmerz, Oeffnet nie mehr ihr Auge. 5 10 15 20 25 30 626 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 I Sirenensang. Ballade. [Siehe S. 586-590 und 1234/1235.] I Der Wassergreis. Ballade. 1.) Wasser rauscht so seltsam dort, Kreist sich in Wellen fort, Glaubt wohl! es fühle nicht, Wie sich die Woge bricht, Kalt sei's im Herzen, kalt in dem Sinn, Rausche nur, rausche nur hin. 2.) Doch in den Wellen, im Abgrund heiß, Sizt gar ein alternder Greis, Tanzt auf, tanzt ab, wenn der Mond sich zeigt, Wenn Sternlein aus Wolken steigt, Springt gar seltsam und ringt gar sehr, Will trinken das Bächlein leer. | |3.) Wellen sind ja die Mörder sein, Zehren und nagen des Alten Gebein, Grinzt ihm eisig durch Mark und Glied, Wenn er die Wogen so springen sieht, Schneid't gar ein bängliches Wehgesicht, Bis Sonnenglanz Mondtanz verbricht. 4.) Wasser rauscht dann so seltsam dort, Kreist sich in Wellen fort, Glaubt' wohl, es fühle nicht, Wie sich die Woge bricht, Kalt sei's im Herzen, kalt in dem Sinn, Rausche nur, rausche nur hin. 5 10 15 20 25 30 627 Literarische Versuche I Erste Elegie aus Ovid's Büchern der Trauer; frei übersezt. 1.) Kleines Büchlein, du darfst eilen Hin zum frohen Siegersitz, Und ich kann den Weg nicht theilen, Denn mich traf des Jovis Blitz. 2.) Geh! in dürftigen Gewanden, Trag' des Herren Trauerkleid, Schmucklos, wie es ziemt Verbannten, Wie's gebeut der Sturm der Zeit. 3.) Purpur'n soll kein Schleier prangen, Um dich in Violenblut, Sehnsucht ach! und leer Verlangen Schmückt nicht hohe Freudengluth. [ |4.) Birg den Namen, schamhaft schweigend, Dufte nicht von Cedersaft, Und kein Silberbuckel neigend, Stör' das Schwarz' am krummen Schaft. 5.) Glückbeseelte Schrift erwählet Solcher Zierde selt'ne Pracht, Nur mein Schmerz sei dir vermählet, Und der Trauer dunkle Nacht. 6.) Zotticht rauh magst du erscheinen, Wie in wildgelöstem Haar, Und nicht glättend soll sich einen Bimsstein zart und wunderbar. | 5 10 15 20 25 30 628 Gedichte, meinem teuren Vater zu seinem Geburtstage 1837 |7.) Ist dein bleiches Antlitz trüber, Trüber noch durch mich befleckt, Ach! die Zähre rann hinüber, Bis sie heiß dich zugedeckt! 8.) Geh' mein Buch und grüß die Räume, Grüß' den heilig theuren Ort, Dorthin tragen mich die Träume, Phantasie und Zauberwort. 9.) Wenn vielleicht Erinn'rungsahnen Manchen faßt, der dich erblickt, Wenn dich Fragen stürmisch mahnen Nach dem Herrn, der dich geschickt; | |10.) Daß ich lebe, darfst du sagen, Daß gerettet, sage nicht, Selber, daß die Pulse schlagen, Gnade sei es, Wohlthat nicht. 11.) Und wer mehr will, gieb dich leise, Stillbehutsam ihm dahin, Daß nicht unbedachter Weise, Strafbar Wort und Laut entfliehn. 12.) Mancher wird dich höhnend schelten, Wird erneuen mein Vergehn, Du auch für Verbrecher gelten, Mußt beschämt zu Boden sehn.| |13.) Kränkt dich Vorwurf und Verdammen, Hör' sie stillgelassen an, Feuer löschen nicht die Flammen, Das Vergehn nicht Täuschungswahn. 5 10 15 20 25 30 35 629 Literarische Versuche Doch du wirst auch manchen finden, Der in Seufzern zu dir spricht, Zähren werden hold erblinden Seines Auges Sehnsuchtslicht. 15.) Und aus seiner Brust wird's tönen, Leis in vollem Liebesdrang: „Könnt' er Cäsar'n doch versöhnen, Mildern, ach!, der Strafe Zwang."| |16.) Und wer immer freundlich redet: „Daß der Gott besänftigt sei!" Sieh! mein Busen für ihn betet: „Donner zieht an ihm vorbei!" 17.) Möcht' sein Wunsch sich doch gestalten, Dürft' ich sterben in dem Sitz, Den die Götter inne halten, Mög' erkalten Cäsar's Blitz! 18.) Wenn du so den Gruß entsendet, Wirst du selbst wohl angeklagt, Daß nicht süsse Form gespendet, Daß mein Geist nicht aufwärts ragt, j J19.) Doch der Richter muß erkennen, Welche Zeit die That gebar, Wird man sie erwägend nennen, Bist du sicher vor Gefahr; 20.) Denn der Dichtung Zauberfülle Strömt aus frohbewegter Brust, Ach und dunkle Nebelhülle Deckt die Schläfe, bannt die Lust. 5 10 15 20 25 30 35 630 Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 21.) Und die Lieder alle trauern, Daß der Sänger streng gebannt, Sturm und Meer und Winter schauern Um das Haupt, ihm unbekannt i| |22.) Furcht darf nimmer eisig fassen, Soll der Prachtgesang entglühn, Und ich weine, dumpf verlassen, Seh' das Mordschwerdt schon entsprühn. 23.) Was ich immer jezt gegeben, Staunen flößt's dem Bill'gen ein, Und er wird mein Werk erheben, Wird gedenken meiner Pein. 24.) Gieb mir selbst den Maeoniden, (Homer) Stürz' ihn so in Unglücksschaar, Hin die Zauberkraft, geschieden, Blickt sein Auge die Gefahr. | |25.) Doch mein Buch, nur hingegangen, Sorglos um der Fama Wort, Und sei nicht von Schaam umfangen, Wirft der Leser rauh dich fort. 26.) Nicht des Glückes weiche Wellen Tragen so mich Liebehold, Daß nach Lob die Geister schwellen, Daß ich werbe Sangessold. 27.) Als noch Lust mich süß gebettet, Schlug Begeist'rung rieselnd auf, An des Ruhmes Wahn gekettet, An des Namens Weltenlauf. I 5 10 15 20 25 30 35 631 Literarische Versuche |28.) Wenn jezt noch die Zyther klinget, Wenn nicht ausgeflammt der Drang, Dann genug mein Herz erringet, Denn mich stürzte der Gesang. 29.) Geh' nun, geh', dir ist's verliehen, Schau für mich du Romas Pracht, Dürft' ich jezt statt deiner ziehen, Mild von einem Gott bewacht! 30.) Glaub' nicht, daß ein Unbekannter Du betrittst die grosse Stadt, Daß ein spurlos nicht genannter, Du dem Volke dich genaht! | |31.) Fehlt dir Titel auch und Zeigen, Deine Farbe nennt dich schon, Wolltest du mich selbst verschweigen, Ach! du sprächst dir selber Hohn. 32.) Heimlich trete in die Pforte, Daß dich nicht mein Lied verlezt, Nicht mehr singt es Liebesworte, Die das trunk'ne Herz ergezt! 33.) Wer dich schnöde von sich weiset, Weil mein Mühen dich gebar, Dich Verführer finster heisset, Ueppig schwellend von Gefahr;| |34.) Sag ihm: „lies nur meinen Namen, Süsse Liebe lehr' ich nicht, Ach! die strengen Götter kamen, Hielten schon ihr Hochgericht!" 5 10 15 20 25 30 35 632 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Woir nicht zu der Halle steigen, 35.) Die zum Himmel stolz sich wagt, Nicht dich Cäsar's Meuten zeigen, Wo die Säule höher ragt; 36.) Jene hochgeweihten Sitze Kennen Deinen Herren nicht, Von der Burg entlodern Blitze, Traf mein Haupt das Hochgericht! I |37.) Götter bergen zwar die Hallen, Groß und Gnadenreich und mild, Doch, wenn Stürme ihm entwallen, Fürchten wir des Lenzes Bild! 38.) Ach! die Taube bebt erschrocken Vor dem Zephir, der sich regt, Küßt sie noch die Wunde trocken, Die der Habicht blutend schlägt. 39.) Und wenn aus des Wolfes Zähnen Aengstlich sich das Lamm entwand, Wagt es nur sich hinzulehnen An des Pferges nied're Wandi| |40.) Phaeton würd' nimmer schwirren, Lebt' er, zu des Aethers Höhn, Nicht die Rosse thöricht schurren, Die der Stolze sich ersehn. 41.) Und ich furcht' des Jovis Waffen, Flieh' vor seinem Flammenmeer, Wenn die Himmel donnernd klaffen, Glaub' ich, treffe mich sein Speer. 5 10 15 20 25 30 35 633 Literarische Versuche 42.) Welcher Argoler auch immer, Capharischem Strand entsprang, Seine Segel lenkt er nimmer, Zu Euböas Fluthendrang. | |43.) Und mein Kahn, vom Sturm gesenket, Wagt der Stätte nicht zu nahn, Zaghaft weg von ihr gelenket, Kreist er fernwärts seine Bahn. 44.) Drum mein Buch, mit klugen Sinnen, Siehe dich bedachtsam vor, Woir nicht höh'ren Ruhm gewinnen, Leiht die Masse dir ihr Ohr. 45.) Icarus, als er vermessen Hoch sich mit dem Flügel schwang, Seinem Nam' ward nicht Vergessen, Den des Meeres Welle sang.| |46.) Ob die Ruder kühn zu treiben, Ob die Segel mild zu schweiin, Laß es ferner Stunde bleiben, Laß es Zeit und Ort erhelln. 47.) Wenn die Stirne frei verkläret, Wenn sein Antlitz Müde haucht, Wenn der Zorn, den er genähret, Stummgebrochen untertaucht; 48.) Wenn dich, das von Furcht erbleichet, Das zu nahen nicht gewagt, Freundeswort und Hand ihm reichet, Geh' hinzu, das Dunkel tagt. | I 5 10 15 20 25 30 35 634 Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 |49.) Milder schlägt des Schicksals Stunde, Seel'ger du, als der dich schuf, Sanfter brennt die heisse Wunde, Und es tönt der Gnade Ruf. 50.) Denn die Wunde kann nur stillen, Der sie selber zürnend schlug, Wie Telephus von Achillen, So den Schmerz, wie Lind'rung trug. 51.) Sieh' nur, daß du Gift nicht spendest, Wenn du Rettung zugedacht; Hoffnung! Luftgebild, du wendest Vor der Furcht dich bang in Nacht! | |52.) Ha! verhüthe, daß nicht stürmend, Zorn, der leise schlief, erwacht, Neues Unheil auf mich thürmend, Das du thöricht aufgefacht. 53.) Doch wirst du beglückt empfangen In der Muse Heiligthum, Darfst du in dem Hause prangen, Wo sich Schrift vermählt und Ruhm, 54.) Angereiht wirst du erblicken, Dort gelehnt der Brüder Schaar, Die ich zeugt' im Hochentzücken, Wenn der Tag geschieden war. | |55.) Alle tragen stolz und offen Ihren Namen, Siegbewußt, An der Stirne, gleich wie Hoffen Prangt er und wie Dichtungslust. 5 10 15 20 25 30 35 635 ars amandi.) Literarische Versuche 56.) Drei nur zögern fern gesellet, Rings von Dunkel eingehüllt, Liebeskunst sie üppig schwellet, Und den Busen Scherz erfüllt. 57.) Flieh' sie oder ruf vermessen Fluch und Unheilsschwang'ren Rath, Oedips frevlendes Vergessen, Telegons verruchte Thatl| |58.) Sänge, neulich kaum gerissen Aus der Flamme jähem Tod, Lassen dich Verwandlung wissen, (Metamorphoses) Und der Welten Geistgebot. 59.) Zu verwandelt fremden Wesen, Melde, wie mein Wort gebeut, Sei mein Schicksal auserlesen, Und es hab' die Form erneut. 60.) Denn wie anders saugt' ich Gluthen Von des Glückes Purpurmund, Wo die Thränen jezt umfluthen, Schlössen Götter ihren Bund'.| |61.) Wenn mich deine Blicke fragen, Vieles möcht' ich noch bestelln, Doch die schlanken Hören schlagen Weiter ihre raschen Welln. 62.) Wollt' ich alles mit dir senden, Was den Busen stürmisch faßt, Ach! ich könnte nimmer enden, Und den Träger beugt die Last. 636 5 10 15 20 25 30 35 r 5 10 15 20 25 30 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 63.) Lang der Weg! drum Büchlein eile, Denn der Erde fernstes Land, Ist's, das ich mit Scythen theile, Land vom Lande weggewandt! 1 |Die Wahnsinnige. Ballade. Es tanzt 'ne Frau im Mondesschein, Die glänzt gar weit in die Nacht hinein, Ihr Kleid, das wallt, ihr Aug', das blizt, Wie wenn Demant an Felsen sizt. „Blau Meer, komm' hergegangen, Laß dich holdsüß umfangen, Kränz' mir das Haupt mit Weiden, Mußt schön grünblau mich kleiden!" „Ich bring' zart Gold und roth Gestein, Drin springt und tanzt das Herzblut mein, Ein Trauter trug's an warmer Brust, Hat in die Fluth hinweg gemußt." | |„Will Melodien dir singen, Muß Wind und Woge springen, Hochauf will Tanz ich schlagen, Muß Wind und Woge klagen!" Faßt' einen Weidbaum mit der Hand, Schlang drum grünblau ein Liebesband, Begann ihn seltsam anzusehn, Hieß ihn behutsam seitwärts gehn. „Nun leih mir deine Schwingen, Tief Meer hinabzuklingen, Hast Mutter nicht empfunden, Wie Sohn gar schön umwunden?" 637 Literarische Versuche So trieb sie's nächtig hin und her, Schmückt jede Weid' am grünen Meer, Schwingt dann sich stolz hinab, hinauf, Hat nie vollbracht den Zauberlauf. 1 I Blumenkönig. Phantastische Ballade. 1.) „Männlein im Sonnenschein, Willst Blumen, Blumenkönig sein? Hast gar einen hohen Muth, Färb' uns mit rosrothem Blut!" 2.) „Blümchen hell und Blümchen bleich, Habt getrunken mein Blut, habt getrunken, Nun gebt, nun gebt mir mein Königreich, Laßt in den Kelch, in den Kelch mich tunken!" 3.) „Männlein, dein Blut war gar schön, Laß uns tief Herzlein jezt sehn, Willst Blumen, Blumenkönig sein, Muß glänzen dein Herz im Sonnenschein!" | |4.) „Herz mein, Herz mein pocht mir gar sehr, Strahlt fein durch die Augen, die beiden, Herz mein geb' ich euch nimmermehr, Kann sonst den Blick ja nicht weiden!" 5.) „Männlein, wir springen hier, All' in den Busen dir, Laß glänzen Dein Herz im Sonnenschein, Sollst unser Blumenkönig sein!" 5 10 15 20 25 30 638 5 10 15 20 25 30 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 6.) Männlein zuckt und Männlein denkt, Hat die Brust sich rosroth zerrissen: „Da habt ihr, da habt ihr mein Herz geschenkt, Nun laßt mich Krön' und Scepter nicht missen !"| |7.) „Männlein im Sonnenschein, Kannst nicht der Blumenkönig sein, Blut, rosroth Blut kannst nicht sprühn, Herzlein, tief Herzlein muß uns jezt glühn." 8.) Männlein riß sich die Augen aus, Fing an, mit den Händen zu schaben, Baut' sich tief still ein Todtenhaus, Da liegt er, da liegt er begraben. 1 I Erwachen. I.) Bricht dein strahlendes Auge Entzückt und bebend, Wie wallender Saitenton, Der gebannt an der Lyra Sinnend geschlummert, Empor durch den Schleier Urheiliger Nacht, Dann blitzen von oben Ewige Sterne Liebend hinein. II.) Du versinkest bebend, Es klopft Dein Busen, Du schaust unendliche Ewige Welten, Ueber Dir, unter Dir, Unerfaßbar, unendbar, 639 Literarische Versuche Schwebend im Reihentanz Rastloser Ewigkeit, Und ein Atom Versinkst du im Weltall. | |m.) Dein Erwachen Ist unendliches Aufgehn, Dein Aufgehn Ewiger Fall. IV.) Schlägt Deiner Seele Rieselnde Flamme In die eigene Tiefe, In den Busen zurück, Dann taucht unabgrenzbar, Von Geistern gehoben, Getragen von süssem Schwellendem Zauberton, Der Seele Geheimniß Empor aus der Seele Dämonischem Abgrund. | |v.) Dein Untersinken Ist unendliches Aufgehn, Dein unendliches Aufgehn, Ist mit bebenden Lippen, Vom Aether gerötheter, Flammender, ewiger Liebkuß der Gottheit. 5 10 15 20 25 30 |Des Verzweiflenden Gebet, „Hat ein Gott mir alles hingerissen, Fortgewälzt in Schicksalsfluch und Joch, Seine Welten — alles — alles missen! Eines blieb, die Rache blieb mir doch." 35 640 5 10 15 20 25 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 „An mir selber will ich stolz mich rächen, An dem Wesen, das da oben thront, Meine Kraft sei Flickwerk nur von Schwächen, Und mein Gutes selbst sei unbelohnt!" „Einen Thron will ich mir auferbauen, Kalt und riesig soll sein Gipfel sein, Bollwerk sei ihm übermenschlich Grauen, Und sein Marschall sei die düst're Pein!"| |„Wer hinaufschaut mit gesundem Auge, Kehre todtenbleich und stumm zurück, Angepackt vom blinden Todteshauche, Grabe selbst die Grube sich sein Glück." „Und des Höchsten Blitze sollen prallen Von dem hohen, eisernen Gebäu, Bricht er meine Mauern, meine Hallen, Trotzend baut die Ewigkeit sie neu." |Lucinde. Ballade. [Siehe S. 496-502 und 1228/1229.] I Weltgericht. Scherz. Ach! vor jenem Todtenleben, Vor der Heil'gen Preißgesang, Muß mein Haar sich sträubend beben, Ist mir in der Seele bang. Denn, wenn alles abgeschnitten, Aufgehört der Kräfte Spiel, Und versunken, was wir litten, Und erreicht das lezte Ziel, 641 Literarische Versuche Soll'n wir Gott, den ew'gen loben, Hallelujah ewig schrein, Haben nie genug erhoben, Kennen nicht mehr Lust und Pein. Ha! mir schaudert vor der Stufe, Die zu der Vollendung trägt, Und ich schaud're vor dem Rufe, Wenn er mir an's Sterbbett schlägt. | IEinen Himmel kann's nur geben, Und der eine ist besezt, Muß mit alten Weibern leben, Die der Zahn der Zeit gewezt. Ihre Körper liegen unten, Schutt und Moder obendrauf, Und die Seelen jezt, die bunten, Hüpfen wirr im Spinnenlauf. Alle sind so dünn und mager, Recht ätherisch und recht fein, Leiber war'n wohl nie so hager, Schnürten sie auch tüchtig ein. Doch ich störe keck die Feier, Heule rasend Lob und Preiß, Und der Herrgott hört den Schreier, Und ihm wird's im Kopfe heiß.| |Und er winkt dem ersten Engel, Winkt dem langen Gabriel, Der erfaßt den lauten Bengel, Expedirt ihn schnell. Seht! das alles träumt' mir heute, Von dem lezten Reichsgericht, Darum zürnt nicht, gute Leute, Denn der Träumer sündigt nicht. 5 10 15 20 25 30 642 w 5 10 15 20 25 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 |Die beiden Harfensängerinnen. Ballade. [Siehe S. 577/578 und 1233/1234.] Epigramme. I.) In seinem Sessel, behaglich dumm, Sizt schweigend das deutsche Publikum. Braust der Sturm herüber, hinüber, Wölkt sich der Himmel düster und trüber, Zischen die Blitze schlängelnd hin, Das rührt es nicht in seinem Sinn. Doch wenn sich die Sonne hervorbeweget, Die Lüfte säuseln, der Sturm sich leget, Dann hebt's sich und macht ein Geschrei, Und schreibt ein Buch: „der Lärm sei vorbei." Fängt an darüber zu phantasieren, Will dem Ding auf den Grundstoff spüren, Glaubt, das sei doch nicht die rechte Art, Der Himmel spasse auch ganz apart, Müsse das All systematischer treiben, Erst an dem Kopf, dann an den Füssen reiben, Gebärd't sich nun gar, wie ein Kind, Sucht nach Dingen, die vermodert sind, Hätt' indessen die Gegenwart sollen erfassen, Und Erd' und Himmel laufen lassen, Gingen ja doch ihren gewöhnlichen Gang, Und die Welle braust ruhig den Fels entlang. 643 Literarische Versuche |II.) Hegel. Epigramme. I.) Weil ich das Höchste entdeckt und die Tiefe sinnend gefunden, Bin ich grob, wie ein Gott, hüll' mich in Dunkel, wie er. Lange forscht' ich und trieb auf dem wogenden Meer der Gedanken, Und da fand ich das Wort, halt' am Gefundenen fest. II.) Worte lehr' ich, gemischt in dämonisch verwirrtem Getriebe, Jeder denke sich dann, was ihm zu denken beliebt. Wenigstens ist er nimmer geengt durch fesselnde Schranken, Denn wie aus brausender Fluth, stürzend vom ragenden Fels, Sich der Dichter ersinnt der Geliebten Wort und Gedanken, Und was er sinnet, erkennt, und was er fühlet, ersinnt, Kann ein jeder sich saugen der Weisheit labenden Nektar, Alles sag' ich euch ja, weil ich ein Nichts euch gesagt! III.) Kant und Fichte gern zum Aether schweifen, Suchten dort ein fernes Land, Doch ich such' nur tüchtig zu begreifen, Was ich — auf der Strasse fand! IV.) Verzeiht uns Epigrammendingen, Wenn wir fatale Weisen singen, Wir haben uns nach Hegel einstudiert. Auf sein' Aesthetik noch nicht . abgeführt. 1 |m.) Hatten die Deutschen sich einmal aufgemacht, Es gar bis zum Völkersiege gebracht, Und als das nun vorübergewesen, Da könnt man an allen Ecken lesen: „Es seien gar wunderbar Dinge geschehn, Man werde bald auf drei Beinen gehn." 644 5 10 15 20 25 30 35 5 10 15 20 25 30 Gedichte, meinem teuren Vater zu seinem Geburtstage 1837 Das thät nun alle gewaltig grämen, Begannen sich vor sich selber zu schämen, „Sei doch zu vieles auf einmal geschehn, Man müsse nun wieder hübsch stille gehn, Das and're könnt' man in Bücher binden, Und Käufer würden wohl leicht sich finden." IV.) Zieht ihnen die Sterne selbst herunter, Bald glühn sie zu bleich, bald zu munter; Die Sonne brennt bald das Aug' zu sehr, Bald kömmt sie zu weit aus der Ferne her. V.) So war an dem Schiller auszusetzen, Er könne nicht menschlich genug ergetzen, Er treibe die Dinge auch gar zu hoch, Und zieh' nicht gehörig am Werkeltagsjoch. Er spiele wohl sehr mit Donner und Blitz, Doch fehle ihm gänzlich — der Strassenwitz. VI.) Der Göthe aber, der sei zu schön, Thät lieber die Venus, als Lumpen sehn, Er thät es zwar brav von unten greifen, Doch müßt' man gezwungen zur Höhe schweifen, Gab' den Dingen gar eine zu hehre Gestalt, Fehle drum gänzlich der Seelenhalt, Der Schiller sei doch rechter gewesen, Da könnt' man Ideen in Lettern lesen, Man könnt' doch sagen, sie seien gedruckt, Hat man auch die Tiefe nicht recht durchguckt. |VII.) Auf einen gewissen Kahlkopf. Wie gleich dem Glanzgebornen Blitze, Entsprüht aus fernem Wolkensitze, Pallas Athene, hehr im Siegesdrang, Aus Zeus Gedankenvollem Haupte sprang, 645 Literarische Versuche So ist sie ihm, von Lust durchdrungen, An seinen Kopf hinangesprungen, Und hat er's in der Tiefe nicht ersiegt, So weiß er sicher, daß es auf ihm liegt. VIII.) Pustkuchen, (falschen Wanderjahren) 1) Schiller, meint er, sei leidlich gewesen, Hätt' er nur mehr in der Bibel gelesen, Seine Glocke sei gar ein trefflich Gedicht Enthielt es nur noch die Auferstehungsgeschicht', Und wie auf einem Eselein, Christus zog in die Stadt hinein, Auch sollt' er dem Wallnstein hinzu noch fügen, Von Davids Sieg und Phüisterzügen. |2.) Göthe sei für Frauen ein Grauen, Denn er passe nicht grad' für alte Frauen, Er habe ja nur die Natur ergriffen, Sie nicht mit Moral zurechtgeschliffen, Hätt' Luthers Katechete sollen studieren, Daraus dann Verse fabriciren. Zwar das Schöne hat er manchmal gedacht, Doch vergaß er zu sagen: „Gott hab' es gemacht." 3.) Gar absonderlich Trachten, Den Göthe so hoch zu achten, Wie nieder war doch sein ganzes Streben, Hat er zu Predigten Text je gegeben? Zeigt nur in ihm was von festen Kernen, Woraus für Bauer und Schulmann zu lernen! So fehlt ihm des Genius Götterstempel, Er löste nicht einmal — ein Rechenexempel. 5 10 15 20 25 30 646 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 4.) Hört nun, wie das Ganze vom Faust entsprungen, Der Dichter hat falsch es vorgesungen. Der Faust, der hatte der Schulden zu viel, War liederlich, trieb das Hazardspiel, Und wie er keine Hülfe von oben gesehn, Da wollt' er schmählich zu Grunde gehn, Darum ihn nun ängstlich Gefühl überkam, Von Hölle und Verzweiflungsgram. Da dacht' er über Leben und Sterben, An Wissen und Thun und Verderben, Und sprach gar vieles darüber hin In dunkelmystischem Sinn. Könnt' das nun nicht der Dichter zieren, Erzählen, wie Schulden zum Teufel führen, Wie, wer sich um den Kredit gebracht, Gar leicht sein Seelenheil vermacht? |Pustkuchen. (falschen Wanderjahren) 5.) Der Faust, der wagt am Ostertag zu denken, So braucht er sich nicht erst dem Teufel zu schenken? Wer an solchen Tagen zu denken wagt, Der ist von selbst der Hölle versagt. 6.) Auch ist die Warscheinlichkeit Ganz verlezt, Dürft ihn die Polizei sonst dulden? Hält' sie ihn nicht in's Gefängniß gesezt? Er flog ja fort und bezahlt nicht die Schulden! 7.) Den Faust, den kann nur das Laster erheben, Er will ja nur für sich selber leben, Er wagte zu zweiflen an Gott und Welt, Vergaß, daß Moses gelungen sie hält. 647 5 10 15 20 25 30 35 Literarische Versuche Die dumme Grethe, die mußt' ihn lieben, Statt ihm in's Gewissen recht zu schieben, Wie er dem Teufel verfallen sei, Und der jüngste Tag käme bald herbei. 8.) Die „schöne Seele", die könnt man noch nutzen, Doch müßt' man sie erst mit Brill' und Nonnenkapp' stutzen. „Was Gott thut, das ist wohlgethan!" So fügt der wahre Dichter an. Schlußepigramm an den pustenden Meister. So knete deine Kuchen nur zurecht, Dann bleibst du immer doch ein Bäckersknecht. Wer wollte auch von dir verlangen, Du solltest dich an Göthen hangen? Er hat ja selbst dein Handwerk nicht gekannt, Wie kam er zu Genie dann und Verstand? I Harmonie. [Siehe S. 572/573 und 1233.] |Die Zerrißne. Ballade. [Siehe S. 516-518 und 1229.] I Menschenstolz. [Siehe S. 487-489 und 1227.] 648 5 10 15 20 iScenen aus: Oulanem. Trauerspiel. Personen. 5 OU L A N E M. LU C I N D O. PE R T I N I. AL \V A N D E R. BE A T R I C E. Deutscher Reisender. Sein Begleiter. Bürger einer Gebirgsstadt in Italien. Bürger derselben Stadt. Seine Pflegtochter. 10 WI E R I N. PO R T O. Ein Mönch. Die Scene spielt in und vor dem Hause Pertini's, Alwander's und auf dem Gebirge] Literarische Versuche Ie r s t er A K T. Eine Gebirgsstadt. E R S TE S C E N E. Strasse. OU L A N E M, LU C I N D O, PE R T I NI vor seinem Hause. PE R T I N I. Ihr Herrn, die ganze Stadt ist übersezt Von Fremden, welche Fama hergetrieben, Die Wunder dieser Gegend zu beschaun, Drum kurz und gut, ich biet' euch meine Wohnung an, Da ihr kein Gasthaus offen finden könnt, Und was nur meine schwache Kraft vermag, Das will ich gern euch leihn, es zieht mich hin Zu eurer Freundschaft, glaubt, ich schmeichle nicht. OU L A N E M. SO danken wir dir Fremdling, doch ich fürchte, Du magst zu grosse Meinung von uns hegen. Schon gut, schon gut, laßt Komplimente sein! PE R T I N I. OU L A N E M. Doch länger denken wir hier zu verweilen! PE R T I N I. Der Tag, der euch zu wenig hier bescheint, Ist mir Verlust. OU L A N E M. Dir nochmals heissen Dank! PE R T I N I. (einen Knaben rufend.) He Knabe! führ' die Herrn hinauf zum Saal, Sie wünschen nach der Wand'rung wohl Erholung, Und auch allein zu sein und wollen wechseln Des Reisekleides lästige Beschwer. OU L A N E M. Wir lassen dich und kehren bald zu dir zurück. (Oulanem und Lucindo mit dem Knaben ab.)\ 650 5 10 15 20 25 | PE R T I N I. Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 (allein, sieht sich behutsam um.) Er ist's! bei Gott, er ist's, der Tag ist da! Den alten Freund, den könnt' ich nicht vergessen, So wenig mein Gewissen mich vergißt. Ha schön! jezt tausch' ich mein Gewissen um, Und er wird's jezt, er ist's, 's ist Oulanem! Nun mein Gewissen, wohl bekomm' es dir, Du standest jede Nacht vor meinem Bette, Schliefst mit mir ein und hobst dich mit mir auf, — Mein Aug' dagegen, Mann, wir kennen uns! Und mehr noch weiß ich, and're sind noch hier, Die sind auch Oulanem, auch Oulanem! Der Name klingt, wie Tod, er klinge fort, Bis er im schnöden Träger ausgeklungen. Halt! hab' ich's jezt? Es steigt aus meiner Seele, So klar wie Luft, so fest wie meine Knochen, Geharnischt steht sein Schwur mir vor dem Auge, Ich hab's gefunden und ihn laß' ich's finden! Mein Plan ist fertig, seine tiefste Seele, Sein Leben bist du selber, Oulanem, Willst dir das Schicksal ziehn, wie eine Puppe? Den Kalkulator mit dem Himmel spielen? Aus deinen morschen Lenden Sterne drechseln? Mein kleiner Gott, bet' deine Rolle ab, Doch halt — bis auf das Stichwort — das für mich! (Lucindo kömmt.)\ | Z W E I TE S C E N E. PE R T I N I, LU C I N D O. Warum denn so allein, mein junger Herr? PE R T I N I. ] LU C I N D O. Mich treibt die Neugier, Alten ist nichts neu! ] PE R T I N I. ] LU C I N D O. ] SO! Euer Alter! Nein, doch wenn die Seele je 'nen tiefen Wunsch in ihrem tiefsten Sitz, Wenn ahndungsvolles Sehnen je genährt, So wär's, ihn Vater nennen, Sohn ihm heissen, Denn solch ein männlich tief begeistertes, Die Welten in sich saugendes Gemüth, Die Götter aus sich strahlend, warmes Herz, 5 10 15 20 25 30 35 651 PE R T I N I. Literarische V e r s u c he Ihr ahnt's nicht, daß es einen Menschen gebe, Bis ihr ihn kennt. Es klingt recht zart und fein, Wenn aus der Jugend üppig warmem Mund Des Alters Lob ertönt, wie Flammenwehn, Es klingt moralisch, wie ein Bibelspruch, Wie die Geschichte von der Frau Susanne, Und jene Mähr' von dem verlor'nen Sohn, Doch darf ich's wagen, kennt ihr jenen Herrn, Dem ihr durch Herzensbund, wie's scheint, verknüpft? LU C I N D O. Wie's scheint? und scheinen, nichts als Wahn und Schein, Seid ihr ein Menschenhasser?| | PE R T I N I. Nun, zum wenigsten Bin ich ein Mensch! LU C I N D O. Verzeiht, wenn ich gekränkt! Ihr seid dem Fremdling freundlich zugethan, Und wer dem Wand'rer liebend näher tritt, Deß weiter Geist ist nicht in sich gegrenzt! — Doch Antwort wollt ihr, Antwort soll euch werden. Uns beide knüpft ein seltener Verein, Gewebt in uns'rer Herzeh tiefstem Grund, Den gleich wie Lichter lohe Fackelbäume, Die Geister seiner Brust mit Glanz umweben. Und als wenn Liebgesinnte Lichtdämonen Uns für einander sinnend zart erwählt, So kenn' ich ihn seit langer, langer Zeit, Ja kaum, daß noch Erinn'rung leise spricht, Wie wir uns fanden, denn beim grossen Gott, Ich weiß es nicht. Das klingt romantisch, klingt, Doch lieber junger Herr, es ist nur Klang, Um klingend eine Bitte abzuschlagen. Ich schwör's euch zu. Was schwört ihr zu mein Herr?| Ihn kenn' ich nicht und dennoch kenn' ich ihn. Tief birgt er ein Geheimniß in der Brust, Noch dürft' ich es nicht wissen, jezt noch nicht, So tönt es jeden Tag und jede Stunde, Denn seht, mich selber kenn' ich nicht! Hm! Schlimm! SO abgeschlossen steh' ich, so vereinzelt! PE R T I N I. LU C I N D O. PE R T I N I. Ι LU C I N D O. PE R T I N I. LU C I N D O. 652 5 10 15 20 25 30 35 40 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Was auch der Aermste prangend von sich rühmt, Wenn er mit Schmunzeln von dem Stamm erzählt, Der ihn erzeugt, wenn er den kleinsten Vorfall, In treuem Herzen sorgend aufbewahrt, Ich kann es nicht, Lucindo nennt man mich, Man könnt' mich Galgen nennen oder Baum! Was wünscht ihr? Freundschaft mit dem Galgen, Verwandtschaft gar? nun dafür schaff ich Rath! (ernst.) Ha, spielt mit leeren Sylben nicht und Tönen, Wo mir mein Inn'res braust! Laßt's brausen, Freund, Bis es sich aus gebraust! (auffahrend.) Was soll's? Was? Nichts! Doch seht, ich bin ein trock'ner Hausphilister, Ein Mensch, der jede Stunde Stunde nennt, | |Und Abend's einschläft, daß er sich erhebe, Wenn's wieder Morgen ist und Stunden zähle, Bis er sich ausgezählt, das Uhrwerk steht, Und nun die Würmer seine Zeiger wenden, So fort bis zu dem lezten Reichsgericht, Wenn Jesus Christ mit Engel Gabriel Den Katalog von uns'ren Schuldregistern, Aus seiner Zorndrommete richtend liest, Und uns zur Rechten oder Linken stellt, Und uns die Felle mit der Gottesfaust betastet, Zu finden, ob wir Lämmer sind, ob Wölfe! Mich nennt er nicht, weil ich nicht Namen trage! So recht, so mag ich's von euch hören! Doch seht, weil ich ein Hausphilister bin, So hab' ich Hausgedanken, fasse an Gedanken, wie ihr Steine faßt und Sand. So scheint mir denn, wer seinen Stamm nicht kennt, Und doch bei einem andern Stamm sich findet, Der sei ein Nebenstamm! Mensch, Mensch! Was war das? Denk' eher schwarz die Sonne, platt den Mond, Und Alle, keinen Pfeil entsenden sie, Doch hier ein Laut, — ein Ahnen — Leben wiegt's i| Mein Freund, extemporirt mir nicht so wild. Glaubt mir, ich leide nicht an Nervenkrampf! PE R T I N I. LU C I N D O. PE R T I N I. LU C I N D O. PE R T I N I. LU C I N D O. PE R T I N I. 5 10 15 20 25 30 35 LU C I N D O. 40 PE R T I N I. 653 Literarische Versuche Doch Nebenstämme sind oft grünend und bemoost, Ja, ja, sie heben üppig ihren Lauf, Und schiessen prangend bis zum Himmel auf, Als wüßten sie, daß sie in Freud' entsprossen, Daß nicht ein sklavisch Band sie dumpf erzeugt! Seht, solche Nebenstämme sind Pasquille, Natur ist Dichter, Ehe sizt im Sessel, 'ne Haube auf, nebst andrem Zubehör, Das grämlichfade Antlitz dumm verzerrt, Ein trocknes Pergament zu ihrem Fuß, Des Pfaffen Lästerwort hineingekritzelt, Der Kirche dumpfe Halln als Perspektiv, Im Hintergrund des Pöbels schalkig Gaffen, Da lob' ich Nebenstämme! (auffahrend) Genug, genug, Was ist es Mensch? Was meinst du? sprich es aus, Doch bei dem Ewigen — ich spreche mit. Was frag' ich? liegt's nicht klar vor mir entrollt, Grinzt nicht die Hölle draus, steigt's nicht Vor meinen Blick, wie dürre Todgestalt, Und glozt mich an und murmelt Sturmesdrohn? | |Doch Mensch, so leicht nicht, glaub' mir, nicht so leicht Hast du den Fackelbrand mir in die Brust Aus dürrer Teufelsfaust hinabgeschleudert, Glaub' nicht, daß du mit einem Knaben würfelst, Und ihm die Würfel an das kind'sche Haupt Zerschmetternd wirfst, du spieltest rasch mit mir, Nun sind wir, merk' dir's, sind wir Spielgenossen, Schnell hast du dich vertraut gemacht, heraus, Mit allem, was dein Schlangenbusen wogt, Und ist es Argwohn nur und ist es Hohn, Dann schleudr' ich ihn zurück dir in den Rachen, Dann sollst du selbst dein Gift hinunter würgen, Dann spiel' ich mit dir, doch nun sprich, ich will's! Ihr wollt's? Ihr denkt an Mephistopheles und Faust, Habt euch wohl tief darein vertieft, doch seht, Ich sage nein, den Willen laß' ich euch, Und streu' ihm Sand in seine blöden Augen! Schon Deiner selbst und blase nicht die Gluth Zu eng zusammen, bis sie aufwärtslodernd Dich selbst verschlingt! 5 10 15 20 25 30 35 40 LU C I N D O. PE R T I N I. LU C I N D O. 654 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 'ne Phrase das, 'ne Phrase! Der Einzige, den sie verschlingt, seid ihr![ Mich selbst! mich selbst! es sei! ich bin mir nichts, Doch dich, dich fassen meine Jugendarme, Sie klammern krampfhaft sich um deine Brust, Der Abgrund gähnt uns beiden Nacht herauf, Und sinkst du unter, lächelnd folg' ich nach, Und raun dir zu, hinab! komm' mit Genosse! Ihr scheint mit Phantasie begabt zu sein, Habt wohl schon viel geträumt in eurem Leben? Getroffen habt ihr's, Träumer bin ich, Träumer! Was will ich von euch wissen, der nichts weiß? Ihr seht uns eben, seht uns, kennt uns nicht, Und werft mir Spott und Lästerwort entgegen, Was lang da zaudern? mehr von euch begehren? Mehr habt ihr nicht — ich hab' noch was für euch — Für mich — die Schuld, — Schmach, Gift, ihr sollt sie lösen, Ihr habt den Kreis gezogen, zwei erträgt Er nicht — braucht eure Springerkünste jezt — Das Schicksal ziehe, was es zieht, es sei! Den Schluß last ihr wohl eurem Lehrer vor, Aus 'nem vertrockneten Tragödenbuch? Tragödie spielen wir zusammen, — recht, Doch kommt, jezt gleich, wo wie, womit ihr wollti| Und wann und überall und irgendwann Und nirgend! He! Memme klaub're meine Worte nach, Ins Antlitz zeichne ich die Memme hin, Ich schrei es laut durch alle Gassen aus, Und schlag' dich vor dem Haufen, folgst du nicht, Wagst du mit abgedrosch'nem Basenwitz Zu spielen, wo mein Herzblut starrend stockt, Kein Wort mehr, keine Sylbe, folg', folg' nicht, Dein Urtheil ist gesprochen, Memme, Bube! (auffahrend.) Noch einmal das, noch einmal sag' ich, Knabe! Wenn's euch Vergnügen macht, noch tausendmal, Wenn's euch die Galle kitzelt, bis sie strömt, Bis Blut aus eurem Auge wüthend springt, He, einmal noch, noch einmal, Bube, Memme! Wir sprechen uns, das schreibt in euer Hirn! PE R T I N I. I LU C I N D O. PE R T I N I. LU C I N D O. 5 10 15 20 PE R T I N I. LU C I N D O. 25 |PE R T I N I. LU C I N D O. 30 35 PE R T I N I. LU C I N D O. 40 PE R T I N I. 655 Literarische Versuche Ein Ort giebt's noch, der uns zusammenknüpft, Es ist die Hölle! nicht für mich, für euch! Was zählt ihr Sylben her, gleich auf der Stelle, Ist's abgemacht, dann flieht zur Hölle, flieht, Erzählt den Teufeln, ich hätt' euch gesandt! Ein Wort noch! Nichts, was sollen Worte? Ich hör' euch nicht, haucht Blasen in den Wind, Schreibt Züge in's Gesicht, die dazu passen,| |lch seh's nicht. Waffen bringt, die sollen sprechen, Das ganze Herz leg' ich in sie hinein, Und bricht's nicht, — dann — (ihn unterbrechend.) Nicht zu verwegen Knabe, nicht zu knabenhaft! Zwar Du, du hast nichts zu verpfänden, nichts! Du bist ein Stein, gefallen aus dem Mond, Drauf hat man einen Consonant gekritzelt, Du sahst den Consonant, er hieß Lucindo. Sieh! an die leere Tafel wag' ich nicht Mich, meine Ehre, Leben, alles dran. Willst du mein Blut als Mahlertopf gebrauchen, Ich soll der Pinsel sein, der Ton dir leiht? Zu ungleich ist der Stand, zu fabelhaft, Setz' ich mich gegen dich, so wie du bist, Ich bin, weiß, was ich bin, doch du, was Du? Du kennst dich nicht, bist nicht, hast nichts zu wagen, Die Ehre willst du diebisch mir verpfänden, Die nie in Deiner Bastardbrust geglüht? Du wucherst deine leere Niete um 'gen meinen vollen Satz, mein Freund? Nicht so, schaff Namen an, schaff Ehre, Leben, Noch bist du nicht, dann setz' ich Namen, Ehre, Dann setz' ich gern mein Leben gegen dich! So Mann, ha so! willst du dich retten, Memme, So witzig hat dein tölpelhaft Gehirn Die Rechnung kalkulirt, so witzig, Memme? Doch täusch' dich nicht, ich streich' das Fach aus, Ich setz' 'ne Memme an die Stelle hin, Ich höhn' dich, wie ein Wahnberauschtes Thier,| |lch schände dich, vor allen schänd' ich dich, Dann magst erzählen, auseinandersetzen, 5 10 15 20 25 30 35 40 LU C I N D O. PE R T I N I. LU C I N D O. PE R T I N I. LU C I N D O. 656 G e d i c h t e, m e i n em t e u r en Vater zu s e i n em G e b u r t s t a ge 1837 Der Base und dem Mann, dem Kind und jenem, Ich heiß' Lucindo, heisse nicht Lucindo, Man nenn' mich so und könn' mich anders nennen, Ich ginge so und könne anders gehn, Ich sei nicht, wie man Sein versteht, sei doch, Doch du seist, was du bist, seist eine Memme! Schon gut, recht gut! doch sieh', wie war' es wohl, Wenn ich dir Namen geben könnte, hörst es, Namen? Du, der du selber keinen hast, ihn geben, Du, der mich eben sah, und nie gesehn, Und Sehn ist Lüge, ist der ew'ge Hohn, Der uns verfolgt, wir sehn und das ist alles! Nun gut, wer mehr als Sehn versteht? Du nicht, Du sahst in allem, was du bist, 'nen Schurken! Sehr wahr, mich täuscht nicht leicht der erste Blick, Doch weißt du, jener ist nicht grad' von heut! Er hat schon manches durchgemacht, das glaubst du, Wie? wenn wir uns gekannt? Das glaub' ich nicht! Nicht wahr, es giebt 'nen wundersamen Dichter, So 'ne ästhet'sche, finst're Blindekuh, Der seit'ne Grübeleien hat und Stunden, Das Leben zu 'nem Reime machen will, Und gern das Leben selbst gedichtet hätte?| Ha! Zufall mag es sein, du täuschst mich nicht! Zufall! so heißt der Philosophentext, Wenn die Vernunft nicht zufällt und sie rettet! Zufall ist leicht gesagt, zwei Sylben nur, Der Namen ist auch Zufall, Oulanem Kann jeder heissen, der nicht anders heißt, Drum ist es Zufall, wenn ich so ihn nenne! Ihr kennt ihn? Himmel! sprecht, beim Himmel! Kennt ihr den Knabenlohn? er nennt sich — schweigen. Es ekelt mir, von euch zu bitten, Mensch, Doch ich beschwör', bei allem, was ihr schäzt! Was schätzen? handel' ich mit Scheidemünzen? 'ne Memme wißt, die läßt sich nicht beschwören. Nun denn, ihr müßt, wollt ihr die Memme schütteln Von eurem Haupt, so müßt ihr, dann an's Werk! 5 10 15 P E R T I N I. L U C I N D O. P E R T I N I. L U C I N D O. P E R T I N I. 20 L U C I N D O. P E R T I N I. ( L U C I N D O. P E R T I N I. 25 30 L U C I N D O. P E R T I N I. 35 L U C I N D O. P E R T I N I. L U C I N D O. 40 657 Literarische V e r s u c he PE R T I N I. Ich schieß mich jezt, so wie ihr seid, ich stehe, Ihr seid mir gut genug, drum schieß' ich mich! LU C I N D O. Ha! treibt mich nicht zum Äussersten, nicht dahin, PE R T I N I. Wo keine Grenze steht, wo alles endet! Ei seht, wir wolln das Äusserste versuchen, Das Schicksal ziehe, was es zieht, es sei! LU C I N D O. Ha! keine Rettung, keine, nirgendwo? Die undurchdringlich harte Eisenbrust, Das Hohn verpestete, verdorrt Gemüth, Es mischt das Gift und treibt's wie Balsam ein, Und lächelt, Mensch, vielleicht die lezte Stunde,| |Für dich die lezte, faß es an, saug's ein, In einem Augenblicke stehst du vor dem Richter, Drum lösch' des Lebens lange Lasterkette, Durch eine lezte, lezte gute That, Und nur ein Wort, so leicht, wie zarter Aether, So leicht gehaucht! PE R T I N I. 's war Zufall guter Freund! Ich glaube selbst an Zufall, glaube mir! LU C I N D O. Vergebens! — alles — alles — doch — halt seichter Thor, So ist's nicht abgethan, so nicht bei Gott, Noch einmal hat dein scharfer Blick getäuscht, Ich ruf ihn selber her, dann steh' vor ihm, Steh' vor ihm Stirn an Stirn und Aug' in Auge, Und blicke drein, wie ein verzagtes Kind, Mich holst du nicht mehr, weg, weg Bube laß! (stürzt weg.) PE R T I N I. PE R T I N I. Ein größ'rer Plan errettet jezt dich Knaben, Doch glaub' mir, Pertini heißt nicht Vergessen! (ruft.) He da Lucindo! he! beim Himmel, komm! (Lucindo kehrt zurück.) LU C I N D O. Was soll's, doch weg! PE R T I N I. Ha schön, schön ehrenhaft, Sag' auch dem würd'gen Herrn, wir stritten uns, Du hättest mich gefordert, doch zu artig, Zu artig seist du, seist ein frommes Kindi| IBereutest Deine Sünde, sprächst dich los, Und wein' dann eine Thräne, küß' die Hand, Und schneide dir die Ruthe selbst zurecht! DU zwingst mich! Läßt zwingen dich, moralisch, LU C I N D O. PE R T I N I. 658 5 10 15 20 25 30 35 40 Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Moralisch klingt's, wie eine Kinderfiebel. Glaubst du an Gott? Soll ich dir beichten Mensch? Verlangst du nicht, daß ich dir beichten soll? Schon gut, ich will's, doch sag', glaubst du an Gott? L U C I N D O. P E R T I N I. 5 L U C I N D O. Was soll es dir? P E R T I N I. 10 L U C I N D O. P E R T I N I. Nun, 's ist nicht grad modern, Drum möcht' ich's ganz bestimmt von dir vernehmen! Ich glaub' ihn nicht, was man so glauben heißt, Doch weiß ich ihn, wie ich mich selber weiß. Nun das bei mehr Gelegenheit und Laune, Wie du ihn glaubst, es ist für mich dasselbe, Du glaubst ihn, gut, so schwöre mir bei ihm! 15 20 25 30 35 40 L U C I N D O. Was? Schwören Dir? P E R T I N I. L U C I N D O. P E R T I N I. Daß nie der Zunge Lauf, 'ne Sylbe nur verrathend weiterträgt! Ich schwör's, bei Gott! Dann, daß du mir nur Feindschaft hegst und Rache, Ich bin so schlimm nicht, bin nur gradewegi| I L U C I N D O. Daß ich dich liebe, freundlich ehrend schätze, Ich schwör's dir nicht für eine Welt, bei Gott, Ich kann es dir, ich darf es nicht beschwören, Doch was vergangen, das sei ausgelöscht, Es sei ein widerwärtig böser Traum, Dahingerafft, wie Träume denn vergehn, Ich stürz' es in die Woge der Vergessenheit, Das schwör' ich dir bei dem, der heilig ist, Aus dem sich Welten kreisend aufwärts tauchen, Der mit dem Blicke Ewigkeit gebiert, Ich schwör's, doch jezt den Lohn für meinen Schwur! Komm' mit! ich führe dich an stille Stätte, Zeig' dir noch dieß und jenes, Felsesschluchten, Wo Seen sich vulkanisch aufgetaucht, Die stille Wasser abgerundet wiegen; Wo Jahresreihen stumm vorbei gerauscht, Dann legt sich wohl der Sturm und dann — L U C I N D O. Was? Steine, Buchten, Würmer, Schlamm? Es thürmen überall sich Fels und Klippen, Es braust an jedem Ort 'ne Quelle hin, Ob allgewalt'ger, minder, mehr, was soll's? Es bleiben uns Geheimnißvolle Stätten, P E R T I N I. 659 Literarische Versuche Die uns gebannte Sklaven an sich ketten,| |Sie schaun, das reizt mich, mehrt den Sturm der Brust, Und sprengt er sie, was ist's, 'ne Narrenposse, Drum führ' mich, wo du willst, führ mich zum Ziele, Drum zaud're nicht, bedenk nicht, fort, hinweg! Die raschen Donner müssen erst verhalln, Soll Flammenblitz den Busen rein durchwalln, Drum führ' ich dich vorher an einen Ort, Fast furcht' ich, kömmst von da nicht weiterfort. Sei's, wo es sei, ich folg' auf jeder Bahn, Führt sie zum Ziel und schreitest du voran! Mißtraun! (beide ab.) PE R T I N I. LU C I N D O. PE R T I N I. 5 10 DRITTE S C E N E. Saal in Pertini's Hause, Oulanem allein, sizt schreibend an einem Tische, Papiere liegen umher, rasch aufspringend, geht auf und ab, bleibt plötzlich stehn, mit verschränkten Armen. 15 OU L A N E M. Verfall'n! Die Stunde, sie ist abgelaufen, Die Hören stehn, der Zwergbau stürzt zusammen! Bald preß' ich Ewigkeit an's Herz und heule Der Menschheit Riesenfluch in sie hinein. Ha Ewigkeit! das ist ein ew'ger Schmerz, Ein unaussprechlich, unermeß'ner Tod ! | |Schnöd' Kunstwerk, uns zum Hohn ersonnen, Wir Uhrwerk, blindmechanisch aufgezogen, Des Zeitenraum's Kalendernarr zu sein, Zu sein, damit doch irgendwas geschieht, Zu fall'n, damit doch irgend was zerfällt! Ein Ding mußt' sein, das für die Welten fehlt, Des Schmerzes stumme Pein, der sie umklaustert, Mit seiner Seele Riesenmacht in Lüfte wälzt, Lebendig wird der Tod, trägt Strumpf und Schuhe, Der Pflanze Leid, des Steines dumpf Vergehn, Der Vogel, der umsonst die Töne sucht, Zu klagen, was sein luftig Leben kränkt, Des Alles blinder Zwist und Kampf, zu schütteln, Sich von sich selbst, im Zank sich aufzureiben, Das alles steht nun auf und hat zwei Beine, Und eine Brust, den Lebensfluch zu fassen! 20 25 30 35 660 5 10 15 20 25 30 35 Gedichte, meinem teuren Vater zu seinem Geburtstage 1837 Ha! flechten muß ich mich an's Flammenrad, Im Kreis der Ewigkeiten Lust zu tanzen! Gäb's ausser ihr ein etwas, das verschlänge, Ich sprang' hinein, müßt' ich 'ne Welt zertrümmern, Die zwischen ihn und mir sich aufgethürmt! Zerschelln müßt' sie am langgedehnten Fluche, Die Arme schlug' ich um das harte Sein, Und mich umarmend müßt' es stumm vergehn,| |Und dann hinab, versinken in dem Nichts, Ganz untergehn, nicht sein, es wäre Leben, Doch so gewälzt hoch auf dem Strom der Ewigkeit, Wahnmelodie zu brausen für den Schöpfer, Hohn auf der Stirn'! Brennt ihn die Sonne weg? Vermeß'ner Fluch in Zwanggebannter Seele! Vernichtung jauchzt der Blick in gift'gen Strahlen, Wälzt er die plumben Welten weg, die binden? Gebunden, ewig, bang, zersplittert, leer, Gebunden an den Marmorklotz des Seins, Gebunden, ewig angebunden, ewig! Die Welten fassen's und sie roll'n dahin, Und heulen ihren eig'nen Todtensang, Und wir, wir Affen eines kalten Gottes, Wir hegen noch die Natter üppig warm, Mit toller Müh' an voller Liebesbrust, Daß sie zur Allgestalt hinauf sich dehnt Von ihrem Gipfel aus uns anzugrinzen! Und ewig braust die überdrüß'ge Welle, Den Ekel zu erschöpfen, in das Ohr! Jezt schnell — das Loos geworfen — alles fertig, Zerstört, was Lügendichtung nur ersann, Mit Fluch vollendet, was der Fluch begann. (sezt sich an den Tisch, schreibt.)\ |VIERTE SCENE. Haus des Alwander's; im Anfang vor dem Hause. LUCINDO, PERTINI. LUCINDO. Was soll ich hier? PERTINI. Ein zart Stück Weiberfleisch, Das alles ! steht's euch an und wenn sie Ruhe 661 Literarische Versuche In eure Seele sanft melodisch haucht, Dann weiter! LUCINDO. Was Mensch? Zu Dirnen führst du mich? In dem Moment, wo mir das ganze Leben Zermalmend auf die Schulter niederstürzt, Wo sich der Busen allgewaltig dehnt, Begierig selbst sich irrend zu vernichten, Wo jeder Hauch mir tausend Tode weht, Und jezt ein Weib! Ha! sprudelt junger Mann, PERTINI. Weht Tod und Flamme durcheinander hin, Was Dirne? hab' ich recht verstanden Dirne, Seht auch das Haus! Sieht's dirnenmässig aus Glaubt ihr, ich woll' für euch den Pandor spielen Und werd' den Tag gar als Lanterne brauchen, 's ist lustig, nur herein, vielleicht erfahrt Ihr dort, was ihr begehrti| ILUCINDO. Ich seh den Trug, Habt ihn aus zu massivem Stoff gebaut, Ihr wollt der Hand entschlüpfen, die euch hält, Dankt dem Moment, wenn ich euch horchen muß, Doch zaudert ihr, dann kostet's euer Leben! 5 10 15 20 Sie gehn in das Haus, der Vorhang fällt, ein and'rer wird aufgezogen, Zimmer, modern elegant, Beatrice sizt auf dem Sopha, eine Chitarre neben ihr; LUCINDO, PERTINI, BEATRICE. 25 Beatrice, ich bringe hier, 'nen jungen Reisenden, 'nen art'gen Herrn, Weitläufig ist er meinem Blut verwandt! (zu Lucindo.) Ihr seid willkommen! Verzeiht, wenn ich nicht Worte, Nicht Sprache find' für mein erstaunend Herz, So selt'ne Schönheit schlägt die Geister nieder, Das Blut zuckt hoch empor, das Wort versagt. Schön, junger Herr! ihr seid wohl gut gelaunt, Und eurer Laune dank' ich's, nicht dem Reitz, Den mir ungütige Natur versagt, Wenn eure Zunge spricht, nicht euer Herz. Ο dürft' mein Herz nur sprechen, dürft' es nur Ausströmen, was ihr tief hinabgesenkt, PERTINI. BEATRICE. LUCINDO. BEATRICE. LUCINDO. 662 30 35 5 PERTINI. 10 BEATRICE. 15 LUCINDO. BEATRICE. 20 PERTINI. 25 LUCINDO. |PERTINI. 30 35 40 BEATRICE. LUCINDO. Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Die Worte würden Flammenmelodien, Und jeder Hauch war' eine Ewigkeit,| |Ein Himmel, ein unendlich grosses Reich, In dem die Leben all' Gedanken blizten, Voll zarter Sehnsucht, voller Harmonien, Das All in ihrem Busen hold verschliessend, Der Schönheit Aetherschein aus sich ergiessend, Denn jedes Wort, es trüg' nur euren Namen! Ihr nehmt's nicht übel, Fräulein, sag' ich euch, Ein Deutscher ist's, er wirft aus allen Ecken, Mit Melodie und Seele um sich her. Ein Deutscher! nun die Deutschen mag ich wohl, Ich selbst, ich rühme mich desselben Stamms, Sezt euch hieher, Herr Deutscher! (bietet ihm einen Platz auf dem Sopha an.) Dank' euch, mein Fräulein! (heimlich zu Pertini.) Hinweg! jezt gilt's noch, hier bin ich verloren! (beschämt.) Hab' ich zu viel gesagt! (Lucindo will sprechen, Pertini läßt ihn nicht zu Wort kommen.) leise.) Ha! spart 'nen Einfall, spart 'ne Schmeichelei, 's war nichts, Beatrice, nur ein Geschäft, Das ich dem Herrn noch rasch besorgen soll. (verwirrt, Was Pertini? Bei Gott, ihr spielt mit mir!| (laut.) Nun laßt euch das nicht grämen, nicht so bang! Das Fräulein traut mir auf mein Wort, nicht wahr, Nicht wahr, Beatrice, er darf verweilen, Bis ich zurückgekehrt, Bedenklichkeit, Ihr seid ein Fremder, drum nicht blöde. Wie, junger Herr, hab' ich euch so empfangen, Daß ihr mir denken könnt, ich werde euch, Den Freund des alten Freundes Pertini, Den Fremden aus dem Hause gastlos stoßen, Das jeden willig gern in sich empfängt, Nicht schmeicheln sollt ihr, aber billig sein! Bei Gott! Es schlägt mich eure Güte nieder! Ihr sprecht so mild, so wie die Engel sprechen, Verzeiht, wenn ich beschämt, wenn hingerissen, 663 Literarische Versuche Vom wilden Strom vergeßner Leidenschaft, Die Lippe sprach, was sie verschliessen sollte, Doch blickt den Himmel, wenn er rein umflort, Aus blauen Wolkeshöhn herniederlacht, Schaut Farben, die in süssem Glänze wogen, Von Schatten bald und bald von Licht umzogen, Die sich melodisch voll und weich vereinen, In einem Bild beseelet zu erscheinen, Und schweigt dann, wenn die Lippe schweigen kann, Ihr könnt nicht, 's zieht euch hin, wie Zauberbann, Besinnung ach! und Vorsicht sind geschwunden, Die Lippe bebet, wo das Herz empfunden,| |So wie die Äolsleier weiterklingt, Wenn seine Flügel Zephir um sie schwingt. 5 10 BEATRICE. Die Schmeichelei'n, mein Herr, will ich verzeihn, 15 Ihr wißt zu süßen Schein dem Gift zu leihn! LUCINDO. (leise zu Pertini.) Verdammter Schurk' und doch ein braver Schurk', Was soll ich? fliehn, bei Gott, ich muß hinweg! PERTINI. (laut.) Er kann es mir noch immer nicht vergessen, Daß ich vorhin sein Wort ihm weggegessen, Er hatte sich was Schönes ausgedacht, Da hab' ich aus der Fassung ihn gebracht, Doch 's ist schon gut, Beatrice, sie denkt, Ihr hättet euren Einfall ihr geschenkt, Er war wohl lang, wie alle deutsche Possen, Schwer zu verdauen, wenn man sie genossen. Ich geh! (leise.) Ha! Mensch! (laut.) Doch denkt an Sympathien, Die aus dem Magen bald ins Herz uns ziehn,j |ßald kehr' ich wieder, bring' euch rasch dann fort, Zu fesselnd war' euch wohl der süsse Ort! (für sich.) Ich muß hinweg. Der Alte soll's verderben, Und er getrost um ihre Liebe werben. (ab.) (Lucindo verwirrt.) LUCINDO. PERTINI. BEATRICE. Soll ich noch einmal euch zu sitzen heissen? LUCINDO. Gern, wenn ihr wollt, so gern hier bei euch sitzen! (sezt sich.) 664 20 25 30 35 40 Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 BEATRICE. Freund Pertini ist seltsam oft gelaunt! LUCINDO. Ja seltsam! wirklich seltsam! seltsam ist's! 's ist seltsam! (Pause.) LUCINDO. Verzeiht mein Fräulein, schäzt ihr diesen Mann? 5 BEATRICE. Er ist ein alter, treuer Hausgenosse, 10 15 20 Und mir stets freundlich zugethan gewesen, Doch recht, ich weiß nicht, kann ich ihn nicht dulden, Er ist oft springend roh, oft ruft versteckt, Verzeiht, 's ist euer Freund, ein Wundergeist Aus seinem Busen, glaubt, nicht, wie ich's möchte, Es ist, als wenn er Nächt'ges in sich wälzte, Was, bebend feig, des Tages offnen Liebesblick Nicht offen auch erwiedern darf, was schlimmer, Als seine Zunge spricht, vielleicht als selbst Sein Herz es denken mag, doch nur Vermuthung,| |Nicht recht, daß ich es euch so schnell vertraue, Denn Argwohn ist es, Argwohn ist 'ne Natter! Bereut ihr, mir vertraut zu haben, Fräulein? LUCINDO. BEATRICE. Wär's ein Geheimniß, das mich selbst betrifft — Doch ach! was sag' ich! habt ihr Recht erworben Auf mein Vertraun? allein, nichts übles ist's, Wenn ich euch alles sagte, was ich weiß, Denn jedem könnt' ich alles anvertraun, Weil ich nichts weiß, was nicht auch alle wissen. So alle! schön! Ihr meint es wohl mit allen? Ihr auch, nicht wahr? 25 LUCINDO. BEATRICE. LUCINDO. Ο Engel, süsses Wesen! BEATRICE. Ihr macht mich bange Herr, was soll das hier? Ihr springt so rasch von einem auf das andre ! 30 LUCINDO. Rasch muß ich handien, denn die Stunde schlägt, Was lange zaudern? Jeder Augenblick ist Tod. Kann ich's verbergen? freilich seltsam, wunderseltsam, Ich sah euch kaum, ich kann's mir nicht erklären, Es ist, als wenn wir lang vertraut schon wären, Als wenn aus Tönen, die ich in mir trug, Lebendig jezt ein warmes Wesen schlug, Als wenn ein Geisterband uns längst umschlungen, Das jezt zur Wirklichkeit sich losgerungeni| |BEATRICE. ich will's nicht leugnen, kann nicht fremd euch achten, Und doch seid ihr ein Fremder unbekannt, Allein, wie finst're Genien umnachten, 35 4n 665 Literarische Versuche Die, eh' wir kamen, uns schon weggewandt, So mögen and're süß'ren Trug ersinnen, Durch magisch fernes Band uns zu gewinnen! Und dann, dann sehe man noch mehr sich vor, Der stärkste Blitz schlägt nicht aus dunk'lem Flor! LUCINDO. Ihr schöne Herzensphilosophin, Gott, Ich kann nicht widerstehn, du zwingst mich, du, Glaub' nicht, daß ich dir Ehrfurcht nicht empfinde, Weil ich so kühn und schnell mich unterwinde; Den Busen preßt's, die Nerven alle reissen, Ich kann nicht widerstehn, bald bin ich fern, Bald fort, von hier, von dir, von dir geschieden, Dann Welten, taucht in Abgrund, taucht euch unter, Verzeih', mein süsses Kind, verzeih' den Zeiten, Die rasch mich drängen, Ungestümm bereiten, Ich liebe dich Beatrice, bei Gott, Beatrice und Liebe ist ein Hauch, Ich kann sie nur in einen Athem wehn, Ich wollt' in dem Gedanken untergehn! BEATRICE. Ach laßt die Rede, denn sie kann nicht frommen, Gesezt, doch hört, 's ist nichts, als ein Gedicht, Ihr solltet jezt sogleich mein Herz bekommen, Gewiß, dann schäztet ihr mich weiter nicht.| |lhr dächtet, nun, 's ist ein gewöhnlich Kind, Schnell hingegeben, wie es tausend sind, Und wenn ihr den Gedanken nur gedacht, War' ich um Lieb', um Achtung selbst gebracht, Mein Herz, es könnte euch nicht weiter gelten, Und ich, ich selber müßt' mich schmerzlich schelten. LUCINDO. Ο seelenvolles, üppig warmes Wesen, Ο könntest du in meinem Busen lesen, Ich habe nie geliebt, noch nie bei Gott, Doch dein, dein Vorwurf ist der Liebe Spott. Laß lang den schnöden Kaufmann mäkelnd sinnen, Behutsam zaudernd will er mehr gewinnen, Doch Liebe, sieh' das All in eins gefaßt, Nicht weiter, weiter nichts, nichts, nichts zu hoffen, Bedenken mag, was bindet und sich haßt, Die Liebe schliesset sich, wie Zauber offen. Es ist ein Lichtfunk, aus dem Sein entglüht, Drum sei sie auch in dem Moment entsprüht, 666 5 10 15 20 25 30 35 40 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Wo noch ein and'res liegt, da gilt das Wägen, Rasch ist die Flamme, rasch der Liebe Segen. BEATRICE. Soll ich mich zieren? alles muß ich wagen, Die Flammen mögen hoch zusammenschlagen, Doch ach! Das Herz ist mir gepreßt, geengt, Es ist, als sei der Lust der Schmerz gemengt, Als steige zwischen uns'ren Bund ein Zischen, Das die Dämonen höhnend in ihn mischen.| |LUCINDO. ES ist die Gluth, die dir noch nicht bekannt, Das alte Leben, von uns abgewandt, Noch einmal läßt's den Abschiedsgruß uns hören, Dann wagt es nimmer mehr sich zu empören. Doch wie Beatrice, wie wirst du mein? BEATRICE. Mein Vater will 'nem Menschen mich verbinden, Ich haßt' ihn, wenn ich Menschen hassen könnte, Doch sei gewiß, du sollst bald mehr von mir vernehmen, Wo wohnst du, süsser, holder Herzensfreund? Bei Pertini. Ich werd' 'nen Boten senden, LUCINDO. BEATRICE. Doch deinen Namen, sicher voll, wie Töne, Die Sphärenlauf in seinem Kreise schlägt? (ernst.) Ich heiß' Lucindo, ich! LUCINDO. BEATRICE. Lucindo, süß, Süß klingt der Namen, mein Lucindo Ist meine Welt, mein Gott, mein Herz, mein alles. 5 10 15 20 25 LUCINDO. Beatrice, das bist du selbst, und du Bist mehr, wie alles, bist Beatrice. 30 WIERIN. (er drückt sie heftig an seine Brust, die Thür e springt auf, Wierin tritt ein.) Ha schön! ha Schlange, ha Beatrice, Du marmorkalte Tugendpuppe, hai| |LUCINDO. Was soll's, was soll's? Was hast du hier zu schaffen, Bei Gott, ich sah noch nie 'nen schön'ren Affen. WIERIN. Verdammter Knabe, was es soll, es soll, 35 Wir sprechen uns, du mein Rivale, du, Ein Mensch, geformt, um Menschenform zu hassen, Ein Wicht, von eitler Frechheit aufgeblasen, Ein Druckpapier, um Federn abzuwischen, Ein Held für die Komödie, wie geschaffen. 40 LUCINDO. Und wie gesagt, 'nen ganz vollkomm'nen Affen! Doch schämt euch, Worte streitend hier zu wechseln, 667 Literarische Versuche WIERIN. Hier gleicht der Muth 'ner Strassenorgel nur, Die zu 'nem Bildniß spielt und Schlachten lügt, Bald kann er gelten. Bald, gleich, gleich Knabe laß mich mit dir sprechen, Es es es, ha 's überrinnt mich kalt, Beatrice, ich schaff den Buhlen fort. LUCINDO. Schweig' Wicht, ich folg dir gleich, gleich auf der Stelle. PERTINI. Was ein Geschrei? Seid ihr auf offner Strasse, (Pertini tritt ein.) (Zu Wierin) Schreit ihr so Krähe, wart', ich stopf den Mund. (für sich.) Ich hab mich glücklich adressiert, der Kerl Hat mich doch etwas mißverstanden!! I (Beatrice fällt in Ohnmacht!) LUCINDO. Ha! Hilfe! ach, sie sinkt", ο Gott, (sich über sie lehnend) Komm' zu dir Engel, süsses Seelenwesen, sprich! (er küßt sie) Fühlst du die Gluth, sie schlägt den Blick, sie athmet, Warum mir das Beatrice, warum? Willst du mich tödten, kann ich so dich sehn? (er hebt sie auf, sie umschlingend, Wierin will auf ihn zustürzen, Pertini hält ihn zurück.) PERTINI. BEATRICE, Freund Krähe, kommt, ein Wort in euer Ohr! (schwach.) Lucindo, mein Lucindo, ach verloren, Verloren, eh' ich dich, mein Herz, gewann! LUCINDO. Sei ruhig Engel, nichts ist zu verlieren, Den Menschen will ich bald zur Ruhe führen. (er trägt sie auf's Sopha.) Hier ruhe, länger dürfen wir nicht weilen, Den heil'gen Ort soll nicht der Greuel theilen. WIERIN. PERTINI. Nur weg, wir werden sprechen! Fort, ich auch, Ein Sekundant bei zwein ist neuer Brauch! Sei ruhig süsses Kind, wofür der Schmerz? LUCINDO. BEATRICE. Leb' wohl. LUCINDO. BEATRICE, Leb Engel wohl. (tiefseufzend.) Mein ahnend Herz! Vorhang fällt, Ende des ersten Aktes.] 668 5 10 15 20 25 30 35 40 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 |Lied an die Sterne. [Siehe S. 529/530 und 1231.] Lied eines Schiffer's auf der See. [Siehe S. 542-544 und 1231/1232.] |Das bleiche Mädchen. Ballade. [Siehe S. 494—196 und 1228.] 5 I Waldquell. Hart' mich verlor'n in Blüthenhein, Sprang silberhell ein Waldquell drein, Im Murmelfall, von oben Stehn Lorbeerbäum' gehoben. 669 Literarische Versuche Die sehn ihn lang hinüberfliehn, Die sehn ihn stets am Fusse ziehn, Brennt fort im duft'gen Schatten, Mögt' sich dem Luftmeer gatten. Doch wie er strebt vom harten Land, Lautdonnernd stößt die Felsenwand, Walzt stumm in Schwindelweisen, Die Fluth zu Wolkenkreisen. So wallt er fort durch Blumenhein, Schlingt Todschmerz tief in sich hinein, Dann wehn die Lorbeerbäume, Von oben süsse Träume. I Spielmann. Spielmann streicht die Geigen, Die Lichtbraun Haare neigen, Trägt einen Säbel an der Seit', Trägt ein zerrissen gefaltet Kleid. „Spielmann, Spielmann, was streichst du so sehr, Spielmann, was blickst du so wild umher, Was kreist sich das Blut, was springen die Wogen, Zerreißt dir ja deinen Bogen." „Was geig' ich Mensch! was brausen Wellen, Daß donnernd sie am Fels zerschellen, Daß's Auge erblind't, daß der Busen springt, Daß die Seele hinab zur Hölle klingt!" „Spielmann, zerreibst dir's Herz mit Spott, Die Kunst, die lieh dir ein lichter Gott, Sollst ziehn, sollst sprühn auf Klangeswellen, Zum Sternentanz hinanzuschwellen!"| |„Was, was! Ich stech', stech' ohne Fehle, Blutschwarz den Säbel in deine Seele, Fort aus dem Haus, fort aus dem Blick, Willst Kindlein spielen um dein Genick?" 5 10 15 20 25 30 670 Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 „Gott kennt sie nicht, Gott acht't nicht die Kunst, Die stieß in den Kopf aus Höllendunst, Bis das Hirn vernarrt, bis das Herz verwandelt, Die hab' ich lebendig vom Schwarzen erhandelt!" „Der schlägt mir den Takt, der kreidet die Zeichen, Muß voller, toller den Todmarsch streichen, Muß spielen dunkel, muß spielen licht, Bis Herz durch Sait' und Bogen bricht." Spielmann streicht die Geigen, Die lichtbraun Haare neigen, Trägt einen Säbel an der Seit', Trägt ein zerrissen gefaltet Kleid. 1 |Drei Lichtlein. Drei fromme Lichtlein flackern fern, Sie glühn zusamm'n, wie Augenstern, Wohl braust der Sturm, wohl rauscht der Wind, Die Lichtlein nie verloschen sind. Das eine süß nach oben strebt, Bis Funke licht zum Himmel bebt, Sein Äuglein blinkt so gar vertraut; Als hätt's Allvater selbst geschaut. Das and're schaut zu Erdenhalln, Lauscht weit, wie Siegesklänge schalln, Dann kehrt's sich nach den Schwestern um, Scheint gar begeistert ahnungsstumm. Das lezte Lichtlein golden winkt, Die Flamme strömt, das Ganze sinkt, Es tauchen ihm in's Herz die Welln, Zum Blüthenbaum emporzuschwelln. 5 10 15 20 25 30 671 Literarische Versuche Dann flackern wohl drei Lichtlein fern, Empor aus Wechsel-Augenstern, Dann braust der Sturm, dann rauscht der Wind, Zwei Seel'n in einer glücklich sind. |Die Entführung. Ballade. Der Ritter steht am Eisenthor, Da blickt 'ne holde Maid hervor: „Lieb Ritter, wie kann ich heruntersteigen?" Und rings ist es Nacht und die Lüfte schweigen. „Fang auf, ich werf in deine Hand, Der Rettung süsses Unterpfand, Da oben kannst du es feste binden, Und dich am Seil herunterwinden." „Ach Ritter, ach Ritter, ich flieh, wie ein Dieb, Ach Ritter, was thu ich dem Trauten zu lieb!" „Hold Traut', du nimmst ja nur, was dein eigen, Wir ziehn, wir fliehen im Schattenreigen!" „Ach Ritter, die Tiefe klafft mich an, Mich faßt's wie Schwindel, ich kann nicht nahn!" „Du willst nicht, sieh' ich gab' mein Leben, Du kannst vor leeren Schrecken beben!" „Ach Ritter, du treibst ein gefährlich Spiel, Bist meiner Sehnsucht golden Ziel! So lebt denn wohl, ihr trauten Hallen, Nicht länger darf mein Fuß euch durchwallen." „Es zieht mich eine höh're Macht, Ihr lieben alle, gute Nacht!" Und nicht länger kann sie zagen und streiten, Faßt an das Seil, herunterzugleiten. | 5 10 15 20 25 30 672 5 10 15 20 25 30 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 |Und wie sie die Mitte kaum erreicht, Da irrt ihr Blick und die Wange bleicht, Die Arme kann sich nicht länger halten, Sie stürzt an die Brust der Todesgewalten. „Ach Ritter, noch einmal halt mich warm, Dann schwind' ich seelig in deinem Arm, Laß mich in deinen Küssen verhauchen, Dann muß ich in süsse Vernichtung tauchen!" Der Ritter hält sie bebend fest, Der Ritter sie heiß an den Busen preßt, Und wie die Seelen zusammen wehen, Da faßt es ihn an, wie Todeswehen. „Leb wohl, mein trauter, mein theurer Mann!" „O weile noch, daß ich dir folgen kann!" Und über sie zuckt es, wie ewige Flammen, Und beide brechen entseelt zusammen. 1 IWiener Affentheater in Berlin. I.) „Ei sagt, das Publikum drängt sich wüthend fort! Gewiß ein Talma da, ein Musenort!" Bitt' Freund, man liebt nicht scharfe Waffen, Komödie ist's, gespielt von — Affen. II.) Ich saß und blickt' in guter Ruh, Dem reinen Spiel der Bestien zu, Natur, die war nicht zu vermissen, Hätt'n nur noch solln an die Wände Da fühlt' ich mich plötzlich am Mantel gepackt: „Denkt euch, der Streich war ganz vertrackt, Ein Fräulein ist in Ohnmacht fallen, Stürzt toll 'nem Affen an Brust und Krallen, Sie schlug ihr Aug', sie sprach so bang, O! tiefer Ahndungsseelendrang, . 673 Literarische Versuche Ol Harmonie, ο Geisterpein, Der Affe spielt' mir in's Herz hinein, Ich fühle mich magnetisch fortgetrieben, Der Affe spielt' mich selbst, ich mußt' ihn lieben, O! sprich, wie kömmst du mich doch für, Der Hauch versagt, das Auge schwindelt mir." (Armida von Ritter Gluck. I.) Wollt' auch einmal recht gemessen, Ließ mich keinen Heller verdriessen, Warf mich in den Frack beim Lampenschein, Ging gradeswegs in die erste Loge hinein. O! Gott! wie übel ward das vergolten, Hab' nie mich selber mehr ausgescholten. 'nem Fraulein sollt' ich den Text hinhalten, Ich murmelt': „die Hand thät mir erkalten!" Sie fragt': „warum ich nicht Handschuh trüg'?" Ich sagt': „weil es mir in die Nerven schlug'!" Dann thät sich mir Brust und Nacken entfalten, Sie bat mich, den Shawl recht fest zu halten, Ich sagt' ihr: „Feuer sei nicht bereit, Und rohes Fleisch erreg' mir Uebelkeit!" Sie rief: „Ist das Ballet nicht schön gewesen?" „Gott, sprach ich, was giebts im Intelligenzblatt zu lesen!" IL) Dann sank ich in die Töne stumm, Sie lächelte höhnisch: „Der Kerl ist dumm!" 5 10 15 20 25 - I 674 Gedichte, m e i n em teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 I Verdingung. Madame. Nun sagt, was haltet ihr euch denn aus? Magd. Das and're versteht sich, doch ein's vor allen, Mit meiner Gesippschaft nicht zu verfallen, Bitt' ich einmal im Mond mir — Theevisite in's Haus. Sentimentale Seelen. Sie weinen! ach! der Metzger schlachtet ein Kalb! Erst brüllte die Bestie noch, jezt ist sie falb! Sie lachen! Himmel, wie närrisch in seiner Art, Natur, Natur! Ein Hund trägt keinen Bart! Was sprudelt ihr hoch, als wärt ihr gesonnt? Wir hören, wie Bileams Esel gar sprechen könnt! Neumodische Romantik. Das Kind, das, wie ihr wißt, an Göthe schrieb, Und ihm weis machen wollt', er hab' sie lieb, Das Kind war einst im Theater zugegen, 'ne Uniform thut sich bewegen. Es blickt zu ihr gar freundlich lächelnd hin: „Bettina wünscht, mein Herr, in ihrem Sinn, Das Lockenhaupt an sie zu lehnen, Gefaßt von wundersamem Sehnen." Die Uniform erwiedert gar trocken drauf: „Bettina laß dem Willen seinen Lauf!" „Recht, spricht sie, weißt du wohl, mein Mäuschen, Auf meinem Kopf giebts keine Läuschen!"| 5 10 15 20 25 675 Literarische Versuche |An die Sonne der Wahrheit. (F. Quednow.) Lampenlichter, Sternenflimmer, Herzenstiefe, Schönheitsschimmer, Seelenhuld und weisse Haut, Nimmer zeigst du sie in Klarheit, Halst dich drum für Sonnenwahrheit, Einen Bräutigam hat jede Braut. Und der Sonne Wahrheit magst du heissen, Ist's doch wahr, daß Sonnen — Schatten schmeissen. Auf einen Ritterheroen. Und wo man ihn auch immer packt und greift, Heros und Ritter ineinander schweift, Des Tags spricht er modern vom Tanzen, Nachts zehren ihn antike Wanzen. Meiner Nachbarin jenseits. Da drüben guckt die wieder her, Bei Gott, ich trag's nicht länger mehr, Ein kleiner Mann, ein gelbes Haus, 'ne lange Frau, ein dürrer Graus, Damit die Phantasien nicht fliehn, Muß ich das Rouleau — niederziehn. 5 10 15 20 25 676 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 I Philister Verwunderung. „Ich weiß nicht, wie jemand mit sich zerfallen kann, Knöpft zu den Rock, ihr werd't nicht bestohlen, Mann!" Mathematikerweisheit. I.) Wir haben alles auf Zeichen gebracht, Aus uns'rer Vernunft ein Rechenexempel gemacht, Ist Gott ein Punkt, so ist er kein Cylinder, Steht ihr auf dem Kopf, so sizt ihr nicht auf dem Π·) Ist a der Geliebte, ist b die Liebhaberin, So setz' ich meinen Kopf zum Pfände hin, Stellt ihr auch a + b in einen Reihn, So wird das gar ein Liebespaar sein. III.) Mit Strichen die Welt gemessen, Haben nie den Geist herausgefressen, Mit a und b die Zwiste abgemacht, So war' das Gericht — um Sportein gebracht. 1 |An die Mediziner. Verdammt Philistermedizinerpack, Die ganze Welt ist euch ein Knochensack, Habt ihr mit Wasserstoff das Blut gekühlt, Und auch nur erst den Puls in Gang gefühlt, Dann glaubt, ihr, nun habe sich alles gegeben, Man könne doch ganz gemächlich leben, Der Herrgott sei ein Witzkopf gewesen, Daß er so sehr in der Anatomie belesen, Und jede Blume sei ein brauchbar Instrument, Wenn ihr sie zu Kräuterbrühe erst brennt. 677 5 10 15 20 25 30 Literarische Versuche Mediziner-Psychologie. Wer des Abends Nudeln und Klose verschluckt, Der wird des Nachts — von Träumen gedrückt. Mediziner-Metaphysik. Es hat nie einen Geist gegeben, Denn auch Ochsen können leben, Die Seele ist eitel Phantasei, Man kann sie im Magen nicht finden, Und war sie irgendwo nur zu ergründen, 'ne jede Pille trieb sie wohl herbei, So daß in ganzen Strömen, Die Geister aus den Leibern kämen. I Mediziner-Anthropologie. Der Mensch, der kann's lange treiben, Gewöhnt er sich den Unterleib einzureiben, So daß kein Zug, kein Wind, Den Durchgang zu ihm find't. Der Mensch kann auch sein Ziel erreichen, Will er nicht von der Diäte weichen, Und die Kultur fängt alsda an, Wo man zuerst — zu purgiren begann. 5 10 15 20 678 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Mediziner-Ethik. Auf Reisen müßt mehre Hemden tragen, Damit der Schweiß nicht kann zurückeschlagen, Hüth' euch vor solcher Leidenschaft, Die Grimmen in Bauch und Därmen schafft, Laßt eure Augen nie dahin schweifen, Wo Flammen ihnen an's Leben greifen, Mischt gehörig Wasser und Wein, Gießt in den Kaffee Milch hinein, Vergeßt nicht, uns rufen zu lassen, Wollt ihr euch für das Jenseits fassen. 1 |Zwei Lieder an Jenny. Gesucht. Lied. Macht' auf mich, ließ nicht länger binden; „Wo willst du hin?" ,,'ne Welt zu finden!" „Giebt's hier nicht schwanke Fluren viel, Hier unten Wogen, droben Sternenspiel?" „Glaub' Thor, nicht jenseits führt mein Wallen, Ob schlagen Fels, ob Aether hallen, Sie binden stumm den kecken Fuß, Zur Fessel wird ihr Liebegruß." „Die Welt soll aus mir selbst entsteigen, Zu meiner Brust, aus ihr sich neigen, Ihr Fluthensprung mein Lebensstrom, Mein Seelenhauch ihr Aetherdom." Wohl wallt' ich fern, wohl kehrt' ich wieder, Wohl trug ich Welten auf und nieder, Wohl sprangen Stern' und Sonne drein, Da zuckte Blitz, sie sanken ein. 1 5 10 15 20 25 30 679 Literarische Versuche I Gefunden. Lied. Was schlingt das Buschwerk Wirbeltänze, Was walln zur Ferse Maienkränze, Was wölbt der Himmel seinen Saal, Was strebt zum Wolkenberg das Thal? Rausch' ich entgegen mein Gefieder, Verhallend schlägt's am Felsen nieder, Vermählt sich Aug' und Sternenlicht? Ich wälz' den Blick, er bebt, er bricht. So rollt denn fort ihr Lebenswogen, Stürzt weiter, reisset ein die Bogen, Von Freiheit golden angehaucht, Wenn ihr in's Nichts entgeistert taucht. Noch einmal zuckt der Blick vermessen, Er blizt, sich seelig zu vergessen, Wo hätt' er Welten suchen soll'n? Er war in dir zur Welt geschwolln. 1 I Schluß-Sonett an Jenny. 5 10 15 20 Eines muß ich Dir, mein Kind, noch sagen, Fröhlich schließt mein Abschiedssang den Reihn, Denn die lezten Silberwellen schlagen, Sich in Jenny's Hauche Klang zu leihn, So wird kühn durch Felsensprung und Ragen, 25 Laut durch Fluthenfall und Hein, Fort der Stundenlauf des Lebens schlagen, Zur Vollendung sich in Dir zu weihn. 680 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Kühn gehüllt in weiten Gluthgewanden, Lichtverklärt das stolzgehob'ne Herz, Herrschend losgesagt von Zwang und Banden, Tret' ich festen Schritt's durch weite Räume, Schmett're vor Dein Antlitz hin den Schmerz, Und zum Lebensbaum entsprühn die Träume! I Wechselgespräch an Ein Sänger steht da, festgeschmückt, Die Zyther warm an das Herz gedrückt, Die Saiten greift er begeistert; „Was klingst du, mein Spiel, was tönst du Gesang, Was schwillst du, Zyther, wie Seelendrang, Wie eigen von Gluthen gemeistert?" „Glaubst Sänger wohl, ich fasse nicht, Den Seelenkampf, das Busenlicht, Die Bilder, die aufwärts streben? Sie schimmern rein, wie Sternenland, Sie brausen hoch, wie Fluthenbrand, Die deuten ein höher Leben." „Ich ahnt' es wohl, ich fühlt' es tief, Wenn Klangentsprüht dein Wort mich rief, Du schlugst nicht selber die Saiten; Es war ein Hauch aus süß'rem Mund, Hoch stieg er, tief aus Herzensgrund, Lehrt zart die Leier dich streiten." „Dann sprüht' ein Antlitz Wunderhold, In Sang gefaßt, in Lockengold, Das blizte selt'ne Weisen; Ihr Herz schlug voll, ihr Aug' brannt' hehr, Du sankst in Traum, du warst nicht mehr, Dann mußt' ich feiern und preisen."| 5 10 15 20 25 30 681 Literarische Versuche |„Ihr Blick sank stumm in mich hinein, Stieg aus mir auf, wie Blüthenschein, Als war' es in Tönen zerronnen; Doch sprich, es sinkt, es taucht empor, Und dennoch schieiert Wolkenflor Dir alle Stern' und Sonnen?" „Ach Zyther! Zaubervoll Geschick, Wie Springbrunn rieselt auf dein Glück, Umgrünt von.Maienkränzen; Ihr Hauch beseelt, ihr Auge winkt, Dein Ton erbebt, drin Leben blinkt, Und rollt in Sphärentänzen." „Du saugst sie ein, du strömst die Lust, Dann schlägt's verhallend aus der Brust, Und deine Geister schweigen; Dir ward der Traum, das Leben dir, Ich ringe fern, du perlst in ihr, Schwebst hoch und ich muß neigen!" „Wohl Sänger, wiegt mich Blüthentraum, Doch faß ich auch in Himmels saum, Und bind' in gold'nen Sternen; Es klingt das Spiel, das Leben weint, Das Spiel klingt fort, die Sonne scheint, Es sprühn in eins die Fernen." I Seefels. Schroff wallt auf die Marmorsäule, Zackengipfel sägt die Luft, Modergift und Lebensfäule Braust tief unten her die Gruft. Eisern klammert seine Glieder, Hohngeschwolln der Fels hernieder. 5 10 15 20 25 30 682 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Jahre wirft er weit die Gluthen, Von dem Wahnverzerrten Hirn, Jahre stößt er Meeres Fluthen, Toller sie im Kreis zu wirrn. Mühvoll Moos bebt herbstlich graue Locken, Grinzend pralln es blutig Kieselflocken. Mitternächtig strömen Laute Wahnruf aus dem Marmorschoos, Als wenn thausendjährig Leben thaute Und Erinn'rung heulte los. Wagt des Wand'rers Schritt hinanzulauschen, Steinern muß er fort zur Seefluth rauschen. I Männerl und Trommerl. Mährlein. 5 10 15 Ei Trommerl is kei Männerl und es Männerl is kei Trumm. Die Trommerl is gar klug und das Männerl is gar dumm. Die Trommerl is gebunden und 's Männerl is gestellt; Und die Trommerl bleibt sitzen, wenn's Männerl auch fällt. 20 Und 's wüthend Männerl, das schlägt sie und 's klein Trommerl, das klingt, Und 's lustig Trommerl, das klappert und es Männerl, das springt. Und 's Männerl schneid't Gesichter und 's Trommerl lacht es aus, Da ruft's gar entsetzlich, das Männerl durch das Haus: „Ha! Trommerl, He! Trommerl, was lachst de, was klapperst so hohl, 25 Du treibst mir de Narrn und schneidst mer Fratzen wohl!"| I„Verwünschtes Trommerl, das grinzt de, das treibst de mer zur Schand'-, Was klapperst, wenn i schlag' und was hängst de, wo i band!" „Hab ich drum dich aus dem Holzstamm zu 'ner Trommerl rauf gebracht, Daß de's treibst so für dich, als hättst's dich schön selber gemacht!" 30 „Sollst tanze, wenn i schlag' und schlage, wenn i sing', Sollst weine, wenn i lach' und lache, wenn i spring'!" 683 Literarische Versuche Das Männerl, das grinzt auf de Trommerl in der Wuth, Und donnernd zerschlägt er's und de Trommerl springt Blut. Und's Trommerl hat kei Männerl und es Männerl hat kei Trumm, Und's Männerl geht in's Kloster und es Männerl wird frumm. 5 I Spatziergang. „Was blickst du hin zur Felsenwand, Was murmelt deine Lippe?" „Die Sonne schimmert Abendbrand, Küßt scheidend noch die Klippe." 10 „Und dieses sahst du wohl noch nicht, Heut' stieg zum erstenmale Vom Mittag her das Purpurlicht, Und sinkt hinab zum Thale?" „Wohl sah' ich's einst, wohl schlug die Gluth, Sich fern in Purpurfalten, Bis scheidend noch ihr Auge ruht, Sie sehnend festzuhalten."! („Wir wallten still, die Klippe schlug, Von ihrem Schritt' gemeistert, Leis küßt' der Wind das Busentuch, Sanft sprüht' ihr Aug' begeistert." „Ich lispelt' Seufzer, Liebekrank, Sie bebte Gluthumroset, Ich preßt' ihr Herz, die Sonne sank, Von Sternen weggekoset." „Das zieht den Blick zur Felsenwand, Das murmelt meine Lippe, Sie winkt mir fern, wie Abendbrand, Sie neigt sich von der Klippe." 15 20 25 30 684 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 I Zauberschiff. Romanze. Flieht Schifflein ohn' Segel und Leuchte, Flieht Erdkreis um ohn' Rast, Der Mond blickt 'nab in's Feuchte, Verwittert steht der Mast. Ein Steurer finster es lenket, Fließt durch die Wange kein Blut, Sein Hirn kein Gedanken denket, Sein Auge schießt kein Gluth. Da branden wohl rings die Wellen, Da stößt's in Rippenbank, Das Schifflein schwankt, ohn' zu schellen, Taucht auf, wie's niedersank. Bis eine Meerfluth quillet Im blut'gen Wellenbad, Zuckt Steurers Herz und schwillet, Das zeugt wohl böse That. Dann heulen drunter, drüber, Die Geister Rachgeschrei, Dem Steurer wird's düster und trüber. Das Schifflein schießt vorbei. Wohl schaut es ferne Lande, Wohl grüßt' es Bucht und Küst, Dann blinkt's im Spiegelbrande, Bis Fluth es niederküßt. I Mondmann. Siehst, angehaucht von Sternenglanz, Wallt's bebend auf und nieder, Da schlägt der Mondmann seinen Tanz, Da schüttelt er die Glieder. 5 10 15 20 25 30 685 Literarische Versuche Leis thränend blinkt der Himmelsthau, Im Lockenhaar verschlungen, Dann tröpfelt's nieder auf die Au, Bis Blüthen draus geklungen. Das perlt nun dort, das sprießt nun fort, In bleich und gold'nen Flöckchen, Das kündet wohl dem Erdenort Den Schmerz aus Blumenglöckchen. Denn ob der Mondmann freundlich winkt, Birgt tief doch Wehmuthssehnen, Er mögt' zum Strahl, der niedersinkt, An's Sonnenherz sich lehnen. Schon harrt er viele Jahre lang, Lauscht fern, wie Sphären steigen, Das schwillt die Brust so Liederbang, Das thaut in Blumenreigen. So kleid't sein Schmerz den Erdenhein, Bis rings die Fluren klingen, Dann fesselt wohl süßeig'ner Schein, Er rauscht versöhnt die Schwingen. 1 I Nachtgedanken. Dithyrambe. Seh' da oben die Wolke ziehn, Adlerfittig braust um die Flanken, Sturmwärts rauscht sie, daß Funken sprühn, Rollt von Morgen her Nachtgedanken. Aufblizt Gedanken, Riesenschwer, Stößt Fluchschwindel an Aetherbogen, Blut springt das Auge, Schreckenhehr, Himmelsgebälk umspeien die Wogen. 5 10 15 20 25 30 686 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Still um das Schläfenpaar, Ruhegroß, Gürtet Aether Fackelbrande, Rüstung prallt, Urdunkel im Schoos, Stürzt, heult Wolke Wehschrei zum Lande. 1 I Traumbild. Dithyrambe. Aus den Träumen mögt' ich schmeicheln Leis ein Bild in Duftgewebtes Netz, Müßt' ich schon die Kreise schlingen, Aus den eig'nen Locken ringen, Müßt' ich Herzblut Nachtumfluthet quelln, Gluthbild fortzuziehn aus Traumeswelln, Bild, das auf und niedergewoget, Aeolstöne, Liebesschöne rauscht. Schwellen würd' es, golden blinken, Grösser wölbte sich das enge Haus, Meine Locken wallten ringend, Himmelsweib mit Schwarz umschlingend, Fort zu Perlenliedern rollt mein Blut, Strömend um des Marmornackens Gluth. Und die Lampe flackert Sonnen, Himmelswölbung fluthete mein Herz. Niederbebten rings die Räume, Doch zum Riesenheld emporgeschwolln, In dem Blicke nächtig hehre Feier, Weltgroß war mir Sturmesleier, Höher schlug' im Donnersang mein Herz, Sonnen seine Liebe, Fels sein Schmerz, Stolzdemüthig sank' ich nieder, Stolzvermessen rauscht' ich an die Brust. 5 10 15 20 25 30 687 Literarische Versuche IEinige Kapitel aus: Scorpion und Felix. Humoristischer Roman. ERSTES BUCH. 10. KAPITEL. Es folgt hier, wie wir im vorigen Kapitel versprachen, der Beweis, daß besagte Summe von 25 Thalern dem lieben Gott persönlich zugehöre. Sie sind herrenlos! Erhabener Gedanken, keines Menschen Macht besizt sie, doch die hehre Macht, die über Wolken segelt, umspannt das All, also auch besagte 25 Thaler, sie streift mit ihren Fittigen, die aus Tag und Nacht, aus Sonne und Sternen, aus Riesenbergen und endlosen Sand flächen gewebt sind, die da klingen, wie Harmonien, wie das Rauschen des Wasserfalles, wo die Hand des Irdischen nicht mehr hinreicht, also auch an besagte 25 Thaler, und — doch ich kann nicht weiter, mein innerstes ist aufgeregt, ich blicke in das All und in mich und auf besagte 25 Thaler, welcher Stoff in diesen drei Worten, ihr Standpunkt ist Unendlichkeit, sie klingen, wie Engelstöne, sie erinnern an das lezte Gericht und den Fiskus, denn — es war Grethe, die Köchin, welche Scorpion, aufgeregt von den Erzählungen seines Freundes Felix, hingerissen von seiner Flammenreichen Melodie, überwältigt von seinem frischjugendlichen Gefühle an sein Herz drückte, eine Fee in ihr ahnend. Ich schließe daher, daß Feen Barte tragen, denn Magdalene Grethe, nicht die reuige Magdalene, sie prangte gleich einem ehrenfesten Krieger mit Backen und Schnauzbart, die sanften Locken schmiegten sich kräu- 688 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 selnd an das schöngeformte Kinn, das gleich einem Felsen auf einsamem Meere, die Menschen erblicken ihn aber von weitem, aus der platten Wassersuppschüssel des Gesichtes gigantisch und stolz seiner Erhabenheit sich bewußt, hervorragte, die Lüfte durchschneidend, Götter bewegend, 5 Menschen erschütternd. Die Göttin der Phantasie schien von einer bärtigen Schönheit ge|| träumt und sich in den zauberischen Gefilden ihres weitschweifigen Antlitzes verlo ren zu haben und, als sie erwachte, da war es Grethe selbst, die geträumt hatte und schreckliches, sie sei die große Buhle von Babylon, die Offen- 10 barung Johannis und der Zorn Gottes, er habe ein spitziges Stoppelfeld auf der von zarten Wellenlinien durchfurchten Haut hervorsprießen lassen, damit ihre Schönheit nicht zur Sünde reitze und ihre Tugend geschüzt sei, wie die Rose durch Dornen, damit die Welt erkenne 15 und nicht für sie entbrenne. „Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für's Pferd" sprach Richard der dritte, 20 „Ein Mann, ein Mann, mich selbst für einen Mann" sprach Grethe. 12. K A P I T E L. 16. K A P I T E L. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahn seine 25 Herrlichkeit." Unschuldiger, schöner Gedanke! Doch die Ideenassociationen führten Grethen weiter, sie glaubte, das Wort wohne in den Schenkeln, wie Thersites bei Shakespeare, daß Ajax Caldaunen in seinem Kopf und sein Verstand in seinem Bauche, sie, Grethe, nicht Ajax, überzeugte sich und 30 erfaßte es, wie das Wort Fleisch geworden, sie sah in den Schenkeln seinen symbolischen Ausdruck, sie erblickte ihre Herrlichkeit und beschloß — sie zu waschen. 35 Sie hatte aber grosse blaue Augen und blaue Augen sind trivial, wie das 119. K A P I T E L. Wasser der Spree.- Eine dumme, sehnsüchtige Unschuld spricht aus ihnen hervor, eine Unschuld, welche sich selbst bedauert, eine wäß'rige Unschuld, wenn das 689 Literarische Versuche Feuer ihr naht, geht sie auf in grauem Dampf und weiter liegt nichts hinter diesen Augen, ihre ganze Welt ist blau, ihre Seele ein Blaufärber, aber braune Augen, sie sind ein idealisches Reich, eine unendliche geist volle Nachtwelt schlummert in ihnen, Seelenblitze schlagen aus ihnen empor und ihre Blicke klingen, wie die Lieder Mignons, wie ein fernes, zartes Gluthenland, welches ein reicher Gott bewohnt, der in seiner eig'nen Tiefe schwelgt und in dem All seines Daseins versunken, Un endlichkeit ausstrahlt und Unendlichkeit leidet. Wir fühlen uns gebunden, wie durch Zauberbann, wir möchten das melodiereiche, tiefe, seelenvolle Wesen an unsere Brust pressen und den Geist aus seinen Augen saugen und 10 Lieder aus seinen Blicken machen. 5 Wir lieben die üppigbewegte Welt, die sich uns erschließt, wir sehn im Hintergrunde riesenhohe Sonnengedanken, wir ahnen ein dämonisches Leiden und zartbewegte Gestalten führen vor uns den Reihentanz, winken uns zu und treten scheu, wie die Grazie, zurücke, sobald sie erkannt 15 sind. 21. K A P I T E L. Philologische Grübeleien. Felix riß sich nicht gar sanft aus den Umarmungen seines Freundes los, 20 denn er ahnte nicht dessen tiefe, gefühlvolle Natur und war eben mit der Fortsetzung — seiner Verdauung beschäftigt, der wir jezt ein für allemal gebieten, den Schlußstein ihres großartigen Wirkens zu setzen, da sie uns in der Handlung aufhält. | |So dachte auch Merten, denn ein heftiger Schlag, den Felix führte, 25 war von seiner breiten historischen Hand geschlagen worden. Der Name M e r t en erinnert an Karl Martel und Felix glaubte sich wirklich von einem Hammer geliebkost, mit solcher Annehmlichkeit war die elektrische Erschütterung verbunden, die er verspürte. Er riß die Augen auf, wankte und dachte an seine Sünden und das 30 lezte Gericht. Ich aber grübelte über die elektrische Materie, über den Galvanismus, über Franklins gelehrte Briefe an seine geometrische Freundin und über M e r t e n, denn meine Neugierde ist höchst gespannt, zu entdecken, was dieser Name verbergen mag. 35 Daß der Name selbst in grader Linie von M a r t el abstamme ist nicht zu bezweiflen: der Küster versicherte mir es, obgleich dieser Periode aller Wohlklang fehlt. Das 1 verwandelte sich in ein η und da M a r t el ein Engländer ist, wie jeder Geschichtskundige weiß, im englischen aber das a oft wie das 40 690 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 deutsche „eh" lautet, welches mit „e" in Merten zusammenfällt, so möchte M e r t en wohl eine andre Form von M a r t el sein. Hienach zu schliessen, da bei den alten Deutschen der Name, wie aus mehreren Beiwörtern hervorgeht, als Krug, der Ritter, Raupach, der 5 Hofrath, Hegel, der Zwerg, den Charakter seines Trägers ausdrückt, scheint Merten ein reicher, biederer Mann zu sein, obgleich er seines Ge werbes ein Schneider und in dieser Geschichte der Vater Scorpions ist. Dieses leztere begründet eine neue Hypothese, denn theils, weil er Schneider, theils weil sein Sohn Scorpion heißt, erhält es viele Wahr- 10 scheinlichkeit, daß er von M a r s, dem Kriegsgott, Genitiv M a r t i s, griechischer Accusativ M a r t i n, M er t i n, M e r t e n, abstamme, denn das Handwerk des Kriegsgottes ist Schneiden, indem er Arme und Beine abschneidet und der Erde Glück zersägt. | |Der Scorpion ist ferner ein giftiges, mit dem Blick tödtendes Thier, 15 dessen Wunden tödtlich, dessen Augenblitz zerschmettert, eine schöne Allegorie für den Krieg, dessen Bück tödtet, dessen Folgen dem Getroffnen Narben schlagen, die innerlich bluten, die nicht mehr zu heilen sind. Da indessen M e r t en wenig heidnische Natur besaß, im Gegentheil sehr christlich gesinnt war, so scheint es noch wahrscheinlicher, daß er 20 vom heiligen M a r t in abstamme, eine kleine Verwechslung der Vokale gibt M ir tan, das i lautet oft in der Sprache des gemeinen Volkes, wie e, z.B. „gieb mer" statt „gieb mir", und das a im englischen, wie schon an gedeutet, oft wie „eh", was in der Folge der Zeit sich leicht zu e um gestaltet, besonders bei wachsender Kultur, so daß der Name M e r t en 25 ganz natürlich entsteht und einen christlichen Schneider bedeutet. Obgleich diese Ableitung durchaus wahrscheinüch und tief begründet ist, so können wir doch nicht umhin, noch einer andern zu gedenken, die sehr unsern Glauben an den heiügen Martin schwächt, der doch nur als Schutzpatron genommen werden könnte, da er nie, so viel wir wissen, vereh- 30 ücht gewesen, also auch keinen männlichen Nachfolger besitzen konnte. Dieser Zweifel scheint durch folgendes Faktum gehoben zu werden. Die ganze Merten'sche Famihe hatte die Eigenschaft mit dem Land pfarrer von Wakefield gemein, daß sie, sobald wie möglich, geheirathet, also frühzeitig und Geschlecht von Geschlechte im Myrthenkranze 35 prangte, woraus auch allein, man müßte denn zu Wundern seine Zuflucht nehmen, zu erklären ist, daß M e r t en geboren wurde und in dieser Ge schichte als Vater Scorpions erscheint. „ M y r t h e n" müßte das „h" verlieren, da bei der Schliessung von Heirathen das „Eh" hervortritt, also das „he" wegfäüt, woher dann aus 40 „ M y r t h e n" „ M y r t e n" geworden.| |„Y" ist ein griechisches „v" und kein deutscher Buchstabe. Da nun, 691 Literarische Versuche wie dargethan die Merten'sche Familie eine echtdeutsche Kernsippe war, und zugleich eine sehr christliche Schneiderfamilie, so mußte das aus ländische, heidnische „y" in ein deutsches „i" sich verwandeln, und weil die Ehe das vorherrschende Element in derselben Familie, „i" aber ein schrillender, auffahrender vocal ist, obgleich die Merten'schen Ehen sehr sanft und gelind waren, so wurde es in ein „eh" und später, damit die kühne Aenderung nicht auffalle, in „e" verwandelt, in dessen Kürze zu gleich die Entschlossenheit bei Schliessung der Ehe angedeutet ist, so daß „ M y r t h e n" in dem deutschen, vielsinnigen „ M e r t e n" die höchste Form der Vollendung erreicht. Nach dieser Deduktion hätten wir den christlichen Schneider des heiligen Martins, den gediegenen Muth des Martels, die rasche Entschliessung des Kriegsgottes M ar s, mit dem Ehreichen verbunden, was aus den beiden e's in „ M e r t e n" hervorklingt, so daß diese Hypothese alle bisherigen in sich vereinigt und zugleich umstößt. Anderer Meinung ist der Scholiast, der Commentare zu dem alten Historiker, aus dem unsere Geschichte geschöpft, mit grossem Fleisse und anhaltender Anstrengung niedergeschrieben. 5 10 15 Obgleich wir seiner Meinung nicht beitreten können, so verdient sie doch eine kritische Würdigung, da sie aus dem Geiste eines Mannes ent- 20 Sprüngen, der mit einer ungeheuren Gelehrsamkeit eine grosse Fertigkeit im Rauchen verband, dessen Pergamente vom heiligen Tabaksdampfe umhüllt, also in einer pythischen Weihrauchsbegeist'rung mit Orakeln ge füllt worden. | |Er glaubt, daß „ M e r t e n" von dem deutschen „Mehren" und von 25 „Meer" herrühren müsse, weil die Merten'schen Ehen sich „gemehrt", wie Sand am „Meere", weil ferner in dem Begriffe eines Schneiders der Begriff eines „Mehrers" verborgen liege, indem er aus Affen Menschen mache. Auf diese gründlichen, tiefsinnigen Forschungen hat er seine Hypothese gebaut. 30 Als ich sie las, ergriff's mich wie schwindelndes Staunen, das Tabaks orakel riß mich hin, aber bald erwachte die kalt unterscheidende Vernunft und warf folgende Gegengründe ein. In dem Begriffe eines Mehrers, den ich besagtem Scholiasten in dem Begriffe eines Schneiders allenfalls einräumen kann, soll keinenfalls der 35 Begriff eines Minderers eingeschlossen liegen, weil dieses eine contradictio in terminis, für die Damen, den Herrgott im Teufel, den Witz in einer Theegesellschaft, sie selbst aber als Philosophen sezte. Wenn aber aus „ M e h r e r" „ M e r t e n" geworden, so wäre das Wort offenbar um ein „h" vermindert, also nicht vermehrt worden, was seiner formellen Natur 40 als substantiell widersprechend erwiesen ist. 692 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Also kann „Merten" keinenfalls von „Mehren" abstammen, und daß es aus Meer entsprungen, wird durch das Faktum widerlegt, daß die Merten'schen Familien nie in's Wasser gefallen, auch nie tarantelwüthig, sondern eine fromme Schneiderfamilie gewesen, was dem Begriff eines hochaufbrausenden Meeres widerspricht, aus welchen Gründen sich er- giebt, daß besagter Autor, trotz seiner Unfehlbarkeit geirrt und unsere Deduktion die einzig richtige ist. Nach diesem Siege bin ich zu ermüdet, um weiter fortzufahren und will im Glück der Selbstzufriedenheit schwelgen, wovon wie Winkel mann II behauptet, ein Moment mehr werth ist, als das ganze Lob der Nach welt, obgleich ich von diesem ebenso überzeugt bin, wie Plinius der jüngere. 5 10 2 2. K A P I T E L. 15 20 „Quocunque adspicias, nihil est, nisi pontus et aer, Fluctibus hic tumidis, nubibus ille minax, Inter utrumque fremunt immani turbine venti, Nescit cui domino pareat unda maris. Rector in incerto est, nec quid fugiatve petatve, Invenit, ambiguis, ars stupet ipsa malis." „Wo du auch immer hinblickst, du siehst Scorpion nur und Merten, Jenen in Thränen geschwellt, diesen umnebelt vom Zorn." „Zwischen den beiden erdröhnt's, wie unendlich hinbrausender Wortschwal, Weiß nicht, wem es als Herrn, horche das fluthende Meer." 25 „Ich der Rektor, ich schwank', und was ich laß', was ich schreibe, Find ich nicht, vor dem Skandal kriecht in den Ecken die Kunst." So erzählt Ovid in seinen libri tristium die traurige Geschichte, die als die folgende der vorherigen nachgeht. Man sieht, er wußte sich nicht mehr zu helfen, ich aber erzähle, wie folgt: — 30 35 2 3. K A P I T E L. Ovid saß zu Tomi, wohin ihn der Zorn des Gottes Augustus geschleudert, weil er mehr Genie, als Verstand besaß. Hier verwelkte unter den wilden Barbaren der || zarte Dichter der Liebe und die Liebe selbst hatte ihn gestürzt. Sein sinnendes Haupt stüzte sich auf die Rechte und sehnende Blicke schweiften nach dem entleg nen Latium. Des Sängers Herz war gebrochen und doch mußte er noch hoffen und doch konnte seine Leier nicht verstummen und glühte in 693 Literarische Versuche melodiereichen, süßberedten Liedern seine Sehnsucht und seinen Schmerz aus. Um die Glieder des gebrechlichen Alten sauste der Nordwind, ihn mit unbekannten Schauern erfüllend, denn er hatte ja im heissen Südenlande geblüht, seine Phantasie hatte dort ihre üppigen warmen Spiele mit Pracht- gewanden geschmückt und wo diese Kinder des Genies zu frei waren, da schlug die Grazie ihren göttlichen, leisverhüllenden Schleierkranz um die Schultern, daß die Falten weit umherwehten und warme Thautropfen regneten. 5 „Bald Asche, armer Dichter!" und eine Thräne rollte über die Wange 10 des Greisen, als — Mertens gewaltige Baßstimme sich tiefbewegt gegen Scorpion vernehmen ließ. 27. K A P I T E L. „Unwissenheit, grenzenlose Unwissenheit." 15 „Weil (bezieht sich auf ein früheres Kapitel) seine Knie sich zu viel nach einer gewissen Seite hinbeugten!", aber das bestimmte fehlt, das bestimmte und wer mag es bestimmen, wer ergründen, welche Seite die rechte, welche die linke sei? Sage du mir Sterblicher, von wannen kömmt der Wind, oder trägt Gott eine Nase im Gesicht und ich will dir sagen, 20 was rechts und links sei. Nichts, als relative Begriffe, es ist, um sich Narrheit, Raserei in der Weisheit zu trinken i| | θ! vergebens ist all unser Streben, Wahn unsere Sehnsucht, bis wir ergründet, was rechts und links sei, denn zur linken wird er die Böcke 25 stellen, zur Rechten aber die Schaafe. Dreht er sich nun, nimmt er eine andere Richtung, weil ihm Nachts geträumt, so stehn die Böcke rechts und die Frommen links nach unsren elenden Ansichten. Darum bestimme mir, was rechts und links sei und der ganze Knoten 30 der Schöpfung ist gelöst, Acheronta movebo, ich deducire dir genau, wohin deine Seele zu stehn kömmt, woher ich weiter schliesse, auf welcher Stufe du jezt stehst, denn jenes Urverhältniß erschiene meßbar, indem dein Standpunkt von Seiten des Herren bestimmt wäre, dein hiesiger aber kann nach der Dicke deines Kopfes abgemessen werden, ich schwindle, wenn 35 ein Mephistopheles erschiene, ich würde Faust, denn es ist klar, wir alle, alle sind ein Faust, indem wir nicht wissen, welche Seite die rechte, welche die linke ist, unser Leben ist daher ein Circus, wir laufen umher, suchen nach den Seiten, bis wir auf den Sand fallen und der Gladiator, eben das Leben, uns umbringt, wir müssen einen neuen Erlöser haben, denn — 40 694 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 peinigender Gedanke, du raubst mir Schlummer, du raubst meine Gesund heit, du tödtest mich — wir können nicht die linke von der rechten Seite unterscheiden, wir wissen nicht, wo sie liegen 1 5 |28. K A P I T E L. „Offenbar im Mond, im Mond liegen die Mondssteine, in der Brust der Weiber die Falschheit, im Meere Sand und auf der Erde Berge!" erwiderte ein Mann, der an meine Thür klopfte, ohne zu warten, bis ich ihn herein rief. 10 Rasch schob ich meine Papiere bei Seite, sagte ihm, daß es mich sehr freue, ihn bisher nicht gekannt zu haben, weil mir so das Vergnügen er wüchse, ihn kennen zu lernen, daß er grosse Weisheit lehre, daß alle meine Zweifel durch ihn beschwichtigt seien, allein, so schnell ich auch sprach, er sprach noch schneller, zischende Laute drängten sich zwischen 15 seine Zähne hervor, der ganze Mann schien, wie ich mit Schauer bei näherer Durchsicht und Einsicht gewahrte, eine vertrocknete Eidechse, nichts als Eidechse, gekrochen aus moderndem Gemäuer. Er war von untersezter Grösse und seine Statur hatte viel Aehnlichkeit mit der meines Ofens. Seine Augen konnten eher grün, als roth, und eher 20 Stecknadeln als Blitze, er selbst aber eher ein Kobold als ein Mensch genannt werden. Ein Genie! Das erkannte ich schnell und sicher, denn seine Nase war aus seinem Kopfe gesprungen, wie Pallas Athene aus dem Haupte des Allvater Zeus, woher ich mir auch ihre zarte Scharlachgluth erklärte, die 25 auf ätherische Abkunft hinwies, während das Haupt selbst haarlos genannt werden konnte, man müßte denn eine dicke Rinde Pomade, die mit andern Luft- und Urerzeugnissen auf dem Primitivgebirge wucherte, eine Kopf bedeckung nennen wollen. Alles an ihm deutete auf Höhe und Tiefe, aber seine Gesichtsbildung 30 schien einen Aktenmensch zu verrathen, denn die Backen waren, wie hohle, glatte Schüsseln und so vor Regen geschüzt durch die gigantisch hervortretenden Knochen, daß man Papiere und Regierungsdekrete in sie II hineinlegen konnte. Kurz, aus allem wird man sehn, daß er der Gott der Liebe selbst gewe- 35 sen, wenn er sich nicht selbst geglichen und daß sein Namen holdklingt, wie Liebe, wenn er nicht eher an einen Wachholderstrauch erinnert hätte. Ich bat ihn, sich zu beruhigen, denn er behauptete, er sei ein Heros, worauf ich ihm bescheiden einwarf, die Heroen seien etwas besser gebaut gewesen, die Herolde dagegen hätten eine einfachere, minder kombinirte, 40 wohlklingendere Stimme gehabt und die Hero endlich sei eine verklärte 695 Literarische Versuche Schönheit, eine wahrhaft schöne Natur, in welcher Form und Seele rängen, sich allein die Vollendung zuzuschreiben, sie passe also nicht für seine Liebe. Er aber warf dagegen ein, daß's's er'r'r einen starken Knochenbau besitze, daß er einen S'S'Schatten habe, so gut, und noch besser, wie and're Menschen, indem er mehr S'S'Schatten als Licht werfe, daß's's also sein Gemahl in seinem Schatten sich abkühlen, gedeihen und selbst ein S'S'S'Schatten werden könne, daß ich ein r'r'r'ruder Mensch sei und dabei ein Lumpengenie oder ein Dummkopf, daß's's er Engelbert heisse, und der N'Name klinge besser'r'r, wie S'Skorpion, daß's's's ich mich getäuscht 10 im 19ten Kapitel, indem blaue Augen s's'schöner seien'n'n'n als braune, daß's's's Taubenaugen die Geistreichsten Und er selbst, wenn auch keine Taube, doch wenigstens ein tauber für die Vernunft, dabei lTliebe er das Majorat und besitze einen Waschschrank. 5 „S'S'Sie soll meiner'r'r R'Rechten angetraut || werden und du laß's's 15 deine Forschungen über Rechtes und Linkes, gegenüber wohnt sie und weder rechts, noch links." Die Thüre war zugeklappt, eine Himmelserscheinung trat aus meiner Seele, das hold klingende Gespräch hatte geendet, aber wie Geisterstimmen rauschte es durch das Schlüsselloch: „Klingholz, Klingholz!" 20 29. KAPITEL. Ich saß sinnend da, legte Locke, Fichte und Kant bei Seite, ergab mich tiefer Forschung, zu finden, wie ein Waschschrank mit dem Majorat zusam menhängen möge, als es mich wie ein Blitz durchfuhr und, Gedanke auf 25 Gedanken thürmend meinen Blick verklärte und eine Lichtgestaltung vor mein Auge trat. Das Majorat ist der Waschschrank der Aristokratie, denn ein Wasch schrank ist nur, um zu waschen. Die Wäsche bleicht aber, leiht also bleichen Glanz dem Gewaschenen. Ebenso versilbert das Majorat den ältesten Sohn 30 des Hauses, leiht ihm also bleiche Silberfarbe, während es den andern Mitgliedern die bleiche romantische Farbe der Noth aufdrückte. Wer in Flüssen badet, der wirft sich entgegen dem brausenden Elemente, bekämpft dessen Wuth und ringt mit kräftigen Armen, allein, wer im Waschschrank sizt, bleibt eingeschlossen und betrachtet die Ecken der 35 Mauern. Der gewöhnliche, d.h. der nicht Majoratsherrliche, kämpft mit dem tobenden Leben, stürzt sich hinein in das schwellende Meer und raubt | I p r o m e t h e i s c h er Rechte Perlen aus seiner Tiefe, herrlich tritt ihm die innere Gestaltung der Idee vor das Auge und kühn erschafft er, aber der 40 696 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Majoratsherr läßt nur die Tropfen auf sich fallen, fürchtet die Glieder zu verrenken und sezt sich daher in einen Waschschrank. Gefunden Stein der Weisen, gefunden! 30. KAPITEL. 5 Eine Epopee kann daher in unsern Tagen nicht gedichtet werden, wie sich aus den zwei eben angestellten Untersuchungen ergiebt. Für's erste stellen wir nähmlich gründliche Betrachtungen über die rechte und linke Seite an, ziehn also diesen poetischen Ausdrücken ihr poetisches Gewand ab, wie Apollo dem Marsyas die Haut und machen sie 10 zur Zweifelsgestaltung, zu dem ungestalten Pavian, der Augen hat, um nicht zu sehn und ein umgekehrter Argus ist, dieser hatte hundert Augen, um verlor'nes zu entdecken, er der grämliche Himmelsstürmer, der Zweifel, besizt hundert Augen, um Gesehnes ungesehen zu machen. Die Seite, der Ort ist aber ein Hauptkriterium der epischen Poesie und 15 sobald es keine Seiten mehr giebt, wie bei uns nachgewiesener Weise geschieht, kann || sie erst aus ihrem Todtesschlummer sich erheben, wenn Trompetenschall Jericho erweckt. Ferner haben wir den Stein der Weisen gefunden, alle zeigen bei uns auf den Stein und sie 20 31. KAPITEL. Sie lagen auf dem Boden, Scorpion und Merten, denn die überirdische Erscheinung (bezieht sich auf ein früheres Kapitel) hatte ihre Nerven so erschüttert, daß die Cohaesionskraft ihrer Glieder in dem Chaos der Expansion, die, wie der Embryo sich noch nicht aus den Weltverhältnissen 25 zur besonderen Form los gerissen hat, aufgelöst wurde, so daß ihre Nase bis zum Nabel und ihr Kopf auf die Erde sank. Merten blutete dickes Blut, es war viel Eisenstoff in demselben ent halten, wieviel vermag ich nicht zu bestimmen, weil es mit der Chemie im Ganzen noch schlecht bestellt ist. 30 Die organische Chemie vorzüglich wird täglich combinirter durch Ver einfachung, in sofern täglich neue Ursubstanzen entdeckt werden, die das gemein haben mit den Bischöffen, daß sie Namen von Ländern tragen, die den Ungläubigen gehören und in partibus infidelium liegen, Namen, die ferner so lang sind, wie die Titel eines Mitgliedes vieler gelehrten 35 Gesellschaften und der deutschen Reichsfürsten, Namen, die die Frei geister unter den Namen vorstellen, weil sie sich an keine Sprache binden. | |Ueberhaupt ist die organische Chemie ein Ketzer, das Leben durch todten Prozeß erklären zu wollen! Gefrevelt am Leben, als wenn ich die Liebe aus der Algebra entwickelte. 697 Literarische Versuche Das Ganze beruht offenbar auf der Lehre vom Prozeß, die noch nicht gehörig ausgearbeitet ist und es nie werden kann, weil sie sich auf das Kartenspiel, ein Spiel des baaren Zufalles stüzt, in welchem die Aß eine Hauptperson ist. Die Aß hat aber die ganze neuere Jurisprudenz begründet, denn Irnerius 5 hatte eines Abends sein Spiel verloren, er kam grade aus einer Damen gesellschaft, und war fein gekleidet, trug einen blauen Frack, neue Schuhe mit langen Schnallen und eine seidene, karmosinrothe Veste, als er sich hinsezte, und eine dissertatio über das As schrieb, welches ihn dann weitertrieb, so daß er anfing, römisches Recht zu lehren. 10 Das römische Recht schließt aber alles ein, auch die Lehre vom Prozeß, auch die Chemie, denn es ist der Microkosmus, der sich vom Macrocos- mus losgerissen, wie Pacius dargethan hat. Die 4 Bücher der Institutionen sind die 4 Elemente, die 7 Bücher der Pandekten die 7 Planeten und die zwölf Bücher des Kodex die 12 Zeichen 15 des Thierkreises. I |Kein Geist ist aber hineingetreten in das Ganze, sondern es war Grethe, die Köchin, welche zum Abendessen rief. Scorpion und Merten hatten in heftiger Aufregung die Augen zugehalten und so Grethe für eine Fee versehn. Als sie sich von ihrem spanischen 20 Schrecken, datirt von der lezten Niederlage und dem Siege des Don Carlos, erholt, stüzte sich Merten auf Scorpion und stieg empor, wie eine Eiche, denn Ovid und Moses sagen, der Mensch solle die Sterne ansehn und nicht zur Erde schauen, Scorpion aber ergriff die Hand seines Vaters und gab seinem Körper eine gefährliche Lage, indem er ihn auf zwei Füsse stellte. 25 35. KAPITEL. „Bei Gott! der Schneider Merten ist ein guter Helfer, er läßt sich aber auch theuer bezahlen!" „Vere! beatus Martinus bonus est in auxüio, sed carus in negotio!" rief 30 Klodwig aus nach der Schlacht bei Poitiers, als ihm die Geistlichen zu Tours erklärten, daß Merten seine Reithose zurechtgeschnitten, mit welcher er den muthigen Klepper ritt, der ihm den Sieg errang und als sie zwei hundert Goldgulden für diesen Dienst Mertens verlangten. Das Ganze verhält sich aber so 35 136. KAPITEL. Sie sassen bei Tische, Merten an der Spitze, zu seiner Rechten Scorpion, zu seiner linken Felix, der Altgesell, tiefer unten, indem eine gewisse 698 Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 Lücke zwischen den Principes und dem Plebs blieb, die untergeordneten Glieder in Mertens Staatskörper, gewöhnlich Gesellen benamst. Die Lücke, welche kein menschliches Wesen einnehmen durfte, hielt nicht der Geist Banquos inne, sondern der Hund Mertens, der täglich das Tischgebet sprechen mußte, denn Merten, der die Humaniora bebaut, behauptete, sein Bonifacius, so hieß der Hund, sei ein und dieselbe Person mit dem heiligen Bonifacius, dem Apostel der Deutschen, indem er sich auf eine Stelle bezog, worin dieser meldet, er sei ein bellender Hund. (Siehe epist. 105, S. 145, Ed. Seraria.) Er hielt daher mit abergläubischer Verehrung auf diesen Hund, dessen Platz bei weitem der eleganteste war, eine zarte karmosinrothe Decke vom feinsten Casimir, gepolstert, wie ein üppiges Sopha, getragen von kunstvoll durcheinandergeschlungenen Federn, war der Sessel seines Bonifacius, seidene Quasten hingen herab und sobald die Sitzung aufgehoben war, wurde derselbe an den einsamen Ort eines abgeleg'nen Alkoven getragen, welcher derselbe zu sein scheint, den Boileau in seinem lutrin beschreibt als Ruhetempel des Probstes. Bonifacius war nicht an seinem Platze, die Lücke stand offen und die Wange Mertens entfärbte sich. „Wo ist Bonifacius?" rief er aus tief gepreßtem Herzen und der ganze Tisch gerieth in sichtbare Bewegung. „Wo ist Bonifacius?" fragte || Merten noch einmal und wie fuhr er er schrocken zusammen, wie bebte jedes Glied seines Körpers, wie sträubte sich sein Haar, als er hörte, Bonifacius sei abwesend. Alles sprang auf, ihn zu suchen, er selbst schien ganz von der gewöhn lichen Gemüthsruhe verlassen, er klingelte, Grethe trat herein, ihr Herz ahnte böses, sie glaubte — „Ha Grethe, wo ist Bonifacius?" und sie beruhigte sich sichtbar und er stolperte mit den Armen über das Licht, so daß Urdunkel alle umhüllte und eine Unheilsschwang're, Gewittervolle Nacht hereinbrach. 37. KAPITEL. David Hume behauptete, dieses Kapitel sei der locus communis des früheren und zwar behauptete er dieß, eh ich es noch geschrieben hatte. Sein Beweis war folgender: Indem dieses Kapitel ist, ist das frühere nicht, sondern dieses hat das frühere, aus dem es hervorgegangen, zwar nicht als Ursache und Folge, denn die bezweifelte er, verdrängt. Jeder Riese, also auch jedes Kapitel von 20 Zeilen sezt aber einen Zwerg, jedes Genie einen ledernen Philister, jeder Aufruhr der Meere Schlamm und, sobald die ersten verschwinden, beginnen die lezteren, nehmen Platz am Tische und strecken gewaltsam ihre langen Beine aus. 5 10 15 20 25 30 35 40 Die ersten sind zu groß für diese Welt, drum werden sie hinausgeworfen. 699 Literarische Versuche Die lezteren dagegen schlagen Wurzeln in ihr und bleiben, wie man sich denn aus Thatsachen überzeugen kann, || denn der Champagner läßt einen bleibenden, widerlichen Beischmack, der Held Cäsar den Schauspieler Oktavian, der Kaiser Napoleon den Bürgerkönig Ludwig Philipp, der Philosoph Kant den Ritter Krug, der Dichter Schiller den Hofrath Raupach, der Himmel Leibnitz die Schulstube Wolf, der Hund Bonifacius dieß Kapitel. ,., 5 So schlagen die Basen als Bodensatz nieder, aber der Geist verraucht. 38. K A P I T E L. Der lezte Satz von den Basen war ein abstrakter Begriff, also kein Frauen zimmer, denn ein abstrakter Begriff und ein Frauenzimmer, wie verschieden sind sie nicht? ruft Adelung aus. Ich aber behaupte das Gegentheil und werde es gründlich nachweisen, allein, nicht in diesem Kapitel, sondern in einem Buche, das aus gar keinen Kapiteln besteht, welches ich zu 15 schreiben gedenke, sobald ich mich von der heiligen Dreieinigkeit über zeugt. 10 39. K A P I T E L. Wer einen anschaulichen und keinen abstrakten Begriff von derselben, ich 20 meine nicht die griechische Helena, auch nicht die römische Lukretia, sondern die heilige Dreieinigkeit, zu erlangen wünscht, dem kann ich ηicht besser rathen, als Nichts zu träumen, bis er nicht eingeschlafen ist, sondern im Gegentheil, zu wachen im Herren und diesen Satz zu unter suchen, denn in ihm liegt der anschauliche Begriff. Steigen wir zu seiner 25 Höhe, von unserem jetzigen Standpunkte 5 Stufen entfernt, wie eine Wolke drüber hingelagert, so tritt uns das gigantische „ N i c h t" entgegen, las sen wir uns hinab zu seiner Mitte, so erschrecken wir vor dem riesen haften „Nichts" II und senken wir uns in seine Tiefe, so versöhnen sich beide wieder harmonisch in dem mit aufrechtstehender kühner Flammen- 30 schrift entgegenspringenden „Nicht." „ N i c h t" — „ N i c h t s" — „nicht" das ist der anschauliche Begriff der Dreieinigkeit, aber den abstrakten, wer möchte ihn ergründen, denn: „wer fährt hinauf zum Himmel und hinab?" „Wer faßt den Wind in seine 35 Hände?" „Wer bindet die Wasser in sein Kleid?" „Wer hat alle Enden der Welt gestellt?" „Wie heißet er und wie heisset sein Sohn? Weissest du das?" sagte Salomon der Weise. 700 Gedichte, meinem teuren Vater zu seinem Geburtstage 1837 40. KAPITEL. „Ich weiß es nicht, wo er ist, aber das ist gewiß, ein Schädel ist es, ein Schädel!" rief Merten. Aengstlich beugte er sich herab, um im Dunkel zu erkennen, wessen Haupt seine Hand berührt, als er wie vernichtet zurückfuhr, denn die Augen 5 Jawohl! die Augen! 41. KAPITEL. 10 Sie sind ein Magnet und ziehen Eisen an, weßwegen wir uns denn auch zu den Damen, aber nicht zum Himmel gezogen fühlen, denn die Damen sehn aus zwei Augen, der Himmel nur aus einem. 15 |42. KAPITEL. „Ich beweise ihnen das Gegentheil!" sprach eine unsichtbare Stimme zu mir und als ich nach der Stimme hinblickte, da erblickte ich — sie werden es nicht glauben, allein ich versichere, ich beschwöre, es ist so, — da erblickte ich —, doch werden sie nicht böse, erschrecken sie nicht, denn es betrifft weder ihre Ehegenossin, noch ihre Verdauung —, da erblickte ich mich selber, denn ich selbst hatte mich zum Gegenbeweis erboten. 20 „Ha! ich bin ein Doppelgänger!" durchfuhr es mich und Hoffmann's Elixiere des Teufels 25 30 35 43. KAPITEL. — Lagen vor mir auf dem Tische, als ich grade nachgrübelte, warum der ewige Jude ein geborner Berliner und kein Spanier ist, doch ich sehe, es fällt zusammen mit dem Gegenbeweis, den ich zu liefern, weßwegen wir, der Präcision halb — keins von beiden thun wollen, sondern uns mit der Bemerkung begnügen, daß der Himmel in den Augen der Damen, die Augen der Damen aber nicht im Himmel liegen, woraus sich ergiebt, daß uns nicht sowohl die Augen, als vielmehr der Himmel anzieht, denn die Augen erblicken wir nicht, sondern nur den Himmel in ihnen. Zögen uns die Augen und nicht der Himmel an, dann würden wir uns zum Himmel und nicht zu den Damen gezogen fühlen, denn der Himmel hat nicht ein Auge, wie oben bemerkt, sondern gar keins, aber er selbst ist nichts als ein unendlicher Liebesblick der Gottheit, aber das || milde melodiereiche Auge des Lichtgeistes und ein Auge kann kein Auge haben. Das Schlußresultat unserer Untersuchung ist daher, daß wir uns zu den Damen und nicht zum Himmel gezogen fühlen, weil wir die Augen 701 Τ Literarische Versuche der Damen nicht sehn, aber wohl den Himmel in ihnen, daß wir uns also, so zu sagen, zu den Augen hingezogen fühlen, weil es keine Augen sind und weil Ahasvérus, der ewige ein gebor'ner Berliner ist, denn er ist alt und kränklich und hat viele Länder und Augen gesehn, aber er fühlt sich noch immer nicht zum Himmel, wohl aber zu den Damen gezogen, und zwei Magnete giebt es nur, ein Himmel ohne Auge und ein Auge ohne Himmel. 5 Der eine liegt über uns und zieht nach oben, der andere unter uns und zieht in die Tiefen. Den Ahasvérus aber zieht es gewaltig nach unten, würde er sonst ewig in Erdenlanden wallen? und wallte er ewig in den 10 Erdenlanden, wenn er nicht ein gebor'ner Berliner und an Sandflächen gewohnt wäre? 44. K A P I T E L. Zweites Fragment aus Halto's Brieftasche. 15 Wir kamen von einem Landhause, es war schöne dunkelblaue Nacht. Du hingst an meinem Arm und wolltest dich los machen, aber ich ließ dich nicht, meine Hand band dich, wie du mein Herz gebunden und du liessest dich halten. Ich murmelte Worte voll Sehnsucht und sprach das Höchste und Schön- 20 ste, was ein Sterblicher sagen konnte, denn ich sagte gar nichts, ich war innerlich in mich versenkt, ich sah ein Reich aufsteigen, dessen Aether so leicht und doch so schwer wogte und in dem Aether stand ein göttliches Bild, die Schönheit selber, wie ich sie einst in kühnen Phantasieträumen geahnt, aber nicht erkannt hatte, sie funkelte Geistesblitze, lächelte und 25 du warst das Büd. Ich staunte vor mir selbst, denn ich war groß geworden durch meine Liebe, riesenhaft, ich sah ein unendliches Meer, aber keine Fluthen brausten mehr in ihm, es hatte Tiefen und Ewigkeit gewonnen, seine Fläche war Chrystall und an seinen dunklen Abgrund waren bebende, gold'ne Sterne angeheftet, die sangen Liebeslieder, die strahlten Gluth von sich und das Meer selbst war warm! 30 Wäre der Weg das Leben gewesen! Ich küßte deine süsse, weiche Hand, ich sprach von Liebe und von dir. Ein leichter Nebel schwebte über uns'rem Haupte, sein Herz brach, er 35 weinte eine grosse Thräne, sie fiel zwischen uns, wir aber fühlten die Thräne und schwiegen. 702 F Gedichte, meinem teuren Vater zu s e i n em Geburtstage 1837 [47. K A P I T E L. „Entweder ist es Bonifacius oder mein Beinkleid!" schrie Merten. „Licht, sag' ich, Licht!" und es ward Licht. „Bei Gott, es ist kein Beinkleid, sondern Bonifacius ist es, hier hingelagert, im finstren Winkel und seine 5 Augen glühn in einem düstern Feuer, doch, was muß ich sehn?" „Er blutet !" und stumm stürzte er nieder. Die Gesellen betrachteten zu erst den Hund und dann ihren Herrn. Endlich riß sich dieser gewaltsam vom Boden. „Was gafft ihr Esel? Seht ihr nicht, daß der heilige Bonifacius verlezt ist? Ich werde strenge Nachforschungen anstellen und Wehe, dreimal 10 wehe dem Schuldigen, doch nun schnell, tragt ihn in seinen Sessel, ruft den Hausarzt, bringt Essig und lauwarmes Wasser und vergeßt nicht den Schulmeister Vitus zu rufen! Sein Wort vermag viel auf Bonifacius!" So kurz gedrängt folgten die Befehle. Nach allen Seiten hin stürzten sie zur Thüre hinaus, Merten betrachtete Bonifacius genauer, dessen Auge noch immer keinen milderen Glanz annahm und bange schüttelte er das Haupt. „Uns steht ein Unglück bevor, ein grosses Unglück! Ruft einen Geist 15 lichen!" 48. K A P I T E L. 20 Merten sprang einigemal verzweiflend auf, als noch immer keiner der Gerufnen erscheinen wollte. „Armer Bonifacius! Doch, wie wäre es, wenn ich selber wagte, vor läufig die Kur zu übernehmen? Du bist überhaupt erhizt, das Blut strömt aus Deinem Munde, du willst nichtessen,ich sehe gewaltsame Anstrengungen in Deinem Unterleibe vorgehn, ich begreife dich Bonifacius, ich begreife dich!" und Grethe trat mit lauwarmem Wasser und Essig herein. 25 „Grethe! Seit wie viel Tagen hat Bonifacius Mangel an Oeffnung? Habe ich dir nicht vorgeschrieben, ihm wenigstens jede Woche einmal ein lavement angedeihn zu lassen, doch ich sehe, ich werde künftighin selbst 30 Geschäfte von solcher Wichtigkeit übernehmen müssen! Bringe Oel, Salz, Kleie, Honig und ein Klystier!" „Armer Bonifacius! Deine heiligen Gedanken und Betrachtungen ver stopfen dich, seitdem du sie nicht mehr in Rede und Schrift von dir geben kannst!" 35 „O! du bewunderungswürdiges Opfer von Ideentiefe, ο du fromme Verstopfung!" 1 703 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Zusammengestellt von Sophie Marx Gedichte von Karl Marx. Geschrieben i. J. =35 und 36. 5 J Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836. Zusammengestellt von Sophie Marx. Titelblatt Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 I Die zwei Himmel. Auf der Reise nach Berlin. [Siehe S. 483-485 und 1226.] I Der Gedanken. An Jenny. [Siehe S. 487.] I Menschenstolz. An Jenny. [Siehe S. 487-489 und 1227.] Des Sängers letztes Lied. Ballade. [Siehe S. 490-493 und 1227.] 5 711 Literarische Versuche I Die Tochter. Ballade. Die Tochter steht mit Schweigen Wohl bei der Mutter mild, Von ihrem Haupte neigen Sich Locken, wirr und wild. Den Busen hört man schlagen, Das Auge sieht man sprühn, Die bangen Seufzer klagen, Die schönen Wangen glühn. „Ach, Tochter, meine Seele, Ach, Tochter, einzig Kind, Ach Tochter, nicht verhehle, Was deine Leiden sind." Wie Rosen müder scheinen Wenn Thau ihr Auge näßt, Den zarte Düfte weinen Wenn sie der Mond verläßt. | |So muß der Schmerz erbleichen Wenn Trost die Brust erhellt Wenn sich den dunklen Reichen Der Freund entgegenstellt. Die Tochter rührt die Locken, Sie schüttelt bang das Haupt, Die Zunge droht zu stocken Als sich das Wort entraubt. „Mein Schmerz sei ausgeschüttet, Mein Leiden sei geklagt, Der Geist ist ach! zerrüttet Der Busen ist zernagt." Sie öffnet groß das Auge, Sie blickt die Mutter an, Sie preßt in einem Hauche Der Seele ganzen Wahn. | 5 10 15 20 25 30 712 5 10 15 20 25 30 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 „Du hast ihn ausgestoßen In düst're kalte Nacht, Den Reinen, Tadellosen Der mich zum Gott gemacht." Da ist er hingezogen In Liebesqual und Wuth, Hat im Gebraus der Wogen, Gekühlt des Herzens Gluth. Jetzt wird er wohl getrieben Von Wind und Wasserfall, Jetzt darf er wohl mich lieben, Jetzt sucht er mich im All. „Und ich soll hier noch weilen In Duft und Rosenhain, Er soll durch Welten eilen So einsam und allein?" | Der Laut wird immer trüber, Die Stimme schallt so hoch, Die Mutter schaut hinüber, Ihr graut im Innern wohl. Zur Erde sinkt die Leiche, Zum Himmel zeigt die Hand, Sie hat dem Aetherreiche Den Liebesgruß gesandt. |Der stolzen Schönen. 2 Sonette. I. Schau nicht hin auf mich mit stolzen Minen Als war' ich von deinem Reiz bethört, Als hätt' ich Dein Machtgebet gehört, Denn dir kann und will ich nimmer dienen. Bist mir nie des Wunsches werth erschienen, Hast mich nie in meinem Schlaf gestört. 713 Literarische Versuche Nie in meinem Puls das Blut empört, Und ich lache über dein Erkühnen. Bald verschwindet deines Auges Gluth, Und wo Blitz und Feuer sinnend schliefen Werden Thränen blöd herübertriefen. Wo jetzt Amor in den Wangen ruht, Werden Runzeln grausam Furchen ziehen Statt zum Tanz wirst du zum Betstuhl fliehen. In. Jene Holde, die mein Herz erwählet, Bleibet ewig jung und ewig neu, Machtlos zieht an ihr die Zeit vorbei, Ewigkeiten ist ihr Reiz vermählet; Zartes Sinnen tief ihr Busen hehlet, Drin erschallen Sphärenklänge frei, Drin erschallt's von Lust und Liebe treu, Wie Begeistrung Männerherzen stählet. Auf den Wolken schwebt sie lächelnd hin, Ihre Hand führt mich in Strahl und Lüfte, Trunken folg ich über Thal und Grüfte, Möchte ewig mit der Göttin fliehn. Einen Kuß von ihrem Aethermunde, Und von Gott und Himmeln hab ich Kunde. I Lucinde. Ballade. [Siehe S. 496-502 und 1228/1229.] 5 10 15 20 25 714 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 I Widmung mehrerer Gedichte zu Vaters Geburtstage =36 Dir. I. Ich saß allein im Freudendrange, In tiefer Brust begeistert und erregt, Als sich die Muse zu mir hinbewegt, Mit leis und zauberndem Gesänge. „O, Muse, sprach ich, leih' mir Lieder, Zu singen ihn, für den mein Herz entbrennt Den meine Lippe liebend Vater nennt, Begeistert tönt's der Busen wieder. Sein Leben wandelt er zu Melodien, Die finstern Mächte müssen beben Vor Männerkraft und Männerstreben, Das Laster selbst muß staunend niederknien. Doch ach! wie soll ich ihn erheben, Wie ihm mein Fühlen wiedergeben?" | In. „Zwar wie von selber fließen Zähren, Ich hör den reinsten Ton in mir erschalln, Allein die Lippe kann nicht wiederhalln, Wenn Götter höchste Lust gewähren. Die Freude lacht aus allen Poren, Die Seele woget im Ideenmeer, Die Brust schwillt hoch, das Auge blitzet hehr, Und nur das Wort ging mir verloren!" Da sprach die Muse, leis im Geisterton: „Woll nicht in Wort und Liedern singen, Was nicht vermag zum Ohr zu dringen. Sing erst durch That, zeig dich als seinen Sohn, Dann sing, daß was du ihm empfunden Dich an die Tugend selbst gebunden." | 715 5 10 15 20 25 30 Literarische Versuche Beim Schlüsse dieser Poesien. Ich weiß, daß Worte nimmer binden, Uns knüpfet nur, was wir empfinden. Das Wort schwebt hin in raschen Reihn, Das Wort kann Seelenband nicht sein. Doch selbst dem Höchsten baun wir Tempel Mit kindlich, demuthvollem Sinn, Wir geben als der Liebe Stempel, Ihm einen Sitz zur Wohnung hin. Wir können ihn im All verehren, Und bauen Tempel doch dem Hehren; Was wir mit frommem Sinn geglaubt, Sei auch dem liebenden erlaubt. Drum bringe ich hier die Gesänge Verzagt und sicher doch dir dar, Es sind nur ahndungsvolle Klänge, Ein Sehnen, das sich selbst nicht klar. | In deinem Herzen wirst du finden, Wie ich gewagt sie Dir zu künden, Du hast zuerst sie tief entfacht, Dir sei'n sie liebend dargebracht. 1 Schiller. 2 Sonette. I. Einen Götterjüngling seh' ich steigen Zu der Menschen nied'rem Erdensitz, In der Hand des Himmels hehren Blitz, Auf der Stirn gedankenvolles Schweigen. 5 10 15 20 25 30 716 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Um ihn tanzen her in frohen Reigen Charitinnen, leis im Zephyrtanz, Wärmen sich an seines Herzens Glanz, Und die Himmel sich zur Erde neigen. Wo er hinblickt, wo sein Auge weilt, Einet sich die Form und der Gedanken, Muß sich Schönheit um das Große ranken, Naht die Freude und der Schmerz enteilt. Leben, Sang und Lust, sie werden Tugend, Und die schnellen Zeiten ew'ge Jugend. | I I I. Lust und Freude seiner Brust entquellen, Doch die Freude faßt das weite All, Singt den Weltengeist in süßem Schall, Hüpft begeistert über Paradiesesschwellen. Sonnen dann die Erdenbrust erhellen, Und die Seele wächst, indem sie lauscht, Wie der Silberton vorüberrauscht, Flieht zum lichten Geist auf Klangeswellen; Jungfraun pflücken Blüthen in dem Hain, Um die Götterstirne sie zu winden, Und in Zähren strömet ihr Empfinden. Und er küßt die Blüthen, die so rein, Kettet durch die Kränze sanft das Leben Mit der Unschuld Gluth, mit Götterstreben. 1 1 Goethe. 2 Sonette. I. Von der Riesenbergen leichten Höhn Naht ein Zaub'rer, hehr im Silberhaar, Um ihn fliehn Dämonen wunderbar, Die ihm Kühlung zu dem Antliz wehen. 5 10 15 20 25 30 717 Literarische Versuche Lächelnd blickt er in die weiten Räume, Lächelnd zu der Menschen dichter Schaar, Denn in seiner Brust ist's still und klar, Und er lächelt über ihre Träume. Dann ergreift er seine Laute kühn, Und es tönt wie Sonnengang der Sphären, Als wenn Götter in der Cyther wären, Die in Glanz und Zauberweise glühn. Himmel will er nicht zur Erde tragen, Läßt die Erdengluth zum Himmel schlagen. | |n. Wie dem Weltgeist Engel sich enttauchen, Wesen voll von himmlischer Gewalt, Und auch Menschen, klein in Erdgestalt Aus der Schöpferflamme aufwärts rauchen, So entlodern seiner Lyra Töne, In sich selbst den ewigen Gehalt, Doch von Licht und Schatten bald umwallt, Stets verklärt durch unbefleckte Schöne. Wollt nicht, daß er mit euch klagt und fühlt, Götter können nur sich selbst genießen, Können nur ihr lichtes Reich erschliessen, Ahnen nicht die Fluth, die uns bespült. Flieht nur auf zu seinen schönen Reichen, Und das Licht wird nahn, die Nacht entweichen. I Wunsch. Könnt' ich die Seele sterbend tauchen In der Vernichtung Ocean, Mit einem Hauch das Herz verhauchen, Verhauchen seinen Schmerz und Wahn! Die Winde ziehn, der Sturm verhallet, Im Herzen brennt's nur ewig fort, Ein finst'rer Dämon da erschallet, Wie Hohn und wie der Reue Wort. 5 10 15 20 25 30 35 718 5 10 15 20 25 30 35 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Ihr hofft daß Himmel sich erschliessen, Ein Aetherreich in Purpurroth, Daß uns're Geister nie zerfliessen, Gebannt durch inn'res Machtgebot. | |Was sollen Himmel mir und Seele, Was soll mir dumpfe Ewigkeit? Was ich zerfleischt im Busen hehle, Das scheucht kein Gott und keine Zeit. Die Lust, die ich in mich gesogen, Sie kam ein Blitz und schwand wie er, Ich gönne sie den raschen Wogen, Sie halten will ich nimmermehr. Nur einmal wird sie rein genossen, Die Ewigkeit macht sie zur Pein, Dann ist ihr Zauberglanz zerflossen, Ein Schattenbild von früh'rem Sein. | |Der Schmerz, der kann nur ewig leben Wenn je ein Gott den Geist erkor, Durch Welten ringend hinzuschweben, Von Wolken schwarz und Trauerflor. Soll ich den Furiengedanken Noch thürmen auf's zerriss'ne Herz, Daß sich die Ewigkeiten ranken Um meinen Wahn und meinen Schmerz? Daß sie mich wirbelnd weiter reissen, So bang zersplittert und so leer, Die Feuer in der Brust, die heißen, Hin durch der Welten wogend Meer? | |Den Glauben soll die Seele fassen Soll fühl'n sein bergeschwer Gewicht, Und Welten nicht und Himmel hassen, Wahnsinn und Fluch im Angesicht? Ich will euch nicht ihr Ewigkeiten, Nicht euer schwindelnd, riesig Reich, In der Vernichtung Arm, dem breiten, Küßt Todeshauch mich mild und weich. 719 Literarische Versuche Dem Gotte mögt ihr dienend fröhnen, Aus dem ihr kreisend aufgetaucht, Mich könnt ihr nicht mit ihm versöhnen, Dem eure Flamme opfernd raucht! | |Laßt Schmerz und Kampf und Gluth und Wähnen Mit meinem Staub in Nichts verhalln, Geweihet von zwei großen Thränen, Die blauem Himmelsaug entf afin. |Die Blinde. Ballade. Sie sitzt in dunkler Kammer, Das Dächlein zu sinken droht, Das Antliz verzehrt der Jammer, Im Herzen thront die Noth. Da schallt es dumpf aus des Herzens Tiefen Als wenn hier Geister verheerend schliefen. Ihr freut euch am Flammen der Sonne, Ihr freut euch am Blinken von Gold, Ihr kennet des Daseins Wonne, Euch sind die Götter hold. Mir waren die Hohen nie gewogen, Sie haben mich um die Lust betrogen. Kein Licht verscheucht mir den Schleier, Der den Blick gefesselt hält, Der wie ein Ungeheuer Sich zwischen das Leben stellt. | Ich stehe ewig an ödem Strande, Doch keine Woge trägt mich zum Lande. Ich höre die Welle schlagen, Mich erfaßt des Sturmes Wuth, Ich fühle die Riffe ragen, Mir brüllt des Meeres Brut. Des Winters Starren ist mir beschieden, Doch nimmer vergönnt der Lenz und die Blüthen. 5 10 15 20 25 30 35 720 5 10 15 20 25 30 35 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Das Rauhe darf ich berühren, Es entflieht nicht der irdischen Hand. Den Schmerz darf ich nicht verlieren, Den ein Gott ins Leben gesandt. Doch das Schöne kann nur in dem Blicke sich senken, Der dann zum Himmel die Gluth muß lenken. Und mir ist er ewig verschlossen, Der Reiz, der das All erhebt, Der bezaubernd von Glanz umflossen, Durch die weite Schöpfung bebt.| |lch fühl' ihn in dem Busen walten, Doch nie wird er mir sich in Form gestalten. Ach, lange Jahre sahen Das Wort in die Brust gezwängt, Doch stürmische Genien nahen, Die es herausgedrängt. Und Seufzer mögen dem Busen entwischen, Sich mit dem schönen All zu vermischen. Nie sollte der Liebe Flehen Ein holder Gatte mir weihen, Mich vor mir selbst zu erhöhen, Ihm Schutz und Trost zu sein. Vergebens füllte ein Gott mich mit Sehnen, Er lieh', es zu stillen, nicht einmal die Thränen. | |Vom Alle losgerissen, Dem leeren Schatten gleich, Muß ich die Liebe missen, Der Schönheit Zauberreich! Dem Leben muß ich angehören, Doch was es leiht soll ich entbehren! Wo noch der Busen schwillet Von Liebe und von Kraft, Wo Hoheit das Herz erfüllet, Wo das Schöne frei erschafft, Da darf sich meine Spur nicht finden, Denn vor der Nacht wird das Licht erblinden. 721 Literarische Versuche Wem die Liebe nie gestrahlet, Wem die Sonne nimmer schien, Wem das Leben schwarz sich mahlet Wen die Menschen bebend fliehn Den opferte Gott in des Grimmes Stunden, Als er ihn an das Leben fest gebunden. | |jetzt ist mein Lied gesungen, Jetzt stockt des Athems Zug, Was dem Herzen sich losgerungen, Wagt jetzt zu den Lüften den Flug. Jetzt mögen die morschen Glieder brechen, Und das Leben sich an dem Fremdling rächen. Und als wenn des Busens Leben In dem Liede sich ausgehaucht, Als wenn ein höheres Streben In das kranke Herz sich getaucht, Hält sie das Haupt gen Himmel und lauschet, Wie die Wolken ziehen, wie der Zephir rauschet. Und Sphärenharmonien Erfüllen plötzlich ihr Ohr, Und Düfte sie umfliehen, Die nicht die Erde erkohr. Das Zimmer lacht vom Strahlenglanze, Und um sie reihn sich Blüthen zum Kranze. | |lhr naht ein holdes Wesen Gehüllt in Aetherkleid, In seinem Blick zu lesen, Des Himmels Seligkeit. Und Strahlenfalten sinken nieder, Und schmiegen sich um die heiligen Glieder. Es schwebet zu ihrem Sessel Berührt der Wimpern Paar. Da sprengt sich die düstere Fessel Da ergreift sie's wunderbar; Sie preßt die Brust, daß sie nicht zerspringe, Sie hebt den Blick, daß das Licht ihn durchdringe. 5 10 15 20 25 30 35 722 5 10 15 20 25 30 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Sie begrüßt des Himmels Auge, Das groß ihr entgegenlacht; Sie steht in dem Zephyrhauche Sie fühlt des Gottes Macht Sie sieht den Aether blau sich verklären Sie darf das All mit dem Blick durchstören. | |Vor dem Herrlichen sinkt sie nieder Bewundernd die hohe Gestalt, Das Ebenmaas der Glieder, Des Antlizes Zaubergewalt. Was sie tief in der Brust gesonnen, Hat in ihm der Vollendung Form gewonnen. Und wie der Sang verhallet, Wie die letzte Wolke flieht, Wie der Aether sie nimmer umwallet Wie die Gluth in die Augen zieht. Da ergreift sie die herrlichen Strahlenfalten Und die Erde vermag sie nicht mehr zu halten. Der Körper weicht dem Drange, Die Seele flieht empor, Sie wird beim Sphärenklange Geweiht zum Geisterchor |Rizio, Sänger der Maria Stuart. Ballade Rizio stand vor Marien, Seiner holden Königin, Betend möcht' er niederknien, Kennt nicht höheren Gewinn. Doch die frohe Lust der Mienen, Die sein Antliz sonst belebt, Scheinet inn'rem Gram zu dienen, Den er zu verhüllen strebt. 723 Literarische Versuche Und die Holde schaut mit Bangen Auf das Sängers Angesicht: „Ach, Dich treibet ein Verlangen, Und dem Herzen wird es nicht!"| I „Deiner Töne Zauber schwören Eine schön're Welt empor, Und ich soll die Lust nur hören, Schmerz verhallt vor meinem Ohr!" „Soll der frohe Sänger schütten Freude in der Freundin Herz, Und wenn Leiden ihn zerrütten Stolz verschliessen seinen Schmerz!" Und der Sänger scheint getrieben Von der Stimme Allgewalt, Wer sie hört, der muß sie lieben, Weil die Seele drin erschallt. | I „Freude nur ziemt sich für Wesen Höh'rer, reinerer Natur, Nimmer darf ihr Auge lesen Von dem Schmerze eine Spur." „Nimmer hätt' ich auch gewaget Dir zu singen Königin, Doch der Gott der Lieder traget Kühn zum Sitz der Wolken hin." „Und der Sänger darf sich wählen Waldung oder Prunkgemach, Auf die Freude kann er zählen, Denn gehorchend folgt sie nach." | |„Doch den Schmerz muß er verschliessen, Seiner Seele Nacht und Wahn, Draußen darf er ihn ergiessen In dem tobenden Orkan." „Drum erlaub' mir, daß ich schweige, Und nur singe, was dich freut, Daß ich nicht in Tiefen steige, Wie mir jetzt dein Wort gebeut," 5 10 15 20 25 30 35 724 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 „Ach! der Sänger ist dein eigen, Hebet sich zu dir hinan, Doch der Mensch, er muß sich neigen, Deiner Würde unterthan."[ |Und der Seele hoher Adel In Mariens Antliz glüht Und ihr Mund spricht süßen Tadel, Wie sie streng zu sein sich müht. Geistig klären sich die Züge, Wie sie nie ein Ird'scher sah, Als wenn Gottheit aus ihr schlüge, Scheint sie eine Göttin nah. Und der Sänger steht versunken In dem wonnigen Moment, Ach! sein armes Herz ist trunken, Und die Jugendlippe brennt. | |Nach der Zyther greift er glühend, Und der Busen stürmisch wallt, Daß es Funk' an Funken sprühend Laut durch die Gemächer schallt. Keine Macht kann ihn mehr binden, Keine Fesseln kennt er mehr, Und er stürmet sein Empfinden Keck und jugendlich und hehr. Wie die Woge von den Kieseln Wilder stürzt und voller klingt, So der Lieder Flammenrieseln Sich um seine Laute schlingt. | |Und er singt des Herzens Wähnen, Wie's der Königin entbrannt, Und es stürzen ihr die Thränen, Und ihr Haupt ist abgewandt. Und er singt wie er gekämpfet In der jugendlichen Brust, Wie kein Wahn die Flamme dämpft Die er selber nicht gewußt. 5 10 15 20 25 30 35 725 Literarische Versuche Doch da flieget auf die Pforte, Krieger haben rings gelauscht, Und am hocherhab'nen Orte Waffenklirren stürmisch rauscht. | |„Greift den Sänger!" hört man's rufen, Schallt es dumpf und wuthentbrannt; Ruhig steht er auf den Stufen, Seine Leier in der Hand. Und die Kön'gin mit Entsetzen Bis zu ihrem Sänger geht; „Keiner wag ihn zu verletzen, Der in meinem Schutze steht." Doch er reißt sich von der Stelle, Daß die Königin erbleicht, Daß der Haufen bis zur Schwelle Bebend feig zurücke weicht. | I „Willig soll mein Leben sühnen, Was ich wagend dir gestand, Hier war's freventlich Erkühnen, Liebe ist's im Himmelsland." „Königin, dir sei geschworen, Liebe für die Ewigkeit, Zwar mein Leben ist verloren, Doch sie kennet keine Zeit." Und die Königin blickt weinend Auf den Götterjüngling hin, Und die Geister sich vereinend, Gluthvoll ineinanderflieh'n. | |Wilder rauschen jetzt die Degen, Tausend Schwerter werden blos, Doch der Jüngling steht verwegen, Steht da würdevoll und groß. Stürzt sich wo die Waffen blitzen, Reißt vom Busen Schmuck und Stein, Und des Eisens kalte Spitzen Wühlen buhlend sich herein. 5 10 15 20 25 30 35 726 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Seine Geister unterliegen, Nur auf ihr sein Auge weilt, Und die Lippe hallt noch: „Siegen", Und die Seele ist enteilt. I Zuruf. Vöglein! flieg hernieder, Flieg auf meine Hand, Sing mir holde Lieder Als des Lenzes Pfand, Sengst ja dein Gefieder In dem Aetherbrand. Wohl mit kühnem Flügel Steig der stolze Aar Ueber Thal und Hügel Hoch und wunderbar, wo Apollos Zügel Lenkt der Rosse Schaar. | I Schrecken und Gewimmer Leihn ihm Siegeskranz, Doch der zarte Schimmer Und der Farbenglanz Ward dem Hohen nimmer In dem Wolkentanz. Wolken sind die Sitze Die der Stolze hegt, Wo durch Sturm und Hitze Er sich hinbewegt, Wo der Herr der Blitze Den Olymp erregt. | 5 10 15 20 25 30 727 Literarische Versuche Sein Gebot zu tragen Durch der Lüfte Zug, Darf der Kecke wagen Seinen raschen Flug, Darf er Leichen nagen, Die er schwebend trug. Doch des Lenzes Kosen Wenn die Erde lacht, Wenn von Duft und Rosen Sie gehüllt in Pracht, Wenn in weichen Moosen Selbst das Grün erwacht; | |Wie aus allen Gründen Stark und wonnebang Sich hervorzuwinden Sucht des Lebens Drang, Darf er nicht verkünden, Fehlt ihm der Gesang. Höh'res muß er wirken, Der dem Bliz verwandt, Der zu Gluthbezirken Seinen Blick gesandt, Doch der Liebe Wirken Ist ihm unbekannt. | |Ach! er ist erblindet Durch der Sonne Licht Und der Hohe findet Lenz und Liebe nicht, Ton und Lust verschwindet Vor der Größe Pflicht. Kein Gesang wohl steiget Aus der Tiefe auf, Der sich niederneiget, Wirbelnd in dem Lauf, Der das Herz erweichet, Schwört die Lust herauf. I 5 10 15 20 25 30 35 728 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Drum woll nimmer fliehen Holdes Vögelein, Wo die Wolken ziehen In der Lüfte Reihn, Sang ist dir verliehen Kannst nicht Adler sein. Vöglein, flieg hernieder, Flieg auf meine Hand, Sing mir holde Lieder Als des Lenzes Pfand, Wag nicht dein Gefieder In das Gluthenland. |Die Sänger. Ballade. Es war'n mal viel Gesellen Von stolzem Blick und Sinn, Die thäten Urtheil fällen Von manchem her und hin. Der eine doch vor allen Schien ein gar selt'ner Wicht, Er schien sich zu gefallen Im Sang voll Pracht und Licht. Doch das war nur ein Prangen Mit Wort und Ton und Gold, Das Herz ward nicht gefangen Ward nicht den Liedern hold. | |Die andern sah man lauschen Auf seinen Dichtermund, Nur manchmal that ein Rauschen Ihm die Bewund'rung kund. 5 10 15 20 25 30 729 Literarische Versuche Dann ward er immer voller Von kühnem Bildertrab Trieb's immer frech und toller Gefühl sank ganz in's Grab. Da kam im bunten Kleide, Aus adlichen Geschlecht, In Sammet und in Seide Des Königs junger Knecht. | „Seid ihr die stolzen Sänger, Die höchsten in der Welt, So zaudert mir nicht länger, Der König euch bestellt." „Wir sind die stolzen Sänger, Die Einz'gen in der Welt, Wir zaudern dir nicht länger, Weil uns der Herr bestellt." Sie folgten nun dem Knaben, Der schritt gar stolz daher, Sie gold'ne Leier haben Und noch des Schmuckes mehr.| Da traten sie zum König, Der leidet tief und schwer, Der grämet sich nicht wenig, Die Gattin war nicht mehr. „Nun horchet meinem Willen, Lasst schall'n Gesänge rein, Könnt ihr den Schmerz mir stillen, So seid die Freunde mein." Die Sänger sich verbeugen, Sie stimmen stolzen Ton, Sie singen Sphärenreigen, Und von des Lichtes Thron. | Der eine gar vor allen Singt Stern und ihre Bahn, Doch könn'n sie nicht gefallen, Der König blickt sie an. 5 10 15 20 25 30 35 730 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 „Was soll ich mit den Tönen, Mit eurem Strahlenthron, Ihr kennet nicht mein Sehnen, Ihr sprecht dem König Hohn." „Wozu die gold'ne Leier, Sie stillt mir nicht den Harm, An Schmuck so reich und theuer, An Liedern kalt und arm."| Die Sänger stumm erbleichen, Bewegt im Herzensgrund, Und keine Lieder steigen Aus ihrem blassen Mund. Da bringet einen Zweiten Der Page in den Kreis, Ihn schmücken grüne Weiden, Ihn schmückt der Lorbeerreis. Er blickt zu dem Gebieter Als jammert' ihn sein Loos, Er blickt zur Erde nieder, Er weinet Thränen groß.| Steht da in grünen Weiden Als wie der Unschuld Bild, Er rührt der Laute Saiten, Er rührt sie rein und mild. Sie müssen sich bewegen In Trauer und in Lust, Der König tritt entgegen, Er drückt ihn an die Brust. Er presst ihn mit den Händen, Wie seinen eig'nen Sohn, Er will ihm Kleinod spenden, Da war der Knab' entflohn. 5 10 15 20 25 30 731 Literarische Versuche |Die zwei Königskinder. In ferne Lande zu reisen, Erhub sich ein Königskind, Noch wollt' es der Trauten beweisen, Wie gut es ihr gesinnt. Drum macht es sich auf mit eilenden Schwingen, Ihr ein holdes Liebespfand zu bringen. Sie sitzt auf purpurnem Sessel, Sie lächelt, wie Sonnenschein, Bewußt der drückenden Fessel, Die sie wirft in das Herz hinein. Die drücket so leicht, die drücket so schwer, Der entreißt der Gefang'ne sich nimmermehr. | |üa naht der edle Ritter, Viel Thränen im Antlitz sein, Ein Sturm in des Kampfes Gewitter, Ein Kind bei dem Liebchen fein. Stark tritt er und fest mit den rasselnden Sporen Die schallen hinein zu der Königin Ohren. Sie will kaum den Sinnen trauen Als der Ritter da vor ihr steht, Wie ein Gott in der Rüstung zu schauen, Das Auge von Flammen durchweht: „Was bringt Dich, lieb' Ritter, in unsere Halln?" So hört man's wie Aeolsharfen erschalln.| („Ich kann nicht länger verweilen In dem engen, dürftigen Land, In die Weite hinaus zu eilen, Hat ein Gott mir den Busen entbrannt. Ich muß hinein in das wogende Leben, Das Recht zu beschützen, das Unrecht zu heben." „Ich muß mit dem Blicke erfassen, Was man hier nur vom Sänger vernimmt, Drum sitz' ich so trüb' und verlassen, Wenn er mild die Laute stimmt. Dann ergreifet es mich, wie sinnendes Träumen, Und gebietet mir ernst nicht länger zu säumen." | 5 10 15 20 25 30 35 732 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 |Die Königin blickt ihn mit Zagen, Wie er diese Worte spricht, Sie staunt vor dem muthigen Wagen, Ob es schon ihr das Herze bricht. Sie lobt nicht, sie tadelt nicht sein Bemühn, Sie weiß, daß er starr und eigen und kühn. „Doch so kann ich nicht von dir scheiden, Du trauteste Königin, Ich vermag nicht Ruhm zu erstreiten, Nimmst du nicht das Ringlein dir hin. Der Künstler hat sinnend es so gefüget, 's ist einfach, doch werth, dem die Liebe genüget."| [Sie nimmt es ihm aus den Händen, Sie küßt es zart und beschämt, Sie muß das Antliz wenden, Wo die Thräne herüberströmt. Dann blicken sich beide noch einmal an, Und der Ritter betritt die gefährliche Bahn. Die Königin sitzt bei dem Feste Nach langer Jahresfrist, Es fehlt zu dem Guten das Beste, Der Ritter, der treu ihr ist. „Will er mir denn nimmermehr erscheinen, Vergaß er ganz die Treu und die Seinen?" | |Da hört man ein wunderlich Leben Von ferne der Thüre nahn, Die Angeln der Pforte sich heben, Es wälzen sich Menschen heran. Die schreiten ganz frei zur Königin vor, Sie singen in schauerlich dumpfem Chor. „Macht Platz, ihr Herren und Frauen, Wir bringen den Liebsten der Braut, Er ist gar lustig zu schauen, Der Mann, der ihr angetraut. Wir sind auf ewig zum Dienst ihm geweiht, Wir gaben dem Herrlichen Handschlag und Eid."| 5 10 15 20 25 30 35 733 Literarische Versuche [Sie tragen auf der Bahre Vom Ritter nur ein Bild, Gebleichet sind die Haare, Kein Blut die Venen füllt. Da fliehet entsetzt der Höflinge Schwärm, Nur die Königin sinket ihm in den Arm. Sie begrüßt ihn mild mit den Augen, Preßt ihn in die Arme hinein; „Ach könnte ich Leben dir hauchen, Ich wollte gestorben sein!" Da sah sie den prüfenden Ritter sich heben, „Du schenkst mit dem liebenden Hauch mir das Leben." I Sturmlied. Könnt ihr nicht besser hausen Ihr Stürme und Orkan, Nicht Berge niederbrausen, Durch weiten Erdenplan? Ihr seid nicht eingezwänget Von Menschen und von Stein, Um eure Seele dränget Sich nicht ein morsch Gebein. Ein Weltall dürft ihr fassen, Dürft fluchen ihm in's Herz, Laut heulen euer Hassen, Laut heulen euren Schmerz !| |Den Himmel dürft ihr fodern, Zum schicksalsvollen Kampf, Bis zu den Wolken lodern, In heißem Feuerdampf! Doch nur wie Knabenlieder In schlechten Melodien, Tönt euer Sang hernieder, Weit durch die Welt zu fliehn. 734 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Und nimmer horch ich lange, Und nimmer sehnsuchtsschwer, Ergriffen wie vom Drange, Denn 's küngt nur hohl und leer.| |Mich fesseln tausend Schranken, Die Seele morsch Gebein, Der Himmel den Gedanken, Den Körper Mensch und Sein. Mein armes Herz umfassen Zwei kleine Spannen leicht, Die Geister mich verlassen, Wenn's von dem Blitz erreicht. Und dennoch tönt und stürmet Es ewig heiß da fort, Und Schmerz auf Schmerz gethürmet Erbraust an diesem Ort.| |lhr müßt euch untertauchen, Wenn's tief in mir ertönt, Dann seid ihr nur ein Haufen, Was einen Sturm verhöhnt. Dann spreng' ich alle Bande, Dann flammt's zum Himmel auf, In kühnem Fichtenbrande, In ungemeß'nem Lauf. Dann frage ich die Welten, Den Gott um Rechenschaft, Und fühl' in meinem Schelten, Des Busens Gluth und Kraft. | |Dann stürzt hernieder, Himmel, Ich falle unter euch, Und in dem Weltgewimmel Bleib ich mir selber gleich. Dann möcht' ihr prasselnd sinken, Ich leg' die Hand auf's Herz, Und heule im Ertrinken Euch meinen Fluch und Schmerz. 735 Literarische Versuche |Der Greis. Romanze in 6 Liedern. I. Es saß ein Greis am Meere und bei ihm sein Kind, Der Blick der still und hehre, Der schaut in den Wind. Die Seele scheint beweget Von tiefer Gewalt, Sein Haupt sich nicht reget, Kein Laut erschallt. Der Sohn, der schaut ihn mit Sehnen Gerührt in der Brust, Ihm fließen die Thränen Halb unbewußt. I „Es rauschen so froh die Wellen Ο Vater mein Und Gluthen die Wasser erhellen, Sollst fröhlich sein." II. Der Greis, der blickt auf den Knaben Im Lockengold, In der Stime sind Furchen gegraben, Das Auge rollt. „Der Freude darf ich nicht weihen Den Opferdampf, Muß mich dem Schmerze leihen Im Seelenkampf." I |„Und darf ich nicht wissen," Der Knabe fragt, „Was Herz und Seele dir missen, Was die Brust zernagt?" 5 10 15 20 25 30 736 5 10 15 20 25 30 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 „Noch kann ich dir nimmer vertrauen, Bis die Stunde spricht, Dann sollst du selber erschauen Den Schmerz und die Pflicht." III. Es hängt an des Sohnes Zügen Mit Blicken der Greis Als könnt er sich nimmer genügen, Er preßt ihn heiß. | |Er zeigt auf die wogenden Fluthen Mit stiller Hand, Als wenn ihm Schätze ruhten, Im Seelenkampf. Dann schaut er wieder so düster Wie er früher war, Es rauschet nur Windegeflüster Im Silberhaar. Dem Knaben ward seltsam zu Muthe Doch des Vaters Wort Wacht tief im Herzensblute Und brennet da fort. | |iv. Der Greis, der steht am Meere Und bei ihm sein Sohn, Ihm blitzet das Aug' das hehre, Von Begeisterung schon. „Wie die Wasser spielen und brennen, Nur gehorchend dem Herrn, So durften auch wir ihn erkennen Von Zwingern fern." „Da kamen sie wild gezogen Mit Ketten und Schwerdt, Hin durch die spielenden Wogen, Ganz unversehrt."| 737 Literarische Versuche |„Doch das Volk hat sich wieder erhoben Aus dumpfer Nacht; Nun magst du den Arm erproben In morgender Schlacht." V. Der Greis, der sitzt am Meere In Mitternacht, Sein Blick, der still und hehre Wie Sonne lacht. Er schaut wohl vom Gestade In die Fluthen hin, Ob auf kühlem Wasserpfade Nicht Schiffe ziehn. | |Die spielend geschäftigen Wogen Die tragen sein Glück, Der Sohn war zum Kampfe gezogen, Wann kehrt er zurück? Er hatte ihn selber geheißen Zu kämpfen für Recht, Die Ketten kühn zu zerreissen, Die geworfen ein Knecht. VI. Da hört man's von ferne schallen Wie Siegesgeschrei: „Die Knechte sind gefallen, Das Land ist frei." | |Und es laufen zum sicheren Strande Die Schiffe vom Meer, Und der Sohn tritt prangend zum Lande, Begeistert und hehr. Geschmückt mit Lorbeerzweigen, Mit Wunden und Blut, Geht er zum Vater mit Schweigen, In Jugendgluth. 5 10 15 20 25 30 738 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Der preßt ihn heiß und lange In unendlichem Glück, Dann läßt er im Geistesdrange Den Körper zurück. 1 |Die Göttin des Rheins. Ballade. Kam ein Jüngling hingezogen Zu dem kühlen Rhein, Schaute schweigend in die Wogen, Schaute ernst hinein. Ihre angenehme Kühle Hauchet ihm nicht Lust, Ihre jugendlichen Spiele Heitern nicht die Brust. Steht am Strande angelehnet, Athmet tief und lang, Und sein schönes Auge thränet, Ahndungsvoll und bang.| Flammet von Begier und schwärmet Durch die weite Fluth, Und der Jüngling scheint erwärmet Von des Fiebers Gluth. Wie die Sonne nun sich neiget Nach des Herrn Gebot, Wie das Abendroth sich zeiget, Steigt der Wange Roth. Seine Pulse gehen schneller, Und die Stirne brennt, Aus dem Auge glüht ein heller, Geistig Element. | 5 10 15 20 25 30 739 Literarische Versuche I „Will mich denn kein Gott beglücken Schallt es dumpf heraus, Soll ich sie denn nie erblicken In dem grünen Haus?" „Ach, ich hör nur Winde rauschen, Seh die Fläche sprühn, Muß denn Wogen bange lauschen, Wie sie weiterziehn!" „Doch, wofür dies üppig Prangen, Dieses bunte Kleid, Dies ist nimmer mein Verlangen, Nimmer Seligkeit."! |„Nein, ihr müßt es selbst bezeigen, Fluth und Farbenglanz, Mit dem ahndungsvollen Schweigen Bei dem Wellentanz; Eure Tiefe ist bewohnet, Eine Göttin weilt, Die in diesen Reichen thronet, Die die Fluthen theilt; Ein ätherisch, reines Wesen, Wie's nicht Erde beut, Seine Blicke muß ich lesen, Schaun die Herrlichkeit."! |„Ach es treibt mich von dem Lande Ewig zu ihr hin, Und mich fesseln keine Bande — Nichtiges Bemühn!" „Alles rauschet dumpf vorüber, Nickt mir Abschiedsgruß, Und so kehr' ich immer trüber Von dem heitern Fluß!" Und der Jüngling stand verlassen In dem Mondeschein, Seine Wangen nur, die blassen, Spiegelte der Rhein. | 5 10 15 20 25 30 740 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 |Da erschallet's aus den Gründen, Mild wie Zephyrlaut, Und die Woge schweigt von Winden, Und dem Jüngling graut. „Jüngling, lasse dich beschwören, Kehr zu deiner Pflicht, Meine Stimme darfst du hören, Mich erträgst du nicht." Doch von Zauberhauch und Tönen Wird er tieferregt, Ihn erfasst unendlich Sehnen, Daß er's kaum erträgt. I „Zu dem Lande soll ich kehren, Göttin, will das nicht, Laß mich schauen zu dem hehren, Holden Angesicht." „Deinem Flehn muß ich gehorchen, Theurer Erdensohn, Ach, du siehst nicht mehr den Morgen," Und er sah sie schon. Auf die Woge tritt sie nieder, Groß und rein und hehr, In die Woge taucht sie wieder, Und er ist nicht mehr. I |Der Schaum. Es murmelt das Wasser so helle vom Stein, Und dehnt sich zu eisigen, glänzenden Flocken, Es mehrt sich die Masse, im Anfang so klein, Und spielet ringsum mit schäumenden Locken. 5 10 15 20 25 30 741 Literarische Versuche Die Welle stürzet in brausendem Fall, Die Wogen den starrenden Felsen bedecken, Da bildet sich Schaum, so rein wie Crystall, Und sammelt sich unten im schimmernden Becken. Das glänzet so weiß, das blendet so sehr, Das lockt mich herunter vom starrenden Felsen, Ich will mich waschen im Blüthenmeer, Ich will in dem blendenden Schaume mich wälzen. | Es drang so tief in den Busen hinein, Es zog mich hinab, wie durch höh're Gewalten, Ich springe vom ragenden Stein, Ich vermag den sehnenden Drang nicht zu halten. Da oben, da stand ein Geselle bei mir, Der wußte sich nimmer mein Thun zu erklären, Der murmelt' und lächelte für und für, Doch könnt' er den Sprung nach unten nicht wehren. Da blickt ich hinein, da sah ich den Schaum, Da fühlt ich es wohl gar seltsam von innen, Da schwindelte mir, da hielt ich mich kaum, Mir ganz den hehren Genuß zu gewinnen. | „Das schimmert so rein, das blitzet so weiß, Das schwebet so leicht, wie die Wolken da oben, Wie war' mir so wohl, wie war' mir so heiß, Fühlt' ich von dem blendenden Schaum mich gehoben." „So erblickt ich nimmer ein Farbenspiel, Und nimmer so üppig wogende Massen, Wie ist es da unten so luftig und kühl, Wie wird da Wollust die Nerven erfassen!" „Da fühlt man sich wohl, wie Aether so leicht, Als schwebte man hin auf Wolken und Lüften, Die Schönheit, die hat kein Künstler erreicht, Sie scheint gewebt aus ätherischen Düften." | |Und länger hielt ich nicht in mir die Lust, Ich wusch mit dem Schaum das Gesicht und die Augen, Ich drückte ihn an die tobende Brust, Ich wagte mich tief in den Schoos ihm zu tauchen. 5 10 15 20 25 30 742 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Da wurde mein Auge so hell und klar, Da trat ich heraus aus dem schäumenden Bette, Doch ach! wo es eben so schön noch war, Quoll jetzt der Schaum zerstreut durch die Stätte. Da rangen Thränen dem Auge sich los: „Du sahst die Pracht so hehr sich erschließen, Sie lag vor dem Auge so zart und groß, Wie wenn Blüthen und Düfte und Wolken zerfließen." („Doch ach! sie vermochte dein Herz nicht zu stilin, Es wollte der Woge Innerstes finden, Es wollt' mit dem perlenden Schaum sich umhülln, Da mußte er wohl auf immer verschwinden!" Der Mensch jagt ewig dem Schönen nach, Und glaubt er, daß Götter die Bitte erhören, So will er hinab in die Tiefe und ach! Er kann das zarte Bild nur zerstören! ]Die Erscheinung. „Wird sich denn nimmer einen Der Seele Dämmerlicht, Wo bange Seufzer weinen, Mit Leben und mit Pflicht, Mit der Vernunft gluthvollen Strahlen, Wo Gottheit sich und Himmel mahlen?" „Soll ich mich sehnend hangen An milde Dämmerung, Mit bebendem Verlangen, Stets sehnsuchtsvoll und bang? Soll dies mein Alles in sich schließen, Und ich nicht forschen, nur genießen?" | 5 10 15 20 25 30 743 Literarische Versuche I„Wofür denn jenes Drängens Das wogt wie Meeresfluth, Das voll von Götter klängen, Mir in dem Busen ruht? Ist's nur ein selbsterzeugtes Wähnen, Dann stürzet, stürzet heiße Thränen." „Und wenn ich mich ergehe, Auf hoher Sphärenbahn, Begeistert aufwärts sehe, Verachtend süßen Wahn, Dann hör' ich in der Brust ein Rufen, „Was willst du auf des Wissens Stufen?" | |„Du schändest das Gebäude Durch rohen Erdenschritt, Weih' dich der süßen Freude, Nicht weiter trägt dein Schritt! Hier kannst du nur in Tiefen sinken, Kannst nur Verzweiflung thöricht trinken!" „Laß höh'ren, rein'ren Wesen Das ungemeßne Ziel, Sich selber und das All zu lesen, Der Kräfte Kampf und Spiel. Dein Herz, es will ein ander' Wirken, Drum fliehe bang vor Gluthbezirken!"| |Da naht auf Aetherwellen Mir eine Lichtgestalt, Und Töne ihr entquellen Voll dunkler Allgewalt. „Wofür, spricht sie, dies bange Schweben, Dies arme und zerriß'ne Leben?" „Sieh! Himmelsgluth und Schatten, Wie brüderlich geeint, So mußt du in dir gatten, Was jetzt sich Wechselfeind. Willst einen Geistesruf betäuben, So werden beide nur sich sträuben." | 5 10 15 20 25 30 35 744 5 10 15 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 |„Dem Herzen laß das Spielen, Dem Himmel laß den Sinn, Den streitenden Gefühlen Sei ich die Mitlerin! Wenn beide in einander fliessen, Dann darfst du dich verklärt gemessen." „Dein Herz kennt mich schon lange, Stimmt oft mir Liebeston, Ist oft so voll und bange An meine Brust geflohn. Sei ganz mir unterthan und eigen, Und jede dunkle Macht wird schweigen." 1 j Sängerliebe. An Jenny. [Siehe S. 502-504 und 1229.] |Die Zerrißne. Ballade. [Siehe S. 516-518 und 1229.] |Das bleiche Mädchen. Ballade. [Siehe S. 494-496 und 1228.] 20 [Empfindungen. [Siehe S. 535/536 und 1231.] 745 Literarische Versuche (Die Sterne. 3 Sonette. I. Sehnend schaut' ich in der Sterne Heer, „Ist sie denn für stets dahingeschwunden, Die hier einst so tief und schön empfunden, In der Brust ein Lieb' und Wonnemeer! Dann ist Sterne euer Himmel leer, Wenn ihr durch des Meisters Macht gebunden, Ihr nur Ewigkeit um euch gewunden, Und ein Geist gewelkt, so zart und hehr! Könnt' ich alle eurem Gott ersetzen Eine Seele, die ihm selbst verwandt, Die ihn angebetet, ihn empfand? Thränen, die ein reines Auge netzen, Wiegen sie nicht seine Himmel auf, Und ihr Schein der Sonne Gluthenlauf ?" | I I I .' „Könnt ihr beten, Sterne, könnt ihr fühlen, Wer durch eure Reihen strahlt und brennt, Aus des Himmels hohem Firmament, Wenn die Zeiten bang den Fuß bespühlen? Nein, ihr wandelt ruhig hin, ihr Kühlen, Ohne Herz, das bebend ihn erkennt, Ohne Lippe, die ihn liebend nennt, Dessen Blitze segnend euch durchwühlen. Doch ihr funkelt nicht, und euer Glanz Ist der Geister Strahl, die euch bewohnen, Die im Aetherreiche ewig thronen, Leis hinschwebend in dem Sphärentanz, Die von Erdenmacht nicht mehr gehalten, Sich zu Reinerem gestalten."! 5 10 15 20 25 30 746 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Drum schwillt hoch die Brust beim Sternenlicht, Weiß der Seele Wunsch nicht zu erklären, Die erfaßt von Liebe und von Zähren, Wogend fast des Körpers Bande bricht. Doch des Herzens Ruf, er täuschet nicht, Und die Stimmen, sie sind nicht Chimären, Die vergeblich rauschend uns durchgähren; Blüthen sind's die uns ein Engel flicht. Ha! auch sie seh' ich entgegenblitzen, Blitzen zum geliebtverwandten Geist, Den sie sehnend froh willkommen heißt, Aus der Liebe Sterne gold'nen Sitzen. Sie erkenn' ich aus der Liebe Welten Zahl, An dem rein und geisterhaften Strahl. I Engelbert Klingholz. Ballade. Die alte Zeit ist hingeflohen, Mit ihren schönen Phantasien, Mit ihren Flamm'n, den lichterlohen, Die bis zum Himmel prasselnd glühn. Nur einer ist aus ihr zurückgeblieben, Ihn hat die Fluth der Zeiten nicht getrieben. Er glänzt hervor aus ihrem Reiche Ein morscher wandernder Ruin, Und um das Haupt, das kahle, bleiche Sich Morgenroth und Gluthen ziehn. Doch an dem Schädel bricht der Strahlen Spielen, Denn ihre Flamme kann er nimmer fühlen. I 5 10 15 20 25 30 747 Literarische Versuche I 's ist einer von den deutschen Rittern, Es ist der Sachse Engelbert, Gelebt in Kampf und Lanzensplittern, Der siegberühmten Ahnen werth. Doch in moderne Miniatur gefasset, So daß er in Berliner Röcke passet. Die Zeit hat ihm sein Haupt verzogen, Ihm Form und Schönheit abgestreift, Es grausam hin und her gebogen, Sodaß es schaudernd uns ergreift. Medusenartig ist es anzuschauen, Die strenge Parze selber schaut's aus Grauen. | [Aus seinem Munde drängt ein Flüstern Unheimlich, schnatternd sich hervor, Als stieg es aus dem Reich der Düstern, Zum lichten Sonnenland empor. Hört an, wie das sich so bei ihm entfaltet, Wie dieser Räthselvolle sich gestaltet. In einem Wald, so hört man's munkeln, Stand einst ein abgelegen, ödes Holz, Da kam aus Indien, dem dunkeln Ein greiser, wunderthät'ger Bolz. Bei jenem Baume läßt er stumm sich nieder, Um zu erquicken seine matten Glieder. | |Doch um ihn spielen keine Schatten, Ihm lacht nicht Blüthe und nicht Frucht; Denn ringsum alle Bäume hatten, Nur dieser nicht, was er sich sucht. Da springt er auf in ungemeß'nem Grimme, Spricht drohend zu dem öden Ungethüme: „Du weißt mir also nichts zu leihen, Du elend, hölzern Krüppelding, So will ich dem Verderb dich weihen, Das solchen Hohns sich unterfing. Sei Mensch, doch solches Graus soll um dich ziehen, Daß alle bang erschrocken vor dir fliehen." | 5 10 15 20 25 30 35 748 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 |Er schlägt den Baum mit seinem Stabe, Das Holz klingt dumpf und flüstert hohl, Und wie aus einem dunklen Grabe Entsteigt der deutsche Ritter wohl. So ernst der Mönch auch war und tiefbeweget, Ein Lächeln doch um seinen Mund sich reget. Gar wunderbar ist zu erblicken Was zappelnd aus dem Baum sich hebt, Es scheint sich nur herauszudrücken, Und Ekel flatternd um es schwebt. Spricht leis: „Du bist der Liebste von den meinen Sollst stets in meiner Glorie erscheinen."! |Der Mönch nickt zu und läßt erschallen Sein ernstes, väterliches Wort, „Du wanderst nun aus diesen Hallen In eine and're Heimath fort. Doch manches muß ich dir vorher noch sagen, Was dich, mein Sohn, betrifft und dein Betragen." „Du bist nicht regelrecht gestaltet, Doch sei zufrieden, murre nicht, Kein Künstler hat noch je entfaltet Aus dürrem Block der Schönheit Licht. Für was du warst, ist dir genug gegeben, Ein muskelvoller Arm, ein Krötenleben."! |„Dein Haupt könnt' ich dir nicht bedecken, Weil auch kein Blatt mehr an dir war, Die Fäden, die sich drüber strecken, Erschuf ich neu und wunderbar. So kannst du Hirn und Schädel offen legen, Man könnt darüber sonst wohl Zweifel hegen." „In dir gibts keine Tiefen, 's ist alles hohl, dem Stamme gleich, Worin einst Bär und Wölfe schliefen Worin gethront der Raupen Reich. Darum hab' ich in die Stirn' ein Loch gegraben, Der Mensch muß eine Tiefe in sich haben;"| 5 10 15 20 25 30 35 749 Literarische Versuche |„Die Sprache hab' ich dir geschenket, Sie ist des Himmels hehres Kind, Doch daß dein Herz noch manchmal denket, Wie dich durchsauset Sturm und Wind, Steig' oft gewaltsam auf im Flüstern, So wie der hohlen Zweige rasselnd Knistern." „Das wird, mein Sohn, dir oft noch frommen, Denn ist dein fond einmal geleert, Wird keiner doch zum Worte kommen, Denn jeder schreckt, der dieses hört. Stets wird dich diese Zauberkraft erfassen, Wenn Wort und Sinn den armen Kopf verlassen." |„Doch merk: dich kann nur Kunst erhalten, Weil nur die Kunst dir Leben gab, Und wie die Mumien, die kalten, Die man bewahrt in tiefem Grab ; So mußt du dich mit Oelen balsamiren, Willst du das Leben nicht für stets verlieren. Es wird sich keiner zu dir drängen, Drum dräng du dich zu allen hin, Woll' dich in alle Händel mengen, Aus allen Blüthen Früchte ziehn. Zwar wirst du nimmer was dabei erreichen, Als jenen Ruhm, zu stehn und nicht zu weichen."] |„Zum Pöbel wird dich jeder zählen, Der fünf gesunde Sinne hat, Drum laß du keinen lange wählen, Sag gleich: ,ich bin Aristokrat. ' ,Ich habe mit dem Kronprinz eine Meinung, Und lieb' wie er die größ're Gütereinung.'" „Am besten machst du dich in Winden Wie sie die Schnecke schlängelnd zieht, Der Blick glaub weit dich weg zu finden, Wenn er sich plötzlich bei dir sieht. Und dann auf jeden eilend zugeschossen, Er wird dich dulden, ob auch schon verdrossen." | 5 10 15 20 25 30 35 750 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 |,,Es sind dir Reize nicht verliehen, Nicht kühn und hehre Geisteskraft, Allein wenn uns die Leute fliehen, Wird auch ein kleiner Ruhm erschafft. Wird keine je dir Liebesblicke senden, So werden alle doch sich von dir wenden." „Nun geh' und wandre durch die Lande, Folg deinem eklen Genius, Dir werden keine süßen Bande, Dir wird nicht Lieb' und Geistesgruß. Elfhundert Thaler will ich dir jetzt geben, Wirst in Berlin ein Jahr damit wohl leben." | |Die ernsten Worte sind verklungen, Der Zaubergreis, er ist entflohn; Von wilder Liebesgluth umschlungen, Erblicken wir den Heldensohn. Was früher noch mit ihm sich zugetragen, Verdient wohl nicht, daß wir's im Liede sagen. Gott Amor hatte gerad' gespeiset, Sah auf die Erde sinnend hin, Als ihm das Ungethüm sich weiset, Das gelblich Neid und Haß umfliehn. Da bricht er in ein ungemessen Lachen, Das klingend Holz, es scheint ihm Spaß zu machen. |Der Kerl scheint mir gar sehr zu pochen, Vergnügt mit seinem Seelenheil, Doch nimmer schützen ihn die Knochen, So stark sie sind, vor meinem Pfeil. Er schießt 'nen Böller auf den Armen nieder, Dem blitzt und funkelt's gleich durch alle Glieder. Für eine glühet er vor allen, Für ein ätherisch Zauberbild, Die braunen Locken niederwallen, Das Auge strahlt so voll, so mild. Die schöne Seele scheint aus ihm zu sprühen, In Sehnsucht und in Leben auszuglühen. | 5 10 15 20 25 30 35 751 Literarische Versuche (Sie schwebt dahin im Zephyrtanze, Voll hoher, zarter Weiblichkeit, Und alle Blüthen schweiin zum Kranze, Die sonst ein Gott nur einzeln leiht. Und Erd und Himmel müssen sich vereinen, In ihrem Bild harmonisch zu erscheinen. Verzweifelnd stürzt er hin zur Erde, Getroffen von der Zaubermacht Stürzt hin mit wilder Angstgeberde, Und rings umhüllt ihn düst're Nacht. Da hört er plötzlich einen Ton erschallen, Der Greis vom Indus tritt in seine Hallen: ] [„Soll ich dich in die Wüste senden, Wo ich dich aus dem Klingholz rief? Soll ich das Leben dir entwenden, Das in der Oede bange schlief? Nein: daß den Engel du vermocht zu lieben Das ist die erste Frucht die du getrieben." I Epigramme. Pustkuchen (falschen Wanderjahren.) VIII) [Siehe S. 646/647 und 1242.] I Verdingung. [Siehe S.675.] 5 10 15 20 752 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 Die Ruhe. Das Lob muß ich dir wohl ertheilen, Daß alles ruhig bei dir geht, Die Worte zwar recht stürmisch eilen, Doch der Gedanken — steht. Die Geistesblüthe. „Die hehre Blüthe sei von euch verschont, Die mächtig sprossend tief im Inneren thront." So ruft er aus; ich rath's euch allen, Sie möcht' sonst gar in Ohnmacht fallen. |Die Oper. 1) Kein Trauerspiel wird jetzt gegeben, Davon kann ja der Mann nicht leben; Mit Opern treibt man es gar bunt, Wird auch nicht angegriffen — bleibt gesund. 2) Die Alten kannten Opern nicht, Doch nur Musik war ihr Gedicht; Hier müssen sie an Stellen singen, Wo's nicht mit Sprechen will gelingen, Und geht es mit dem Sang nicht fort, Dann ist für's Sprechen auch der Ort. 5 10 15 20 25 753 Literarische Versuche |Hans Heiling. Oper. Der Geist wird auf die Erde hingezogen, Geschaukelt von des Lebens Wogen, Nicht Wissensdrang entflammet ihn, nicht Muth, Doch schweig Kritik „Beleuchtung war recht gut". Das eherne Pferd. Oper. Eine Scene hat vor allen Mich ergriffen, mir gefallen, Gäb's davon im Stück nur mehr; Die Bühne nähmlich, die war — leer. Der Misanthrop. Du schmähest ewig auf der Menschen Werth, Ganz recht, Du weißt, was ihnen angehört, Du bist in Tiefen schon gewesen, Wo noch kein and'rer Blick gelesen. 5 10 15 20 754 5 10 Gedichte aus den Jahren 1835 und 1836 (Die unmoralische und die mystische Litteratur. Man sieht's euch an; aus einer Quelle Kommt euer trübes Wasser her, Ihr werdet beide nimmer helle, Ihr fließt in der Vernichtung Meer. Verwandt seid ihr euch ohne Zweifel, Denn beide treibt ihr kecken Spott, Der eine neckt sich mit dem Teufel, Der andere mit — Gott. 1 Deutscher Geschmack. [Siehe S.645 und 1242.] I Harmonie. An Jenny. [Siehe S. 572/573 und 1233.] 15 Schlußsonette an Jenny. [Siehe S. 519/520 und 1230.] 755 Gedichte Aus einem Notizbuch von Sophie Marx Gedichte. Aus einem Notizbuch von Sophie Marx [Menschenleben. Stürmisch entfliehet Der Augenblick; Was er entziehet, Kehrt nicht zurück. Tod ist das Leben Ein ewiger Tod; Menschenbestreben Beherrscht die Noth; Und er verhallet In Nichts dahin; Und es verschallet Sein Thun und Glühn. Geister verhöhnen Ihm seine That; Stürmisches Sehnen, Und dunkler Pfad; Ewiges Reuen Nach eitler Lust; Ewiges Breuen In tiefer Brust; Gierig Bestreben Und elend Ziel Das ist sein Leben, Der Lüfte Spiel. 5 10 15 20 25 759 Literarische Versuche Groß es zu wähnen Doch niemals groß,| Selbst sich zu höhnen, Das ist sein Loos. Carl Marx. 5 Auf Karl den Großen. Mit tiefem Dunkel war umwunden Von des Barbaren Händen keck entweiht, Was einst ein edler Geist empfunden, Was jede schöne Seele hoch erfreut. Was in Begeisterung versunken Des hohen Grajas hehrer Dichter sang, Was er einst selig, wonnetrunken, Dem Raub der Zeiten kühn entrang. Was einst in feurigen Gebilden Der edle Demosthen herabgetönt, Als tausende das Forum füllten, Von dem er keck den stolzen Philipp höhnt. | (Und alles Große, alles Schöne, Was einst der Musen Zauberkreis umhüllt, Was einst begeistert ihre Söhne, War von Vandalenhänden roh verwühlt. Da rief mit hehrem Zauberstabe, Der große Karl die Musen neu empor, Entriß das Schöne seinem Grabe, Und lockte alle Künste hold hervor. Er milderte die rohen Sitten Und herrschte durch der Bildung Wundermacht; Sie lebten still in ihren Hütten, Von sicheren Gesetzen stark bewacht. 10 15 20 25 30 760 Gedichte. Aus einem Notizbuch von Sophie Marx. Seite 9 Gedichte. Aus e i n em Notizbuch von Sophie Marx Und mehr als alle seine Kriege Von bluthgef ärbten Leichen hochgethürmt, Als alle U n h e i ls schwangre Siege, Mit muthig hoher Heldenkraft erstürmt, | Umkränzet ihn die schöne Krone, Die für die holde Menschheit er errang, Ihm winket mit erhabnem Lohne, Daß er die Rohheit seiner Zeit bezwang. Und unvergeßlich wird er leben In der Geschichte ewig großer Welt, Sie wird ihm einen Lorbeer weben, Der nie im Sturm der raschen Zeit entfällt. 1833. Carl Marx. |Die Rheingöttin. Ballade. [Siehe S. 739-741 und 1253.] [O Schwester hold] Ο Schwester hold Im Jugendgold, Will dir ein Liedchen singen, Das soll gar fein erklingen, Bin sehr dir zugethan, Doch was stimm' ich an? Soll ich stolz dir schildern In schwellenden Bildern, Was das Leben spricht Von Thun und von Pflicht? „Das will ich gar sehr verehren, Doch im Lied laß' mich and'res hören." 5 10 15 20 25 763 Literarische Versuche Sing ich Thatendrang, Der mein Leben lang Mich stets wird erfassen, Den Geist nie verlassen? | |Mein erhabenes Ziel, Das mit launischem Spiel Den Suchenden täuschet, Das er nie erreichet? Das nahe gewähnt Aus der Ferne höhnt? „Könnt den Busen zu sehr erregen, Den sanftere Triebe bewegen." Soll ich singen die Stadt, Die viel Thürme hat Des Rheines Auen, Die wir täglich erschauen, Wie zum Himmel ragt, Der Berge Pracht, Wie auf schwindelnden Stegen Wir |Zu der Burg, die so öd, So einsam da steht? „'s gibt sonst ja auch Felsen und Städte, Und jeder Fluß hat sein Bette." weiter uns bewegen Thut mein scherzender Mund Mit Spotten dir kund, Wie bunt sie es treiben, Sich einander reiben, Wie sie selbst auf das schelten, Was sie gern möchten gelten, Wie sich jeder stellt, Als hör ihn die Welt? „Ach, laß das Spotten und Höhnen, Ist nimmer des Herzens Sehnen." | I Soll ich denn ganz frei Von Heuchelei, Von bitterem Streben, Das muntere Leben Vor das Auge dir stellen, Mit Farben erhellen, Die manchen Vergnügen, Die mit durstigen Zügen 764 5 10 15 | 20 25 30 35 40 5 10 15 20 25 30 35 40 Gedichte. Aus einem Notizbuch von Sophie Marx Wir eingesaugt, In die wir getaucht? „Was dich gefreut, wird mich freuen, Doch kannst du nichts Tief'res mir leihen?" Sing ich Mägdelein Gar rosigt und fein, Die blühenden Wangen, Wo Grazien prangen, | |Den Wuchs so zart, Mit Anmuth gepaart? Der Augen Glühen Die gar an sich ziehen, Der lockenden Walln, Die herunter falln? „An mir weißt wohl gar nichts zu preisen, Drum willst mich auf Andre weisen." So will ich denn dich Gar inniglich Als ein Dämlein loben, Mehr, wie die da oben; Ich nenn' deinen Mund So klein und so rund, Ich vergleich deine Tritte Dem Zephirschritte, I |lch preise dein Haupt Von Blüthen umlaubt. „Ach Bruder, willst du mich schmerzen, Das tönt ja von Mund, nicht von Herzen." Dann sing ich vom Freund, Der mir innig vereint, Ein schöneres Leben, Ein bess'res gegeben; Wie Streben und Mühn An einander uns ziehn, Wie gen alle Gewalten Zusammen wir halten, Wie des einen Licht In dem and'ren sich bricht? „Dies Lied ist das schönste von allen, Doch eins könnt noch schöner erschallen." | ['s klingt Schwester hold Im Jugendgold, 765 Literarische Versuche Von den seligen Stunden, Die wir einst empfunden, Wenn ich bei dir saß Im grünen Gras, Von den Harmonien, Die mich an dich ziehen, Vom tiefen Werth, Der Dir angehört. „Ich nah' dir mit eilenden Schwingen, Hör ich dies Liedchen erklingen." |Die Blinde. Ballade. 1835. [Siehe S. 720-723 und 1253.] 5 10 Die zwei Himmel auf der Reise nach Berlin. [Siehe S. 483-485 und 1226.] |Zu Vaters Geburtstag. 15 1836. [Siehe S.715 und 1252.] I Schlußgedicht. [Siehe S.716 und 1252.] 1 Schiller. 2 Sonette. [Siehe S. 716/717 und 1252.] 766 Gedichte. Aus einem Notizbuch von Sophie Marx 1 Göthe. 2 Sonette. [Siehe S. 717/718 und 1253.] |Die Tochter. Ballade. [Siehe S. 712/713 und 1252.] |Die Zerrißne. Ballade. [Siehe S. 516-518 und 1229.] 5 767 Wilde Lieder Athenäum. Nr. 4, 23. Januar 1841 59[ Wilde Lieder. I. Der Spielmann. Spielmann streicht die Geigen, Die lichtbraunen Haare sich neigen, Trägt einen Säbel an der Seit', Trägt ein weites, gefaltet Kleid. „Spielmann, Spielmann, was streichst Du so sehr, Spielmann, was blickest Du so wild umher? Was springt das Blut, was kreist's in Wogen? Zerreiß't Dir ja deinen Bogen." „Was geig' ich Mensch! Was brausen Wellen? Daß donnernd sie am Fels zerschellen, Daß's Aug' erblind't, daß der Busen springt, Daß die Seele hinab zur Hölle klingt!" „Spielmann, zerreiß't Dir das Herz mit Spott, Die Kunst, die lieh Dir ein lichter Gott, Sollst ziehn, sollst sprühn auf Klangeswellen, Zum Sternentanz hinanzuschwellen!" „Was, was! Ich stech', stech' ohne Fehle Blutschwarz den Säbel in Deine Seele, Gott kennt sie nicht, Gott acht' nicht der Kunst; Die stieg in den Kopf aus Höllendunst, 5 10 15 20 768 5 10 15 20 25 30 Wilde Lieder Bis das Hirn vernarrt, bis das Herz verwandelt: Die hab' ich lebendig vom Schwarzen erhandelt. Der schlägt mir den Takt, der kreidet die Zeichen; Muß voller, toller den Todtenmarsch streichen, Muß spielen dunkel, muß spielen licht, Bis 's Herz durch Sait' und Bogen bricht." [ 601 Spielmann streicht die Geigen, Die lichtbraunen Haare sich neigen, Trägt einen Säbel an der Seit', Trägt ein weites, gefaltet Kleid. II. Nachtliebe. Preßt sie krampfhaft an's Herz, Schaut so dunkel in's Auge: „Viellieb, brennt Dich Schmerz, Bebst, bebst meinem Hauche!" „Hast getrunken die Seele Mein! mein, Deine Gluth! Glänz', meine Juwele, Glänz', glänz' Jugendblut!" „Holder, schaust so bleich, Sprichst so wunderselten, Sieh', wie sangesreich Zieh'n am Himmel Welten!" „Ziehen, Liebchen, ziehen, Glüh'n Sterne, glüh'n! Hinauf! hinauf dann entfliehen, Seelen zusammensprühn!" Spricht dumpf leise flüsternd, Schaut entsetzt umher, Blicke flammenknisternd Glüh'n sein Auge leer. 769 Literarische Versuche „Liebchen, hast Gift getrunken, Mußt fort mit mir gehn, Nacht ist herabgesunken, Kann den Tag nicht mehr sehn." Preßt sie krampfhaft ans Herz, Tod in Brust und Hauche, Sticht sie tief innerer Schmerz, Oeffnet nie mehr das Auge. K. Marx. 5 10 770 Γ A N H A NG Volksliedersammlung I Volkslieder aller deutschen Mundarte, spanische, griechische, lettische, lappländische, esthnische, albanesische etc. zusammengestellt aus verschiednen Sammlungen u. s. w. für mein süsses Herzens-Jennychen. 5 Κ. H. Marx. Berlin. 1839. 10 „Hab' Deiner nie vergessen, Hab' Allzeit an Dich gedenkt, Du liegst mir stets am Herzen, Herzen, Herzen, Wie d' Ros' am Stiele hängt." Altes Volkslied.! Volksliedersammlung. Titelblatt Volksliedersammlung Lieder in allemannischer Mundart. I) Im Frühlinge. Uffem Berge möcht i ruhe, Imme Thaïe wandlen au, (auch) Möcht au alliwil (allweil) mi Dörfli Ο mi lustig Dörfli g'schau. (schauen) Aus der Quelle möcht ich trinke, Lösche dort mi heiße Durst Möcht au schlofen auf de Matten, An der grüne, kühle Hurst. (Strauch, Gebüsch) Lugen möcht' ich durch das Fenster, Ob mich's Meieli (Mägdelein) noch kennt, Was es dort für schöni Sachen In si'm Kämmerlin beginnt. Jo, was möcht' ich alles thuen! Und i bin noch Allzeit fern! Viele Sterne stehn am Himmel, Doch nicht meiner Heimath Stern. | |Bist getrost! Das klein Waldvögli Findet ja si Heimath au, Wenn die Frühlings sonne lächelt Freundlich über Thal und Au. 779 Volksliedersammlung Siehst nicht, lieblich lacht der Frühling! Los! (horch!) und wie ihm d' Lerrich singt. Blüemli streut er mir uf's Pfädli, Das mich hin zur Heimath bringt! 1 |n.) An 's Meieli. (Mägdelein.) Ich hab schon tusigmol (tausendmal) an Di gedacht, Mir ischt der Tag nit lang, nit lang die Nacht. Ο Meieli, was soll ich wohl beginne? Du hast umfangen alii mine Sinne. Und ob der Morgenstern von dannen goht, Und dort die Sunn' am heitre Himmel stoht, So sitz i still, als thät i schier verlange: Wie isch es wohl mi'm Meieli ergange? Und wenn die liebe Sunne niedersinkt, Der Obestern schon aus der Ferni blinkt, Dann kommt min altes Sehnen und Bange: Wie isch es wohl min'm Meieli ergange? So han i tusigmol und tusigmol gidacht. Was isch mi Denke, wenn Din Engli (Englein) wacht? Dein Engli wacht, das würd' ich schon eninne, (gewahr) Drum will i fröhli Allis nummi (nunmehr) beginne. |III.) Rothe Röslein. Rothe Roesli wotti (wollt ich) suche, 's war just um die Winterzeit, Rösli könnt' i nirgend finde, Und die Dornen wollt ich nicht. Uffem Anger bin i g'stande, Und der Frühlig nebe dra, Unds blüeihten um mi Blümli, Und i wott (wollt') mer au eis (eins) ha. (haben) 5 10 15 20 25 30 780 Volksliedersammlung Ruothe Rösli, dacht i, find i, Denn der Frühlig isch nu do, Vögeli rufen jedem Blümeli, Doch mi Blümli war nit cho. (kommen) | |Und nu muß i selber singe, Gott verbarm's, so gut i cha, (kann) Rösli, chumm (komm) aus diner Chnospe, (Knospe) Ο wie gern lacht' i di a. Und i sang und sing noch hüte, Und mi Meidli hört es nit, Isch no stummer as e Rösli, Schöner als das schönste Lied. 1 |iv.) Winterblümchen. Dort oben uffem Berge, Dort lit (liegt) e tiefer Schnee, Wo blüeihe nu di Rösli, Wo gruenet nu der Klee? I weiß e schönes Blümli, Der Winter findt es nit. Mi Meidli isch seil Blümli, Wo tusig Freude git. (gibt) Mei Meidli singt am Fenster, Wie's Vögli uffem Nast, (Ast) Und treit (trägt) e Frühligshimmel Im blauen Augeglast. Wo blüeihe nu die Rösli, Wo grünet nu der Klee? Jo, such dir au e Schätzli, Seil (solches) cha (kann) Dir Antwort ge! (geben) | 5 10 15 20 25 30 781 Volksliedersammlung |v.) Rosegilge. (Gilge ist Lilie) Du bisch se frumm, so lieb, so gut, Wer wott' es besser sy? (sein) I bin so glücklich, bin so froh, Wenn i Di numme (numme, nur einmahl) sih. Froh macht der Sunne lichter Schi, (Schein) Wenn er in dunkle Nacht Dort oben von dem Berg isch cho (kommen) Und hat den Tag is (uns) bracht. So freut mi's Stündli allizit, Wo i by Dir cha (kann) sy, Was wäre Sunnglast, (Sonnenglanz) Berg und Thal Und Frühlig ohni Di? Wo find i's Blümli (aber nun) öbbe no, Sell (das) Dir ze gliiche (zu vergleichen) war? I gang und lueg, (lugen, schaun) ich such und gang, Und's Finde wird mer schwer. Jezt nenn' i Rosegilge Di Ke Blümle gliicht Der no; Wott (Wollt) Ros' und Güg (Lüie) E Blümli sy, Seil Blümli glich Der schon. |Tyrolerlieder. I) Busserl. (Kuß.) Das Mädchen. Busserl geb'n, Busserl nehm'n, Das ist kai Sünd, Und das hat mi mei Muoter g'lehrt Als a klan's Kind. 5 10 15 20 25 30 782 Volksliedersammlung 's Zülerthal aus und ein Seind frische Leut —-, Hant aufm Huth Federn, seind Unterm Huth g'scheid. Droben aufm Bergerl thut 's Gemsböckle scherz'n, Und wo kain Eifersucht ist, geht Kai Lieb' von Herz'n. Droben aufm Bergerl thut 's Tauberle rausch'n, Und im Thal thu ich und mei Bubi Busserle tausch'n. |Π) Vom Wald bin i führa, wo's stockfinster is, Und i lieb di von Herzen, das glaub mi gewiß. Da lacht er, da lacht er, der schelmische Dieb, Als wenn er nit g'wußt hätt', daß 'n gar so lang lieb. Gieb ma's aussa, was d'ma gestohlen hast, gieb ma's auß mein Herz! Na behalt's nur, na behalt's nur, 's war ja mein Scherz. Na behalte nur, na behalts nur, 's war ja nur mein Scherz. I g'hör' Dein zu und Du g'hörst mein zu, eins mit 'nander das Herz. |Lied in der Mundart des Kuhländchens. Unendliche Liebe. Schotzle! wos hör' (hab') ich dir Laeds gethan, Daß Du dai Pirschle ni schaoest ô? (an) Daß Du Dain Aigerlain ounder dich schleäst, Daß du zu mir kae Liv meh treäst? Schao mir ounder mai Ogesicht, Schao, wie mich de Liv hot zugericht? 783 5 10 15 20 25 30 Volksliedersammlung Schmeckt mir ju wader Spaise, noch Trank, I bin ju vir (vor) lauter Liv a so krank. Wenn glai dar Himmel popiren weär', Onn jedes Statile a Schraiberle wear', Onn schrieben a'n ides meit sieve Hend', Se queme ni meit mai'r Liv zu End'. \Die Nonne. Sie stand auf hohem Berge, Sah 'nunter in tiefes Thal, Sie sah ein Schifflein schwimmen, Mit Rittern beladen war's. Der allerschönste Ritter, Der auf dem Schiffe saß, Der gab der Jungfer zu trinken, Aus goldnem Römerglas. Was giebst du mir zu trinken, Was giebst du mir für Wein? In's Kloster will ich gehen, Will Gottesdienerin sein.| I „Wulst du in's Kloster gehen, Willst Gottesdienerin sein, Gedenk' an unsre Liebe, An uns're Lieb' und Treu." „Ich gedenk an keine Liebe, Ich gedenk an keinen Mann, Ich gedenk an Gott den Vater, Der mich erhalten kann." Und wie sie kam in's Kloster, In's Kloster, Gotteshaus; Die Zeit wird ihr zu lange, Zum Fenster schaut sie hinaus. | I „Kömmt denn dein Liv geritten, Der dir dai Herz zerbricht?" „Und kam er auch geritten, Mein Herz er nicht zerbricht." 5 10 15 20 25 30 35 784 Volksliedersammlung Was träumet ihm am Rheine, Was träumet ihm so schwer? Gleichsam wie wenn Herzallerliebste, In's Kloster gegangen war. „Steh' auf, steh' auf mein Knechte, Sattl' mir und dir ein Roß, Den Fußsteig wolln wir reiten, Den sie betreten hat." | |Und wie er kam vor's Kloster, Gar höflich klopft er an: „Gebt mir die jüngste Nonne, Die erst ist kommen an!" Es ist keine angekommen, Es kommt auch keine hinaus! „So will ich das Kloster anzünden, Das schöne Nonnenhaus." Da kam sie hergeschritten, Wohl in schneeweissem Kleid, Ihr Haar war abgeschnitten, Ihr Kranz war eingeweiht. I |Was hat sie in den Händen, Von Gold ein Becherlein, Was giebt sie ihm zu trinken? Vom allerbesten Wein. Der Ritter dreht sich umme, Zu ihr sagt er kein Wort; Er hat kaum ausgetrunken, Da fällt er um und stirbt. Mit ihrem gold'nen Messer Gräbt sie dem Ritter ein Grab, Mit ihrem goldnen Ringle Macht sie dem Ritter a'n Klang. | |Mit ihren waissen Handerlai Zog sie den Glockenstrang; Mit ihrem rothen Minderlai Macht sie dem Ritter a'n Gesang. 5 10 15 20 25 30 35 785 Volksliedersammlung Ein Kirchlein ließ sie bauen, Wohl auf des Liebsten Grab, Darin will sie verbleiben, So lang sie's Leben hat. 1 iLied" eines Klosterfräuleins. Ach, ach, ich armes Klosterfräulein! Ο Mutter, was hast du gemacht! Lenz ging am Gitter vorüber, Hat mir kein Blümlein gebracht! Lenz ging am Gitter vorüber, Hat mir kein Blümlein gebracht! Ach, ach, wie weit hier unten Zwei Schäflein gehn im Thal! Viel Glück, ihr Schäflein, ihr sähet Den Frühling zum erstenmal! Viel Glück, ihr Schäflein, ihr sähet Den Frühling zum erstenmal!| |Ach, ach, wie weit hier oben Zwei Vöglein fhegen in Ruh'! Viel Glück, ihr Vöglein, ihr fliehet Der bessern Heimath zu! Viel Glück, ihr Vöglein, ihr fliehet Der besseren Heimath zu! I I Aphoristische Volksliedchen. ι.) Korbflechterlied. Ich muß ein Körblein flechten, Ein Körblein hübsch und fein, Nimm du dein falsches Herze, Und legs mit größtem Schmerze In dieses Körblein fein. 5 10 15 20 30 786 5 10 15 20 25 Volksliedersammlung 2.) Wer bist du armer Mann ? Der Himmel ist mein Huth, Die Erde ist mein Schuh. Das heilige Kreuz ist mein Schwerdt, Wer mich sieht, hat mich lieb und werth. |3.) Wo bist du dann gesessen ? Aufm Bergle bin ich gesessen, Hab' dem Vögele zugeschaut, Ist ein Federle abe geflogen, Hab' 'n Häusle draus g'baut. 4.) Die schwarze Amsel. Wenn ich schon schwarz bin, Schuld ist nicht mein allein, Schuld hat meine Mutter gehabt, Weil sie mich nicht gewaschen hat, Da ich noch klein, Da ich Wunderwinzig bin geseyn. 1 I Schnaderhüpferl. Main Herzerl ist treu, ist a Schlüssel dabei, Und a ainziger Bua hat den Schlüssel dazua. Treu bin i, Treu bleib' i, Treu hab' i im Sinn, Treu bleib' i mai'm Schatzerl in Frankfurt und Wien. Je höger de Thurm, desto schöner es G'läut, Je weiter main Schatzerl, desto grösser d' Freud. 787 Volksliedersammlung Da drüben über'm Bergerl, wo der Kirchthurm herschaut, Da wird mir vom Pfarrer main Schatzerl angetraut. Zwai schneeweisse Tauben flieg'n über main Haus, Und der Schatz, der mi b'stimmt ist, der bleibt mir nit aus. I Blaublümlein. 5 (Von Heine fast wörtlich benuzt) Es fiel ein Reif in Frühlingsnacht, Wohl über die schönen Blaublümelein, Sie sind verwelket, verdörret. Ein Knabe hatt' ein Mägdlein lieb, Sie liefen heimlich von Hause fort, Es wußt's nicht Vater, noch Mutter. Sie liefen weit ins fremde Land, Sie hatten weder Glück, noch Stern, Sie sind verdorben, gestorben. Auf ihrem Grab Blaublümlein blühn, Umschlingen sich treu, wie sie im Grab, Der Reif sie nicht welket, nicht dörret. 1 I Sächsisches Lied. Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß, Als heimliche Liebe, von der Niemand nichts weiß. Keine Rose, keine Nelke kann blühen so schön, Als wenn zwei verliebte Seelen so bei einander stehn. Setze du mir einen Spiegel ins Herze hinein, Damit du kannst sehn, wie treu ich es mein. 1 10 15 20 25 7 88 Volksliedersammlung I Sächsisches Lied. Warum blickt doch so verstohlen Mich des Nachbars Töffel an? Da er mir doch unverhohlen In das Auge sehen kann? Ich muß nur die Mutter fragen, Was er so verstohlen blickt, Denn wollt' ichs ihm selber sagen, Ließ es wohl recht ungeschickt! Wird mir doch so weh und bange, Blickt er freundlich nach mir hin, Und bei seiner Flöte Klange Weiß ich oft nicht, wo ich bin. Andre Männer schaun mir gerne In die Augen hell und klar, Nennen sie wohl gar zwei Sterne, Doch es ist gewiß nicht wahr. Denn, wenn es zwei Sterne wären, Schaute Töffel wohl hinein, Und ich wollt's ihm auch nicht wehren, Sollt' ich selbst der Himmel sein. Aber so verstohlen blicket Man nicht zu den Sternen hin, Und was mir im Herzen drücket Ist auch nicht der Himmel drin. \Abschied. Hochländisch. Aufm Berg steht ä Schloß Und da wohnt eine Maid, Und 'n Bub' aus der Ferne Hat um's Madel gefreit. Und sie war ihm gewogen, Und der Bub' mußte fort, Und da gab er beim Abschied Noch dem Schatzerl sein Wort: 5 10 15 20 25 30 35 789 Volksliedersammlung Werden Jahre vergehn, Und wirst nichts von mir hör'n; Doch die Lieb' in meinem Herzen Wird ewiglich währ'n. Leb wohl — nicht für immer — Der Abendstern blinkt, Die Liebe steigt auf, Wenn das Leben auch sinkt. |Der Wildschütz. Hochländisch. Geht ä Bub' mit seinem Stutzen Auf den Firner in die Höh' — Lebe wohl herzigs Dirnd'l, Wenn i nimmer dich wiederseh'! Und's Madel auf der Matten Sieht den Buben weggehn; Und bleibt allweü im Gedanken Vor der Sennehütten stehn. Und der Bub' schwenkt vom Felsen Mit dem Hut ihr noch zu — Und 's Madel find't nimmer In der Hütten keine Ruh'. Der Bub' sieht die Hütten Auf der Matten noch stehn, Klein winzig, tief unten — Kann's Dirnd'l nit mehr sehn. Im Thal stehn drei Buchen Und die heil'ge Kapell; Da kniet nun das Madel Und benetzet die Schwell. Sie benezt wohl mit Thränen Den Sand und den Stein. „O Mutter, woll in Gnaden Um den Buben dort sein. Denn die Jager sind droben, Und finden sie'n dort, — Ο Mutter bewahr' ihn Vor Tod und vor Mord."| 5 10 15 20 25 30 35 790 5 10 15 20 25 ( 30 ! j 35 Volksliedersammlung I Als unten im Thale Das Kind also fleht, Ein Jager auf dem Firner Vor dem Bub'n schon steht: „Grüß di Gott, mein lieber Oberi, Was führst du für'n Leben? Das Büchserl und 's Gamserl Das mußt du mir geben!" „Und's Büchserl und's Gamserl, Das geb' ich dir nit; Und geh' dir aus'm Wege Keinen einzigen Schritt." Der Jäger schlägt an schon, Und drückt schon den Hahn, Und der Bub' hat mit'm Stutzen Deßgleichen schon gethan. Kein Wort mehr, 's ist gar (aus) schon, Die Stutzen nun knalln; Und der Bub' und der Jager, Vom Felsen herab falln. Das Madel im Thale Weint die Augen schier roth; Denn der Bub', den sie gern hat, Der Bub', der ist todt. Ι IHochländische Lieder. I.) Am Berg liegt ä Dorf, Und im Dorf steht ä Haus, Und da schaut ä lieb's Dirnd'l Zum Guckfenster h'naus. Wenn ich's Dirnd'l thu' sehn, Ei da wallt mir das Blut; Denn ich muß halt gestehn: Bin dem Dirnd'l gar gut! 791 Volksliedersammlung Bin ihr gut bis zum Sterben, Wenn's Dirnd'l es nur wüßt'; Wollt ihr's tausendmal sagen, Hab' sie tausendmal geküßt. | I I .) Früh Morgens im Nebel Steigt der Jager auf die Höh', Und ich schau ihm halt nach Bis i ihn gar nit mehr seh'. Ich hör' ihn noch jodeln In die Waldung hinein, Ο wie gern möcht' ich alleweil Ein Spitzhunderl sein! Er herzt ja sein Hunderl, I weiß, daß er's liebt — Der Jager ist fern Und mein Herz ist betrübt. |m.) Ο hätt' i dich nimmer Und nimmer gesehn! Könnt' heiter, wie immer Zum Kirmestanz gehn. Nun liegst mir im Herzen Nun liegst mir im Sinn, Und i weiß nit, ob i noch Der Toni mehr bin. Wo Spiel war und Tanz war, Bin i alleweil gewest; Und gesprungen und gejodelt Hab' i allweil am best'! 5 10 15 20 25 30 792 Volksliedersammlung Nun sizt mir die Liebe halt Im Hals und im Bein; Und i kann nit mehr springen, Nit fröhlich mehr sein. |rv.) 1.) Ueber'm Berge, sagt er, steht der Mond, sagt er, Und zur Hütten, sagt er, schaut er h'nein. In der Hütten, sagt er, sizt ä Madel, sagt er, Möcht' so gerne, sagt er, bei ihr sein. 2.) Hätt' ä Dirnd'l, sagt er, wie ä Lüie, sagt er, Hab' das Dirnd'l, sagt er, treu geliebt, Und das Dirnd'l, sagt er, liebt 'n Andern, sagt er, Und das hat mich, sagt er, tief betrübt. 3.) Hätt' ä Dirnd'l, sagt er, ach! ä herzigs, sagt er! Und ich mußte, sagt er, von ihr scheid'n — Hab' verloren, sagt er, ach auf ewig, sagt er, Mit dem Dirnd'l, sagt er, alle Freud'n. | |4.) Ο Du Falsche, sagt er, Gott verzeih dir, sagt er, Deine Küsse, sagt er, war'n Gift, Und Dein Wort, sagt er, war'n Dolch, sagt er, Der ins Herze Dich, sagt er, selber trifft. 5.) Viele Sterne, sagt er, giebt's am Himmel, sagt er, Und viel Madel, sagt er, auf der Welt; Und die Sterne, sagt er, wissen's einzig, sagt er, Welches Madel, sagt er, mir gefällt. 5 10 15 20 25 30 793 Volksliedersammlung IV.) Der Sennerin Gruß. Grüß dich Gott, lieber Bub'! Wie gefallt's du denn hier? Im Gebirg auf der Matten Da giebts halt kein Bier! Ä Milch und ä Käs Und ä Liedl und ä Kuß, Ist g'nug, weil der Bub' Damit zufrieden sein muß. Hast 'n Hunger gar zu groß, Sein d' Bissen dir z' schmal; Nun so reiß dich halt los Und geh' h'nunter ins Thal. Im Thal f indst du Wecken Und Madel und Bier; — Aber laß dich nit necken Und bleib' ä wen'g hier. 1 |vi.) Bin in München gewesen, Da werden Häuser gebaut, Da wird die Weisheit gelesen — Und ä Gut's (gutes Bier) wird da gebraut. Von Tölz bis nach München, Da fährt sich's geschwind — Und aufm Schloß steht ä Fahnerl, Das dreht sich nach'm Wind. Wenn's Fahnerl aufm Schlosse Sich herumgedreht hat, Da drehn sich die Fahnerl Ueberau in der Stadt. In München, da haben's Ä Theater gebaut, Und im Theater, da hab' i Einen Affen angeschaut. 5 10 15 20 25 30 35 794 5 10 15 20 25 Volksliedersammlung In München giebts Madel, Die schönsten von der Welt; — 's ist alles zu haben In München um baar Geld. 1 I 's Blümeli. Schweizerisch. I hab' ein artiges Blümeli g'seh, A Blümeli roth und wieß, Selb's Blümeli seh i nimma meh, Und das thut mir im Herzen so weh! „O Blümeli mi, ο Blümeli mi! I möcht' gern bi der si!" Ο laßt mi bi mei Blümeli si, I schänd' es wahrli nit. Es tröpfelt wohl a Thräneli dri, Doch wer kann imma luschtich si. „O Blümeli mi, ο Blümeli mi, I möcht' gern bei der si!" Und wenn i einst gestorben bi, Und's Blümeli auch verblüht, Dann leget doch, i bitte jih, Dann leget's auf das Grab zu mi. „O Blümeli mi, ο Blümeli mi, I möcht' gern bei dir si." 1 IOesterreichische Lieder. ι.) Chimmt a Vogerl geflogen, sezt sich nieder auf mein Fuß, Hat a Zetterl im Goscherl und vom Diarnd'l an Gruß. 30 Und a Büchserl zum Schießen und a Straußring zum Schlag'n, Und a Diarnd'l zum Lieben muß a lust'ger Bu han. 795 Volksliedersammlung Hast mi allweil vertröstet auf die Summeri-zeit, Und der Summer ist chimma und main Schatzerl is weit. Daheim is main Schatzerl, in der Fremd' bin i hier, Und es fragt halt kain Chatzerl, chain Hunderl nacher mir. Liebs Vogerl, flieg weiter, nimm ä Gruß mit, ä Kuß! Und i chan di nit b'glaita, wail i hierblaibi muß. Π·) Juchhe! unsa Pfarra hat's Küssen aufgebracht, Und i und mein Regerl haben's glei nachi gemacht. I Mondscheinlied. Verstohlen geht der Mond auf, Blau blau Blümelein! Durch Silberwölkchen führt sein Lauf, Rosen im Thal, Mädel im Saal, ο schönste Rosa! (Jenny!) Er steigt die blaue Luft hindurch, Blau blau Blümelein, Bis daß er schaut auf Löwenburg Rosen im Thal, Mädel im Saal, ο schönste Rosa! Ο schaue Mond durchs Fensterlein, Blau blau Blümelein! Schön Trude lock mit Deinem Schein, Rosen im Thal, Mädel im Saal, ο schönste Rosa! Und siehst du mich und siehst du sie Blau blau Blümelein, Zwei treure Herzen sahst du nie, Rosen im Thal, Mädel im Saal, ο schönste Rosa! 5 10 15 20 25 796 Volksliedersammlung I Traum. Ich hab' die Nacht geträumet Wohl einen schweren Traum, Es wuchs in meinem Garten Ein Roßmarienbaum. Ein Kirchhof war der Garten, Ein Blumenbeet das Grab, Und von den grünen Bäumen Fiel Krön' und Blüthe ab. Die Blüthe thät ich sammeln In einem goldnen Krug; Der fiel mir aus den Händen, Daß er in Stücke schlug. Draus sah ich Perlen rinnen, Und Tröpflein Rosenroth; Was mag der Traum bedeuten? Ach Liebster, bist du todt? \Die beiden Königskinder. Ach Mutter, liebe Mutter! Mein Kopf thut mir so weh; Ich wollte gern spazieren Wohl an der grünen See! Ach Tochter, liebste Tochter, Allein laß ich dich nicht; Mit deinem ältsten Bruder Sollst du spazieren gehn. Ach Mutter, liebe Mutter, Mein Bruder ist ein Kind, Der schießt mir alle Vögelein, Die in dem Walde sind. Ach Tochter, liebste Tochter, Allein laß ich dich nicht! Mit deiner jüngsten Schwester Sollst du spazieren gehn! 5 10 15 20 25 30 35 i 797 Volksliedersammlung Ach Mutter, liebste Mutter, Meine Schwester ist ein Kind, Die pflückt mir alle Blümelein, Die auf dem Felde sind. Sie schlang sich um ihren Mantel, Den Shawl nahm sie in die Hand, Sie ging so lang spazieren, Bis sie den Fischer fand. Ach Fischer, guter Fischer, Willst du verdienen Lohn, So greif mir aus den Wellen Einen reichen Königssohn. | |Der Fischer warf behende Sein Netz wohl in den Strom, Sieh da, du liebe Jungfer, Hast einen Königssohn. Sie nahm ihn in ihre Arme, Sie küßte seinen Mund; Ach Schätzchen, könntst du reden, So war mein Herz gesund. Was schwang sie von ihrem Halse? Eine Kette, von Golde roth; Sieh da, du armer Fischer, Kauf deinen Kindern Brod. Was zog sie von ihrem Finger? Einen Ring von Golde roth; Sieh da, du lieber Fischer, Hast deinen verdienten Lohn. Sie schwang sich um ihren Mantel, Und sank wohl in die See; Gute Nacht, mein Vater und Mutter, Ihr seht mich nun nicht mehr! Da hört man Glöcklein läuten, Da hört man Jammer und Noth; Hier liegen zwei Königskinder, Die sind alle beide todt. 5 10 15 20 25 30 35 798 5 10 15 20 25 30 35 Volksliedersammlung I Treue. Es stand eine Linde im tiefen Thal, War unten breit und oben schmal. Worunter zwei Verlobte sassen, Vor Liebe ihr Leid vergassen. Feins Liebchen, wir müssen von einander, Ich muß noch sieben Jahre wandern. Mußt du noch sieben Jahre wandern, Heirath ich doch keinen andern. Und als die sieben Jahre umme waren, Sie meinte, ihr Liebchen käme bald. Sie ging wohl in den Garten, Feins Liebchen zu erwarten. Sie ging wohl in das grüne Holz, Da kam ein Reiter geritten stolz. Gott grüß dich Mägdlein feine, Was machst du so alleine? Ist dir dein Vater oder Mutter gram, Oder hast du heimlich einen Mann? Mein Vater oder Mutter sind mir nicht gram, Ich hab' auch heimlich keinen Mann! Gestern wars drei Wochen über sieben Jahr, Da mein Feinsliebchen ausgewandert war. Gestern bin ich geritten durch eine Stadt, Da dein Feinsliebchen hat Hochzeit gehabt. Was thust du ihm nun wünschen an, Daß er seine Treue nicht gehalten hat?| [„Ich wünsch' ihm alles Beste, So viel der Baum hat Aeste; Ich wünsch' ihm so viel gute Nacht, Als er nicht hat an mich gedacht; Ich wünsch' ihm so viel gute Zeit, So viel wie Sterne am Himmel sind; Ich wünsch' ihm noch viel mehre, So viel Sandkorn am Meere." 799 Volksliedersammlung Was zog er von seinem Finger? Von Gold und Silber ai Ringle. Er legt das Ringle ihr in den Schoos, Da hub sie an zu weinen groß. Sie weinet auch so süsse, Daß ihr das Ringle thut fliesse. Jezt rückt er mit seinem Federhuth, Daß sie ihn erst erkenne thut. Was zog er aus seiner Taschen? Ein Tuch schneeweiß gewaschen. Nimm hin, nimm hin, Herzliebste mein! Und trockne dir auch Dein Äugerlein, Ich wollt' dich nur versuchen, Ob mir Dai Mindl könnt' fluchen! I Die wunderbare Harfe. Dort wohnt am Rheinstrom ein Edelmann, Der hat zwei junge Töchterli gehabt. Die ältst' ist schwarz wie der Boden gewesen, Die jüngste so weiß, wie der Sonnenschein. Die Schwester sagt zum Schwesterlein da: Komm, laß uns hinab zum Rheinstrom gehn! Und sie gehn und sie stehn am breiten Strand, Wirft die älteste ihr Schwesterli weg vom Sand. „Lieb' Schwesterlein, hilf mir doch auf an's Land, Ich wül dir auch geben mein rothes Goldband!" Dein rothes Goldband werd' ich schon bekommen, Doch sollst du auf Gottes grüner Erde niemals gehn. „Lieb Schwesterlein, hilf mir doch auf an's Land, Ich will dir auch geben mein seiden Gewand!" Dein seiden Gewand werd' ich schon bekommen, Doch sollst du auf Gottes grüner Erde nimmer gehn! „So grüsse mein Aetti (Vater) fromm und gut, Meine Hochzeit trink' ich in klarer Fluth." „So grüsse denn auch mein Mütterlein, Meine Hochzeit trink' ich im tiefen Rhein." „So grüsse meinen Bräutgam im grünen Land, Mein Brautbett hab' ich auf weissem Sand."! 5 10 15 20 25 30 35 800 Volksliedersammlung Dort wohnt auch ein Spielmann vom Rhein nicht wit, Und er geht zum Strand, wo die Leiche lit. (liegt) Und er langt sie aus dem Rheinstrom aus, Und macht sich eine schöne Harfe draus. Und er nimmt der Jungfrau schneeweisse Brust, Und die Harfe muß stimmen und klingen just. Und er nimmt der Jungfrau Fingerli do, (dann) Und macht sich Harfenschrauben dervo. Und er nimmt der Jungfrau Goldlöckeli, Die müssen ihm Harfensaiten sy. (sein) Zum Hochzeithaus trägt er die Harfe do, Wo die Brautleut' alle zusammen sin cho. (kommen.) Und als er auf der Harfe den ersten Schlag thut, Die Braut sizt im Brautstuhl frei Wohlgemuth. Und als er auf der Harfe den zweiten Schlag thut, Da fällt's seidene Gewand wohl ab von der Braut. Und als er auf der Harfe den dritten Schlag thut, Da liegt im Brautstuhl todt die Braut. 1 \ Der Jäger. Bei nächtlicher Weü, an eines Waldes Born, That ein Jäger gar trauriglich stehen, An der Hüfte hängt stumm sein güldenes Horn, Wild im Wind die Haare ihm wehen, ja wehen! Die du dich in Träumen mir gezeiget hier, Traute Nixe, schaff Ruh' in meiner Seelen, Du meines Lebens alleinige Zier, Was willst du mich ewiglich quälen? ja quälen! So klagt er und rauschend tönt's hervor, Aus des Quelles tiefuntersten Gründen, Wie ein Menschenlaut zu des Jägers Ohr: Komm herein, so thust Ruhe du finden, ja finden! 5 10 15 20 25 30 801 Volksliedersammlung Da stürzet der Jäger sich stracks hinein In die Tiefe, bald ist er verschwunden, Dort unten empfaht ihn das Liebchen fein, Seine Ruhe hat er endlich gefunden, ja funden! 1 |Drei Winterrosen. Wollt' einst a Maedl' um Wasser gehn, Hin zu dem kühlen Bronnen; Sie hatte ein schneeweiß Hemde an, Dadurch scheint ihr die Sonne. Sie schaut wohl hin, sie schaut wohl her, Ob sie auch war' alleine; Da kam ein stolzer Ritter her Geritten vom kühlen Weine. Er grüßt sie heibbisch, grüßt sie fein, Er grüßt sie in sieben Sprachen; Fains Maedle willst mein Liebchen sein, In meinen Armen schlafen? | |Eu'r Liebchen mag ich ja nicht sein, Sondern ihr bringt mir drei Rosen, Die auf einem Zweig gewachsen sind, Blühn zwischen Weihnachten und Ostern. Er ritt den Grunewald um und um, Er könnt' keine Rosen nicht finden; Er ritt wohl zur Frau Müllerin, Frau Müllerin, seid ihr darinne? Seid ihr darin, geht 'raus zu mir, Malt mir geschwinde drei Rosen, Die auf einem Zweig gewachsen sind, 5 10 15 20 25 Blühn zwischen Weihnachten und Ostern. | 30 |Frau Müllerin war ein geschwindes Weib, Drei Töchter halfen ihr mahlen; Die eine mahlt roth, die andere weiß, Die dritte könnt' allerhand mahlen. 802 Volksliedersammlung Wie's erste Röserlein fertig war, Der Knabe fing an zu singen: Freu dich, fains Maederlain, wo du bist, Die Rosen thu ich dir bringen! Wie's andere Röserlein fertig war, Der Knabe fing an zu pfeifen; Schick dich, fains Maederlain, wo du bist, Von hinnen mußt du reiten i| |Wie's dritte Röserlain fertig war, Der Knab' hub an zu lachen: Schick dich zu, fains Maederlai, wo du bist, Ganz traurig will ich dich machen. Sie meint, sie hätt's im Schimpf (Scherz) geredt, In Ernst hat er's genommen; Seis dir, feins Maedle, lieb oder leid, Mit Listen hab' ich dich bekommen! \Das Blumenhaus. Altdeutsches Lied aus dem 16t en Jahrhundert. Wohl heute noch und morgen, Da bleibe ich bei Dir; Wenn aber kommt der dritte Tag, So muß ich fort von hier! Wann kommst du aber wieder Herzallerliebster mein, Und brichst die rothen Rosen, Und trinkst den kühlen Wein? Wenns schneiet rothe Rosen, Wenns regnet kühlen Wein, So lang sollst du noch harren, Herzallerliebste mein![ |Ging sie in Vaters Gärtelein, Legt nieder sich, schläft ein, Da träumet ihr ein Träumelein, Wie's regnet kühlen Wein. 5 10 15 20 25 30 35 803 Volksliedersammlung Und als sie da erwachte, Da war es lauter Nichts, Da blüheten wohl die Rosen, Und blüheten über sie. Ein Haus thät sie sich bauen Von lauter grünem Klee, Thät auf zum Himmel schauen, Wohl nach dem Rosenschnee. | |Mit gelb Wachs thät sie's decken, Mit gelber Lüie rein, Daß sie sich könnt' verstecken, Wenn's regnet kühlen Wein. Und als das Haus gebauet war, Trank sie des Herrgotts Wein, Ein Rosenkränzlein in der Hand Schlief sie darinnen ein. Der Knabe kehrt zurücke, Geht zu dem Garten ein, Trägt einen Kranz von Rosen, Und einen Becher Wein.| |Hat mit dem Fuß gestossen Wohl an das Hügelein, Er fiel, da schneiet es Rosen, Da regnet's kühlen Wein. \Die Kronschlange. Bergisch. Der Jäger längst dem Weiher ging, Die Dämmerung den Wald umfing. Was plätschert in dem Wasser dort? Es kichert leis in einem fort. Was schimmert dort im Grase feucht? Wohl Gold und Edelstein mich deucht. Kronschlänglein ringelt sich im Bad, Die Krön' sie abgeleget hat. Jezt gut es wagen, ob mir graut, Wer Glück hat, führet heim die Braut!| 5 10 15 20 25 30 35 804 Volksliedersammlung IΟ Jäger, laß den goldnen Reif, Die Diener regen schon den Schweif. Ο Jäger, laß die Krone mein, Ich geb' dir Gold und Edelstein. Wie du die Krön' mir wiederlangst, Geb' ich dir alles, was Du verlangst. Der Jäger lief, als sei er taub, Im Schrein barg er den theuren Raub. Er barg ihn in dem festen Schrein, Die schönste Maid, die Braut war sein. \Jung Häuschen. Bergisch. Jung Hännschen saß am hohen Thor! Schön Lindenzweig! Der Regen fiel, jung Hänschen fror! Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhn. Die Hand, sie fror, daß Gott erbarm, Schön Lindenzweig! Das Herzchen, das schlug innen warm, Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhn. Und frier' ich hier in Sturmessaus, Schön Lindenzweig! Geduld, ich lach' euch Lacher aus. Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhn.| |Der Pfortenring klang durch die Nacht, Schön Lindenzweig! Das Pförtlein leis ward aufgemacht. Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhen. Der Regen schlug an's hohe Thor, Schön Lindenzweig! Jung Hänschen stand nicht mehr davor! Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhn. Um meinetwillen litt'st du Frost, Schön Lindenzweig! Ich wärm' dich wieder, sei getrost! Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhn.l 5 10 15 20 25 30 35 805 Volksliedersammlung I Sei sorglos, schönstes Ritterkind, Schön Lindenzweig! Die Hand nur kältet Guß und Wind. Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhen. Jung Hännschen ruht in Wallburgs Arm, 5 Schön Lindenzweig, Drinn wird ein starrer Stein wohl warm. Ο Abend, ο Abend, die müden Arme ruhen. \Alcino. Spanisch. 10 Ο wie traurig singt Alcino. Amphion der Guadiana, Singt das kurze Glück des Lebens, Singt des Lebens dauernd Unglück. Mächtig schlaget er die Saiten Der beseelten goldnen Leier, Daß die Berge mit ihm klagen, Und die Wellen mit ihm weinen: „Kurzes Leben, lange Hoffnung, Nichtig Glück und daurend Unglück." Glück ist sang er jene Blüthe, Die die Morgenröthe weckte, Sie versinkt im Strahl der Sonne, Und verwelkt am frühen Abend. Und die Berge klagen wieder, Und die Wellen mit ihm weinen: „Sie versinkt im Strahl der Sonne, Und verwelkt am frühen Abend." | (Unglück ist die mächt'ge Eiche, Die mit ihrem Berge währet, Zeit auf Zeiten kämmt das Schicksal Ihr die starren grünen Haare. Und die Berge klagen wieder, Und die Wellen mit ihm weinen: „Zeit auf Zeiten kämmt das Schicksal Ihr die starren grünen Haare." 15 20 25 30 35 806 5 π 15 20 25 30 35 Volksliedersammlung Wie der Hirsch, den Pfeil im Herzen, So entfliehet unser Leben, Eine Schnecke kriecht die Hoffnung, Langsam hinter seinem Fluge. Kurzes Leben, lange Hoffnung, Nichtig Glück und dauernd Unglück! Und die Berge klagen wieder, Und die Wellen mit ihm weinen: „Kurzes Leben, lange Hoffnung, Nichtig Glück und dauernd Unglück!" \Der klagende Fischer. Spanisch. Auf einem hohen Felsen, Der trotz den wilden Wellen, Dastehet Tag und Nächte, Und seine Seiten darbeut; Da saß ein armer Fischer, Sein Netz lag auf dem Sande; Ihn hatte Glück und Freude Mit seiner Braut verlassen. — Ο wie er traurig klagte. Daß unter ihm die Wellen, Und hinter ihm die Felsen, Und rings um ihn die Winde, In seine Lieder ächzten: „Wie lange süsse Feindin, Wie lange willst du fliehen, Willst härter als der Fels sein, Und leichter als die Winde!" Ο wie er traurig klagte !| |„Ein Jahr ist's Undankbare, Seit Du dies Ufer flohest, Das, seit Du flohest, wild ist, Und stürmt wie meine Seele. Mein Netz entsinkt den Händen, Wie mir das Leben hinsinkt, Mein Herz zerbricht am Felsen, Wie diese Welle spaltet." Ο wie er traurig klagte! 807 Volksliedersammlung „Der über Land und Wogen Den schnellsten Raub bereitet, Und jeden Flüchtling haschet, Ο Liebe, leichter Vogel! Was helfen dir die Flügel, Was helfen dir die Pfeüe, Wenn die dir immer fliehet, Die mir mein alles raubet!" Ο wie er traurig klagte i| |Daß unter ihm die Wellen, Und hinter ihm die Felsen, Und rings um ihn die Winde In seine Lieder ächzten. 5 10 Das schiffende Brautpaar. Spanisch. 15 Hoch in weissem Schaume flogen Vier barbarische Galeeren, Machten schnelle Jagd auf eine Kleine spanische Gallione; In der ein beglücktes Brautpaar Freudig durch die Wellen schiffte: Er ein Edler aus Mallorka, Sie die Schönste Valenciana. Hold begünstigt von der Liebe, Sehnen sie sich nach Mallorka, Da ihr Freudenfest zu feiern, Da zu sehn der Liebe Heimath. | |Und je mehr bei stillem Ruder Sanfter sich die Wellen neigen, Immer schmeichlender die Winde Rauschten in der Liebe Segel; Sehen schnell sie sich umgeben, In der tiefsten Meeresenge, Schnell von allen Seiten kommen Auf sie stolze Feindesmassen, Die die Raubessucht beflügelt, Wie sie flügelt kaltes Schrecken; Zarte Silberperlen weinend Flehet so die arme Dame: 20 25 30 35 808 5 10 15 20 25 30 35 Volksliedersammlung „Holdes liebes frisches Lüftchen, Wärest Du der Flora Liebling, Denk an deine ersten Küsse, Und errette uns're Liebe." | |„Du, der mit der Götter Allmacht, Wenn du auf ein Schiff ergrimmest, Schleuderst es auf Sand des Meeres Als ob's hundert Felsen wären; Und der mit der Götter Müde, Wenn dir gute Menschen flehen, Eine Arme, Meerestrümmer Kannst aus Königsflotten retten; Rette unser liebend Segel, Aus den Händen jener Räuber, Wie du aus der Geyer Klauen Rettest eine weisse Taube." Und je mehr bei stillem Ruder Sanfter sich die Wellen neigen, Desto rascher wehn die Winde, Sie in ihrer Liebe Heimath. |Der Brautkranz. Spanisch. Voll von Ruhm und Siegeszeichen, Mehr als Mars es je gewesen, War der edle tapfre Gazul Nun aus Gelves heimgekehret. Wohl empfing ihn in Sankt Lucar Lindaraja seine Dame, Die ihn ο wie zärtlich liebet, Und nicht minder liebt er sie. Beide nun allein zusammen, In des Blumengartens Blüthe, Wechseln sie der Liebe Pfänder, Jedes fühlet, wen es liebet. Lindaraja hat aus zarter Neigung einen Kranz geflochten, Schön von Nelken und von Rosen Und von auserwählten Würzen. I 809 Volksliedersammlung Hat ihn rings versteckt mit Veilchen, Die die Blümlein sind der Liebe, Und so sezt sie ihrem Gazul Auf das Haupt den Kranz und rühmet: „Nimmer war doch Ganymedes Schön wie du vom Angesichte, Wenn dich Jupiter jezt sähe, Führet er dich mit sich fort." Gazul freudig sie umarmend Spricht mit Lachen: „meine Liebe, Schön wie du war wahrlich jene Griechin nicht, die Paris raubte, Um die alles stand in Flammen, Um die Troja ging verloren, Schön wie du war jene nimmer, Du die Siegerin des Amor!"| ]„Wenn ich denn so schön dir scheine, Gazul laß uns uns vermählen, Hast mir ja dein Wort gegeben, Mein Gemahl zu werden, Gazul." „Wohl, ο wohl, spricht Gazul, laß uns, Denn dabei bin ich Gewinner!" Und so feiern sie mit Freude Hochzeitsfest und werden Christen. I Straßburg. Rheinisch. Ο Straßburg, ο Straßburg, Du Wunderschöne Stadt! Darinnen liegt begraben Ein mannicher Soldat. Ein mannicher und schöner, Auch tapferer Soldat, Der Vater und lieb Mutter Böslich verlassen hat. 5 10 15 20 25 30 810 Volksliedersammlung Verlassen, verlassen, Es kann nicht anders sein, In Straßburg, ja zu Straßburg Soldaten müssen sein. Die Mutter kam gegangen, Wohl vor des Hauptmanns Haus: „Ach Hauptmann, lieber Hauptmann, Gebt meinen Sohn heraus !"| |„Und wenn ihr mir gebet Selbst noch so vieles Geld, Muß doch dein Sohn jezt sterben, In weiter, breiter Welt; In weiter, in breiter, Allvorwärts vor den Feind, Wenn gleich sein schwarzbraun Mädchen So bitter um ihn weint." Sie weinet, sie greinet, Sie klaget gar zu sehr: „Leb wohl mein herzig Schätzchen, Ich seh' dich nimmermehr." 1 Wie kommt es, daß Du traurig bist? Rheinisch. Jäger. Wie kommt's, daß Du so traurig bist, Und gar nicht einmal lachst? Ich seh' dir's an den Augen an, Daß Du geweinet hast! Schäferin. Und wenn ich auch geweinet hab', Was geht es Dich denn an? Ich wein', daß du es weißt, um Freud', Die mir nicht werden kann. Jäger. Wenn ich in Freuden leben will, Geh' ich in grünen Wald; Vergeht mir all mein Traurigkeit, Und leb', wie's mir gefällt. | 5 10 15 20 25 30 35 811 Volksliedersammlung I Schäferin. Mein Schatz ein wackrer Jäger ist, Er trägt ein grünes Kleid; Er hat ein zart roth Mündelein, Das mir mein Herz erfreut. Jäger. Mein Schatz ein holde Schäfrin ist, Sie trägt ein weisses Kleid, Sie hat zwei zarte Brüstelein, Die mir mein Herz erfreun. Beide. So bin ich's wohl, so bist Du's wohl; Feins Lieb, schön Engelskind, So ist uns allen beiden wohl, Da wir beisammen sind. Aus der Zeit der Hohenstaufen. Ich bin Din, Du bist min! Deß sollst Du gewiß sin. Du bist beslozzen (eingeschlossen) In minem Herzen; Verloren ist das Slüzzelin, (Schlüsselein) Drum mußt Du immer darinne sin. I Wenn ich ein Vöglein war. Rheinisch. Wenn ich ein Vöglein war', Und auch zwei Flüglein hätt', Flog' ich zu Dir; Weil's aber nicht kann sein, Bleib' ich allhier. Bin ich gleich weit von Dir, Bin ich doch im Schlaf bei Dir, Und red' mit Dir; Wenn ich erwachen thu, Bin ich allein. 5 10 15 20 25 30 35 812 Volksliedersammlung Vergeht keine Stund in der Nacht, Da mein Herze nicht erwacht, Und an dich gedenkt, Daß Du mir viel tausendmal Dein Herze geschenkt. I Verlorne Schwimmer. Norddeutsch. Es wirbt ein schöner Knabe Da über'm breiten See, Um eines Königs Tochter, Nach Leid geschah ihm Weh. „Ach Knabe, lieber Buhle, Wie gern war' ich bei Dir, So fliessen nun zwei Wasser, Wohl zwischen Dir und mir." „Das eine sind die Thränen, Das and're ist die See, Es wird von meinen Thränen Wohl tiefer noch die See." Ja, wie auf dem Pokale Zum Spiel ein Lichtlein schwebt, Wenn es beim hohen Mahle, Auf Königs Wohlsein geht; So sezt sie auf das Wasser Ein Licht auf leichtes Holz, Das treibet Wind und Wasser Zu ihrem Buhlen stolz. | IAls der es aufgefangen, Er rief aus voller Brust: „Mein Stern ist aufgegangen, Ich schiff ihm nach mit Lust." Das Lichtlein auf den Händen, Er schwamm zum Liebchen her, Wo mag er hin sich wenden, Ich seh sein Licht nicht mehr? 5 10 15 20 25 30 35 813 Vol ksliedersamm lung Liegt er in ihrem Schoosse, Sein Lichüein wendet ab? Liegt er im Wasserschlosse In einem nassen Grab? Der eifersüchtige Knabe. Rheinisch. Es stehen drei Stern' am Himmel, Die geben der Lieb' ihren Schein: „Gott grüß euch, schönes Jungfräulein, Wo bind' ich mein Rösselein hin?" „Nimm du es, dein Rößlein, beim Zügel, beim Zaum, Bind's an den Feigenbaum. Setz' dich ein' kleine Weü nieder, Und mach mir eine kleine Kurzweü." „Ich kann und mag nicht sitzen, Mag auch nicht fröhlich sein, Mein Herz ist mir betrübet, Fein's Lieb, von wegen dein." Was zog er aus der Taschen? Ein Messer, war scharf und spitz, Er stach's seiner Lieben durch's Herze, Das rothe Blut gegen ihn sprizt. | |Und da er's wieder herausserzog, Von Blut war es so roth: „Ach reicher Gott vom Himmel, Wie bitter wird mir der Tod!" Was zog er ihr abe vom Finger? Ein rothes Goldringelein, Er warf's in fliessend Wasser, Es gab seinen klaren Schein. „Schwimm hin, schwimm her Goldringelein! Bis an den tiefen See! Mein Feinslieb ist mir gestorben, Jezt hab' ich kein Feinslieb mehr." 5 10 15 20 25 30 814 5 10 15 20 25 30 35 Volksliedersammlung So gehts, wenn ein Mädel zwei Knaben lieb hat, Thut Wunderselten gut, Das haben wir beide erfahren, Was falsche Liebe thut. \Spottlied. Norddeutsch. Das Mägdlein will ein Freier hab'n, Und sollt sie'n aus der Erde grab'n, Für fünfzehn Pfennige. Sie grub wohl ein, sie grub wohl aus, Und grub nur einen Schreiber heraus, Für fünfzehn Pfennige. Der Schreiber hart' des Geldes zu viel, Er kauft dem Mädchen, was sie will, Für fünfzehn Pfennige. Er kauft ihr einen breiten Hut, Der war' wohl für die Sonne gut, Für fünfzehn Pfennige. Schreiber. Wohl für die Sonn', wohl für den Wind, Bleib Du bei mir, mein liebes Kind, Für fünfzehn Pfennige; Bleibst du bei mir, bleib ich bei dir, All' meine Güter schenk' ich Dir, Sind fünfzehn Pfennige. | I Mädchen. Behalt' Dein Gut, laß mir mein'n Muth, Keine andre leicht dich nehmen thut, Für fünfzehn Pfennige. Schreiber. Dein guter Muth, den mag ich nicht, Hat traun von treuer Liebe nicht, Für fünfzehn Pfennige; Dein Herz ist wie ein Taubenhaus, Fliegt einer nein, der andre aus Für fünfzehn Pfennige. 815 Volksliedersammlung I Knabe und Veilchen. Knabe. Blühe liebes Veilchen, Das so lieblich roch, Blühe noch ein Weüchen, Werde schöner noch. Weist du was ich denke, Liebchen zum Geschenke Pflück' ich Veüchen dich, Veilchen freue dich. Veilchen. Brich mich stilles Veilchen, Bin die Liebste dein, Und in einem Weilchen, Werd' ich schöner sein! Weist du, was ich denke, Wenn ich duftend schwenke Meinen Duft um Dich: Knabe liebe mich! I Verlorne Mühe. Schwäbisch. Sie. Büble, wir wollen ausse gehe, Wollen uns're Lämmer besehe, Komm liebes Büberle, Komm, ich bitt'. Er. Närrisches Dinterle, Ich geh' dir holt nit. Sie. Willst vielleicht ä Bissel nasche, Hol dir was aus meiner Tasche; Hol liebes Büberle, Hol, ich bitt'. Er. Närrisches Dinterle, Ich nasch' dir holt nit. Sie. Thut vielleicht der Durst dich plage, Komm, will dich zum Brunne trage; Trink, liebes Büberle, Trink, ich bitt'. Er. Närrisches Dinterle, Es dürst' mich holt nit. j 5 10 15 20 25 30 35 816 Volksliedersammlung \Sie. Thut vielleicht der Schlaf dich drücke, Schlaf, ich jag' dir fort die Mücke; Schlaf liebes Büberle, Schlaf, ich bitt'. ET. Närrisches Dinterle, Mich schläfert's holt nit. Sie. Gelt ich soll mein Herz dir schenke, Immer willst an mich gedenke; Nimm's liebes Büberle, Nimm's, ich bitt'. Er. Närrisches Dinterle, Ich mag es holt nit. I Täuschung. Jüngst faßt ich einmal frischen Muth, Und schaut in meines Lebens Riß; Doch sah ich in der tiefen Kluft Nur Rabenschwarze Finsterniß. Ich drückte gleich die Augen zu, Und sieh! da glänzet wunderbar Ein liebes Sternlein unten auf Wie Silber hell, wie Perle klar. Und leise, leise blick ich auf, Da schimmerts ferne noch, ganz fern, Und wie ich recht hinunterseh': Ach! meine Thräne war der Stern. 1 |(Aus Hoffmann: Kampfbilder.) 1.) Ich kann's nun nicht länger mehr tragen, Doch ist mir die Zunge so schwer; Und Dir Engel von Liebe zu sagen, Dazu lieb' ich dich viel zu sehr. 5 10 15 20 25 30 817 Volksliedersammlung 2.) Ich wüßt' nicht, was ich lieber war', Dein Schatten oder Du; So war ich ganz Dein liebes Selbst, Und so auch ich dazu. 3.) Nur noch, wenn ich mich selber seh', Im Spiegel Deiner Augen, Gefall ich mir und liebe mich, Und glaube was zu taugen. 4·) „Ich habe Dir ein Lied gestohlen", Gestehst Du mir mit süssem Scherz. Und stahlst Du nicht der Lieder Herz? Und wollt' ich's jemals wiederholen?! |(Aus Hoff mann: Kampfbilder.) Die Gefangenen. Das Blümlein sprach, das Vöglein sang, Und klagten sich ihr Leid, Das eine still, das andre laut, Gefangen alle Beid. Wie ist dem Blümlein denn, so fragt Der Sangeshelle Mund, Das Aug' im gold'nen Sonnenschein, Die Brust auf grünem Grund. „Es wieget ab und wieget auf Sein rosig Häuptelein, Und koset mit der Mutterbrust, Und lacht in sich hinein." So spricht sie matt und blickt ihn an, Und senkt ihr Haupt dann tief; Das Vöglein lehnt am Gitterstab Sich traurend an, und rief: O! Du, mein liebes Schwesterlein, Da droben auf den Höhn, Die Brust umwogt von Himmelsluft, Wie sang sich's da so schön! 5 10 15 20 25 30 35 818 Volksliedersammlung Doch Schwesterlein, so still und fromm, Wie wirst Du denn so bleich? „Das ist der Tod, doch weine nicht, Zur Mutter komm ich gleich." I Esthnisches Lied. Herzchen, Blümchen, goldnes Mädchen, Wenn ich Deinem Vater diene, Wenn ich Deiner Mutter diene, Dann bist Du die Meine. Herzchen, Blümchen, süsses Mädchen, Noch muß ich mir selber dienen, Bin noch nicht der Deine. 1 \ Jörru. Esthnisch. Jörru, Jörru, darf ich kommen? Nicht ο Liebchen heute; Wärest Du doch gestern kommen, Nun sind um mich Leute. Aber morgen, früh am Morgen, Schlankes liebes Aestchen, Kannst du kommen ohne Sorgen, Da bin ich alleine. Wenn der Maienkäfer schwirret, Früh im kühlen Thaue, Hüpf ich Liebchen Dir entgegen, Weißt auf jener Aue. 5 10 15 20 25 819 Volksliedersammlung I Die Fahrt zur Geliebten. Lappländisch. Dies Lied heißt Morse-faurog. Sonne wirf den hellesten Strahl auf den Orrasee! Ich möchte steigen auf jeden Gipfel, Wüßt' ich nur, ich sähe den Orrasee! Ich stieg auf ihn und blickte nach meiner Lieben, Wo unter Blumen sie jetzo sei. Ich schnitt ihm ab die Zweige, die jungen frischen Zweige, Alle Aestchen schnitt ich ihm ab, die grünen Aestchen. Hätt' ich Flügel, zu Dir zu fliegen, Krähenflügel, Dem Laufe der Wolken folgt' ich, ziehe zum Orrasee. Aber mir fehlen die Flügel, Entenflügel, Füsse, rudernde Füsse der Gänse, die mich trügen zu Dir.| I Lange genug hast Du gewartet, so viele Tage, Deine schönsten Tage, Mit Deinen lieblichen Augen, mit Deinem freundlichen Herzen. Und wolltest Du mir auch weit entfliehn, Ich holte Dich schnell ein. Was ist stärker und fester, als Eisenketten, gewundene Flechten, So flicht die Liebe uns unsern Sinn um, Und ändert WUT und Gedanken. Knabenwille ist Windeswille, Jünglingsgedanken, lange Gedanken. Wollt' ich sie alle hören, alle, Ich irrte ab vom Wege, dem rechten Wege. Einen Schluß hab' ich, dem will ich folgen, So weiß ich, ich finde den rechten Weg. Volksliedersammlung I Griechisch. Bändiger der Herzen Amor! Der der Berge Gipfel beuget, Komm von Deiner Nymphen Spiele, Komm vom Spiel der Aphrodite, Schau, ich knie Dir zu Füssen. Höre Kleobulus Wünsche, Und sei seiner Liebe gnädig. 1 \Lied der Sappho. Komm ο Cypris, komm mit Deinem Vollen goldnen Nektarbecher, Reich' ihn diesen holden Knaben, Meinen Freunden und auch Deinen. 1 Plato's Epigramm. Wenn zu den Sternen Du blickst, mein Stern, ο war' ich der Himmel, Tausendäugig sodann auf Dich hernieder zu schaun. I Wunsch. Griechisch. Ο war ich eine schöne Leier Von weissem Elfenbein, Und trügen schöne Knaben mich Zum Tanz in Libers Reihn! Od'r war ich schönes rothes Gold Noch nicht im Feuer geglüht, Und trüge mich ein schönes Weib Von züchtigem Gemüth! Volksliedersammlung \Lied der Freiheit. Griechisch. Myrthenzweige sollen mein Schwert umhüllen, Wie's Armodius und Aristogiton Trugen, als sie den Tyrannen erlegten, Und die Freiheit Athenen wiederschenkten. Bist, Armodius, Liebster! nicht gestorben, Auf der Seeligen Inseln wohnst Du, singen Dich die Dichter, singen,, daß Held Achilles Und Tydides und Diomed da wohnen. Myrthenzweige sollen mein Schwert umhüllen, Wie's Armodius und Aristogiton Trugen, als sie an Athenens Feste Den Tyrannen Ipparchus niederwarfen. Euch, ihr Liebsten, ewiger Ruhm wird bleiben, Dir, Armodius und Aristogiton, Daß ihr einst den Tyrannen niederwarfet, Und die Freiheit dem Vaterlande schenktet. {Räthsel um Räthsel. Ei Jungfrau, ich will ihr, Was aufzurathen geben, Und wenn sie es erräth, So heirath' ich sie eben. Was für eine Jungfrau Ist ohne Zopf? Was für ein Thurm Ist ohne Knopf? „Die Jungfer in der Wieg' Ist ohne Zopf, Der babüonisch Thurm Ist ohne Knopf." Was für eine Straße Ist ohne Staub? Welcher grüne Baum Ist ohne Laub? 5 10 15 20 25 30 35 822 5 10 15 20 25 30 35 40 Volksliedersammlung „Die Strasse auf der Donau Ist ohne Staub, Der grüne Tannenbaum Ist ohne Laub." Was für ein König Ist ohne Thron? Was für ein Knecht Hat keinen Lohn? „Der König in der Karte Hat keinen Thron, Der Knecht an dem Stiefel Ist ohne Lohn." | |Was für ein König Ist ohne Land? Was für ein Wasser Ist ohne Sand? „Der König auf dem Schilde Ist ohne Land, Das Wasser in den Augen Ist ohne Sand." Was für eine Scheere Hat keine Schneid'? Was für eine Jungfer Geht ohne Kleid? „Die schwarze Lichtputzscheere Hat keine Schneid', Die Jungfer in dem Meere, Die hat kein Kleid." Welches schöne Haus Hat weder Holz noch Stein? Welcher grüne Strauß Hat keine Blümelein? „Das kleine Schneckenhaus Hat weder Holz noch Stein, Der Strauß an dem Wirthshaus Hat keine Blümelein." | I Was für ein Herz Thut keinen Schlag? Und was für ein Tag Hat keine Nacht? 823 Volksliedersammlung „Das Herz an einer Schnalle Thut keinen Schlag, Der allerjüngste Tag Hat keine Nacht." Ei Jungfer, ich kann ihr Nichts aufzurathen geben, Und ist ihr es, wie mir, So heirathen wir eben. „Ich bin ja keine Schnalle, Mein Herz thut manchen Schlag, Und eine schöne Nacht Hat auch der Hochzeitstag." 1 \Albanesisches Lied. 5 10 (Bekannt gemacht durch Lord Byron in den Anmerkungen zu Harolds Pilgerfahrt. Anmerkung 30.) 15 Ich bin verwundet von Deiner Liebe; ich wollte verwundet sein. Du hast mich verzehrt! Ach, Mädchen, du hast mich in's Herz getroffen! Ich hab' es gesagt, ich wünsche keine andre Mitgift, Als Deine Augen und Augenwimpern! Die verwünschte Mitgift verlang' ich nicht, Nur Deine Augen ersehn' ich! Gieb mir deine Reize, Und laß die Morgengabe den Flammen! Ich habe geliebt dich Mädchen, mit unschuldiger Seele, Doch hast du zum dürren Baum mich gemacht. Legt' ich meine Hand auf Deinen Busen, was hab' ich gewonnen? Meine Hand ist zurückgezogen, doch glüht die Flamme fort! 1 20 25 824 Volksliedersammlung I Lettische Lieder. (Aus Hippels Lebensläufen — Zweiter Band. Beilage A.) I.) Du bist mir treu Karl, treu bist du mir! Ich weiß es, du bist mir treu, aber ach! Das arme Kornblümchen, das mir diese Zeitung brachte, Wie schlecht belohnt! Ich legte mir an ein Kornblümchen, So blau als Deine Adern, Wenn du das Hemd an Deinem nervigen Arm Aufgeschoben hast, So blau als der Himmel, Wenn der liebe Gott freundlich aussieht. Was mich das freut, daß ich's noch an der Wurzel ließ, Das arme Kornblümchen, Ich wollt' es abreissen und da war' es noch ärger! Sieh Karl! Ich muß es nur beichten: Ich riß ein Blättchen aus und sagt', „Er ist mir treu", Und das andre „Er ist mir nicht treu", Und wieder eins „treu", Und das andre „nicht treu".| |Das lezte war! treu! treu! Du bist mir treu! Das hat mir das Kornblümchen zugeschworen! Jammer und Schade, Daß die Blättchen abgerissen sind! Schade! daß es da im blossen Kopf steht! Schön, daß der Stengel noch an der Wurzel blieb. Schön, über alles schön, Daß Karl mir treu ist! 5 10 15 20 25 30 825 Volksliedersammlung |ιι.) Komm Schwesterchen, komm auf den grünen Kirchhof, Da liegt mein Mutterchen, Dein Mutterchen, Wir wollen sie besuchen beim Mondenlicht, Wenn gute Geister Nachtwandeln, Und wenn sie in den Mond sehen, In des lieben Gottes Nachtlampchen. Vielleicht erscheint sie uns, ο möcht sie! Vielleicht fragt sie, was wollt ihr Mein Paarchen ! Was hier? Dich! ach Dich! dich wollen wir, Dann kommt sie wohl mit, Und wenn sie nicht vom Kirchhof will, Vom grasgrünen Kirchhof; Laß uns bei ihr bleiben, Schwesterchen, Bei ihr! „Hier?" O! wenn wir nur bei Dir sind, Liebes Mütterchen i| |„Was werdet ihr essen?" Grünes Kraut, Das steht auf dem Kirchhof über und über. „Was trinken, Seht! kein Wasser des Lebens ist hier!" Den Thau des Morgens, den Thau des Abends, Wollen wir trinken, Und wenn der Thau sich des Morgens verspätet, Wollen wir unsere Thränen trinken, Die wir so lange weinen werden, bis das Aug' uns bricht. Wie das Deine brach. O! wenn wir nur bei Dir sind, nur bei Dir, liebes Mütterchen! Wir Dein Paarchen, Deine zwei kleinen Töchterchen, Die Treuen! 5 10 15 20 25 30 35 826 Voiksliedersammlung I ΠΙ.) Wo bleibst Du mein Liebchen! wo? Schreien darf ich nicht, Sonst möcht' es meine Mutter hören! Schreien darf ich nicht, allein ich rufe, Liebchen! Liebchen! so wie ein Zeisig: Liebchen, Liebchen! Wo bleibst Du mein Liebchen, Wo bleibst Du, wo? Schreien darf ich nicht, aber der schöne Abend, Lispelt er Dir's nicht in's Ohr, Daß ich warte, Daß ich nach Dir sehe, Und nach Dir laufe? Ha! Da kommt sie, Nein ein Stieglitz, leicht — leicht, wie Du mein Liebchen! Wo bleibst Du? wo bleibst Du Hannchen? (Jenny?) Er kam nicht von Dir, War' er nicht sonst geblieben?] I Schreien darf ich nicht, aber hörst Du nicht, hörst Du nicht Liebchen? Hörst Du nicht die Nachtigal, Sie ruft Und ruft Dich mit! Die Nachtigall kann lauter sein als ich! Sie hat keine Mutter zu fürchten, Und keine Grete, Ich darf nicht schreien, Aber Reden wirst Du doch verstehn, Deutliche Reden, Nachtigalreden! Wo bleibst Du, mein Liebchen, wo? All' Augenblick denk' ich, Da, Da ist sie! Und immer ist's ein Vögelchen, Ein's schöner als das andre, Kein's so schön wie Duil 5 10 15 20 25 30 35 827 Volksliedersammlung I Wenn Du nicht mich, Nicht den Abend, Nicht die Nachtigal hören kannst; o! wenn Du taub, Uebertaub bist, Hör' den lieben Gott, Du hast mir versprochen, Zu kommen, Und kommst nicht! Weißt Du auch, daß die Nacht, Sturmwind, Ungewitter tanzen, Wo bleibst Du, Wo? Liebchen? Wo? IV.) Tanne, warum so stolz unter deines Gleichen? Warum Meuterei Wider die Königliche Familie der Eiche? Ich, Dein Landsmann, Aus Norden gebürtig, Wie Du, Finde keine Hoheit an Dir von Fuß, bis zur Scheitel! Wenn sanfte Winde Dich und alles, Was um Dich ist, Mit einer verstehbaren Sprache beleben, Rausche mir zu, Was Dein Vorzug ist, Damit ich's durch den Wiederhall Deinen Nachbaren, Wer sie auch sind, Verkündige, Auf daß sie dich ehren, Wie die königliche Eiche geehrt wird, Und wenn du's verdienst, Noch mehrij 5 10 15 20 25 30 35 40 828 Volksliedersammlung |Sieh' an die majestät'sche, Dreihundertjähr'ge Eiche, Die die Geschichte Des ganzen Waldes weiß, Da steht sie unerschüttert, Trotzt den Stürmen Aller Weltgegenden, Trozt Allem, Nur Gottes Donner nicht! Wenn Du Dich vor jedem Winde bückest, Und Dich windest, Und kriechst, Und wie ein Hoffmann schmeichelst, Damit jeder Wind Dich nicht aushebe, Und Deine Wurzel aufdecke, Allen, Die vorübergehn! Grün bist Du im Winter, Wenn die Eiche, Vom königlichen Schmuck entkleidet, Nach Art wahrer Grösse Vor ihren Unterthanen Sich nichts herausnimmt. Ist aber das Kleid Wahre Hoheit? | |Wo ist Dein Werth? Wenn sich auf einem einz'gen Eichenblatte Ganze Geschlechter Niederlassen, Und Du Nadeln statt Blätter zählst? Sieh nicht verächtlich Tanne! auf die tief unten Grünende Waldblume, Die, wenn sie im Frühling aufgeht, Und rings umher Im nackten Walde Alles öde und leer findet, Sich erst im Thaue badet, Um desto heller, Perlenklarer Zu Dir hinaufzublicken, Zu sehn das erste Baumgrün i| 5 10 15 20 25 30 35 40 829 Volksliedersammlung I Neige Dich zu dieser aufgehenden Waldblume Tanne! Die Du dich vor jedem nur rauschenden Winde so tief beugst! Blick her, Auf die Eiche, Die keinem Unterthan, Der zu ihr flieht, Schutz und Schirm versagt, Und wenn der in die Höhe strebende Baum, Von Buben gebrochen wird, Und sich zu ihr wendet, Ihm einen Ast reicht, Damit er den Streich verwachse, Den der Bube an ihm vollführte! |v.) Schmetterling! Schmetterling! Setz' Dich! Sieh' den Sperling, Der auf dich lauert, Und seinen Schnabel wezt, Um Dich Als einen Braten zu essen Und Salat Von dem Blättchen, Wo Du sitzest, Dazu zu picken! Schmetterling! Schmetterling! Setz' Dich! Ich will dir nicht einen Flügel ausreissen, Oder einen Fuß, Oder Dich ängstigen, Närrchen! Nein! Du bist klein, Wie ich! Gerg mein grösserer Bruder Fängt sich grössere Vögel, Und er geht nicht mit ihnen um, Wie ich mit Dir Umgehn werde 830 5 10 15 20 25 30 35 l| 40 5 10 15 20 25 30 35 Volksliedersammlung IWeißt du, was ich will? Ich will dich ein wenig ansehn, Schönes Jungferchen, Nicht lange! Ich weiß, du lebst nur kurz, armes Vögelchen! Künftigen Sommer bist du nicht mehr, Und ich bin schon sieben Sommer alt! Ich will dich nicht vom Leben aufhalten, armes Vögelchen! Aber besehn will ich Dich, Dein niedliches Köpfchen, Und dein schlankes Leibchen, Und deine Spitzenflügelchen, Das will ich besehen, Und damit du keine Zeit verlierst, Werd' ich dir ein Blättchen vorhalten, Damit du während dieser Zeit Essen kannst. Schmetterling! Schmetterling! Setz dich, Närrchen! Ich mein es gut mit dir! Schmetterling! Schmetterling! Setz' dich! |vi.) Klage um einen gefallnen Krieger. Krieger, Braut. Einer der Krieger. Der Krieger ist gefallen, doch fiel er? Nein, Er sank! Wer fällt, hat das Herz verloren, Und man braucht das Herz bis auf den lezten Lebenshauch. Er sank! Allmählig kam er zur Erde Hört es Krieger, die ihr mit ihm lebtet, Und nach ihm leben werdet! 831 Volksliedersammlung Nicht der Feind, nicht der Feind, Sondern der Tod Hat ihn übermannt. Den Krieger schlug er, der ihm den Todesschlag gab, Und der fiel, aber unser Held nicht. Unser — sank! Die Sonne geht allmählig unter .'| |Seht ihn, wie langsam er sich zum Staube neiget; Zum Staube, ein Held! Kommt, kommt! Laßt uns unter sein schwindelndes Haupt einen bemoosten Stein legen, Solch ein Kopfkissen geziemt ihm! Kommt! Laßt uns seinen Leib auf eine schöne Wiese tragen, Und den Blutstropfen nicht auswaschen, Der auf unser Kleid fällt! Es ist edles Blut! Der Staub soll sich nicht darin betrinken! Du, Grasreiche Wiese, Lager für einen Helden! Du verstehst diesen Trank, Du trägst Blumen für Helden, Womit sie bekränzt werden, Wenn sie den Frieden Auf schwarzgeword'nen Händen Heimtragen ! | [Er richtet sich auf! Kein Ach! Das kann kein Held aussprechen! Was ist's denn, was? Seine Zunge ist gelähmt, Er kann nicht mehr Er wollte Sieg! Krieger! die Deinen haben gesiegt: ha! wie er lächelt! Seht ihn den Grossen, eh' euch Engel verdrängen: denn die müssen zu solch einem Anblick herabstürzen, sie haben solcher nicht viel. Sieg! Held! Sieg! Gott! 832 5 10 15 20 25 30 35 40 Volksliedersammlung Solch leichtes Wort, kann er nicht mehr aussprechen. Gern wollt' er's! Aber hören kann er's! Schreit Brüder: Sieg! Sieg! Er lächelt wieder und — stirbt. I |θ glücklicher Halm! Ο glücklichster, auf den der lezte Tropfen fiel, auf den er noch warmes Blut thaute! Wie schnell wirst du wachsen, Und alles übersehn, Was rings um dich steht, Und grösser zu werden droht! O! glücklichste Männer! auf die noch der lezte Strahl Aus seinen Augen schoß! Wir hätten die Altarlichter dran anzünden können, so feurig! Er stirbt! - ich wollte weiter singen; kann ich? kann ich mehr? Er stirbt! Er stirbt Ist alles, was ich sagen werde, Bis auch ich sterbe i| |Das Erste und Lezte vom Menschen Ist das Beste! Ich habe viel gesehn! Sah ihn, wie er geboren ward, sah wie er starb! Ich hab' ihn ganz! Er lächelte, wie er zur Welt kam, Allein er lag so schön nicht Als jezt, Da er starb. Wie schön er da todt ist! So todt sind nur Wenige, Wie würd' es sonst schwer sein Zu sterben! 5 10 15 20 25 30 35 40 833 Volksliedersammlung Du hast gesiegt Held! Du hast den Feind überwunden, Und zween Tode, Zween Tode starbst du, Ohne zu sterben; Dem dritten mußtest du nachgeben. Du warst matt! — Ist's Wunder?| I Gönnt der heiligen Stelle die Ehre, Daß er noch länger darauf liege. Sie ist warm durch ihn geworden, Laßt sie auch kalt durch ihn werden. Der warme Tag ist schön, der kühle Abend auch, Und dann scharrt ihn nicht in's Thal, Auf jenen steilen Berg, Wo wenige hinauf können, Keiner, Der einen kurzen Othem hat. Da scharrt ihn auf die Spitze, Damit er den Berg Noch grösser macht. Er war Berg im Leben, und nicht Thal, Und muß bei seinesgleichen Im Tode.l Wie! Du willst ihm die Augen zudrücken? Laß sie starr, wie sie sind! Laß sie, Freund! Die Sonne bleibt Sonne, Wenn sie auch verfinstert ist, Und auch ein Viertel vom Mond ist Mond. Laß sie so starr, wie sie da sind. Ihre Seele ist weg, allein sie haben noch was, Das viele Augen mit Seelen Nicht haben. Es wohnt' eine grosse Seele in ihnen, Und das sieht man jedem Haus' an, Wenn schon der, welcher es baute, Lang todt ist. Aendre nichts, — Was die Natur will, Sei auch dein Wille. 5 10 15 20 25 30 35 40 834 Volksliedersammlung Willst du was thun? Setz' oben über sein Grab ein Kreuz, Das ist das größte Zeichen, Was mir bekannt ist. Eine Krone hat auch ein Pfau!I [Mache dieß Kreuz groß, Damit es in der See gesehen werde, Und Schiffe, Die sich verirren, Dieß Kreuz als Wegweiser ehren, Und sich freuen, Wenn sie es sehen. Lebe wohl, Streiter! Erzähle den Geistern des Himmels, Die nie gestorben sind, Daß es auch gut sei, zu sterben, Damit sie den Sterblichen Nicht verachten. Die Engel, die dich todt gesehn, Kannst du auf mein Wort Zum Zeugen rufen. Erhabner Todter! man achtet das Leben nicht, Wenn man dich stehet! Dir sieht man es an, Daß du nicht aufhören kannst, Daß du nicht aufgehört hast. Es stirbt nicht jeder auf gleiche Weise, Es lebt nicht jeder auf gleiche Art.| IStiller Mond! Dieß grosse Grab empfehl' ich dir! Du siehst viel, was die Sonne nicht sieht, Du bist ein Sonntagskind, Und kannst Gesichter sehn, Die sonst niemand zu sehn versteht! Du siehst fromme Geister, Wenn sie um die Gräber der ihrigen wanken, Die sie noch nicht in dem weiten Himmel Aufgefunden haben. Du siehst, wenn sie sich von ungefähr treffen, Und wenn sie den himmlischen Bund machen, „Wir lassen uns nicht In Ewigkeit." 5 10 15 20 25 30 35 40 835 Volksliedersammlung Du siehst erkenntliche Geister, Die ihren Ueberrest, ihren verwesenden Körper besuchen; Die Stück vor Stück von ihm Abschied nehmen, Und ihn bedauren, Daß er Körper war, Und daß er gestorben ist. | (Rührend muß es dir sein, Lieber Mond! Rührend, so was zu sehen, Wenn Geist und Leib Zusammen sich finden, Und sich nicht mit einander Besprechen können! wenn die Seele erkenntlich sein will gegen ihren guten Freund, den Leib, Und es nicht sein kann. Oft hab' ich einen Freund auf dem Bette gesehn, Mit dem es mir fast so ging, Als dem Geist Mit dem Erde werdenden Körper. Hier wankt ein Geist, der als roher Jüngling Ein warmblütiges, zu leichtgläubiges Mädchen In's Verderben zog. Bald war ihr Jammer vollendet. Sie starb, Ohne den Verräther Zu schelten, die Abgezehrte !J |lhr Auge durfte nicht zugedrückt werden, Es war so tief gesunken, Daß man's nicht mehr sehen konnte. Es war ein eingefallnes Grab! Sterbend rang sie ihre verwelkten Hände, Und bat um Gnade Bei Gott und Menschen! Die Menschen erhörten sie nicht. Mit Spott Und Schande Wurde sie begraben; aber jezt hat sie ausgerungen, ihre Leiden sind geendigt, Wann werden die Deinen geendet sein? Unglückseeliger! Wann? — 5 10 15 20 25 30 35 40 836 5 10 15 20 25 30 35 40 Volksliedersammlung Im Traume Sieht man alles grösser und näher, und so sehen Geister auch! Desto besser für den Guten, Desto schlechter für den Bösen, Mörder! Unglückseeliger! Das alles Mond, Seelenfreund! das alles siehst du als Sonntagskind, Und was siehst du nicht Unter den Lebendigen? Doch du bist verschwiegen, 1 ich will es auch sein |Mond! dem frommen Pilger, der nicht mehr die Kirchthürme der benachbarten Stadt reichen kann, Den der Tod auf dem Feld überrascht, Mond! diesem Pilger leuchte nach Hause, diesem Pilger sei dieß Kreuz ein Kirchthurm des Himmels! Mond! laß es dieß jedem Kreuzträger sein, Und jedem Böswicht Ein Schreckbüd! und endlich Mond! wenn unser Land Helden braucht, laß sie von diesem Grab' ausziehen, Und wenn blutdürstige Feinde wie Heuschrecken uns überfallen, dann verhülle Dein Haupt und dreimal Blitz' es um dieß Grab! Da sage dann ein Ehrenmann im Volke: so wie dieser Blitz, so blinkte mit dem Schwerdte, der da oben begraben liegt, da oben, Nah' am Himmel; und wie ein kalt Fieber im Frühling in die Glieder fährt, eh' man's merkt, so fahre Furcht und Schrecken In die Feinde, Wenn sie das Grab und das Kreuz drüber, im Blitze sehen !| 837 Volksliedersammlung IDas ist anders als ein Mondschein! Du bist derselbe, wo man geht und steht, Weit aussehender Mond! Sei den Freunden des Helden, uns den edlen Todtengräbern, sei ein Spiegel, In dem wir das Grab und das Ehrenzeichen drüber immer sehen, Wir mögen gehn und stehn, wo wir wollen, Und auch in Deinem lezten Viertel! — Bitt' ich zu viel, so denke, wie nah wir diesem Grab verwandt sind, Auch in deinem lezten Viertel sei dieß Grab bis zur Hälfte zu sehn bis zur Hälfte! Genug, Freunde! Mond! Kreuz! Grab! Das sei unsre Losung, Bis auch wir begraben werden im stillen Thale, wie es uns geziemet. Ein kleines Gräblein, das sich nichts über das Thal herausnehmen und kein Hügel sein darf, sei unser Haus! Wenn der Geisterseher, der. Seelenvertraute Mond, 5 10 15 20 Wenn er mit den Gräbern der Helden fertig ist und noch einen Blick übrig hat; er wird ungebeten Mit ein paar holden Strahlen Unsere Gräber beehren, Damit ein Minnesänger unser Ruhethal bemerke, und auf unser Grab durch heilige 25 Ahndung gebracht, Ein Grablied auf seine Geliebte singe, Und auf sich selbst eins, Weil jene ihm starb. | |üank sei euch, ihr Treuen, ihr Lieben des Helden, die er beschüzt hat! Wir haben eine heilige Pflicht erfüllet und Ehre gegeben, dem Ehre gebührt, Und einen Helden Und einen Berg Verbunden. Gleich mit Gleich. — Laßt uns froh heimgehen, denn es läßt nicht, Wenn Helden weinen, Und wer kann einen Berg mit Thränen im Auge ansehn, wer? Er hat überwunden und ist mit Ehren vom dritten Tode überwunden. Noch eine Pflicht liegt uns ob, Dieß Grab zu verhehlen Seiner Vielgetreuen. Was wir können, kann sie nicht. Sie ist so sehr ein Weib, als er ein Mann war! 30 35 40 838 5 10 15 20 25 30 35 40 Volksliedersammlung Kommt Freunde! Sie könnte uns überraschen, Kommt! Warum seht ihr euch um? Freunde kein Held sieht sich um, Kommt! Wir nehmen den Mond mit!| |Weh! Weh! Ist's nicht ihr Silberton? Versteckt Euch — doch nein! Es ist eine Nachtigal, die auch den Geliebten verloren hat. Solch ein paar Stimmen, Louisens und der Nachtigal sind leicht zu verwechseln. Schluchze nicht kleine Betrübte! Dein Geliebter ist nicht im Felde gewesen, da fällt nur, was vortrefflich und ehrlich ist unter den Menschen, Du wirst ihn wiederfinden, allein nicht Louise ihren Geliebten! Was für ein Geschrei? Ist's eine Taube, die nach ihrem Gatten girrt? Ist es ein Käutzlein, das erbärmlich sich hören läßt, Ist's beides? Ist's kein's? Ha! Freunde, Sie ist's, Es ist Louise! Gott, wie verändert! Aus einer Nachtigal, was ist sie worden? Kommt, laßt uns fliehen — fliehen — fliehen! Unsern Freund haben wir sterben gesehn! Louisen werden wir nicht leben hören können. Flieht Freunde! sie ist uns nahe! Verbergt euch ins Gebüsch tief — tiefer, Freunde eines Helden fliehen? verbergen? Doch! einem Weibe zum Besten, Dem Weibe eines Helden zum Besten! Solch ein Weib können nur Memmen aushalten! Männer nicht! Wir sind Helden, Freunde, weil wir fliehen, weil wir uns verbergen tief im Gebüsch. Je tiefer, Je Heldenmüthiger!| I Ist Louise nicht eine Heldin, Weil sie betrübt ist bis in den Tod! Weil sie ihre Stimme verloren hat und was weiß sie? 839 Volksliedersammlung Weiß sie mehr, als daß ihr Geliebter im Feld ist, Weiß sie seinen Tod, Weiß sie die Losung, Kreuz! Grab! Tod! Louise! Sie ist's, Freunde! Ο war' es ihr Geist! dann wären Franz und Louise doch bei einander! Wie hat ihr Gesang sich verändert! Hätt' ich sie nicht gesehn; durch's Gehör hätte sie niemand gekannt, der singen kann, niemand, der nur singen hören kann! Louise! Seufzt ihren Namen Freunde, seufzt inwärts! So wie der Seufzer aus dem Herzen kommt, stoßt ihn in's Herz — Sie könnt uns sonst merken und wir wären verloren. — Auf uns'rer Stirn würde sie lesen, was sie nicht wissen soll. Wir wären ihre Mörder! Die geheimen Worte: Kreuz! Grab! Tod! sind uns angeschrieben an der Stirne einmal! zweimal! dreimal! überall! — Stecket die Köpfe in' s Gebüsche! Jüngling! du hast noch wenig Kreuz gehabt, Du verstehst nicht, Seufzer zu dämpfen, Lern es von uns! — Freunde! wenn euch die Hände zittern und die Fuß' auch; Schlagt sie in's Kreuz, Damit eins das andre halte und Louise nichts merke. — In's Kreuz, Freunde! —| I Klage der Braut. Wo bist Du Franz? Wo bist du hin Falscher! Du liebst den Krieg mehr als mich, Den Tod mehr als das Leben! Wo bist Du? - Du hast deine Geliebte verlassen, die nach dir zielte, wie ein Jäger nach Wüd, nach dir sang, wie die Vögel im Frühling nach einander singen, bis sie sich gefunden. Wo sind Deine Schwüre, Deine Verwünschungen? Unglücklicher! Was hat der Krieg, das dich reizen konnte, da Du mich hattest! 5 10 15 20 25 30 35 40 840 Volksliedersammlung 5 15 10 Dein Leben gehört Gott, Dir und mir! oder besser, Gott, mir und dir! Und keinem von uns dreien giebst du es. Du bringest es dem Vaterland! Kennst du dieß Ungeheuer? Ich kenn' es nicht, ich mag es nicht, Ich will es nicht kennen, Dieses Blutdürstige Thier, Das seinen Weg Mit Menschenleichen pflastert, Um weich zu treten, Und an ausgebrannten Wäldern seine Lust sieht, Das jedes Grab haßt, Weü es lebt! -| [Vaterland, Wie häßlich bist Du! Auch meinen Geliebten hast du auf Deiner Seele, Wenn Du eine Seele hast! Vaterland! Du wohnst in einer Mördergrube! Franz! Wie konntest Du dich verleiten lassen! Ehre! Was ist Ehre? Weißt du es? Ich weiß es nicht! Wer uns in die Augen ehrt, ehrt uns der? Und wer's thut, wenn wir nicht dabei sind, ehrt uns der? Weiß dieser Fels, wenn ich sag', ein schöner Fels, Und richtet sich die abgehaune Tanne in die Höhe, wenn ich sag: ein trefflicher Baum? 30 Hören wir, wenn wir gestorben sind und was ist die Ehre, wenn wir nicht hören können, 20 25 35 40 Du hast falsch Geld eingewechselt, Franz! Schäme Dich, daß du gestorben bist. Doch! bist du todt Franz! Rede doch, ich ringe meine Hände, ich halt' sie gen Himmel! Ich — was weiß ich, was ich thue ! — So rede doch Franz! Bist du todt? Lebst Du? Verzeih' einem Weibe, daß sie nicht männlich denkt! | |Du hattest zwo Hände, Eine für mich, eine für Deine Pflicht! Es war Pflicht, daß du in den Krieg gingest, 841 Volksliedersammlung Du hattest dein Wort eher der Fahn' als mir gegeben. Verzeih' mir Franz! Ich sah' dein linkes Aug' in Thränen, da Du Abschied nähmest! Im Rechten war Muth. Eine Hand war stark, die andre sank. Ο Franz! Franz! Wenn wir uns doch eher gekannt hätten! — Vielleicht hättest du dich mit keiner andern Pflicht vermählt, als der Mich zu lieben! — Die schöne Pflicht! — Ist sie nicht schön? Traurig schön! Ο wenn du leben möchtest, doch — du lebst nicht, du bist todt, todt, todt! Ich sah dich kämpfen, du edler Kämpfer! Ich sah dich mit vielen zugleich anbinden. Ich sah dich kriegen, edler Krieger! Ich sah dich den ganz treffen, der dich halb traf, den stürzen, der nach dir schlug — Ich sah Blut und Schweiß, beides edel zusammenrinnen, und vor deiner Stirn stehn, und da der Zufluß zu stark war, es von deinen Wangen herabthauen — ich sah! Ο Gott! ich sah dich die Knie steifen, die schon zu sinken anfingen! Wie bleich, welche Blutdürre auf Deinen Wangen! wie welk, Tod! Da liegt er! das dacht' ich wohl, ich dacht' es Geliebter! daß du sterben würdest — Schreckliche Ahndung! doch war es blos Ahndung? Es war Zeichen vom Himmel, denn es starb ein Edler! Wenn ein solcher stirbt, macht man im Himmel Platz — O! ein Trefflicher ist gefallen l| IKlagt ihr Jungfrauen! Der edelste unter allen Jünglingen ist gestorben, Ohne seinen Stamm fortzupflanzen, Ohne einen Sohn zurück zu lassen, Der seinem Büde ähnlich. Klagt ihr Feigen! Ein Held ist todt. Klagt ihr Helden! Euer Bruder ist dahin. Es sterben tausend und abermal tausend mit ihm, Mich ungerechnet! — Ich fühlt' jeden Herzensstich, den er ausstand, den er überwand, und den lezten, lezten Todtes stich, der ihm das Leben nahm! Ach! Noch dehnt sich dieser Stich In meinem Busen! — 842 5 10 15 20 25 30 35 40 Volksliedersammlung Franz ist todt, todt, todt, todt! Rufe laut, überlaut, alles was rufen kann, todt! — Und was nicht Sprache hat, halle nach: todt! — Für mich alles todt. die ganze Welt todt — Mein Geliebter hin, alles hin — Leben hin, Tod hin, ach selbst der Tod hini| |Luise soll nicht in Franzens Arm sterben, 0! des schönen Todes in seinem Arm, So trefflich soll Luise nicht sterben, so lebendig nicht gen Himmel kommen! Ha, schreckliche Nacht, die ich überstand! Ich fühl' es, keine werde ich mehr überstehen — Ich träumte, was ich sang! Ahndungsvoll sprang ich auf im Traum, Und Ahndung bestätigt diesen Todtestraum: Franz ist todt! — Ich rief im Walde, wo das Echo so oft Franz nachgerufen! Ich rief in den Wald: Franz — keine Antwort. Nichts auf mein Franz, Auf mein wiederholtes Franz! Echo bist Du verstummt? Du rufst alles, nur Franz nicht — kannst Du den süssen leichten Namen Franz nicht mehr nachsprechen? Oder liegt es an mir, Daß ich mir nicht getraue, Ihn laut vorzusprechen! Ich könnte Franzen, dünkt mich, Im Sterben stören — Ihn stören, wenn ich schrie: Franz i| |ünd nun endlich wie aus einer tiefen Kluft hohl: Franz! Schnell lief ein Schauder mir durch alle Glieder, Durch den geheimsten Mark! Der schönste Namen in der Welt, Wie schrecklich ward er mir! Wie ist's Echo! Ich weiß alles! Heult nicht Hunde! Rufe nicht Eule! Laßt mich rufen, laßt mich heulen! Ich weiß alles! 5 10 15 20 25 30 35 40 843 Volksliedersammlung Schrecklich! Wie traurig das Licht brannte, als auf einer Leichenwache! Vergebens muntert ich's durch eine Nadel auf, womit mein Busen befestiget war. Vergebens facht' ich es an! Es wollte nicht, es konnte nicht! Franz auch Du hast Ausgebrannt. | (Umsonst wälzen dich Freunde, Umsonst schütteln sie Deine Hände! Umsonst! — Du bist todt, todt, todt! Doch sind es Freunde, Die dich umgeben? Vielleicht Feinde — Deine Mörder — Mörder, Die deinen Heldenwerth verkennen, Und sich nicht einst rühmen ihrer Mordthat. — Vielleicht rinnt Dein Blut, Dein edles Blut, in eine Pfütze voll von unreinem dicken Blut der gemeinsten Krieger! — Ο Franz! Wüßt' ich, Daß du wie ein Held begraben wärst, wie du gelebt hast, Wie Du gewiß gestorben bist, ich würde mich beruhigen, denn bald! bald! Werd' ich bei Dir sein!| (Wenn aber Dein Leib als Scheusal aufgestellt ist, Dein schöner Leib, Das Meisterstück der Natur, Franz! Was heb' ich an? Engel! Menschen? wen rühren meine Klagen zuerst? Wer ist am menschlichsten unter allen Geschöpfen — wer? Franz ist todt! todt! Wer zeigt mir den Weg zu dem einzigen Trost, Daß ich weiß, Daß ich sehe, 5 10 15 20 25 30 35 40 8 44 Volksliedersammlung Wie er todt ist! Wo seine matten Hände ruhen! Und seine kühne Brust! Wer ist der Holde? der mir den Schlüssel zu seinem Grabe giebt? Ο wäre sein Kämmerlein verschlossen! Wäre seine Gruft heilig, Wie ruhig !| \Der Krieger. Auf Freunde! Tretet hervor, folgt mir, Verdoppelt euren Schritt, Damit wir Luisen Das Grab des Helden zeigen! — Luise, Wenn du halst, Was Du versprochen hast, Wenn du ruhig sein willst, Wenn du es kannst! — Sie that einen Schwur Mit ihren Augen, die sie gen Himmel anstrengte — Diese Hände Trugen ihn in die Höhe, Sagte der Aelteste, Sie trugen ihn in den Vorhof des Himmels, Wo Lohn nach Arbeit auf ihn wartet. | |Mache Dein Auge groß Luise, Du sollst sein Grab sehen, Und ein Ehrenzeichen oben drauf. Gönn' ihm die Ruhe, Gönn' sie dir selbst! — Sein Andenken Sei uns ewig heilig! Bist Du vorbereitet? Hast Du den lezten Tropfen Thränen In deinem Aug' verwischt, Hast Du Stärke hinauf zu blicken? Wohlan! Dort oben schläft Franz! . 5 10 15 20 25 30 35 40 845 Volksliedersammlung Sie sah Mit einem umfassenden Blick. Ach! seufzte Luise! Schlug ein Kreuz Vor ihre Brust, und sank Todt zur Erde. 1 |(Aus: Agrumi gesammelt von A. Kopisch) Italienische Lieder. I.) Die Taube. (Rom) Ο Taube, die du flatterst durch die Lüfte, Nur zwei der Wörtchen anzuhören, bleibe! Will eine Feder nehmen deinen Flügeln, Daß einen Brief ich meiner Lieben schreibe. Ich will mit meinem Blut die Feder netzen, Mein Herz dann auf den Brief als Siegel setzen, Und, ist er nun gesiegelt wie geschrieben, Dann Täubchen trag ihn hin zu meiner Lieben; Und findst du sie in süssem Schlummer liegen, Dann Täubchen magst du auch zur Ruhe fliegen, 1 In.) La Capuana. (Napoli) No juorno jenno a spasso, Oje, pe lo mare: Sto core mme cadette Int 'a l'arena! 5 10 15 20 25 30 846 Volksliedersammlung Addimmannaje a eierte Marenare: — Dicen, che l'hanno visto Oje mpiett' a tene! Jo so benuto, pe Te lo cercare, Jo senza core, e tu — Du je ne tiene! E quann' è chesto, embè, Sa che può fare? Lo tujo mme daje e Lu mio tiene! Das verlorne Herz. (Neapel) Ich ging einmal spazieren Am Meeresstrande, Ach, da verlor mein Herz ich Im tiefen Sande. Da fragt' ich an dem Strande Die Schiffer alle: Daß du es trügst im Busen Sagten mir alle. Nun komm' ich Dich zu bitten, Bei Lieb' und Treue. Ich ohne Herz, du aber Hast deren zweie. Und weißt du, was du thun kannst, Du liebe Kleine, Behalt' Dir meines, schenke Du mir das Deine. 5 10 15 20 25 30 847 Volksliedersammlung |III.) Pater Franzesko. (Rom) „Pater Franzesco, Pater Franzesco!" „Sagt, was wollt ihr vom Pater Franzesco?" „Draussen steht eine arme Alte, Die der Beichte sehr begehrt!" „Fort, fort, fort von meiner Höhle, Ο Versuchung meiner Seele!"| („Pater Franzesco, Pater Franzesco!" „Saget, was wollt ihr vom Pater Franzesco?" „Draussen steht eine arme Wittwe, Die der Beichte sehr begehrt!" „Fort fort von meiner Höhle, Ο Versuchung meiner Seele!" „Pater Franzesco, Pater Franzesco!" 5 10 15 „Saget, was wollt ihr vom Pater Franzesco?" 20 „Draussen steht ein hübsches Mädchen, Was der Beichte sehr begehrt!" „Laßt sie ein, ο fromm Begehren, Ja, die will ich Beichte hören."| |IV.) Des Schiffers Heimkehr. (Sorento) Man sagt: er kommt nun wieder, er kommt nun wieder! Ach, wie der Mond will ich ihn still empfangen, Und ihm der Worte zwei, nur zwei ihm sagen, Wie ging dir's aussen, wo bliebst du so lange? 25 30 848 Volksliedersammlung Du hast mir Leid gegeben, ja Leid gegeben, Und eine Stunde nach der andern Thränen! Doch, nun zu Hause mein Herzgeliebter kehret: Stillt euch ihr Augen, laßt nun alle Thränen. | |V.) Das Guitarrchen. (Perugia) Ach, wie erklingst du lieblich, mein Guitarrchen! Vergolden müsse man dir alle Saiten! Dein Hälschen, wollt' ich, würd' ein schönes Mädchen, Dann müßtest du mich überall begleiten! Dann trüg' ich dich nach Rom auf meinen Händen, Und Berg' und Steine müßten dir sich neigen, Und wenn geneiget Berg' und Steine huldigen: Wie willst du, sträubst du dich mir, dich entschuldigen? |vi.) Die Schönheit. (Venezia) (Venedig) Schön, wie ich, kommt keine Zweite Jemals wieder auf die Welt! Geh' ich, bin ich majestätisch, Was ich rede, klingt ästhetisch, Liebeszauber ist mein Singen, Und mein Tanzen raubt die Ruh'. Wißt, daß mich zur Frau zu haben, Alle Kön'ge kämpfen werden! Nicht zu finden ist auf Erden Eine mit den gleichen Gaben: Bin mehr werth als ein Peru!| 5 10 15 20 25 849 Volksliedersammlung I vu.) Nachtgesang. (Rom) Du bist das sanfte Feuer, Bist meine Seele du! Zu allen meinen Gefühlen Schlaf süß, was willst du hinzu? Zu allen meinen Gefühlen Hast alle Schlüssel Du! Und hier von diesem Herzen — Schlaf süß, was willst du hinzu? Und hier von diesem Herzen Hast jedes Theilchen Du Und wirst mich sterben sehen Schlaf süß, was willst du hinzu? | 5 10 I Und wirst Ja sterben, befiehlest Du! . .. mich sterben sehen, 15 Schlaf sanft, geliebtes Leben, Schlaf süß, was willst du hinzu? — |VIII.) Nachtgesang. (Rom) Ach, sie schläft, nur ich benetze Diese Wangen hier mit Thränen! Lied voll Schmerzen, trag mein Sehnen Zu der Heißgeliebten Ohr! Aber ach! wenn sie nun plötzlich Mich erkennt am düstern Klagen? Nein, ich darf den Sang nicht wagen, Denn er schreckt zu wild empor! Ο ihr nächt'gen, müden Lüfte, Hallet lieblichere Töne, Wecket sanfter meine Schöne! Ist sie wach, so heb' ich an: Sing' ihr alle meine Qualen, Allen Kummer, alle Schmerzen, Alle Seufzer aus dem Herzen! All' mein Leid klag' ich ihr dann!| 20 25 30 35 850 Volksliedersammlung |ix.) Die Procidanerin. (Procida) Ich habe einen Liebsten Recht von den Frommen, Geht aus zu einer Thüre, Zur andern herein. Wart Du Schelmengesicht Du! Hinweg! fort! fort! Dann seh' ich ihn schon wieder So freundlich kommen: „O Liebste laß doch wieder Beisammen uns sein!" O, Du Schelmengesicht Du! Hinweg! fort! fort! Ich wende mich und sag' ihm: Du sollst verkommen! Nach einem Stündchen soll ich Schon wieder verzeihn? Ο Du Schelmengesicht Du! Hinweg! Fort, forti| I Finnische Runen. (Herausgegeben von H. v. Schröter.) I .) Die Geburt des Bären. Wo gezeuget ward der Bär wohl, Wo der Süßfuß sanft geschaukelt? Bei dem Monde, bei der Sonne, Bei den Otawaistens Achseln. Dorther ward herabgelassen Er in Silberhellen Stricken, In den Lichtguldigen Wiegen, Maid Maria, kleine Mutter, Warf Wollflocken auf die Wasser, 5 10 15 20 25 30 851 Volksliedersammlung Windeln, wie die Flaggen flatternd, Auf die klaren Meeresklippen, Auf die weiten grossen Wellen. Ungewitter thät sie wiegen, — Wassers Athem sie umfächelt — Zu Waldreichem Vorgebirgsrand, Hinzurasen in das Heidland, Zu zertreten nord'sche Triften.) ISüßfuß! laß, was barsch und bös ist, Nicht geselle dich Gemeinem! Das verbot dir Deine Mutter. Schade nicht gedüngtem Schenkel, Tödte nicht MÜchträgerinnen! Mehr zu thun hat deine Mutter, Vieles leidet die Erzeugrin, Wenn der Sohn das Böse schaffet, Wenn das Kind im Schlimmen sitzet, Eile fort, wie wilder Eber, Schnell vorbei wie Fisch im Wasser, Haste dich zur Heimathshöhle, Daß die Milchfrau dich nicht merke! |π.) Die Geburt der Kolik. 5 10 15 20 (Ich setze blos Stellen weis das Gedicht her, in dem sich recht die Naivetät der finnischen Volksanschauung bekundet.) 25 Bauchkrampf Du, Bauchkrampfes Sohn Du, Andrer Sohn, elend'ger Pfuscher, Du, gemacht von Theerholz Stöcken, Aus 'nes Seepfahls Schwamm geschaffen, Du aus Feuersbrand geboren! Wo sind meine Schlangenhandschuh, Wo sind meine Eidechsstiefeln, Womit ich dich packe Kröte, Greife dich, du böse Mücke, Von der Haut des armen Menschen, Von des Weibgebornen Leibe. 30 35 852 Volksliedersammlung im.) Die Geburt der Harfe. (Wäinämöinen ist der oberste Finnengott) Alter Wäinämöinen selber auf dem Berge hieb ein Boot zu, Schuf auf Bergeshöh' die Harfe. Wovon ist der Harfe Höhlung? Von dem bunten Birkenmaser. Woraus sind der Harfe Schrauben? Aus gleichdickem Ast der Eiche. Woraus sind der Harfe Zungen? Aus dem Schweifhaar tücht'gen Hengstes, aus des Lemposfüllen Kleidung. Alter Wäinämöinen selber, rief Jungfrauen, rief Jünglinge, Um zu spielen mit den Fingern. Freude wurde nicht zu Freude, Spiel sich nicht zu Spiele stimmte, Rief er unbeweibten Männern, Rief er die beweibten Helden: Freude wurde nicht zu Freude, Spiel sich nicht zu Spiele stimmte, Rief er Alte aus den Weibern, Männer in den Mitteljahren: Freude wurde nicht zu Freude, Spiel sich nicht zu Spiele stimmte. Sezt der alte Wäinämöinen Selbst sich da zu seinem Sitze, Nahm mit Fingern sein die Harfe, Wandt' an seine Knie die Höhlung, Unter seine Hand die Harfe;| I Alter Wäinämöinen spielte, Wurde da erst Spiel zu Spiele, Freude sich zu Freude stimmte. Fand man keinen in dem Heine, Laufend auf der Füsse vieren, Trippelnd auf den kleinen Tatzen, Der nicht kam, um zuzuhorchen, Als der Vater Freude weckte, Als Wäinämöinen spielte. Selbst der Bär stemmt an den Zaun sich, Als Wäinämöinen spielte. Fand man keinen in dem Heine, Schwingend seine beiden Schwingen, Die Vornehmsten des Geflügels, Der nicht kam, geschaart, wie Flocken. Fand man keinen in dem Meere, 853 5 10 15 20 25 30 35 40 Volksliedersammlung Fahrend mit sechs feinen Flossen, Hin und her bewegend achte, Der zu horchen nicht gekommen. Selbst die Wirthin in dem Wasser Warf herauf sich auf das Seegras, Zog sich auf die Wassersteine, Auszuruhen auf dem Bauche. Aus Wäinämöinens eignen Augen drang ein klares Wasser, Rundlicher als wie Moosbeere, derb wie Ei des Haselhuhnes, Auf die Brust hin, die redliche, von der Brust zu seinen Knien, Von den Knien zu den Füssen fielen nieder Wasserstropfen, Fielen durch fünf Wollenmäntel, Durch acht lange wollene Röcke. |Aus Ossian (übersezt von Förster) | 5 10 15 854 Volksliedersammlung Uebersieht der Volkslieder. I) Deutsche. a) Alemannische Mundart. 1) Im Frühlinge. 2) An 's Meieli. 3) Rothe Röslein. 4) Winterblümchen. 5) Rosegilge. b) Tyrolerliederl. 6) Busserl. 7) Ein Tyroler Lied. c) Kuhländchen. 8) Unendliche Liebe] |d) Rheinische Lieder. 9) Die Nonne. 10) Blaublümelein. 11) Die beiden Königskinder. 12) Treue. 13) Die Wunderbare Harie. 14) Der J%er. 15) Straßburg. 855 5 10 15 20 Volksliedersammlung 16) Wie kommt es, daß du traurig bist. 17) Wenn ich ein Vöglein war'. 18) Der eifersüchtige Knabe. 19) Knabe und Veüchen. 20) Räthsel um Räthsel. 21) Mondscheinlied. 22) Drei Winterrosen] |e) Norddeutsche Lieder. 23) Lied eines Klosterfräulein. 24) Aphoristische Volksliedchen. 25) Traum. 26) Das Blumenhaus. 27) Verlorne Schwimmer. 28) Spottlied. f) Oestreichische Lieder. 29) Schnaderhüpferl. 30) Chimmt a Vogerl etc. 31) Juchhe! unser Pf arra! etc. g) Sächsische Lieder. 32) „Kein Feuer, keine Kohle etc." 33) Nachbars Toffel] |h) Hochländische Lieder. 34) Abschied. 35) Wildschütz. 36) „Am Ber# /iegr ä Dorf" etc. 37) „Früh Morgens im Nebel" 38) „O hätt' ich dich nimmer gesehn. " 39) „Ueber'm Berg, steht der Mond, sagt er." 40) Der Sennerin Gruß. 41) München. i) Schweizerlied. 42) Blümeli] |j) Bergische Lieder. 43) Kronschlange. 44) /ong Hänschen. 5 10 15 20 25 30 35 856 Volksliedersammlung k) Schwäbische Lieder. 45) Aus der Zeit der Hohenstaufen. 46) Verlorne Mühe. 1) (Hoffmanns Kampfbilder) 5 47) Täuschung. 48) Epigramme. 49) Die Gefangenen] |Π) Spanische Lieder. 10 50) Alcino. 15 20 25 51) Der klagende Fischer. 52) Das schiffende Brautpaar. 53) Der Brautkranz. HD Esthnische Lieder. 54) „Herzchen, Blümchen etc." 55) /örru. IV) Lappländisches Lied. 56) Morse-faurog, Fahrt zur Geliebten. V) Altgriechische Lieder. 57) „Bändiger der Herzen, Amor!" 58) Lied der Sappho. 59) Piatos Epigramm. 60) Wunscn. 61) Lied der Fre/Ae/r.| |vi) Neugriechisches Lied. 30 62) Albanesisches Lied. 857 Volksliedersammlung VII) Lettische Lieder. 63) „Du bist mir treu etc." 64) „Komm Schwesterchen!" 65) „Wo bleibst du mein Liebchen." 66) An die Tanne. 67) An den Schmetterling. 68) Klage um einen gefallenen Krieger. VIII) Italische Lieder. 69) Die Taube. Rom. 70) Das verlorne Herz. Neapel. 71) Pater Franzesco. Rom. 72) Schiffers Heimkehr. Sorent. 73) Guitarrchen. Perugia. 74) Schönheit. Venezia. 75) Nachtgesang. Rom. 76) Nachtgesang. Rom. 77) Die Procidanerin. Precida. IX) Finnische Runen. 78) 79) 80) Geburt des Bären. Geburt der Kolik. Geburt der Harfe] 5 10 15 20 858