(ME.Gt\) KARL MARX FRIEDRICH ENGELS GESAMTAUSGABE (MEGA) Z W E I T E A B T E I L U N G „ D A S K A P I T A L " U N D V O R A R B E I T E N B A N D 1 0 H E R A U S G E G E B E N V O N D E R I N T E R N A T I O N A L E N M A R X - E N G E L S - S T I F T U N G KARL MARX DAS KAPITAL KRITIK DER POLITISCHEN ÖKONOMIE ERSTER BAND HAMBURG 1890 T E X T Bearbeitet von einer Forschungsgruppe des Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung Berlin: Roland Nietzold (Leiter), Wolfgang Pocke und Hannes Skambraks D I E T Z V E R L A G B E R L I N 1991 Internationale Marx-Engels-Stiftung Amsterdam: Begründet von dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis Amsterdam, dem Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU Moskau, der Akademie der Wissenschaften Berlin und dem Karl-Marx-Haus Trier Der vorliegende Band wurde noch unter der früheren Redaktionskommission erarbeitet. Marx, Karl: Gesamtausgabe : (MEGA) / Karl Marx ; Friedrich Engels. Hrsg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung. - Berlin : Dietz Verl. GmbH [Sammlung]. Abt. 2. „Das Kapital" und Vorarbeiten Bd. 10. Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie : 1.Bd., Hamburg 1890 / Karl Marx. Text. - 1991. - 40, 694 S. : 1 Abb. Apparat. - 1991. - S. 695-1288 : 1 Abb. II. Abt. ISBN 3-320-00050-0 Bd. 11/10 ISBN 3-320-00068-3 Text und Apparat Mit 2 Abbildungen © Dietz Verlag Berlin GmbH 1991 LSV 0046 Technische Redaktion: Jutta Knopp und Heinz Ruschinski Korrektur: Renate Kröhnert, Eva Mendl und Sigrid Wittenberg Einband: Albert Kapr Typografie: Albert Kapr/Horst Kinkel Schrift: Timeless-Antiqua und Maxima Printed in Germany Satz und Druck: Interdruck Leipzig GmbH Buchbinderische Verarbeitung: Leipziger Großbuchbinderei GmbH Inhalt Einleitung Editorische Hinweise Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Hamburg 1890 Vorwort zur ersten Auflage Zur zweiten Auflage Zur dritten Auflage (Friedrich Engels) Zur vierten Auflage (Friedrich Engels) Inhaltsverzeichnis Erstes Buch. Der Produktionsprozeß des Kapitals Erster Abschnitt. W a r e und Geld Erstes Kapitel. Die W a r e 1. Die zwei Faktoren der W a r e : Gebrauchswert und Wert (Wert- substanz, Wertgröße) 2. Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit 3. Die Wertform oder der Tauschwert A. Einfache, einzelne oder zufällige Wertform 1. Die beiden Pole des Wertausdrucks: Relative Wertform und Äquivalentform 2. Die relative Wertform a) Gehalt der relativen Wertform b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Wertform 3. Die Äquivalentform 4. Das Ganze der einfachen Wertform B. Totale oder entfaltete Wertform 1. Die entfaltete relative Wertform 11* 37* 1 7 11 19 22 29 37 37 37 37 43 49 49 50 51 51 54 56 61 63 63 5* Inhalt 2. Die besondre Äquivalentform 3. Mängel der totalen oder entfalteten Wertform C Allgemeine Wertform 1. Veränderter Charakter der Wertform 2. Entwicklungsverhältnis von relativer Wertform und Äqui- valentform 3. Übergang aus der allgemeinen Wertform zur Geldform D. Geldform 4. Der Fetischcharakter der W a r e und sein Geheimnis Zweites Kapitel. Der Austauschprozeß Drittes Kapitel. Das Geld oder die Warenzirkulation 1. Maß der Werte 2. Zirkulationsmittel a) Die Metamorphose der Waren b) Der Umlauf des Geldes c) Die Münze. Das Wertzeichen 3. Geld a) Schatzbildung b) Zahlungsmittel c) Weltgeld Zweiter Abschnitt. Die Verwandlung von Geld in Kapital Viertes Kapitel. Verwandlung von Geld in Kapital 1. Die allgemeine Formel des Kapitals 2. Widersprüche der allgemeinen Formel 3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft Dritter Abschnitt. Die Produktion des absoluten Mehrwerts Fünftes Kapitel. Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß 1. Arbeitsprozeß 2. Verwertungsprozeß S e c h s t e s Kapitel. Konstantes Kapital und variables Kapital Siebentes Kapitel. Die Rate des Mehrwerts 1. Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft 2. Darstellung des Produktenwerts in proportioneilen Teilen des Produkts 3. Seniors „Letzte Stunde" 4. Das Mehrprodukt Achtes Kapitel. Der Arbeitstag 1. Die Grenzen des Arbeitstags 2. Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar 3. Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploitation 4. Tag- und Nachtarbeit. Das Ablösungssystem 5. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetze zur Ver- längerung des Arbeitstags von der Mitte des 14. bis zu Ende des 17. Jahrhunderts 64 64 65 65 67 69 69 70 82 90 90 98 98 107 116 120 120 125 131 134 134 134 142 152 161 161 161 169 180 191 191 198 201 206 207 207 211 218 230 238 6* Inhalt 6. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetzliche Be- schränkung der Arbeitszeit. Die englische Fabrikgesetzgebung von 1 8 3 3 - 1 8 6 4 7. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Rückwirkung der engli- schen Fabrikgesetzgebung auf andre Länder Neuntes Kapitel. Rate und Masse des Mehrwerts Vierter Abschnitt. Die Produktion des relativen Mehrwerts Zehntes Kapitel. Begriff des relativen Mehrwerts Elftes Kapitel. Kooperation Zwölftes Kapitel. Teilung der Arbeit und Manufaktur 1. Doppelter Ursprung der Manufaktur 2. Der Teilarbeiter und sein Werkzeug 3. Die beiden Grundformen der Manufaktur - heterogene Manu- faktur und organische Manufaktur 4. Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Teilung der Ar- beit innerhalb der Gesellschaft 5. Der kapitalistische Charakter der Manufaktur Dreizehntes Kapitel. Maschinerie und große Industrie 1. Entwicklung der Maschinerie 2. W e r t a b g a b e der Maschinerie an das Produkt 3. Nächste Wirkungen des maschinenmäßigen Betriebs auf den Ar- beiter a) Aneignung zuschüssiger Arbeitskräfte durch das Kapital. Wei- ber- und Kinderarbeit b) Verlängrung des Arbeitstags c) Intensifikation der Arbeit 4. Die Fabrik 5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine 6. Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie ver- drängten Arbeiter 7. Repulsion und Attraktion von Arbeitern mit Entwicklung des Ma- schinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie 8. Revolutionierung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit durch die große Industrie a) Aufhebung der auf Handwerk und Teilung der Arbeit beru- henden Kooperation b) Rückwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Hausar- beit c) Die moderne Manufaktur d) Die moderne Hausarbeit e) Übergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur gro- ßen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch An- wendung der Fabrikgesetze auf j e n e Betriebsweisen 250 268 273 281 281 290 302 302 305 308 316 324 333 333 347 354 355 362 368 376 385 394 402 414 414 415 417 4 2 0 423 7* Inhalt 9. Fabrikgesetzgebung. (Gesundheits- und Erziehungsklauseln.) Ihre Verallgemeinerung in England 10. Große Industrie und Agrikultur Fünfter Abschnitt. Die Produktion des absoluten und relativen Mehr- werts Vierzehntes Kapitel. Absoluter und relativer Mehrwert Fünfzehntes Kapitel. Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit konstant (gege- ben), Produktivkraft der Arbeit variabel II. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivkraft der Arbeit Intensi- tät der Arbeit variabel III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant, Arbeitstag varia- bel IV. Gleichzeitige Variationen in Dauer, Produktivkraft und Intensität der Arbeit Sechzehntes Kapitel. Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts S e c h s t e r Abschnitt. Der Arbeitslohn Siebzehntes Kapitel. Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn Achtzehntes Kapitel. Der Zeitlohn Neunzehntes Kapitel. Der Stücklohn Zwanzigstes Kapitel. Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne Siebenter Abschnitt. Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Einundzwanzigstes Kapitel. Einfache Reproduktion Zweiundzwanzigstes Kapitel. Verwandlung von Mehrwert in Kapital 1. Kapitalistischer Produktionsprozeß auf erweiterter Stufenleiter. Umschlag der Eigentumsgesetze der Warenproduktion in Gesetze der kapitalistischen Aneignung 2. Irrige Auffassung der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter sei- tens der politischen Ökonomie 3. Teilung des Mehrwerts in Kapital und Revenue. - Die Abstinenztheo- rie 4. Umstände, welche unabhängig von der proportioneilen Teilung des Mehrwerts in Kapital und Revenue den Umfang der Akkumula- tion bestimmen: Exploitationsgrad der Arbeitskraft. - Produktiv- kraft der Arbeit. - W a c h s e n d e Differenz zwischen angewandtem und konsumiertem Kapital. - Größe des vorgeschoßnen Kapitals 5. Der sogenannte Arbeitsfonds Dreiundzwanzigstes Kapitel. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 1. W a c h s e n d e Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkumulation, bei gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals 2. Relative Abnahme des variablen Kapitalteils im Fortgang der Akku- mulation und der sie begleitenden Konzentration 433 4 5 4 456 456 465 466 4 7 0 471 473 475 479 479 486 493 500 505 506 518 518 527 529 537 546 549 549 557 8* Inhalt 3. Progressive Produktion einer relativen Übervölkerung oder indu- striellen Reservearmee 4. Verschiedne Existenzformen der relativen Übervölkerung. Das all- gemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5. Illustration des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumu- lation a) England von 1 8 4 6 - 1 8 6 6 b) Die schlechtbezahlten Schichten der britischen industriellen Ar- beiterklasse c) Das Wandervolk d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Teil der Arbeiter- klasse e) Das britische Ackerbauproletariat f) Irland Vierundzwanzigstes Kapitel. Die sog. ursprüngliche Akkumulation 1. Das Geheimnis der ursprünglichen Akkumulation 2. Expropriation des Landvolks von Grund und Boden 3. Blutgesetzgebung gegen die Expropriierten seit Ende des 15. Jahr- hunderts. Gesetze zur Herabdrückung des Arbeitslohns 4. Genesis der kapitalistischen Pächter 5. Rückwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie. Herstel- lung des innern Markts für das industrielle Kapital 6. Genesis des industriellen Kapitalisten 7. Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die moderne Kolonisationstheorie A P P A R A T R E G I S T E R Verzeichnis der Abbildungen Titelblatt der 4. Auflage Fragment eines Entwurfs der Ergänzung zur Fußnote 1 0 8 ) 564 575 582 582 588 597 600 605 628 641 641 644 659 666 669 672 683 685 695 1175 3 715 9* Editorische Hinweise d e n S c h r e i b w e i s e n d e s Edierten T e x t e s w e r d e n d e r a u t h e n t i s c h e n S c h r e i b w e i s e i n runden K l a m m e r n b e i g e f ü g t v e r s c h l ü s s e l t e N a m e n sind in d e n E r l ä u t e r u n g e n erklärt. D a s S a c h r e g i s t e r e r f a ß t die Begriffe, die de n w e s e n t l i c h e n Inhalt d e r 4 . A u f l a g e d e s e r s t e n B a n d e s d e s „Kapitals" w i d e r s p i e g e l n . Die S c h l a g - w o r t e sind u n m i t t e l b a r d e m Edierten T e x t e n t n o m m e n o d e r l e h n e n s i c h ihm w e i t g e h e n d an. Das S a c h r e g i s t e r ist in m o d e r n e r O r t h o g r a p h i e a b - g e f a ß t . D e r v o r l i e g e n d e Band w u r d e b e a r b e i t e t von Roland Nietzold (Leiter), W o l f g a n g F o c k e und H a n n e s S k a m b r a k s . U n t e r s t ü t z u n g bei d e r T e x t b e - a r b e i t u n g leisteten Eike Kopf, Edgar K l a p p e r s t ü c k und Jutta H o s c h e k (alle Erfurt). W i s s e n s c h a f t l i c h - t e c h n i s c h e A r b e i t e n w u r d e n von Erika R e s c h a u s g e f ü h r t . D e r Band w u r d e s e i t e n s d e r R e d a k t i o n s k o m m i s s i o n b e t r e u t und b e - g u t a c h t e t von Rolf H e c k e r . G u t a c h t e r d e s Instituts für M a r x i s m u s - L e n i - n i s m u s b e i m ZK d e r KPdSU w a r e n Isora K a s m i n a , Larissa M i s k e w i t s c h und A l e x a n d e r T s c h e p u r e n k o . U n t e r s t ü t z u n g in S p e z i a l f r a g e n l e i s t e t e n B e r n h a r d H e n s c h e l , Hansul- rich L a b u s k e , J ü r g e n J u n g n i c k e l und Carl-Erich V o l l g r a f (alle Berlin). Die H e r a u s g e b e r d a n k e n allen w i s s e n s c h a f t l i c h e n E i n r i c h t u n g e n , die bei d e r V o r b e r e i t u n g d e s B a n d e s U n t e r s t ü t z u n g g e w ä h r t e n , d a r u n t e r n a m e n t l i c h d e r D e u t s c h e n S t a a t s b i b l i o t h e k Berlin, d e m I n t e r n a t i o n a l e n Institut für S o z i a l g e s c h i c h t e A m s t e r d a m und d e m K a r l - M a r x - H a u s T r i e r . 40* D a s Kapital. Kritik d e r p o l i t i s c h e n Ö k o n o m i e . E r s t e r B a n d . H a m b u r g 1890 ·. . . ·. - . Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie. Von Karl Marx. Erster Band. · ßuQh ·I: Der Prodnktionsprocess des Knpitnls. Viert~, durchgesehene Auflage. Heransgegeben von Friedrich Engels. Da• llecht dor Uul.>c11>ctzuug wird v or h nhalt~u. Hamburg. V erlag von Otto 1\Ieissuer. 1890. |III| Gewidmet m e i n e m u n v e r g e ß l i c h e n F r e u n d e , dem kühnen, treuen, edlen Vorkämpfer des Proletariats, Wilhelm Wolff. Geb. zu Tarnau, 2 1 . Juni 1809. Gest. im Exil zu Manchester 9. Mai 1864.1 Vorwort zur ersten Auflage |V| Vorwort zur ersten Auflage. 5 0 Das Werk, dessen ersten Band ich dem Publikum übergebe, bildet die Fort- setzung meiner 1859 veröffentlichten Schrift: „Zur Kritik der politischen Oekonomie". Die lange Pause zwischen Anfang und Fortsetzung ist einer langjährigen Krankheit geschuldet, die meine Arbeit wieder und wieder unterbrach. Der Inhalt jener früheren Schrift ist resümirt im ersten Kapitel dieses Bandes. Es geschah dies nicht nur des Zusammenhangs und der Vollstän- digkeit wegen. Die Darstellung ist verbessert. Soweit es der Sachverhalt irgendwie erlaubte, sind viele früher nur angedeuteten Punkte hier weiter entwickelt, während umgekehrt dort ausführlich Entwickeltes hier nur an- gedeutet wird. Die Abschnitte über die Geschichte der Werth- und Geld- theorie fallen jetzt natürlich ganz weg. Jedoch findet der Leser der früheren Schrift in den Noten zum ersten Kapitel neue Quellen zur Geschichte j e - 15 ner Theorie eröffnet. Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das Verständniß des ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts, der die Analyse der Waare ent- hält, wird daher die meiste Schwierigkeit machen. Was nun näher die Ana- lyse der Werthsubstanz und der Werthgröße betrifft, so habe ich sie mög- liehst popularisirt 1). Die Werthform, deren fertige Gestalt die Geldform, ist sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat ||VI| der Menschengeist sie seit *) Es schien dieß um so nöthiger, als selbst der Abschnitt von F. Lassalle's Schrift gegen Schulze-Delitzsch, worin er „die geistige Quintessenz" meiner Entwicklung über jene The- mata zu geben erklärt, bedeutende Mißverständnisse enthält. En passant. Wenn F. Lassalle die sämmtlichen allgemeinen theoretischen Sätze seiner ökonomischen Arbeiten, z.B. über den historischen Charakter des Kapitals, über den Zusammenhang zwischen Produktionsver- hältnissen und Produktionsweise u. s.w. u. s.w. fast wörtlich, bis auf die von mir geschaffene Terminologie hinab, aus meinen Schriften entlehnt hat, und zwar ohne Quellenangabe, so war dies Verfahren wohl durch Propagandarücksichten bestimmt. Ich spreche natürlich nicht von seinen Detailausführungen und Nutzanwendungen, mit denen ich nichts zu thun habe. 20 25 30 7 Vorwort zur ersten Auflage mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht, während andrer- seits die Analyse viel inhaltsvollerer und komplicirterer Formen wenigstens annähernd gelang. Warum? Weil der ausgebildete Körper leichter zu studi- ren ist als die Körperzelle. Bei der Analyse der ökonomischen Formen kann außerdem weder das Mikroskop dienen, noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen. Für die bürgerliche Gesellschaft ist aber die Waarenform des Arbeitsprodukts oder die Werthform der Waare die ökonomische Zellenform. Dem Ungebildeten scheint sich ihre Analyse in bloßen Spitzfindigkeiten herumzutreiben. Es handelt sich dabei in der That um Spitzfindigkeiten, aber nur so, wie es sich in der mikrologi- 10 sehen Anatomie darum handelt. 5 Mit Ausnahme des Abschnitts über die Werthform wird man daher dies Buch nicht wegen Schwerverständlichkeit anklagen können. Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen. Der Physiker beobachtet Naturprocesse entweder dort, wo sie in der prä- 15 gnantesten Form und von störenden Einflüssen mindest getrübt erschei- nen, oder wo möglich, macht er Experimente unter Bedingungen, welche den reinen Vorgang des Processes sichern. Was ich in diesem Werk zu er- forschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entspre- chenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse. Ihre klassische Stätte ist 20 bis jetzt England. Dieß der Grund, warum es zur Hauptillustration meiner theoretischen Entwicklung dient. Sollte jedoch der deutsche Leser pharisä- isch die Achseln zucken über die Zustände der englischen Industrie- und Ackerbauarbeiter, oder sich optimistisch dabei beruhigen, daß in Deutsch- land die Sachen noch lange nicht so schlimm stehn, so muß ich ihm zuru- 25 fen: De te fabula narratur! An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niedrigeren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Nothwendigkeit wirkenden 30 und sich durchsetzenden Tendenzen. Das | IVIII Land zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zu- kunft. industriell entwickeltere Aber abgesehn hiervon. Wo die kapitalistische Produktion völlig bei uns eingebürgert ist, z . B . in den eigentlichen Fabriken, sind die Zustände viel 35 schlechter als in England, weil das Gegengewicht der Fabrikgesetze fehlt. In allen andren Sphären quält uns, gleich dem ganzen übrigen kontinenta- len Westeuropa, nicht nur die Entwicklung der kapitalistischen Produk- tion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung. Neben den modernen Nothständen drückt uns eine ganze Reihe vererbter Nothstände, entsprin- 40 gend aus der Fortvegetation alterthümlicher, überlebter Produktionsweisen 8 Vorwort zur ersten Auflage mit ihrem Gefolg von zeitwidrigen gesellschaftlichen und politischen Ver- hältnissen. Wir leiden nicht nur von den Lebenden, sondern auch von den Todten. Le mort saisit le vif! 5 Im Vergleich zur englischen ist die sociale Statistik Deutschlands und des übrigen kontinentalen Westeuropa^ elend. Dennoch lüftet sie den Schleier grade genug, um hinter demselben ein Medusenhaupt ahnen zu lassen. Wir würden vor unsren eignen Zuständen erschrecken, wenn unsre Regierungen und Parlamente, wie in England, periodische Untersuchungs- kommissionen über die ökonomischen Verhältnisse bestallten, wenn diese 10 Kommissionen mit derselben Machtvollkommenheit, wie in England, zur Erforschung der Wahrheit ausgerüstet würden, wenn es gelänge, zu diesem Behuf ebenso sachverständige, unparteiische und rücksichtslose Männer zu finden, wie die Fabrikinspektoren Englands sind, seine ärztlichen Be- richterstatter über „Public Health" (Oeffentliche Gesundheit), seine Unter- suchungskommissäre über die Exploitation der Weiber und Kinder, über Wohnungs- und Nahrungszustände u. s. w. Perseus brauchte eine Nebel- kappe zur Verfolgung von Ungeheuern. Wir ziehen die Nebelkappe tief über Aug' und Ohr, um die Existenz der Ungeheuer wegleugnen zu kön- nen. 15 20 25 Man muß sich nicht darüber täuschen. Wie der amerikanische Unab- hängigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts die Sturmglocke für die europäische Mittelklasse läutete, so der amerika||VIII|nische Bürgerkrieg des 19. Jahr- hunderts für die europäische Arbeiterklasse. In England ist der Umwäl- zungsproceß mit Händen greifbar. Auf einem gewissen Höhepunkt muß er auf den Kontinent rückschlagen. Dort wird er sich in brutaleren oder hu- maneren Formen bewegen, je nach dem Entwicklungsgrad der Arbeiter- klasse selbst. Von höheren Motiven abgesehn, gebietet also den jetzt herr- schenden Klassen ihr eigenstes Interesse die Wegräumung aller gesetzlich kontrolirbaren Hindernisse, welche die Entwicklung der Arbeiterklasse 30 hemmen. Ich habe deßwegen u. a. der Geschichte, dem Inhalt und den Re- sultaten der englischen Fabrikgesetzgebung einen so ausführlichen Platz in diesem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der andern ler- nen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist, - und es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen - kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen, noch weg- dekretiren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern. 35 Zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigenthümer zeichne ich keineswegs in rosigem 40 Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Perso- nifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassen- 9 Vorwort zur ersten Auflage Verhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Stand- punkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Proceß auffaßt, den Einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er social bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag. 5 A u f dem Gebiete der politischen Oekonomie begegnet die freie wissen- schaftliche Forschung nicht nur demselben Feinde, wie auf allen anderen Gebieten. Die eigenthümliche Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft wider sie die heftigsten, kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. 10 Die englische Hochkirche z . B . verzeiht eher den Angriff auf 38 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf % 9 ||IX| ihres Geldeinkommens. Heutzutage ist der Atheismus selbst eine culpa levis, verglichen mit der Kritik überliefer- ter Eigenthumsverhältnisse. Jedoch ist hier ein Fortschritt unverkennbar. Ich verweise z . B . auf das in den letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: 15 ,,Correspondence with Her Majesty's Missions Abroad, regarding Industrial Questions and Trade's Unions". Die auswärtigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit dürren Worten aus, daß in Deutschland, Frank- reich, kurz allen Kulturstaaten des europäischen Kontinents, eine Um- wandlung der bestehenden Verhältnisse von Kapital und Arbeit ebenso 20 fühlbar und ebenso unvermeidlich ist als in England. Gleichzeitig erklärte jenseits des atlantischen Oceans Herr Wade, Vicepräsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika, in öffentlichen Meetings: Nach Beseitigung der Sklaverei trete die Umwandlung der Kapital- und Grundeigenthumsver- hältnisse auf die Tagesordnung! Es sind dies Zeichen der Zeit, die sich 25 nicht verstecken lassen durch Purpurmäntel oder schwarze Kutten. Sie be- deuten nicht, daß morgen Wunder geschehen werden. Sie zeigen, wie selbst in den herrschenden Klassen die Ahnung aufdämmert, daß die jet- zige Gesellschaft kein fester Krystall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Proceß der Umwandlung begriffener Organismus ist. 30 Der zweite Band dieser Schrift wird den Cirkulationsproceß des Kapitals (Buch II) und die Gestaltungen des Gesammtprocesses (Buch I I I ) , der ab- schließende dritte (Buch IV) die Geschichte der Theorie behandeln. Jedes Urtheil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen. Gegenüber den Vorurtheilen der s.g. öffentlichen Meinung, der ich nie Koncessionen 35 gemacht habe, gilt mir nach wie vor der Wahlspruch des großen Florenti- ners: Segui il tuo corso, e lascia dir le genti! London, 25. JuIi 1867. 10 K a r l M a r x . | 40 Nachwort zur zweiten Auflage |X| Zur zweiten Auflage. Die politische Oekonomie blieb in Deutschland bis zu dieser Stunde eine ausländische Wissenschaft. Gustav von Gülich hat in „Geschichtliche Dar- stellung des Handels, der Gewerbe u.s.w.", namentlich in den 1830 heraus- 5 gegebnen zwei ersten Bänden seines Werkes, großentheils schon die histo- rischen Umstände erörtert, welche die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise bei uns hemmten, daher auch den Aufbau der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Es fehlte also der lebendige Boden der politi- schen Oekonomie. Sie ward als fertige Waare importirt aus England und 10 Frankreich; ihre deutschen Professoren blieben Schüler. Der theoretische Ausdruck einer fremden Wirklichkeit verwandelte sich unter ihrer Hand in eine Dogmensammlung, von ihnen gedeutet im Sinn der sie umgebenden kleinbürgerlichen Welt, also mißdeutet. Das nicht ganz unterdrückbare Gefühl wissenschaftlicher Ohnmacht und das unheimliche Gewissen, auf einem in der That fremdartigen Gebiet schulmeistern zu müssen, suchte man zu verstecken unter dem Prunk literarhistorischer Gelehrsamkeit oder durch Beimischung fremden Stoffes, entlehnt den sog. Kameralwissen- schaften, einem Mischmasch von Kenntnissen, deren Fegfeuer der hoff- nungslose Kandidat deutscher Bureaukratie zu bestehn hat. 15 20 Seit 1848 hat sich die kapitalistische Produktion rasch in Deutschland entwickelt und treibt heutzutage bereits ihre Schwindelblüthe. Aber unsren Fachleuten blieb das Geschick gleich abhold. So lange sie politische Oeko- nomie unbefangen treiben konnten, fehlten die modernen ökonomischen Verhältnisse in der deutschen Wirklichkeit. Sobald diese Verhältnisse ins 25 Leben traten, geschah es unter Umständen, welche ihr unbefangenes Stu- dium innerhalb des bürgerlichen Gesichtskreises nicht länger zulassen. So weit sie bürgerlich ist, d. h. die kapitalistische Ordnung statt als geschicht- lich vorübergehende Entwicklungsstufe, umgekehrt als absolute und letzte 11 Nachwort zur zweiten Auflage Gestalt der gesellschaftlichen Produktion auffaßt, kann die | | X I | politische Oekonomie nur Wissenschaft bleiben, so lange der Klassenkampf latent bleibt oder sich in nur vereinzelten Erscheinungen offenbart. Nehmen wir England. Seine klassische politische Oekonomie fallt in die Periode des unentwickelten Klassenkampfs. Ihr letzter großer Repräsen- tant, Ricardo, macht endlich bewußt den Gegensatz der Klasseninteressen, des Arbeitslohns und des Profits, des Profits und der Grundrente, zum Springpunkt seiner Forschungen, indem er diesen Gegensatz naiv als ge- sellschaftliches Naturgesetz auffaßt. Damit war aber auch die bürgerliche Wissenschaft der Oekonomie bei ihrer unüberschreitbaren Schranke ange- 10 langt. Noch bei Lebzeiten Ricardo's und im Gegensatz zu ihm trat ihr in der Person Sismondi's die Kritik gegenüber 1). 5 Die nachfolgende Zeit von 1 8 2 0 - 3 0 zeichnet sich in England aus durch wissenschaftliche Lebendigkeit auf dem Gebiet der politischen Oekono- mie. Es war die Periode wie der Vulgarisirung und Ausbreitung der Ri- 15 cardo'schen Theorie, so ihres Kampfes mit der alten Schule. Es wurden glänzende Turniere gefeiert. Was damals geleistet worden, ist dem europä- ischen Kontinent wenig bekannt, da die Polemik großentheils in Revuear- tikeln, Gelegenheitsschriften und Pamphlets zerstreut ist. Der unbefangne Charakter dieser Polemik - obgleich die Ricardo'sche Theorie ausnahms- 20 weise auch schon als Angriffswaffe wider die bürgerliche Wirthschaft dient - erklärt sich aus den Zeitumständen. Einerseits trat die große Indu- strie selbst nur aus ihrem Kindheitsalter heraus, wie schon dadurch bewie- sen ist; daß sie erst mit der Krise von 1825 den periodischen Kreislauf ihres modernen Lebens eröffnet. Andrerseits blieb der Klassenkampf zwischen 25 Kapital und Arbeit in den Hintergrund gedrängt, politisch durch den Zwist zwischen den um die heilige Allianz geschaarten Regierungen und Feuda- len und der von der Bourgeoisie geführten Volksmasse, ökonomisch durch den Hader des industriellen Kapitals mit dem aristokratischen Grundei- genthum, der sich in Frankreich hinter dem Gegensatz von Parcellenei- 30 genthum und großen Grundbesitz ver||XII|barg, in England seit den Korn- gesetzen offen ausbrach. Die Literatur der politischen Oekonomie in England erinnert während dieser Periode an die ökonomische Sturm- und Drangperiode in Frankreich nach Dr. Quesnay's Tod, aber nur wie ein Alt- weibersommer an den Frühling erinnert. Mit dem Jahr 1830 trat die ein für 35 allemal entscheidende Krise ein. Die Bourgeoisie hatte in Frankreich und England politische Macht er- obert. Von da an gewann der Klassenkampf, praktisch und theoretisch, mehr und mehr ausgesprochne und drohende Formen. Er läutete die Tod- l) Siehe meine Schrift: „Zur Kritik etc." p.39. 12 Nachwort zur zweiten Auflage 5 tenglocke der wissenschaftlichen bürgerlichen Oekonomie. Es handelte sich jetzt nicht mehr darum, ob dies oder jenes Theorem wahr sei, sondern ob es dem Kapital nützlich oder schädlich, bequem oder unbequem, ob polizeiwidrig oder nicht. An die Stelle uneigennütziger Forschung trat be- zahlte Klopffechterei, an die Stelle unbefangner wissenschaftlicher Unter- suchung, das böse Gewissen und die schlechte Absicht der Apologetik. In- deß selbst die zudringlichen Traktätchen, welche die Anti-Cornlawleague, mit den Fabrikanten Cobden und Bright an der Spitze, in die Welt schleu- derte, boten, wenn kein wissenschaftliches, doch ein historisches Interesse 10 durch ihre Polemik gegen die grundeigenthümliche Aristokratie. Auch die- sen letzten Stachel zog die Freihandelsgesetzgebung seit Sir Robert Peel der Vulgärökonomie aus. 15 Die kontinentale Revolution von 1848 schlug auch auf England zurück. Männer, die noch wissenschaftliche Bedeutung beanspruchten, und mehr sein wollten als bloße Sophisten und Sykophanten der herrschenden Klas- sen, suchten die politische Oekonomie des Kapitals in Einklang zu setzen mit den jetzt nicht länger zu ignorirenden Ansprüchen des Proletariats. Daher ein geistloser Synkretismus, wie ihn John Stuart Mill am besten re- präsentirt. Es ist eine Bankerotterklärung der „bürgerlichen" Oekonomie, 20 welche der große russische Gelehrte und Kritiker N. Tschernyschewsky in seinem Werk „Umrisse der politischen Oekonomie nach Mill", bereits mei- sterhaft beleuchtet hat. In Deutschland kam also die kapitalistische Produktionsweise zur Reife, nachdem ihr antagonistischer Charakter sich in ||XIII| Frankreich und 25 England schon durch geschichtliche Kämpfe geräuschvoll offenbart hatte, während das deutsche Proletariat bereits ein viel entschiedneres theoreti- sches Klassenbewußtsein besaß als die deutsche Bourgeoisie. Sobald eine bürgerliche Wissenschaft der politischen Oekonomie hier möglich zu wer- den schien, war sie daher wieder unmöglich geworden. 30 35 Unter diesen Umständen theilten sich ihre Wortführer in zwei Reihen. Die einen, kluge, erwerbslustige, praktische Leute, schaarten sich um die Fahne Bastiat's, des flachsten und daher gelungensten Vertreters vulgär- ökonomischer Apologetik; die andren, stolz auf die Professoralwürde ihrer Wissenschaft, folgten J. St. Mill in dem Versuch Unversöhnbares zu ver- söhnen. Wie zur klassischen Zeit der bürgerlichen Oekonomie blieben die Deutschen auch zur Zeit ihres Verfalls bloße Schüler, Nachbeter und Nachtreter, Kleinhausirer des ausländischen Großgeschäfts. Die eigenthümliche historische Entwicklung der deutschen Gesellschaft schloß hier also jede originelle Fortbildung der „bürgerlichen" Oekonomie aus, aber nicht deren - Kritik. Soweit solche Kritik überhaupt eine Klasse vertritt, kann sie nur die Klasse vertreten, deren geschichtlicher Beruf die 40 13 Nachwort zur zweiten Auflage Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schließliche Abschaffung der Klassen ist - das Proletariat. Die gelehrten und ungelehrten Wortführer der deutschen Bourgeoisie haben „Das Kapital" zunächst todtzuschweigen versucht, wie ihnen das mit meinen frühern Schriften gelungen war. Sobald diese Taktik nicht län- ger den Zeitverhältnissen entsprach, schrieben sie, unter dem Vorwand, mein Buch zu kritisiren, Anweise „Zur Beruhigung des bürgerlichen B e - wußtseins", fanden aber in der Arbeiterpresse - sieh z.B. Joseph Dietz- gen's Aufsätze im Volksstaat - überlegene Kämpen, denen sie die Antwort bis heute schuldig. 1) | 5 10 |XIV| Eine treffliche russische Uebersetzung des „Kapital" erschien im Frühling 1872 zu Petersburg. Die Auflage von 3000 Exemplaren ist jetzt schon beinahe vergriffen. Bereits 1871 hatte Herr N. Sieber (3ΗΒΕΡΊ>) Profes- sor der politischen Oekonomie an der Universität zu Kiew, in seiner Schrift: „TEOPDI ^ H H O C T H H KAÜHTAJIA JI, ΡΗΚΑΡΑΟ" („D.Ricardo's Theorie des 15 Werths und des Kapitals etc.") meine Theorie des Werths, des Geldes und des Kapitals in ihren Grundzügen als nothwendige Fortbildung der Smith- Ricardo'schen Lehre nachgewiesen. Was den Westeuropäer beim Lesen seines gediegnen Buchs überrascht, ist das konsequente Festhalten des rein theoretischen Standpunkts. 20 Die im „Kapital" angewandte Methode ist wenig verstanden worden, wie schon die einander widersprechenden Auffassungen derselben beweisen. So wirft mir die Pariser Revue Positiviste vor, einerseits, ich behandle die Oekonomie metaphysisch, andrerseits - man rathe! -, ich beschränke mich auf bloß kritische Zergliederung des Gegebnen, statt Recepte (comti- 25 stische?) für die Garküche der Zukunft zu verschreiben. Gegen den Vor- wurf der Metaphysik bemerkt Prof. Sieber: „So weit es sich um die eigent- liche Theorie handelt, ist die Methode von Marx die deduktive Methode der ganzen englischen Schule, deren Mängel und Vorzüge den besten theo- retischen Oekonomisten gemein sind." Herr M. Block - ,,Les Théoriciens 30 Die breimäuligen Faselhänse der deutschen Vulgärökonomie schelten Styl und Darstel- lung meiner Schrift. Niemand kann die literarischen Mängel des „Kapital" strenger beurthei- len als ich selbst. Dennoch will ich, zu Nutz und Freud dieser Herren und ihres Publikums, hier ein englisches und ein russisches Urtheil citiren. Die meinen Ansichten durchaus feindli- che Saturday Review sagte in ihrer Anzeige der ersten deutschen Ausgabe: Die Darstellung 35 „verleiht auch den trockensten ökonomischen Fragen einen eignen Reiz (charm)". Die C-IL- BtflOMOCTH (St. Petersburger Zeitung) bemerkt in ihrer Nummer vom 20. April 1872 u. a.: „Die Darstellung mit Ausnahme weniger zu specieller Theile zeichnet sich aus durch Allge- meinverständlichkeit, Klarheit und, trotz der wissenschaftlichen Höhe des Gegenstands, un- gewöhnliche Lebendigkeit. In dieser Hinsicht gleicht der Verfasser ... auch nicht von fern der 40 Mehrzahl deutscher Gelehrten, die ... ihre Bücher in so verfinsterter und trockner Sprache schreiben, daß gewöhnlichen Sterblichen der Kopf davon kracht." Den Lesern der zeitläufigen deutsch-nationalliberalen Professoralliteratur kracht jedoch etwas ganz andres als der Kopf. 14 Nachwort zur zweiten Auflage du Socialisme en Allemagne. Extrait du Journal des Économistes, juillet et août 1872" - entdeckt, daß meine Methode analytisch ist und sagt u. a.: «Par cet ouvrage M. Marx se classe parmi les esprits analytiques les plus éminents.» Die deutschen Recen||XV|senten schreien natürlich über He- 5 gel'sche Sophistik. Der Petersburger BI>CTHHKI> Ε Β Ρ Ο Π Η (europäischer Bote), in einem Artikel, der ausschließlich die Methode des „Kapital" behandelt (Mainummer 1872, p. 4 2 7 - 3 6 ) , findet meine Forschungsmethode streng realistisch, die Darstellungsmethode aber unglücklicher Weise deutsch- dialektisch. Er sagt: „Auf den ersten Blick, wenn man nach der äußern 10 Form der Darstellung urtheilt, ist Marx der größte Idealphilosoph und zwar im deutschen, d.h. schlechten Sinn des Wortes. In der That aber ist er un- endlich mehr Realist als alle seine Vorgänger im Geschäft der ökonomi- schen Kritik ... Man kann ihn in keiner Weise einen Idealisten nennen." Ich kann dem Herrn Verfasser nicht besser antworten, als durch einige 15 Auszüge aus seiner eignen Kritik, die zudem manchen meiner Leser, dem das russische Original unzugänglich ist, interessiren mögen. Nach einem Citat aus meiner Vorrede zur „Kritik der Pol. Oek." Berlin 1859, p. I V - V I I , wo ich die materialistische Grundlage meiner Methode erörtert habe, fährt der Herr Verfasser fort: 25 20 „Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Ge- setz wichtig, das sie beherrscht, so weit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang stehn, wie er in einer gegebnen Zeitperiode beob- achtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Verände- rung, ihrer Entwicklung, d. h. der Uebergang aus einer Form in die andre, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andre. Sobald er einmal dieß Gesetz entdeckt hat, untersucht er im Detail die Folgen, worin es sich im gesellschaftlichen Leben kundgibt .... Demzufolge bemüht sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Nothwen- 30 digkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzu- weisen und soviel als möglich untadelhaft die Thatsachen zu konstatiren, die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist vollständig hin- reichend, wenn er mit der Nothwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zu- gleich die Nothwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die er- ste unvermeidlich Übergehn muß, ganz gleichgültig, ob ||XVI| die Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewußt oder nicht bewußt sind. Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Proceß, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewußtsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewußtsein und Absich- ten bestimmen .... Wenn daß bewußte Element in der Kulturgeschichte 35 40 15 Nachwort zur zweiten Auflage 5 eine so untergeordnete Rolle spielt, dann verstellt es sich von selbst, daß die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgend etwas andres, irgend eine Form oder irgend ein Resultat des Bewußtseins zur Grundlage haben kann. Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich be- schränken auf die Vergleichung und Konfrontirung einer Thatsache, nicht mit der Idee, sondern mit der andren Thatsache. Für sie ist es nur wichtig, daß beide Thatsachen möglichst genau untersucht werden und wirklich die eine gegenüber der andren verschiedne Entwicklungsmomente bilden, vor allem aber wichtig, daß nicht minder genau die Serie der Ordnungen er- 10 forscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die Entwick- lungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das läugnet Marx. Nach ihm existiren solche abstrakte Gesetze nicht ... Nach seiner 15 Meinung besitzt im Gegentheil jede historische Periode ihre eignen Ge- setze ... Sobald das Leben eine gegebene Entwicklungsperiode überlebt hat, aus einem gegebnen Stadium in ein andres übertritt, beginnt es auch durch andre Gesetze gelenkt zu werden. Mit einem Wort das ökonomische Leben bietet uns eine der Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der 20 Biologie analoge Erscheinung. ... Die alten Oekonomen verkannten die Natur ökonomischer Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Phy- sik und Chemie verglichen ... Eine tiefere Analyse der Erscheinungen be- wies, daß sociale Organismen sich von einander ebenso gründlich unter- scheiden als Pflanzen- und Thierorganismen ... Ja, eine und dieselbe 25 Erscheinung unterliegt ||XVII| ganz und gar verschiednen Gesetzen in Folge des verschiednen Gesammtbaus jener Organismen, der Abweichung ihrer einzelnen Organe, des Unterschieds der Bedingungen worin sie funk- tioniren u.s.w. Marx läugnet z.B., daß das Bevölkerungsgesetz dasselbe ist zu allen Zeiten und an allen Orten. Er versichert im Gegentheil, daß jede 30 Entwicklungsstufe ihr eignes Bevölkerungsgesetz hat ... Mit der verschied- nen Entwicklung der Produktivkraft ändern sich die Verhältnisse und die sie regelnden Gesetze. Indem sich Marx das Ziel stellt, von diesem Ge- sichtspunkt aus die kapitalistische Wirthschaftsordnung zu erforschen und zu erklären, formulirt er nur streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede 35 genaue Untersuchung des ökonomischen Lebens haben muß ... Der wis- senschaftliche Werth solcher Forschung liegt in der Aufklärung der be- sondren Gesetze welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines ge- gebenen gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren, höheren regeln. Und diesen Werth hat in der That das Buch von 40 Marx." 16 Nachwort zur zweiten Auflage Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend, und soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die dia- lektische Methode? 5 10 15 Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungs- weise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueig- nen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysiren und deren inn- res Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dieß und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wieder, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu thun. Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der He- gel'schen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegentheil. Für He- gel ist der Denkproceß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selb- ständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle. | IXVIIII Die mystifîcirende Seite der Hegel'schen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisirt, wo sie noch Tagesmode war. Aber 20 grade als ich den ersten Band des „Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonenthum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behan- deln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessing's Zeit den Spinoza be- handelt hat, nämlich als „todten Hund". Ich bekannte mich daher offen als 25 Schüler jenes großen Denkers, und kokettirte sogar hier und da im Kapitel über die Werththeorie mit der ihm eigenthümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegel's Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in um- fassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem 30 Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken. In ihrer mystificirten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgerthum und seinen doktrinären Wortführern ein Aergerniß und ein 35 Greuel, weil sie in dem positiven Verständniß des Bestehenden zugleich auch das Verständniß seiner Negation, seines nothwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponiren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist. 40 Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechsel- 17 Nachwort zur zweiten Auflage fallen des periodischen Cyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, ob- gleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspil- zen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpau- ken. 5 London, 24. Januar 1873. K a r l M a r x . I 18 Vorwort zur dritten Auflage | X I X | Zur dritten Auflage. Es war Marx nicht vergönnt, diese dritte Auflage selbst druckfertig zu ma- chen. Der gewaltige Denker, vor dessen Größe sich jetzt auch die Gegner neigen, starb am 14. März 1883. 5 Auf mich, der ich in ihm den vierzigjährigen, besten, unverbrüchlichsten Freund verlor, den Freund, dem ich mehr verdanke als sich mit Worten sa- gen läßt, auf mich fiel nun die Pflicht, die Herausgabe sowohl dieser drit- ten Auflage wie des handschriftlich hinterlassenen zweiten Bandes zu be- sorgen. Wie ich den ersten Teil dieser Pflicht erfüllt, darüber bin ich dem 10 Leser hier Rechenschaft schuldig. Marx hatte Anfangs vor, den Text des ersten Bandes großentheils umzu- arbeiten, manche theoretischen Punkte schärfer zu fassen, neue einzufü- gen, das geschichtliche und statistische Material bis auf die neueste Zeit zu ergänzen. Sein Krankheitszustand und der Drang, zur Schlußredaktion 15 des zweiten Bandes zu kommen, ließen ihn hierauf verzichten. Nur das Nöthigste sollte geändert, nur die Zusätze eingefügt werden, die die inzwi- schen erschienene französische Ausgabe (Le Capital. Par Karl Marx. Paris, Lachâtre 1873) schon enthielt. 20 Im Nachlaß fand sich denn auch ein deutsches Exemplar, das von ihm stellenweise korrigirt und mit Hinweisen auf die französische Ausgabe ver- sehen war; ebenso ein französisches, worin er die zu benutzenden Stellen genau bezeichnet hatte. Diese Aenderungen und Zusätze beschränken sich, mit wenigen Ausnahmen, auf den letzten Theil des Buchs, den Ab- schnitt: der Akkumulationsproceß des Kapitals. Hier folgte der bisherige 25 Text mehr als sonst dem ursprünglichen Entwurf, während die früheren Abschnitte gründlicher überarbeitet waren. Der Styl war daher lebendiger, mehr aus einem Guß, aber auch nachlässiger, mit Anglicismen versetzt, stellenweise undeutlich; der Entwicklungsgang bot hier und da Lücken, in- dem einzelne wichtige Momente nur angedeutet waren. 19 Vorwort zur dritten Auflage | Was den Styl betrifft, so hatte Marx mehrere Unterabschnitte | X X | selbst gründlich revidirt und mir darin, sowie in häufigen mündlichen Andeutungen, das Maß gegeben, wie weit ich gehn durfte in der Entfer- nung englischer technischer Ausdrücke und sonstiger Anglicismen. Die Zusätze und Ergänzungen hätte Marx jedenfalls noch überarbeitet und das glatte Französisch durch sein eignes gedrungenes Deutsch ersetzt; ich mußte mich begnügen, sie unter möglichstem Anschluß an den ursprüngli- chen Text zu übertragen. 5 Es ist also in dieser dritten Auflage kein Wort geändert, von dem ich nicht bestimmt weiß, daß der Verfasser selbst es geändert hätte. Es konnte 10 mir nicht in den Sinn kommen, in das „Kapital" den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Oekonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwälsch, worin z . B . derjenige, der sich für baare Zahlung von Andern ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Fran- 15 zösischen wird travail im gewöhnlichen Leben im Sinn von „Beschäfti- gung" gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Oekonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Ar- beiter receveur de travail nennen wollte. Ebensowenig habe ich mir erlaubt, das im Text durchweg gebrauchte 20 englische Geld, Maß und Gewicht auf seine neudeutschen Aequivalente zu reduziren. Als die erste Auflage erschien, gab es in Deutschland so viel Arten von Maß und Gewicht wie Tage im Jahr, dazu zweierlei Mark, (die Reichsmark galt damals nur im Kopf Soetbeers, der sie Ende der 30ger Jahre erfunden) zweierlei Gulden und mindestens dreierlei Thaler, darun- 25 ter einer, dessen Einheit das „neue Zweidrittel" war. In der Naturwissen- schaft herrschte metrisches, auf dem Weltmarkt englisches Maß und Ge- wicht. Unter solchen Umständen waren englische Maßeinheiten selbstver- ständlich für ein Buch, das seine thatsächlichen Belege fast ausschließlich aus englischen industriellen Verhältnissen zu nehmen genöthigt war. Und 30 dieser letzte Grund bleibt auch noch heute entscheidend, um so mehr als die bezüglichen Verhältnisse auf dem Weltmarkt sich kaum geändert ha- ben, und namentlich für die ausschlaggebenden Industrien | | X X I | - Eisen und Baumwolle - englisches Maß und Gewicht noch heute fast ausschließ- lich herrscht. 35 Schließlich noch ein Wort über Marx' wenig verstandne Art zu citiren. Bei rein thatsächlichen Angaben und Schilderungen dienen die Citate, z . B . aus den englischen Blaubüchern, selbstredend als einfache Belegstel- len. Anders aber da, wo theoretische Ansichten andrer Oekonomen citirt werden. Hier soll das Citat nur feststellen, wo, wann, und von wem ein, im 40 Lauf der Entwicklung sich ergebender ökonomischer Gedanke zuerst klar 20 Vorwort zur dritten Auflage 5 ausgesprochen ist. Wobei es nur darauf ankommt, daß die fragliche ökono- mische Vorstellung für die Geschichte der Wissenschaft Bedeutung hat, daß sie der mehr oder weniger adäquate theoretische Ausdruck der ökono- mischen Lage ihrer Zeit ist. Ob aber diese Vorstellung für den Standpunkt des Verfassers noch absolute oder relative Geltung hat, oder ob sie bereits ganz der Geschichte verfallen, darauf kommt es ganz und gar nicht an. Diese Citate bilden also nur einen, der Geschichte der ökonomischen Wis- senschaft entlehnten, laufenden Kommentar zum Text, und stellen die ein- zelnen wichtigeren Fortschritte der ökonomischen Theorie nach Datum 10 und Urheber fest. Und das war sehr nöthig in einer Wissenschaft, deren Geschichtschreiber bisher nur durch tendenziöse, fast streberhafte Unwis- senheit sich auszeichnen. - Man wird es nun auch begreiflich finden, wes- halb Marx, im Einklang mit dem Vorwort zur zweiten Ausgabe, nur ganz ausnahmsweis deutsche Oekonomen anzuführen in den Fall kommt. 15 Der zweite Band wird hoffentlich im Laufe des Jahres 1884 erscheinen können. London, 7.Novbr. 1883. F r i e d r i c h E n g e l s . | 21 Vorwort zur vierten Auflage |XXII| Zur vierten Auflage. Die vierte Auflage forderte von mir eine möglichst endgültige Feststellung des Textes sowohl wie der Anmerkungen. Wie ich dieser Anforderung nachgekommen, darüber kurz Folgendes. Nach nochmaliger Vergleichung der französischen Ausgabe und der handschriftlichen Notizen von Marx habe ich aus jener noch einige Zu- sätze in den deutschen Text aufgenommen. Sie finden sich auf S.80 (dritte Auflage S. 88), S. 4 5 8 - 6 0 (dritte, S. 5 0 9 - 1 0 ) , S. 5 4 7 - 5 1 (dritte, S. 600)), S. 5 9 1 - 9 3 (dritte, S.644) und S . 5 9 6 (dritte, S.648) in der Note 79. Ebenso habe ich nach Vorgang der französischen und englischen Ausgabe die lange Anmerkung über die Bergwerksarbeiter (dritte Aufl. S. 5 0 9 - 5 1 5 ) in den Text gesetzt (vierte Aufl. S . 4 6 1 - 6 7 ) . Sonstige kleine Änderungen sind rein technischer Natur. Ferner habe ich noch einige erläuternde Zusatznoten gemacht, nament- lich da, wo veränderte geschichtliche Umstände dieß zu erfordern schie- nen. Alle diese Zusatznoten sind in eckige Klammern gesetzt und mit mei- nen Anfangsbuchstaben oder mit „D. H." bezeichnet. Eine vollständige Revision der zahlreichen Citate war nothwendig ge- worden durch die inzwischen erschienene englische Ausgabe. Für diese hatte Marx' jüngste Tochter Eleanor sich der Mühe unterzogen, sämmtli- che angeführte Stellen mit den Originalen zu vergleichen, sodaß in den, bei weitem vorwiegenden, Citaten aus englischen Quellen dort keine Rück- übersetzung aus dem Deutschen, sondern der englische Originaltext selbst erscheint. Es lag mir also ob, diesen Text bei der vierten Auflage zu Rathe zu ziehn. Es fanden sich dabei mancherlei kleine Ungenauigkeiten. Hin- weise auf unrichtige Seitenzahlen, theils beim Kopiren aus den Heften ver- schrieben, theils im Verlauf von drei Auflagen gehäufte Druckfehler. Un- richtig gesetzte Anführungszeichen oder Lückenpunkte, wie dies bei massenhaftem Citiren aus Auszugsheften unvermeidlich. Hier und da ein 22 Vorwort zur vierten Auflage 5 weniger glücklich gewähltes Übersetzungswort. Einzelne Stellen citirt aus den alten Pariser Heften 1 8 4 3 - 4 5 , wo Marx noch kein Englisch verstand, und englische Oekonomen in französischer Uebersetzung | | X X I I I | las; wo denn der doppelten Uebersetzung eine leichte Aenderung der Klangfarbe entsprach, z.B. bei Steuart, Ure u. A. — wo jetzt der englische Text zu be- nutzen war. Und was dergleichen kleine Ungenauigkeiten und Nachlässig- keiten mehr sind. Wenn man nun die vierte Auflage mit den vorigen ver- gleicht, so wird man sich überzeugen, daß dieser ganze mühsame Berichtigungsprozeß an dem Buch aber auch nicht das Geringste geändert 10 hat, das der Rede werth ist. Nur ein einziges Citat hat nicht gefunden wer- den können, das aus Richard Jones (4. Aufl. S.562, Note 47); Marx hat sich wahrscheinlich im Titel des Buches verschrieben. Alle andern behalten ihre volle Beweiskraft oder verstärken sie in der jetzigen exakten Form. Hier aber bin ich genöthigt, auf eine alte Geschichte zurückzukom- 15 men. Es ist mir nämlich nur ein Fall bekannt, wo die Richtigkeit eines Marx'schen Citats in Zweifel gezogen worden. Da dieser aber bis über Marx' Tod hinausgespielt hat, kann ich ihn hier nicht gut Übergehn. In der Berliner ,,Concordia", dem Organ des deutschen Fabrikantenbun- 20 des, erschien am 7. März 1872 ein anonymer Artikel: „Wie Karl Marx ci- tirt". Hier wurde mit überreichlichem Aufwand von sittlicher Entrüstung und von unparlamentarischen Ausdrücken behauptet, das Citat aus Glad- stone's Budgetrede vom 16. April 1863 (in der Inauguraladresse der Inter- nationalen Arbeiterassociation von 1864, und wiederholt im „Kapital", I, 25 S. 617, vierte Aufl., Seite 671, dritte Aufl.) sei gefälscht. Der Satz: „Diese berauschende Vermehrung von Reichthum und Macht ... ist ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschränkt", stehe mit keinem Wort im (qua- siofficiellen) stenographischen Bericht von Hansard. „Dieser Satz befindet sich aber nirgends in der Gladstone'schen Rede. Gerade das Gegentheil ist in derselben gesagt. (Mit fetter Schrift) Marx hat den Satz formell und materiell hinzugelogen!" 30 35 Marx, dem diese No. der Concordia im folgenden Mai zugesandt wurde, antwortete dem Anonymus im „Volksstaat" vom 1. Juni. Da er sich nicht mehr erinnerte, nach welchem Zeitungsreferat er citirte, beschränkte er sich darauf, das gleichlautende Citat zunächst in zwei englischen Schriften nachzuweisen, und sodann das Referat der Times zu citiren, wonach Glad- stone sagt: "That is the state of the case as regards the wealth of this coun- try. I must say for one, I should look | | X X I V | almost with apprehension and with pain upon this intoxicating augmentation of wealth and power, if it 40 were my belief that it was confined to classes who are in easy circum- stances. This takes no cognizance at all of the condition of the labouring 23 Vorwort zur vierten Auflage population. The augmentation I have described and which is founded, I think, upon accurate returns, is an augmentation entirely confined to classes of property." Also Gladstone sagt hier, es würde ihm leid thun, wenn dem so wäre, aber es sei so: Diese berauschende Vermehrung von Macht und Reichthum sei ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschränkt. Und was den quasiofficiellen Hansard betrifft, so sagt Marx weiter: „In seiner hier nach- träglich zurechtgestümperten Ausgabe war Herr Gladstone so gescheidt, die im Munde eines englischen Schatzkanzlers allerdings compromittirli- che Stelle wegzupfuschen. Es ist dieß übrigens herkömmlicher englischer 10 Parlamentsbrauch, und keineswegs eine Erfindung des Laskerchen contra Bebel." 5 Der Anonymus wird immer erboster. Die Quellen zweiter Hand in seiner Antwort, Concordia 4. Juli, bei Seite schiebend, deutet er schamhaft an, es sei „Sitte", Parlamentsreden nach dem stenographischen Bericht zu citi- 15 ren; aber auch der Bericht der Times (worin der „hinzugelogene" Satz steht) und der von Hansard (worin er fehlt) „stimmen materiell völlig über- ein", und ebenso enthalte der Timesbericht „das direkte Gegentheil jener berüchtigten Stelle der Inauguraladresse", wobei der Mann sorgsam ver- schweigt, daß er neben diesem angeblichen „Gegentheil" gerade J e n e be- 20 rüchtigte Stelle" ausdrücklich enthält! Trotz alledem fühlt der Anonymus, daß er festsitzt, und daß nur ein neuer Winkelzug ihn retten kann. Wäh- rend er also seinen, wie so eben nachgewiesen, von „frecher Verlogenheit" strotzenden Artikel mit erbaulichen Schimpfereien spickt, als da sind: „mala fides", „Unehrlichkeit", „lügenhafte Angabe", J e n e s lügenhafte Ci- 25 tat", „freche Verlogenheit", „ein Citat, das völlig gefälscht war", „diese Fäl- schung", „einfach infam", u. s. w. findet er es für nöthig, die Streitfrage auf ein andres Gebiet überzuspielen, und verspricht daher „in einem zwei- ten Artikel auseinanderzusetzen, welche Bedeutung wir (der nicht „lü- genhafte" Anonymus) dem Inhalt dem Oladstone'schen Worte beilegen". 30 Als ob diese seine unmaßgebliche Meinung das Geringste mit der Sache zu thun habe! Dieser zweite Artikel steht in der Concordia vom 11. Juli. | | X X V | Marx antwortete noch einmal im „Volksstaat" vom 7. August, in- dem er nun auch die Referate der betreffenden Stelle aus dem Morning Star und dem Morning Advertiser vom 17. April 1863 brachte. Nach beiden 35 sagt Gladstone, er würde mit Besorgniß u.s.w. auf diese berauschende Ver- mehrung von Reichthum und Macht blicken, wenn er sie auf die wirklich wohlhabenden Klassen (classes in easy circumstances) beschränkt glaubte. Aber diese Vermehrung sei beschränkt auf Klassen, die Eigenthum besit- zen (entirely confined to classes possessed of property). Also auch diese 40 Referate bringen den angeblich „hinzugelogenen" Satz wörtlich. Ferner 24 Vorwort zur vierten Auflage stellte er nochmals fest, durch Vergleichung der Texte der Times und Han- sard's, daß der, durch drei am nächsten Morgen erschienene, von einander unabhängige, gleichlautende Zeitungsreferate als wirklich gesprochen kon- statirte Satz in dem nach bekannter „Sitte" durchgesehenen Referat von 5 Hansard fehlt, daß Gladstone ihn, in Marx' Worten „nachträglich wegsti- pitzt hat", und erklärt schließlich, er habe keine Zeit mit dem Anonymus weiter zu verkehren. Dieser scheint auch genug gehabt zu haben, wenig- stens erhielt Marx keine ferneren Nummern der ,,Concordia" zuge- schickt. 10 Damit schien die Sache todt und begraben. Allerdings kamen uns seit- dem ein oder zweimal von Leuten, die mit der Universität Cambridge in Verkehr standen, geheimnißvolle Gerüchte zu über ein unsagbares literari- sches Verbrechen, das Marx im „Kapital" begangen haben sollte; aber trotz aller Nachforschungen war absolut nichts Bestimmteres zu erfahren. Da, 15 am 29. November 1883, acht Monate nach Marx' Tod, erschien in der „Times" ein Brief, datirt Trinity College, Cambridge, und unterzeichnet Sedley Taylor, worin bei einer vom Zaun gebrochnen Gelegenheit dies in zahmster Genossenschafterei machende Männlein uns endlich Aufklärung verschaffte, nicht nur über die Munkeleien von Cambridge, sondern auch 20 über den Anonymus der ,,Concordia". „Was äußerst sonderbar erscheint", sagt das Männlein von Trinity Col- lege, „ist, daß es dem Professor Brentano (damals in Breslau, jetzt in Straß- burg) vorbehalten war ... die mala fides zu enthüllen, welche augenschein- lich das Citat aus Gladstones Rede in der (Inaugural) Adresse diktirt hatte. 25 Herr Karl Marx, der ... das Citat zu vertheidigen suchte, hatte die Verwe- genheit, in den Todeswindungen (deadly shifts) | | X X V I | auf die Brentano's meisterhaft geführte Angriffe ihn schleunigst herunter brachten, zu be- haupten, Herr Gladstone habe den Bericht seiner Rede in der Times vom 17. April 1863 zurechtgestümpert ehe er in Hansard erschien, um eine 30 Stelle wegzupfuschen, die allerdings für einen englischen Schatzkanzler compromittirlich sei. Als Brentano, durch eine ins Einzelne gehende Text- vergleichung, bewies, daß die Berichte der „Times" und von Hansard über- einstimmten in absolutem Ausschluß des Sinnes, den pfìffìg-isolirte Citi- rung den Gladstone'schen Worten untergeschoben hatte, da zog Marx sich zurück unter dem Vorwand des Zeitmangels!" 35 Das also war des Pudels Kern! Und so glorios reflektirte sich in der pro- duktivgenossenschaftlichen Phantasie von Cambridge die anonyme Cam- pagne Herrn Brentano's in der ,,Concordia"! So lag er, und so führt' er seine Klinge, in „meisterhaft geführtem Angriff, dieser Sankt Georg des deutschen Fabrikantenbundes, während der Höllendrache Marx zu seinen Füßen „schleunigst in Todeswindungen" verröchelt! 40 25 Vorwort zur vierten Auflage Jedennoch dient diese ganze ariostische Kampfschilderung nur dazu, die Winkelzüge unsres Sankt Georg zu verdecken. Hier ist schon nicht mehr die Rede von „Hinzulügen", von „Fälschung", sondern von „pfiffig isolirter Citirung" (craftily isolated quotation). Die ganze Frage war ver- schoben, und Sankt Georg und sein Cambridger Schildknappe wußten sehr genau weshalb. 5 Eleanor Marx antwortete, da die „Times" die Aufnahme verweigerte, in der Monatsschrift „To-Day", Februar 1884, indem sie die Debatte auf den einzigen Punkt zurückführte, um welchen es sich gehandelt hatte: Hat Marx jenen Satz „hinzugelogen" oder nicht? Darauf erwidert Herr Sedley 10 Taylor: „die Frage, ob ein gewisser Satz in Herrn Gladstone's Rede vorge- kommen sei oder nicht", sei nach seiner Ansicht „von sehr untergeordneter Bedeutung gewesen", im Streit zwischen Marx und Brentano, „verglichen mit der Frage, ob das Citat gemacht worden sei in der Absicht, Gladstone's Sinn wiederzugeben oder zu entstellen". Und dann giebt er zu, daß der 15 Times-Bericht „in der That einen Widerspruch in den Worten enthält" ; aber, aber, der übrige Zusammenhang, richtig, d. h. im liberal-gladstone'schen Sinn erklärt, zeige an, was Herr Gladstone habe sagen wollen. (To-Day, März 1884.) Das Komischste dabei ist, daß unser Männlein von Cam- bridge | | X X V I I | nun darauf besteht, die Rede nicht nach Hansard zu citi- 20 ren, wie es nach dem anonymen Brentano „Sitte" ist, sondern nach dem von demselben Brentano als „nothwendig stümperhaft" bezeichneten Be- richt der Times. Natürlich, der fatale Satz fehlt ja im Hansard! Eleanor Marx hatte es leicht, diese Argumentation in derselben Num- mer von To-Day in Dunst aufzulösen. Entweder hatte Herr Taylor die Kon- 25 troverse von 1872 gelesen. Dann hatte er jetzt „gelogen", nicht nur „hinzu", sondern auch „hinweg". Oder er hatte sie nicht gelesen. Dann war er verpflichtet den Mund zu halten. Jedenfalls stand fest, daß er die An- klage seines Freundes Brentano, Marx habe „hinzugelogen", keinen Augenblick aufrecht zu erhalten wagte. Im Gegentheil, Marx soll nun 30 nicht hinzugelogen, sondern einen wichtigen Satz unterschlagen haben. Aber dieser selbe Satz ist citirt auf S.5 der Inauguraladresse, wenige Zeilen vor dem angeblich „hinzugelogenen". Und was den „Widerspruch" in Gladstones Rede angeht, ist es nicht gerade Marx, der im Kapital S. 618 (3. Aufl. S.672) Note 105, von den „fortlaufenden, schreienden Widersprü- 35 chen in Gladstone's Budgetreden von 1863 und 1864" spricht! Nur daß er sich nicht à la Sedley Taylor unterfängt sie in liberalen Wohlgefallen auf- zulösen. Und das Schlußresume in E. Marx' Antwort lautet dann: „Im Ge- gentheil, Marx hat weder etwas Anführenswerthes unterdrückt noch das Geringste hinzugelogen. Aber er hat wiederhergestellt und der Vergessen- 40 heit entzogen einen gewissen Satz einer Gladstone'schen Rede, der un- 26 Vorwort zur vierten Auflage zweifelhaft ausgesprochen worden, der aber, so oder so, seinen Weg gefun- den hat - aus Hansard hinaus." Damit hatte Herr Sedley Taylor denn auch genug, und das Resultat des ganzen, durch zwei Jahrzehnte und über zwei große Länder fortgesponne- 5 nen Professorenklüngels war, daß man nicht mehr gewagt hat, Marx' litera- rische Gewissenhaftigkeit anzutasten, daß aber seitdem Herr Sedley Taylor wohl ebensowenig Vertrauen setzen wird in die literarischen Schlachtbulle- tins des Herrn Brentano, wie Herr Brentano in die päpstliche Unfehlbarkeit von Hansard. 10 London, 25. Juni 1890. F . E n g e l s . I 27 Inhaltsverzeichnis |XXVIII| Inhaltsverzeichniß. Vorwort zur ersten (V.), zweiten (X.), dritten ( X I X . ) und vierten Auflage. 5 Erstes Buch. Der Produktionsproceß des Kapitals. Erster Abschnitt. Waare und Geld. Erstes Kapitel. Die Waare 10 1) Die zwei Faktoren der Waare: Gebrauchswerth und Werth (Werthsubstanz, Werthgröße) 2) Doppelcharakter der in den Waaren dargestellten Arbeit 3) Die Werthform oder der Tauschwerth A. Einfache oder einzelne Werthform . . . 15 1) Die beiden Pole des Werthausdrucks: Relative Werth- form und Aequivalentform 2) Die relative Werthform a) Gehalt der relativen Werthform b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Werthform 20 25 3) Die Aequivalentform 4) Das Ganze der einfachen Werthform B. Totale oder entfaltete Werthform 1) Die entfaltete relative Werthform 2) Die besondre Aequivalentform 3) Mängel der totalen oder entfalteten Werthform C Allgemeine Werthform . . 1) Veränderter Charakter der Werthform Seite 1 1 7 14 15 15 16 16 19 22 27 29 29 30 30 31 32 29 Inhaltsverzeichnis 2) Entwicklungsverhältniß von relativer Werthform und Aequivalentform 3) Uebergang aus der allgemeinen Werthform zur Geld- form D. Geldform 4) Der Fetischcharakter der Waare und sein Geheimniß Zweites Kapitel. Der Austauschproceß Drittes Kapitel. Das Geld oder die Waarencirkulation 1) Maß der Werthe. (Preis. - Maßstab der Preise. - Allgemeines Steigen oder Fallen der Preise. - Rechennamen des Geldes, Rechengeld. - Quantitative Inkongruenz von Werthgröße und Preis. - Qualitative Inkongruenz derselben. - Preis nur ideelle Werthform der Waare) 2) Cirkulationsmittel a) Die Metamorphose der Waare (Kreislauf W-G-W. - Ver- kauf: W-G. - Kauf: G-W. - Gesammtmetamorphose einer Waare. - Waarencirkulation. - Unterschied zwischen Waa- rencirkulation und Produktenaustausch) b) Der Umlauf des Geldes. (Waarenmetamorphose und Geld- umlauf. - Doppelter Stellenwechsel des Geldes. - Quanti- tät des umlaufenden Geldes. - Umlaufsgeschwindigkeit. | | X X I X | Seite 34 35 36 37 50 59 5 10 59 68 15 68 20 - Fluß und Stockung des Umlaufs. - Faktoren, welche die Masse des umlaufenden Geldes bestimmen) 78 25 c) Die Münze, das Werthzeichen. (Münze und Barren, Ver- schleiß der Münze. - Werthzeichen. - Silber- und Kupfer- marken. - Papiergeld. - Gesetz der Papiercirkulation mit Zwangskurs) 3) Geld a) Schatzbildung b) Zahlungsmittel c) Weltgeld Zweiter Abschnitt. Die Verwandlung von Geld in Kapital. Viertes Kapitel. Die Verwandlung von Geld in Kapital 1) Die allgemeine Formel des Kapitals 2) Widersprüche der allgemeinen Formel 3) Kauf und Verkauf der Arbeitskraft 88 93 30 93 98 105 35 109 109 118 129 30 Inhaltsverzeichnis (Der „freie Arbeiter". - Werth der Arbeitskraft. - Eigenthüm- liche Natur der Waare „Arbeitskraft"). Seite Dritter Abschnitt. Die Produktion des absoluten Mehrwerths. Fünftes Kapitel. Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß 139 (Arbeitsproceß. - Arbeitsgegenstand, Rohmaterial, Arbeits- mittel. - Produktionsmittel. - Produktive Konsumtion. - Der Arbeitsproceß als Konsumtionsproceß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten. - Werthbildungsproceß. - Werth der Ar- beitskraft und ihre Verwerthung im Arbeitsproceß verschiedne Größen. - Verwerthungsproceß, Genesis des Kapitals). Sechstes Kapitel. Konstantes Kapital und variables Kapital Siebentes Kapitel. Die Rate des Mehrwerths 1) Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft 2) Darstellung des Produktenwerths in proportionellen Theilen . des Produkts 3) Seniors „Letzte Stunde" 4) Das Mehrprodukt 20 Achtes Kapitel. Der Arbeitstag 1) Die Grenzen des Arbeitstags 2) Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar . . . . 3) Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploita- tion (Spitzenindustrie. - Töpferei. - Zündhölzer. - Tapeten. - Bäckerei. - Eisenbahnbetrieb. - Putzmacherei. - Schmiede.) 4) Tag- und Nachtarbeit. Das Ablösungssystem (Metallurgie und Metallindustrie.) 5) Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetze zur Ver- längerung des Arbeitstags von der Mitte des 14. bis Ende des 17.Jahrhunderts 226 | | X X X | (Rücksichtslosigkeit des Kapitals gegen Gesundheit und Le- bensdauer des Arbeiters. - Englische Arbeiterstatuten. - Schranken des Arbeitstags im 17. Jahrhundert bis zur Epoche der großen Industrie.) 6) Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetzliche Be- schränkung der Arbeitszeit. Englische Fabrikgesetzgebung 1 8 3 3 - 6 4 (Akt von 1833. - Von 1844. - Von 1847. - Von 1850. - Sei- denfabrik. - Druckereien. - Färbereien und Bleichereien.) 240 31 5 10 15 25 30 35 40 161 173 173 182 185 191 192 192 196 204 218 Inhaltsverzeichnis 7) Der Kampf um den Normalarbeitstag. Rückwirkung der engli- schen Fabrikgesetzgebung auf andre Länder Neuntes Kapitel. Rate und Masse des Mehrwerths Vierter Abschnitt. Die Produktion des relativen Mehrwerths. Zehntes Kapitel. Begriff des relativen Mehrwerths Elftes Kapitel. Kooperation (Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion, ihr quantita- tiver Unterschied von der zünftigen Industrie. - Gesellschaft- liehe Durchschnittsarbeit. - Oekonomie der Produktionsmit- tel. - Gesellschaftliche Produktivkräfte der kooperativen Arbeit. - Frühere Formen der Kooperation. - Ihre kapitalisti- sche Form.) Zwölftes Kapitel. Theilung der Arbeit und Manufaktur 1) Doppelter Ursprung der Manufaktur 2) Der Theilarbeiter und sein Werkzeug 3) Die beiden Grundformen der Manufaktur. Heterogene Ma- nufaktur und organische Manufaktur 4) Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft 5) Der kapitalistische Charakter der Manufaktur Dreizehntes Kapitel. Maschinerie und große Industrie 1) Entwicklung der Maschinerie 2) Werthabgabe der Maschinerie an das Produkt 3) Nächste Wirkungen des maschinenmäßigen Betriebs auf den Seite 261 266 276 285 5 10 300 15 300 303 306 20 315 324 334 334 350 25 Arbeiter a) Aneignung zuschüssiger Arbeitskräfte durch das Kapital. 358 Weiber- und Kinderarbeit b) Verlängerung des Arbeitstags c) Intensifikation der Arbeit 4) Die Fabrik 5) Kampf zwischen Arbeiter und Maschine 6) Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie . verdrängten Arbeiter 7) Repulsion und Attraktion von Arbeitern mit Entwicklung des Maschinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie 8) Revolutionirung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit durch die große Industrie 358 367 30 373 384 392 403 35 412 425 32 Inhaltsverzeichnis a) Aufhebung der auf Handwerk und Theilung der Arbeit be- ruhenden Kooperation b) Rückwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Haus- 5 arbeit | X X X I | 10 c) Die moderne Manufaktur d) Die moderne Hausarbeit (Spitzenfabrik, Strohflechterei) . e) Uebergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur großen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch Anwendung der Fabrikgesetze auf jene Betriebsweisen (die Nähmaschine) 9) Fabrikgesetzgebung. (Gesundheits- und Erziehungsklauseln.) Ihre Verallgemeinerung in England (Minenindustrie) 15 10) Große Industrie und Agrikultur Fünfter Abschnitt. Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerths. Vierzehntes Kapitel. Absoluter und Relativer Mehrwerth Fünfzehntes Kapitel. Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und 20 Mehrwerth . . I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit konstant, Produktivkraft der Arbeit variabel II. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivkraft der Arbeit, Intensität der Arbeit variabel 25 III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant, Arbeitstag variabel IV. Gleichzeitige Variationen in Dauer, Produktivkraft und In- tensität der Arbeit Sechzehntes Kapitel. Verschiedene Formeln für die Rate des Mehr- 30 werths Sechster Abschnitt. Der Arbeitslohn. Siebzehntes Kapitel. Verwandlung von Werth, resp. Preis der Ar- beitskraft, in Arbeitslohn 35 Achtzehntes Kapitel. Der Zeitlohn Neunzehntes Kapitel. Der Stücklohn Zwanzigstes Kapitel. Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne . Seite 425 426 | 428 431 435 446 469 472 482 483 487 489 490 493 497 505 513 521 33 Inhaltsverzeichnis Siebenter Abschnitt. Der Akkumulationsproceß. Einundzwanzigstes Kapitel. Einfache Reproduktion (Arbeiterklasse als Zubehör des Kapitals. Das Verhältniß zwi- sehen Kapitalist und Arbeiter reproducirt durch den kapitali- stischen Produktionsproceß.) Zweiundzwanzigstes Kapitel. Verwandlung von Mehrwerth in Kapi- tal 1) Kapitalistischer Produktionsproceß auf erweiterter Stufenlei- ter. Umschlag der Eigenthumsgesetze der Warenproduktion in Gesetze der kapitalistischen Aneignung 2) Irrige Auffassung der Reproduktion auf erweiterter Stufenlei- ter seitens der politischen Oekonomie 3) Theilung des Mehrwerths in Kapital und Revenue. Die Absti- nenztheorie 4) Umstände, welche unabhängig von der proportioneilen Thei- lung des Mehrwerths in Kapital und Revenue den Umfang der Akkumu-1 | X X X I I | lation bestimmen: Exploitationsgrad der Arbeit. - Produktiv- kraft der Arbeit. - Wachsende Differenz zwischen angewand- tem und konsumirtem Kapital. - Größe des vorgeschoßnen Kapitals 5) Der sogenannte Arbeitsfonds Dreiundzwanzigstes Kapitel. Das allgemeine Gesetz der kapitalisti- schen Akkumulation 1) Wachsende Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkumula- . . tion, bei gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals 2) Relative Abnahme des variablen Kapitalteils im Fortgang der Akkumulation und der sie begleitenden Koncentration . . 3) Progressive Produktion einer relativen Uebervölkerung oder industriellen Reservearmee 4) Verschiedne Existenzformen der relativen Uebervölkerung. . . Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5) Illustrationen des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation a) England von 1 8 4 6 - 6 6 b) Die schlecht bezahlten Schichten der britischen industriel- len Arbeiterklasse (Nahrungsverhältnisse. - Wohnungszu- Seite 527 5 542 542 551 554 10 15 20 562 573 25 576 576 585 593 30 606 35 613 613 40 34 Inhaltsverzeichnis stand. - London. - Newcastle upon Tyne. - Bradford. - Bristol) c) Das Wandervolk (Wohnungsverhältnisse. - Eisenbahnar- 5 beiter. - Kohlen- und andere Bergwerksarbeiter) terklasse (Eisenschiffsbauer i m Osten von London) d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Theil der Arbei- . . . . e) Das britische Ackerbauproletariat (Die Wandergänge) . . . f) Irland 15 10 Vierundzwanzigstes Kapitel. Die sog. ursprüngliche Akkumulation 1) Das Geheimniß der sog. ursprünglichen Akkumulation . . . . 2) Expropriation des englischen Landvolks von Grund und Bo- den. (Verwandlung von Ackerland in Viehweide im letzten Drittel des 15. und den ersten Decennien des 16. Jahrhun- derts. - Die Reformation und der Diebstahl an den Kirchen- gütern. - Verwandlung von feudalem in bürgerliches Eigen- thum. - Die Restauration und die ,,Glorious Revolution". - Diebstahl an Staatsdomänen. - Gemeindeeigenthum und der Raub desselben. - Clearing of Estates, Verwandlung von Ak- kerland in Schaftriften und von Schaftriften in Jagdrevier im schottischen Hochland.) 20 25 30 3) Blutgesetzgebung gegen die Expropriirten seit Ende des 15. Jahrhunderts. Gesetze zur Herabdrückung des Arbeits- lohns stellung des innern Markts für das industrielle Kapital 4) Genesis der kapitalistischen Pächter 5) Rückwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie. Her- . . . . (Kolonialsystem. Staatsschuldensystem. - Modernes Steuersystem und Protek- tionssystem. - Der Kinderraub beim Beginn der großen Indu- industriellen Kapitalisten. 6) Genesis der strie) 7) Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation . Fünfundzwanzigstes Kapitel. Das moderne Kolonialsystem Seite 620 629 634 639 664 679 679 699 708 710 714 726 729 | 35 Erstes Kapitel · Die Ware |1| E R S T E S BUCH. Der Produktionsproceß des Kapitals. E R S T E R A B S C H N I T T . Waare und Geld. 5 E R S T E S K A P I T E L . Die Waare. 1) Die zwei Factoren der Waare: Gebrauchswerth und Werth (Werthsubstanz, Werthgröße). Der Reichthum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktions- 10 weise herrscht, erscheint als eine „ungeheure Waarensammlung" 1), die ein- zelne Waare als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Waare. Die Waare ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgend einer Art befriedigt. 15 Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z . B . dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache 2). Es handelt sich hier auch nicht *) Karl Marx: „Zur Kritik der Politischen Oekonomie. Berlin 1859", pag. 3. 2) "Desire implies want; it is the appetite of the mind, and as natural as hunger to the body ... the greatest number (of things) have their value from supplying the wants of the mind." Nicho- 37 Erster Abschnitt · Ware und Geld darum, wie die Sache das menschliche Bedürfniß befriedigt, ob unmittel- bar als Lebensmittel, d. h. als Gegenstand des Genusses, oder auf einem Umweg, als Produktionsmittel. Jedes nützliche Ding, wie Eisen, Papier u.s.w., ist unter doppeltem Ge- sichtspunkt zu betrachten, nach Qualität und Quantität. Jedes solches Ding ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach verschiede- nen Seiten nützlich sein. Diese verschiedenen Seiten und daher die man- nigfachen Gebrauchsweisen der Dinge ||2| zu entdecken, ist geschichtliche T h a t 3 ) . So die Findung gesellschaftlicher Maße für die Quantität der nütz- lichen Dinge. Die Verschiedenheit der Waarenmaße entspringt theils aus 10 der verschiedenen Natur der zu messenden Gegenstände, theils aus Kon- vention. 5 Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswerth 4). Aber diese Nützlichkeit schwebt nicht in der Luft. Durch die Eigenschaften des Waarenkörpers bedingt, existirt sie nicht ohne denselben. Der Waarenkör- 15 per selbst, wie Eisen, Weizen, Diamant u. s. w. ist daher ein Gebrauchs- werth oder Gut. Dieser sein Charakter hängt nicht davon ab, ob die Aneig- nung seiner Gebrauchseigenschaften dem Menschen viel oder wenig Arbeit kostet. Bei Betrachtung der Gebrauchswerte wird stets ihre quanti- tative Bestimmtheit vorausgesetzt, wie Dutzend Uhren, Elle Leinwand, 20 Tonne Eisen u. s.w. Die Gebrauchswerthe der Waaren liefern das Material einer eignen Disciplin, der Waarenkunde 5). Der Gebrauchswerth verwirk- licht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerthe bilden den stofflichen Inhalt des Reichthums, welches immer seine gesellschaftli- che Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden 25 sie zugleich die stofflichen Träger des - Tauschwerths. Der Tauschwerth erscheint zunächst als das quantitative Verhältniß, die Proportion, worin sich Gebrauchswerthe einer Art gegen Gebrauchswerthe anderer Art austauschen 6), ein Verhältniß, das beständig mit Zeit und Ort las Barbon: „A Discourse on coining the new money lighter, in answer to Mr. Locke's Consid- 30 erations etc. London 1696", p. 2, 3. 3) "Things have an intrinsick vertue (dieß bei Barbon die specifische Bezeichnung für Ge- brauchswerth), which in all places have the same vertue; as the loadstone to attract iron" (1. c. p. 6). Die Eigenschaft des Magnets, Eisen anzuziehn, wurde erst nützlich, sobald man vermit- telst derselben die magnetische Polarität entdeckt hatte. 4) "The natural worth of anything consists in its fitness to supply the necessities, or serve the conveniences of human life." {John Locke: ,,Some Considerations of the Consequences of the Lowering of Interest. 1691" in „Works edit. Lond. 1777". V.U. p.28.) Im 17. Jahrhundert fin- den wir noch häufig bei englischen Schriftstellern „Worth" für Gebrauchswerth und ,,Value" für Tauschwerth, ganz im Geist einer Sprache, die es liebt, die unmittelbare Sache germa- 40 nisch und die reflektirte Sache romanisch auszudrücken. 5) In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht die fictio juris, daß jeder Mensch als Waarenkäu- fer eine encyklopädische Waarenkenntniß besitzt. 6) «La valeur consiste dans le rapport d'échange qui se trouve entre telle chose et telle autre, 35 38 Erstes Kapitel · Die Ware wechselt. Der Tauschwerth scheint daher etwas Zufälliges und rein Relati- ves, ein der Waare inner||3|licher, immanenter Tauschwerth (valeur intrin- sèque) also eine contradictio in adjecto 7). Betrachten wir die Sache nä- her. 5 Eine gewisse Waare, ein Quarter Weizen z . B . tauscht sich mit χ Stiefel- wichse, oder mit y Seide, oder mit ζ Gold u.s.w., kurz mit andern Waaren in den verschiedensten Proportionen. Mannigfache Tauschwerthe also hat der Weizen statt eines einzigen. Aber da χ Stiefelwichse, ebenso y Seide, ebenso ζ Gold u.s.w. der Tauschwerth von einem Quarter Weizen ist, müs- 10 sen χ Stiefelwichse, y Seide, ζ Gold u.s.w. durcheinander ersetzbare oder einander gleich große Tauschwerthe sein. Es folgt daher erstens: Die gülti- gen Tauschwerthe derselben Waare drücken ein Gleiches aus. Zweitens aber: Der Tauschwerth kann überhaupt nur die Ausdrucksweise, die „Er- scheinungsform" eines von ihm unterscheidbaren Gehalts sein. 15 Nehmen wir ferner zwei Waaren, z . B . Weizen und Eisen. Welches im- mer ihr Austauschverhältniß, es ist stets darstellbar in einer Gleichung, worin ein gegebenes Quantum Weizen irgend einem Quantum Eisen gleichgesetzt wird, z . B . 1 Quarter Weizen = a Ctr. Eisen. Was besagt diese Gleichung? Daß ein Gemeinsames von derselben Größe in zwei verschied- 20 nen Dingen existirt, in 1 Quarter Weizen und ebenfalls in a Ctr. Eisen. Beide sind also gleich einem Dritten, das an und für sich weder das eine, noch das andere ist. Jedes der beiden, soweit es Tauschwerth, muß also auf dieß Dritte reducirbar sein. 25 Ein einfaches geometrisches Beispiel veranschauliche dieß. Um den Flä- cheninhalt aller gradlinigen Figuren zu bestimmen und zu vergleichen, löst man sie in Dreiecke auf. Das Dreieck selbst reducirt man auf einen von seiner sichtbaren Figur ganz verschiednen Ausdruck - das halbe Pro- dukt seiner Grundlinie mit seiner Höhe. Ebenso sind die Tauschwerthe der Waaren zu reduciren auf ein Gemeinsames, wovon sie ein Mehr oder Min- 30 der darstellen. Dieß Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische, chemi- sche oder sonstige natürliche Eigenschaft der Waaren sein. Ihre körperli- chen Eigenschaften kommen überhaupt nur in Betracht, soweit selbe sie nutzbar machen, also zu Gebrauchswerthen. Andererseits aber ist es grade 35 die Abstraktion von ihren Gebrauchs1141werthen, was das Austauschverhält- niß der Waaren augenscheinlich charakterisirt. Innerhalb desselben gilt ein entre telle mesure d'une production et telle mesure d'une autre.» (Le Trosne: „De l'Intérêt So- cial". Physiocrates, éd. Daire. Paris 1846. p. 889.) 7) "Nothing can have an intrinsick value" (N. Barbon 1. c. p. 6), oder wie Butler sagt: 40 "The value of a thing Is just as much as it will bring." 39 Erster Abschnitt · Ware und Geld Gebrauchswerth grade so viel wie jeder andre, wenn er nur in gehöriger Proportion vorhanden ist. Oder, wie der alte Barbon sagt: „Die eine Waa- rensorte ist so gut wie die andre, wenn ihr Tauschwerth gleich groß ist. Da existirt keine Verschiedenheit oder Unterscheidbarkeit zwischen Dingen von gleich großem Tauschwerth" 8). Als Gebrauchswerthe sind die Waaren vor allem verschiedner Qualität, als Tauschwerthe können sie nur ver- schiedner Quantität sein, enthalten also kein Atom Gebrauchswerth. Sieht man nun vom Gebrauchswerth der Waarenkörper ab, so bleibt ihnen nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten. Jedoch ist uns auch das Arbeitsprodukt bereits in der Hand verwandelt. Ab s trahir en wir von seinem Gebrauchswerth, so abstrahiren wir auch von den körperlichen Bestandtheilen und Formen, die es zum Gebrauchswerth machen. Es ist nicht länger Tisch oder Haus oder Garn oder sonst ein nützlich Ding. Alle seine sinnlichen Beschaffenheiten sind ausgelöscht. Es ist auch nicht län- ger das Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit oder sonst einer bestimmten produktiven Arbeit. Mit dem nützlichen Cha- rakter der Arbeitsprodukte verschwindet der nützliche Charakter der in ihnen dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die veschiednen konkreten Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden sich nicht länger, sondern sind allzusammt reducirt auf gleiche menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit. Betrachten wir nun das Residuum der Arbeitsprodukte. Es ist nichts von ihnen übrig geblieben als dieselbe gespenstige Gegenständlichkeit, eine bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, d. h. der Verausga- bung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Veraus- gabung. Diese Dinge stellen nur noch dar, daß in ihrer Produktion mensch- liche Arbeitskraft verausgabt, menschliche Arbeit aufgehäuft ist. Als Krystalle dieser ihnen gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz sind sie Werthe - Waarenwerthe. Im Austauschverhältniß der Waaren selbst erschien uns ihr Tauschwerth als etwas von ihren Gebrauchswerthen durchaus unab||5|hängiges. Abstra- hirt man nun wirklich vom Gebrauchswerth der Arbeitsprodukte, so erhält man ihren Werth wie er eben bestimmt ward. Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältniß oder Tauschwerth der Waare darstellt, ist also ihr Werth. Der Fortgang der Untersuchung wird uns zurückführen zum Tauschwerth als der nothwendigen Ausdrucksweise oder Erscheinungsform des Werths, welcher zunächst jedoch unabhängig von dieser Form zu be- trachten ist. 8) "One sort of wares are as good as another, if the value be equal. There is no difference or distinction in things of equal value ... One hundred pounds worth of lead or iron, is of as great a value as one hundred pounds worth of silver and gold." (JV. Barbon 1. c. p. 53 u. 7.) 40 Erstes Kapitel • Die Ware Ein Gebrauchswerth oder Gut hat also nur einen Werth, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisirt ist. Wie nun die Größe seines Werths messen? Durch das Quantum der in ihm ent- haltenen „werthbildenden Substanz", der Arbeit. Die Quantität der Arbeit selbst mißt sich an ihrer Zeitdauer und die Arbeitszeit besitzt wieder ihren Maßstab an bestimmten Zeittheilen, wie Stunde, Tag u.s.w. 5 15 Es könnte scheinen, daß, wenn der Werth einer Waare durch das wäh- rend ihrer Produktion verausgabte Arbeitsquantum bestimmt ist, je fauler oder ungeschickter ein Mann, desto werthvoller seine Waare, weil er desto 10 mehr Zeit zu ihrer Verfertigung braucht. Die Arbeit jedoch, welche die Substanz der Werthe bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Verausgabung derselben menschlichen Arbeitskraft. Die gesammte Arbeitskraft der Ge- sellschaft, die sich in den Werthen der Waarenwelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen in- dividuellen Arbeitskräften besteht. Jede dieser individuellen Arbeitskräfte ist dieselbe menschliche Arbeitskraft wie die andere, soweit sie den Cha- rakter einer gesellschaftlichen Durchschnitts-Arbeitskraft besitzt und als solche gesellschaftliche Durchschnitts-Arbeitskraft wirkt, also in der Pro- duktion einer Waare auch nur die im Durchschnitt nothwendige oder ge- sellschaftlich nothwendige Arbeitszeit braucht. Gesellschaftlich nothwen- dige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt um irgend einen Gebrauchswerth mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen. Nach der Einführung des Dampfwebstuhls in Eng- land z . B . genügte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein gegebe- nes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber brauchte zu dieser Verwandlung in der That nach wie vor dieselbe Arbeits- zeit, aber das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die 20 25 30 Hälfte seines frühern Werths. | 35 |6| Es ist also nur das Quantum gesellschaftlich nothwendiger Arbeit oder die zur Herstellung eines Gebrauchswerths gesellschaftlich nothwen- dige Arbeitszeit, welche seine Werthgröße bestimmt 9). Die einzelne Waare gilt hier überhaupt als Durchschnittsexemplar ihrer A r t 1 0 ) . Waaren, worin 9) Note zur 2. Ausg. "The value of them (the necessaries of life) when they are exchanged the one for another, is regulated by the quantity of labour necessarily required, and commonly taken in producing them". „Der Werth von Gebrauchsgegenständen, sobald sie gegen einan- der umgetauscht werden, ist bestimmt durch das Quantum der zu ihrer Production nothwen- dig erheischten und gewöhnlich angewandten Arbeit." (,,Some Thoughts on the Interest of 40 Money in general, and particularly in the Public Funds etc.". London, p. 36, 37). Diese merk- würdige anonyme Schrift des vorigen Jahrhunderts trägt kein Datum. Es geht jedoch aus ihrem Inhalt hervor, daß sie unter Georg II., etwa 1739 oder 1740, erschienen ist. 1 0 ) «Toutes les productions d'un même genre ne forment proprement qu'une masse, dont le 41 Erster Abschnitt · Ware und Geld gleich große Arbeitsquanta enthalten sind, oder die in derselben Arbeits- zeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Werthgröße. Der Werth einer Waare verhält sich zum Werth jeder andren Waare, wie die zur Produktion der einen nothwendige Arbeitszeit zu der für die Produktion der andren nothwendigen Arbeitszeit. „Als Werthe sind alle Waaren nur bestimmte Maße festgeronnener Arbeitszeit" 1 1). 5 10 Die Werthgröße einer Waare bliebe daher konstant, wäre die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit konstant. Letztere wechselt aber mit j e - dem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit. Die Produktivkraft der Ar- beit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftli- che Kombination des Produktionsprocesses, den Umfang und die Wir- kungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse. Das- selbe Quantum Arbeit stellt sich z . B . mit günstiger Jahreszeit in 8 Bushel 15 Weizen dar, mit ungünstiger in nur 4. Dasselbe Quantum Arbeit liefert mehr Metalle in reichhaltigen, als in armen Minen u.s.w. Diamanten kom- men selten in der Erdrinde vor und ihre Findung kostet daher im Durch- schnitt viel Arbeitszeit. Folglich stellen sie in wenig Volumen viel Arbeit dar. Jacob bezweifelt, daß Gold jemals seinen vollen Werth bezahlt hat. 20 Noch mehr gilt dies vom Diamant. Nach Eschwege hatte 1823 die achtzig- jährige Gesammtausbeute der brasilischen Diamantgruben noch nicht den Preis des l^jährigen Durchschnittsprodukts der ||7| brasilischen Zucker- oder Kaffeepflanzungen erreicht, obgleich sie viel mehr Arbeit darstellte, also mehr Werth. Mit reichhaltigeren Gruben würde dasselbe Arbeitsquan- 25 tum sich in mehr Diamanten darstellen und ihr Werth sinken. Gelingt es mit wenig Arbeit Kohle in Diamant zu verwandeln, so kann sein Werth un- ter den von Ziegelsteinen fallen. Allgemein: Je größer die Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels erheischte Ar- beitszeit, desto kleiner die in ihm krystallisirte Arbeitsmasse, desto kleiner 30 sein Werth. Umgekehrt, je kleiner die Produktivkraft der Arbeit, desto grö- ßer die zur Herstellung eines Artikels nothwendige Arbeitszeit, desto grö- ßer sein Werth. Die Werthgröße einer Waare wechselt also direkt wie das Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr verwirkli- chenden Arbeit. 35 Ein Ding kann Gebrauchswerth sein, ohne Werth zu sein. Es ist dieß der Fall, wenn sein Nutzen für den Menschen nicht durch Arbeit vermittelt ist. So Luft, jungfräulicher Boden, natürliche Wiesen, wildwachsendes Holz prix se détermine en général et sans égard aux circonstances particulières.» (Le Trosne 1. c. p. 893.) n) K. Marxl. c. p. 6. 40 42 Erstes Kapitel · Die Ware 5 u.s.w. Ein Ding kann nützlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne Waare zu sein. Wer durch sein Produkt sein eigenes Bedürfniß befriedigt, schafft zwar Gebrauchswerth, aber nicht Waare. Um Waare zu produciren, muß er nicht nur Gebrauchswerth produciren, sondern Gebrauchswerth für andre, gesellschaftlichen Gebrauchswerth. (Und nicht nur für andre schlechthin. Der mittelalterliche Bauer producirte das Zinskorn für den Feudalherrn, das Zehntkorn für den Pfaffen. Aber weder Zinskorn noch Zehntkorn wurden dadurch Waare, daß sie für andre producirt waren. Um Waare zu werden, muß das Produkt dem andern, dem es als Gebrauchs- 10 werth dient, durch den Austausch übertragen werden.) 1 1*) Endlich kann kein Ding Werth sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in ihm enthaltene Arbeit nutzlos, zählt nicht als Arbeit und bildet daher keinen Werth. 2) Doppelcharakter der in den Waaren dargestellten Arbeit. 15 Ursprünglich erschien uns die Waare als ein Zwieschlächtiges, Gebrauchs- werth und Tauschwerth. Später zeigte sich, daß auch ||8| die Arbeit, soweit sie im Werth ausgedrückt ist, nicht mehr dieselben Merkmale besitzt, die ihr als Erzeugerin von Gebrauchswerthen zukommen. Diese zwieschläch- tige Natur der in der Waare enthaltenen Arbeit ist zuerst von mir kritisch nachgewiesen worden 1 2). Da dieser Punkt der Springpunkt ist, um den sich das Verständniß der politischen Oekonomie dreht, soll er hier näher be- leuchtet werden. 20 Nehmen wir zwei Waaren, etwa einen Rock und 10 Ellen Leinwand. Der erstere habe den zweifachen Werth der letzteren, so daß, wenn 10 Ellen 25 Leinwand = W, der Rock .= 2 W. Der Rock ist ein Gebrauchswerth, der ein besonderes Bedürfniß befrie- digt. Um ihn hervorzubringen, bedarf es einer bestimmten Art produktiver Thätigkeit. Sie ist bestimmt durch ihren Zweck, Operationsweise, Gegen- stand, Mittel und Resultat. Die Arbeit, deren Nützlichkeit sich so im Ge- 30 brauchswerth ihres Produkts oder darin darstellt, daß ihr Produkt ein Ge- brauchswerth ist, nennen wir kurzweg nützliche Arbeit. Unter diesem Gesichtspunkt wird sie stets betrachtet mit Bezug auf ihren Nutzeffekt. Wie Rock und Leinwand qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe, so ihr Dasein vermittelnden Arbeiten qualitativ verschieden - 35 Schneiderei und Weberei. Wären jene Dinge nicht qualitativ verschiedne sind die 11 a) Note zur 4. Aufl. - Ich schiebe das Eingeklammerte ein, weil durch dessen Weglassung sehr häufig das Mißverständniß entstanden, jedes Produkt, das von einem andern als dem Producenten konsumirt wird, gelte bei Marx als Waare. - F. E. 1 2 ) 1. c. p. 12, 13 und passim. 43 Erster Abschnitt · Ware und Geld Gebrauchswerthe und daher Produkte qualitativ verschiedner nützlicher Arbeiten, so könnten sie sich überhaupt nicht als Waaren gegenübertreten. Rock tauscht sich nicht aus gegen Rock, derselbe Gebrauchswerth nicht gegen denselben Gebrauchswerth. 5 In der Gesammtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerthe oder Waa- renkörper erscheint eine Gesammtheit ebenso mannigfaltiger, nach Gattung, Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten - eine gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der Waa- renproduktion, obgleich Waarenproduktion nicht umgekehrt die Existenz- bedingung gesellschaftlicher Arbeitstheilung. In der altindischen Ge- 10 meinde ist die Arbeit gesellschaftlich getheilt, ohne daß die Produkte zu Waaren werden. Oder, ein näher liegendes Beispiel, in jeder Fabrik ist die Arbeit systematisch getheilt, aber diese Theilung nicht dadurch vermittelt, daß die Arbeiter ihre individuellen Produkte austauschen. Nur Produkte selbständiger und von einander unabhängiger Privatarbeiten treten einan- 15 der als Waaren gegenüber. | |9| Man hat also gesehn: in dem Gebrauchswerth jeder Waare steckt eine bestimmte zweckmäßig produktive Thätigkeit oder nützliche Arbeit. Ge- brauchswerthe können sich nicht als Waaren gegenübertreten, wenn nicht qualitativ verschiedne nützliche Arbeiten in ihnen stecken. In einer Ge- 20 Seilschaft, deren Produkte allgemein die Form der Waare annehmen, d. h. in einer Gesellschaft von Waarenproducenten, entwickelt sich dieser quali- tative Unterschied der nützlichen Arbeiten, welche unabhängig von einan- der als Privatgeschäfte selbstständiger Producenten betrieben werden, zu einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschaftlichen Theilung der Ar- 25 beit. Dem Rock ist es übrigens gleichgültig, ob er vom Schneider oder vom Kunden des Schneiders getragen wird. In beiden Fällen wirkt er als Ge- brauchswerth. Ebensowenig ist das Verhältniß zwischen dem Rock und der ihn producirenden Arbeit an und für sich dadurch verändert, daß die 30 Schneiderei besondre Profession wird, selbstständiges Glied der gesell- schaftlichen Theilung der Arbeit. Wo ihn das Kleidungsbedürfniß zwang, hat der Mensch Jahrtausende lang geschneidert, bevor aus einem Men- schen ein Schneider ward. Aber das Dasein von Rock, Leinwand, jedem nicht von Natur vorhandnen Element des stofflichen Reichthums, mußte 35 immer vermittelt sein durch eine specielle, zweckmäßig produktive Thätig- keit, die besondere Naturstoffe besondren menschlichen Bedürfnissen assi- milirt. Als Bildnerin von Gebrauchswerthen, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbe- dingung des Menschen, ewige Naturnothwendigkeit, um den Stoffwechsel 40 zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln. 44 Erstes Kapitel · Die Ware 5 Die Gebrauchswerthe Rock, Leinwand u. s. w., kurz die Waarenkörper, sind Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit. Zieht man die Gesammtsumme aller verschiednen nützlichen Arbeiten ab, die in Rock, Leinwand u.s.w. stecken, so bleibt stets ein materielles Substrat zu- rück, das ohne Zuthun des Menschen von Natur vorhanden ist. Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d.h. nur die Formen der Stoffe ändern 1 3). Noch mehr. In dieser Arbeit der | 1101 Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr producirten Gebrauchswerthe, 10 des stofflichen Reichthums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter. Gehn wir nun von der Waare, so weit sie Gebrauchsgegenstand, über zum Waaren-Werth. Nach unsrer Unterstellung hat der Rock den doppelten Werth der Lein- 15 wand. Dieß ist aber nur ein quantitativer Unterschied, der uns zunächst noch nicht interessirt. Wir erinnern daher, daß, wenn der Werth eines Rok- kes doppelt so groß als der von 10 Ellen Leinwand, 20 Ellen Leinwand die- selbe Werthgröße haben wie ein Rock. Als Werthe sind Rock und Lein- wand Dinge von gleicher Substanz, objektive Ausdrücke gleichartiger 20 Arbeit. Aber Schneiderei und Weberei sind qualitativ verschiedne Arbei- ten. Es giebt jedoch Gesellschaftszustände, worin derselbe Mensch ab- wechselnd schneidert und webt, diese beiden verschiednen Arbeitsweisen daher nur Modifikationen der Arbeit desselben Individuums und noch nicht besondre feste Funktionen verschiedner Individuen sind, ganz wie 25 der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er morgen macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit voraussetzen. Der Augenschein lehrt ferner, daß in unsrer kapitalistischen Gesellschaft, je nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine gegebene Por- tion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von Schneiderei oder in der Form von Weberei zugeführt wird. Dieser Formwechsel der Arbeit mag nicht ohne Friction abgehn, aber er muß gehn. Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Thätigkeit und daher vom nützlichen Cha- rakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, daß sie eine Verausgabung menschli- 30 1 3 ) «Tutti i fenomeni dell' universo, sieno essi prodotti dalla mano dell' nomo, ovvero dalle 35 universali leggi della fìsica, non ci danno idea di attuale creazione, ma unicamente di una modificazione della materia. Accostare e separare sono gli unici elementi che l'ingegno umano ritrova analizzando l'idea della riproduzione; e tanto è riproduzione di valore (Ge- brauchswerth, obgleich Verri hier in seiner Polemik gegen die Physiokraten selbst nicht recht weiß, von welcher Sorte Werth er spricht) e 4i ricchezza se la terra, l'aria e l'acqua ne' campi si trasmutino in grano, come se colla mano dell' uomo il glutine di un insetto si trasmuti in velluto ovvero alcuni pezzetti di metallo si organizzino a formare una ripetizione.» (Pietro Verri: ,,Meditazioni sulla Economia Politica" (zuerst gedruckt 1771) in der Ausgabe der italie- nischen Oekonomen von Custodi, Parte Moderna, t.XV ρ ..21, 22.) 40 45 Erstes Abschnitt · Ware und Geld 5 eher Arbeitskraft ist. Schneiderei und Weberei, obgleich qualitativ ver- schiedne produktive Thätigkeiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand u.s.w., und in diesem Sinn beide menschliche Arbeit. Es sind nur zwei verschiedne Formen, mensch- liche Arbeitskraft zu verausgaben. Allerdings muß die menschliche Ar- beitskraft selbst mehr oder minder entwickelt sein, um in dieser oder jener Form verausgabt zu werden. Der Werth der Waare ||11| aber stellt mensch- liche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeit über- haupt. Wie nun in der bürgerlichen Gesellschaft ein General oder Ban- quier eine große, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr schäbige Rolle 10 spielt 1 4), so steht es auch hier mit der menschlichen Arbeit. Sie ist Veraus- gabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus besitzt. Die einfache Durchschnittsarbeit selbst wechselt zwar in verschiednen Ländern und Kulturepochen ihren Charakter, ist aber in einer vorhandnen 15 Gesellschaft gegeben. Komplicirtere Arbeit gilt nur als potenzine oder viel- mehr multiplicirte einfache Arbeit, so daß ein kleineres Quantum kompli- cirter Arbeit gleich einem größeren Quantum einfacher Arbeit. Daß diese Reduktion beständig vorgeht, zeigt die Erfahrung. Eine Waare mag das Produkt der komplicirtesten Arbeit sein, ihr Werth setzt sie dem Produkt 20 einfacher Arbeit gleich und stellt daher selbst nur ein bestimmtes Quan- tum einfacher Arbeit dar 1 5). Die verschiednen Proportionen, worin ver- schiedne Arbeitsarten auf einfache Arbeit als ihre Maßeinheit reducirt sind, werden durch einen gesellschaftlichen Proceß hinter dem Rücken der Producenten festgesetzt und scheinen ihnen daher durch das Herkommen 25 gegeben. Der Vereinfachung halber gilt uns im Folgenden jede Art Arbeits- kraft unmittelbar für einfache Arbeitskraft, wodurch nur die Mühe der Re- duktion erspart wird. Wie also in den Werthen Rock und Leinwand von dem Unterschied ihrer Gebrauchswerthe abstrahirt ist, so in den Arbeiten, die sich in diesen 30 Werthen darstellen, von dem Unterschied ihrer nützlichen Formen, der Schneiderei und Weberei. Wie die Gebrauchswerthe Rock und Leinwand Verbindungen zweckbestimmter, produktiver Thätigkeiten mit Tuch und Garn sind, die Werthe Rock und Leinwand dagegen bloße gleichartige Ar- beitsgallerten, so gelten auch die in diesen Werthen enthaltenen Arbeiten 35 nicht durch ihr produktives Verhalten zu Tuch und Garn, sondern nur als 1 4 ) Vgl. „Hegel, Philosophie des Rechts". Berlin 1840, p.250, § 190. 1 5 ) Der Leser muß aufmerken, daß hier nicht vom Lohn oder Werth die Rede ist, den der Ar- beiter für etwa einen Arbeitstag erhält, sondern vom Waarenwerth, worin sich sein Arbeitstag vergegenständlicht. Die Kategorie des Arbeitslohns existirt überhaupt noch nicht auf dieser 40 Stufe unsrer Darstellung. 46 Erstes Kapitel • Die Ware Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft. Bildungselemente der Ge- brauchswerthe Rock und Leinwand sind Schneiderei und Weberei eben durch ihre verschiednen Qualitäten; Substanz des ||12| Rockwerths und Leinwandwerths sind sie nur, soweit von ihrer besondren Qualität abstra- 5 hirt wird und beide gleiche Qualität besitzen, die Qualität menschlicher Arbeit. Rock und Leinwand sind aber nicht nur Werthe überhaupt, sondern Werthe von bestimmter Größe und nach unsrer Unterstellung ist der Rock doppelt so viel werth, als 10 Ellen Leinwand. Woher diese Verschiedenheit ihrer Werthgrößen? Daher daß die Leinwand nur halb so viel Arbeit ent- hält, als der Rock, so daß zur Produktion des letzteren die Arbeitskraft während doppelt soviel Zeit verausgabt werden muß als zur Produktion der erstem. Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswerth die in der Waare enthal- tene Arbeit nur qualitativ gilt, gilt sie mit Bezug auf die Werthgröße nur quantitativ, nachdem sie bereits auf menschliche Arbeit ohne weitere Qua- lität reducirt ist. Dort handelt es sich um das Wie und Was der Arbeit, hier um ihr Wie Viel, ihre Zeitdauer. Da die Werthgröße einer Waare nur das Quantum der in ihr enthaltenen Arbeit darstellt, müssen Waaren in gewis- ser Proportion stets gleich große Werthe sein. 10 15 20 Bleibt die Produktivkraft, sage aller zur Produktion eines Rocks er- heischten nützlichen Arbeiten unverändert, so steigt die Werthgröße der Röcke mit ihrer eignen Quantität. Wenn 1 Rock x, stellen 2 Röcke 2 χ Ar- beitstage dar u. s. w. Nimm aber an, die zur Produktion eines Rocks noth(cid:5) 25 wendige Arbeit steige auf das Doppelte oder falle um die Hälfte. Im ersten Fall hat ein Rock so viel Werth, als vorher zwei Röcke, im letztern Fall ha- ben zwei Röcke nur so viel Werth, als vorher einer, obgleich in beiden Fäl- len ein Rock nach wie vor dieselben Dienste leistet und die in ihm enthal- tene nützliche Arbeit nach wie vor von derselben Güte bleibt. Aber das in seiner Produktion verausgabte Arbeitsquantum hat sich verändert. 30 Ein größres Quantum Gebrauchswerth bildet an und für sich größren stofflichen Reichthum, zwei Röcke mehr als einer. Mit zwei Röcken kann man zwei Menschen kleiden, mit einem Rock nur einen Menschen u. s. w. Dennoch kann der steigenden Masse des stofflichen Reichthums ein 35 gleichzeitiger Fall seiner Werthgröße entsprechen. Diese gegensätzliche Bewegung entspringt aus dem zwieschlächtigen Charakter der Arbeit. Pro- duktivkraft ist natürlich stets Produktivkraft nützlicher, konkreter Arbeit, und bestimmt in der That nur den Wirkungsgrad zweckmäßiger produkti- ver Thätigkeit in gegebnem Zeitraum. Die nützliche Arbeit ||13| wird daher reichere oder dürftigere Produktenquelle im direkten Verhältniß zum Stei- gen oder Fallen ihrer Produktivkraft. Dagegen trifft ein Wechsel der Pro- 40 47 Erster Abschnitt · Ware und Geld duktivkraft die im Werth dargestellte Arbeit an und für sich gar nicht. Da die Produktivkraft der konkreten nützlichen Form der Arbeit angehört, kann sie natürlich die Arbeit nicht mehr berühren, sobald von ihrer kon- kreten nützlichen Form abstrahirt wird. Dieselbe Arbeit ergiebt daher in denselben Zeiträumen stets dieselbe Werthgröße, wie immer die Produktiv- 5 kraft wechsle. Aber sie liefert in demselben Zeitraum verschiedene Quanta Gebrauchswerthe, mehr, wenn die Produktivkraft steigt, weniger, wenn sie sinkt. Derselbe Wechsel der Produktivkraft, der die Fruchtbarkeit der Ar- beit und daher die Masse der von ihr gelieferten Gebrauchswerthe ver- mehrt, vermindert also die Werthgröße dieser vermehrten Gesammtmasse, 10 wenn er die Summe der zu ihrer Produktion nothwendigen Arbeitszeit ab- kürzt. Ebenso umgekehrt. Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Waarenwerth. Alle Arbeit ist 15 andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer zweckbe- stimmter Form und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit pro- ducirt sie Gebrauchswerthe 1 6). | 1 6 ) Note zur 2. Ausg. Um zu beweisen, „daß die Arbeit allein das endgültige und reale Maß ist, woran der Werth aller Waaren zu allen Zeiten geschätzt und verglichen werden kann", 20 sagt A. Smith: „Gleiche Quantitäten Arbeit müssen zu allen Zeiten und an allen Orten für den Arbeiter selbst denselben Werth haben. In seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft und Thätigkeit, und mit dem Durchschnittsgrad von Geschicklichkeit, die er besitzen mag, muß er immer die nämliche Portion seiner Ruhe, seiner Freiheit und seines Glücks hinge- ben." (Wealth of Nations, b.I. ch. V.) Einerseits verwechselt Α. Smith hier (nicht überall) die 25 Bestimmung des Werths durch das in der Produktion der Waare verausgabte Arbeitsquantum mit der Bestimmung der Waarenwerthe durch den Werth der Arbeit und sucht daher nachzu- weisen, daß gleiche Quantitäten Arbeit stets denselben Werth haben. Andrerseits ahnt er, daß die Arbeit, soweit sie sich im Werth der Waaren darstellt, nur als Verausgabung von Arbeits- kraft gilt, faßt diese Verausgabung aber wieder bloß als Opfer von Ruhe, Freiheit und Glück, 30 nicht auch als normale Lebensbethätigung. Allerdings hat er den modernen Lohnarbeiter vor Augen. - Viel treffender sagt der Note 9 citirte anonyme Vorgänger von A. Smith: "One man has employed himself a week in providing this necessary of life ... and he that gives him some other in exchange, cannot make a better estimate of what is a proper equivalent, than by com- puting what cost him just as much labour and time: which in effect is no more than exchang- 35 ing one man's labour in one thing for a time certain for another man's labour in another thing for the same time." (I.e. p.39.) - (Zur 4.Auflage: Die englische Sprache hat den Vorzug, zwei verschiedne Worte für diese zwei verschiednen Aspekte der Arbeit zu haben. Die Arbeit, die Gebrauchswerthe schafft und qualitativ bestimmt ist, heißt Work, im Gegensatz zu Labour; die Arbeit, die Werth schafft und nur quantitativ gemessen wird, heißt Labour, im Gegensatz 40 zu Work. Siehe Note zur engl. Übersetzung p. 14. - F. E.) 48 Erstes Kapitel · Die Ware 1141 3) Die Werthform oder der Tauschwerth. Waaren kommen zur Welt in der Form von Gebrauchswerthen oder Waa- renkörpern, als Eisen, Leinwand, Weizen u. s. w. Es ist dieß ihre hausbak- kene Naturalform. Sie sind jedoch nur Waaren, weil Doppeltes, Ge- 5 brauchsgegenstände und zugleich Werthträger. Sie erscheinen daher nur als Waaren oder besitzen nur die Form von Waaren, sofern sie Doppelform besitzen, Naturalform und Werthform. Die Werthgegenständlichkeit der Waaren unterscheidet sich dadurch von der Wittib Hurtig, daß man nicht weiß, wo sie zu haben ist. Im graden 10 Gegentheil zur sinnlich groben Gegenständlichkeit der Waarenkörper geht kein Atom Naturstoff in ihre Werthgegenständlichkeit ein. Man mag daher eine einzelne Waare drehen und wenden wie man will, sie bleibt unfaßbar als Werthding. Erinnern wir uns jedoch, daß die Waaren nur Werthgegen- ständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdrücke derselben gesellschaftlichen 15 Einheit, menschlicher Arbeit, sind, daß ihre Werthgegenständlichkeit also rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch von selbst, daß sie nur im ge- sellschaftlichen Verhältniß von Waare zu Waare erscheinen kann. Wir gin- gen in der That vom Tauschwerth oder Austauschverhältniß der Waaren aus, um ihrem darin versteckten Werth auf die Spur zu kommen. Wir müs- sen jetzt zu dieser Erscheinungsform des Werthes zurückkehren. 20 Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, daß die Waaren eine mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerthe höchst frappant kontrastirende, gemeinsame Werthform besitzen - die Geldform. Hier gilt es jedoch zu leisten, was von der bürgerlichen Oekonomie nicht einmal 25 versucht ward, nämlich die Genesis dieser Geldform nachzuweisen, also die Entwicklung des im Werthverhältniß der Waaren enthaltenen Werth- ausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blenden- den Geldform zu verfolgen. Damit verschwindet zugleich das Geldräthsel. Das einfachste Werthverhältniß ist offenbar das Werthverhältniß einer 30 Waare zu einer einzigen verschiedenartigen Waare, gleichgültig welcher. Das Werthverhältniß zweier Waaren liefert daher den einfachsten Werth- ausdruck für eine Waare. | |15| A. Einfache, einzelne oder zufällige Werthform. 35 χ Waare A = y Waare B oder: χ Waare A ist y Waare B werth. (20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock werth.) 49 Erster Abschnitt • Ware und Geld 1) Die beiden Pole des Werthausdrucks: Relative Werthform und Aequivalentform. Das Geheimniß aller Werthform steckt in dieser einfachen Werthform. Ihre Analyse bietet daher die eigentliche Schwierigkeit. Es spielen hier zwei verschiedenartige Waaren A und B, in unsrem Bei- spiel Leinwand und Rock, offenbar zwei verschiedene Rollen. Die Lein- wand drückt ihren Werth aus im Rock, der Rock dient zum Material dieses Werthausdrucks. Die erste Waare spielt eine aktive, die zweite eine passive Rolle. Der Werth der ersten Waare ist als relativer Werth dargestellt oder sie befindet sich in relativer Werthform. Die zweite Waare funktionirt als 10 Aequivalent oder befindet sich in Aequivalentform. 5 Relative Werthform und Aequivalentform sind zu einander gehörige, sich wechselseitig bedingende, unzertrennliche Momente, aber zugleich einander ausschließende oder entgegengesetzte Extreme, d. h. Pole dessel- ben Werthausdrucks; sie vertheilen sich stets auf die verschiedenen Waa- 15 ren, die der Werthausdruck auf einander bezieht. Ich kann z.B. den Werth der Leinwand nicht in Leinwand ausdrücken. 20 Ellen Leinwand = 20 El- len Leinwand ist kein Werthausdruck. Die Gleichung sagt vielmehr umge- kehrt: 20 Ellen Leinwand sind nichts andres als 20 Ellen Leinwand, ein be- stimmtes Quantum des Gebrauchsgegenstandes Leinwand. Der Werth der 20 Leinwand kann also nur relativ ausgedrückt werden, d. h. in andrer Waare. Die relative Werthform der Leinwand unterstellt daher, daß irgend eine andre Waare sich ihr gegenüber in der Aequivalentform befindet. Andrer- seits, diese andre Waare, die als Aequivalent figurirt, kann sich nicht gleichzeitig in relativer Werthform befinden. Nicht sie drückt ihren Werth 25 aus. Sie liefert nur dem Werthausdruck andrer Waare das Material. Allerdings schließt der Ausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock werth, auch die Rückbeziehungen ein: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand oder 1 Rock ist 20 Ellen Leinwand werth. Aber so muß ich doch die Gleichung umkehren, um den Werth des Rocks 30 relativ auszudrücken, und sobald ich das thue, wird die Leinwand Aequiva- lent statt des Rockes. Dieselbe ||16| Waare kann also in demselben Werth- ausdruck nicht gleichzeitig in beiden Formen auftreten. Diese schließen sich vielmehr polarisch aus. Ob eine Waare sich nun in relativer Werthform befindet oder in der ent- 35 gegengesetzten Aequivalentform, hängt ausschließlich ab von ihrer jedes- maligen Stelle im Werthausdruck, d. h. davon, ob sie die Waare ist, deren Werth, oder aber die Waare, worin Werth ausgedrückt wird. 50 Erstes Kapitel • Die Ware 2) Die relative Werthform. a) Gehalt der relativen Werthform. Um herauszufinden, wie der einfache Werthausdruck einer Waare im Werthverhältniß zweier Waaren steckt, muß man letzteres zunächst ganz 5 unabhängig von seiner quantitativen Seite betrachten. Man verfährt meist grade umgekehrt und sieht im Werthverhältniß nur die Proportion, worin bestimmte Quanta zweier Waarensorten einander gleichgelten. Man über- sieht, daß die Größen verschiedner Dinge erst quantitativ vergleichbar wer- den nach ihrer Reduktion auf dieselbe Einheit. Nur als Ausdrücke dersel- 10 ben Einheit sind sie gleichnamige, daher kommensurable Größen 1 7). Ob 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 20 oder = χ Röcke, d.h., ob ein gegebenes Quantum Leinwand viele oder wenige Röcke werth ist, jede sol- che Proportion schließt stets ein, daß Leinwand und Röcke als Werthgrö- ßen Ausdrücke derselben Einheit, Dinge von derselben Natur sind. Lein- 15 wand = Rock ist die Grundlage der Gleichung. Aber die zwei qualitativ gleichgesetzten Waaren spielen nicht dieselbe Rolle. Nur der Werth der Leinwand wird ausgedrückt. Und wie? Durch ihre Beziehung auf den Rock als ihr „Aequivalent" oder mit ihr „Austauschba- res". In diesem Verhältniß gilt der Rock als Existenzform von Werth, als 20 Werthding, denn nur als solches ist er dasselbe wie die Leinwand. Andrer- seits kommt das eigne Werthsein der Leinwand zum Vorschein oder erhält einen selbstständigen Ausdruck, denn nur als Werth ist sie auf ||17| den Rock als Gleichwerthiges oder mit ihr Austauschbares bezüglich. So ist die Buttersäure ein vom Propylformat verschiedner Körper. Beide bestehn j e - 25 doch aus denselben chemischen Substanzen - Kohlenstoff (C) Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O) und zwar in gleicher procentiger Zusammenset- zung, nämlich C 4 H 8 O 2 . Würde nun der Buttersäure das Propylformat gleichgesetzt, so gälte in diesem Verhältniß erstens das Propylformat bloß als Existenzform von C 4 H 8 O 2 und zweitens wäre gesagt, daß auch die But- tersäure aus C 4 H 8 O 2 besteht. Durch die Gleichsetzung des Propylformats mit der Buttersäure wäre also ihre chemische Substanz im Unterschied von ihrer Körperform ausgedrückt. 30 Sagen wir: Als Werthe sind die Waaren bloße Gallerten menschlicher 35 1 7 ) Die wenigen Oekonomen, die sich, wie S. Bailey, mit der Analyse der Werthform beschäf- tigt haben, konnten zu keinem Resultat kommen, einmal, weil sie Werthform und Werth ver- wechseln, zweitens, weil sie, unter dem rohen Einfluß des praktischen Bürgers, von vorn her- ein ausschließlich die quantitative Bestimmtheit ins Auge fassen. "The command of quantity ... constitutes value." (,,Money and its Vicissitudes". Lond. 1837, p. 11). Verfasser S.Bailey. 51 Erster Abschnitt • Ware und Geld Arbeit, so reducirt unsre Analyse dieselben auf die Werthabstraktion, giebt ihnen aber keine von ihren Naturalformen verschiedne Werthform. Anders im Werthverhältniß einer Waare zur andern. Ihr Werthcharakter tritt hier hervor durch ihre eigne Beziehung zu der andern Waare. 5 Indem z.B. der Rock als Werthding der Leinwand gleichgesetzt wird, wird die in ihm steckende Arbeit der in ihr steckenden Arbeit gleichge- setzt. Nun ist zwar die Schneiderei, die den Rock macht, eine von der We- berei, die die Leinwand macht, verschiedenartige konkrete Arbeit. Aber die Gleichsetzung mit der Weberei reducirt die Schneiderei thatsächlich auf das in beiden Arbeiten wirklich Gleiche, auf ihren gemeinsamen Charakter 10 menschlicher Arbeit. Auf diesem Umweg ist dann gesagt, daß auch die Weberei, sofern sie Werth webt, keine Unterscheidungsmerkmale von der Schneiderei besitzt, also abstrakt menschliche Arbeit ist. Nur der Aequiva- lenzausdruck verschiedenartiger Waaren bringt den specifîschen Charak- ter der werthbildenden Arbeit zum Vorschein, indem er die in den ver- 15 schiedenartigen Waaren steckenden, verschiedenartigen Arbeiten sächlich auf überhaupt.1 7* 1). | that- auf menschliche Arbeit ihr Gemeinsames reducirt, |18| Es genügt indeß nicht, den specifîschen Charakter der Arbeit auszu- drücken, woraus der Werth der Leinwand besteht. Menschliche Arbeits- 20 kraft im flüssigen Zustand oder menschliche Arbeit bildet Werth, aber ist nicht Werth. Sie wird Werth in geronnenem Zustand, in gegenständlicher Form. Um den Leinwandwerth als Gallerte menschlicher Arbeit auszu- drücken, muß er als eine „Gegenständlichkeit" ausgedrückt werden, wel- che von der Leinwand selbst dinglich verschieden und ihr zugleich mit 25 andrer Waare gemeinsam ist. Die Aufgabe ist bereits gelöst. Im Werthverhältniß der Leinwand gilt der Rock als ihr qualitativ Glei- ches, als Ding von derselben Natur, weil er ein Werth ist. Er gilt hier daher als ein Ding, worin Werth erscheint, oder welches in seiner handgreiflichen Naturalform Werth darstellt. Nun ist zwar der Rock, der Körper der Rock- 30 waare, ein bloßer Gebrauchswerth. Ein Rock drückt eben so wenig Werth aus als das erste beste Stück Leinwand. Dieß beweist nur, daß er innerhalb des Werthverhältnisses zur Leinwand mehr bedeutet als außerhalb dessel- 1 7 a ) Note zur 2. Ausgabe. Einer der ersten Oekonomen, der nach William Petty die Natur des Werths durchschaut hat, der berühmte Franklin, sagt: „Da der Handel überhaupt nichts ist als 35 der Austausch einer Arbeit gegen andre Arbeit, wird der Werth aller Dinge am richtigsten ge- schätzt in Arbeit." („The Works of Β. Franklin etc., edited by Sparks", Boston 1836, v. II, p. 267.) Franklin ist sich nicht bewußt, daß, indem er den Werth aller Dinge „in Arbeit" schätzt, er von der Verschiedenheit der ausgetauschten Arbeiten abstrahirt - und sie so auf gleiche menschliche Arbeit reducirt. Was er nicht weiß, sagt er jedoch. Er spricht erst von „der einen Arbeit", dann „von der andren Arbeit", schließlich von „Arbeit" ohne weitere Bezeich- nung als Substanz des Werths aller Dinge. 40 52 Erstes Kapitel • Die Ware ben, wie so mancher Mensch innerhalb eines galonirten Rockes mehr be- deutet als außerhalb desselben. In der Produktion des Rockes ist thatsächlich, unter der Form der Schneiderei, menschliche Arbeitskraft verausgabt worden. Es ist also 5 menschliche Arbeit in ihm aufgehäuft. Nach dieser Seite hin ist der Rock „Träger von Werth", obgleich diese seine Eigenschaft selbst durch seine größte Fadenscheinigkeit nicht durchblickt. Und im Werthverhältniß der Leinwand gilt er nur nach dieser Seite, daher als verkörperter Werth, als Werthkörper. Trotz seiner zugeknöpften Erscheinung hat die Leinwand in ihm die stammverwandte schöne Werthseele erkannt. Der Rock kann ihr gegenüber jedoch nicht Werth darstellen, ohne daß für sie gleichzeitig der Werth die Form eines Rockes annimmt. So kann sich das Individuum A nicht zum Individuum B als einer Majestät verhalten, ohne daß für A die Majestät zugleich die Leibesgestalt von B annnimmt und daher Gesichts- 15 züge, Haare und manches andre noch mit dem jedesmaligen Landesvater 10 wechselt. 20 Im Werthverhältniß, worin der Rock das Aequivalent der Leinwand bil- det, gilt also die Rockform als Werthform. Der Werth der Waare Leinwand wird daher ausgedrückt im Körper der Waare Rock, der Werth einer Waare im Gebrauchswerth der andren. Als Gebrauchswerth ist die Leinwand ein vom Rock sinnlich verschiednes Ding, als Werth ist sie „Rockgleiches" und sieht daher aus wie ein Rock. So erhält sie eine von ihrer Naturalform ver||19|schiedne Werthform. Ihr Werthsein erscheint in ihrer Gleichheit mit dem Rock, wie die Schafsnatur des Christen in seiner Gleichheit mit 25 dem Lamm Gottes. Man sieht, alles was uns die Analyse des Waarenwerths vorher sagte, sagt die Leinwand selbst, sobald sie in Umgang mit andrer Waare, dem Rock, tritt. Nur verräth sie ihre Gedanken in der ihr allein geläufigen Spra- che, der Waarensprache. Um zu sagen, daß die Arbeit in der abstrakten Ei- 30 genschaft menschlicher Arbeit ihren eignen Werth bildet, sagt sie, daß der Rock, so weit er ihr gleichgilt, also Werth ist, aus derselben Arbeit besteht wie die Leinwand. Um zu sagen, daß ihre sublime Werthgegenständlich- keit von ihrem steifleinenen Körper verschieden ist, sagt sie, daß Werth aussieht wie ein Rock und daher sie selbst als Werthding dem Rock gleicht 35 wie ein Ei dem andern. Nebenbei bemerkt hat auch die Waarensprache, außer dem Hebräischen, noch viele andre mehr oder minder korrekte Mundarten. Das deutsche „Werthsein" drückt z. B. minder schlagend aus als das romanische Zeitwort valere, valer, valoir, daß die Gleichsetzung der Waare B mit der Waare A, der eigne Werthausdruck der Waare A ist. Paris 40 vaut bien une messe! Vermittelst des Werthverhältnisses wird also die Naturalform der 53 Erster Abschnitt • Ware und Geld Waare B zur Werthform der Waare A oder der Körper der Waare B zum Werthspiegel der Waare A 1 8 ) . Indem sich die Waare A auf die Waare B als Werthkörper bezieht, als Materiatur menschlicher Arbeit, macht sie den Gebrauchswerth B zum Material ihres eignen Werthausdrucks. Der Werth der Waare A, so ausgedrückt im Gebrauchswerth der Waare B, besitzt die Form des relativen Werths. 5 b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Werthform. Jede Waare, deren Werth ausgedrückt werden soll, ist ein Gebrauchsgegen- stand von gegebnem Quantum, 15 Scheffel Weizen, 100 Pfd. Kaffee u.s.w. Dieses gegebne Waarenquantum enthält ein bestimmtes Quantum 10 menschlicher Arbeit. Die Werthform hat also nicht nur Werth überhaupt, sondern quantitativ be||20|stimmten Werth oder Werthgröße auszudrük- ken. Im Werthverhältniß der Waare A zur Waare B, der Leinwand zum Rocke, wird daher die Waarenart Rock nicht nur als Werthkörper über- haupt der Leinwand qualitativ gleich gesetzt, sondern einem bestimmten 15 Leinwandquantum, z . B . 20 Ellen Leinwand, ein bestimmtes Quantum des Werthkörpers oder Aequivalents, z . B . 1 Rock. Die Gleichung: „20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock werth" setzt voraus, daß in 1 Rock gerade so viel Werthsub- stanz steckt als in 20 Ellen Leinwand, daß beide Waarenquanta also gleich 20 viel Arbeit kosten oder gleich große Arbeitszeit. Die zur Produktion von 20 Ellen Leinwand oder 1 Rock nothwendige Arbeitszeit wechselt aber mit jedem Wechsel in der Produktivkraft der Weberei oder der Schneiderei. Der Einfluß solcher Wechsel auf den relativen Ausdruck der Werthgröße soll nun näher untersucht werden. 25 I. Der Werth der Leinwand wechsle 1 9), während der Rockwerth konstant bleibt. Verdoppelt sich die zur Produktion der Leinwand nothwendige Ar- beitszeit, etwa in Folge zunehmender Unfruchtbarkeit des flachstragenden Bodens, so verdoppelt sich ihr Werth. Statt 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, hätten wir 20 Ellen Leinwand = 2 Röcke, da 1 Rock jetzt nur halb so viel 30 Arbeitszeit enthält als 20 Ellen Leinwand. Nimmt dagegen die zur Produk- 1 8 ) In gewisser Art geht's dem Menschen wie der Waare. Da er weder mit einem Spiegel auf die Welt kommt, noch als Fichtescher Philosoph: Ich bin ich, bespiegelt sich der Mensch zu- erst in einem andren Menschen. Erst durch die Beziehung auf den Menschen Paul als seines- gleichen, bezieht sich der Mensch Peter auf sich selbst als Mensch. Damit gilt ihm aber auch 35 der Paul mit Haut und Haaren, in seiner paulinischen Leiblichkeit, als Erscheinungsform des genus Mensch. 1 9 ) Der Ausdruck „Werth" wird hier, wie beiläufig schon früher stellenweis geschah, für quan- titativ bestimmten Werth, also für Werthgröße gebraucht. 54 Erstes Kapitel · Die Ware tion der Leinwand nothwendige Arbeitszeit um die Hälfte ab, etwa in Folge verbesserter Webstühle, so sinkt der Leinwandwerth um die Hälfte. Demgemäß jetzt: 20 Ellen Leinwand = % Rock. Der relative Werth der Waare A, d.h. ihr Werth ausgedrückt in der Waare B, steigt und fällt also 5 direkt wie der Werth der Waare A, bei gleichbleibendem Werth der Waare B. IL Der Werth der Leinwand bleibe konstant, während der Rockwerth wechsle. Verdoppelt sich unter diesen Umständen die zur Produktion des Rockes nothwendige Arbeitszeit, etwa in Folge ungünstiger Wollschur, so 10 haben wir statt 20 Ellen Leinwand = 1 Rock jetzt: 20 Ellen Leinwand = Y 2 Rock. Fällt dagegen der Werth des Rockes um die Hälfte, so 20 Ellen Leinwand = 2 Röcke. Bei gleichbleibendem Werth der Waare A, fällt oder steigt daher ihr relativer, in der Waare B ausgedrückter Werth im umge- kehrten Verhältnis zum Werthwechsel von B. 15 20 25 30 35 Vergleicht man die verschiednen Fälle sub I und II, so er||21|giebt sich, daß derselbe Größenwechsel des relativen Werths aus ganz entgegengesetz- ten Ursachen entspringen kann. So wird aus: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock: 1) die Gleichung 20 Ellen Leinwand = 2 Röcke, entweder, weil der Werth der Leinwand sich verdoppelt oder der Werth der Röcke um die Hälfte fällt, und 2) die Gleichung 20 Ellen Leinwand = % Rock, entweder weil der Werth der Leinwand um die Hälfte sinkt oder der Werth des Rockes auf das Doppelte steigt. III. Die zur Produktion von Leinwand und Rock nothwendigen Arbeits- quanta mögen gleichzeitig, in derselben Richtung und derselben Propor- tion wechseln. In diesem Falle nach wie vor 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, wie immer ihre Werthe verändert seien. Man entdeckt ihren Werthwechsel sobald man sie mit einer dritten Waare vergleicht, deren Werth konstant blieb. Stiegen oder fielen die Werthe aller Waaren gleichzeitig und in der- selben Proportion, so würden ihre relativen Werthe unverändert bleiben. Ihren wirklichen Werthwechsel ersähe man daraus, daß in derselben Ar- beitszeit nun allgemein ein größeres oder kleineres Waarenquantum als vorher geliefert würde. IV. Die zur Produktion von Leinwand und Rock resp. nothwendigen Ar- beitszeiten, und daher ihre Werthe, mögen gleichzeitig in derselben Rich- tung wechseln, aber in ungleichem Grad, oder in entgegengesetzter Rich- tung u.s.w. Der Einfluß aller möglichen derartigen Kombinationen auf den relativen Werth einer Waare ergiebt sich einfach durch Anwendung der Fälle I , I L und III. 40 Wirkliche Wechsel der Werthgröße spiegeln sich also weder unzweideu- tig noch erschöpfend wieder in ihrem relativen Ausdruck oder in der Größe des relativen Werths. Der relative Werth einer Waare kann wechseln, ob- 55 Erster Abschnitt · Ware und Geld gleich ihr Werth konstant bleibt. Ihr relativer Werth kann konstant bleiben, obgleich ihr Werth wechselt, und endlich brauchen gleichzeitige Wechsel in ihrer Werthgröße und im relativen Ausdruck dieser Werthgröße sich kei- neswegs zu decken 2 0). | |22| 3) Die Aequivalentform. Man hat gesehn: Indem eine Waare A (die Leinwand) ihren Werth im Ge- brauchswerth einer verschiedenartigen Waare B (dem Rock) ausdrückt, drückt sie letzterer selbst eine eigenthümliche Werthform auf, die des Aequivalents. Die Leinwandwaare bringt ihr eignes Werthsein dadurch zum Vorschein, daß ihr der Rock, ohne Annahme einer von seiner Körper- 10 form verschiednen Werthform, gleichgilt. Die Leinwand drückt also in der That ihr eignes Werthsein dadurch aus, daß der Rock unmittelbar mit ihr austauschbar ist. Die Aequivalentform einer Waare ist folglich die Form ihrer unmittelbaren Austauschbarkeit mit anderer Waare. 5 Wenn eine Waarenart, wie Röcke, einer andren Waarenart, wie Lein- 15 wand, zum Aequivalent dient, Röcke daher die charakteristische Eigen- schaft erhalten, sich in inmittelbar austauschbarer Form mit Leinwand zu befinden, so ist damit in keiner Weise die Proportion gegeben, worin Röcke und Leinwand austauschbar sind. Sie hängt, da die Werthgröße der Leinwand gegeben ist, von der Werthgröße der Röcke ab. Ob der Rock als 20 Aequivalent und die Leinwand als relativer Werth, oder umgekehrt die Leinwand als Aequivalent und der Rock als relativer Werth ausgedrückt sei, seine Werthgröße bleibt nach wie vor durch die zu seiner Produktion nothwendige Arbeitszeit, also unabhängig von seiner Werthform bestimmt. 2 0 ) Note zur 2. Ausg. Diese Inkongruenz zwischen der Werthgröße und ihrem relativen Aus- 25 druck ist von der Vulgärökonomie mit gewohntem Scharfsinn ausgebeutet worden. Z. B.: „Gebt einmal zu, daß A fällt, weil B, womit es ausgetauscht wird, steigt, obgleich unterdessen nicht weniger Arbeit auf A verausgabt wird, und euer allgemeines Werthprincip fällt zu Bo- den. ... Wenn zugegeben wird, daß, weil der Werth von A relativ zu B steigt, der Werth von B relativ zu A fällt, ist der Grund unter den Füßen weggeschnitten, worauf Ricardo seinen gro- ßen Satz aufstellt, daß der Werth einer Waare stets bestimmt ist durch das Quantum der ihr einverleibten Arbeit, denn wenn ein Wechsel in den Kosten von A nicht nur seinen eignen Werth im Verhältniß zu B, womit es ausgetauscht wird, verändert, sondern auch den Werth von B relativ zu dem von A, obgleich kein Wechsel stattgefunden hat in dem zur Produktion von B erheischten Arbeitsquantum, dann fällt nicht nur die Doktrin zu Boden, die versichert, daß die auf einen Artikel verausgabte Quantität Arbeit seinen Werth regulirt, sondern auch die Doktrin, daß die Produktionskosten eines Artikels seinen Werth reguliren." (J.Broadhurst: ,,Political Economy", London 1842, p. 11, 14.) 35 30 Herr Broadhurst konnte eben so gut sagen: man sehe sich einmal die Zahlenverhältnisse 1%o> 1 Z ^ o , 1%oo u - s - w - a n - Die Zahl 10 bleibt unverändert, und dennoch nimmt ihre proportio- 40 nelle Größe, ihre Größe relativ zu den Nennern 20, 50, 100, beständig ab. Also fällt das große Princip zu Boden, daß die Größe einer ganzen Zahl wie 10 z. B. durch die Anzahl der in ihr enthaltenen Einer „regulirt" ist. 56 Erstes Kapitel · Die Ware Aber sobald die Waarenart Rock im Werthausdruck die Stelle des Aequi- valents einnimmt, erhält ihre Werthgröße keinen Ausdruck als Werth- größe. Sie figurirt in der Werthgleichung vielmehr nur als bestimmtes Quantum einer Sache. 5 Z . B . : 40 Ellen Leinwand sind „werth" - was? 2 Röcke. Weil die Waaren- art Rock hier die Rolle des Aequivalents spielt, der Gebrauchswerth Rock der Leinwand gegenüber als Werthkörper gilt, genügt auch ein bestimmtes Quantum Röcke, um ein be||23|stimmtes Werthquantum Leinwand auszu- drücken. Zwei Röcke können daher die Werthgröße von 40 Ellen Lein- 10 wand, aber sie können nie ihre eigne Werthgröße, die Werthgröße von Rök- ken, ausdrücken. Die oberflächliche Auffassung dieser Thatsache, daß das Aequivalent in der Werthgleichung stets nur die Form eines einfachen Quantums einer Sache, eines Gebrauchswerthes, besitzt, hat Bailey, wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger, verleitet, im Werthausdruck ein 15 nur quantitatives Verhältniß zu sehn. Die Aequivalentform einer Waare enthält vielmehr keine quantitative Werthb e Stimmung. Die erste Eigenthümlichkeit, die bei Betrachtung der Aequivalentform auffällt, ist diese: Gebrauchswerth wird zur Erscheinungsform seines Ge- gentheils, des Werths. 20 25 Die Naturalform der Waare wird zur Werthform. Aber, notabene, dieß quid pro quo ereignet sich für eine Waare B (Rock oder Weizen oder Eisen u. s. w.) nur innerhalb des Werthverhältnisses, worin eine beliebige andre Waare A (Leinwand etc.) zu ihr tritt, nur innerhalb dieser Beziehung. Da keine Waare sich auf sich selbst als Aequivalent beziehn, also auch nicht ihre eigne Naturalhaut zum Ausdruck ihres eignen Werths machen kann, muß sie sich auf andre Waare als Aequivalent beziehn oder die Natural- haut einer andren Waare zu ihrer eignen Werthform machen. Dieß veranschauliche uns das Beispiel eines Maßes, welches den Waa- renkörpern als Waarenkörpern zukommt, d. h. als Gebrauchswerthen. Ein 30 Zuckerhut, weil Körper, ist schwer, und hat daher Gewicht, aber man kann keinem Zuckerhut sein Gewicht ansehn oder anfühlen. Wir nehmen nun verschiedne Stücke Eisen, deren Gewicht vorher bestimmt ist. Die Körper- form des Eisens, für sich betrachtet, ist eben so wenig Erscheinungsform der Schwere als die des Zuckerhuts. Dennoch, um den Zuckerhut als 35 Schwere auszudrücken, setzen wir ihn in ein Gewichtsverhältniß zum Eisen. In diesem Verhältniß gilt das Eisen als ein Körper, der nichts dar- stellt außer Schwere. Eisenquanta dienen daher zum Gewichtsmaß des Zuckers und repräsentiren dem Zuckerkörper gegenüber bloße Schwerge- stalt, Erscheinungsform von Schwere. Diese Rolle spielt das Eisen nur in- 40 nerhalb dieses Verhältnisses, worin der Zucker, oder irgend ein anderer Körper, dessen Gewicht gefunden werden soll, zu ihm tritt. Wären beide 57 Erster Abschnitt · Ware und Geld Dinge nicht schwer, so könnten sie nicht in dieses Verhältniß treten und das Eine daher nicht zum Ausdruck der Schwere des Andren dienen. Wer- fen wir ||24| beide auf die Wagschale, so sehn wir in der That, daß sie als Schwere dasselbe, und daher in bestimmter Proportion auch von demsel- ben Gewicht sind. Wie der Eisenkörper, als Gewichtsmaß dem Zuckerhut gegenüber nur Schwere, so vertritt in unsrem Werthausdruck der Rockkör- per der Leinwand gegenüber nur Werth. 5 Hier hört jedoch die Analogie auf. Das Eisen vertritt im Gewichtsaus- druck des Zuckerhuts eine beiden Körpern gemeinsame Natureigenschaft, ihre Schwere -, während der Rock im Werthausdruck der Leinwand eine 10 übernatürliche Eigenschaft beider Dinge vertritt: ihren Werth, etwas rein Gesellschaftliches. Indem die relative Werthform einer Waare, z.B. der Leinwand, ihr Werthsein als etwas von ihrem Körper und seinen Eigenschaften durchaus Unterschiedenes ausdrückt, z . B . als Rockgleiches, deutet dieser Ausdruck 15 selbst an, daß er ein gesellschaftliches Verhältniß verbirgt. Umgekehrt mit der Aequivalentform. Sie besteht ja gerade darin, daß ein Waarenkörper, wie der Rock, dieß Ding wie es geht und steht, Werth ausdrückt, also von Natur Werthform besitzt. Zwar gilt dieß nur innerhalb des Werthverhält- nisses, worin die Leinwandwaare auf die Rockwaare als Aequivalent bezo- 20 gen i s t 2 1 ) . Da aber Eigenschaften eines Dings nicht aus seinem Verhältniß zu andern Dingen entspringen, sich vielmehr in solchem Verhältniß nur bethätigen, scheint auch der Rock seine Aequivalentform, seine Eigen- schaft unmittelbarer Austauschbarkeit, ebenso sehr von Natur zu besitzen wie seine Eigenschaft schwer zu sein oder warm zu halten. Daher das Rath- 25 seihafte der Aequivalentform, das den bürgerlich rohen Blick des politi- schen Oekonomen erst schlägt, sobald diese Form ihm fertig gegenübertritt im Geld. Dann sucht er den mystischen Charakter von Gold und Silber wegzuklären, indem er ihnen minder blendende Waaren unterschiebt und mit stets erneutem Vergnügen den Katalog all des Waarenpöbels ableiert, 30 der seiner Zeit die Rolle des Waarenaequivalents gespielt hat. Er ahnt nicht, daß schon der einfachste Werthausdruck, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, das Räthsel der Aequivalentform zu lösen giebt. Der Körper der Waare, die zum Aequivalent dient, gilt stets als Verkör- perung abstrakt menschlicher Arbeit und ist stets das Produkt einer be- 35 stimmten nützlichen, konkreten Arbeit. Diese ||25| konkrete Arbeit wird also zum Ausdruck abstrakt menschlicher Arbeit. Gilt der Rock z.B. als bloße Verwirklichung, so die Schneiderei, die sich thatsächlich in ihm ver- 2 1 ) Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen überhaupt ein eigenes Ding. Dieser Mensch ist z.B. nur König, weil sich andre Menschen als Unterthanen zu ihm verhalten. Sie glauben 40 umgekehrt Unterthanen zu sein, weil er König ist. 58 Erstes Kapitel • Die Ware wirklicht, als bloße Verwirklichungsform abstrakt menschlicher Arbeit. Im Werthausdruck der Leinwand besteht die Nützlichkeit der Schneiderei nicht darin, daß sie Kleider, also auch Leute, sondern daß sie einen Körper macht, dem man es ansieht, daß er Werth ist, also Gallerte von Arbeit, die sich durchaus nicht unterscheidet von der im Leinwandwerth vergegen- ständlichten Arbeit. Um solch einen Werthspiegel zu machen, muß die Schneiderei selbst nichts wiederspiegeln außer ihrer abstrakten Eigen- schaft, menschliche Arbeit zu sein. 5 10 In der Form der Schneiderei wie in der Form der Weberei wird mensch- liehe Arbeitskraft verausgabt. Beide besitzen daher die allgemeine Eigen- schaft menschlicher Arbeit und mögen daher in bestimmten Fällen, z.B. bei der Werthproduktion, nur unter diesem Gesichtspunkt in Betracht kommen. All das ist nicht mysteriös. Aber im Werthausdruck der Waare wird die Sache verdreht. Um z . B . auszudrücken, daß das Weben nicht in 15 seiner konkreten Form als Weben, sondern in seiner allgemeinen Eigen- schaft als menschliche Arbeit den Leinwandwerth bildet, wird ihm die Schneiderei, die konkrete Arbeit, die das Leinwand-Aequivalent producirt, gegenübergestellt als die handgreifliche Verwirklichungsform abstrakt menschlicher Arbeit. 20 Es ist also eine zweite Eigenthümlichkeit der Aequivalentform, daß kon- krete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegentheils, abstrakt menschli- cher Arbeit wird. Indem aber diese konkrete Arbeit, die Schneiderei, als bloßer Ausdruck unterschiedsloser menschlicher Arbeit gilt, besitzt sie die Form der Gleich- 25 heit mit andrer Arbeit, der in der Leinwand steckenden Arbeit, und ist da- her, obgleich Privatarbeit, wie alle andre, Waaren producirende Arbeit, dennoch Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Eben deßhalb stellt sie sich dar in einem Produkt, das unmittelbar austauschbar mit andrer Waare ist. Es ist also eine dritte Eigenthümlichkeit der Aequivalentform, 30 daß Privatarbeit zur Form ihres Gegentheils wird, zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. Die beiden zuletzt entwickelten Eigenthümlichkeiten der Aequivalent- form werden noch faßbarer, wenn wir zu dem großen Forscher zurückgehn, der die Werthform, wie so viele Denkformen, Gesellschaftsformen und Na- turformen zuerst analysirt hat. Es ist dieß Aristoteles. | 35 |26| Zunächst spricht Aristoteles klar aus, daß die Geldform der Waare nur die weiter entwickelte Gestalt der einfachen Werthform ist, d. h. des Ausdrucks des Werths einer Waare in irgend einer beliebigen andren Waare, denn er sagt: 40 „5 Polster = 1 Haus" (,,Κλΐναι πέντε αντί οικίας") „unterscheidet sich nicht" von: 59 Erster Abschnitt • Ware und Geld „5 Polster = so und so viel Geld" (,,Κλϊναι πέντε αντί ... δ σου ai πέντε κλιναι"). Er sieht ferner ein, daß das Werthverhältniß, worin dieser Werthausdruck steckt, seinerseits bedingt, daß das Haus dem Polster qualitativ gleichge- setzt wird, und daß diese sinnlich verschiednen Dinge ohne solche We- sensgleichheit nicht als kommensurable Größen auf einander beziehbar wären. „Der Austausch", sagt er, „kann nicht sein ohne die Gleichheit, die Gleichheit aber nicht ohne die Kommensurabilität" („οΰτ ίσότης μή ούσης συμμετρίας"). Hier aber stutzt er und giebt die weitere Analyse der Werthform auf. „Es ist aber in Wahrheit unmöglich (,,τη μεν ούν άλη(cid:5) 10 θεία αδύνατον"), daß so verschiedenartige Dinge kommensurabel", d. h. qualitativ gleich seien. Diese Gleichsetzung kann nur etwas der wahren Natur der Dinge Fremdes sein, also nur „Nothbehelf für das praktische B e - dürfniß". 5 Aristoteles sagt uns also selbst, woran seine weitere Analyse scheitert, 15 nämlich am Mangel des Werthbegriffs. Was ist das Gleiche, d. h. die ge- meinschaftliche Substanz, die das Haus für den Polster im Werthausdruck des Polsters vorstellt? So etwas kann „in Wahrheit nicht existiren", sagt Aristoteles. Warum? Das Haus stellt dem Polster gegenüber ein Gleiches vor, soweit es das in Beiden, dem Polster und dem Haus, wirklich Gleiche 20 vorstellt. Und das ist - menschliche Arbeit. Daß aber in der Form der Waarenwerthe alle Arbeiten als gleiche menschliche Arbeit und daher als gleichgeltend ausgedrückt sind, konnte Aristoteles nicht aus der Werthform selbst herauslesen, weil die griechi- sche Gesellschaft auf der Sklavenarbeit beruhte, daher die Ungleichheit 25 der Menschen und ihrer Arbeitskräfte zur Naturbasis hatte. Das Geheim- niß des Werthausdrucks, die Gleicheit und gleiche Gültigkeit aller Arbei- ten, weil und insofern sie menschliche Arbeit überhaupt sind, kann nur entziffert werden, sobald der Begriff der menschlichen Gleichheit bereits die Festigkeit eines Volksvorurtheils besitzt. Das ist aber erst möglich in 30 einer Gesellschaft, worin die Waarenform die allgemeine Form des Ar- beitsprodukts, also auch das Verhältniß der Menschen zu einander als | |27| Waarenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältniß ist. Das Genie des Aristoteles glänzt grade darin, daß er im Werthausdruck der Waaren ein Gleichheitsverhältniß entdeckt. Nur die historische Schranke 35 der Gesellschaft, worin er lebte, verhindert ihn herauszufinden, worin denn „in Wahrheit" dies Gleichheitsverhältniß besteht. 60 Erstes Kapitel · Die Ware 4. Das Ganze der einfachen Werthform. Die einfache Werthform einer Waare ist enthalten in ihrem Werthverhält- niß zu einer verschiedenartigen Waare oder im Austauschverhältniß mit derselben. Der Werth der Waare A wird qualitativ ausgedrückt durch die 5 unmittelbare Austauschbarkeit der Waare B mit der Waare A. Er wird quantitativ ausgedrückt durch die Austauschbarkeit eines bestimmten Quantums der Waare B mit dem gegebenen Quantum der Waare A. In and- ren Worten: Der Werth einer Waare ist selbständig ausgedrückt durch seine Darstellung als „Tauschwerth". Wenn es im Eingang dieses Kapitels in der gäng und gäben Manier hieß: Die Waare ist Gebrauchswerth und Tauschwerth, so war dieß, genau gesprochen, falsch. Die Waare ist Ge- brauchswerth oder Gebrauchsgegenstand und „Werth". Sie stellt sich dar als dieß Doppelte was sie ist, sobald ihr Werth eine eigne, von ihrer Natu- ralform verschiedene Erscheinungsform besitzt, die des Tauschwerths, und sie besitzt diese Form niemals isolirt betrachtet, sondern stets nur im Werth- oder Austauschverhältniß zu einer zweiten, verschiedenartigen Waare. Weiß man das jedoch einmal, so thut jene Sprechweise keinen Harm, sondern dient zur Abkürzung. 10 15 25 Unsere Analyse bewies, daß die Werthform oder der Werthausdruck der 20 Waare aus der Natur des Waarenwerths entspringt, nicht umgekehrt Werth und Werthgröße aus ihrer Ausdrucksweise als Tauschwerth. Dieß ist jedoch der Wahn sowohl der Merkantilisten und ihrer modernen Aufwärmer wie Ferrier, Ganilh u.s.w. 2 2), als auch ihrer Antipoden, der modernen Freihan- dels-Commis-Voyageurs, wie Bastiat und Konsorten. Die Merkantilisten legen das Hauptgewicht auf die qualitative Seite des Werthausdrucks, da- her auf die Aequivalentform der Waare, die im Geld ihre fertige Gestalt besitzt, - die modernen Freihandelshausirer dagegen, die ihre ||28| Waare um jeden Preis losschlagen müssen, auf die quantitative Seite der relativen Werthform. Für sie existirt folglich weder Werth noch Werthgröße der 30 Waare außer in dem Ausdruck durch das Austauschverhältniß, daher nur im Zettel des täglichen Preiskurants. Der Schotte MacLeod, in seiner Funktion die kreuzverwirrten Vorstellungen von Lombardstreet möglichst gelehrt heraus zu putzen, bildet die gelungene Synthese zwischen den abergläubigen Merkantilisten und den aufgeklärten Freihandelshausi- rem. 35 Die nähere Betrachtung des im Werthverhältniß zur Waare B enthalte- nen Werthausdrucks der Waare A hat gezeigt, daß innerhalb desselben die 2 2 ) Note zur 2. Ausg. F.L. A.Ferrier (sous-inspecteur des douanes): „Du Gouvernement consi- déré dans ses rapports avec le commerce. Paris 1805" und Charles Ganilh: „Des Systèmes de l'Économie Politique. 2ème éd. Paris 1821". 40 61 Erster Abschnitt • Ware und Geld Naturalform der Waare A nur als Gestalt von Gebrauchswerth, die Natural- form der Waare B nur als Werthform oder Werthgestalt gilt. Der in der Waare eingehüllte innere Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth wird also dargestellt durch einen äußeren Gegensatz, d.h. durch das Verhältniß zweier Waaren, worin die eine Waare, deren Werth ausgedrückt werden soll, unmittelbar nur als Gebrauchswerth, die andre Waare hingegen, worin Werth ausgedrückt wird, unmittelbar nur als Tauschwerth gilt. Die einfa- che Werthform einer Waare ist also die einfache Erscheinungsform des in ihr enthaltenen Gegensatzes von Gebrauchswerth und Werth. 5 Das Arbeitsprodukt ist in allen gesellschaftlichen Zuständen Gebrauchs- 10 gegenständ, aber nur eine historisch bestimmte Entwicklungsepoche, wel- che die in der Produktion eines Gebrauchsdings verausgabte Arbeit als seine „gegenständliche" Eigenschaft darstellt, d. h. als seinen Werth, ver- wandelt das Arbeitsprodukt in Waare. Es folgt daher, daß die einfache Werthform der Waare zugleich die einfache Waarenform des Arbeitspro- 15 dukts ist, daß also auch die Entwicklung der Waarenform mit der Entwick- lung der Werthform zusammenfällt. Der erste Blick zeigt das Unzulängliche der einfachen Werthform, dieser Keimform, die erst durch eine Reihe von Metamorphosen zur Preisform heranreift. 20 Der Ausdruck in irgend welcher Waare B unterscheidet den Werth der Waare A nur von ihrem eignen Gebrauchswerth und setzt sie daher auch nur in ein Austauschverhältniß zu irgend einer einzelnen von ihr selbst verschiednen Waarenart, statt ihre qualitative Gleichheit und quantitative Proportionalität mit allen andren Waaren darzustellen. Der einfachen rela- 25 tiven Werthform einer Waare entspricht die einzelne Aequivalentform einer andren Waare. So besitzt der Rock, im relativen Werthausdruck der | |29| Leinwand, nur Aequivalentform oder Form unmittelbarer Austausch- barkeit mit Bezug auf diese einzelne Waarenart Leinwand. Indeß geht die einzelne Werthform von selbst in eine vollständigere 30 Form über. Vermittelst derselben wird der Werth einer Waare A zwar in nur einer Waare von andrer Art ausgedrückt. Welcher Art aber diese zweite Waare, ob Rock, ob Eisen, ob Weizen u.s.w., ist durchaus gleichgültig. Je nachdem sie also zu dieser oder jener andren Waarenart in ein Werthver- hältniß tritt, entstehn verschiedne einfache Werthausdrücke einer und der- 35 selben W a a r e 2 2 a ) . Die Anzahl ihrer möglichen Werthausdrücke ist nur be- schränkt durch die Anzahl von Ihr vereinzelter Werthausdruck verwandelt sich daher in die stets verlänger- bare Reihe ihrer verschiednen einfachen Werthausdrücke. ihr verschiedner Waarenarten. 22 a) Note zur 2. Aufl. Z.B. bei Homer wird der Werth eines Dings in einer Reihe verschiedner 40 Dinge ausgedrückt. 62 Erstes Kapitel • Die Ware B. Totale oder entfaltete Werthform. ζ Waare A = u Waare B oder = ν Waare C oder = w Waare D oder = χ Waare E oder = etc. (20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Thee oder = 40 Pfd. Kaffee 5 oder = 1 Quarter Weizen oder = 2 Unzen Gold oder = % Tonnen Eisen oder = etc.) 1. Die entfaltete relative Werthform. Der Werth einer Waare, der Leinwand z.B., ist jetzt ausgedrückt in zahllo- sen andren Elementen der Waarenwelt. Jeder andre Waarenkörper wird 10 zum Spiegel des Leinwandwerths 2 3). So erscheint dieser Werth selbst erst wahrhaft als Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit. Denn die ihn bildende Arbeit ||30| ist nun ausdrücklich als Arbeit dargestellt, der jede andre menschliche Arbeit gleichgilt, welche Naturalform sie immer be- sitze, und ob sie sich daher in Rock oder Weizen oder Eisen oder Gold 15 u.s.w. vergegenständliche. Durch ihre Werthform steht die Leinwand daher jetzt auch in gesellschaftlichem Verhältniß nicht mehr zu nur einer einzel- nen andren Waarenart, sondern zur Waarenwelt. Als Waare ist sie Bürger dieser Welt. Zugleich liegt in der endlosen Reihe seiner Ausdrücke, daß der Waarenwerth gleichgültig ist gegen die besondre Form des Gebrauchs- 20 werths, worin er erscheint. In der ersten Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock kann es zufällige That- sache sein, daß diese zwei Waaren in einem bestimmten quantitativen Ver- hältnisse austauschbar sind. In der zweiten Form leuchtet dagegen sofort ein von der zufälligen Erscheinung wesentlich unterschiedner und sie be- stimmender Hintergrund durch. Der Werth der Leinwand bleibt gleich groß, ob in R o c k oder Kaffee oder Eisen etc. dargestellt, in zahllos ver- 25 2 3 ) Man spricht deßhalb vom Rockwerth der Leinwand, wenn man ihren Werth in Röcken, von ihrem Kornwerth, wenn man ihn in Korn darstellt etc. Jeder solche Ausdruck besagt, daß es ihr Werth ist, der in den Gebrauchswerthen Rock, Korn u.s.w. erscheint. "The value of any 30 commodity denoting its relation in exchange, we may speak of it as ... corn-value, cloth-value according to the commodity with which it is compared; and then there are a thousand differ- ent kinds of value, as many kinds of value as there are commodities in existence, and all are equally real and equally nominal." („A Critical Dissertation on the Nature, Measures and Causes of Value: chiefly in reference to the writings of Mr. Ricardo and his followers. By the 35 Author of Essays on the Formation etc. of Opinions. London 1825", p. 39.) S.Bailey, der Ver- fasser dieser anonymen Schrift, die ihrer Zeit viel Lärm in England machte, wähnt durch die- sen Hinweis auf die kunterbunten relativen Ausdrücke desselben Waaren-Werths alle Be- griffsbestimmung des Werths vernichtet zu haben. Daß er übrigens, trotz eigner Bornirtheit, wunde Flecken der Ricardo'schen Theorie sondirt hatte, bewies die Gereiztheit, womit die Ri- 40 cardo'sche Schule ihn angriff, z.B. in der Westminster Review. 63 Erster Abschnitt · Ware und Geld schiednen Waaren, den verschiedensten Besitzern angehörig. Das zufällige Verhältniß zweier individueller Waarenbesitzer fällt fort. Es wird offenbar, daß nicht der Austausch die Werthgröße der Waare, sondern umgekehrt die Werthgröße der Waare ihre Austauschverhältnisse regulirt. 2. Die besondre Aequivalentform. Jede Waare, Rock, Thee, Weizen, Eisen u. s. w. gilt im Werthausdruck der Leinwand als Aequivalent und daher als Werthkörper. Die bestimmte Na- turalform jeder dieser Waaren ist jetzt eine besondre Aequivalentform ne- ben vielen andren. Ebenso gelten die mannigfaltigen in den verschiedenen Waarenkörpern enthaltenen bestimmten, konkreten, nützlichen Arbeitsar- ten jetzt als eben so viele besondre Verwirklichungs- oder Erscheinungsfor- men menschlicher Arbeit schlechthin. 3. Mängel der totalen oder entfalteten Werthform. Erstens ist der relative Werthausdruck der Waare unfertig, weil seine Dar- stellungsreihe nie abschließt. Die Kette, worin eine Werthgleichung sich zur andern fügt, bleibt fortwährend verlängerbar durch jede neu auftre- tende Waarenart, welche das Material eines neuen Werthausdrucks liefert. Zweitens bildet sie eine bunte Mosaik auseinanderfallender und verschie- denartiger Werthausdrücke. Wird endlich, wie dies geschehn muß, der rela- tive Werth jeder Waare in dieser entfalteten Form ausgedrückt, so ist die relative Werthform jeder Waare eine von der relativen Werthform jeder | 1311 andren Waare verschiedne endlose Reihe von Werthausdrücken. - Die Mängel der entfalteten relativen Werthform spiegeln sich wieder in der ihr entsprechenden Aequivalentform. Da die Naturalform jeder einzelnen Waarenart hier eine besondre Aequivalentform neben unzähligen andren besondren Aequivalentformen ist, existiren überhaupt nur beschränkte Aequivalentformen, von denen jede die andre ausschließt. Ebenso ist die in jedem besondren Waarenäquivalent enthaltene bestimmte, konkrete, nützliche Arbeitsart nur besondre, also nicht erschöpfende Erscheinungs- form der menschlichen Arbeit. Diese besitzt ihre vollständige oder totale Erscheinungsform zwar in dem Gesammtumkreis jener besondren Erschei- nungsformen. Aber so besitzt sie keine einheitliche Erscheinungsform. Die entfaltete relative Werthform besteht jedoch nur aus einer Summe einfacher relativer Werthausdrücke oder Gleichungen der ersten Form, wie: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock 20 Ellen Leinwand = 10Pfd. Thee u.s.w. 64 Erstes Kapitel · Die Ware Jede dieser Gleichungen enthält aber rückbezüglich auch die identische Gleichung: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand 10 Pfd. Thee = 20 Ellen Leinwand u.s.w. In der That: Wenn ein Mann seine Leinwand mit vielen andren Waaren austauscht und daher ihren Werth in einer Reihe von andren Waaren aus- drückt, so müssen nothwendig auch die vielen andren Waarenbesitzer ihre Waaren mit Leinwand austauschen und daher die Werthe ihrer verschied- nen Waaren in derselben dritten Waare ausdrücken, in Leinwand. - Keh- ren wir also die Reihe: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Thee oder = u.s.w. um, d.h. drücken wir die der Sache nach schon in der Reihe enthaltene Rückbeziehung aus, so erhalten wir: C Allgemeine Werthform. 1 Rock 10 Pfd. Thee 40 Pfd. Kaffee 1 Qrtr. Weizen 2 Unzen Gold Y 2 Tonne Eisen χ Waare A u.s.w. Waare 20 Ellen Leinwand. 5 10 15 20 1321 1. Veränderter Charakter der Werthform. Die Waaren stellen ihre Werthe jetzt 1) einfach dar, weil in einer einzigen 25 Waare und 2) einheitlich, weil in derselben Waare. Ihre Werthform ist ein- fach und gemeinschaftlich, daher allgemein. Die Formen I und II kamen beide nur dazu, den Werth einer Waare als etwas von ihrem eignen Gebrauchswerth oder ihrem Waarenkörper Unter- schiedenes auszudrücken. 30 35 Die erste Form ergab Werthgleichungen wie: 1 Rock = 20 Ellen Lein- wand, 10 Pfd. Thee = % Tonne Eisen u.s.w. Der Rockwerth wird als Lein- wandgleiches, der Theewerth als Eisengleiches u. s. w. ausgedrückt, aber Leinwandgleiches und Eisengleiches, diese Werthausdrücke von Rock und Thee, sind ebenso verschieden wie Leinwand und Eisen. Diese Form kommt offenbar praktisch nur vor in den ersten Anfängen, wo Arbeitspro- dukte durch zufälligen und gelegentlichen Austausch in Waaren verwan- delt werden. 65 Erster Abschnitt • Ware und Geld Die zweite Form unterscheidet vollständiger als die erste den Werth einer Waare von ihrem eignen Gebrauchswerth, denn der Werth des Rocks z.B. tritt jetzt seiner Naturalform in allen möglichen Formen gegenüber, als Leinwandgleiches, Eisengleiches, Theegleiches u.s.w., alles andre, nur nicht Rockgleiches. Andrerseits ist hier jeder gemeinsame Werthausdruck der Waaren direkt ausgeschlossen, denn im Werthausdruck je einer Waare erscheinen jetzt alle andren Waaren nur in der Form von Aequivalenten. Die entfaltete Werthform kommt zuerst thatsächlich vor, sobald ein Ar- beitsprodukt, Vieh z . B . , nicht mehr ausnahmsweise, sondern schon ge- wohnheitsmäßig mit verschiednen andren Waaren ausgetauscht wird. 5 10 Die neu gewonnene Form drückt die Werthe der Waarenwelt in einer und derselben von ihr abgesonderten Waarenart aus, z.B. in Leinwand, und stellt so die Werthe aller Waaren dar durch ihre Gleichheit mit Lein- wand. Als Leinwandgleiches ist der Werth jeder Waare jetzt nicht nur von ihrem eignen Gebrauchswerth unterschieden, sondern von allem Ge- 15 brauchswerth, und eben dadurch als das ihr mit allen Waaren Gemeinsame ausgedrückt. Erst diese Form bezieht daher wirklich die Waaren auf einan- der als Werthe oder läßt sie einander als Tauschwerthe erscheinen. Die beiden früheren Formen drücken den Werth je einer Waare, sei es in einer einzigen verschiedenartigen Waare, sei es in einer Reihe vieler von 20 ihr verschiednen Waaren aus. Beidemal ist es so zu sagen das Privatge- schäft der einzelnen Waare sich eine ||33| Werthform zu geben, und sie vollbringt es ohne Zuthun der andren Waaren. Diese spielen ihr gegenüber die bloß passive Rolle des Aequivalents. Die allgemeine Werthform ent- steht dagegen nur als gemeinsames Werk der Waarenwelt. Eine Waare ge- 25 winnt nur allgemeinen Werthausdruck, weil gleichzeitig alle andren Waa- ren ihren Werth in demselben Aequivalent ausdrücken und jede neu auftretende Waarenart muß das nachmachen. Es kommt damit zum Vor- schein, daß die Werthgegenständlichkeit der Waaren, weil sie das bloß „ge- sellschaftliche Dasein" dieser Dinge ist, auch nur durch ihre allseitige ge- 30 seilschaftliche Beziehung ausgedrückt werden kann, ihre Werthform daher gesellschaftlich gültige Form sein muß. In der Form von Leinwandgleichen erscheinen jetzt alle Waaren nicht nur als qualitativ Gleiche, Werthe überhaupt, sondern zugleich als quanti- tativ vergleichbare Werthgrößen. Weil sie ihre Werthgrößen in einem und 35 demselben Material, in Leinwand bespiegeln, spiegeln sich diese Werthgrö- ßen wechselseitig wieder. z.B. 10 Pfd. Thee = 20 Ellen Leinwand, und 40 Pfd. Kaffee = 20 Ellen Leinwand. Also 10 Pfd. Thee = 40 Pfd. Kaffee. Oder in 1 Pfd. Kaffee steckt nur % so viel Werthsubstanz, Arbeit, als in 1 Pfd. Thee. 40 Die allgemeine relative Werthform der Waarenwelt drückt der von ihr 66 Erstes Kapitel · Die Ware ausgeschlossenen Aequivalentwaare, der Leinwand, den Charakter des all- gemeinen Aequivalents auf. Ihre eigne Naturalform ist die gemeinsame Werthgestalt dieser Welt, die Leinwand daher mit allen andren Waaren un- mittelbar austauschbar. Ihre Körperform gilt als die sichtbare Inkarnation, 5 die allgemeine gesellschaftliche Verpuppung aller menschlichen Arbeit. Die Weberei, die Privatarbeit, welche Leinwand producirt, befindet sich zugleich in allgemein gesellschaftlicher Form, der Form der Gleichheit mit allen andren Arbeiten. Die zahllosen Gleichungen, woraus die allgemeine Werthform besteht, setzen der Reihe nach die in der Leinwand verwirk- lichte Arbeit jeder in andrer Waare enthaltenen Arbeit gleich und machen dadurch die Weberei zur allgemeinen Erscheinungsform menschlicher Ar- beit überhaupt. So ist die im Waarenwerth vergegenständlichte Arbeit nicht nur negativ dargestellt als Arbeit, worin von allen konkreten Formen und nützlichen Eigenschaften der wirklichen Arbeiten abstrahirt wird. Ihre 15 eigne positive Natur tritt ausdrücklich hervor. Sie ist die Reduktion aller wirklichen Arbeiten auf den ihnen gemeinsamen Charakter menschlicher Arbeit, auf die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft. | 10 |34| Die allgemeine Werthform, welche die Arbeitsprodukte als bloße Gallerten unterschiedsloser menschlicher Arbeit darstellt, zeigt durch ihr 20 eignes Gerüste, daß sie der gesellschaftliche Ausdruck der Waarenwelt ist. So offenbart sie, daß innerhalb dieser Welt der allgemein menschliche Charakter der Arbeit ihren specifisch gesellschaftlichen Charakter bildet. 2. Entwicklungsverhältniß von relativer Werthform und Aequivalentform. 25 Dem Entwicklungsgrad der relativen Werthform entspricht der Entwick- lungsgrad der Aequivalentform. Aber, und dieß ist wohl zu merken, die Entwicklung der Aequivalentform ist nur Ausdruck und Resultat der Ent- wicklung der relativen Werthform. Die einfache oder vereinzelte relative Werthform einer Waare macht 30 eine andre Waare zum einzelnen Aequivalent. Die entfaltete Form des re- lativen Werths, dieser Ausdruck des Werths einer Waare in allen andren Waaren, prägt ihnen die Form verschiedenartiger besonderer Aequivalente auf. Endlich erhält eine besondre Waarenart die allgemeine Aequivalent- form, weil alle andren Waaren sie zum Material ihrer einheitlichen, allge- 35 meinen Werthform machen. In demselben Grad aber, worin sich die Werthform überhaupt entwik- kelt, entwickelt sich auch der Gegensatz zwischen ihren beiden Polen, der relativen Werthform und Aequivalentform. Schon die erste Form - 20 Ellen Leinwand = 1 Rock - enthält diesen 67 Erster Abschnitt • Ware und Geld Gegensatz, fixirt ihn aber nicht. Je nachdem dieselbe Gleichung vorwärts oder rückwärts gelesen wird, befindet sich jedes der beiden Waarenex- treme, wie Leinwand und Rock, gleichmäßig bald in der relativen Werth- form, bald in der Aequivalentform. Es kostet hier noch Mühe, den polari- schen Gegensatz festzuhalten. 5 In der Form II kann immer nur je eine Waarenart ihren relativen Werth total entfalten oder besitzt sie selbst nur entfaltete relative Werthform, weil und sofern alle andren Waaren sich ihr gegenüber in der Aequivalentform befinden. Hier kann man nicht mehr die zwei Seiten der Werthgleichung - wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Thee oder = 1 Qrtr. Wei- 10 zen etc. - umsetzen, ohne ihren Gesammtcharakter zu verändern und sie aus der totalen in die allgemeine Werthform zu verwandeln. Die letztere Form, Form III, endlich giebt der Waarenwelt allgemein-ge- sellschaftliche relative Werthform, weil und sofern, mit einer einzigen Aus- nahme, alle ihr angehörigen Waaren von der ||35| allgemeinen Aequiva- 15 lentform ausgeschlossen sind. Eine Waare, die Leinwand, befindet sich daher in der Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit allen andren Waa- ren oder in unmittelbar gesellschaftlicher Form, weil und sofern alle and- ren Waaren sich nicht darin befinden. 2 4) Umgekehrt ist die Waare, die als allgemeines Aequivalent figurirt, von 20 der einheitlichen und daher allgemeinen relativen Werthform der Waaren- welt ausgeschlossen. Sollte die Leinwand, d. h. irgend eine in allgemeiner Aequivalentform befindliche Waare, auch zugleich an der allgemeinen re- lativen Werthform theilnehmen, so müßte sie sich selbst zum Aequivalent dienen. Wir erhielten dann: 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand, eine 25 Tautologie, worin weder Werth, noch Werthgröße ausgedrückt ist. Um den relativen Werth des allgemeinen Aequivalents auszudrücken, müssen wir vielmehr die Form III umkehren. Es besitzt keine mit den andren Waaren 2 4 ) Man sieht es der Form allgemeiner unmittelbarer Austauschbarkeit in der That keines- wegs an, daß sie eine gegensätzliche Waarenform ist, von der Form nicht unmittelbarer Aus- 30 tauschbarkeit ebenso unzertrennlich wie die Positivität eines Magnetpols von der Negativität des andren. Man mag sich daher einbilden, man könne allen Waaren zugleich den Stempel unmittelbarer Austauschbarkeit aufdrücken, wie man sich einbilden mag, man könne alle Ka- tholiken zu Päbsten machen. Für den Kleinbürger, der in der Waarenproduktion das nec plus ultra menschlicher Freiheit und individueller Unabhängigkeit erblickt, wäre es natürlich sehr wünschenswerth, der mit dieser Form verbundnen Mißstände überhoben zu sein, namentlich auch der nicht unmittelbaren Austauschbarkeit der Waaren. Die Ausmalung dieser Philister- utopie bildet Proudhon's Socialismus, der, wie ich anderswo gezeigt, nicht einmal das Ver- dienst der Originalität besitzt, vielmehr lange vor ihm von Gray, Bray und Andern, weit besser entwickelt wurde. Dieß verhindert solche Weisheit nicht, heutzutage, in gewissen Kreisen, un- 40 ter dem Namen der ,,science" zu grassiren. Nie hat eine Schule mehr als die Proudhon'sche mit dem Wort ,,science" um sich geworfen, denn „wo Begriffe fehlen, Da stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein". 35 68 Erstes Kapitel • Die Ware gemeinschaftliche relative Werthform, sondern sein Werth drückt sich rela- tiv aus in der endlosen Reihe aller andren Waarenkörper. So erscheint jetzt die entfaltete relative Werthform oder Form II als die specifische relative Werthform der Aequivalentwaare. 5 3. Uebergang aus der allgemeinen Werthform zur Geldform. Die allgemeine Aequivalentform ist eine Form des Werths überhaupt. Sie kann also jeder Waare zukommen. Andrerseits befindet sich eine Waare nur in allgemeiner Aequivalentform (Form I I I ) , ||36| weil und sofern sie durch alle andren Waaren als Aequivalent ausgeschlossen wird. Und erst 10 vom Augenblick, wo diese Ausschließung sich endgültig auf eine specifi- sche Waarenart beschränkt, hat die einheitliche relative Werthform der Waarenwelt objective Festigkeit und allgemein gesellschaftliche Gültigkeit gewonnen. 15 20 Die specifische Waarenart nun, mit deren Naturalform die Aequivalent- form gesellschaftlich verwächst, wird zur Geldwaare oder funktionirt als Geld. Es wird ihre specifisch gesellschaftliche Funktion, und daher ihr ge- sellschaftliches Monopol, innerhalb der Waarenwelt die Rolle des allge- meinen Aequivalents zu spielen. Diesen bevorzugten Platz hat unter den Waaren, welche in Form II als besondre Aequivalente der Leinwand figuri- ren, und in Form III ihren relativen Werth gemeinsam in Leinwand aus- drücken, eine bestimmte Waare historisch erobert, das Gold. Setzen wir daher in Form III die Waare Gold an die Stelle der Waare Leinwand, so er- halten wir: 25 30 35 D. Geldform. 20 Ellen Leinwand = 1 Rock 10 Pfd. Thee 40 Pfd. Kaffee 1 Qrtr. Weizen Y2 Tonne Eisen χ Waare A = = = = \ 2 Unzen Gold. Es finden wesentliche Veränderungen statt beim Uebergang von Form I zu Form II, von Form II zu Form III. Dagegen unterscheidet Form IV sich durch nichts von Form III, außer daß jetzt statt Leinwand Gold die allge- meine Aequivalentform besitzt. Gold bleibt in Form IV, was die Leinwand in Form III war - allgemeines Aequivalent. Der Fortschritt besteht nur 69 Erster Abschnitt • Ware und Geld darin, daß die Form unmittelbarer allgemeiner Austauschbarkeit oder die allgemeine Aequivalentform jetzt durch gesellschaftliche Gewohnheit end- gültig mit der specifischen Naturalform der Waare Gold verwachsen ist. Gold tritt den andren Waaren nur als Geld gegenüber, weil es ihnen be- reits zuvor als Waare gegenüberstand. Gleich allen andren Waaren funktio- nirte es auch als Aequivalent, sei es als einzelnes Aequivalent in vereinzel- ten Austauschakten, sei es als besondres Aequivalent neben andren Waarenäquivalenten. Nach und nach funktionirte es in engeren oder weite- ren Kreisen als allgemeines ||37| Aequivalent. Sobald es das Monopol die- ser Stelle im Werthausdruck der Waarenwelt erobert hat, wird es GeId- waare, und erst von dem Augenblick, wo es bereits Geldwaare geworden ist, unterscheidet sich Form IV von Form III, oder ist die allgemeine Werthform verwandelt in die Geldform. Der einfache relative Werthausdruck einer Waare, z.B. der Leinwand, in der bereits als Geldwaare funktionirenden Waare, z.B. dem Gold, ist Preis- form. Die „Preisform" der Leinwand daher: 20 Ellen Leinwand = 2 Unzen Gold, oder, wenn 2 Pfd. St. der Münzname von 2 Unzen Gold, 20 Ellen Leinwand = 2 Pfd. St. Die Schwierigkeit im Begriff der Geldform beschränkt sich auf das B e - greifen der allgemeinen Aequivalentform, also der allgemeinen Werthform überhaupt, der Form III. Form III löst sich rückbezüglich auf in Form II, die entfaltete Werthform, und ihr konstituirendes Element ist Form I: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder χ Waare A = y Waare B. Die einfache Waarenform ist daher der Keim der Geldform. 4. Der Fetischcharakter der Waare und sein Geheimniß. Eine Waare scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergiebt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll meta- physischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Ge- brauchswerth, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Ge- sichtspunkt betrachte, daß sie durch ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschli- cher Arbeit erhält. Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Thätig- keit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z . B . wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Waare auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, 70 Erstes Kapitel • Die Ware sondern er stellt sich allen andren Waaren gegenüber auf den Kopf, und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne 2 5). Der mystische Charakter der Waare entspringt also nicht aus ||38| ihrem 5 Gebrauchswerth. Er entspringt ebensowenig aus dem Inhalt der Werthbe- stimmungen. Denn erstens, wie verschieden die nützlichen Arbeiten oder produktiven Thätigkeiten sein mögen, es ist eine physiologische Wahrheit, daß sie Funktionen des menschlichen Organismus sind, und daß jede sol- che Funktion, welches immer ihr Inhalt und ihre Form, wesentlich Veraus- 10 gabung von menschlichem Hirn, Nerv, Muskel, Sinnesorgan u. s. w. ist. Was zweitens der Bestimmung der Werthgröße zu Grunde liegt, die Zeit- dauer jener Verausgabung, oder die Quantität der Arbeit, so ist die Quanti- tät sogar sinnfällig von der Qualität der Arbeit unterscheidbar. In allen Zu- ständen mußte die Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel 15 kostet, den Menschen interessiren, obgleich nicht gleichmäßig auf ver- schiedenen Entwicklungsstufen 2 6). Endlich, sobald die Menschen in irgend einer Weise für einander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaft- liche Form. Woher entspringt also der räthselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, 20 sobald es Waarenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der glei- chen Werthgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, daß Maß der Veraus- gabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Werthgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Producen- ten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten bethätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Ar- beitsprodukte. 25 Das Geheimnißvolle der Waarenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als ge- 30 genständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesell- schaftliche Verhältniß der Producenten zur Gesammtarbeit als ein außer ihnen existirendes gesellschaftliches Verhältniß von Gegenständen. Durch dies quid pro quo werden die Arbeitsprodukte Waaren, sinnlich übersinnli- 35 che oder gesellschaftliche Dinge. So stellt sich der Lichteindruck eines 2 5 ) Man erinnert sich, daß China und die Tische zu tanzen anfingen, als alle übrige Welt still zu stehn schien - pour encourager les autres. 2 6 ) Note zur 2. Ausg. Bei den alten Germanen wurde die Größe eines Morgens Land nach der Arbeit eines Tages berechnet und daher der Morgen Tagwerk (auch Tagwanne) Qumale oder jurnalis, terra jurnalis, jornalis oder diurnalis), Mannwerk, Mannskraft, Mannsmaad, Manns- hauet u.s. f. benannt. Sieh Georg Ludwig von Maurer: „Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, u.s.w. Verfassung". München 1854, p. 129 sq. 40 71 Erster Abschnitt • Ware und Geld Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, son- dern als gegenständliche Form eines Dings außerhalb ||39| des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich Licht von einem Ding, dem äußeren Ge- genstand, auf ein andres Ding, das Auge, gev/orfen. Es ist ein physisches Verhältniß zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Waarenform und das Werthverhältniß der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Ver- hältniß der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie 10 zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, unter einander und mit den Menschen in Verhältniß stehende selbstständige Gestalten. So in der Waarenwelt die Produkte der menschli- chen Hand. Dieß nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten 15 anklebt, sobald sie als Waaren producirt werden, und der daher von der Waarenproduktion unzertrennlich ist. 5 Dieser Fetischcharakter der Waarenwelt entspringt, wie die vorherge- hende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigenthümlichen gesellschaftli- chen Charakter der Arbeit, welche Waaren producirt. 20 Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waaren, weil sie Produkte von einander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex die- ser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesammtarbeit. Da die Pro- ducenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die speciflsch gesellschaftlichen 25 Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die Privatarbeiten bethätigen sich in der That erst als Glieder der gesellschaft- lichen Gesammtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Producenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privat- 30 arbeiten als das was sie sind, d. h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen. Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von 35 ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesell- schaftlich gleiche Werthgegenständlichkeit. Diese Spaltung des Arbeitspro- dukts in nützliches Ding und Werthding bethätigt sich nur praktisch, so- bald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit gewonnen hat, damit nütz||40|liche Dinge für den Austausch producirt wer- 40 den, der Werthcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst 72 Erstes Kapitel • Die Ware 5 in Betracht kommt. Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Producenten thatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter. Sie müssen einerseits als bestimmte nützliche Arbeiten ein bestimmtes ge- sellschaftliches Bedürfniß befriedigen und sich so als Glieder der Ge- sammtarbeit, des naturwüchsigen Systems der gesellschaftlichen Theilung der Arbeit, bewähren. Sie befriedigen andrerseits nur die mannigfachen Bedürfnisse ihrer eignen Producenten, sofern jede besondre nützliche Pri- vatarbeit mit jeder andren nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, also ihr gleichgilt. Die Gleichheit toto coelo verschiedner Arbeiten kann 10 nur in einer Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehn, in der Reduktion auf den gemeinsamen Charakter, den sie als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, abstrakt menschliche Arbeit, besitzen. Das Ge- hirn der Privatproducenten spiegelt diesen doppelten gesellschaftlichen Charakter ihrer Privatarbeiten nur wieder in den Formen, welche im prakti- sehen Verkehr, im Produktenaustausch erscheinen - den gesellschaftlich nützlichen Charakter ihrer Privatarbeiten also in der Form, daß das Ar- beitsprodukt nützlich sein muß, und zwar für andre - den gesellschaftli- chen Charakter der Gleichheit der verschiedenartigen Arbeiten in der Form des gemeinsamen Werthcharakters dieser materiell verschiednen 15 20 Dinge, der Arbeitsprodukte. Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht auf einander als Werthe, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werthe gleichsetzen, setzen sie ihre 25 verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie thun es. 2 7) Es steht daher dem Werthe nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der Werth verwandelt vielmehr jedes Arbeits- produkt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Später suchen die Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimniß ihres eignen 30 gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung der Ge- brauchsgegenstände als Werthe ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie die Sprache. Die späte ||41| wissenschaftliche Entdeckung, daß die Arbeits- produkte, so weit sie Werthe, bloß sachliche Ausdrücke der in ihrer Pro- duktion verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Ent- 35 Wicklungsgeschichte der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit. Was 2 7 ) Note zur 2. Ausg. Wenn daher Galiani sagt: Der Werth ist ein Verhältniß zwischen Perso- nen - «La Riechezza è una ragione tra due persone» -, so hätte er hinzusetzen müssen: un- ter dinglicher Hülle verstecktes Verhältniß. (Galiani: Della Moneta, p.221, ν. III von Custodi's 40 Sammlung der ,,Scrittori Classici Italiani di Economia Politica". Parte Moderna. Milano 1803.) 73 Erster Abschnitt • Ware und Geld nur für diese besondre Produktionsform, die Waarenproduktion, gültig ist, daß nämlich der specifisch gesellschaftliche Charakter der von einander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Werthcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Waarenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß die wissenschaft- liche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikali- sche Körperform fortbestehn läßt. 5 15 Was die Produktenaustauscher zunächst praktisch interessirt, ist die Frage, wie viel fremde Produkte sie für das eigne Produkt erhalten, in wel- 10 chen Proportionen sich also die Produkte austauschen. Sobald diese Pro- portionen zu einer gewissen gewohnheitsmäßigen Festigkeit herangereift sind, scheinen sie aus der Natur der Arbeitsprodukte zu entspringen, so daß z.B. eine Tonne Eisen und 2 Unzen Gold gleichwerthig, wie ein Pfund Gold und ein Pfund Eisen trotz ihrer verschiednen physikalischen und chemischen Eigenschaften gleich schwer sind. In der That befestigt sich der Werthcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre Bethätigung als Werthgrößen. Die letzteren wechseln beständig, unabhängig vom Willen, Vorwissen und Thun der Austauschenden. Ihre eigne gesellschaftliche Be- wegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren 20 Kontrole sie stehen, statt sie zu kontroliren. Es bedarf vollständig entwik- kelter Waarenproduktion, bevor aus der Erfahrung selbst die wissenschaft- liche Einsicht herauswächst, daß die unabhängig von einander betriebe- nen, aber als naturwüchsige Glieder der gesellschaftlichen Theilung der Arbeit allseitig von einander abhängigen Privatarbeiten fortwährend auf ihr 25 gesellschaftlich proportionelles Maß reducirt werden, weil sich in den zu- fälligen und stets schwankenden Austauschverhältnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit als re- gelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt 2 8). D i e 30 Bestimmung der Werthgröße 11421 durch die Arbeitszeit ist daher ein unter den erscheinenden Bewegungen der relativen Waarenwerthe verstecktes Geheimniß. Seine Entdeckung hebt den Schein der bloß zufälligen B e - stimmung der Werthgrößen der Arbeitsprodukte auf, aber keineswegs ihre sachliche Form. 35 Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, also auch ihre wissenschaftliche Analyse, schlägt überhaupt einen der wirklichen 2 8 ) „Was soll man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosigkeit der Betheiligten beruht." (Friedrich Engels: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" in Deutsch-fran- 40 zösische Jahrbücher, herausg. von Arnold Rüge und Karl Marx. Paris 1844.) 74 Erstes Kapitel • Die Ware Entwicklung entgegengesetzten Weg ein. Es beginnt post festum und daher mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprocesses. Die Formen, wel- che Arbeitsprodukte zu Waaren stempeln und daher der Waarencirkula- tion vorausgesetzt sind, besitzen bereits die Festigkeit von Naturformen 5 des gesellschaftlichen Lebens, bevor die Menschen sich Rechenschaft zu geben suchen, nicht über den historischen Charakter dieser Formen, die ihnen vielmehr bereits als unwandelbar gelten, sondern über deren Gehalt. So war es nur die Analyse der Waarenpreise, die zur Bestimmung der Werthgröße, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der Waaren, der zur 10 Fixirung ihres Werthcharakters führte. Es ist aber eben diese fertige Form - die Geldform - der Waarenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnisse der Privatarbeiter, sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich sage, Rock, Stiefel u. s. w. beziehen sich auf Leinwand als die allgemeine 15 Verkörperung abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die Verrücktheit dieses Ausdrucks in's Auge. Aber wenn die Producenten von Rock, Stiefel u.s.w. diese Waaren auf Leinwand - oder auf Gold und Silber, was nichts an der Sache ändert - als allgemeines Aequivalent beziehn, erscheint ihnen die Beziehung ihrer Privatarbeiten zu der gesellschaftlichen Ge- 20 sammtarbeit genau in dieser verrückten Form. Derartige Formen bilden eben die Kategorien der bürgerlichen Oekono- mie. Es sind gesellschaftlich gültige, also objective Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftli- chen Produktionsweise, der Waarenproduktion. Aller Mysticismus der 25 Waarenwelt, all der Zauber und Spuk, welcher Arbeitsprodukte auf Grund- lage der Waarenproduktion umnebelt, verschwindet daher sofort, sobald wir zu andren Produktionsformen flüchten. | |43| Da die politische Oekonomie Robinsonaden l i e b t 2 9 ) , erscheine zu- erst Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er 30 doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher nützli- che Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fa- briciren, Lama zähmen, fischen, jagen u.s.w. Vom Beten u. dgl. sprechen wir hier nicht, da unser Robinson daran sein Vergnügen findet und derar- tige Thätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit seiner 35 2 9 ) Note zur 2. Ausgabe. Auch Ricardo ist nicht ohne seine Robinsonade. „Den Urfîscher und den Urjäger läßt er sofort als Waarenbesitzer Fisch und Wild austauschen, im Verhältniß der in diesen Tauschwerthen vergegenständlichten Arbeitszeit. Bei dieser Gelegenheit fällt er in den Anachronismus, daß Urfîscher und Urjäger zur Berechnung ihrer Arbeitsinstrumente die 1817 auf der Londoner Börse gangbaren Annuitätentabellen zu Rathe ziehn. Die ,Parallelo- 40 gramme des Herrn Owen' scheinen die einzige Gesellschaftsform, die er außer der bürgerli- chen kannte." (Karl Marx: Zur Kritik etc. p. 38, 39.) 75 Erster Abschnitt • Ware und Geld ist. Die Erfahrung produktiven Funktionen weiß er, daß sie nur verschiedne Bethätigungsfor- men desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen menschlicher Ar- beit sind. Die Noth selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen verschiednen Funktionen zu vertheilen. Ob die eine mehr, die andre weni- ger Raum in seiner Gesammtthätigkeit einnimmt, hängt ab von der große- ren oder geringeren Schwierigkeit, die zur Erzielung des bezweckten Nutz- effects zu überwinden ihn das, und unser Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem Schiffbruch ge- rettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über sich selbst zu führen. Sein Inventarium enthält ein Verzeichniß der Gebrauchsgegenstände, die 10 er besitzt, der verschiednen Verrichtungen, die zu ihrer Produktion er- heischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm bestimmte Quanta dieser ver- schiednen Produkte im Durchschnitt kosten. Alle Beziehungen zwischen Robinson und den Dingen, die seinen selbstgeschaffnen Reichthum bil- den, sind hier so einfach und durchsichtig, daß selbst Herr M. Wirth sie 15 ohne besondre Geistesanstrengung verstehn dürfte. Und dennoch sind dar- in alle wesentlichen Bestimmungen des Werths enthalten. lehrt 5 20 Versetzen wir uns nun von Robinson's lichter Insel in das finstre europä- ische Mittelalter. Statt des unabhängigen Mannes finden wir hier Jeder- mann abhängig - Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und Lehnsgeber, Laien und Pfaffen. Persönliche Abhängigkeit charakterisirt ebensosehr die gesellschaftlichen Verhältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönliche Abhängigkeitsver- hältnisse die gegebne ||44| gesellschaftliche Grundlage bilden, brauchen Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne phantasti- 25 sehe Gestalt anzunehmen. Sie gehn als Naturaldienste und Naturalleistun- gen in das gesellschaftliche Getriebe ein. Die Naturalform der Arbeit, ihre Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Waarenproduktion, ihre Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar gesellschaftliche Form. Die Frohn- arbeit ist ebenso gut durch die Zeit gemessen wie die Waaren producirende 30 Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner persönlichen Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines Herrn verausgabt. Der dem Pfaffen zu leistende Zehnten ist klarer als der Segen des Pfaffen. Wie man daher immer die Charaktermasken beurtheilen mag, worin sich die Menschen hier gegenübertreten, die gesellschaftlichen Verhältnisse der 35 Personen in ihren Arbeiten erscheinen jedenfalls als ihre eignen persönli- chen Verhältnisse, und sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhält- nisse der Sachen, der Arbeitsprodukte. Für die Betrachtung gemeinsamer, d.h. unmittelbar vergesellschafteter Arbeit brauchen wir nicht zurückzugehn zu der naturwüchsigen Form der- 40 selben, welche uns an der Geschichtsschwelle aller Kulturvölker begeg- 76 Erstes Kapitel • Die Ware n e t 3 0 ) . Ein näher liegendes Beispiel bildet die ländlich patriarchalische In- dustrie einer Bauernfamilie, die für den eignen Bedarf Korn, Vieh, Garn, Leinwand, Kleidungstücke u.s.w. producirt. Diese verschiednen Dinge tre- ten der Familie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, 5 aber nicht sich selbst wechselseitig als Waaren. Die verschiednen Arbeiten, welche diese Produkte erzeugen, Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben, Schneiderei u.s.w. sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche Funktionen, weil Funktionen der Familie, die ihre eigne, naturwüchsige Theilung der Arbeit besitzt, so gut wie die Waarenproduktion. Geschlechts- und Alters- 10 unterschiede, wie die mit dem ||45| Wechsel der Jahreszeit wechselnden Naturbedingungen der Arbeit, regeln ihre Vertheilung unter die Familie und die Arbeitszeit der einzelnen Familienglieder. Die durch die Zeit- dauer gemeßne Verausgabung der individuellen Arbeitskräfte erscheint hier aber von Haus aus als gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten selbst, weil die individuellen Arbeitskräfte von Haus aus nur als Organe der gemeinsamen Arbeitskraft der Familie wirken. 15 Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vie- len individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Ar- 20 beitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinson's Arbeit wieder- holen sich hier, nur gesellschaftlich, statt individuell. Alle Produkte Robinson's waren sein ausschließlich persönliches Produkt und daher un- mittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn. Das Gesammtprodukt des Ver- eins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Theil dieses Produkts dient wie- 25 der als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Theil wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muß daher un- ter sie vertheilt werden. Die Art dieser Vertheilung wird wechseln mit der besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Producenten. 30 Nur zur Parallele mit der Waarenproduktion setzen wir voraus, der Antheil jedes Producenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeits- zeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesell- 3 0 ) Note zur 2. Ausgabe. „Es ist ein lächerliches Vorurtheil in neuester Zeit verbreitet, daß die Form des naturwüchsigen Gemeineigenthums specifisch slavische, sogar ausschließlich russi- 35 sehe Form sei. Sie ist die Urform, die wir bei Römern, Germanen, Celten nachweisen können, von der aber eine ganze Musterkarte mit mannigfachen Proben sich noch immer, wenn auch zum Theil ruinenweise, bei den Indiern vorfindet. Ein genaueres Studium der asiatischen, speciell der indischen Gemeineigenthumsformen würde nachweisen, wie aus den verschied- nen Formen des naturwüchsigen Gemeineigenthums sich verschiedne Formen seiner Auflö- sung ergeben. So lassen sich z.B. die verschiednen Originaltypen von römischem und germa- nischem Privateigenthum aus verschiednen Formen des indischen Gemeineigenthums ableiten." (Karl Marx: Zur Kritik etc. p. 10.) 40 77 Erster Abschnitt · Ware und Geld schaftlich planmäßige Vertheilung regelt die richtige Proportion der ver- schiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrer- seits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Antheils des Producenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell ver- zehrbaren Theil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehun- gen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten blei- ben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribu- tion. 5 10 Für eine Gesellschaft von Waarenproducenten, deren allgemein gesell- schaftliches Produktionsverhältniß darin besteht, sich zu ihren Produkten als Waaren, also als Werthen zu verhalten, und in dieser sachlichen Form ihre Privatarbeiten auf einander zu beziehn als gleiche menschliche Ar- beit, ist das Christenthum, mit seinem Kultus des abstrakten Menschen, namentlich in seiner bürgerlichen Entwicklung, dem Protestantismus, Deismus u.s.w., die entsprechendste Religionsform. In den altasiatischen, 15 antiken u.s.w.||46| Produktionsweisen spielt die Verwandlung des Produkts in Waare, und daher das Dasein der Menschen als Waarenproducenten, eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so bedeutender wird, je mehr die Gemeinwesen in das Stadium ihres Untergangs treten. Eigentliche Han- delsvölker existiren nur in den Intermundien der alten Welt, wie Epikurs 20 Götter, oder wie Juden in den Poren der polnischen Gesellschaft. Jene al- ten gesellschaftlichen Produktionsorganismen sind außerordentlich viel einfacher und durchsichtiger als der bürgerliche, aber sie beruhen entwe- der auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Na- belschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit Andren noch 25 nicht losgerissen hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knecht- schaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungs- stufe der Produktivkräfte der Arbeit und entsprechend befangene Verhält- nisse der Menschen innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsproces- ses, daher zu einander und zur Natur. Diese wirkliche Befangenheit 30 spiegelt sich ideell wieder in den alten Natur- und Volksreligionen. Der re- ligiöse Wiederschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwin- den, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Men- schen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zu einander und zur Natur darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprocesses, 35 d.h. des materiellen Produktionsprocesses, streift nur ihren mystischen Ne- belschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen un- ter deren bewußter planmäßiger Kontrole steht. Dazu ist jedoch eine mate- rielle Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller Existenzbedingungen, welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt 40 einer langen und qualvollen Entwicklungsgeschichte sind. 78 Erstes Kapitel • Die Ware Die politische Oekonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen 3 1), Werth und Werthgröße analysirt und den in diesen ||47| Formen versteck- ten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Werth 5 und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Werthgröße des Ar- beitsprodukts darstellt 3 2)? ||48| Formeln, denen es auf der Stirn geschrieben 15 20 3 1 ) Das Unzulängliche in Ricardo's Analyse der Werthgröße - und es ist die beste - wird man aus dem dritten und vierten Buch dieser Schrift ersehn. Was aber den Werth überhaupt betrifft, so unterscheidet die klassische politische Oekonomie nirgendwo ausdrücklich und 10 mit klarem Bewußtsein die Arbeit, wie sie sich im Werth, von derselben Arbeit, soweit sie sich im Gebrauchswerth ihres Produkts darstellt. Sie macht natürlich den Unterschied thatsäch- lich, da sie die Arbeit das einemal quantitativ, das andremal qualitativ betrachtet. Aber es fällt ihr nicht ein, daß bloß quantitativer Unterschied der Arbeiten ihre qualitative Einheit oder Gleichheit voraussetzt, also ihre Reduktion auf abstrakt menschliche Arbeit. Ricardo z.B. erklärt sich einverstanden mit Destutt de Tracy, wenn dieser sagt: "As it is certain that our physical and moral faculties are alóne our original riches, the employment of those facul- ties, labour of some kind, is our original treasure, and that it is always from this employ- ment - that all those things are created which we call riches ... It is certain too, that all those things only represent the labour which has created them, and if they have a value, or even two distinct values, they can only derive them from that (the value) of the labour from which they emanate." (Ricardo: „The principles of Pol. Econ.3. ed. Lond. 1821", p. 334.) Wir deuten nur an, daß Ricardo dem Destutt seinen eignen tieferen Sinn unterschiebt. Destutt sagt in der That zwar einerseits, daß alle Dinge, die den Reichthum bilden, „die Arbeit repräsentiren, die sie geschaffen hat", aber andrerseits, daß sie ihre „zwei verschiedenen Werthe" (Gebrauchs- 25 werth und Tauschwerth) vom „Werth der Arbeit " erhalten. Er fällt damit in die Flachheit der Vulgärökonomie, die den Werth einer Waare (hier der Arbeit) voraussetzt, um dadurch hin- terher den Werth der andren Waaren zu bestimmen. Ricardo liest ihn so, daß sowohl im Ge- brauchswerth als Tauschwerth sich Arbeit (nicht Werth der Arbeit) darstellt. Er selbst aber scheidet so wenig den zwieschlächtigen Charakter der Arbeit, die doppelt dargestellt ist, daß 30 er in dem ganzen Kapitel: ,,Value and Riehes, Their Distinctive Properties" sich mühselig mit den Trivialitäten eines J. B. Say herumschlagen muß. Am Ende ist er daher auch ganz er- staunt, daß Destutt zwar mit ihm selbst über Arbeit als Werthquelle und dennoch* andrerseits mit Say über den Werthbegriff harmonire. 3 2 ) Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Oekonomie, daß es ihr nie ge- lang, aus der Analyse der Waare und specieller des Waarenwerths die Form des Werths, die ihn eben zum Tauschwerth macht, herauszufinden. Grade in ihren besten Repräsentanten, wie A. Smith und Ricardo, behandelt sie die Werthform als etwas ganz Gleichgültiges oder der Natur der Waare selbst Aeußerliches. Der Grund ist nicht allein, daß die Analyse der Werthgröße ihre Aufmerksamkeit ganz absorbirt. Er liegt tiefer. Die Werthform des Arbeits- 40 produkts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich histo- risch charakterisirt wird. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so übersieht man nothwendig auch das Specifische der Werthform, also der Waa- renform, weiter entwickelt der Geldform, Kapitalform u. s. w. Man findet daher bei Oekono- 45 men, welche über das Maß der Werthgröße durch Arbeitszeit durchaus übereinstimmen, die kunterbuntesten und widersprechendsten Vorstellungen von Geld, d. h. der fertigen Gestalt des allgemeinen Aequivalents. Dieß tritt schlagend hervor z.B. bei der Behandlung des Bank- wesens, wo mit den gemeinplätzlichen Definitionen des Geldes nicht mehr ausgereicht wird. Im Gegensatz entsprang daher ein restaurirtes Merkantilsystem (Ganilh u. s. w.), welches im 50 Werth nur die gesellschaftliche Form sieht oder vielmehr nur ihren substanzlosen Schein. - Um es ein für allemal zu bemerken, verstehe ich unter klassischer politischer Oekonomie alle Oekonomie seit W. Petty, die den innern Zusammenhang der bürgerlichen Produktionsver- 35 79 Erster Abschnitt • Ware und Geld steht, daß sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produk- tionsproceß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsproceß bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Bewußtsein für eben so selbstver- ständliche Naturnothwendigkeit als die produktive Arbeit selbst. Vorbür- gerliche Formen des gesellschaftlichen Produktionsorganismus werden da- her von ihr behandelt, wie etwa von den Kirchenvätern vorchristliche Religionen 3 3). | |49| Wie sehr ein Theil der Oekonomen von dem der Waarenwelt ankle- benden Fetischismus oder dem gegenständlichen Schein der gesellschaftli- 5 hältnisse erforscht im Gegensatz zur Vulgärökonomie, die sich nur innerhalb des scheinbaren 10 Zusammenhangs herumtreibt, für eine plausible Verständlichmachung der so zu sagen gröb- sten Phänomene und den bürgerlichen Hausbedarf das von der wissenschaftlichen Oekono- mie längst gelieferte Material stets von neuem wiederkaut, im Uebrigen aber sich darauf be- schränkt, die banalen und selbstgefälligen Vorstellungen der bürgerlichen Produktionsagen- ten von ihrer eignen besten Welt zu systematisiren, pedantisiren und als ewige Wahrheiten zu 15 proklamiren. 3 3 ) «Les économistes ont une singulière manière de procéder. Il n'y a pour eux que deux sortes d'institution, celles de l'art et celles de la nature. Les institutions de la féodalité sont des institutions artificielles, celles de la bourgeoisie sont des institutions naturelles. Ils res- semblent en ceci aux théologiens, qui eux aussi établissent deux sortes de religion. Toute reli- 20 gion qui n'est pas la leur est une invention des hommes, tandis que leur propre religion est une émanation de dieu. - Ainsi il y a eu de l'histoire, mais il n'y en a plus.» (Karl Marx: ,,Mi- sère de la Philosophie. Réponse à la Philosophie de la Misère de M.Proudhon. 1847", p. 113.) Wahrhaft drollig ist Herr Bastiat, der sich einbildet, die alten Griechen und Römer hätten nur von Raub gelebt. Wenn man aber viele Jahrhunderte durch von Raub lebt, muß doch bestän- 25 dig etwas zu rauben da sein oder der Gegenstand des Raubes sich fortwährend reproduciren. Es scheint daher, daß auch Griechen und Römer einen Productionsproceß hatten, also eine Oekonomie, welche ganz so die materielle Grundlage ihrer Welt bildete, wie die bürgerliche Oekonomie die der heutigen Welt. Oder meint Bastiat etwa, daß eine Produktionsweise, die auf der Sklavenarbeit beruht, auf einem Raubsystem ruht? Er stellt sich dann auf gefährlichen 30 Boden. Wenn ein Denkriese wie Aristoteles in seiner Würdigung der Sklavenarbeit irrte, warum sollte ein Zwergökonom, wie Bastiat, in seiner Würdigung der Lohnarbeit richtig gehn? - Ich ergreife diese Gelegenheit, um einen Einwand, der mir beim Erscheinen meiner Schrift „Zur Kritik der Pol. Oekonomie 1859" von einem deutsch-amerikanischen Blatte ge- macht wurde, kurz abzuweisen. Es sagte, meine Ansicht, daß die bestimmte Produktionsweise 35 und die ihr jedesmal entsprechenden Produktionsverhältnisse, kurz „die ökonomische Struk- tur der Gesellschaft die reale Basis sei, worauf sich ein juristischer und politischer Ueberbau erhebe, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprächen", daß „die Produktionsweise des materiellen Lebens den socialen, politischen und geistigen Lebenspro- ceß überhaupt bedinge", - alles dieß sei zwar richtig für die heutige Welt, wo die materiellen 40 Interessen, aber weder für das Mittelalter, wo der Katholicismus, noch für Athen und Rom, wo die Politik herrschte. Zunächst ist es befremdlich, daß Jemand vorauszusetzen beliebt, diese weltbekannten Redensarten über Mittelalter und antike Welt seien irgend Jemand un- bekannt geblieben. So viel ist klar, daß das Mittelalter nicht vom Katholicismus und die an- tike Welt nicht von der Politik leben konnte. Die Art und Weise, wie sie ihr Leben gewannen, 45 erklärt umgekehrt, warum dort die Politik, hier der Katholicismus die Hauptrolle spielte. Es gehört übrigens wenig Bekanntschaft z.B. mit der Geschichte der römischen Republik dazu, um zu wissen, daß die Geschichte des Grundeigenthums ihre Geheimgeschichte bildet. And- rerseits hat schon Don Quixote den Irrthum gebüßt, daß er die fahrende Ritterschaft mit allen ökonomischen Formen der Gesellschaft gleich verträglich wähnte. 50 80 Erstes Kapitel • Die Ware chen Arbeitsbestimmungen getäuscht wird, beweist u. a. der langweilig abgeschmackte Zank über die Rolle der Natur in der Bildung des Tausch- werths. Da Tauschwerth eine bestimmte gesellschaftliche Manier ist, die auf ein Ding verwandte Arbeit auszudrücken, kann er nicht mehr Natur- stoff enthalten als etwa der Wechselkurs. 5 Da die Waarenform die allgemeinste und unentwickeltste Form der bür- gerlichen Produktion ist, weßwegen sie früh auftritt, obgleich nicht in der- selben herrschenden, also charakteristischen Weise wie heut zu Tag, scheint ihr Fetischcharakter noch relativ leicht zu durchschauen. Bei kon- 10 kreieren Formen verschwindet selbst dieser Schein der Einfachheit. Woher die Illusionen des Monetarsystems? Es sah dem Gold und Silber nicht an, daß sie als Geld ein gesellschaftliches Produktionsverhältniß darstellen, aber in der Form von Naturdingen mit sonderbar gesellschaftlichen Eigen- schaften. Und die moderne Oekonomie, die vornehm auf das Monetarsy- stem herabgrinst, wird ihr Fetischismus nicht handgreiflich, sobald sie das Kapital behandelt? Seit wie lange ist die physiokratische Illusion ver- schwunden, daß die Grundrente aus der Erde wächst, nicht aus der Gesell- schaft? 15 25 Um jedoch nicht vorzugreifen, genüge hier noch ein Beispiel bezüglich 20 der Waarenform selbst. Könnten die Waaren sprechen, so würden sie sa- gen, unser Gebrauchswerth mag den Menschen interessiren. Er kömmt uns nicht als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukömmt, ist unser Werth. Un- ser eigner Verkehr als Waarendinge beweist das. Wir beziehn uns nur als Tauschwerthe auf einander. Man höre nun, wie der Oekonom aus der Waa- renseele heraus spricht: „Werth (Tauschwerth) ist Eigenschaft der Dinge, Reichthum (Gebrauchswerth) des Menschen. Werth in diesem Sinn schließt nothwendig Austausch ein, Reichthum n i c h t " 3 4 ) . „Reichthum (Gebrauchswerth) ist ein Attribut des Menschen, Werth ein Attribut der Waaren. Ein Mensch oder ein Gemeinwesen ist reich; eine Perle oder ein 30 Diamant ist werthvoll ..." Eine Perle oder ein Diamant hat Werth als Perle oder D i a m a n t 3 5 ) . Bisher hat noch ||50| kein Chemiker Tauschwerth in Perle oder Diamant entdeckt. Die ökonomischen Entdecker dieser chemi- schen Substanz, die besondren Anspruch auf kritische Tiefe machen, fin- den aber, daß der Gebrauchswerth der Sachen unabhängig von ihren sach- liehen Eigenschaften, dagegen ihr Werth ihnen als Sachen zukömmt. Was sie hierin bestätigt, ist der sonderbare Umstand, daß der Gebrauchswerth 35 3 4 ) "Value is a property of things, riches of man. Value, in this sense, necessarily implies ex- changes, riches do not." ,,Observations on some verbal disputes in Pol. Econ., particularly re- lating to value and to supply and demand. Lond. 1821", p. 16. 3 5 ) "Riches are the attribute of man, value is the attribute of commodities. A man or a com- munity is rich, a pearl or a diamond is valuable ..." A pearl or a diamond is valuable as a pearl or diamond. S. Bailey 1. c. p. 165. 40 81 Erster Abschnitt · Ware und Geld der Dinge sich für den Menschen ohne Austausch realisirt, also im unmit- telbaren Verhältniß zwischen Ding und Mensch, ihr Werth umgekehrt nur im Austausch, d. h. in einem gesellschaftlichen Proceß. Wer erinnert sich hier nicht des guten Dogberry, der den Nachtwächter Seacoal belehrt: „Ein gut aussehender Mann zu sein, ist eine Gabe der Umstände, aber Lesen und Schreiben zu können, kömmt von Natur" 3 6). 5 Z W E I T E S K A P I T E L . Der Austauschproceß. Die Waaren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst aus- tauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Waarenbe- 10 sitzern. Die Waaren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Men- schen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren Worten sie nehmen 3 7). Um diese Dinge als Waaren auf einander zu beziehn, müs- sen die Waarenhüter sich zu einander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Waare aneignet, indem er die eigne ||51| veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigenthümer anerkennen. Dieß Rechtsver- hältniß, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältniß, worin sich das ökonomische Verhältniß wiederspie- 20 gelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das öko- nomische Verhältniß selbst gegeben 3 8). Die Personen existiren hier nur für 15 3 6 ) Der Verfasser der ,,Observations" und S.Bailey beschuldigen Ricardo, er habe den Tausch- werth aus einem nur Relativen in etwas Absolutes verwandelt. Umgekehrt. Er hat die Schein- relativität, die diese Dinge, Diamant und Perlen z.B., als Tauschwerthe besitzen, auf das hin- 25 ter dem Schein verborgene wahre Verhältniß reducirt, auf ihre Relativität als bloße Ausdrücke menschlicher Arbeit. Wenn die Ricardianer dem Bailey grob, aber nicht schlagend antworten, so nur, weil sie bei Ricardo selbst keinen Aufschluß über den inneren Zusammenhang zwi- schen Werth und Werthform oder Tauschwerth fanden. 3 7 ) Im 12., durch seine Frömmigkeit so berufenen Jahrhundert kommen unter diesen Waaren 30 oft sehr zarte Dinge vor. So zählt ein französischer Dichter jener Zeit unter den Waaren, die sich auf dem Markt von Landit einfanden, neben Kleidungsstoffen, Schuhen, Leder, Ackerge- räthen, Häuten u. s. w. auch ,,femmes folles de leur corps" auf. 3 8 ) Proudhon schöpft erst sein Ideal der Gerechtigkeit, der justice éternelle, aus den der Waa- renproduktion entsprechenden Rechtsverhältnissen, wodurch, nebenbei bemerkt, auch der für alle Spießbürger so tröstliche Beweis geliefert wird, daß die Form der Waarenproduktion ebenso ewig ist wie die Gerechtigkeit. Dann umgekehrt will er die wirkliche Waarenproduk- tion und das ihr entsprechende wirkliche Recht diesem Ideal gemäß ummodeln. Was würde man von einem Chemiker denken, der, statt die wirklichen Gesetze des Stoffwechsels zu stu- diren, und auf Basis derselben bestimmte Aufgaben zu lösen, den Stoffwechsel durch die „ewigen Ideen" der „naturalite" und der ,,affinité" ummodeln wollte? Weiß man etwa mehr 35 40 82 Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß einander als Repräsentanten von Waare und daher als Waarenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomi- schen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökono- mischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten. 5 Was den Waarenbesitzer namentlich von der Waare unterscheidet, ist der Umstand, daß ihr jeder andre Waarenkörper nur als Erscheinungsform ihres eignen Werths gilt. Geborner Leveller und Cyniker steht sie daher stets auf dem Sprung, mit jeder andren Waare, sei selbe auch ausgestattet mit mehr Unannehmlichkeiten als Maritorne, nicht nur die Seele, sondern 10 den Leib zu wechseln. Diesen der Waare mangelnden Sinn für das Kon- krete des Waarenkörpers ergänzt der Waarenbesitzer durch seine eignen fünf und mehr Sinne. Seine Waare hat für ihn keinen unmittelbaren Ge- brauchswerth. Sonst führte er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswerth für andre. Für ihn hat sie unmittelbar nur den Gebrauchswerth Träger von 15 Tauschwerth und so Tauschmittel zu sein 3 9). Darum will er sie veräußern für Waare, deren Gebrauchswerth ihm Genüge thut. Alle Waaren sind Nicht-Gebrauchswerthe ||52| für ihre Besitzer, Gebrauchswerthe für ihre Nicht-Besitzer. Sie müsen also allseitig die Hände wechseln. Aber dieser Händewechsel bildet ihren Austausch, und ihr Austausch bezieht sie als 20 Werthe auf einander und realisirt sie als Werthe. Die Waaren müssen sich daher als Werthe realisiren, bevor sie sich als Gebrauchswerthe realisiren können. 25 Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerthe bewähren, bevor sie sich als Werthe realisiren können. Denn die auf sie verausgabte menschli- che Arbeit zählt nur, soweit sie in einer für Andre nützlichen Form veraus- gabt ist. Ob sie Andren nützlich, ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse be- friedigt, kann aber nur ihr Austausch beweisen. Jeder Waarenbesitzer will seine Waare nur veräußern gegen andre Waare, deren Gebrauchswerth sein Bedürfniß befriedigt. Sofern ist der 30 Austausch für ihn nur individueller Proceß. Andrerseits will er seine Waare als Werth realisiren, also in jeder ihm beliebigen andren Waare von dem- selben Werth, ob seine eigne Waare nun für den Besitzer der andren Waare Gebrauchswerth habe oder nicht. Sofern ist der Austausch für ihn allge- 35 über den „Wucher", wenn man sagt, er widerspreche der „justice éternelle" und der ,,équité éternelle" und der ,,mutualité éternelle" und andren ,,vérités éternelles", als die Kirchenväter wußten, wenn sie sagten, er widerspreche der ,,grâce éternelle", der ,,foi éternelle", der „vo- lonte éternelle de dieu"? 3 9 ) „Denn zweifach ist der Gebrauch jedes Guts. - Der eine ist dem Ding als solchem eigen, der andre nicht, wie einer Sandale zur Beschuhung zu dienen und austauschbar zu sein. Bei- 40 des sind Gebrauchswerthe der Sandale, denn auch wer die Sandale mit dem ihm Mangeln- den, z.B. der Nahrung austauscht, benutzt die Sandale als Sandale. Aber nicht in ihrer natür- lichen Gebrauchsweise. Denn sie ist nicht da des Austausches wegen." (Aristoteles, de Rep. 1.1. c. 9.) 83 Erster Abschnitt · Ware und Geld mein gesellschaftlicher Proceß. Aber derselbe Proceß kann nicht gleichzei- tig für alle Waarenbesitzer nur individuell und zugleich nur allgemein ge- sellschaftlich sein. Sehn wir näher zu, so gilt jedem Waarenbesitzer jede fremde Waare als besondres Aequivalent seiner Waare, seine Waare daher als allgemeines Aequivalent aller andren Waaren. Da aber alle Waarenbesitzer dasselbe thun, ist keine Waare allgemeines Aequivalent und besitzen die Waaren daher auch keine allgemeine relative Werthform, worin sie sich als Werthe gleichsetzen und als Werthgrößen vergleichen. Sie stehn sich daher über- haupt nicht gegenüber als Waaren, sondern nur als Produkte oder Ge- brauchs werthe. 5 10 15 In ihrer Verlegenheit denken unsre Waarenbesitzer wie Faust. Im An- fang war die That. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht ha- ben. Die Gesetze der Waarennatur bethätigten sich im Naturinstinkt der Waarenbesitzer. Sie können ihre Waaren nur als Werthe und darum nur als Waaren auf einander beziehn, indem sie dieselben gegensätzlich auf irgend eine andre Waare als allgemeines Aequivalent beziehn. Das ergab die Analyse der Waare. Aber nur die gesellschaftliche That kann eine be- stimmte Waare zum allgemeinen Aequivalent machen. Die gesellschaftli- che Aktion aller andren Waaren schließt daher eine bestimmte ||53| Waare 20 aus, worin sie allseitig ihre Werthe darstellen. Dadurch wird die Natural- form dieser Waare gesellschaftlich gültige Aequivalentform. Allgemeines Aequivalent zu sein wird durch den gesellschaftlichen Proceß zur speci- fisch gesellschaftlichen Funktion der ausgeschlossenen Waare. So wird sie - Geld. „Uli unum consilium habent et virtutem et potestatem suam 25 bestiae tradunt. Et ne quis possit emere aut vendere, nisi qui habet charac- terem aut nomen bestiae, aut numerum nominis ejus." (Apocalypse.) Der Geldkrystall ist ein nothwendiges Produkt des Austauschprocesses, worin verschiedenartige Arbeitsprodukte einander thatsächlich gleichge- setzt und daher thatsächlich in Waaren verwandelt werden. Die historische Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der Waa- rennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth. Das Bedürfniß diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt zu einer selbständigen Form des Waarenwerths und ruht und rastet nicht bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdopplung der Waare in Waare und 35 Geld. In demselben Maße daher, worin sich die Verwandlung der Arbeits- produkte in G e l d 4 0 ) . in Waaren, vollzieht sich die Verwandlung von Waare 30 4 0 ) Danach beurtheile man die Pfiffigkeit des kleinbürgerlichen Socialismus, der die Waren- produktion verewigen und zugleich den „Gegensatz von Geld und Waare", also das Geld 40 selbst, denn es ist nur in diesem Gegensatze, abschaffen will. Ebensowohl könnte man den 84 Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß Der unmittelbare Produktenaustausch hat einerseits die Form des einfa- chen Werthausdrucks und hat sie andrerseits noch nicht. Jene Form war χ Waare A = y Waare B. Die Form des unmittelbaren Produktenaustausches ist: χ Gebrauchsgegenstand A = y Gebrauchsgegenstand B 4 1 ) . Die Dinge A 5 und B sind hier nicht Waaren vor dem Austausch, sondern werden es erst durch denselben. Die erste Weise, worin ein Gebrauchsgegenstand der Möglichkeit nach Tauschwerth ist, ist sein Dasein als Nicht-Gebrauchs- werth, als die unmittelbaren Bedürfnisse seines Besitzers überschießendes Quantum von Gebrauchswerth. Dinge sind an und für sich dem Menschen 10 äußerlich und daher veräußerlich. Damit diese Veräußerung wechselseitig, brauchen Menschen nur stillschweigend sich als Privateigenthümer jener veräußerlichen Dinge ||54| und eben dadurch als von einander unabhän- gige Personen gegenüberzutreten. Solch ein Verhältniß wechselseitiger Fremdheit existirt jedoch nicht für die Glieder eines naturwüchsigen Ge- 15 meinwesens, habe es nun die Form einer patriarchalischen Familie, einer altindischen Gemeinde, eines Inkastaates u.s.w. Der Waarenaustausch be- ginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Kontakts mit fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald Dinge aber einmal im auswärtigen, werden sie auch rückschlagend im in- 20 nern Gemeinleben zu Waaren. Ihr quantitatives Austauschverhältniß ist zunächst ganz zufällig. Austauschbar sind sie durch den Willensakt ihrer Besitzer sie wechselseitig zu veräußern. Indeß setzt sich das Bedürfniß für fremde Gebrauchsgegenstände allmälig fest. Die beständige Wiederholung des Austausches macht ihn zu einem regelmäßigen gesellschaftlichen Pro- 25 ceß. Im Laufe der Zeit muß daher wenigstens ein Theil der Arbeitspro- dukte absichtlich zum Behuf des Austausches producirt werden. Von die- sem Augenblick befestigt sich einerseits die Scheidung zwischen der Nützlichkeit der Dinge für den unmittelbaren Bedarf und ihrer Nützlich- keit zum Austausch. Ihr Gebrauchswerth scheidet sich von ihrem Tausch- 30 werthe. Andrerseits wird das quantitative Verhältniß, worin sie sich austau- schen, von ihrer Produktion selbst abhängig. Die Gewohnheit fixirt sie als Werthgrößen. Im unmittelbaren Produktenaustausch ist jede Waare unmittelbar Tauschmittel für ihren Besitzer, Aequivalent für ihren Nichtbesitzer, j e - 35 doch nur so weit sie Gebrauchswerth für ihn. Der Tauschartikel erhält also noch keine von seinem eignen Gebrauchswerth oder dem individuellen Be- Papst abschaffen und den Katholicismus bestehen lassen. Das Nähere hierüber sieh in meiner Schrift: „Zur Kritik der Pol. Oekonomie" p. 61 sq. 4 1 ) So lange noch nicht zwei verschiedne Gebrauchsgegenstände ausgetauscht, sondern, wie 40 wir das bei Wilden oft finden, eine chaotische Masse von Dingen als Aequivalent für ein Drit- tes angeboten wird, steht der unmittelbare Produktenaustausch selbst erst in seiner Vorhalle. 85 Erster Abschnitt • Ware und Geld 5 dürfniß der Austauscher unabhängige Werthform. Die Nothwendigkeit die- ser Form entwickelt sich mit der wachsenden Anzahl und Mannigfaltigkeit der in den Austauschproceß eintretenden Waaren. Die Aufgabe entspringt gleichzeitig mit den Mitteln ihrer Lösung. Ein Verkehr, worin Waarenbe- sitzer ihre eignen Artikel mit verschiednen andren Artikeln austauschen und vergleichen, findet niemals statt, ohne daß verschiedne Waaren von verschiednen Waarenbesitzern innerhalb ihres Verkehrs mit einer und der- selben dritten Waarenart ausgetauscht und als Werthe verglichen werden. Solche dritte Waare, indem sie Aequivalent für verschiedne andre Waaren wird, erhält unmittelbar, wenn auch in engen Grenzen, allgemeine oder ge- 10 sellschaftliche Aequivalentform. Diese allgemeine Aequivalentform ent- steht und vergeht mit dem augenblicklichen gesellschaftlichen Kontakt, der sie ins Leben rief. Abwechselnd und flüchtig kommt sie dieser oder j e - ner Waare ||55| zu. Mit der Entwicklung des Waarenaustausches heftet sie sich aber ausschließlich fest an besondere Waarenarten, oder krystallisirt 15 zur Geldform. An welcher Waarenart sie kleben bleibt, ist zunächst zufäl- lig. Jedoch entscheiden im Großen und Ganzen zwei Umstände. Geldform heftet sich entweder an die wichtigsten Eintauschartikel aus der Fremde, welche in der That naturwüchsige Erscheinungsformen des Tauschwerths der einheimischen Produkte sind. Oder an den Gebrauchsgegenstand, wel- 20 eher das Hauptelement des einheimischen veräußerlichen Besitzthums bil- det, wie z.B. Vieh. Nomadenvölker entwickeln zuerst die Geldform, weil all ihr Hab und Gut sich in beweglicher, daher unmittelbar veräußerlicher Form befindet, und weil ihre Lebensweise sie beständig mit fremden Ge- meinwesen in Kontakt bringt, daher zum Produktenaustausch sollicitirt. Die Menschen haben oft den Menschen selbst in der Gestalt des Sklaven zum ursprünglichen Geldmaterial gemacht, aber niemals den Grund und Boden. Solche Idee konnte nur in bereits ausgebildeter bürgerlicher Ge- sellschaft aufkommen. Sie datirt vom letzten Drittheil des 17. Jahrhunderts und ihre Ausführung, auf nationalem Maßstab, wurde erst ein Jahrhundert später in der bürgerlichen Revolution der Franzosen versucht. 25 30 In demselben Verhältniß, worin der Waarenaustausch seine nur lokalen Bande sprengt, der Waarenwerth sich daher zur Materiatur menschlicher Arbeit überhaupt ausweitet, geht die Geldform auf Waaren über, die von Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines allgemeinen Aequivalents tau- 35 gen, auf die edlen Metalle. Daß nun, „obgleich Gold und Silber nicht von Natur Geld, Geld von Natur Gold und Silber i s t " 4 2 ) , zeigt die Kongruenz ihrer Natureigenschaf- 4 2 ) Karl Marx I.e. p. 135. «I metalli Custodi's Sammlung Parte Moderna, t.III, p. 137.) naturalmente moneta.» (Galiani: „Deila Moneta" in 40 86 Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß 5 ten mit seinen Funktionen 4 3). Bisher kennen wir aber nur die eine Funk- tion des Geldes, als Erscheinungsform des Waarenwerths zu dienen oder als das Material, worin die Werthgrößen der Waaren sich gesellschaftlich ausdrücken. Adäquate Erscheinungsform von Werth oder Materiatur ab- strakter und daher gleicher menschlicher Arbeit kann nur eine Materie sein, deren sämmtliche Exemplare dieselbe gleichförmige Qualität besit- zen. Andrerseits, da der Unterschied der Werthgrößen rein quantitativ ist, muß die Geldwaare rein quantitativer Unterschiede fähig, also nach Will- kür theilbar und aus ihren Theilen wieder zusammen| 1561setzbar sein. Gold 10 und Silber besitzen aber diese Eigenschaften von Natur. Der Gebrauchswerth der Geldwaare verdoppelt sich. Neben ihrem be- sondren Gebrauchswerth als Waare, wie Gold z . B . zum Ausstopfen hohler Zähne, Rohmaterial von Luxusartikeln u.s.w. dient, erhält sie einen forma- len Gebrauchswerth, der aus ihren specifîschen gesellschaftlichen Funktio- 15 nen entspringt. Da alle andren Waaren nur besondre Aequivalente des Geldes, das Geld ihr allgemeines Aequivalent, verhalten sie sich als besondre Waaren zum Geld als der allgemeinen Waare 4 4). Man hat gesehn, daß die Geldform nur der an einer Waare festhaftende 20 Reflex der Beziehungen aller andren Waaren. Daß Geld Waare i s t 4 5 ) , ist also nur eine Entdeckung für den, der von seiner fertigen Gestalt ausgeht, um sie hinterher zu analysiren. Der Austauschproceß giebt der Waare, die er in Geld verwandelt, nicht ihren Werth, sondern ihre specifische Werth- form. Die Verwechslung beider Bestimmungen verleitete dazu, den Werth 25 von Gold und Silber für imaginär zu halten 4 6). Weil Geld in bestimmten 4 3 ) Das Nähere darüber in meiner eben citirten Schrift, Abschnitt: „Die edlen Metalle". 4 4 ) «Il danaro è la merce universale.» (Verri 1. c. p. 16.) 4 5 ) "Silver and gold themselves, which we may call by the general name of Bullion, are ... commodities ... raising and falling in ... value ... Bullion then may be reckoned to be of 30 higher value, where the smaller weight will purchase the greater quantity of the product or manufacture of the country etc." („A Discourse of the General Notions of Money, Trade, and Exchange, as they stand in relations to each other. By a Merchant. Lond. 1695", p. 7.) "Silver and gold, coined or uncoined, tho' they are used for a measure of all other things, are no less a commodity than wine, oyl, tobacco, cloth or stuffs." („A Discourse concerning Trade, and that in particular of the East-Indies etc., London 1689", p. 2.) "The stock and riches of the king- dom cannot properly be confined to money, nor ought gold and silver to be excluded from be- ing merchandize." (,,The East India Trade a most Profitable Trade. London 1677", p. 4.) 4 6 ) «L'oro e l'argento hanno valore come metalli anteriore all' essere moneta.» (Galiani I.e.) Locke sagt: „Die allgemeine Uebereinstimmung der Menschen legte dem Silber, wegen seiner 40 Qualitäten, die es zum Geld geeignet machten, einen imaginären Werth bei." Dagegen Law: „Wie könnten verschiedne Nationen irgend einer Sache einen imaginären Werth geben ... oder wie hätte sich dieser imaginäre Werth erhalten können?" Wie wenig er selbst aber von der Sache verstand: „Das Silber tauschte sich aus nach dem Gebrauchswerth, den es hatte, also nach seinem wirklichen Werth; durch seine Bestimmung als Geld erhielt es einen zu- 35 87 Erster Abschnitt • Ware und Geld Funktionen durch bloße Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann, ent- sprang der andre Irrthum, es sei ein bloßes Zeichen. Andrerseits lag darin die Ahnung, daß die Geldform des Dings ihm selbst ||57| äußerlich und bloße Erscheinungsform dahinter versteckter menschlicher Verhältnisse. In diesem Sinn wäre jede Waare ein Zeichen, weil als Werth nur sachliche Hülle der auf sie verausgabten menschlichen Arbeit 4 7). Indem man aber die gesellschaftlichen Charaktere, welche Sachen oder die sachlichen Cha- raktere, welche gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit auf Grundlage einer bestimmten Produktionsweise erhalten, für bloße Zeichen, erklärt man sie zugleich für willkürliches Reflexionsprodukt der Menschen. Es 10 war dieß beliebte Aufklärungsmanier des 18. Jahrhunderts, um den räthsel- haften Gestalten menschlicher Verhältnisse, deren Entstehungsproceß man noch nicht entziffern konnte, wenigstens vorläufig den Schein der Fremd- heit abzustreifen. 5 Es ward vorhin bemerkt, daß die Aequivalentform einer Waare die quan- 15 titative Bestimmung ihrer Werthgröße nicht einschließt. Weiß man, daß Gold Geld, daher mit allen andren Waaren unmittelbar austauschbar ist, so weiß man deßwegen nicht, wie viel z . B . 10 Pfund Gold werth sind. Wie jede Waare kann das Geld seine eigne Werthgröße nur relativ in andren Waaren ausdrücken. Sein eigner Werth ist bestimmt durch die zu seiner 20 Produktion erheischte Arbeitszeit und drückt sich in dem Quantum jeder andren Waare aus, worin gleichviel Arbeitszeit geronnen i s t 4 8 ) . ||58| Diese schüssigen Werth (une valeur additionnelle)." (Jean Law: ,,Considérations sur le numéraire et le commerce" in E.Daire's Edit, der ,,Économistes Financiers du XVIII. siècle" p. 469, 470.) 4 7 ) «L'argent en (des denrées) est le signe.» (V. de Forbonnais: ,,Eléments du Commerce. 25 Nouv. Edit. Leyde 1766", t. II, p. 143.) « Comme signe il est attiré par les denrées.» (I.e. p. 155.) «L'argent est un signe d'une chose et la représente.» (Montesquieu: „Esprit des Lois" Œuvres Lond. 1767, t.II, p. 3.) «L'argent n'est pas simple signe, car il est lui-même richesse; il ne re- présente pas les valeurs, il les équivaut.» (Le Trosne 1. c. p. 910.) „Betrachtet man den Begriff des Werths, so wird die Sache selbst nur als ein Zeichen angesehn und sie gilt nicht als sie sei- 30 ber, sondern als was sie werth ist." (Hegel i.e. p.100.) Lange vor den Oekonomen brachten die Juristen die Vorstellung von Gold als bloßem Zeichen und dem nur imaginären Werth der ed- len Metalle in Schwung, im Sykophantendienst der königlichen Gewalt, deren Münzverfäl- schungsrecht sie das ganze Mittelalter hindurch auf die Traditionen des römischen Kaiser- reichs und die Geldbegriffe der Pandekten stützten. «Qu'aucun puisse ni doive faire doute», sagt ihr gelehriger Schüler, Philipp von Valois, in einem Dekret von 1346, «que à nous et à notre majesté royale n'appartienne seulement... le mestier, le fait, l'état, la provision et toute l'ordonnance des monnaies, de donner tel cours, et pour tel prix comme il nous plaît et bon nous semble.» Es war römisches Rechtsdogma, daß der Kaiser den Geldwerth dekretirt. Es war ausdrücklich verboten, das Geld als Waare zu behandeln. „Pecunias vero nulli emere fas 40 erit, nam in usu publico constitutas oportet non esse mercem." Gute Auseinandersetzung hierüber von G.F.Pagnini: ,,Saggio sopra il giusto pregio delle cose. 1751", bei Custodi Parte Moderna, t. IL Namentlich im zweiten Theil der Schrift polemisirt Pagnini gegen die Herren Juristen. 4 8 ) "If a man can bring to London an ounce of silver out of the earth in Peru, in the same time 45 35 88 Zweites Kapitel • Der Austauschprozeß Festsetzung seiner relativen Werthgröße findet statt an seiner Produktions- quelle in unmittelbarem Tauschhandel. Sobald es als Geld in die Cirkula- tion eintritt, ist sein Werth bereits gegeben. Wenn es schon in den letzten Decennien des 17. Jahrhunderts weit überschrittner Anfang der Geldana- lyse, zu wissen, daß Geld Waare ist, so aber auch nur der Anfang. Die Schwierigkeit liegt nicht darin zu begreifen, daß Geld Waare, sondern wie, warum, wodurch Waare Geld i s t 4 9 ) . 5 15 Wir sahen, wie schon in dem einfachsten Werthausdruck, χ Waare A = y Waare B, das Ding, worin die Werthgröße eines andren Dings dargestellt 10 wird, seine Aequivalentform unabhängig von dieser Beziehung als gesell- schaftliche Natureigenschaft zu besitzen scheint. Wir verfolgten die Befe- stigung dieses falschen Scheins. Er ist vollendet, sobald die allgemeine Aequivalentform mit der Naturalform einer besondren Waarenart verwach- sen oder zur Geldform krystallisirt ist. Eine Waare scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andren Waaren allseitig ihre Werthe in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werthe in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zuthun finden die Waaren ihre eigne Werthgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existi- renden Waarenkörper. Diese Dinge, Gold und Silber, wie sie aus den Ein- geweiden der Erde herauskommen, sind zugleich die unmittelbare Inkar- nation aller menschlichen Arbeit. Daher die Magie des Geldes. Das ||59| bloß atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaft- lichen Produktionsproceß und daher die von ihrer Kontrole und ihrem be- 25 wußten individuellen Thun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eignen Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, daß ihre Arbeitspro- 20 that he can produce a bushel of corn, then one is the natural price of the other; now if by rea- son of new and more easier mines a man can procure two ounces of silver as easily as he for- merly did one, the corn will be as cheap at 10 shillings the bushel, as it was before at 5 shil- 30 lings, caeteris paribus." William Petty: „A Treatise of Taxes and Contributions. Lond. 1667", p. 31. 4 9 ) Nachdem Herr Professor Roscher uns belehrt: „Die falschen Definitionen von Geld lassen sich in zwei Hauptgruppen theilen: solche, die es für mehr, und solche, die es für weniger hal- ten als eine Waare", folgt ein kunterbunter Katalog von Schriften über das Geldwesen, wo- 35 durch auch nicht die entfernteste Einsicht in die wirkliche Geschichte der Theorie durch- schimmert, und dann die Moral: „Zu leugnen ist übrigens nicht, daß die meisten neueren Nationalökonomen die Eigenthümlichkeiten, welche das Geld von andren Waaren unter- scheiden (also doch mehr oder weniger als Waare?) nicht genug im Auge behalten haben ... Insofern ist die halbmerkantilistische Reaktion von Ganilh etc. nicht ganz unbegründet." (Wilhelm Roscher: „Die Grundlagen der Nationalökonomie. 3. Aufl. 1858", p. 207-10.) Mehr - weniger - nicht genug - insofern - nicht ganz! Welche Begriffsbestimmungen! Und dergleichen eklektische Professoralfaselei tauft Herr Roscher bescheiden „die anatomisch- physiologische Methode" der politischen Oekonomie! Eine Entdeckung ist ihm jedoch ge- schuldet, nämlich, daß Geld „eine angenehme Waare" ist. 40 89 Erster Abschnitt · Ware und Geld dukte allgemein die Waarenform annehmen. Das Räthsel des Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende Räthsel des Waarenfetischs. DRITTES K A P I T E L . Das Geld oder die Waarencirkulation. 5 1) Maß der Werthe. Ich setze überall in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold als die Geldwaare voraus. Die erste Funktion des Goldes besteht darin, der Waarenwelt das Mate- rial ihres Werthausdrucks zu liefern oder die Waarenwerthe als gleichna- 10 mige Größen, qualitativ gleiche und quantitativ vergleichbare, darzustel- len. So funktionirt es als allgemeines Maß der Werthe und nur durch diese Funktion wird Gold, die specifische Aequivalentwaare, zunächst Geld. Die Waaren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waaren als Werthe vergegenständlichte menschliche Arbeit, da- 15 her an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werthe gemein- schaftlich in derselben specifîschen Waare messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Werthmaß oder Geld verwandeln. Geld als Werth- maß ist nothwendige Erscheinungsform des immanenten Werthmaßes der Waaren, der Arbeitszeit 5 0). | 20 |60| Der Werthausdruck einer Waare in Gold - χ Waare A = y Geld- waare (cid:5) ist ihre Geldform oder ihr Preis. Eine vereinzelte Gleichung, wie 1 Tonne Eisen = 2 Unzen Gold, genügt jetzt um den Eisenwerth gesell- schaftlich gültig darzustellen. Die Gleichung braucht nicht länger in Reih und Glied mit den Werthgleichungen der andren Waaren aufzumarschi- 25 5 0 ) Die Frage, warum das Geld nicht unmittelbar die Arbeitszeit selbst repräsentirt, so daß z.B. eine Papiernote χ Arbeitsstunden vorstellt, kommt ganz einfach auf die Frage heraus, warum auf Grundlage der Waarenproduktion die Arbeitsprodukte sich als Waaren darstellen müssen, denn die Darstellung der Waare schließt ihre Verdopplung in Waare und Geldwaare ein. Oder warum Privatarbeit nicht als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, als ihr Gegen- theil, behandelt werden kann. Ich habe den seichten Utopismus eines „Arbeitsgelds" auf Grundlage der Waarenproduktion anderswo ausführlich erörtert (I.e. p.61 sqq.). Hier sei noch bemerkt, daß z.B. das Owen'sche „Arbeitsgeld" ebensowenig „Geld" ist, wie etwa eine Thea- termarke. Owen setzt unmittelbar vergesellschaftete Arbeit voraus, eine der Waarenproduk- tion diametral entgegengesetzte Produktionsform. Das Arbeitscertifikat konstatirt nur den in- dividuellen Antheil des Producenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumtion bestimmten Theil des Gemeinprodukts. Aber es fallt Owen nicht ein, die Waarenproduktion vorauszusetzen und dennoch ihre nothwendigen Bedingungen durch Geldpfuschereien umgehn zu wollen. 30 35 90 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation ren, weil die Aequivalentwaare, das Gold, bereits den Charakter von Geld besitzt. Die allgemeine relative Werthform der Waaren hat daher jetzt wie- der die Gestalt ihrer ursprünglichen, einfachen oder einzelnen relativen Werthform. Andrerseits wird der entfaltete relative Werthausdruck oder die 5 endlose Reihe relativer Werthausdrücke zur specifisch relativen Werth- form der Geldwaare. Diese Reihe ist aber jetzt schon gesellschaftlich gege- ben in den Waarenpreisen. Man lese die Quotationen eines Preiskurants rückwärts und man findet die Werthgröße des Geldes in allen möglichen Waaren dargestellt. Geld hat dagegen keinen Preis. Um an dieser einheitli- 10 chen relativen Werthform der andren Waaren theilzunehmen, müßte es auf sich selbst als sein eignes Aequivalent bezogen werden. 20 Der Preis oder die Geldform der Waaren ist, wie ihre Werthform über- haupt, eine von ihrer handgreiflich reellen Körperform unterschiedne, also nur ideelle oder vorgestellte Form. Der Werth von Eisen, Leinwand, Wei- 15 zen u. s. w. existirt, obgleich unsichtbar, in diesen Dingen selbst; er wird vorgestellt durch ihre Gleichheit mit Gold, eine Beziehung zum Gold, die so zu sagen nur in ihren Köpfen spukt. Der Waarenhüter muß daher seine Zunge in ihren Kopf stecken oder ihnen Papierzettel umhängen, um ihre Preise der Außenwelt mitzutheilen 5 1). Da der Ausdruck der Waarenwerthe in Gold ideell ist, ist zu dieser Operation auch nur vorge11611stelltes oder ideelles Gold anwendbar. Jeder Waarenhüter weiß, daß er seine Waaren noch lange nicht vergoldet, wenn er ihrem Werth die Form des Preises oder vorgestellte Goldform giebt, und daß er kein Quentchen wirkliches Gold braucht um Millionen Waarenwerthe in Gold zu schätzen. In seiner Funk- tion des Werthmaßes dient das Geld daher - als nur vorgestelltes oder ide- elles Geld. Dieser Umstand hat die tollsten Theorien veranlaßt 5 2). Ob- gleich nur vorgestelltes Geld zur Funktion des Werthmaßes dient, hängt der Preis ganz vom reellen Geldmaterial ab. Der Werth, d.h. das Quantum menschlicher Arbeit, das z.B. in einer Tonne Eisen enthalten ist, wird aus- 30 gedrückt in einem vorgestellten Quantum der Geldwaare, welches gleich- 25 5 1 ) Der Wilde oder Halbwilde braucht die Zunge anders. Kapitain Parry bemerkt z.B. von den Bewohnern an der Westküste der Baffînsbay: "In this case (beim Produktenaustausch) ... they licked it (the thing represented to them) twice with their tongues, after which they seemed to consider the bargain satisfactorily concluded." Ebenso beleckte bei den östlichen Eskimos der 35 Eintauscher jedesmal den Artikel beim Empfang desselben. Wenn die Zunge so im Norden als Organ der Aneignung, ist es kein Wunder, daß der Bauch im Süden als Organ des akku- mulirten Eigenthums gilt und der Kaffer den Reichthum eines Mannes nach seinem Fett- wanst schätzt. Die Kaffern sind grundgescheute Kerle, denn während der officielle britische Gesundheits-Bericht von 1864 den Mangel eines großen Theils der Arbeiterklasse an fettbil- 40 denden Substanzen beklagt, machte ein Dr. Harvey, der jedoch nicht die Blutcirkulation er- funden hat, in demselben Jahre sein Glück durch Puff-Recepte, die der Bourgeoisie und Ari- stokratie Fettüberflusseslast abzutreiben versprachen. 5 2 ) Siehe Karl Marx: Zur Kritik etc. „Theorien von der Maßeinheit des Geldes" p. 53 sq. 91 Erster Abschnitt • Ware und Geld viel Arbeit enthält. Je nachdem also Gold, Silber oder Kupfer zum Werth- maß dienen, erhält der Werth der Tonne Eisen ganz verschiedne Preisausdrücke, oder wird in ganz verschiednen Quantitäten Gold, Silber oder Kupfer vorgestellt. Dienen daher zwei verschiedne Waaren, z . B . Gold und Silber, gleichzei- 5 tig als Werthmaße, so besitzen alle Waaren zweierlei verschiedne Preisaus- drücke, Goldpreise und Silberpreise, die ruhig neben einander laufen, so lange das Werthverhältniß von Silber zu Gold unverändert bleibt, z.B. = 1:15. Jede Veränderung dieses Werthverhältnisses stört aber das Verhält- niß zwischen den Goldpreisen und den Silberpreisen der Waaren, und be- 10 weist so thatsächlich, daß die Verdopplung des Werthmaßes seiner Funk- tion widerspricht 5 3). | |62| Die preisbestimmten Waaren stellen sich alle dar in der Form: a Waare A = χ Gold; b Waare B = ζ Gold, c Waare C = y Gold u. s. w., wo a, b, c bestimmte Massen der Waarenarten A, B, C vorstellen, x, z, y be(cid:5) 15 stimmte Massen des Goldes. Die Waarenwerthe sind daher verwandelt in vorgestellte Goldquanta von verschiedner Größe, also, trotz der wirren Buntheit der Waarenkörper, in gleichnamige Größen, Goldgrößen. Als sol- che verschiedne Goldquanta vergleichen und messen sie sich unter einan- der, und es entwickelt sich technisch die Nothwendigkeit sie auf ein fixir- 20 tes Quantum Gold als ihre Maßeinheit zu beziehn. Diese Maßeinheit 5 3 ) Note zur 2. Ausg. „Wo Gold und Silber gesetzlich als Geld, d.h. als Werthmaß neben ein- ander bestehen, ist stets der vergebliche Versuch gemacht worden, sie als eine und dieselbe Materie zu behandeln. Unterstellt man, daß dieselbe Arbeitszeit sich unveränderlich in der- selben Proportion von Silber und Gold vergegenständlichen muß, so unterstellt man in der 25 That, daß Silber und Gold dieselbe Materie sind, und daß eine bestimmte Masse des minder werthvollen Metalls, des Silbers, den unveränderlichen Bruchtheil einer bestimmten Gold- masse bildet. Von der Regierung Edward's III. bis zur Zeit von Georg II. verläuft sich die Ge- schichte des englischen Geldwesens in eine fortlaufende Reihe von Störungen, hervorgehend aus der Kollision zwischen der gesetzlichen Festsetzung des Werthverhältnisses von Gold und 30 Silber und ihren wirklichen Werthschwankungen. Bald war Gold zu hoch geschätzt, bald Sil- ber. Das zu niedrig geschätzte Metall wurde der Cirkulation entzogen, umgeschmolzen und exportirt. Das Werthverhältniß beider Metalle wurde dann wieder gesetzlich verändert, aber der neue Nominalwerth trat bald mit dem wirklichen Werthverhältniß in denselben Konflikt wie der alte. - In unserer eigenen Zeit hat der sehr schwache und vorübergehende Fall im Werth von Gold gegen Silber, in Folge der indisch-chinesischen Silbernachfrage dasselbe Phänomen auf der größten Stufenleiter in Frankreich erzeugt, Ausfuhr von Silber und seine Vertreibung aus der Cirkulation durch Gold. Während der Jahre 1855, 1856, 1857 betrug der Ueberschuß der Goldeinfuhr in Frankreich über die Goldausfuhr aus Frankreich 41580 000 £., während der Ueberschuß der Silberausfuhr über die Silbereinfuhr 34 704 000 £. 40 betrug. In der That in Ländern, wo beide Metalle gesetzliche Werthmaße sind, daher beide in Zahlung angenommen werden müssen, jeder aber beliebig in Silber oder Gold zahlen kann, trägt das im Werth steigende Metall ein Agio und mißt wie jede andere Waare seinen Preis in dem überschätzten Metall, während letzteres allein als Werthmaß dient. Alle geschichtliche Erfahrung in diesem Gebiet reducirt sich einfach darauf, daß, wo gesetzlich zwei Waaren die 45 Funktion des Werthmaßes versehen, faktisch immer nur eine als solches den Platz behaup- tet." (Karl Marx, I.e. p.52, 53.) 35 92 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation selbst wird durch weitere Eintheilung in aliquote Theile zum Maßstab fort- entwickelt. Vor ihrer Geldwerdung besitzen Gold, Silber, Kupfer bereits solche Maßstäbe in ihren Metallgewichten, so daß z . B . ein Pfund als Maß- einheit dient, und nach der einen Seite wieder in Unzen u.s.w. abgetheilt, 5 nach der andren in Centner u.s.w. zusammenaddirt wird 5 4). Bei aller me- tallischen Cirkulation bilden daher die vorgefundenen Namen des Ge- wichtsmaßstabs auch die ursprünglichen Namen des Geldmaßstabs oder Maßstabs der Preise. Als Maß der Werthe und als Maßstab der Preise verrichtet das Geld zwei 10 ganz verschiedne Funktionen. Maß der Werthe ist es als die gesellschaftli- che Inkarnation der menschlichen Arbeit, Maßstab der Preise als ein fest- gesetztes Metallgewicht. Als Werthmaß dient ||63| es dazu, die Werthe der bunt verschiednen Waaren in Preise zu verwandeln, in vorgestellte Gold- quanta; als Maßstab der Preise mißt es diese Goldquanta. Am Maß der 15 Werthe messen sich die Waaren als Werthe, der Maßstab der Preise mißt dagegen Goldquanta an einem Goldquantum, nicht den Werth eines Gold- quantums am Gewicht des andren. Für den Maßstab der Preise muß ein bestimmtes Goldgewicht als Maßeinheit fixirt werden. Hier, wie in allen andren Maßbestimmungen gleichnamiger Größen, wird die Festigkeit der 20 Maßverhältnisse entscheidend. Der Maßstab der Preise erfüllt daher seine Funktion um so besser, je unveränderlicher ein und dasselbe Quantum Gold als Maßeinheit dient. Als Maß der Werthe kann Gold nur dienen, weil es selbst Arbeitsprodukt, also der Möglichkeit nach ein veränderlicher Werth ist. 5 5) 25 Es ist zunächst klar, daß ein Werthwechsel des Goldes seine Funktion als Maßstab der Preise in keiner Weise beeinträchtigt. Wie auch der Gold- werth wechsle, verschiedne Goldquanta bleiben stets in selbem Werthver- hältniß zu einander. Fiele der Goldwerth um 1000 %, so würden nach wie vor 12 Unzen Gold 12mal mehr Werth besitzen als eine Unze Gold, und in 30 den Preisen handelt es sich nur um das Verhältniß verschiedner Gold- quanta zu einander. Da andrerseits eine Unze Gold mit dem Fallen oder Steigen ihres Werths keineswegs ihr Gewicht verändert, verändert sich ebenso wenig das ihrer aliquoten Theile, und so thut das Gold als fixer 5 4 ) Note zur 2. Ausg. Die Sonderbarkeit, daß die Unze Gold in England als Einheit des GeId- 35 maßstabs nicht in aliquote Theile abgetheilt ist, erklärt sich wie folgt: "Our coinage was origi- nally adapted to the employment of silver only - hence an ounce of silver can always be di- vided into a certain adequate number of pieces of coin; but as gold was introduced at a later period into a coinage adapted only to silver, an ounce of gold cannot be coined into an ade- quate number of pieces." Maclaren: ,,History of the Currency." London 1858. p. 16. 40 5 5 ) N. z. 2. Ausg. In englischen Schriften ist die Konfusion über Maß der Werthe (measure of value) und Maßstab der Preise (standard of value) unsäglich. Die Funktionen und daher ihre Namen werden beständig verwechselt. 93 Erster Abschnitt • Ware und Geld Maßstab der Preise stets denselben Dienst, wie wechsle. immer sein Werth Der Werthwechsel des Goldes verhindert auch nicht seine Funktion als Werthmaß. Er trifft alle Waaren gleichzeitig, läßt also, caeteris paribus, ihre wechselseitigen relativen Werthe unverändert, obgleich sie sich nun alle in höheren oder niedrigeren Goldpreisen als zuvor ausdrücken. 5 Wie bei der Darstellung des Werths einer Waare im Gebrauchswerth irgend einer andren Waare, ist auch bei der Schätzung der Waaren in Gold nur vorausgesetzt, daß zur gegebnen Zeit die Produktion eines bestimmten Goldquantums ein gegebnes Quantum Arbeit kostet. In Bezug auf die B e - 10 wegung der Waarenpreise überhaupt gelten die früher entwickelten Ge- setze des einfachen relativen Werthausdrucks. Die Waarenpreise können nur allgemein steigen, bei gleichblei||64|ben- dem Geldwerth, wenn die Waarenwerthe steigen; bei gleichbleibenden Waarenwerthen, wenn der Geldwerth fällt. Umgekehrt. Die Waarenpreise 15 können nur allgemein fallen, bei gleichbleibendem Geldwerth, wenn die Waarenwerthe fallen; bei gleichbleibenden Waarenwerthen, wenn der Geldwerth steigt. Es folgt daher keineswegs, daß steigender Geldwerth pro- portionelles Sinken der Waarenpreise und fallender Geldwerth proportio- nelles Steigen der Waarenpreise bedingt. Dieses gilt nur für Waaren von 20 unverändertem Werth. Solche Waaren z.B., deren Werth gleichmäßig und gleichzeitig steigt mit dem Geldwerth, behalten dieselben Preise. Steigt ihr Werth langsamer oder rascher als der Geldwerth, so wird der Fall oder das Steigen ihrer Preise bestimmt durch die Differenz zwischen ihrer Werthbe- wegung und der des Geldes u. s. w. 25 Kehren wir nun zur Betrachtung der Preisform zurück. Die Geldnamen der Metallgewichte trennen sich nach und nach von ihren ursprünglichen Gewichtnamen aus verschiednen Gründen, darunter historisch entscheidend: 1) Einführung fremden Geldes bei minder entwik- kelten Völkern, wie z . B . im alten Rom Silber- und Goldmünzen zuerst als 30 ausländische Waaren cirkulirten. Die Namen dieses fremden Geldes sind von den einheimischen Gewichtnamen verschieden. 2) Mit der Entwick- lung des Reichthums wird das minder edle Metall durch das edlere aus der Funktion des Werthmaßes verdrängt, Kupfer durch Silber, Silber durch Gold, so sehr diese Reihenfolge aller poetischen Chronologie widerspre- 35 chen mag 5 6). Pfund war nun z.B. Geldname für ein wirkliches Pfund Sil- ber. Sobald Gold das Silber als Werthmaß verdrängt, hängt sich derselbe Name vielleicht an l / l 5 u. s. w. Pfund Gold, je nach dem Werthverhältniß von Gold und Silber. Pfund als Geldname und als gewöhnlicher Gewicht- 5 6 ) Sie ist übrigens auch nicht von allgemein historischer Gültigkeit. 40 94 Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation name des Goldes sind jetzt getrennt 5 7). 3) Die Jahrhunderte fortgesetzte Geldfälschung der Fürsten, welche vom ursprünglichen Gewicht der Geld- münzen in der That nur den Namen zurückließ 5 8). Diese historischen Processe machen die Trennung des Geldnamens der 5 Metallgewichte von ihrem gewöhnlichen Gewichtsnamen zur ||65| Volks- gewohnheit. Da der Geldmaßstab einerseits rein konventionell ist, andrer- seits allgemeiner Gültigkeit bedarf, wird er zuletzt gesetzlich regulirt. Ein bestimmter Gewichtstheil des edlen Metalls, z .B. eine Unze Gold, wird of- fîciell abgetheilt in aliquote Theile, die legale Taufnamen erhalten, wie Pfund, Thaler u. s.w. Solcher aliquote Theil, der dann als die eigentliche Maßeinheit des Geldes gilt, wird untergetheilt in andre aliquote Theile mit gesetzlichen Taufnamen wie Shilling, Penny etc. 5 9). Nach wie vor bleiben bestimmte Metallgewichte Maßstab des Metallgeldes. Was sich geändert, ist Eintheilung und Namengebung. 1 0 1 5 Die Preise, oder die Goldquanta, worin die Werthe der Waaren ideell verwandelt sind, werden jetzt also ausgedrückt in den Geldnamen oder ge- setzlich gültigen Rechennamen des Goldmaßstabs. Statt also zu sagen, der Quarter Weizen ist gleich einer Unze Gold, würde man in England sagen, er ist gleich 3 £ 17 sh. 10¾ d. Die Waaren sagen sich so in ihren Geldna- 2 0 men was sie werth sind, und das Geld dient als Rechengeld, so oft es gilt eine Sache als Werth und daher in Geldform zu fixiren 6 0). Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz äußerlich. Ich weiß nichts vom Menschen, wenn ich weiß, daß ein Mensch Jacobus heißt. Ebenso ver- schwindet in den Geldnamen Pfund, Thaler, Franc, Dukat u.s.w. jede Spur 25 des Werthverhältnisses. Die Wirre über den Geheimsinn dieser kabbalisti- schen Zeichen ist um so größer, als die Geldnamen den Werth der Waaren und zugleich aliquote Theile eines Metallgewichts, des Geldmaßstabs, aus- drücken 6 1). Andrerseits ist es nothwendig, daß der Werth im Unterschied 30 5 7 ) Note zur 2. Ausg. So bezeichnet das englische Pfund weniger als ein Drittel seines ur- sprünglichen Gewichts, das schottische Pfund vor der Union nur noch % 6, der französische Livre Y74, der spanische Maravedi weniger als 1 X 0 O O , der portugiesische Rei eine noch viel klei- nere Proportion. 5 8 ) Note zur 2. Ausg. «Le monete le quali oggi sono ideali sono le più antiche d'ogni nazione, e tutte furono un tempo reali, e perchè erano reali con esse si contava.» (Galiani: Della Mo- 35 neta, I.e. p.153.) 40 5 9 ) Note zur 2. Ausg. Herr David Urquhart bemerkt in seinen ,,Familiar Words" über das Un- geheuerliche (!), daß heut zu Tage ein Pfund (£ St.), die Einheit des englischen Geldmaß- stabs, gleich ungefähr % Unze Gold ist: "This is falsifying a measure, not establishing a stand- ard." Er findet in dieser „falschen Benennung" des Goldgewichts wie überall sonst die fälschende Hand der Civilisation. 6 0 ) Note zur 2. Ausg. „Als man den Anacharsis fragte, wozu die Hellenen das Geld brauchen, antwortet er: zum Rechnen." (Athen. Deipn. l.IV, 49, v. 2. ed. Schweighäuser, 1802.) 6 1 ) Note z. 2. Ausg. „Weil das Gold als Maßstab der Preise in denselben Rechennamen er- scheint, wie die Waarenpreise, also z. B. eine Unze Gold eben sowohl wie der Werth einer 95 Erster Abschnitt • Ware und Geld von den bunten Körpern der Waarenwelt sich zu ||66| dieser begriffslos sachlichen, aber auch einfach gesellschaftlichen Form fortentwickle 6 2). 5 Der Preis ist der Geldname der in der Waare vergegenständlichten Ar- beit. Die Aequivalenz der Waare und des Geldquantums, dessen Name ihr Preis ist, ist daher eine Tautologie 6 3), wie ja überhaupt der relative Werth- ausdruck einer Waare stets der Ausdruck der Aequivalenz zweier Waaren ist. Wenn aber der Preis als Exponent der Werthgröße der Waare Exponent ihres Austauschverhältnisses mit Geld, so folgt nicht umgekehrt, daß der Exponent ihres Austauschverhältnisses mit Geld nothwendig der Exponent ihrer Werthgröße ist. Gesellschaftlich nothwendige Arbeit von gleicher 10 Größe stelle sich in 1 Quarter Weizen und in 2 Pfund St. (ungefähr ]/ 2 Unze Gold) dar. Die 2 Pfund St. sind Geldausdruck der Werthgröße des Quarter Weizens, oder sein Preis. Erlauben nun die Umstände, ihn zu 3 Pfund St., oder zwingen sie ihn zu 1 Pfd. St. zu notiren, so sind 1 Pfd. St. und 3 Pfd. St. als Ausdrücke der Werthgröße des Weizens zu klein oder zu groß, aber 15 sie sind dennoch Preise desselben, denn erstens sind sie seine Werthform, Geld, und zweitens Exponenten seines Austauschverhältnisses mit Geld. Bei gleichbleibenden Produktionsbedingungen oder gleichbleibender Pro- duktivkraft der Arbeit muß nach wie vor zur Reproduktion des Quarter Weizen gleich viel gesellschaftliche Arbeitszeit verausgabt werden. Dieser 20 Umstand hängt vom Willen weder des Weizenproducenten noch der and- ren Waarenbesitzer ab. Die Werthgröße der Waare drückt also ein n o t - wendiges, ihrem Bildungsproceß immanentes Verhältniß zur gesellschaftli- chen Arbeitszeit aus. Mit der Verwandlung der Werthgröße in Preis erscheint dieß nothwendige Verhältniß als Aus11671tauschverhältniß einer 25 Waare mit der außer ihr existirenden Geldwaare. In diesem Verhältniß Tonne Eisen in 3 £ 17 sh. 10½ d. ausgedrückt wird, hat man diese seine Rechennamen seinen Münzpreis genannt. Die wunderliche Vorstellung entstand daher, als ob das Gold (resp. Sil- ber) in seinem eignen Material geschätzt werde, und im Unterschied von allen Waaren von Staatswegen einen fixen Preis erhalte. Man versah die Fixirung von Rechennamen bestimm- 30 ter Goldgewichte für Fixirung des Werths dieser Gewichte." (Karl Marx, 1. c. p. 52.) 6 2 ) Vergi. „Theorien von der Maßeinheit des Geldes" in „Zur Kritik der pol. Oekon. etc.", p.53 sqq. Die Phantasien über Erhöhung oder Erniedrigung des „Münzpreises", die darin be- steht, die gesetzlichen Geldnamen für gesetzlich fixirte Gewichttheile Gold oder Silber auf größere oder kleinere Gewichttheile von Staatswegen zu übertragen und demgemäß auch etwa Y4 Unze Gold statt in 20 künftig in 40 sh. zu prägen - diese Phantasien, soweit sie nicht unge- schickte Finanzoperationen gegen Staats- und Privatgläubiger, sondern ökonomische „Wun- derkuren" bezwecken, hat Petty so erschöpfend behandelt in „Quantulumcumque concerning Money. To the Lord Marquis of Halifax. 1682", daß schon seine unmittelbaren Nachfolger, Sir Dudley North und John Locke, von Späteren gar nicht zu reden, ihn nur verflachen konn- 40 ten. "If the wealth of a nation", sagt er U.A., "could be decupled by a Proclamation, it were strange that such proclamations have not long since been made by our Governors." (I.e. p.36.) 6 3 ) «Ou bien, il faut consentir à dire-qu'une valeur d'un million en argent vaut plus qu'une valeur égale en marchandises.» (Le Trosne I.e. p.919), also ,,qu'une valeur vaut plus qu'une valeur égale". 35 45 96 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation kann sich aber ebensowohl die Werthgröße der Waare ausdrücken, als das Mehr oder Minder, worin sie unter gegebnen Umständen veräußerlich ist. Die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und Werth- größe, oder der Abweichung des Preises von der Werthgröße, liegt also in 5 der Preisform selbst. Es ist dies kein Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zur adäquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann. Die Preisform läßt jedoch nicht nur die Möglichkeit quantitativer Inkon- 10 gruenz zwischen Werthgröße und Preis, d.h. zwischen der Werthgröße und ihrem eignen Geldausdruck zu, sondern kann einen qualitativen Wider- spruch beherbergen, so daß der Preis überhaupt aufhört, Werthausdruck zu sein, obgleich Geld nur die Werthform der Waaren ist. Dinge, die an und für sich keine Waaren sind, z . B . Gewissen, Ehre u.s.w., können ihren Be- sitzern für Geld feil sein und so durch ihren Preis die Waarenform erhal- ten. Ein Ding kann daher formell einen Preis haben, ohne einen Werth zu haben. Der Preisausdruck wird hier imaginär, wie gewisse Größen der Ma- thematik. Andrerseits kann auch die imaginäre Preisform, wie z.B. der Preis des unkultivirten Bodens, der keinen Werth hat, weil keine menschli- 20 che Arbeit in ihm vergegenständlicht ist, ein wirkliches Werthverhältniß 15 oder von ihm abgeleitete Beziehung verbergen. Wie die relative Werthform überhaupt, drückt der Preis den Werth einer Waare, z.B. einer Tonne Eisen, dadurch aus, daß ein bestimmtes Quantum Aequivalent, z.B. eine Unze Gold, unmittelbar austauschbar mit Eisen, 25 aber keineswegs umgekehrt, daß seinerseits das Eisen unmittelbar aus- tauschbar mit Gold ist. Um also praktisch die Wirkung eines Tauschwerths auszuüben, muß die Waare ihren natürlichen Leib abstreifen, sich aus nur vorgestelltem Gold in wirkliches Gold verwandeln, obgleich diese Trans- substantiation ihr „saurer" ankommen mag als dem Hegel'schen „Begriff 30 der Uebergang aus der Nothwendigkeit in die Freiheit oder einem Hum- mer das Sprengen seiner Schale, oder dem Kirchenvater Hieronymus das Abstreifen des alten Adam 6 4). Neben ihrer reellen ||68| Gestalt, Eisen z.B., kann die Waare im Preise ideelle Werthgestalt oder vorgestellte Goldge- stalt besitzen, aber sie kann nicht zugleich wirklich Eisen und wirklich 35 Gold sein. Für ihre Preisgebung genügt es, vorgestelltes Gold ihr gleichzu- setzen. Durch Gold ist sie zu ersetzen, damit sie ihrem Besitzer den Dienst 6 4 ) Wenn Hieronymus in seiner Jugend viel mit dem materiellen Fleisch zu ringen hatte, wie sein Wüstenkampf mit schönen Frauenbildern zeigt, so im Alter mit dem geistigen Fleisch. „Ich glaubte mich", sagt er z.B., „im Geist vor dem Weltrichter." „Wer bist du?" fragte eine 40 Stimme. „Ich bin ein Christ." „Du lügst", donnerte der Weltrichter. „Du bist nur ein Cicero- nianer!" 97 Erster Abschnitt · Ware und Geld eines allgemeinen Aequivalents leiste. Träte der Besitzer des Eisens z.B. dem Besitzer einer weltlustigen Waare gegenüber, und verwiese ihn auf den Eisenpreis, der Geldform sei, so würde der Weltlustige antworten, wie im Himmel der heilige Petrus dem Dante, der ihm die Glaubensformeln hergesagt: 5 «Assai bene è trascorsa D'està moneta già la lega e'I peso, Ma dimmi se tu l'hai nella tua borsa.» Die Preisform schließt die Veräußerlichkeit der Waaren gegen Geld und die Nothwendigkeit dieser Veräußerung ein. Andrerseits funktionirt Gold 10 nur als ideelles Werthmaß, weil es sich bereits im Austauschproceß als Geldwaare umtreibt. Im ideellen Maß der Werthe lauert daher das harte Geld. 2. Cirkula tionsm Ittel. a) Die Metamorphose der Waaren. 15 Man sah, daß der Austauschproceß der Waaren widersprechende und ein- ander ausschließende Beziehungen einschließt. Die Entwicklung der Waare hebt diese Widersprüche nicht auf, schafft aber die Form, worin sie sich bewegen können. Dieß ist überhaupt die Methode, wodurch sich wirk- liche Widersprüche lösen. Es ist z . B . ein Widerspruch, daß ein Körper be- 20 ständig in einen andren fällt und eben so beständig von ihm weg flieht. Die Ellipse ist eine der Bewegungsformen, worin dieser Widerspruch sich eben so sehr verwirklicht als löst. Soweit der Austauschproceß Waaren aus der Hand, worin sie Nicht-Ge- brauchswerthe, in die Hand überträgt, worin sie Gebrauchswerthe, ist er ge- 25 sellschaftlicher Stoffwechsel. Das Produkt einer nützlichen Arbeitsweise ersetzt das der andren. Einmal angelangt zur Stelle, wo sie als Gebrauchs- werth dient, fällt die Waare in die Sphäre der Konsumtion aus der Sphäre des Waarenaustauschs. Letztre allein interessirt uns hier. Wir haben also den ganzen Proceß nach der Formseite zu betrachten, also nur den Form-| 30 |69|wechsel oder die Metamorphose der Waaren, welche den gesellschaftli- chen Stoffwechsel vermittelt. Die durchaus mangelhafte Auffassung dieses Formwechsels ist, abge- sehn von Unklarheit über den Werthbegriff selbst, dem Umstand geschul- det, daß jeder Formwechsel einer Waare sich vollzieht im Austausch 35 zweier Waaren, einer gemeinen Waare und der Geldwaare. Hält man an 98 Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation diesem stofflichen Moment, dem Austausch von Waare mit Gold, allein fest, so übersieht man grade, was man sehn soll, nämlich was sich mit der Form zuträgt. Man übersieht, daß Gold als bloße Waare nicht Geld ist, und daß die andren Waaren sich selbst in ihren Preisen auf Gold als ihre eigne Geldgestalt beziehn. Die Waaren gehn zunächst unvergoldet, unverzuckert, wie der Kamm ihnen gewachsen ist, in den Austauschproceß ein. Er producirt eine Ver- dopplung der Waare in Waare und Geld, einen äußeren Gegensatz, worin sie ihren immanenten Gegensatz von Gebrauchswerth und Werth darstel- len. In diesem Gegensatz treten die Waaren als Gebrauchswerthe dem Geld als Tauschwerth gegenüber. Andrerseits sind beide Seiten des Gegen- satzes Waaren, also Einheiten von Gebrauchswerth und Werth. Aber diese Einheit von Unterschieden stellt sich auf jedem der beiden Pole umgekehrt dar und stellt dadurch zugleich deren Wechselbeziehung dar. Die Waare ist reell Gebrauchswerth, ihr Werthsein erscheint nur ideell im Preis, der sie auf das gegenüberstehende Gold als ihre reelle Werthgestalt bezieht. Umgekehrt gilt das Goldmaterial nur als Werthmateriatur, Geld. Es ist re- ell daher Tauschwerth. Sein Gebrauchswerth erscheint nur noch ideell in der Reihe der relativen Werthausdrücke, worin es sich auf die gegenüber- stehenden Waaren als den Umkreis seiner reellen Gebrauchsgestalten be- zieht. Diese gegensätzlichen Formen der Waaren sind die wirklichen Be- wegungsformen ihres Austauschprocesses. 5 10 15 20 Begleiten wir nun irgend einen Waarenbesitzer, unsren altbekannten Leinweber z. B., zur Scene des Austauschprocesses, dem Waarenmarkt. 25 Seine Waare, 20 Ellen Leinwand, ist preisbestimmt. Ihr Preis ist 2 Pfd. St. Er tauscht sie aus gegen 2Pfd. St., und, Mann vom altem Schrot und Korn, tauscht die 2 Pfd. St. wieder aus gegen eine Familienbibel vom selben Preis. Die Leinwand, für ihn nur Waare, Werthträger, wird entäußert gegen Gold, ihre Werthgestalt, und aus dieser Gestalt rückveräußert gegen eine 30 andre Waare, die Bibel, die aber als Gebrauchsgegenstand in's Weberhaus wandern und dort Erbauungsbedürfnisse befriedigen ||70| soll. Der Aus- tauschproceß der Waare vollzieht sich also in zwei entgegengesetzten und einander ergänzenden Metamorphosen - Verwandlung der Waare in Geld und ihre Rückverwandlung aus Geld in Waare 6 5). Die Momente der Waa- renmetamorphose sind zugleich Händel des Waarenbesitzers - Verkauf, Austausch der Waare mit Geld; Kauf, Austausch des Gelds mit Waare, und Einheit beider Akte: Verkaufen um zu kaufen. 35 6 5 ) „Έκ δε του .... πυρός τ'άνταμείβεσθαι πάντα, φησίν ό Ηράκλειτος, και πυρ απάντων, ώσπερ χρυσού χρήματα και χρημάτων χρνσός." (F. Lassalle: „Die Philosophie He(cid:5) rakleitos des Dunkeln. Berlin 1858", Bd.l, p.222.) Lassalle's Note zu dieser Stelle, p.224, n.3, erklärt das Geld unrichtig für bloßes Werthzeichen. 40 99 Erster Abschnitt • Ware und Geld Besieht sich der Leinweber nun das Endresultat des Handels, so besitzt er Bibel statt Leinwand, statt seiner ursprünglichen Waare eine andre vom selben Werth, aber verschiedner Nützlichkeit. In gleicher Weise eignet er sich seine andren Lebens- und Produktionsmittel an. Von seinem Stand- punkt vermittelt der ganze Proceß nur den Austausch seines Arbeitspro- dukts mit fremdem Arbeitsprodukt, den Produktenaustausch. Der Austauschproceß der Waare vollzieht sich also in folgendem Form- wechsel: Waare-Geld-Waare. W-G-W. Nach ihrem stofflichen Inhalt ist die Bewegung W-W, Austausch von Waare gegen Waare, Stoffwechsel der gesellschaftlichen Arbeit, in dessen Resultat der Proceß selbst erlischt. W-G. Erste Metamorphose der Waare oder Verkauf. Das Ueberspringen 5 10 des Waarenwerths aus dem Waarenleib in den Goldleib ist, wie ich es an- 15 derswo bezeichnet, der salto mortale der Waare. Mißlingt er, so ist zwar nicht die Waare geprellt, wohl aber der Waarenbesitzer. Die gesellschaftli- che Theilung der Arbeit macht seine Arbeit ebenso einseitig als seine B e - dürfnisse vielseitig. Eben deßwegen dient ihm sein Produkt nur als Tausch- werth. Allgemeine gesellschaftlich gültige Aequivalentform erhält es aber 20 nur im Geld, und das Geld befindet sich in fremder Tasche. Um es heraus- zuziehn, muß die Waare vor allem Gebrauchswerth für den Geldbesitzer sein, die auf sie verausgabte Arbeit also in gesellschaftlich nützlicher Form verausgabt sein oder sich als Glied der gesellschaftlichen Theilung der Ar- beit bewähren. Aber die Theilung der Arbeit ist ein naturwüchsiger Pro- 25 duktionsorganismus, dessen Fäden hinter dem Rücken der Waarenprodu- centen ||71| gewebt wurden und sich fortweben. Vielleicht ist die Waare Produkt einer neuen Arbeitsweise, die ein neu aufgekommenes Bedürfniß zu befriedigen vorgiebt oder auf eigne Faust ein Bedürfniß erst hervorrufen will. Gestern noch eine Funktion unter den vielen Funktionen eines und 30 desselben Waarenproducenten, reißt sich eine besondre Arbeits Verrichtung heute vielleicht los von diesem Zusammenhang, verselbständigt sich und schickt eben deßwegen ihr Theilprodukt als selbständige Waare zu Markt. Die Umstände mögen reif oder unreif sein für diesen Scheidungsproceß. Das Produkt befriedigt heute ein gesellschaftliches Bedürfniß. Morgen wird 35 es vielleicht ganz oder theilweise von einer ähnlichen Produktenart aus sei- nem Platze verdrängt. Ist auch die Arbeit, wie die unsres Leinwebers, pa- tentirtes Glied der gesellschaftlichen Arbeitstheilung, so ist damit noch keineswegs der Gebrauchswerth grade seiner 20 Ellen Leinwand garantirt. Wenn das gesellschaftliche Bedürfniß für Leinwand, und es hat sein Maß, 40 wie alles andre, bereits durch nebenbuhlerische Leinweber gesättigt ist, 100 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation wird das Produkt unsres Freundes überschüssig, überflüssig und damit nutzlos. Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul, aber er be- schreitet nicht den Markt, um Präsente zu machen. Gesetzt aber der Ge- brauchswerth seines Produkts bewähre sich und Geld werde daher angezo- 5 gen von der Waare. Aber nun fragt sich's, wie viel Geld? Die Antwort ist allerdings schon anticipirt im Preis der Waare, dem Exponenten ihrer Werthgröße. Wir sehn ab von etwaigen rein subjektiven Rechenfehlern des Waarenbesitzers, die auf dem Markt sofort objektiv korrigirt werden. Er soll auf sein Produkt nur den gesellschaftlich nothwendigen Durchschnitt 10 von Arbeitszeit verausgabt haben. Der Preis der Waare ist also nur Geld- name des in ihr vergegenständlichten Quantums gesellschaftlicher Arbeit. Aber ohne Erlaubniß und hinter dem Rücken unsres Leinwebers geriethen die altverbürgten Produktionsbedingungen der Leinweberei in Gährung. Was gestern zweifelsohne gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Pro- 15 duktion einer Elle Leinwand war, hört heute auf es zu sein, wie der Geld- besitzer eifrigst demonstrirt aus den Preisquotationen verschiedner Neben- buhler unsres Freundes. Zu seinem Unglück giebt's viele Weber auf der Welt. Gesetzt endlich jedes auf dem Markt vorhandne Stück Leinwand enthalte nur gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Trotzdem kann die 20 Gesammtsumme dieser Stücke überflüssig verausgabte Arbeitszeit enthal- ten. Vermag der Marktmagen das Gesammtquantum Leinwand, zum | |72| Normalpreis von 2 Sh. per Elle, nicht zu absorbiren, so beweist das, daß ein zu großer Theil der gesellschaftlichen Gesammtarbeitszeit in der Form der Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe als hätte jeder 25 einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt. Hier heißt's: Mitgefangen, mitge- hangen. Alle Leinwand auf dem Markt gilt nur als Ein Handelsartikel, j e - des Stück nur als aliquoter Theil. Und in der That ist der Werth jeder indi- viduellen Elle ja auch nur die Materiatur desselben gesellschaftlich 30 bestimmten Quantums gleichartiger menschlicher Arbeit. Man sieht, die Waare liebt das Geld, aber ,,the course of true love never does run smooth". Ebenso naturwüchsig zufällig, wie die qualitative, ist die quantitative Gliederung des gesellschaftlichen Produktionsorganismus, der seine membra disjecta im System der Theilung der Arbeit darstellt. Unsre 35 Waarenbesitzer entdecken daher, daß dieselbe Theilung der Arbeit, die sie zu unabhängigen Privatproducenten, den gesellschaftlichen Produktions- proceß und ihre Verhältnisse in diesem Proceß von ihnen selbst unabhän- gig macht, daß die Unabhängigkeit der Personen von einander sich in einem System allseitiger sachlicher Abhängigkeit ergänzt. 40 Die Theilung der Arbeit verwandelt das Arbeitsprodukt in Waare und macht dadurch seine Verwandlung in Geld nothwendig. Sie macht es zu- 101 Erster Abschnitt • Ware und Geld 5 gleich zufällig, ob diese Transsubstantiation gelingt. Hier ist jedoch das Phänomen rein zu betrachten, sein normaler Vorgang also vorauszusetzen. Wenn es übrigens überhaupt vorgeht, die Waare also nicht unverkäuflich ist, findet stets ihr Formwechsel statt, obgleich abnormal in diesem Form- wechsel Substanz - Werthgröße - eingebüßt oder zugesetzt werden mag. Dem einen Waarenbesitzer ersetzt Gold seine Waare und dem andren Waare sein Gold. Das sinnfällige Phänomen ist der Hände- oder Stellen- wechsel von Waare und Gold, von 20 Ellen Leinwand und 2Pfd. St., d.h. ihr Austausch. Aber womit tauscht sich die Waare aus? Mit ihrer eignen allgemeinen Werthgestalt. Und womit das Gold? Mit einer besondren Ge- 10 stalt seines Gebrauchswerths. Warum tritt Gold der Leinwand als Geld ge- genüber? Weil ihr Preis von 2 Pfd. St. oder ihr Geldname sie bereits auf Gold als Geld bezieht. Die Entäußerung der ursprünglichen Waarenform vollzieht sich durch die Veräußerung der Waare, d.h. in dem Augenblicke, wo ihr Gebrauchswerth das in ihrem Preis nur vorgestellte Gold wirklich anzieht. Die Realisirung des ||73| Preises oder der nur ideellen Werthform der Waare ist daher zugleich umgekehrt Realisirung des nur ideellen Ge- brauchswerths des Geldes, die Verwandlung von Waare in Geld zugleich Verwandlung von Geld in Waare. Der eine Proceß ist zweiseitiger Proceß, vom Pol des Waarenbesitzers Verkauf, vom Gegenpol des Geldbesitzers 20 Kauf. Oder Verkauf ist Kauf, W-G zugleich G - W 6 6 ) . 15 Wir kennen bisher kein ökonomisches Verhältniß der Menschen außer dem von Waarenbesitzern, ein Verhältniß, worin sie fremdes Arbeitspro- dukt nur aneignen, indem sie eignes entfremden. Einem Waarenbesitzer kann der andre daher nur als Geldbesitzer gegenübertreten, entweder weil sein Arbeitsprodukt von Natur die Geldform besitzt, also Geldmaterial ist, Gold u.s.w., oder weil seine eigne Waare sich bereits gehäutet und ihre ur- sprüngliche Gebrauchsform abgestreift hat. Um als Geld zu funktioniren, muß das Gold natürlich an irgend einem Punkt in den Waarenmarkt ein- treten. Dieser Punkt liegt an seiner Produktionsquelle, wo es sich als un- 30 mittelbares Arbeitsprodukt mit andrem Arbeitsprodukt von demselben Werth austauscht. Aber von diesem Augenblick stellt es beständig reali- sirte Waarenpreise vor 6 7). Abgesehn vom Austausch des Golds mit Waare an seiner Produktionsquelle, ist das Gold in der Hand jedes Waarenbesit- zers die entäußerte Gestalt seiner veräußerten Waare, Produkt des Ver- 35 25 6 6 ) «Toute vente est achat» (Dr. Quesnay: ,,Dialogues sur le Commerce et les Travaux des Ar- tisans." Physiocrates, éd. Daire, I. Partie, Paris 1846, p. 170), oder, wie Quesnay in seinen ,,Maximes Générales" sagt: «Vendre est acheter.» 6 7 ) «Le prix d'une marchandise ne pouvant être payé que par le prix d'une autre marchan- dise.» (Mercier de la Rivière: ,,L'Ordre naturel et essentiel des sociétés politiques." Physio- 40 crates, éd. Daire, IL Partie, p. 554.) 102 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation le) kaufs oder der ersten Waarenmetamorphose W - G 6 8 ) . Ideelles Geld oder Werthmaß wurde das Gold, weil alle Waaren ihre Werthe in ihm maßen und es so zum vorgestellten Gegentheil ihrer Gebrauchsgestalt, zu ihrer Werthgestalt machten. Reelles Geld wird es, weil die Waaren durch ihre 5 allseitige Veräußerung es zu ihrer wirklich entäußerten oder verwandelten Gebrauchsgestalt und daher zu ihrer wirklichen Werthgestalt machen. In ihrer Werthgestalt streift die Waare jede Spur ihres naturwüchsigen Ge- brauchswerths und der besondren nützlichen Arbeit ab, welcher sie den Ursprung verdankt, um sich in die gleichförmige gesellschaftliche Materia- tur unterschiedsloser menschlicher Arbeit zu verpuppen. ||74| Man sieht dem Geld daher nicht an, welchen Schlags die in es verwandelte Waare. Eine sieht in ihrer Geldform grade aus wie die andre. Geld mag daher Dreck sein, obgleich Dreck nicht Geld ist. Wir wollen annehmen, daß die zwei Goldfüchse, wogegen unser Leinweber seine Waare veräußert, die ver- 15 wandelte Gestalt eines Quarters Weizen sind. Der Verkauf der Leinwand, W-G, ist zugleich ihr Kauf, G-W. Aber als Verkauf der Leinwand beginnt dieser Proceß eine Bewegung, die mit seinem Gegentheil endet, mit dem Kauf der Bibel; als Kauf der Leinwand endet er eine Bewegung, die mit sei- nem Gegentheil begann, mit dem Verkauf des Weizens. W-G (Leinwand - 20 Geld), diese erste Phase von W-G-W (Leinwand - Geld - Bibel), ist zu- gleich G-W (Geld - Leinwand), die letzte Phase einer andren Bewegung W-G-W (Weizen - Geld - Leinwand). Die erste Metamorphose einer Waare, ihre Verwandlung aus der Waarenform in Geld, ist stets zugleich zweite entgegengesetzte Metamorphose einer andren Waare, ihre Rückver- 25 Wandlung aus der Geldform in Waare 6 9). G-W. Zweite oder Schlußmetamorphose der Waare: Kauf. - Weil die entäußerte Gestalt aller andren Waaren oder das Produkt ihrer allgemeinen Veräußerung, ist Geld die absolut veräußerliche Waare. Es liest alle Preise rückwärts und spiegelt sich so in allen Waarenleibern als dem hingebenden 30 Material seiner eignen Waarenwerdung. Zugleich zeigen die Preise, die Liebesaugen, womit ihm die Waaren winken, die Schranke seiner Ver- wandlungsfähigkeit, nämlich seine eigne Quantität. Da die Waare in ihrer Geldwerdung verschwindet, sieht man dem Geld nicht an, wie es in die Hände seines Besitzers gelangt oder was in es verwandelt ist. Non olet, wes- sen Ursprungs auch immer. Wenn es einerseits verkaufte Waare repräsen- tirt, so andrerseits kaufbare Waaren 7 0). 35 6 8 ) «Pour avoir cet argent, il faut avoir vendu.» (1. c. p. 543.) 6 9 ) Ausnahme, wie vorher bemerkt, bildet der Gold- resp. Silberproducent, der sein Produkt austauscht, ohne es vorher verkauft zu haben. 7 0 ) « Si l'argent représente, dans nos mains, les choses que nous pouvons désirer d'acheter, il y représente aussi les choses que nous avons vendues pour cet argent.» (Mercier de la Rivière 1. c. p. 586.) 40 103 Erster Abschnitt • Ware und Geld G-W, der Kauf ist zugleich Verkauf, W-G; die letzte Metamorphose einer Waare daher zugleich die erste Metamorphose einer andren Waare. Für unsren Leinweber schließt der Lebenslauf seiner Waare mit der Bibel, worin er die 2 Pfd. St. rückverwandelt hat. Aber der Bibelverkäufer setzt die vom Leinweber ||75| gelösten 2 Pfd. St. in Kornbranntwein um. G-W, die Schlußphase von W-G-W (Leinwand - Geld - Bibel) ist zugleich W-G, die erste Phase von W-G-W (Bibel - Geld - Kornbranntwein). Da der Waa- renproducent nur ein einseitiges Produkt liefert, verkauft er es oft in größe- ren Massen, während seine vielseitigen Bedürfnisse ihn zwingen, den reali- sirten Preis oder die gelöste Geldsumme beständig in zahlreiche Käufe zu 10 zersplittern. Ein Verkauf mündet daher in viele Käufe verschiedner Waa- ren. Die Schlußmetamorphose einer Waare bildet so eine Summe von er- sten Metamorphosen andrer Waaren. 5 Betrachten wir nun die Gesammtmetamorphose einer Waare, z.B. der Leinwand, so sehn wir zunächst, daß sie aus zwei entgegengesetzten und 15 einander ergänzenden Bewegungen besteht, W-G und G-W. Diese zwei entgegengesetzten Wandlungen der Waare vollziehn sich in zwei entgegen- gesetzten gesellschaftlichen Processen des Waarenbesitzers und reflektiren sich in zwei entgegengesetzten ökonomischen Charakteren desselben. Als Agent des Verkaufs wird er Verkäufer, als Agent des Kaufs Käufer. Wie 20 aber in jeder Wandlung der Waare ihre beiden Formen, Waarenform und Geldform, gleichzeitig existiren, nur auf entgegengesetzten Polen, so steht demselben Waarenbesitzer als Verkäufer ein andrer Käufer und als Käufer ein andrer Verkäufer gegenüber. Wie dieselbe Waare die zwei umgekehr- ten Wandlungen successiv durchläuft, aus Waare Geld und aus Geld 25 Waare wird, so wechselt derselbe Waarenbesitzer die Rollen von Verkäufer und Käufer. Es sind dies also keine festen, sondern innerhalb der Waaren- cirkulation beständig die Person wechselnden Charaktere. Die Gesammtmetamorphose einer Waare unterstellt, in ihrer einfach- sten Form, vier Extreme und drei Personae dramatis. Erst tritt der Waare 30 das Geld als ihre Werth-Gestalt gegenüber, die jenseits, in fremder Tasche, sachlich harte Realität besitzt. So tritt dem Waarenbesitzer ein Geldbe- sitzer gegenüber. Sobald die Waare nun in Geld verwandelt, wird letztres zu ihrer verschwindenden Aequivalentform, deren Gebrauchswerth oder In- halt diesseits in andren Waarenkörpern existirt. Als Endpunkt der ersten 35 Waarenwandlung ist das Geld zugleich Ausgangspunkt der zweiten. So wird der Verkäufer des ersten Akts Käufer im zweiten, wo ihm ein dritter Waarenbesitzer als Verkäufer gegenübertritt 7 1).| |76| Die beiden umgekehrten Bewegungsphasen der Waarenmetamor- phose bilden einen Kreislauf: Waarenform, Abstreifung der Waarenform, 40 7 1 ) «Il y a donc quatre termes et trois contractants, dont l'un intervient deux fois.» (Le Trosne I.e. p.909.) 104 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation Rückkehr zur Waarenform. Allerdings ist die Waare selbst hier gegensätz- lich bestimmt. Am Ausgangspunkt ist sie Nicht-Gebrauchswerth, am End- punkt Gebrauchswerth für ihren Besitzer. So erscheint das Geld erst als der feste Werthkrystall, worin sich die Waare verwandelt, um hinterher als ihre 5 bloße Aequivalentform zu zerrinnen. Die zwei Metamorphosen, die den Kreislauf einer Waare, bilden zu- gleich die umgekehrten Theilmetamorphosen zweier andren Waaren. Die- selbe Waare (Leinwand) eröffnet die Reihe ihrer eignen Metamorphosen und schließt die Gesammtmetamorphose einer andren Waare (des Wei- 10 zens). Während ihrer ersten Wandlung, dem Verkauf, spielt sie diese zwei Rollen in eigner Person. Als Goldchrysalide dagegen, worin sie selbst den Weg alles Fleisches wandert, endet sie zugleich die erste Metamorphose einer dritten Waare. Der Kreislauf, den die Metamorphosenreihe jeder Waare beschreibt, verschlingt sich also unentwirrbar mit den Kreisläufen 15 andrer Waaren. Der Gesammmtproceß stellt sich dar als Waarencirkula- tion. Die Waarencirkulation ist nicht nur formell, sondern wesentlich vom unmittelbaren Produktenaustausch unterschieden. Man werfe nur einen Rückblick auf den Vorgang. Der Leinweber hat unbedingt Leinwand mit 20 Bibel vertauscht, eigne Waare mit fremder. Aber dies Phänomen ist nur wahr für ihn. Der Bibelagent, der dem Kühlen Heißes vorzieht, dachte nicht daran, Leinwand für Bibel einzutauschen, wie der Leinweber nicht davon weiß, daß Weizen gegen seine Leinwand eingetauscht worden ist u. s.w. Die Waare des B ersetzt die Waare des A, aber A und B tauschen 25 nicht wechselseitig ihre Waaren aus. Es kann in der That vorkommen, daß A und B wechselweis von einander kaufen, aber solche besondre Bezie- hung ist keineswegs durch die allgemeinen Verhältnisse der Waarencirku- lation bedingt. Einerseits sieht man hier, wie der Waarenaustausch die in- dividuellen und lokalen Schranken des unmittelbaren Produktenaustau- sches durchbricht und den Stoffwechsel der menschlichen Arbeit entwickelt. Andrerseits entwickelt sich ein ganzer Kreis von den handeln- den Personen unkontrolirbarer, gesellschaftlicher Naturzusammenhänge. Der Weber kann nur Leinwand verkaufen, weil der Bauer Weizen, Heiß- sporn nur die Bibel, weil der Weber Leinwand, der Destillateur nur ge- 35 branntes Wasser, weil der andre das Wasser des ewigen Lebens bereits ver- 30 kauft hat u. s. w. I |77| Der Cirkulationsproceß erlischt deßwegen auch nicht, wie der un- mittelbare Produktenaustausch, in dem Stellen- oder Händewechsel der Gebrauchswerthe. Das Geld verschwindet nicht, weil es schließlich aus der 40 Metamorphosenreihe einer Waare herausfällt. Es schlägt immer nieder auf eine durch die Waaren geräumte Cirkulationsstelle. Z . B . in der Gesammt- 105 Erster Abschnitt • Ware und Geld metamorphose der Leinwand: Leinwand - Geld - Bibel fällt erst die Lein- wand aus der Cirkulation, Geld tritt an ihre Stelle, fällt dann die Bibel aus der Cirkulation, Geld tritt an ihre Stelle. Der Ersatz von Waare durch Waare läßt zugleich an dritter Hand die Geldwaare hängen 7 2). Die Cirkula- tion schwitzt beständig Geld aus. 5 Nichts kann alberner sein als das Dogma, die Waarencirkulation be- dinge ein nothwendiges Gleichgewicht der Verkäufe und Käufe, weil jeder Verkauf Kauf und vice versa. Meint dies, daß die Zahl der wirklich vollzo- genen Verkäufe gleich derselben Zahl von Käufen, so ist es platte Tautolo- gie. Aber es soll beweisen, daß der Verkäufer seinen eignen Käufer zu 10 Markt führt. Verkauf und Kauf sind ein identischer Akt als Wechselbezie- hung zwischen zwei polarisch entgegengesetzten Personen, dem Waarenbe- sitzer und dem Geldbesitzer. Sie bilden zwei polarisch entgegengesetzte Akte als Handlungen derselben Person. Die Identität von Verkauf und Kauf schließt daher ein, daß die Waare nutzlos wird, wenn sie, in die al- 15 chymistische Retorte der Cirkulation geworfen, nicht als Geld heraus- kommt, nicht vom Waarenbesitzer verkauft, also vom Geldbesitzer gekauft wird. Jene Identität enthält ferner, daß der Proceß, wenn er gelingt, einen Ruhepunkt, einen Lebensabschnitt der Waare bildet, der länger oder kür- zer währen kann. Da die erste Metamorphose der Waare zugleich Verkauf 20 und Kauf, ist dieser Theilproceß zugleich selbstständiger Proceß. Der Käu- fer hat die Waare, der Verkäufer hat das Geld, d.h. eine Waare, die cirkula- tionsfähige Form bewahrt, ob sie früher oder später wieder auf dem Markt erscheine. Keiner kann verkaufen, ohne daß ein Andrer kauft. Aber keiner braucht unmittelbar zu kaufen, weil er selbst verkauft hat. Die Cirkulation 25 sprengt die zeitlichen, örtlichen und individuellen Schranken des Produk- tenaustausches eben dadurch, daß sie die hier vorhandne unmittelbare Identität zwischen dem Austausch des eignen und dem Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von ||78| Verkauf und Kauf spaltet. Daß die selbständig einander gegenübertretenden Processe eine in- 30 nere Einheit bilden, heißt eben so sehr, daß ihre innere Einheit sich in äu- ßeren Gegensätzen bewegt. Geht die äußerliche Verselbständigung der in- nerlich Unselbständigen, weil einander ergänzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit gewaltsam geltend durch eine - Krise. Der der Waare immanente Gegensatz von Gebrauchswerth 35 und Werth, von Privatarbeit, die sich zugleich als unmittelbar gesellschaft- liche Arbeit darstellen muß, von besondrer konkreter Arbeit, die zugleich nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt, von Personificirung der Sache und Versachlichung der Personen - dieser immanente Widerspruch erhält in 7 2 ) Note zur 2. Ausg. So handgreiflich dies Phänomen ist, wird es dennoch von politischen 40 Oekonomen meist übersehen, namentlich vom Freihändler vulgaris. 106 Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation den Gegensätzen der Waarenmetamorphose seine entwickelten Bewe- gungsformen. Diese Formen schließen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit der Krisen ein. Die Entwicklung dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die 5 vom Standpunkt der einfachen Waarencirkulation noch gar nicht existi- ren 7 3). Als Vermittler der Waarencirkulation erhält das Geld die Funktion des Cirkulationsmittels. b) Der Umlauf des Geldes. 10 Der Formwechsel, worin sich der Stoffwechsel der Arbeitsprodukte voll- zieht, W-G-W, bedingt, daß derselbe Werth als Waare den Ausgangspunkt des Processes bildet und zu demselben Punkt zurückkehrt als Waare. Diese Bewegung der Waaren ist daher Kreislauf. Andrerseits schließt dieselbe Form den Kreislauf des Geldes aus. Ihr Resultat ist beständige Entfernung 15 des Geldes von seinem Ausgangspunkt, nicht Rückkehr zu demselben. | |79| So lange der Verkäufer die verwandelte Gestalt seiner Waare festhält, das Geld, befindet sich die Waare im Stadium der ersten Metamorphose oder hat nur ihre erste Cirkulationshälfte zurückgelegt. Ist der Proceß, Ver- kaufen um zu kaufen, vervollständigt, so ist auch das Geld wieder aus der 20 Hand seines ursprünglichen Besitzers entfernt. Allerdings, wenn der Lein- weber, nachdem er die Bibel gekauft, von neuem Leinwand verkauft, kehrt auch das Geld in seine Hand zurück. Aber es kehrt nicht zurück durch die Cirkulation der ersten 20 Ellen Leinwand, wodurch es vielmehr aus den Händen des Leinwebers in die des Bibelverkäufers entfernt ist. Es kehrt 25 nur zurück durch die Erneuerung oder Wiederholung desselben Cirkula- tionsprocesses für neue Waare, und endet hier wie dort mit demselben R e - sultat. Die dem Geld durch die Waarencirkulation unmittelbar ertheilte 30 7 3 ) Vergleiche meine Bemerkungen über James Mill: „Zur Kritik etc." p. 74-76. Zwei Punkte sind hier charakteristisch für die Methode der ökonomistischen Apologetik. Erstens die Iden- tificirung von Waarencirkulation und unmittelbarem Produktenaustausch durch einfache Ab- straktion von ihren Unterschieden. Zweitens der Versuch, die Widersprüche des kapitalisti- schen Produktionsprocesses wegzuleugnen, indem man die Verhältnisse seiner Produktions- agenten in die einfachen Beziehungen auflöst, die aus der Waarencirkulation entspringen. Waarenproduktion und Waarencirkulation sind aber Phänomene, die den verschiedensten 35 Produktionsweisen angehören, wenn auch in verschiednem Umfang und Tragweite. Man weiß also noch nichts von der differentia specifica dieser Produktionsweisen und kann sie daher nicht beurtheilen, wenn man nur die ihnen gemeinschaftlichen, abstrakten Kategorien der Waarencirkulation kennt. In keiner Wissenschaft außer der politischen Oekonomie herrscht so große Wichtigthuerei mit elementarischer Gemeinplätzlichkeit. Z.B. J . B . Say nimmt sich 40 heraus, über die Krisen abzuurtheilen, weil er weiß, daß die Waare Produkt ist. 107 Erster Abschnitt • Ware und Geld Bewegungsform ist daher seine beständige Entfernung vom Ausgangs- punkt, sein Lauf aus der Hand eines Waarenbesitzers in die eines andren, oder sein Umlauf (currency, cours de la monnaie). 5 Der Umlauf des Geldes zeigt beständige, eintönige Wiederholung des- selben Processes. Die Waare steht stets auf Seite des Verkäufers, das Geld stets auf Seite des Käufers, als Kaufmittel. Es funktionirt als Kaufmittel, indem es den Preis der Waare realisirt. Indem es ihn realisirt, überträgt es die Waare aus der Hand des Verkäufers in die Hand des Käufers, während es sich gleichzeitig aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers ent- fernt, um denselben Proceß mit einer andren Waare zu wiederholen. Daß 10 diese einseitige Form der Geldbewegung aus der doppelseitigen Formbe- wegung der Waare entspringt, ist verhüllt. Die Natur der Waarencirkula- tion selbst erzeugt den entgegengesetzten Schein. Die erste Metamorphose der Waare ist nicht nur als Bewegung des Geldes, sondern als ihre eigne Bewegung sichtbar, aber ihre zweite Metamorphose ist nur als Bewegung 15 des Geldes sichtbar. In ihrer ersten Cirkulationshälfte wechselt die Waare den Platz mit dem Geld. Damit fällt zugleich ihre Gebrauchsgestalt aus der Cirkulation heraus, in die Konsumtion 7 4). Ihre Werthgestalt oder Geld- larve tritt an ihre Stelle. Die zweite Cirkulationshälfte durchläuft sie nicht mehr in ihrer eignen Naturalhaut, sondern in ihrer Goldhaut. Die Conti- 20 nuität der Be||80|wegung fällt damit ganz auf die Seite des Geldes und die- selbe Bewegung, die für die Waare zwei entgegengesetzte Processe ein- schließt, schließt als eigne Bewegung des Geldes stets denselben Proceß ein, seinen Stellenwechsel mit stets andrer Waare. Das Resultat der Waa- rencirkulation, Ersatz von Waare durch andre Waare, erscheint daher nicht 25 durch ihren eignen Formwechsel vermittelt, sondern durch die Funktion des Geldes als Cirkulationsmittel, welches die an und für sich bewegungs- losen Waaren cirkulirt, sie aus der Hand, worin sie Nicht-Gebrauchs- werthe, in die Hand überträgt, worin sie Gebrauchswerthe, stets in entge- gengesetzter Richtung zu seinem eignen Lauf. Es entfernt die Waaren 30 beständig aus der Cirkulationssphäre, indem es beständig an ihre Cirkula- tionsstelle tritt und sich damit von seinem eignen Ausgangspunkt entfernt. Obgleich daher die Geldbewegung nur Ausdruck der Waarencirkulation, erscheint umgekehrt die Waarencirkulation nur als Resultat der Geldbewe- gung 7 5). 35 Andrerseits kommt dem Geld nur die Funktion des Cirkulationsmittels 7 4 ) Selbst wenn die Waare wieder und wieder verkauft wird, ein Phänomen, das hier noch nicht für uns existirt, fällt sie mit dem letzten definitiven Verkauf aus der Sphäre der Cirkula- tion in die der Konsumtion, um hier als Lebensmittel oder als Produktionsmittel zu dienen. 7 5 ) «Il (l'argent) n'a d'autre mouvement que celui qui est imprimé par les productions.» (Le 40 Trosne 1. c. p. 885.) 108 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation 5 10 zu, weil es der verselbständigte Werth der Waaren ist. Seine Bewegung als Cirkulationsmittel ist daher in der That nur ihre eigne Formbewegung. Diese muß sich daher auch sinnlich im Umlauf des Geldes wiederspiegeln. So verwandelt z.B. die Leinwand zuerst ihre Waarenform in ihre GeId- form. Das letzte Extrem ihrer ersten Metamorphose W-G, die Geldform, wird dann das erste Extrem ihrer letzten Metamorphose G-W, ihrer Rück- verwandlung in die Bibel. Aber jeder dieser zwei Formwechsel vollzieht sich durch einen Austausch zwischen Waare und Geld, durch ihren gegen- seitigen Stellenwechsel. Dieselben Geldstücke kommen als entäußerte Ge- stalt der Waare in die Hand des Verkäufers, und verlassen sie als absolut veräußerliche Gestalt der Waare. Sie wechseln zweimal die Stelle. Die er- ste Metamorphose der Leinwand bringt diese Geldstücke in die Tasche des Webers, die zweite holt sie wieder heraus. Die beiden entgegengesetzten Formwechsel derselben Waare spiegeln sich also wieder im zweimaligen 15 Stellenwechsel des Geldes in entgegengesetzter Richtung. 20 25 Finden dagegen nur einseitige Waarenmetamorphosen statt, bloße Ver- käufe oder bloße Käufe, wie man will, so wechselt dasselbe Geld auch nur einmal den Platz. Sein zweiter Stellenwechsel drückt stets die zweite Meta- morphose der Waare aus, ihre Rück| 1811Verwandlung aus Geld. In der häu- figen Wiederholung des Stellenwechsels derselben Geldstücke spiegelt sich wieder, nicht nur die Metamorphosenreihe einer einzigen Waare, sondern auch die Verschlingung der zahllosen Metamorphosen der Waarenwelt überhaupt. Es versteht sich übrigens ganz von selbst, daß alles dies nur für die hier betrachtete Form der einfachen Waarencirkulation gilt. Jede Waare, bei ihrem ersten Schritt in die Cirkulation, bei ihrem ersten Formwechsel, fällt aus der Cirkulation heraus, in welche stets neue Waare eintritt. Das Geld dagegen als Cirkulationsmittel haust beständig in der Cirkulationssphäre und treibt sich beständig in ihr um. Es entsteht also die Frage, wie viel Geld diese Sphäre beständig absorbirt. 30 In einem Lande gehn jeden Tag zahlreiche, gleichzeitige, und daher räumlich neben einander laufende einseitige Waarenmetamorphosen vor, oder in andren Worten, bloße Verkäufe von der einen Seite, bloße Käufe von der andren. In ihren Preisen sind die Waaren bereits bestimmten vor- gestellten Geldquantis gleichgesetzt. Da nun die hier betrachtete, unmittel- 35 bare Cirkulationsform Waare und Geld einander stets leiblich gegenüber- stellt, die eine auf den Pol des Verkaufs, das andre auf den Gegenpol des Kaufs, ist die für den Cirkulationsproceß der Waarenwelt erheischte Masse von Cirkulationsmitteln bereits durch die Preissumme der Waaren be- stimmt. In der That stellt das Geld nur reell die in der Preissumme der 40 Waaren bereits ideell ausgedrückte Goldsumme dar. Die Gleichheit dieser Summen versteht sich daher von selbst. Wir wissen jedoch, daß bei gleich- 109 Erster Abschnitt · Ware und Geld 5 bleibenden Werthen der Waaren ihre Preise mit dem Werthe des Goldes (des Geldmaterials) selbst wechseln, verhältnißmäßig steigen, wenn er fällt, und fallen, wenn er steigt. Ob die Preissumme der Waaren so steige oder falle, die Masse des cirkulirenden Geldes muß gleichmäßig steigen oder fallen. Der Wechsel in der Masse der Cirkulationsmittel entspringt hier allerdings aus dem Geld selbst, aber nicht aus seiner Funktion als Cirkula- tionsmittel, sondern aus seiner Funktion als Werthmaß. Der Preis der Waa- ren wechselt erst umgekehrt wie der Werth des Geldes und dann wechselt die Masse der Cirkulationsmittel direkt wie der Preis der Waaren. Ganz dasselbe Phänomen würde sich ereignen, wenn z.B. nicht der Werth des 10 Goldes sänke, sondern Silber es als Werthmaß ersetzte, oder nicht der Werth des Silbers stiege, sondern Gold es aus der Funktion des Werthma- ßes verdrängte. In ||82| dem einen Fall müßte mehr Silber cirkuliren als vorher Gold, in dem andren weniger Gold als vorher Silber. In beiden Fäl- len hätte sich der Werth des Geldmaterials verändert, d.h. der Waare, die 15 als Maß der Werthe funktionirt, daher der Preisausdruck der Waaren- werthe, daher die Masse des cirkulirenden Geldes, das zur Realisirung die- ser Preise dient. Man hat gesehn, daß die Cirkulationssphäre der Waaren ein Loch hat, wodurch Gold (Silber, kurz das Geldmaterial) in sie eintritt als Waare von gegebnem Werth. Dieser Werth ist vorausgesetzt bei der 20 Funktion des Geldes als Werthmaß, also bei der Preisbestimmung. Sinkt nun z . B . der Werth des Werthmaßes selbst, so erscheint dies zunächst im Preiswechsel der Waaren, die unmittelbar an den Produktionsquellen der edlen Metalle mit ihnen als Waaren ausgetauscht werden. Namentlich in minder entwickelten Zuständen der bürgerlichen Gesellschaft wird ein gro- 25 ßer Theil der andren Waaren noch längere Zeit in dem nun illusorisch ge- wordnen, veralteten Werth des Werthmaßes geschätzt werden. Indeß steckt die eine Waare die andre an durch ihr Werthverhältniß zu derselben, die Gold- oder Silberpreise der Waaren gleichen sich allmählig aus in den durch ihre Werthe selbst bestimmten Proportionen, bis schließlich alle 30 Waarenwerthe dem neuen Werth des Geldmetalls entsprechend geschätzt werden. Dieser Ausgleichungsproceß ist begleitet von dem fortwährenden Wachsthum der edlen Metalle, welche im Ersatz für die direkt mit ihnen ausgetauschten Waaren einströmen. In demselben Maß daher, worin die berichtigte Preisgebung der Waaren sich verallgemeinert, oder ihre Werthe 35 dem neuen, gesunkenen und bis zu einem gewissen Punkt fortsinkenden Werth des Metalls gemäß geschätzt werden, ist auch bereits seine zu ihrer Realisirung nothwendige Mehrmasse vorhanden. Einseitige Beobachtung der Thatsachen, welche der Entdeckung der neuen Gold- und Silberquel- len folgten, verleitete im 17. und namentlich im 18. Jahrhundert zum Trug- 40 Schluß, die Waarenpreise seien gestiegen, weil mehr Gold und Silber als 110 Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation Cirkulationsmittel funktionirten. Im Folgenden wird der Werth des Goldes als gegeben vorausgesetzt, wie er in der That im Augenblick der Preisschät- zung gegeben ist. Unter dieser Voraussetzung also ist die Masse der Cirkulationsmittel 5 durch die zu realisirende Preissumme der Waaren bestimmt. Setzen wir nun ferner den Preis jeder Waarenart als gegeben voraus, so hängt die Preissumme der Waaren offenbar von der in Cirkulation befindlichen Waa- renmasse ab. Es gehört wenig Kopf||83|brechens dazu, um zu begreifen, daß wenn 1 Quarter Weizen 2Pfd. St., 100 Quarter 200Pfd. St., 200 Quarter 10 400Pfd. St. u.s.w. kosten, mit der Masse des Weizens daher die Geldmasse wachsen muß, die beim Verkauf den Platz mit ihm wechselt. 15 Die Waarenmasse als gegeben vorausgesetzt, fluthet die Masse des cir- kulirenden Geldes auf und ab mit den Preisschwankungen der Waaren. Sie steigt und fällt, weil die Preissumme der Waaren in Folge ihres Preiswech- sels zu- oder abnimmt. Dazu ist keineswegs nöthig, daß die Preise aller Waaren gleichzeitig steigen oder fallen. Die Preissteigerung einer gewissen Anzahl leitender Artikel in dem einen, oder ihre Preissenkung in dem and- ren Fall, reicht hin, um die zu realisirende Preissumme aller cirkulirenden Waaren zu erhöhn oder zu senken, also auch mehr oder weniger Geld in 20 Cirkulation zu setzen. Ob der Preiswechsel der Waaren wirkliche Werth- wechsel wiederspiegelt oder bloße Schwankungen der Marktpreise, die Wirkung auf die Masse der Cirkulationsmittel bleibt dieselbe. 25 Es sei gegeben eine Anzahl zusammenhangsloser, gleichzeitiger und da- her räumlich neben einander laufender Verkäufe oder Theilmetamorpho- sen, ζ. Β. von 1 Quarter Weizen, 20 Ellen Leinwand, 1 Bibel, 4 Gallons Kornbranntwein. Wenn der Preis jedes Artikels 2 Pfd. St., die zu realisi- rende Preissumme daher 8Pfd. St., so muß eine Geldmasse von 8Pfd. St. in die Cirkulation eingehn. Bilden dieselben Waaren dagegen Glieder der uns bekannten Metamorphosenreihe: 1 Quarter Weizen - 2 Pfd. St. - 20 Ellen 30 Leinwand - 2 Pfd. St. - 1 Bibel - 2 Pfd. St. - 4 Gallons Kornbranntwein - 2 Pfd. St., so machen 2 Pfd. St. die verschiednen Waaren der Reihe nach cirkuliren, indem sie deren Preise der Reihe nach, also auch die Preis- summe von 8 Pfd. St., realisiren, um schließlich in der Hand des Destilla- teurs auszuruhn. Sie vollbringen vier Umläufe. Dieser wiederholte Stellen- 35 Wechsel derselben Geldstücke stellt den doppelten Formwechsel der Waare dar, ihre Bewegung durch zwei entgegengesetzte Cirkulationsstadien und die Verschlingung der Metamorphosen verschiedner Waaren 7 6). Die gegen- sätzlichen und einander ergänzenden Phasen, wodurch dieser Proceß ver- 7 6 ) «Ce sont les productions qui le (l'argent) mettent en mouvement et le font circuler ... La 40 célérité de son mouvement (se. de l'argent) supplée à sa quantité. Lorsqu'il en est besoin, il ne fait que glisser d'une main dans l'autre sans s'arrêter un instant.» (Le Trosne I.e. p.915, 916.) 111 Erster Abschnitt • Ware und Geld läuft, können nicht räumlich neben einander fallen, sondern nur zeitlich auf einander folgen. Zeitabschnitte bilden ||84| daher das Maß seiner Dauer, oder die Anzahl der Umläufe derselben Geldstücke in gegebner Zeit mißt die Geschwindigkeit des Geldumlaufs. Der Cirkulationsproceß jener vier Waaren dauere z.B. einen Tag. So beträgt die zu realisirende Preissumme: 8 Pfd. St., die Anzahl der Umläufe derselben Geldstücke wäh- rend des Tags: 4 und die Masse des cirkulirenden Geldes: 2 Pfd. St., oder für einen gegebnen Zeitabschnitt des Cirkulationsprocesses: 5 Preissumme der Waaren ^ r Λ Λ Λ . : t ^ . 1 x.. 1 — = Masse des als Circulations(cid:5) — — : — (cid:5) Ϊ t Umlaufsanzahl gleichnamiger Geldstucke mittel funktionirenden Geldes. Dies Gesetz gilt allgemein. Der Cirkula(cid:5) 10 tionsproceß eines Landes in einem gegebnen Zeitabschnitt umfaßt zwar einerseits viele zersplitterte, gleichzeitig und räumlich neben einander fal- lende Verkäufe (resp. Käufe) oder Theilmetamorphosen, worin dieselben Geldstücke nur einmal die Stelle wechseln oder nur einen Umlauf voll- ziehn, andrerseits viele theils neben einander herlaufende, theils sich in 15 einander verschlingende mehr oder minder gliederreiche Metamorphosen- reihen, worin dieselben Geldstücke mehr oder minder zahlreiche Umläufe zurücklegen. Die Gesammtzahl der Umläufe aller in Cirkulation befindli- chen gleichnamigen Geldstücke ergiebt jedoch die Durchschnittsanzahl der Umläufe des einzelnen Geldstücks oder die Durchschnittsgeschwindig- 20 keit des Geldumlaufs. Die Geldmasse, die bei Beginn z.B. des täglichen Cirkulationsprocesses in ihn hineingeworfen wird, ist natürlich bestimmt durch die Preissumme der gleichzeitig und räumlich neben einander cirku- lirenden Waaren. Aber innerhalb des Processes wird ein Geldstück so zu sagen für das andre verantwortlich gemacht. Beschleunigt das eine seine 25 Umlaufsgeschwindigkeit, so erlahmt die des andren, oder es fliegt ganz aus der Cirkulatiohssphäre heraus, da diese nur eine Goldmasse absorbiren kann, welche multiplicirt mit der mittlem Umlaufsanzahl ihres einzelnen Elements, gleich der zu realisirenden Preissumme ist. Wächst daher die Anzahl der Umläufe der Geldstücke, so nimmt ihre cirkulirende Masse ab. 30 Nimmt die Anzahl ihrer Umläufe ab, so wächst ihre Masse. Weil die Masse des Geldes, die als Cirkulationsmittel funktioniren kann, bei gegebner Durchschnittsgeschwindigkeit gegeben ist, hat man daher z.B. nur eine be- stimmte Quantität von Ein-Pfund-Noten in die Cirkulation hinein zu wer- fen, um eben so viele Sovereigns hinaus zu werfen, ein allen Banken wohl- 35 bekanntes Kunststück. Wie im Geldumlauf überhaupt nur der Cirkulationsproceß der Waaren, d.h. ihr Kreislauf durch entgegengesetzte Metamorphosen ||85| erscheint, so in der Geschwindigkeit des Geldumlaufs die Geschwindigkeit ihres Formwechsels, das continuirliche Ineinandergreifen der Metamorphosen- 40 112 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation reihen, die Hast des Stoffwechsels, das rasche Verschwinden der Waaren aus der Cirkulationssphäre und ihr ebenso rascher Ersatz durch neue Waa- ren. In der Geschwindigkeit des Geldumlaufs erscheint also die flüssige Einheit der entgegengesetzten und sich ergänzenden Phasen, Verwandlung 5 der Gebrauchsgestalt in Werthgestalt und Rückverwandlung der Werthge- stalt in Gebrauchsgestalt, oder der beiden Processe des Verkaufs und Kaufs. Umgekehrt erscheint in der Verlangsamung des Geldumlaufs die Trennung und gegensätzliche Verselbständigung dieser Processe, die Stok- kung des Formwechsels und daher des Stoffwechsels. Woher diese Stok- 10 kung entspringt, ist natürlich der Cirkulation selbst nicht anzusehn. Sie zeigt nur das Phänomen selbst. Der populären Anschauung, welche mit verlangsamtem Geldumlauf das Geld minder häufig auf allen Punkten der Cirkulationsperipherie erscheinen und verschwinden sieht, liegt es nah, das Phänomen aus mangelnder Quantität der Cirkulationsmittel zu deu- ten 7 7). 15 Das Gesammtquantum des in jedem Zeitabschnitt als Cirkulations-| 186|mittel funktionirenden Geldes ist also bestimmt einerseits durch die Preissumme der cirkulirenden Waarenwelt, andrerseits durch den langsa- meren oder rascheren Fluß ihrer gegensätzlichen Cirkulationsprocesse, von 20 dem es abhängt, der wievielte Theil jener Preissumme durch dieselben Geldstücke realisirt werden kann. Die Preissumme der Waaren hängt aber ab sowohl von der Masse als den Preisen jeder Waarenart. Die drei Fakto- ren: die Preisbewegung, die cirkulirende Waarenmasse, und endlich die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, können aber in verschiedner Rich- tung und verschiednen Verhältnissen wechseln, die zu realisirende Preis- 25 7 7 ) "Money being ... the common measure of buying and selling, every body who has any- thing to sell, and cannot procure chapmen for it, is presently apt to think, that want of money in the kingdom, or country, is the cause why his goods do not go off; and so, want of money is the common cry; which is a great mistake ... What do these people want, who cry out for mon- 30 ey? ... The Farmer complains ... he thinks that were more money in the country, he should have a price for his goods. Then it seems money is not his want, but a Price for his corn and cattle, which he would sell, but cannot... why cannot he get a price? ... 1) Either there is too much corn and cattle in the country, so that most who come to market have need of selling, as he has, and few of buying: or, 2) There wants the usual vent abroad by Transportation ... Or, 35 3) The consumption fails, as when men, by reason of poverty, do not spend so much in their houses as formerly they did, wherefore it is not the increase of specifick money, which would at all advance the farmer's goods, but the removal of any of these three causes, which do truly keep down the market. The merchant and shopkeeper want money in the same manner, that is, they want a vent for the goods they deal in, by reason that the markets fail ... a nation 40 never thrives better, than when riches are tost from hand to hand." (Sir Dudley North: „Dis- courses upon Trade. Lond. 1691", p. 11-15 passim.) Herrenschwands Schwindeleien kom- men alle darauf hinaus, daß die aus der Natur der Waare entspringenden und daher in der Waarencirkulation erscheinenden Widersprüche durch Vermehrung der Cirkulationsmittel beseitigt werden können. Aus der Volksillusion, welche Stockungen des Produktions- und Cir- 45 kulationsprocesses einem Mangel an Cirkulationsmitteln zuschreibt, folgt übrigens keines- wegs umgekehrt, daß wirklicher Mangel an Cirkulationsmitteln, z.B. in Folge officieller Pfu- schereien mit der ,,regulation of currency", nicht seinerseits Stockungen hervorrufen kann. 113 Erster Abschnitt • Ware und Geld summe, daher die durch sie bedingte Masse der Cirkulationsmittel, also sehr zahlreiche Kombinationen durchmachen. Wir zählen hier nur die in der Geschichte der Waarenpreise wichtigsten auf. Bei gleichbleibenden Waarenpreisen kann die Masse der Cirkulations- mittel wachsen, weil die Masse der cirkulirenden Waaren zunimmt oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes abnimmt, oder beides zusammen- wirkt. Die Masse der Cirkulationsmittel kann umgekehrt abnehmen mit abnehmender Waarenmasse oder zunehmender Cirkulationsgeschwindig- keit. 5 Bei allgemein steigenden Waarenpreisen kann die Masse der Cirkula- 10 tionsmittel gleichbleiben, wenn die Masse der cirkulirenden Waaren in demselben Verhältniß abnimmt, worin ihr Preis zunimmt, oder die Um- laufsgeschwindigkeit des Geldes eben so rasch zunimmt als die Preiserhö- hung, während die cirkulirende Waarenmasse konstant bleibt. Die Masse der Cirkulationsmittel kann fallen, weil die Waarenmasse rascher ab- oder 15 die Umlaufsgeschwindigkeit rascher zunimmt als die Preise. Bei allgemein fallenden Waarenpreisen kann die Masse der Cirkula- tionsmittel gleichbleiben, wenn die Waarenmasse in demselben Verhältniß wächst, worin ihr Preis fällt, oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes in demselben Verhältniß abnimmt wie die Preise. Sie kann wachsen, wenn 20 die Waarenmasse rascher wächst oder die Cirkulationsgeschwindigkeit ra- scher abnimmt als die Waarenpreise fallen. Die Variationen der verschiednen Faktoren können sich wechselseitig kompensiren, so daß ihrer beständigen Unstätigkeit zum Trotz die zu reali- sirende Gesammtsumme der Waarenpreise konstant bleibt, also auch die 25 cirkulirende Geldmasse. Man findet daher, namentlich bei Betrachtung et- was längerer Perioden, ein viel konstanteres Durchschnittsniveau der in j e - dem Lande cirkulirenden Geldmasse, und, mit Ausnahme starker Pertur- bationen, die periodisch aus den ||87| Produktions- und Handelskrisen, seltner aus einem Wechsel im Geldwerth selbst entspringen, viel geringere 30 Abweichungen von diesem Durchschnittsniveau als man nach dem Augen- schein erwarten sollte. Das Gesetz, daß die Quantität der Cirkulationsmittel bestimmt ist durch die Preissumme der cirkulirenden Waaren und die Durchschnittsgeschwin- digkeit des Geldumlaufs 7 8), kann auch so ausgedrückt werden, daß bei ge- 35 7 8 ) "There is a certain measure, and proportion of money requisite to drive the trade of a na- tion, more or less than which would prejudice the same. Just as there is a certain proportion of farthings necessary in a small retail Trade, to change silver money, and to even such reckon- ings as cannot be adjusted with the smallest silver pieces ... Now as the proportion of the number of farthings requisite in commerce is to be taken from the number of people, the fre- 40 quency of their exchanges, as also, and principally, from the value of the smallest silver pieces of money; so in like manner, the proportion of money (gold and silver specie) requisite to our 114 Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation gebner Werthsumme der Waaren und gegebner Durchschnittsgeschwindig- keit ihrer Metamorphosen, die Quantität des umlaufenden Geldes oder des Geldmaterials von seinem eignen Werth abhängt. Die Illusion, daß umge- kehrt die Waarenpreise durch die Masse der Cirkulationsmittel und letztre 5 ihrerseits durch die Masse des in einem Lande befindlichen Geldmaterials bestimmt werden 7 9), wurzelt bei ihren ursprünglichen ||88| Vertretern in der abgeschmackten Hypothese, daß Waaren ohne Preis und Geld ohne Werth in den Cirkulationsproceß eingehn, wo sich dann ein aliquoter Theil des Waarenbreis mit einem aliquoten Theil des Metallbergs austau- 10 sehe 8 0). 20 30 25 trade, is to be likewise taken from the frequency of commutations, and from the bigness of payments." (William Petty: „A Treatise of Taxes and Contributions. Lond. 1667", p. 17, 18.) Die Hume'sche Theorie ward gegen J. Steuart u.A. vertheidigt von A.Young in seiner ,,Politi- cal Arithmetic. Lond. 1774", wo ein eignes Kapitel: ,,Prices depend on quantity of money", 15 p. 112 sqq. Ich bemerke „Zur Kritik etc. p. 149": „Die Frage über die Quantität der cirkuliren- den Münze beseitigt er (A. Smith) stillschweigend, indem er das Geld ganz falsch als bloße Waare behandelt." Dies gilt nur, soweit A. Smith ex officio das Geld behandelt. Gelegentlich jedoch, z.B. in der Kritik der früheren Systeme der Pol. Oekon., spricht er das Richtige aus: "The quantity of coin in every country is regulated by the value of the commodities which are to be circulated by it ... The value of goods annually bought and sold in any country requires a certain quantity of money to circulate and distribute them to their proper consumers, and can give employment to no more. The channel of circulation necessarily draws to itself a sum sufficient to fill it, and never admits any more." (Wealth of Nations, l.IV. ch. I.) Aehnlich er- öffnet A. Smith sein Werk ex officio mit einer Apotheose der Theilung der Arbeit. Hinterher, im letzten Buch über die Quellen des Staatseinkommens, reproducirt er gelegentlich A.Fergu- son's, seines Lehrers, Denunciation der Theilung der Arbeit. 7 9 ) "The prices of things will certainly rise in every nation, as the gold and silver increase amongst the people; and, consequently, where the gold and silver decrease in any nation, the prices of all things must fall proportionably to such decrease of money." (Jacob Vanderlint: ,,Money answers all Things". Lond. 1734, p. 5.) Nähere Vergleichung zwischen Vanderlint und Hume's „Essays" läßt mir nicht den geringsten Zweifel, daß Hume V.'s übrigens bedeutende Schrift kannte und benutzte. Die Ansicht, daß die Masse der Cirkulationsmittel die Preise be- stimmt, auch bei Barbon und noch viel älteren Schriftstellern. "No inconvenience", sagt Van- derlint, "can arise by an unrestrained trade, but very great advantage; since, if the cash of the 35 nation be decreased by it, which prohibitions are designed to prevent, those nations that get the cash will certainly find every thing advance in price, as the cash increases amongst them. And ... our manufactures and every thing else, will soon become so moderate as to turn the balance of trade in our favour, and thereby fetch the money back again." (1. c. p. 43, 44.) 8 0 ) Daß jede einzelne Waarenart durch ihren Preis ein Element der Preissumme aller cirkuli- renden Waaren bildet, ist selbstverständlich. Wie aber unter einander inkommensurable Ge- brauchswerthe sich en masse mit der in einem Land befindlichen Gold- oder Silbermasse aus- tauschen sollen, ist völlig unbegreiflich. Verschwindelt man die Waarenwelt in eine einzige Gesammtwaare, wovon jede Waare nur einen aliquoten Theil bildet, so kommt das schöne Rechenexempel heraus: Gesammtwaare = χ Ctr. Gold, Waare A = aliquoter Theil der Ge(cid:5) sammtwaare = derselbe aliquote Theil von χ Ctr. Gold. Dies ehrlich heraus bei Montesquieu: «Si l'on compare la masse de l'or et de l'argent qui est dans le monde, avec la somme des marchandises qui y sont, il est certain que chaque denrée ou marchandise, en particulier, pourra être comparée à une certaine portion de l'autre. Supposons qu'il n'y ait qu'une seule denrée ou marchandise dans le monde, ou qu'il n'y ait qu'une seule qui s'achète, et qu'elle se 50 divise comme l'argent: cette partie de cette marchandise répondra à une partie de la masse de 40 45 115 Erster Abschnitt • Ware und Geld c) Die Münze. Das Werthzeichen. Aus der Funktion des Geldes als Cirkulationsmittel entspringt seine Münz- gestalt. Der in dem Preise oder Geldnamen der Waaren vorgestellte Ge- wichtstheil Gold muß ihnen in der Cirkulation als ||89| gleichnamiges Goldstück oder Münze gegenübertreten. Wie die Feststellung des Maß- 5 stabs der Preise, fällt das Geschäft der Münzung dem Staat anheim. In den verschiednen Nationaluniformen, die Gold und Silber als Münzen tragen, auf dem Weltmarkt aber wieder ausziehn, erscheint die Scheidung zwi- schen den innern oder nationalen Sphären der Waarencirkulation und ihrer allgemeinen Weltmarktssphäre. 10 Goldmünze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus aus nur durch die Figur, und das Gold ist beständig aus einer Form in die andre verwandelbar 8 1). Der Weg aus der Münze ist aber zugleich der Gang zum Schmelztiegel. Im Umlauf verschleißen nämlich die Goldmünzen, die eine mehr, die andre weniger. Goldtitel und Goldsubstanz, Nominalgehalt und 15 Realgehalt beginnen ihren Scheidungsproceß. Gleichnamige Goldmünzen l'argent; la moitié du total de l'une à la moitié du total de l'autre etc. ... l'établissement du prix des choses dépend toujours fondamentalement de la raison du total des choses au total des signes.» (Montesquieu, I.e. t.Ill, p. 12, 13.) Ueber die Weiterentwicklung dieser Theorie durch Ricardo, seinen Schüler James Mill, Lord Overstone u. s. w. vgl. „Zur Kritik u. s. w." 20 p. 140-146 u. p. 150 seqq. Herr J. St. Mill versteht es, mit der ihm geläufigen eklektischen Lo- gik, der Ansicht seines Vaters J. Mill und zugleich der entgegengesetzten zu sein. Vergleicht man den Text seines Compendiums: „Princ. of Pol. Econ." mit der Vorrede (erste Ausgabe), worin er sich selbst als Adam Smith der Gegenwart ankündet, so weiß man nicht, was mehr bewundern, die Naivetät des Mannes oder die des Publikums, das ihn auf Treu und Glauben 25 in den Kauf nahm als Adam Smith, zu dem er sich etwa verhält wie General Williams Kars von Kars zum Herzog von Wellington. Die weder umfangreichen noch gehaltreichen Original- forschungen des Herrn J. St. Mill im Gebiet der Pol. Oek. findet man alle in Reih' und Glied aufmarschirt in seinem 1844 erschienenen Schriftchen: ,,Some Unsettled Questions of Politi- cal Economy". Locke spricht direkt den Zusammenhang zwischen der Werthlosigkeit von 30 Gold und Silber und der Bestimmung ihres Werths durch Quantität aus. "Mankind having consented to put an imaginary value upon gold and silver ... the intrinsic value, regarded in these metals, is nothing but the quantity." ,,Some Considerations etc. 1691", Works, ed. 1777, vol.11, p. 15. 8 1 ) Es liegt natürlich ganz jenseits meines Zwecks, Details wie Schlagschatz u. dgl. zu behan- 35 dein. Gegenüber dem romantischen Sykophanten Adam Müller jedoch, der „die großartige Liberalität" bewundert, womit die „englische Regierung unentgeldlich münzt", folgendes Urtheil Sir Dudley North's: "Silver and gold, like other commodities, have their ebbings and flowings. Upon the arrival of quantities from Spain ... it is carried into the Tower, and coined. Not long after there will come a demand for bullion, to be exported again. If there is none, but 40 all happens to be in coin, what then? Melt it down again; there's no loss in it, for the coining costs the owner nothing. Thus the nation has been abused, and made to pay for the twisting of straw, for asses to eat. If the merchant (North war selbst einer der größten Kaufleute zu Charles II. Zeit) had to pay the price of the coinage, he would not have sent his silver to the Tower without consideration; and coined money would always keep a value above uncoined 45 silver." (North I.e. p. 18.) 116 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation 5 werden von ungleichem Werth, weil verschiednem Gewicht. Das Gold als Cirkulationsmittel weicht ab vom Gold als Maßstab der Preise, und hört damit auch auf, wirkliches Aequivalent der Waaren zu sein, deren Preise es realisirt. Die Geschichte dieser Wirren bildet die Münzgeschichte des Mit- telalters und der Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert. Die naturwüchsige Ten- denz des Cirkulationsprocesses, das Goldsein der Münze in Goldschein oder die Münze in ein Symbol ihres officiellen Metallgehalts zu verwan- deln, ist selbst anerkannt durch die modernsten Gesetze über den Grad des Metallverlustes, der ein Goldstück kursunfähig macht oder demonetisirt. 10 Wenn der Geldumlauf selbst den Realgehalt vom Nominalgehalt der Münze scheidet, ihr Metalldasein von ihrem funktionellen Dasein, so ent- hält er die Möglichkeit latent, das Metallgeld in seiner ||90| Münzfunktion durch Marken aus andrem Material oder Symbole zu ersetzen. Die techni- schen Hindernisse der Münzung ganz diminutiver Gewichtstheile des GoI- 15 des, resp. Silbers, und der Umstand, daß niedrigere Metalle ursprünglich statt der edleren, Silber statt des Goldes, Kupfer statt des Silbers, zum Werthmaß dienen und daher als Geld cirkuliren im Augenblick, wo das ed- lere Metall sie entthront, erklären historisch die Rolle von Silber- und Kupfermarken als Substituten der Goldmünze. Sie ersetzen das Gold in 20 den Kreisen der Waarencirkulation, worin die Münze am schnellsten cir- kulirt und sich daher am schnellsten abnutzt, d. h. wo Käufe und Verkäufe unaufhörlich im kleinsten Maßstab erneuert werden. Um die Festsetzung dieser Trabanten an der Stelle des Goldes selbst zu verhindern, werden ge- setzlich die sehr niedrigen Proportionen bestimmt, worin sie allein an Zah- lungsstatt für Gold angenommen werden müssen. Die besondren Kreise, worin die verschiednen Münzsorten umlaufen, laufen natürlich in einan- der. Die Scheidemünze erscheint neben dem Gold zur Zahlung von Bruch- theilen der kleinsten Goldmünze; das Gold tritt beständig in die Detailcir- kulation ein, wird aber durch Abwechslung mit Scheidemünze ebenso 25 30 beständig herausgeworfen 8 2). Der Metallgehalt der Silber- oder Kupfermarken ist willkürlich durch das Gesetz bestimmt. Im Umlauf verschleißen sie noch rascher als die Goldmünze. Ihre Münzfunktion wird daher faktisch durchaus unabhängig 35 40 8 2 ) "If silver never exceed what is wanted for the smaller payments, it cannot be collected in sufficient quantities for the larger payments .... the use of gold in the main payments neces- sarily implies also its use in the retail trade: those who have gold coins offering them for small purchases, and receiving with the commodity purchased a balance of silver in return; by which means the surplus of silver that would otherwise encumber the retail dealer, is drawn off and dispersed into general circulation. But if there is as much silver as will transact the small payments independent of gold, the retail dealer must then receive silver for small pur- chases; and it must of necessity accumulate in his hands." (David Buchanan: ,,Inquiry into the Taxation and Commercial Policy of Great Britain. Edinburgh 1844", p. 248, 249.) 117 Erster Abschnitt • Ware und Geld von ihrem Gewicht, d. h. von allem Werth. Das Münzdasein des Goldes scheidet sich völlig von seiner Werthsubstanz. Relativ werthlose Dinge, Pa- pierzettel, können also an seiner Statt als Münze funktioniren. In den me- tallischen Geldmarken ist der rein symbolische Charakter noch einigerma- ßen versteckt. Im Papiergeld tritt er augenscheinlich hervor. Man sieht: ce n'est que le premier pas qui coûte. 5 Es handelt sich hier nur von Staatspapiergeld mit Zwangskurs. ||91| Es wächst unmittelbar aus der metallischen Cirkulation heraus. Kreditgeld unterstellt dagegen Verhältnisse, die uns vom Standpunkt der einfachen Waarencirkulation noch durchaus unbekannt sind. Im Vorbeigehn sei j e - 10 doch bemerkt, daß, wie eigentliches Papiergeld aus der Funktion des Gel- des als Cirkulationsmittel entspringt, das Kreditgeld in der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel seine naturwüchsige Wurzel besitzt 8 3). 15 Papierzettel, denen Geldnamen, wie 1 Pfd. St., 5 Pfd. St. u. s.w. aufge- druckt sind, werden vom Staat äußerlich in den Cirkulationsproceß hinein- geworfen. Soweit sie wirklich an der Stelle der gleichnamigen Goldsumme cirkuliren, spiegeln sich in ihrer Bewegung nur die Gesetze des Geldum- laufs selbst wieder. Ein specifisches Gesetz der Papiercirkulation kann nur aus ihrem Repräsentationsverhältniß zum Gold entspringen. Und dieß Ge- setz ist einfach dies, daß die Ausgabe des Papiergelds auf die Quantität zu 20 beschränken ist, worin das von ihm symbolisch dargestellte Gold (resp. Sil- ber) wirklich cirkuliren müßte. Nun schwankt zwar das Goldquantum, wel- ches die Cirkulationssphäre absorbiren kann, beständig über oder unter ein gewisses Durchschnittsniveau. Jedoch sinkt die Masse des cirkulirenden Mediums in einem gegebnen Land nie unter ein gewisses Minimum, das sich erfahrungsmäßig feststellt. Daß diese Minimalmasse fortwährend ihre Bestandtheile wechselt, d. h. aus stets andren Goldstücken besteht, ändert natürlich nichts an ihrem Umfang und ihrem konstanten Umtrieb in der Cirkulationssphäre. Sie kann daher durch Papiersymbole ersetzt werden. Werden dagegen heute alle Cirkulationskanäle zum vollen Grad ihrer 30 25 8 3 ) Der Finanzmandarin Wan-mao-in ließ sich beigehn, dem Sohn des Himmels ein Projekt zu unterbreiten, welches versteckt auf Verwandlung der chinesischen Reichsassignaten in konvertible Banknoten hinzielte. Im Bericht des Assignaten-Komités vom April 1854 erhält er gehörig den Kopf gewaschen. Ob er auch die obligate Tracht Bambushiebe erhielt, wird nicht gemeldet. „Das Komité", lautet es am Schluß des Berichts, „hat sein Projekt aufmerksam er- 35 wogen und findet, daß alles in ihm auf den Vortheil der Kaufleute ausgeht und nichts für die Krone vortheilhaft ist." („Arbeiten der Kaiserlich Russischen Gesandtschaft zu Peking über China. Aus dem Russischen von Dr. C Abel und F. A. Mecklenburg. Erster Band. Berlin 1858", p. 47 sqq.) Ueber die beständige Entmetallung der Goldmünzen durch ihren Umlauf sagt ein ,,Governor" der Bank of England als Zeuge vor dem ,,House of Lords' Committee" (über „Bankacts"): „Jedes Jahr wird eine frische Klasse von Souverainen (dies nicht politisch, sondern der Sovereign ist Name des Pfd. St.) zu leicht. Die Klasse, welche das eine Jahr als vollwichtig passirt, verliert durch den Verschleiß hinreichend, um das nächste Jahr die Wag- schale gegen sich zu drehn." (H. o. Lords' Committee 1848, η. 429.) 40 118 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation Geldabsorptionsfâhigkeit mit Papier||92|geld gefüllt, so können sie in Folge der Schwankungen der Waarencirkulation morgen übervoll sein. Alles Maß geht verloren. Ueberschreitet aber das Papier sein Maß, d. h. die Quantität von Goldmünze gleicher Denomination, welche cirkuliren könnte, so stellt 5 es, von der Gefahr allgemeiner Diskreditirung abgesehn, innerhalb der Waarenwelt dennoch nur die durch ihre immanenten Gesetze bestimmte, also auch allein repräsentirbare Goldquantität vor. Stellt die Papierzettel- masse z . B . je 2 Unzen Gold statt je 1 Unze dar, so wird faktisch 1 Pfd. St. z.B. zum Geldnamen sage etwa von % Unze statt von % Unze. Die Wirkung ist dieselbe, als wäre das Gold in seiner Funktion als Maß der Preise verän- dert worden. Dieselben Werthe, die sich daher vorher im Preise von 1 Pfd. St., drücken sich jetzt im Preise von 2 Pfd. St. aus. 10 Das Papiergeld ist Goldzeichen oder Geldzeichen. Sein Verhältniß zu den Waarenwerthen besteht nur darin, daß sie ideell in denselben GoId- 15 quantis ausgedrückt sind, welche vom Papier symbolisch sinnlich darge- stellt werden. Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsentirt, die, wie alle andren Waarenquanta, auch Werthquanta, ist es Werthzeichen 8 4). Es fragt sich schließlich, warum das Gold durch bloße werthlose Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann? Es ist aber, wie man gesehn, nur so er- 20 setzbar, soweit es in seiner Funktion als Münze oder Cirkulationsmittel isolirt oder verselbständigt wird. Nun findet die Verselbständigung dieser Funktion zwar nicht für die einzelnen Goldmünzen statt, obgleich sie in dem Fortcirkuliren verschlissener Goldstücke erscheint. Bloße Münze oder Cirkulationsmittel sind die Goldstücke grade nur so lang sie sich wirklich im Umlauf befinden. Was aber nicht für die einzelne Goldmünze, gilt für die vom Papiergeld ersetzbare Minimalmasse Gold. Sie haust beständig in der CirkulationsSphäre, funktionirt fortwährend als Cirkulationsmittel und existirt daher ausschließlich als Träger ||93| dieser Funktion. Ihre Bewe- gung stellt also nur das fortwährende Ineinanderumschlagen der entgegen- 30 gesetzten Processe der Waarenmetamorphose W-G-W dar, worin der Waare ihre Werthgestalt nur gegenübertritt, um sofort wieder zu verschwin- 25 35 8 4 ) Note zur 2. Ausgabe. Wie unklar selbst die besten Schriftsteller über Geldwesen die ver- schiednen Funktionen des Geldes auffassen, zeigt z. B. folgende Stelle aus Fullarton: "That, as far as concerns our domestic exchanges, all the monetary functions which are usually per- formed by gold and silver coins, may be performed as effectually by a circulation of inconvert- ible notes, having no value but that factitious and conventional value they derive from the law, is a fact, which admits, I conceive, of no denial. Value of this description may be made to answer all the purposes of intrinsic value, and supersede even the necessity for a standard, provided only the quantity of issues be kept under due limitation." (Fullarton: „Regulation of 40 Currencies, 2. ed. London 1845", p.21.) Also weil die Geldwaare durch bloße Werthzeichen in der Cirkulation ersetzt werden kann, ist sie als Maß der Werthe und Maßstab der Preise über- flüssig! 119 Erster Abschnitt · Ware und Geld den. Die selbständige Darstellung des Tauschwerts der Waare ist hier nur flüchtiges Moment. Sofort wird sie wieder durch andre Waare ersetzt. Da- her genügt auch die bloß symbolische Existenz des Geldes in einem Pro- ceß, der es beständig aus einer Hand in die andre entfernt. Sein funktionel- les Dasein absorbirt so zu sagen sein materielles. Verschwindend objektivirter Reflex der Waarenpreise funktionirt es nur noch als Zeichen seiner selbst und kann daher auch durch Zeichen ersetzt werden 8 5). Nur bedarf das Zeichen des Geldes seiner eignen objektiv gesellschaftlichen Gültigkeit und diese erhält das Papiersymbol durch den Zwangskurs. Nur innerhalb der von den Grenzen eines Gemeinwesens umschriebnen oder 10 innern Cirkulationssphäre gilt dieser Staatszwang, aber auch nur hier geht das Geld völlig auf in seine Funktion als Cirkulationsmittel oder Münze, und kann daher im Papiergeld eine von seiner Metallsubstanz äußerlich getrennte und bloß funktionelle Existenzweise erhalten. 5 3. Geld. 15 Die Waare, welche als Werthmaß und daher auch, leiblich oder durch Stellvertreter, als Cirkulationsmittel funktionirt, ist Geld. Gold (resp. Sil- ber) ist daher Geld. Als Geld funktionirt es, einerseits wo es in seiner gold- nen (resp. silbernen) Leiblichkeit erscheinen muß, daher als Geldwaare, also weder bloß ideell, wie im Werthmaß, noch repräsentationsfähig, wie 20 im Cirkulationsmittel; andrerseits wo seine Funktion, ob es selbe nun in eigner Person oder durch Stellvertreter vollziehe, es als alleinige Werthge- stalt oder allein adäquates Dasein des Tauschwerths allen andren Waaren als bloßen Gebrauchswerthen gegenüber fixirt. a) Schatzbildung. 25 Der kontinuirliche Kreislauf der zwei entgegengesetzten Waarenmeta- morphosen oder der flüssige Umschlag von Verkauf und Kauf ||94| er- scheint im rastlosen Umlauf des Geldes oder seiner Funktion als perpe- 8 5 ) Daraus, daß Gold und Silber als Münze oder in der ausschließlichen Funktion als Cirkula- tionsmittel zu Zeichen ihrer selbst werden, leitet Nicholas Barbon das Recht der Regierungen her ,,to raise money", d.h., z.B. einem Quantum Silber, das Groschen hieß, den Namen eines größeren Silberquantums wie Thaler zu geben, und so den Gläubigern Groschen statt Thaler zurückzuzahlen. "Money does wear and grow lighter by often telling over ... It is the denomi- nation and currency of the money that men regard in bargaining, and not the quantity of sil- ver ... 'Tis the publick authority upon the metal that makes it money." (N.Barbon 1.c. p.29, 35 30, 25.) 30 120 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation tuum mobile der Cirkulation. Es wird immobilisirt, oder verwandelt sich, wie Boisguillebert sagt, aus meuble in immeuble, aus Münze in Geld, so- bald die Metamorphosenreihe unterbrochen, der Verkauf nicht durch nachfolgenden Kauf ergänzt wird. 5 Mit der ersten Entwicklung der Waarencirkulation selbst entwickelt sich die Nothwendigkeit und die Leidenschaft, das Produkt der ersten Meta- morphose, die verwandelte Gestalt der Waare oder ihre Goldpuppe festzu- halten 8 6). Waare wird verkauft, nicht um Waare zu kaufen, sondern um Waarenform durch Geldform zu ersetzen. Aus bloßer Vermittlung des 10 Stoffwechsels wird dieser Formwechsel zum Selbstzweck. Die entäußerte Gestalt der Waare wird verhindert als ihre absolut veräußerliche Gestalt oder nur verschwindende Geldform zu funktioniren. Das Geld versteinert damit zum Schatz, und der Waarenverkäufer wird Schatzbildner. Grade in den Anfängen der Waarencirkulation verwandelt sich nur der 15 Ueberschuß an Gebrauchswerthen in Geld. Gold und Silber werden so von selbst zu gesellschaftlichen Ausdrücken des Ueberflusses oder des Reich- thums. Diese naive Form der Schatzbildung verewigt sich bei Völkern, wo der traditionellen und auf Selbstbedarf gerichteten Produktionsweise ein fest abgeschloßner Kreis von Bedürfnissen entspricht. So bei den Asiaten, 20 namentlich den Indern. Vanderlint, der die Waarenpreise durch die Masse des in einem Land befindlichen Goldes und Silbers bestimmt wähnt, fragt sich, warum die indischen Waaren so wohlfeil? Antwort: Weil die Inder das Geld vergraben. Von 1 6 0 2 - 1 7 3 4 , bemerkt er, vergruben sie 150 Millio- nen Pfd. St. Silber, die ursprünglich von Amerika nach Europa kamen 8 7). 25 Von 1 8 5 6 - 1 8 6 6 , also in 10 Jahren, exportirte England nach Indien und China (das nach China exportirte Metall fließt großentheils wieder nach Indien) 120 Millionen Pfd. St. in Silber, welches vorher gegen australisches Gold eingewechselt wurde. Mit mehr entwickelter Waarenproduktion muß jeder Waarenproducent sich den nexus rerum, das „gesellschaftliche Faustpfand" ||95| sichern 8 8). Seine Bedürfnisse erneuern sich unaufhörlich und gebieten unaufhörli- chen Kauf fremder Waare, während Produktion und Verkauf seiner eignen Waare Zeit kosten und von Zufällen abhängen. Um zu kaufen, ohne zu verkaufen, muß er vorher verkauft haben, ohne zu kaufen. Diese Opera- tion, auf allgemeiner Stufenleiter ausgeführt, scheint sich selbst zu wider- 30 35 8 6 ) «Une richesse en argent n'est que ... richesse en productions, converties en argent.» (Mer- cier de la Rivière 1. c. p. 573.) «Une valeur en productions n'a fait que changer de forme.» (ib. p. 486.) 8 7 ) "'Tis by this practice they keep all their goods and manufactures at such low rates." (Van- 40 derlint 1. c. p. 95, 96.) 8 8 ) "Money is a pledge." (John Beilers: „Essays about the Poor, Manufactures, Trade, Planta- tions, and Immorality. Lond. 1699", p. 13.) 121 Erster Abschnitt • Ware und Geld 5 sprechen. An ihren Produktionsquellen jedoch tauschen sich die edlen Me- talle direkt mit andren Waaren aus. Es findet hier Verkauf (auf Seite der Waarenbesitzer) ohne Kauf (auf Seite der Gold- und Silberbesitzer) statt 8 9). Und spätere Verkäufe ohne nachfolgende Käufe vermitteln bloß die weitere Vertheilung der edlen Metalle unter alle Waarenbesitzer. So entstehn auf allen Punkten des Verkehrs Gold- und Silberschätze vom ver- schiedensten Umfang. Mit der Möglichkeit, die Waare als Tauschwerth oder den Tauschwerth als Waare festzuhalten, erwacht die Goldgier. Mit der Ausdehnung der Waarencirkulation wächst die Macht des Geldes, der stets schlagfertigen, absolut gesellschaftlichen Form des Reichthums. 10 „Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von allem, was er wünscht. Durch Gold kann man sogar Seelen in das Paradies gelan- gen lassen." (Columbus, im Brief aus Jamaica, 1503.) Da dem Geld nicht anzusehn, was in es verwandelt ist, verwandelt sich alles, Waare oder nicht, in Geld. Alles wird verkäuflich und kaufbar. Die Cirkulation wird die große 15 gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkrystall wie- der herauszukommen. Dieser Alchymie widerstehn nicht einmal Heiligen- knochen und noch viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra com- mercium hominum 9 0). Wie im Geld aller qualitative Unterschied der Waaren ausgelöscht ist, löscht es seinerseits als radikaler Leveller alle Un- 20 terschiede aus 9 1). Das ||96| Geld ist aber selbst Waare, ein äußerlich Ding, das Privateigenthum eines Jeden werden kann. Die gesellschaftliche Macht 8 9 ) Kauf im kategorischen Sinn unterstellt nämlich Gold oder Silber schon als verwandelte Gestalt der Waare, oder als Produkt des Verkaufs. 9 0 ) Heinrich III., allerchristlichster König von Frankreich, raubt Klöstern u. s. w. ihre ReIi- 25 quien, um sie zu versilbern. Man weiß, welche Rolle der Raub der delphischen Tempelschätze durch die Phokäer in der griechischen Geschichte spielt. Dem Gott der Waaren dienten bei den Alten bekanntlich die Tempel zum Wohnsitz. Sie waren „heilige Banken". Den Phöni- ziern, einem Handelsvolke par excellence, galt Geld als die entäußerte Gestalt aller Dinge. Es war daher in der Ordnung, daß die Jungfrauen, die sich an den Festen der Liebesgöttin den 30 Fremden hingaben, das zum Lohn empfangene Geldstück der Göttin opferten. 9 1 ) "Gold! yellow, glittering precious gold! Thus much of this, will make black white; foul, fair; Wrong, right; base, noble; old, young; coward, valiant. What this, you gods! Why this Will lug your priests and servants from your sides; Pluck stout men's pillows from below their heads. This yellow slave Will knit and break religions; bless the accurs'd; Make the hoar leprosy ador'd; place thieves And give them title, knee and approbation With senators of the bench; this is it, That makes the wappen'd widow wed again Come damned earth, Thou common whore of mankind." (Shakespeare, Timon of Athens.) 35 40 45 122 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation wird so zur Privatmacht der Privatperson. Die antike Gesellschaft denun- cirt es daher als die Scheidemünze ihrer ökonomischen und sittlichen Ord- nung 9 2). Die moderne Gesellschaft, die schon in ihren Kinderjahren den Plutus an den Haaren aus den Eingeweiden der Erde herauszieht 9 3), be- 5 grüßt im Goldgral die glänzende Inkarnation ihres eigensten Lebensprin- cips. Die Waare als Gebrauchswerth befriedigt ein besondres Bedürfniß und bildet ein besondres Element des stofflichen Reichthums. Aber der Werth der Waare mißt den Grad ihrer Attraktionskraft auf alle Elemente des 10 stofflichen Reichthums, daher den gesellschaftlichen Reichthum ihres Be- sitzers. Dem barbarisch einfachen Waarenbesitzer, selbst einem westeuro- päischen Bauer, ist der Werth unzertrennlich von der Werthform, Vermeh- rung des Gold- und Silberschatzes daher Werthvermehrung. Allerdings wechselt der Werth des Geldes, sei es in Folge seines eignen Werthwech- 15 sels, sei es des Werthwechsels der Waaren. Dies verhindert aber einerseits nicht, daß 200 Unzen Gold nach wie vor mehr Werth enthalten als 100, 300 mehr als 200 u. s. w., noch andrerseits daß die metallne Naturalform dieses Dings die allgemeine Aequivalentform aller Waaren bleibt, die un- mittelbar gesellschaftliche Inkarnation aller menschlichen Arbeit. Der 20 Trieb der Schatzbildung ist von Natur maßlos. Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d. h. allgemeiner Reprä||971sentant des stofflichen Reichthums, weil in jede Waare unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen 25 der quantitativen Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akku- mulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit jedem neuen Land nur eine neue Grenze erobert. Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatzbil- 30 dung, muß es verhindert werden zu cirkuliren oder als Kaufmittel sich in Genußmittel aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem Evangelium der Entsagung. Andrerseits kann er der Cirkulation nur in Geld entziehn, was er ihr in 35 40 9 2 ) ,,Ουδέν γαρ άνθρώποισιν oiov άργυρος Κακόν νόμισμα εβλαστε' τούτο και πόλεις Πορθεί, τόδ' άνδρας έξανίστησιν δόμων. Τόδ' έκδιδάσκει και παραλλάσσει φρένας Χρηστας προς αισχρά πφάγμαθ' ϊστασθαι βροτών. Πανουργίας δ' εδειξεν άνθρώποις εχειν, Και παντός έργου δυσσέβειαν είδέναι." 9 3 ) ,,Έλπιζούσης της πλεονεξίας άνάξειν εκ των μυχών της γης αυτόν τον Πλούτωνα." (Athen. Deipnos.) (Sophokles, Antigone.) 123 Erster Abschnitt · Ware und Geld Waare gibt. Je mehr er producirt, desto mehr kann er verkaufen. Arbeit- samkeit, Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kardinaltugenden, viel verkaufen, wenig kaufen, die Summe seiner politischen Oekonomie 9 4). Neben der unmittelbaren Form des Schatzes läuft seine ästhetische Form, der Besitz von Gold- und Silberwaaren. Er wächst mit dem Reich- thum der bürgerlichen Gesellschaft. «Soyons riches ou paraissons riches.» (Diderot.) Es bildet sich so theils ein stets ausgedehnterer Markt für Gold und Silber, unabhängig von ihren Geldfunktionen, theils eine latente Zu- fuhrquelle des Geldes, die namentlich in gesellschaftlichen Sturmperioden fließt. 5 10 Die Schatzbildung erfüllt verschiedne Funktionen in der Oekonomie der metallischen Cirkulation. Die nächste Funktion entspringt aus den Um- laufsbedingungen der Gold- oder Silbermünze. Man hat gesehn, wie mit den beständigen Schwankungen der Waarencirkulation in Umfang, Preisen und Geschwindigkeit die Umlaufsmasse des Geldes rastlos ebbt und flu- 15 thet. Sie muß also der Kontraktion und Expansion fähig sein. Bald muß Geld als Münze attrahirt, bald Münze als Geld repellirt werden. Damit die wirklich umlaufende Geldmasse dem Sättigungsgrad der Cirkulations- sphäre stets entspreche, muß das in einem Lande befindliche Gold- oder Silberquantum größer sein als das in Münzfunktion begriffene. Diese Be- 20 dingung wird erfüllt durch die Schatzform des Geldes. Die Schatzreser- voirs dienen zugleich als ||98| Abfuhr- und Zufuhrkanäle des cirkulirenden Geldes, welches seine Umlaufskanäle daher nie überfüllt 9 5). 9 4 ) «Accrescere quanto più si può il numero de' venditori d'ogni merce, diminuire quanto più si può il numero dei compratori, questi sono i cardini sui quali si raggirano tutte le operazioni 25 di economia politica.» (Verri I.e. p.52, 53.) 9 5 ) "There is required for carrying on the trade of the nation, a determinate sum of specifick Money, which varies, and is sometimes more, sometimes less, as the circumstances we are in require .... This ebbing and flowing of money, supplies and accommodates itself, without any aid of Politicians .... The buckets work alternately; when money is scarce, bullion is coined; 30 when bullion is scarce, money is melted." (Sir D.North I.e. [Postscript] p.III.) John Stuart Mill, lange Zeit Beamter der ostindischen Kompagnie, bestätigt, daß in Indien immer noch der Silberschmuck unmittelbar als Schatz funktionirt. Die ,,silver ornaments are brought out and coined when there is a high rate of interest, and go back again when the rate of interest falls". (J. St. Mill's Evidence. Repts. on Bankacts 1857, n.2084, 2101.) Nach einem parlamen- 35 tarischen Dokument von 1864 über Gold- und Silber-Import und Export in Indien, überstieg 1863 der Import von Gold und Silber den Export um 19 367 764 Pfd. St. In den letzten 8 Jah- ren vor 1864 betrug der Excess des Imports über den Export der edlen Metalle 109 652 917 Pfd. St. Während dieses Jahrhunderts wurden weit über 200 000 000 Pfd. St. in In- dien gemünzt. 40 124 Drittes Kapitel · Das Geld oder die Warenzirkulation b) Zahlungsmittel. In der bisher betrachteten unmittelbaren Form der Waarencirkulation war dieselbe Werthgröße stets doppelt vorhanden, Waare auf dem einen Pol, Geld auf dem Gegenpol. Die Waarenbesitzer traten daher nur in Kontakt 5 als Repräsentanten wechselseitig vorhandner Aequivalente. Mit der Ent- wicklung der Waarencirkulation entwickeln sich jedoch Verhältnisse, wo- durch die Veräußerung der Waare von der Realisirung ihres Preises zeit- lich getrennt wird. Es genügt die einfachsten dieser Verhältnisse hier anzudeuten. Die eine Waarenart erheischt längere, die andere kürzere 10 Zeitdauer zu ihrer Produktion. Die Produktion verschiedner Waaren ist an verschiedne Jahreszeiten geknüpft. Die eine Waare wird auf ihrem Markt- platz geboren, die andre muß zu entferntem Markt reisen. Der eine Waa- renbesitzer kann daher als Verkäufer auftreten, bevor der andre als Käufer. Bei steter Wiederkehr derselben Transaktionen unter denselben Personen regeln sich die Verkaufsbedingungen der Waaren nach ihren Produktions- bedingungen. Andrerseits wird die Benutzung gewisser Waarenarten, z . B . eines Hauses, für einen bestimmten Zeitraum verkauft. Erst nach Ablauf des Termins hat der Käufer den Gebrauchswerth der Waare wirklich erhal- ten. Er kauft sie daher, bevor er sie zahlt. Der eine Waarenbesitzer verkauft 20 vorhandne Waare, der andre kauft als bloßer Repräsentant von Geld oder als Repräsentant von künftigem Gelde. Der Verkäufer wird Gläubiger, der Käufer Schuldner. Da die Metamorphose der Waare oder die Entwick-| |99|lung ihrer Werthform sich hier verändert, erhält auch das Geld eine andre Funktion. Es wird Zahlungsmittel 9 6). 15 25 30 35 Der Charakter von Gläubiger oder Schuldner entspringt hier aus der ein- fachen Waarencirkulation. Ihre Formveränderung drückt dem Verkäufer und Käufer diese neuen Stempel auf. Zunächst also sind es ebenso ver- schwindende und wechselweis von denselben Cirkulationsagenten ge- spielte Rollen wie die von Verkäufer und Käufer. Jedoch sieht der Gegen- satz ist größerer !Crystallisation fähig 9 7). Dieselben Charaktere können aber auch von der Waarencirkulation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der antiken Welt z . B . bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes zwischen jetzt von Haus aus minder gemüthlich aus und 9 6 ) Luther unterscheidet zwischen Geld als Kaufmittel und Zahlungsmittel. „Machest mir einen Zwilling aus dem Schadewacht, das ich hie nicht bezalen und dort nicht kauffen kann." (Martin Luther: „An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen. Wittemberg 1540".) 9 7 ) Ueber die Schuldner- und Gläubigerverhältnisse unter den englischen Handelsleuten An- fang des 18. Jahrhunderts: "Such a spirit of cruelty reigns here in England among the men of trade, that is not to be met with in any other society of men, nor in any other kingdom of the 40 world." („An Essay on Credit and the Bankrupt Act, Lond. 1707", p. 2.) 125 Erster Abschnitt • Ware und Geld Gläubiger und Schuldner, und endet in Rom mit dem Untergang des ple- bejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüßt. Indeß spiegelt die Geldform - und das Verhältniß von Gläubiger und Schuldner besitzt die Form eines Geldverhältnisses - hier nur den Antagonismus tiefer liegen- der ökonomischer Lebensbedingungen wieder. 5 Kehren wir zur Sphäre der Waarencirkulation zurück. Die gleichzeitige Erscheinung der Aequivalente Waare und Geld auf den beiden Polen des Verkaufsprocesses hat aufgehört. Das Geld funktionirt jetzt erstens als 10 Werthmaß in der Preisbestimmung der verkauften Waare. Ihr kontraktlich festgesetzter Preis mißt die Obligation des Käufers, d. h. die Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktionirt zweitens als ide- elles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geldversprechen des Käufers existirt, bewirkt es den Händewechsel der Waare. Erst am fälligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel wirklich in Cirkulation, d.h. geht aus der Hand des Käufers in die des Verkäufers über. Das Cirkulationsmittel verwandelte sich in Schatz, weil der Cirkulationsproceß mit der ersten Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der Waare der Cirkulation entzogen wurde. Das ||100| Zahlungsmittel tritt in die Cirkulation hinein, aber nachdem die 20 Waare bereits aus ihr ausgetreten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den Proceß. Es schließt ihn selbständig ab, als absolutes Dasein des Tausch- werths oder allgemeine Waare. Der Verkäufer verwandelte Waare in Geld, um ein Bedürfniß durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die Waare in Geldform zu präserviren, der schuldige Käufer, um zahlen zu 25 können. Zahlt er nicht, so finden Zwangsverkäufe seiner Habe statt. Die Werthgestalt der Waare, Geld, wird also jetzt zum Selbstzweck des Ver- kaufs durch eine den Verhältnissen des Cirkulationsprocesses selbst ent- springende, gesellschaftliche Nothwendigkeit. 15 Der Käufer verwandelt Geld zurück in Waare, bevor er Waare in Geld 30 verwandelt hat, oder vollzieht die zweite Waarenmetamorphose vor der er- sten. Die Waare des Verkäufers cirkulirt, realisirt ihren Preis aber nur in einem privatrechtlichen Titel auf Geld. Sie verwandelt sich in Gebrauchs- werth, bevor sie sich in Geld verwandelt hat. Die Vollziehung ihrer ersten Metamorphose folgt erst nachträglich 9 8). 35 9 8 ) Note zur 2. Ausg. Aus folgendem, meiner 1859 erschienenen Schrift entlehnten Citat wird man sehn, warum ich im Text keine Rücksicht nehme auf eine entgegengesetzte Form: „Um- gekehrt kann im Proceß G-W das Geld als wirkliches Kaufmittel entäußert und der Preis der Waare so realisirt werden, ehe der Gebrauchswerth des Geldes realisirt oder die. Waare veräu- ßert wird. Dieß findet z. B. statt in der alltäglichen Form der Pränumeration. Oder in der 40 Form, worin die englische Regierung das Opium der Ryots in Indien kauft. So wirkt jedoch das Geld nur in der schon bekannten Form des Kaufmittels .... Kapital wird natürlich auch in 126 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation In jedem bestimmten Zeitabschnitt des Cirkulationsprocesses repräsenti- ren die fälligen Obligationen die Preissumme der Waaren, deren Verkauf sie hervorrief. Die zur Realisirung dieser Preissumme nöthige Geldmasse hängt zunächst ab von der Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel. 5 Sie ist bedingt durch zwei Umstände: die Verkettung der Verhältnisse von Gläubiger und Schuldner, so daß A, der Geld von seinem Schuldner B er- hält, es an seinen Gläubiger C fortzahlt u. s. w. - und die Zeitlänge zwi- schen den verschiednen Zahlungsterminen. Die processirende Kette von Zahlungen oder nachträglichen ersten Metamorphosen unterscheidet sich 10 wesentlich von der früher betrachteten Verschlingung der Metamorphosen- reihen. Im Umlauf des Cirkulationsmittels wird der Zusammenhang zwi- schen Verkäufern und Käufern nicht nur ausgedrückt. Der Zusammenhang selbst entsteht erst ||101| in und mit dem Geldumlauf. Dagegen drückt die Bewegung des Zahlungsmittels einen schon vor ihr fertig vorhandnen ge- 15 sellschaftlichen Zusammenhang aus. Gleichzeitigkeit und Nebeneinander der Verkäufe beschränken den Er- satz der Münzmasse durch Umlaufsgeschwindigkeit. Sie bilden umgekehrt einen neuen Hebel in der Oekonomie der Zahlungsmittel. Mit der Koncen- tration der Zahlungen an demselben Platz entwickeln sich naturwüchsig 20 eigne Anstalten und Methoden ihrer Ausgleichung. So z . B . die virements im mittelaltrigen Lyon. Die Schuldforderungen von A an Β, B an C, C an A u. s. w. brauchen bloß konfrontirt zu werden, um sich wechselseitig bis zu einem gewissen Belauf als positive und negative Größen aufzuheben. So bleibt nur eine Schuldbilanz zu saldiren. Je massenhafter die Koncentra- tion der Zahlungen, desto kleiner relativ die Bilanz, also die Masse der cir- kulirenden Zahlungsmittel. 25 30 Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schließt einen unvermittel- ten Widerspruch ein. So weit sich die Zahlungen ausgleichen, funktionirt es nur ideell als Rechengeld oder Maß der Werthe. Soweit wirkliche Zah- lung zu verrichten, tritt es nicht als Cirkulationsmittel auf, als nur ver- schwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die in- dividuelle Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbständiges Dasein des Tauschwerths, absolute Waare. Dieser Widerspruch eklatirt in dem Moment der Produktions- und Handelskrisen, der Geldkrise h e i ß t " ) . Sie 35 ereignet sich nur, wo die processirende Kette der Zahlungen und ein künst- der Form des Geldes avancirt ... Dieser Gesichtspunkt fällt aber nicht in den Horizont der einfachen Cirkulation." (Zur Kritik etc. p. 119, 120.) ") Die Geldkrise, wie im Text bestimmt als besondre Phase jeder allgemeinen Produktions- und Handelskrise, ist wohl zu unterscheiden von der speciellen Sorte der Krise, die man auch 40 Geldkrise nennt, die aber selbständig auftreten kann, sodaß sie auf Industrie und Handel nur rückschlagend wirkt. Es sind dieß Krisen, deren Bewegungscentrum das Geld-Kapital ist, und daher Bank, Börse, Finanz ihre unmittelbare Sphäre. (Note von M. zur 3. Aufl.) 127 Erster Abschnitt • Ware und Geld liches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind. Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer entspringen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen Ge- stalt des Rechengeldes in hartes Geld. Es wird unersetzlich durch profane Waaren. Der Gebrauchswerth der Waare wird werthlos und ihr Werth ver- schwindet vor seiner eignen Werthform. Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur die Waare ist Geld. Nur das Geld ist Waare! gellt's jetzt über den | 11021 Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichthum 1 0 0). In der Krise wird der 10 Gegensatz zwischen der Waare und ihrer Werthgestalt, dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungsform des Geldes ist hier daher auch gleichgültig. Die Geldhungersnoth bleibt dieselbe, ob in Gold oder Kreditgeld, Banknoten etwa, zu zahlen i s t 1 0 1 ) . 5 Betrachten wir nun die Gesammtsumme des in einem gegebnen Zeitab- 15 schnitt umlaufenden Geldes, so ist sie, bei gegebner Umlaufsgeschwindig- keit der Cirkulations- und Zahlungsmittel, gleich der Summe der zu reali- sirenden Waarenpreise plus der Summe der fälligen Zahlungen, minus der sich ausgleichenden Zahlungen, minus endlich der Anzahl Umläufe, worin dasselbe Geldstück abwechselnd bald als Cirkulations-, bald als Zahlungs- 20 mittel funktionirt. Z . B . der Bauer verkauft sein Getreide für 2 Pfd. St., die so als Cirkulationsmittel dienen. Am Verfalltag zahlt er damit Leinwand, die ihm der Weber geliefert hat. Dieselben 2 Pfd. St. funktioniren jetzt als Zahlungsmittel. Der Weber kauft nun eine Bibel gegen baar, - sie funktio- niren von Neuem als Cirkulationsmittel - u.s.w. Selbst Preise, Geschwin- 25 digkeit des Geldumlaufs, und Oekonomie der Zahlungen gegeben, decken sich daher nicht länger die während einer Periode, eines Tags z.B., umlau- fende Geldmasse und cirkulirende Waarenmasse. Es läuft Geld um, das 1 0°) „Dieses plötzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetarsystem fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Cirkulationsagenten schaudern vor 30 dem undurchdringlichen Geheimniß ihrer eignen Verhältnisse." (Karl Marx I.e. p. 126.) "The Poor stand still, because the Rich have no Money to employ them, though they have the same land and hands to provide victuals and cloaths, as ever they had; which is the true Riches of a Nation, and not the Money." (John Bellers: ,,Proposals for raising a Colledge of Industry. Lond. 1696", p. 3, 4.) 1 0 1 ) Wie solche Momente von den ,,amis du commerce" ausgebeutet werden: "On one occa- sion (1839) an old grasping banker (der City) in his private room raised the lid of the desk he sat over, and displayed to a friend rolls of banknotes, saying with intense glee there were 600 000 £ of them, they were held to make money tight, and would all be let out after three o'clock on the same day." (,,The Theory of the Exchanges. The Bank Charter Act of 1844. 40 Lond. 1864", p. 81.) Das halboffîcielle Organ, ,,The Observer", bemerkt am 24. April 1864: "Some very curious rumours are current of the means which have been resorted to in order to create a scarcity of Banknotes ... Questionable as it would seem, to suppose that any trick of the kind would be adopted, the report has been so universal that it really deserves mention." 35 128 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation der Cirkulation längst entzogne Waaren repräsentirt. Es laufen Waaren um, deren Geldäquivalent erst in der Zukunft erscheint. Andrer]1103 |seits sind die jeden Tag kontrahirten und die denselben Tag fälligen Zahlungen durchaus inkommensurable G r ö ß e n 1 0 2 ) . 5 Das Kreditgeld entspringt unmittelbar aus der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel, indem Schuldcertifikate für die verkauften Waaren selbst wieder zur Uebertragung der Schuldforderungen cirkuliren. Andrerseits, wie sich das Kreditwesen ausdehnt, so die Funktion des Geldes als Zah- lungsmittel. Als solches erhält es eigne Existenzformen, worin es die 10 Sphäre der großen Handelstransaktionen behaust, während die Gold- oder Silbermünze hauptsächlich in die Sphäre des Kleinhandels zurückgedrängt wird 1 0 3). B e i gewissem Höhegrad und Umfang der Waarenproduktion greift die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel über die Sphäre der Waarencirku- 15 lation hinaus. Es wird die allgemeine Waare der Kontrakte 1 0 4). Renten, 20 1 0 2 ) "The amount of sales or contracts entered upon during the course of any given day, will not affect the quantity of money afloat on that particular day, but, in the vast majority of cases, will resolve themselves into multifarious drafts upon the quantity of money which may be afloat at subsequent dates more or less distant ... The bills granted or credits opened, to day, need have no resemblance whatever, either in quantity, amount or duration, to those granted or entered upon to-morrow or next day; nay, many of to-day's bills and credits, when due, fall in with a mass of liabilities whose origins traverse a range of antecedent dates alto- gether indefinite, bills at 12, 6, 3 months or 1 often aggregating together to swell the common liabilities of one particular day." (,,The Currency Theory Reviewed; a letter to the Scotch peo- 25 pie. By a Banker in England. Edinburgh 1845", p. 29, 30 passim.) 1 0 3 ) Als Beispiel wie wenig reelles Geld in die eigentlichen Handelsoperationen eingeht, folgt hier das Schema eines der größten Londoner Handelshäuser (Morrison, Dillon & Co.) über seine jährlichen Geldeinnahmen und Zahlungen. Seine Transaktionen im Jahr 1856, die viele Millionen Pf. St. umfassen, sind auf den Maßstab einer Million verkürzt. 30 Einnahmen. Ausgaben. Wechsel von Banquiers und Kaufleuten nach Datum zahlbar: Cheques von Banquiers etc. bei Sicht zahlbar: Landbank-Noten: Noten der Bank von England: Gold: Silber und Kupfer: Post Office Orders: Totalsumme: Wechsel nach Datum zahlbar: Pf. St. 302 674 Pf. St. 533 596 357715 Cheques auf Londoner Banquiers: 9627 Noten der Bank von England: » 55 55 55 Pf. St. 68 554 Gold: 28089 1486 933 1000000 Totalsumme: Silber und Kupfer: » » » 663 672 22 743 9 427 1484 Pf. St. 1000 000 (Report from the Select Committee on the Bankacts. July 1858, p. LXXL) 45 1 0 4 ) "The Course of Trade being thus turned, from exchanging of goods for goods, or deliver- ing and taking, to selling and paying, all the bargains .... are now stated upon the foot of a Price in Money." („An Essay upon Publick Credit. 3. ed. Lond. 1710", p. 8.) 129 Erster Abschnitt • Ware und Geld Steuern u.s.w. verwandeln sich aus ||104| Naturallieferungen in Geldzah- lungen. Wie sehr diese Umwandlung durch die Gesammtgestalt des Pro- duktionsprocesses bedingt wird, beweist z . B . der zweimal gescheiterte Ver- such des römischen Kaiserreichs alle Abgaben in Geld zu erheben. Das ungeheure Elend des französischen Landvolks unter Ludwig X I V . , das Boisguillebert, Marschall Vauban u. s. w. so beredt denunciren, war nicht nur der Steuerhöhe geschuldet, sondern auch der Verwandlung von Natu- ralsteuer in Geldsteuer 1 0 5)- Wenn andrerseits die Naturalform der Grund- rente, in Asien zugleich das Hauptelement der Staatssteuer, dort auf Pro- duktionsverhältnissen beruht, welche sich mit der Unwandelbarkeit von 10 Naturverhältnissen reproduciren, erhält jene Zahlungsform rückwirkend die alte Produktionsform. Sie bildet eines der Selbsterhaltungsgeheimnisse des türkischen Reichs. Zieht der durch Europa aufoctroyirte auswärtige Handel in Japan die Verwandlung von Naturairente in Geldrente nach sich, so ist es um seine musterhafte Agrikultur geschehn. Ihre engen öko- 15 nomischen Existenzbedingungen werden sich auflösen. 5 In jedem Land setzen sich gewisse allgemeine Zahlungstermine fest. Sie beruhn theilweis, von andren Cirkelläufen der Reproduktion abgesehn, auf den an Wechsel der Jahreszeit gebundnen Naturbedingungen der Produk- tion. Sie regeln ebenso Zahlungen, die nicht direkt der Waarencirkulation 20 entspringen, wie Steuern, Renten u.s.w. Die Geldmasse, die zu diesen über die ganze Oberfläche der Gesellschaft zersplitterten Zahlungen an gewis- sen Tagen des Jahres erheischt ist, verursacht periodische, aber ganz ober- flächliche Perturbationen in der Oekonomie der Zahlungsmittel 1 0 6). Aus dem Gesetz über die Umlaufsgeschwindigkeit der ||105| Zahlungsmittel 25 1 0 5 ) «L'argent est devenu le bourreau de toutes les choses.» Die Finanzkunst ist das ,,alambic qui a fait évaporer une quantité effroyable de biens et de denrées pour faire ce fatal précis". «L'argent déclare la guerre à tout le genre humain.» (Boisguillebert: „Dissertation sur la na- ture des richesses, de l'argent et des tributs", édit. Daire, ,,Économistes financiers". Paris 1843, 1.1, p. 413, 419, 417, 418.) 1 0 6 ) „Pfingstmontag 1824", erzählt Herr Craig dem parlamentarischen Untersuchungscomité von 1826, „war eine solche ungeheure Nachfrage für Banknoten in Edinburg, daß wir um 11 Uhr keine einzige Note mehr in unsrem Verwahrsam hatten. Wir sandten der Reihe nach zu den verschiednen Banken um welche zu borgen, konnten aber keine erhalten, und viele Transaktionen konnten nur durch slips of paper berichtigt werden. Um 3 Uhr Nachmittags je- 35 doch waren bereits sämmtliche Noten returnirt zu den Banken, von denen sie ausliefen. Sie hatten nur die Hände gewechselt." „Obgleich die effektive Durchschnittscirkulation der Bank- noten in Schottland weniger als 3 Mill. Pf. St. beträgt, wird dennoch, an verschiednen Zah- lungsterminen im Jahr, jede im Besitz der Banquiers befindliche Note,.alles in allem ungefähr 7 Mill. Pf. St., in Aktivität gerufen. Bei diesen Gelegenheiten haben die Noten eine einzige 40 und specifische Funktion zu vollziehen und sobald sie vollzogen, fließen sie zu den respekti- ven Banken zurück, von denen sie ausliefen." (John Fullarton: „Regulation of Currencies. 2nd ed. Lond. 1845" p.86, 87 Nte.) Zum Verständniß ist hinzuzufügen, daß in Schottland zur Zeit von Fullarton's Schrift nicht cheques, sondern nur Noten für die Deposits ausgegeben wurden. 45 30 130 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation folgt, daß für alle periodischen Zahlungen, welches immer ihre Quelle, die nothwendige Masse der Zahlungsmittel in umgekehrtem Verhältniß zur Länge der Zahlungsperioden steht 1 0 7). 5 Die Entwicklung des Geldes als Zahlungsmittel ernöthigt Geldakkumu- lationen für die Verfalltermine der geschuldeten Summen. Während die Schatzbildung als selbständige Bereicherungsform verschwindet mit dem Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft, wächst sie umgekehrt mit dem- selben in der Form von Reservefonds der Zahlungsmittel. c) Weltgeld. 10 Mit dem Austritt aus der innern Cirkulationssphäre streift das Geld die dort aufschießenden Lokalformen von Maßstab der Preise, Münze, Schei- demünze und Werthzeichen wieder ab und fällt in die ursprüngliche Bar- renform der edlen Metalle zurück. Im Welthandel entfalten die Waaren ihren Werth universell. Ihre selbständige Werthgestalt tritt ihnen daher 15 hier auch gegenüber als Weltgeld. Erst auf dem Weltmarkt funktionirt das Geld in vollem Umfang als die Waare, deren Naturalform zugleich unmit- telbar gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit in abstracto ist. Seine Daseinsweise wird seinem Begriff adäquat. In der innern Cirkulationssphäre kann nur eine Waare zum Werthmaß 20 und daher als Geld dienen. Auf dem Weltmarkt herrscht doppeltes Werth- maß, Gold und Silber 1 0 8). | 1 0 7 ) Auf die Frage „if there were occasion to raise 40 millions p. a., whether the same 6 mil- lions (Gold) would suffice for such revolutions and circulations thereof as trade requires?", antwortet Petty mit seiner gewohnten Meisterschaft: "I answer yes: for the expense being 25 40 millions, if the revolutions were in such short circles, viz. weekly, as happens among poor artizans and labourers, who receive and pay every Saturday, then 4% 2 parts of 1 million of mon- ey would answer these ends; but if the circles be quarterly, according to our custom of paying rent, and gathering taxes, then 10 millions were requisite. Wherefore supposing payments in general to be of a mixed circle between one week and 13, then add 10 millions to 4% 2, the half 30 of the which will be 5½, so as if we have 5% mill., we have enough." (William Petty: ,,Political Anatomy of Ireland. 1672", edit. Lond. 1691, p. 13, 14.) 1 0 8 ) Daher die Abgeschmacktheit jeder Gesetzgebung, die den Nationalbanken vorschreibt, nur das edle Metall aufzuschatzen, das im Innern des Landes als Geld funktionirt. Die so selbstgeschaffnen „holden Hindernisse" der Bank von England z.B. sind bekannt. Ueber die 35 großen historischen Epochen des relativen Werthwechsels von Gold und Silber sieh Karl Marx I.e. p. 136 sq. Zusatz zur 2.Ausgabe: Sir Robert Peel suchte in seinem Bankact von 1844 dem Mißstand dadurch abzuhelfen, daß er der Bank von England erlaubte, Noten auf Silber- bullion auszugeben, so daß jedoch der Silbervorrath nie mehr als ein Viertel des Goldvor- raths. Der Silberwerth wird dabei geschätzt nach seinem Marktpreis (in Gold) auf dem Londo- 40 ner Markt. (Zur 4. Auflage. - Wir befinden uns wieder in einer Epoche starken relativen Werthwechsels von Gold und Silber. Vor etwa 25 Jahren war das Werthverhältniß des Goldes zum Silber = 15½ : 1, jetzt ist es ungefähr = 22 : 1 , und Silber fällt noch fortwährend gegen Gold. Dieß ist wesentlich Folge einer Umwälzung in der Produktionsweise beider Metalle. 131 Erster Abschnitt • Ware und Geld 11061 Das Weltgeld funktionirt als allgemeines Zahlungsmittel, allgemei- nes Kaufmittel und absolut gesellschaftliche Materiatur des Reichthums überhaupt (universal wealth). Die Funktion als Zahlungsmittel, zur Aus- gleichung internationaler Bilanzen, herrscht vor. Daher das Losungswort des Merkantilsystems - Handelsbilanz 1 0 9)! Zum internationalen Kaufmit- tel dienen Gold und Silber ||107| wesentlich, so oft das herkömmliche Gleichgewicht des Stoffwechsels zwischen verschiednen Nationen plötz- lich gestört wird. Endlich als absolut gesellschaftliche Materiatur des 5 15 Früher wurde Gold fast nur durch Auswaschen goldhaltiger Alluvialschichten, der Verwitte- rungsprodukte goldhaltiger Gesteine, gewonnen. Jetzt reicht diese Methode nicht mehr aus 10 und ist in den Hintergrund gedrängt durch die früher nur in zweiter Linie betriebne, obwohl schon den Alten (Diodor III, 12-14) wohlbekannte Bearbeitung der goldhaltigen Quarzgänge selbst. Andrerseits wurden nicht nur im Westen der amerikanischen Felsengebirge ungeheure neue Silberlager entdeckt, sondern diese und die mexikanischen Silbergruben durch Eisen- bahnen erschlossen, die Zufuhr von moderner Maschinerie und von Brennstoff, und dadurch Silbergewinnung auf größtem Maßstab und mit geringeren Kosten ermöglicht. Es besteht aber ein großer Unterschied in der Art, wie beide Metalle in den Erzgängen vorkommen. Das Gold ist meist gediegen, aber dafür in winzig kleinen Mengen im Quarz zerstreut; die ganze Gang- art muß daher zerstampft und das Gold ausgewaschen, resp. durch Quecksilber ausgezogen werden. Auf 1000 000 Gramm Quarz kommt dann oft kaum 1-3, sehr selten 30-60 Gramm 20 Gold. Silber kommt selten gediegen, dafür aber in eignen, verhältnißmäßig leicht von der Gangart zu trennenden Erzen vor, die meist von 40-90 Procent Silber enthalten; oder aber es ist in geringeren Mengen enthalten in den, an sich schon Bearbeitung lohnenden Erzen von Kupfer, Blei etc. Schon hieraus geht hervor, daß, während die Produktionsarbeit des Goldes sich eher vermehrt, die des Silbers sich entschieden vermindert hat, der Werthfall des letztren 25 sich also ganz natürlich erklärt. Dieser Werthfall würde sich in noch größrem Preisfall aus- drücken, würde nicht der Silberpreis auch jetzt noch durch künstliche Mittel hoch gehalten. Die Silberschätze von Amerika sind aber erst zum kleinen Theil zugänglich gemacht, und so ist alle Aussicht vorhanden, daß der Silberwerth noch längere Zeit am Sinken bleibt. Hierzu muß noch mehr beitragen die relative Abnahme des Silberbedarfs für Gebrauchs- und Luxus- 30 artikel, sein Ersatz durch plättirte Waaren, Aluminium etc. Danach ermesse man den Utopis- mus der bimetallistischen Vorstellung, ein internationaler Zwangskurs werde das Silber auf das alte Werthverhältniß von 1:15½ wieder hinaufschrauben. Eher dürfte das Silber auch auf dem Weltmarkt seine Geldqualität mehr und mehr einbüßen. - F. E.) 1 0 9 ) Die Gegner des Merkantilsystems, welches die Saldirung überschüssiger Handelsbilanz 35 durch Gold und Silber als Zweck des Welthandels behandelte, verkannten ihrerseits durchaus die Funktion des Weltgeldes. Wie die falsche Auffassung der Gesetze, welche die Masse der Cirkulationsmittel regeln, sich in der falschen Auffassung der internationalen Bewegung der edlen Metalle nur wiederspiegelt, habe ich ausführlich an Ricardo nachgewiesen (1. c. p. 150 sqq.) Sein falsches Dogma: "An unfavourable balance of trade never arises but from a redun- 40 dant currency ... The exportation of the coin is caused by its cheapness, and is not the effect, but the cause of an unfavourable balance" findet man daher schon bei Barbon: "The Balance of Trade, if there be one, is not the cause of sending away the money out of a nation: but that proceeds from the difference of the value of Bullion in every country." (N. Barbon I.e. p. 59.) MacCulloch in ,,The Literature of Political Economy, a classified catalogue. Lond. 1845" be- 45 lobt Barbon für diese Anticipation, vermeidet aber wohlweislich die naiven Formen, worin bei B. die absurden Voraussetzungen des „currency principle" noch erscheinen, auch nur zu er- wähnen. Die Kritiklosigkeit und selbst Unehrlichkeit jenes Katalogs gipfeln in den Abschnit- ten über die Geschichte der Geldtheorie, weil MacCulloch hier als Sykophant des Lord Over- stone (ex-banker Loyd), den er ,,facile prineeps argentariorum" nennt, schwanzwedelt. 50 132 Drittes Kapitel • Das Geld oder die Warenzirkulation Reichthums, wo es sich weder um Kauf noch Zahlung handelt, sondern um Uebertragung des Reichthums von einem Land zum andren, und wo diese Uebertragung in Waarenform entweder durch die Konjunkturen des Waa- renmarkts oder den zu erfüllenden Zweck selbst ausgeschlossen wird 1 1 0). 5 Wie für seine innere Cirkulation, braucht jedes Land für die Weltmarkts- cirkulation einen Reservefonds. Die Funktionen der Schätze entspringen also theils aus der Funktion des Geldes als inneres Cirkulations- und Zah- lungsmittel, theils aus seiner Funktion als W e l t g e l d 1 1 0 a ) . In der letzteren Rolle ist stets die wirkliche Geldwaare, leibhaftes Gold und Silber, er- 10 heischt, weßwegen James Steuart Gold und Silber, im Unterschied von ihren nur lokalen Stellvertretern, ausdrücklich als money of the world cha- rakterisirt. Die Bewegung des Gold- und S üb er Stroms ist eine doppelte. Einerseits wälzt er sich von seinen Quellen über den ganzen Weltmarkt, wo er von 15 den verschiednen nationalen Cirkulationssphären in verschiednem Um- fang abgefangen wird, um in ihre inneren Umlaufskanäle einzugehn, ver- schlissene Gold- und Silbermünzen zu ersetzen, das Material von Luxus- waaren zu liefern und zu Schätzen ||108| zu erstarren 1 1 1). Diese erste Bewegung ist vermittelt durch direkten Austausch der in Waaren realisir- ten Nationalarbeiten mit der in edlen Metallen realisirten Arbeit der Gold und Silber producirenden Länder. Andrerseits laufen Gold und Silber fort- während hin und her zwischen den verschiednen nationalen Cirkulations- sphären, eine Bewegung, die den unaufhörlichen Oscillationen des Wech- selkurses folgt 1 1 2). 20 25 Länder entwickelter bürgerlicher Produktion beschränken die in Bankre- servoirs massenhaft koncentrirten Schätze auf das zu ihren specifîschen 35 n o ) Z.B. bei Subsidien, Geldanleihen zur Kriegführung oder zur Wiederaufnahme der Baar- zahlungen von Banken u. s. w. kann Werth grade in der Geldform erheischt sein. 1 1 0 a ) Note zur 2. Ausgabe. "I would desire, indeed, no more convincing evidence of the com- 30 petency of the machinery of the hoards in specie-paying countries to perform every necessary office of international adjustment, without any sensible aid from the general circulation, than the facility with which France, when but just recovering from the shock of a destructive for- eign invasion, completed within the space of 27 months the payment of her forced contribu- tion of nearly 20 millions to the allied powers, and a considerable proportion of that sum in specie, without perceptible contraction or derangement of her domestic currency, or even any alarming fluctuation of her exchange." (Fullarton 1. c. p. 141.) (Zur 4. Auflage. - Ein noch schlagenderes Beispiel haben wir in der Leichtigkeit, womit dasselbe Frankreich 1871-73 in 30 Monaten eine mehr als zehnfach größere Kriegsentschädigung, ebenfalls zum bedeuten- den Theil in Metallgeld, abzutragen im Stande war. - F. E.) m) «L'argent se partage entre les nations relativement au besoin qu'elles en ont ... étant tou- jours attiré par les productions.» (Le Trosne I.e. p.916.) "The mines which are continually giv- ing gold and silver, do give sufficient to supply such a needful balance to every nation." (J. Vanderlint 1. c. p. 40.) 1 1 2 ) "Exchanges rise and fall every week, and at some particular times in the year run high 40 45 against a nation, and at other times run as high on the contrary." (N. Barbon 1. c. p. 39.) 133 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital Funktionen erheischte Minimum 1 1 3). Mit gewisser Ausnahme zeigt auffal- lendes Ueberfüllen der Schatzreservoirs über ihr Durchschnittsniveau Stockung der Waarencirkulation an oder unterbrochenen Fluß der Waa- renmetamorphose 1 1 4). | |109| Z W E I T E R A B S C H N I T T . 5 Die Vejwandlung von Geld in Kapital V I E R T E S K A P I T E L . Verwandlung von Geld in Kapital. 1. Die allgemeine Formel des Kapitals. Die Waarencirkulation ist der Ausgangspunkt des Kapitals. Waarenpro- 10 duktion und entwickelte Waarencirkulation, Handel, bilden die histori- schen Voraussetzungen, unter denen es entsteht. Welthandel und Welt- markt eröffnen im 16. Jahrhundert die moderne Lebensgeschichte des Kapitals. Sehn wir ab vom stofflichen Inhalt der Waarencirkulation, vom Aus- 15 tausch der verschiednen Gebrauchswerthe, und betrachten wir nur die öko- nomischen Formen, die dieser Proceß erzeugt, so finden wir als sein letztes Produkt das Geld. Dies letzte Produkt der Waarencirkulation ist die erste Erscheinungsform des Kapitals. Historisch tritt das Kapital dem Grundeigenthum überall zunächst in 20 der Form von Geld gegenüber, als Geldvermögen, Kaufmannskapital und 1 1 3 ) Diese verschiednen Funktionen können in gefährlichen Konflikt gerathen, sobald die Funktion eines Konversionsfonds für Banknoten hinzutritt. 1 1 4 ) "What money is more than of absolute necessity for a Home Trade, is dead stock, and brings no profit to that country it's kept in, but as it is transported in Trade, as well as im- 25 ported." (John Bellers 1. c. p. 13.) "What if we have too much coin? We may melt down the heaviest and turn it into the splendour of plate, vessels or utensils of gold and silver; or send it out as a commodity, where the same is wanted or desired; or let it out at interest, where inter- est is high." (W.Petty: „Quantulumcunque", p. 39.) "Money is but the fat of the Body Politick, whereof too much does as often hinder its agility, as too little makes it sick ... as fat lubricates 30 the motion of the muscles, feeds in want of victuals, fills up uneven cavities, and beautifies the body; so doth money in the state quicken its action, feeds from abroad in time of dearth at home; evens accounts ... and beautifies the whole; although", ironisch abschließend, "more especially the particular persons that have it in plenty." (W. Petty: ,,Political anatomy of Ire- land" p. 14, 15.) 35 134 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital Wucherkapital 1). Jedoch bedarf es nicht des Rückblicks auf die Entste- hungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine erste Erscheinungs- form zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt täglich vor unsren Augen. J e - des neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d. h. den Markt, 5 Waarenmarkt, Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das sich durch bestimmte Processe in Kapital verwandeln soll. Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunächst nur durch ihre verschiedne Cirkulationsform. Die unmittelbare Form der Waarencirkulation ist W-G-W, Verwandlung 10 von Waare in Geld und Rückverwandlung von Geld in Waare, verkaufen um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, specifisch unterschiedne vor, die Form G-W-G, Verwandlung von Geld in Waare und Rückver| 11101Wandlung von Waare in Geld, kaufen um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre Cirkulation beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und ist schon seiner Bestimmung nach Kapi- tal. 15 Sehn wir uns die Cirkulation G-W-G näher an. Sie durchläuft, gleich der einfachen Waarencirkulation, zwei entgegengesetzte Phasen. In der ersten Phase, G-W, Kauf, wird das Geld in Waare verwandelt. In der zweiten 20 Phase, W-G 5 Verkauf, wird die Waare in Geld rückverwandelt. Die Einheit beider Phasen aber ist die Gesammtbewegung, welche Geld gegen Waare und dieselbe Waare wieder gegen Geld austauscht, Waare kauft um sie zu verkaufen, oder wenn man die formellen Unterschiede von Kauf und Ver- kauf vernachlässigt, mit dem Geld Waare und mit der Waare Geld kauft 2). 25 Das Resultat, worin der ganze Proceß erlischt, ist Austausch von Geld ge- gen Geld, G-G. Wenn ich für 100 Pfd. St. 2000 Pfd. Baumwolle kaufe und die 2000 Pfd. Baumwolle wieder für 110 Pfd. St. verkaufe, so habe ich schließlich 100 Pfd. St. gegen 110 Pfd. St. ausgetauscht, Geld gegen Geld. Es ist nun zwar augenscheinlich, daß der Cirkulationsproceß G-W-G ab- 30 geschmackt und inhaltlos wäre, wollte man vermittelst seines Umwegs den- selben Geldwerth gegen denselben Geldwerth, also z . B . 100 Pfd. St. gegen 100 Pfd. St. austauschen. Ungleich einfacher und sichrer bliebe die Me- thode des Schatzbildners, der seine 100 Pfd. St. festhält, statt sie der Cirku- lationsgefahr preiszugeben. Andrerseits, ob der Kaufmann die mit 100 Pfd. 35 St. gekaufte Baumwolle wieder verkauft zu 110 Pfd. St., oder ob er sie zu 100 Pfd. St. und selbst zu 50 Pfd. St. losschlagen muß, unter allen Umstän- 1J Der Gegensatz zwischen der auf persönlichen Knechtschafts- und Herrschaftsverhältnissen beruhenden Macht des Grundeigenthums und der unpersönlichen Macht des Geldes ist klar gefaßt in den zwei französischen Sprichworten: «Nulle terre sans seigneur.» «L'argent n'a pas 40 de maître.» 2) «Avec de l'argent on achète des marchandises, et avec des marchandises on achète de l'ar- gent.» (Mercier de la Rivière: ,,L'ordre naturel et essentiel des sociétés politiques", p. 543.) 135 Zweiter Abschnitt · Die Verwandlung von Geld in Kapital den hat sein Geld eine eigentümliche und originelle Bewegung beschrie- ben, durchaus andrer Art als in der einfachen Waarencirkulation, z.B. in der Hand des Bauern, der Korn verkauft und mit dem so gelösten Geld Kleider kauft. Es gilt also zunächst die Charakteristik der Formunter- schiede zwischen den Kreisläufen G-W-G und W-G-W. Damit wird sich zugleich der inhaltliche Unterschied ergeben, der hinter diesen Formunter- schieden lauert. Sehn wir zunächst, was beiden Formen gemeinsam. Beide Kreisläufe zerfallen in dieselben zwei entgegengesetzten Phasen, W-G, Verkauf, und G-W, Kauf. In jeder der b e i | | l l l | d e n Phasen stehn sich dieselben zwei sachlichen Elemente gegenüber, Waare und Geld, - und zwei Personen in denselben ökonomischen Charaktermasken, ein Käufer und ein Verkäufer. Jeder der beiden Kreisläufe ist die Einheit derselben entgegengesetzten Phasen und beidemal wird diese Einheit vermittelt durch das Auftreten von drei Kontrahenten, wovon der eine nur verkauft, der andre nur kauft, der dritte aber abwechselnd kauft und verkauft. Was jedoch die beiden Kreisläufe W-G-W und G-W-G von vornherein scheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge derselben entgegengesetzten Cir- kulationsphasen. Die einfache Waarencirkulation beginnt mit dem Ver- kauf und endet mit dem Kauf, die Cirkulation des Geldes als Kapital be- ginnt mit dem Kauf und endet mit dem Verkauf. Dort bildet die Waare, hier das Geld den Ausgangspunkt und Schlußpunkt der Bewegung. In der ersten Form vermittelt das Geld, in der andren umgekehrt die Waare den Gesammtverlauf. In der Cirkulation W-G-W wird das Geld schließlich in Waare verwan- delt, die als Gebrauchswerth dient. Das Geld ist also definitiv ausgegeben. In der umgekehrten Form G-W-G giebt der Käufer dagegen Geld aus, um als Verkäufer Geld einzunehmen. Er wirft, beim Kauf der Waare, Geld in die Cirkulation, um es ihr wieder zu entziehn durch den Verkauf derselben Waare. Er entläßt das Geld nur mit der hinterlistigen Absicht, seiner wie- der habhaft zu werden. Es wird daher nur vorgeschossen 3). In der Form W-G-W wechselt dasselbe Geldstück zweimal die Stelle. Der Verkäufer erhält es vom Käufer und zahlt es weg an einen andren Ver- käufer. Der Gesammtproceß, der mit der Einnahme von Geld für Waare beginnt, schließt ab mit der Weggabe von Geld für Waare. Umgekehrt in der Form G-W-G. Nicht dasselbe Geldstück wechselt hier zweimal die Stelle, sondern dieselbe Waare. Der Käufer erhält sie aus der Hand des Verkäufers und giebt sie weg in die Hand eines andren Käufers. Wie in der 3) "When a thing is bought, in order to be sold again, the sum employed is called money ad- vanced; when it is bought not to be sold, it may be said to be expended." (James Steuart: „Works etc. edited by General Sir James Steuart, his son". Lond. 1805, v. I, p. 274.) 136 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital einfachen Waarencirkulation der zweimalige Stellenwechsel desselben Geldstücks sein definitives Uebergehn aus einer Hand in die andre be- wirkt, so hier der zweimalige ||112| Stellenwechsel derselben Waare den Rückfluß des Geldes zu seinem ersten Ausgangspunkt. 5 Der Rückfluß des Geldes zu seinem Ausgangspunkt hängt nicht davon ab, ob die Waare theurer verkauft wird als sie gekauft war. Dieser Umstand beeinflußt nur die Größe der rückfließenden Geldsumme. Das Phänomen des Rückflusses selbst findet statt, sobald die gekaufte Waare wieder ver- kauft, also der Kreislauf G-W-G vollständig beschrieben wird. Es ist dieß 10 also ein sinnlich wahrnehmbarer Unterschied zwischen der Cirkulation des Geldes als Kapital und seiner Cirkulation als bloßem Geld. Der Kreislauf W-G-W ist vollständig zurückgelegt, sobald der Verkauf einer Waare Geld bringt, welches der Kauf andrer Waare wieder entzieht. Erfolgt dennoch Rückfluß des Geldes zu seinem Ausgangspunkt, so nur 15 durch die Erneuerung oder Wiederholung des ganzen Kursus. Wenn ich ein Quarter Korn verkaufe für 3 Pfd. St. und mit diesen 3 Pfd. St. Kleider kaufe, sind die 3 Pfd. St. für mich definitiv verausgabt. Ich habe nichts mehr mit ihnen zu schaffen. Sie sind des Kleiderhändlers. Verkaufe ich nun ein zweites Quarter Korn, so fließt Geld zu mir zurück, aber nicht in 20 Folge der ersten Transaktion, sondern nur in Folge ihrer Wiederholung. Es entfernt sich wieder von mir, sobald ich die zweite Transaktion zu Ende führe und von neuem kaufe. In der Cirkulation W-G-W hat also die Ver- ausgabung des Geldes nichts mit seinem Rückfluß zu schaffen. In G-W-G dagegen ist der Rückfluß des Geldes durch die Art seiner Verausgabung selbst bedingt. Ohne diesen Rückfluß ist die Operation mißglückt oder der Proceß unterbrochen und noch nicht fertig, weil seine zweite Phase, der den Kauf ergänzende und abschließende Verkauf fehlt. 25 Der Kreislauf W-G-W geht aus von dem Extrem einer Waare und schließt ab mit dem Extrem einer andren Waare, die aus der Cirkulation 30 heraus und der Konsumtion anheimfällt. Konsumtion, Befriedigung von Bedürfnissen, mit einem Wort, Gebrauchswerth ist daher sein Endzweck. Der Kreislauf G-W-G geht dagegen aus von dem Extrem des Geldes und kehrt schließlich zurück zu demselben Extrem. Sein treibendes Motiv und bestimmender Zweck ist daher der Tauschwerth selbst. 35 In der einfachen Waarencirkulation haben beide Extreme dieselbe öko- nomische Form. Sie sind beide Waare. Sie sind auch Waaren von dersel- ben Werthgröße. Aber sie sind qualitativ verschiedne Gebrauchswerthe, z.B. Korn und Kleider. Der Pro111131duktenaustausch, der Wechsel der ver- schiednen Stoffe, worin sich die gesellschaftliche Arbeit darstellt, bildet 40 hier den Inhalt der Bewegung. Anders in der Cirkulation G-W-G. Sie scheint auf den ersten Blick inhaltslos, weil tautologisch. Beide Extreme 137 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital 5 haben dieselbe ökonomische Form. Sie sind beide Geld, also keine quali- tativ unterschiedne Gebrauchswerthe, denn Geld ist eben die verwandelte Gestalt der Waaren, worin ihre besondren Gebrauchswerthe ausgelöscht sind. Erst 100 Pfd. St. gegen Baumwolle und dann wieder dieselbe Baum- wolle gegen 100 Pfd. St. austauschen, also auf einem Umweg Geld gegen Geld, dasselbe gegen dasselbe, scheint eine ebenso zwecklose als abge- schmackte Operation 4). Eine Geldsumme kann sich von der andren Geld- summe überhaupt nur durch ihre Größe unterscheiden. Der Proceß G- W - G schuldet seinen Inhalt daher keinem qualitativen Unterschied seiner Extreme, denn sie sind beide Geld, sondern nur ihrer quantitativen Ver- 10 schiedenheit. Schließlich wird der Cirkulation mehr Geld entzogen als An- fangs hineingeworfen ward. Die zu 100 Pfd. St. gekaufte Baumwolle wird z . B . wieder verkauft zu 100 + 10 Pfd. St. oder 110 Pfd. St. Die vollständige Form dieses Processes ist daher G-W-G', wo G' = G + AG, d. h. gleich der ursprünglich vorgeschossenen Geldsumme plus einem Inkrement. Dieses 15 Inkrement oder den Ueberschuß über den ursprünglichen Werth nenne ich - Mehrwerth (surplus value). Der ursprünglich vor||114|geschoßne Werth erhält sich daher nicht nur in der Cirkulation, sondern in ihr verän- dert er seine Werthgröße, setzt einen Mehrwerth zu, oder verwerthet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital. 20 Es ist zwar auch möglich, daß in W-G-W die beiden Extreme, W, W, z. B. Korn und Kleider, quantitativ verschiedne Werthgrößen sind. Der Bauer kann sein Korn über dem Werth verkaufen oder die Kleider unter ihrem Werth kaufen. Er kann seinerseits vom Kleiderhändler geprellt wer- den. Solche Werthverschiedenheit bleibt jedoch für diese Cirkulationsform 25 selbst rein zufällig. Sinn und Verstand verliert sie nicht schier, wie der Pro- 4) «On n'échange pas de l'argent contre de l'argent,» ruft Mercier de la Rivière den Merkanti- listen zu. (I.e. p.486.) In einem Werke, welches ex professo vom „Handel" und der „Spekula- tion" handelt, liest man: „Aller Handel besteht im Austausch von Dingen verschiedner Art; und der Vortheil (für den Kaufmann?) entspringt eben aus dieser Verschiedenheit. Ein Pfund 30 Brod gegen ein Pfund Brod austauschen, wäre ohne allen Vortheil ... daher der vorteilhafte Kontrast zwischen Handel und Spiel, welches nur Austausch von Geld gegen Geld ist." (Th. Corbet: „An Inquiry into the Causes and Modes of the Wealth of Individuals; or the Principles of Trade and Speculation explained. London, 1841", p. 5.) Obgleich Cobet nicht sieht, daß G-G, Geld gegen Geld austauschen, die charakteristische Cirkulationsform, nicht 35 nur des Handelskapitals, sondern alles Kapitals ist, giebt er wenigstens zu, daß diese Form einer Art des Handels, der Spekulation, mit dem Spiel gemein sei, aber dann kommt MacCul- loch und findet, daß Kaufen um zu verkaufen Spekuliren ist, und der Unterschied zwischen Spekulation und Handel also wegfällt. "Every transaction in which an individual buys pro- duce in order to sell it again, is, in fact, a speculation." (Mac Culloch: A Dictionary practical 40 etc. of Commerce. London 1847, p. 1058.) Ungleich naiver Pinto, der Pindar der Amsterdamer Börse: «Le commerce est un jeu (dieser Satz entlehnt aus Locke), et ce n'est pas avec des gueux qu'on peut gagner. Si l'on gagnait long-temps en tout avec tous, il faudrait rendre de bon accord les plus grandes parties du profit, pour recommencer le jeu.» (Pinto: Traité de la Circulation et du Crédit. Amsterdam, 1771, p. 231.) 45 138 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital ceß G-W-G 5 wenn die beiden Extreme, Korn und Kleider z. B . , Aequiva- lente sind. Ihr Gleichwerth ist hier vielmehr Bedingung des normalen Ver- laufs. 10 15 Die Wiederholung oder Erneuerung des Verkaufs um zu kaufen findet, 5 wie dieser Proceß selbst, Maß und Ziel an einem außer ihm liegenden End- zwecke, der Konsumtion, der Befriedigung bestimmter Bedürfnisse. Im Kauf für den Verkauf dagegen sind Anfang und Ende dasselbe, Geld, Tauschwerth, und schon dadurch ist die Bewegung endlos. Allerdings ist aus G, G + AG geworden, aus den 100 Pfd. St., 100 + 10. Aber bloß quali- tativ betrachtet, sind 110 Pfd. St. dasselbe wie 100 Pfd. St., nämlich Geld. Und quantitativ betrachtet, sind 110 Pfd. St. eine beschränkte Werth- summe wie 100 Pfd. St. Würden die 110 Pfd. St. als Geld verausgabt, so fie- len sie aus ihrer Rolle. Sie hörten auf Kapital zu sein. Der Cirkulation ent- zogen, versteinern sie zum Schatz und kein Farthing wächst ihnen an, ob sie bis zum jüngsten Tage fortlagern. Handelt es sich also einmal um Ver- werthung des Werths, so besteht dasselbe Bedürfniß für die Verwerthung von 110 Pfd. St. wie für die von 100 Pfd. St., da beide beschränkte Aus- drücke des Tauschwerths sind, beide also denselben Beruf haben sich dem Reichthum schlechthin durch Größenausdehnung anzunähern. Zwar un- terscheidet sich für einen Augenblick der ursprünglich vorgeschossene Werth 100 Pfd. St. von dem in der Cirkulation ihm zuwachsenden Mehr- werth von 10 Pfd. St., aber dieser Unterschied zerfließt sofort wieder. Es kommt am Ende des Processes nicht auf der einen Seite der Originalwerth von 100 Pfd. St. und auf der andren Seite der Mehrwerth von 10 Pfd. St. 25 heraus. Was herauskommt ist Ein Werth von 110 Pfd. St., der sich ganz in derselben entsprechenden Form befindet, um den Verwerthungsproceß zu beginnen, wie die ursprünglichen 100 Pfd. St. ||115| Geld kommt am Ende der Bewegung wieder als ihr Anfang heraus 5). Das Ende jedes einzelnen Kreislaufs, worin sich der Kauf für den Verkauf vollzieht, bildet daher von selbst den Anfang eines neuen Kreislaufs. Die einfache Waarencirkula- tion - der Verkauf für den Kauf - dient zum Mittel für einen außerhalb der Cirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswer- then, die Befriedigung von Bedürfnissen. Die Cirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwerthung des Werths existirt 35 nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapi- 30 20 tals ist daher maßlos 6). 5) „Das Kapital theilt sich ... in das ursprüngliche Kapital und den Gewinn, den Zuwachs des Kapitals ... obwohl die Praxis selbst diesen Gewinn sogleich wieder zum Kapital schlägt und mit diesem in Fluß setzt." (F. Engels: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" in 40 „Deutsch-Französische Jahrbücher, herausgegeben von Arnold Rüge und Karl Marx." Paris 1844, p.99.) 6) Aristoteles stellt der Chrematistik die Oekonomik entgegen. Er geht von der Oekonomik 139 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital Als bewußter Träger dieser Bewegung wird der Geldbesitzer ||116| Kapi- talist. Seine Person, oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt und der Rückkehrpunkt des Geldes. Der objektive Inhalt jener Cirkula- tion - die Verwerthung des Werths - ist sein subjektiver Zweck, und nur soweit wachsende Aneignung des abstrakten Reichthums das allein trei- 5 bende Motiv seiner Operationen, funktionirt er als Kapitalist oder personi- fîcirtes, mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapital. Der Gebrauchswerth ist also nie als unmittelbarer Zweck des Kapitalisten zu behandeln 7). Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die rastlose Bewegung des Gewin- nens 8). Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese leidenschaftliche Jagd 10 auf den Werth 9) ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner gemein, aber 20 25 aus. Soweit sie Erwerbskunst, beschränkt sie sich auf die Verschaffung der zum Leben n o t - wendigen und für das Haus oder den Staat nützlichen Güter. „Der wahre Reichthum (ο αλη- θινός πλούτος) besteht aus solchen Gebrauchswerthen; denn das zum guten Leben genü- gende Maß dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es giebt aber eine zweite Art der 15 Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heißt, in Folge deren keine Grenze des Reichthums und Besitzes zu existiren scheint. Der Waarenhandel (ή καπηλική heißt wörtlich Kramhandel und Aristoteles nimmt diese Form, weil in ihr der Gebrauchs- werth vorherrscht) gehört von Natur nicht zur Chrematistik, denn hier bezieht sich der Aus- tausch nur auf das für sie selbst (Käufer und Verkäufer) Nöthige." Daher, entwickelt er weiter, war auch die ursprüngliche Form des Waarenhandels der Tauschhandel, aber mit seiner Aus- dehnung entstand nothwendig das Geld. Mit der Erfindung des Geldes mußte sich der Tauschhandel nothwendig zur καπηλική, zum Waarenhandel entwickeln, und dieser, im Wi- derspruch zu seiner ursprünglichen Tendenz, bildete sich zur Chrematistik aus, zur Kunst Geld zu machen. Die Chrematistik nun unterscheidet sich von der Oekonomik dadurch, daß, „für sie die Cirkulation die Quelle des Reichthums ist (ποιητική χρημάτων ... δια χρημάτων μεταβολής). Und um das Geld scheint sie sich zu drehen, denn das Geld ist der Anfang und das Ende dieser Art von Austausch (το γαρ νόμισμα στοιχεΐον και πέρας της αλλαγής εστίν). Daher ist auch der Reichthum, wie ihn die Chrematistik anstrebt, unbegrenzt. Wie nämlich jede Kunst, der ihr Ziel nicht als Mittel, sondern als letzter Endzweck gilt, unbe- 30 grenzt in ihrem Streben ist, denn sie sucht sich ihm stets mehr zu nähern, während die Kün- ste, die nur Mittel zum Zwecke verfolgen, nicht unbegrenzt sind, da der Zweck selbst ihnen die Grenze setzt, so giebt es auch für diese Chrematistik keine Schranke ihres Ziels, sondern ihr Ziel ist absolute Bereicherung. Die Oekonomik, nicht die Chrematistik, hat eine Grenze ... die erstere bezweckt ein vom Gelde selbst Verschiednes, die andere seine Vermeh- 35 rung .... Die Verwechslung beider Formen, die in einander überspielen, veranlaßt Einige die Erhaltung und Vermehrung des Geldes ins Unendliche als Endziel der Oekonomik zu be- trachten". (Aristoteles: De Rep. edit. Bekker, lib. I, c. 8 und 9 passim.) 7) "Commodities (hier im Sinn von Gebrauchswerthen) are not the terminating object of the trading capitalist ... money is his terminating object." (Th. Chalmers: On Politic. Econ. etc. 40 2nd edit. Glasgow 1832, p. 165, 166.) 8) «Il mercante non conta quasi per niente il lucro fatto, ma mira sempre al futuro.» (A. Ge- novesi: Lezioni di Economia Civile (1765). Ausgabe der italienischen Oekonomen von Cus- todi, Parte Moderna, t. Vili, p. 139). 9) „Die unauslöschliche Leidenschaft für den Gewinn, die auri sacra fames bestimmt stets 45 den Kapitalisten." (MacCulloch: The Principles of Polit. Econ. London 1830, p. 179.) Diese Einsicht verhindert denselben MacCulloch und Consorten natürlich nicht, in theoretischen Verlegenheiten, z. B. bei Behandlung der Ueberproduktion, denselben Kapitalisten in einen guten Bürger zu verwandeln, dem es sich nur um den Gebrauchswerth handelt und der sogar einen wahren Wehrwolfsheißhunger entwickelt für Stiefel, Hüte, Eier, Kattune und andere höchst familiäre Sorten von Gebrauchswerth. 50 140 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital während der Schatzbildner nur der verrückte Kapitalist, ist der Kapitalist der rationelle Schatzbildner. Die rastlose Vermehrung des Werths, die der Schatzbildner anstrebt, indem er das Geld vor der Cirkulation zu retten sucht 1 0), erreicht der klügere Kapitalist, indem er es stets von neuem der 5 Cirkulation preisgiebt 1 0 a). Die selbständigen Formen, die Geldformen, welche der Werth der Waa- ren in der einfachen Cirkulation annimmt, vermitteln nur den Waarenaus- tausch und verschwinden im Endresultat der Bewegung. In der Cirkulation G-W-G funktioniren dagegen beide, Waare und Geld, nur als verschiedne 10 Existenzweisen des Werths selbst, das Geld seine allgemeine, die Waare seine besondre, so zu sagen nur verkleidete Existenzweise 1 1). Er geht be- ständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Be-| |117|wegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Sub- jekt. Fixirt man die besondren Erscheinungsformen, welche der sich 15 verwerthende Werth im Kreislauf seines Lebens abwechselnd annimmt, so erhält man die Erklärungen: Kapital ist Geld, Kapital ist Waare 1 2). In der That aber wird der Werth hier das Subjekt eines Processes, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Waare, seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwerth von sich selbst als ursprünglichem 20 Werth abstößt, sich selbst verwerthet. Denn die Bewegung, worin er Mehr- werth zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwerthung also Selbstver- werthung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Werth zu setzen, weil er Werth ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier. 25 Als das übergreifende Subjekt eines solchen Processes, worin er GeId- form und Waarenform bald annimmt, bald abstreift, sich aber in diesem Wechsel erhält und ausreckt, bedarf der Werth vor allem einer selbständi- gen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konstatirt wird. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Dieß bildet daher Ausgangspunkt und Schlußpunkt jedes Verwerthungsprocesses. Er war 100 Pfd. St., er ist jetzt 30 110 Pfd. St. u. s.w. Aber das Geld selbst gilt hier nur als eine Form des Werths, denn er hat deren zwei. Ohne die Annahme der Waarenform wird das Geld nicht Kapital. Das Geld tritt hier also nicht polemisch gegen die Waare auf, wie in der Schatzbildung. Der Kapitalist weiß, daß alle Waaren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen, im 35 40 1 0 ) ,,Σώζεχν" ist einer der charakteristischen Ausdrücke der Griechen für das Schatzbilden. Ebenso bedeutet „to save" zugleich retten und sparen. 1 0 a ) «Questo infinito che le cose non hanno in progresso, hanno in giro.» (Galiani.) n) «Ce n'est pas la matière qui fait le capital, mais la valeur de ces matières.» (J. Β. Say: Traité d'Econ. Polit. 3ème éd. Paris 1817, t. II, p. 429.) 1 2 ) "Currency (!) employed to productive purposes is capital." (MacLeod: ,,The Theory and Practice of Banking. London 1855", v. I, c. I.) "Capital is commodities." (James Mill: „Ele- ments of Pol. Econ. Lond. 1821", p. 74.) 141 Zweiter Abschnitt · Die Verwandlung von Geld in Kapital Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittne Juden sind, und zudem wunderthätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen. Wenn in der einfachen Cirkulation der Werth der Waaren ihrem Ge- brauchswerth gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes er- hält, so stellt er sich hier plötzlich dar als eine processirende, sich selbst be- wegende Substanz, für welche Waare und Geld beide bloße Formen. Aber noch mehr. Statt Waarenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt so zu sagen in ein Privatverhältniß zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprüngli- cher Werth von sich selbst als Mehrwerth, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter, und bilden in der That nur 10 eine Person, denn nur durch den Mehrwerth von 10 Pfd. St. ||118| werden die vorgeschossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie dieß geworden, so- bald der Sohn, und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied wieder und sind beide Eins, 110 Pfd. St. 5 Der Werth wird also processirender Werth, processirendes Geld und als 15 solches Kapital. Er kommt aus der Cirkulation her, geht wieder in sie ein, erhält und vervielfältigt sich in ihr, kehrt vergrößert aus ihr zurück und be- ginnt denselben Kreislauf stets wieder von neuem 1 3). G-G', geldheckendes Geld - money which begets money - lautet die Beschreibung des Kapitals im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Merkantilisten. 20 Kaufen um zu verkaufen, oder vollständiger, kaufen um theurer zu ver- kaufen, G-W-G', scheint zwar nur einer Art des Kapitals, dem Kaufmanns- kapital, eigenthümliche Form. Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich in Waare verwandelt und durch den Verkauf der Waare in mehr Geld rückverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Ver- 25 kaufe, außerhalb der Cirkulationssphäre, vorgehn, ändern nichts an dieser Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Cirkulation G-W-G' abgekürzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermitt- lung, so zu sagen im Lapidarstil, als G-G', Geld, das gleich mehr Geld, Werth, der größer als er selbst ist. 30 In der That also ist G-W-G' die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Cirkulationssphäre erscheint. 2. Widersprüche der allgemeinen Formel. Die Cirkulationsform, worin sich das Geld zum Kapital entpuppt, wider- spricht allen früher entwickelten Gesetzen über die Natur der Waare, des 35 Werths, des Geldes und der Cirkulation selbst. Was sie von der einfachen 1 3 ) „Kapital ... permanenter sich vervielfältigender Werth." (Sismondi: Nouveaux Principes d'Econ. Polit, 1.1, p. 88, 89.) 142 Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital Waarencirkulation unterscheidet, ist die umgekehrte Reihenfolge dersel- ben zwei entgegengesetzten Processe, Verkauf und Kauf. Und wie sollte solcher rein formelle Unterschied die Natur dieser Processe umzaubern? 5 Noch mehr. Diese Umkehrung existirt nur für einen der drei Geschäfts- freunde, die mit einander handeln. Als Kapitalist kaufe ich Waare von A und verkaufe sie wieder an B, während ich als einfacher Waarenbesitzer Waare an B verkaufe und dann Waare von A kaufe. Für die Geschäfts- freunde A und B existirt dieser Unterschied nicht. Sie treten nur als Käufer oder Ver||119|käufer von Waaren auf. Ich selbst stehe ihnen jedesmal ge- 10 genüber als einfacher Geldbesitzer oder Waarenbesitzer, Käufer oder Ver- käufer, und zwar trete ich in beiden Reihenfolgen der einen Person nur als Käufer und der andren nur als Verkäufer gegenüber, der einen als nur Geld, der andren als nur Waare, keiner von beiden als Kapital oder Kapita- list oder Repräsentant von irgend etwas, das mehr als Geld oder Waare 15 wäre, oder eine andre Wirkung außer der des Geldes oder der Waare aus- üben könnte. Für mich bilden Kauf von A und Verkauf an B eine Reihen- folge. Aber der Zusammenhang zwischen diesen beiden Akten existirt nur für mich. A scheert sich nicht um meine Transaktion mit B, und B nicht um meine Transaktion mit A. Wollte ich ihnen etwa das besondre Ver- 20 dienst klar machen, das ich mir durch die Umkehrung der Reihenfolge er- werbe, so würden sie mir beweisen, daß ich mich in der Reihenfolge selbst irre und daß die Gesammttransaktion nicht mit einem Kauf begann und einem Verkauf endete, sondern umgekehrt mit einem Verkauf begann und mit einem Kauf abschloß. In der That, mein erster Akt, der Kauf, war von 25 A's Standpunkt ein Verkauf, und mein zweiter Akt, der Verkauf, war von B's Standpunkt ein Kauf. Nicht zufrieden damit, werden A und B erklären, daß die ganze Reihenfolge überflüssig und Hokus Pokus war. A wird die Waare direkt an B verkaufen und B sie direkt von A kaufen. Damit ver- schrumpft die ganze Transaktion in einen einseitigen Akt der gewöhnli- 30 chen Waarencirkulation, vom Standpunkt A's bloßer Verkauf und vom Standpunkt B's bloßer Kauf. Wir sind also durch die Umkehrung der Rei- henfolge nicht über die Sphäre der einfachen Waarencirkulation hinausge- kommen und müssen vielmehr zusehn, ob sie ihrer Natur nach Verwer- thung der in sie eingehenden Werthe und daher Bildung von Mehrwerth 35 gestattet. Nehmen wir den Cirkulationsproceß in einer Form, worin er sich als blo- ßer Waarenaustausch darstellt. Dieß ist stets der Fall, wenn beide Waaren- besitzer Waaren von einander kaufen und die Bilanz ihrer wechselseitigen Geldforderungen sich am Zahlungstag ausgleicht. Das Geld dient hier als 40 Rechengeld, um die Werthe der Waaren in ihren Preisen auszudrücken, tritt aber nicht den Waaren selbst dinglich gegenüber. Soweit es sich um 143 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital 5 den Gebrauchswerth handelt, ist es klar, daß beide Austauscher gewinnen können. Beide veräußern Waaren, die ihnen als Gebrauchswerth nutzlos, und erhalten Waaren, deren sie zum Gebrauch bedürfen. Und dieser Nut- zen mag nicht der einzige sein. A, der Wein ver||120|kauft und Getreide kauft, producirt vielleicht mehr Wein als Getreidebauer B in derselben Ar- beitszeit produciren könnte, und Getreidebauer B in derselben Arbeitszeit mehr Getreide als Weinbauer A produciren könnte. A erhält also für den- selben Tauschwerth mehr Getreide und B mehr Wein als wenn jeder von den beiden, ohne Austausch, Wein und Getreide für sich selbst produciren müßte. Mit Bezug auf den Gebrauchswerth also kann gesagt werden, daß 10 „der Austausch eine Transaktion ist, worin beide Seiten gewinnen" 1 4). An- ders mit dem Tauschwerth. „Ein Mann, der viel Wein und kein Getreide besitzt, handelt mit einem Mann, der viel Getreide und keinen Wein be- sitzt und zwischen ihnen wird ausgetauscht Weizen zum Werth von 50 ge- gen einen Werth von 50 in Wein. Dieser Austausch ist keine Vermehrung 15 des Tauschwerths weder für den einen, noch für den andren; denn bereits vor dem Austausch besaß jeder von ihnen einen Werth gleich dem, den er sich vermittelst dieser Operation verschafft h a t 1 5 ) . " Es ändert nichts an der Sache, wenn das Geld als Cirkulationsmittel zwischen die Waaren tritt und die Akte des Kaufs und Verkaufs sinnlich auseinanderfallen 1 6). Der Werth 20 der Waaren ist in ihren Preisen dargestellt, bevor sie in die Cirkulation tre- ten, also Voraussetzung und nicht Resultat derselben 1 7). Abstrakt betrachtet, d. h. abgesehn von Umständen, die nicht aus den immanenten Gesetzen der einfachen Waarencirkulation hervorfließen, geht außer dem Ersatz eines Gebrauchswerths durch einen andren nichts 25 in ihr vor als eine Metamorphose, ein bloßer Formwechsel der Waare. Der- selbe Werth, d. h. dasselbe Quantum vergegenständlichter gesellschaftli- cher Arbeit, bleibt in der Hand desselben Waarenbesitzers in Gestalt erst seiner Waare, dann des Geldes, worin sie sich verwandelt, endlich der Waare, worin sich dies Geld rückverwandelt. Dieser Formwechsel schließt 30 keine Aenderung der Werthgröße ein. Der Wechsel aber, den der Werth der Waare selbst in diesem Proceß durchläuft, beschränkt sich auf einen Wechsel seiner Geldform. Sie existirt erst als Preis ||121| der zum Verkauf angebotenen Waare, dann als eine Geldsumme, die aber schon im Preise 1 4 ) «L'échange est une transaction admirable dans laquelle les deux contractants gagnent - toujours (!).» (Destutt de Tracy: Traité de la Volonté et de ses effets. Paris 1826, p. 68.) Das- selbe Buch erschien 1823 als ,,Traité d'Ec. Pol." 1 5 ) Mercier de la Rivière 1. c. p. 544. 1 6 ) « Que l'une de ces deux valeurs soit argent, ou qu'elles soient toutes deux marchandises usuelles, rien de plus indifférent en soi.» (Mercier de la Rivière 1.c. p. 543.) 1 7 ) «Ce ne sont pas les contractants qui prononcent sur la valeur; elle est décidée avant la convention.» (Le Trosne p. 906.) 35 40 144 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital ausgedrückt war, endlich als der Preis einer äquivalenten Waare. Dieser Formwechsel schließt an und für sich eben so wenig eine Aenderung der Werthgröße ein, wie das Auswechseln einer Fünfpfundnote gegen Sover- eigns, halbe Sovereigns und Schillinge. Sofern also die Cirkulation der 5 Waare nur einen Formwechsel ihres Werths bedingt, bedingt sie, wenn das Phänomen rein vorgeht, Austausch von Aequivalenten. Die Vulgärökono- mie selbst, so wenig sie ahnt, was der Werth ist, unterstellt daher, so oft sie in ihrer Art das Phänomen rein betrachten will, daß Nachfrage und Zufuhr sich decken, d.h. daß ihre Wirkung überhaupt aufhört. Wenn also mit B e - 10 zug auf den Gebrauchswerth beide Austauscher gewinnen können, können sie nicht beide gewinnen an Tauschwerth. Hier heißt es vielmehr: „Wo Gleichheit ist, ist kein Gewinn" 1 8). Waaren können zwar zu Preisen ver- kauft werden, die von ihren Werthen abweichen, aber diese Abweichung erscheint als Verletzung des Gesetzes des Waarenaustausches 1 9). In seiner reinen Gestalt ist er ein Austausch von Aequivalenten, also kein Mittel, sich an Werth zu bereichern 2 0). 15 Hinter den Versuchen, die Waarencirkulation als Quelle von Mehrwerth darzustellen, lauert daher meist ein quid pro quo, eine Verwechslung von Gebrauchswerth und Tauschwerth. So z.B. bei Condillac: „Es ist falsch, 20 daß man im Waarenaustausch gleichen Werth gegen gleichen Werth aus- tauscht. Umgekehrt. Jeder der beiden Kontrahenten giebt immer einen kleineren für einen größeren Werth ... Tauschte man in der That immer gleiche Werthe aus, so wäre kein Gewinn zu machen für irgend einen Kon- trahenten. Aber alle beide gewinnen oder sollten doch gewinnen. Warum? 25 Der Werth der Dinge besteht bloß in ihrer Beziehung auf unsre Bedürf- nisse. Was für den einen mehr, ist für den andren weniger, und umge- kehrt ... Man setzt nicht voraus, daß wir für unsre Konsumtion unentbehr- liche Dinge zum Verkauf ausbieten .... Wir wollen eine uns nutzlose Sache weggeben, um eine uns noth|| 1221wendige zu erhalten; wir wollen 30 weniger für mehr geben . . . E s war natürlich zu urtheilen, daß man im Aus- tausch gleichen Werth für gleichen Werth gebe, so oft jedes der ausge- tauschten Dinge an Werth demselben Quantum Geld gleich war ... Aber eine andre Betrachtung muß noch in die Rechnung eingehn; es fragt sich, 35 1 8 ) «Dove è egualità, non è lucro.» (Galiani: ,,Della Moneta", in Custodi: Parte Moderna, t.IV, p.244.) 1 9 ) «L'échange devient désavantageux pour l'une des parties, lorsque quelque chose étrangère vient diminuer ou exagérer le prix: alors l'égalité est blessée, mais la lésion procède de cette cause et non de l'échange.» (Le Trosne 1.c. p. 904.) 2 0 ) «L'échange est de sa nature un contrat d'égalité qui se fait de valeur pour valeur égale. Il 40 n'est donc pas un moyen de s'enrichir, puisque l'on donne autant que l'on reçoit. » (Le Trosne I.e. p. 903, 904.) 145 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital 5 ob wir beide einen Ueberfluß gegen etwas Nothwendiges austauschen 2 1)." Man sieht, wie Condillac nicht nur Gebrauchswerth und Tauschwerth durcheinander wirft, sondern wahrhaft kindlich einer Gesellschaft mit ent- wickelter Warenproduktion einen Zustand unterschiebt, worin der Produ- cent seine Subsistenzmittel selbst producirt und nur den Ueberschuß über den eignen Bedarf, den Ueberfluß, in die Cirkulation wirft 2 2). Dennoch wird Condillac's Argument häufig bei modernen Oekonomen wiederholt, namentlich wenn es gilt, die entwickelte Gestalt des Waarenaustausches, den Handel, als produktiv von Mehrwerth darzustellen. „Der Handel", heißt es z . B . „fügt den Produkten Werth zu, denn dieselben Produkte ha- 10 ben mehr Werth in den Händen des Konsumenten als in den Händen des Producenten und er muß daher wörtlich (strictly) als Produktionsakt be- trachtet werden 2 3)." Aber man zahlt die Waaren nicht doppelt, das einemal ihren Gebrauchswerth und das andremal ihren Werth. Und wenn der Ge- brauchswerth der Waare dem Käufer nützlicher als dem Verkäufer, ist ihre 15 Geldform dem Verkäufer nützlicher als dem Käufer. Würde er sie sonst verkaufen? Und so könnte ebensowohl gesagt werden, daß der Käufer wört- lich (strictly) einen „Produktionsakt" vollbringt, indem er z. B. die Strümpfe des Kaufmanns in Geld verwandelt. Werden Waaren oder Waaren und Geld von gleichem Tauschwerth, also 20 Aequivalente ausgetauscht, so zieht offenbar keiner mehr Werth aus der Cirkulation heraus als er in sie hineinwirft. Es findet dann keine Bildung von Mehrwerth statt. In seiner ||123| reinen Form aber bedingt der Cirkula- tionsproceß der Waaren Austausch von Aequivalenten. Jedoch gehn die Dinge in der Wirklichkeit nicht rein zu. Unterstellen wir daher Austausch 25 von Nicht-Aequivalenten. Jedenfalls steht auf dem Waarenmarkt nur Waarenbesitzer dem Waaren- besitzer gegenüber, und die Macht, die diese Personen über einander aus- üben, ist nur die Macht ihrer Waaren. Die stoffliche Verschiedenheit der Waaren ist das stoffliche Motiv des Austausches und macht die Waarenbe- 30 sitzer wechselseitig von einander abhängig, indem keiner von ihnen den Gegenstand seines eignen Bedürfnisses und jeder von ihnen den Gegen- stand des Bedürfnisses des Andren in seiner Hand hält. Außer dieser stoff- 2 1 ) Condillac: „Le Commerce et Ie Gouvernement" (1776). Edit. Daire et Molinari in den ,,Mélanges d'Économie Politique. Paris 1847", p. 267, 291. 2 2 ) Le Trosne antwortet daher seinem Freunde Condillac sehr richtig: «Dans la société for- mée il n'y a pas de surabondant en aucun genre.» Zugleich neckt er ihn mit der Glosse, daß „wenn beide Austauscher gleich viel mehr für gleich viel weniger erhalten, sie beide gleich viel erhalten". Weil Condillac noch nicht die geringste Ahnung von der Natur des Tausch- werths besitzt, ist er der passende Gewährsmann des Herrn Prof. Wilhelm Roscher für seine 40 eignen Kinderbegriffe. Sieh dessen: „Die Grundlagen der Nationalökonomie. Dritte Auflage. 1858". 2 3 ) S.P. Newman: „Elements of Polit. Econ. Andover and New-York 1835", p. 175. 35 146 Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital liehen Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerthe besteht nur noch ein Unter- schied unter den Waaren, der Unterschied zwischen ihrer Naturalform und ihrer verwandelten Form, zwischen Waare und Geld. Und so unterschei- den sich die Waarenbesitzer nur als Verkäufer, Besitzer von Waare, und als 5 Käufer, Besitzer von Geld. Gesetzt nun, es sei durch irgend ein unerklärliches Privilegium dem Ver- käufer gegeben, die Waare über ihrem Werthe zu verkaufen, zu 110, wenn sie 100 werth ist, also mit einem nominellen Preisaufschlage von 10 %. Der Verkäufer kassirt also einen Mehrwerth von 10 ein. Aber nachdem er Ver- 10 käufer war, wird er Käufer. Ein dritter Waarenbesitzer begegnet ihm jetzt als Verkäufer und genießt seinerseits das Privilegium, die Waare 10 % zu theuer zu verkaufen. Unser Mann hat als Verkäufer 10 gewonnen, um als Käufer 10 zu verlieren 2 4). Das Ganze kommt in der That darauf hinaus, daß alle Waarenbesitzer ihre Waaren einander 10 % über dem Werth ver- 15 kaufen, was durchaus dasselbe ist, als ob sie die Waaren zu ihren Werthen verkauften. Ein solcher allgemeiner nomineller Preisaufschlag der Waaren bringt dieselbe Wirkung hervor, als ob die Waarenwerthe z.B. in Silber statt in Gold geschätzt würden. Die Geldnamen, d. h. die Preise der Waa- ren würden anschwellen, aber ihre Werthverhältnisse unverändert bleiben. Unterstellen wir umgekehrt, es sei das Privilegium des Käufers, die Waa- ren unter ihrem Werth zu kaufen. Hier ist es nicht einmal nöthig zu erin- nern, daß der Käufer wieder Verkäufer wird. ||124| Er war Verkäufer, bevor er Käufer ward. Er hat bereits 10 % als Verkäufer verloren, bevor er 10 % als Käufer gewinnt 2 5). Alles bleibt wieder beim Alten. 20 25 Die Bildung von Mehrwerth und daher die Verwandlung von Geld in Kapital, kann also weder dadurch erklärt werden, daß die Verkäufer die Waaren über ihrem Werthe verkaufen, noch dadurch, daß die Käufer sie unter ihrem Werthe kaufen 2 6). Das Problem wird in keiner Weise dadurch vereinfacht, daß man fremde 30 Beziehungen einschmuggelt, also etwa mit Oberst Torrens sagt: „Die effek- tive Nachfrage besteht in dem Vermögen und der Neigung (!) der Konsu- menten, sei es durch unmittelbaren oder vermittelten Austausch, für Waa- 2 4 ) "By the augmentation of the nominal value of the produce ... sellers not enriched ... since what they gain as sellers, they precisely expend in the quality of buyers." (,,The Essential 35 Principles of the Wealth of Nations etc. London 1797", p. 66.) 2 5 ) «Si l'on est forcé de donner pour 18 livres une quantité de telle production qui en valait 24, lorsqu'on employera ce même argent à acheter, on aura également pour 18 1. ce que l'on payait 24.» (Le Trosne 1. c. p. 897.) 2 6 ) «Chaque vendeur ne peut donc parvenir à renchérir habituellement ses marchandises, 40 qu'en se soumettant aussi à payer habituellement plus cher les marchandises des autres ven- deurs; et par la même raison, chaque consommateur ne peut payer habituellement moins cher ce qu'il achète, qu'en se soumettant aussi à une diminution semblable sur le prix des choses qu'il vend. » (Mercier de la Rivière 1. c. p. 555.) 147 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital ren eine gewisse größere Portion von allen Ingredienzien des Kapitals zu geben, als ihre Produktion kostet 2 7)." In der Cirkulation stehn sich Produ- centen und Konsumenten nur als Verkäufer und Käufer gegenüber. Be- haupten, der Mehrwerth für den Producenten entspringe daraus, daß die Konsumenten die Waare über den Werth zahlen, heißt nur den einfachen Satz maskiren: Der Waarenbesitzer besitzt als Verkäufer das Privilegium zu theuer zu verkaufen. Der Verkäufer hat die Waare selbst producirt oder vertritt ihren Producenten, aber der Käufer hat nicht minder die in seinem Gelde dargestellte Waare selbst producirt oder vertritt ihren Producenten. Es steht also Producent dem Producenten gegenüber. Was sie unterschei- 10 det, ist daß der eine kauft und der andre verkauft. Es bringt uns keinen Schritt weiter, daß der Waarenbesitzer unter dem Namen Producent die Waare über ihrem Werthe verkauft und unter dem Namen Konsument sie zu theuer zahlt 2 8). 5 Die konsequenten Vertreter der Illusion, daß der Mehrwerth aus einem 15 nominellen Preiszuschlag entspringt, oder aus dem Privilegium des Ver- käufers die Waare zu theuer zu verkaufen, unter||125|stellen daher eine Klasse, die nur kauft ohne zu verkaufen, also auch nur konsumirt ohne zu produciren. Die Existenz einer solchen Klasse ist von unsrem bisher er- reichten Standpunkt, dem der einfachen Cirkulation noch unerklärlich. 20 Aber greifen wir vor. Das Geld, womit eine solche Klasse beständig kauft, muß ihr beständig, ohne Austausch, umsonst, auf beliebige Rechts- und Gewaltstitel hin, von den Waarenbesitzern selbst zufließen. Dieser Klasse die Waaren über dem Werth verkaufen, heißt nur, umsonst weggegebenes Geld sich zum Theil wieder zurückschwindeln 2 9). So zahlten die kleinasia- 25 tischen Städte jährlichen Geldtribut an das alte Rom. Mit diesem Geld kaufte Rom Waaren von ihnen und kaufte sie zu theuer. Die Kleinasiaten prellten die Römer, indem, sie den Eroberern einen Theil des Tributs wie- der abluchsten auf dem Wege des Handels. Aber dennoch blieben die Kleinasiaten die Geprellten. Ihre Waaren wurden ihnen nach wie vor mit 30 ihrem eignen Gelde gezahlt. Es ist dieß keine Methode der Bereicherung oder der Bildung von Mehrwerth. Halten wir uns also innerhalb der Schranken des Waarenaustausches, wo 2 7 ) R. Torrens: „An Essay on the Production of Wealth". London 1821, p. 349. 2 8 ) "The idea of profits being paid by the consumers, is, assuredly, very absurd. Who are the 35 consumers?" (G. Ramsay: „An Essay on the Distribution of Wealth. Edinburgh 1836", p. 183.) 2 9 ) "When a man is in want of demand, does Mr. Malthus recommend him to pay some other person to take off his goods?", fragt ein entrüsteter Ricardianer den Malthus, der wie sein Schüler, der Pfaffe Chalmers, die Klasse von bloßen Käufern oder Konsumenten ökonomisch 40 verherrlicht. Sieh: „An Inquiry into those principles respecting the Nature of Demand and the Necessity of Consumption, lately advocated by Mr. Malthus" etc. London 1821, p. 55. 148 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital Verkäufer Käufer und Käufer Verkäufer sind. Unsre Verlegenheit stammt vielleicht daher, daß wir die Personen nur als personificirte Kategorien, nicht individuell, gefaßt haben. Waarenbesitzer A mag so pfiffig sein seine Collegen B oder C übers Ohr 5 zu hauen, während sie trotz des besten Willens die Revanche schuldig blei- ben. A verkauft Wein zum Werth von 40 Pfd. St. an B und erwirbt im Aus- tausch Getreide zum Werth von 50 Pfd. St. A hat eine 40 Pfd. St. in 50 Pfd. St. verwandelt, mehr Geld aus weniger Geld gemacht und seine Waare in Kapital verwandelt. Sehn wir näher zu. Vor dem Austausch hatten wir für 10 40 Pfd. St. Wein in der Hand von A und für 50 Pfd. St. Getreide in der Hand von B, Gesammtwerth von 90 Pfd. St. Nach dem Austausch haben wir denselben Gesammtwerth von 90 Pfd. St. Der cirkulirende Werth hat sich um kein Atom vergrößert, seine Vertheilung zwischen A und B hat sich verändert. Auf der einen Seite erscheint als Mehrwerth, was auf der 15 andren Minderwerth ist, auf der einen Seite als Plus, was auf der andren | 11261 als Minus. Derselbe Wechsel hätte sich ereignet, wenn A, ohne die verhüllende Form des Austausches, dem B 10 Pfd. direkt gestohlen hätte. Die Summe der cirkulirenden Werthe kann offenbar durch keinen Wech- sel in ihrer Vertheilung vermehrt werden, so wenig wie ein Jude die Masse 20 der edlen Metalle in einem Lande dadurch vermehrt, daß er einen Farthing aus der Zeit der Königin Anna für eine Guinee verkauft. Die Gesammtheit der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst übervorthei- len 3 0). Man mag sich also drehen und wenden wie man will, das Facit bleibt 25 dasselbe. Werden Aequivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwerth, und werden Nicht-Aequivalente ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehr- werth 3 1). Die Cirkulation oder der Waarenaustausch schafft keinen Werth 3 2). Man versteht daher, warum in unsrer Analyse der Grundform des Kapi- 30 35 3 0 ) Destutt de Tracy, obgleich - vielleicht weil - Membre de l'Institut, war umgekehrter An- sicht. Die industriellen Kapitalisten, sagt er, machen dadurch ihre Profite, daß „sie alles theu- rer verkaufen als es gekostet hat zu produciren. Und an wen verkaufen sie? Erstens an einan- der". (I.e. p.239.) 3 1 ) «L'échange qui se fait de deux valeurs égales n'augmente ni ne diminue la masse des va- leurs subsistantes dans la société. L'échange de deux valeurs inégales ... ne change rien non plus à la somme des valeurs sociales, bien qu'il ajoute à la fortune de l'un ce qu'il ôte de la fortune de l'autre.» (J.B.Say I.e. t.II, p.443, 444.) Say, natürlich unbekümmert um die Conse- quenzen dieses Satzes, entlehnt ihn ziemlich wörtlich den Physiokraten. Die Art, wie er ihre zu seiner Zeit verschollenen Schriften zur Vermehrung seines eigenen „Werthes" ausgebeutet 40 hat, zeige folgendes Beispiel. Der „berühmteste" Satz des Monsieur Say: «On n'achète des produits qu'avec des produits» (I.e. t.I, p.438) lautet im physiokratischen Original: «Les pro- ductions ne se paient qu'avec des productions.» (Le Trosne I.e. p. 899.) 3 2 ) "Exchange confers no value at all upon products." (F. Wayland: „The Elements of Pol. Econ. Boston 1843", p. 169.) 149 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital tals, der Form, worin es die ökonomische Organisation der modernen Ge- sellschaft bestimmt, seine populären und so zu sagen antediluvianischen Gestalten, Handelskapital und Wucherkapital, zunächst gänzlich unbe- rücksichtigt bleiben. Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G-W-G', kaufen um theurer zu verkaufen, am reinsten. Andrerseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der Cirkulationssphäre vor. Da es aber unmöglich ist aus der Cir- kulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital, die Bildung von Mehrwerth zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald Aequivalente ausgetauscht werden 3 3), daher nur ableitbar aus der doppel- seitigen 111271 Uebervortheilung der kaufenden und verkaufenden Waaren- producenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kauf- mann. In diesem Sinn sagt Franklin: „Krieg ist Raub, Handel ist Prellerei 3 4)." Soll die Verwerthung des Handelskapitals nicht aus bloßer Prellerei der Waarenproducenten erklärt werden, so gehört dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern, die hier, wo die Waarencirkulation und ihre ein- fachen Momente unsre einzige Voraussetzung bilden, noch gänzlich fehlt. Was vom Handelskapital, gilt noch mehr vom Wucherkapital. Im Han- delskapital sind die Extreme, das Geld, das auf den Markt geworfen und das vermehrte Geld, das dem Markt entzogen wird, wenigstens vermittelt durch Kauf und Verkauf, durch die Bewegung der Cirkulation. Im Wucher- kapital ist die Form G-W-G' abgekürzt auf die unvermittelten Extreme G-G', Geld, das sich gegen mehr Geld austauscht, eine der Natur des Gel- des widersprechende und daher vom Standpunkt des Waarenaustausches unerklärliche Form. Daher Aristoteles: „da die Chrematistik eine doppelte ist, die eine zum Handel, die andre zur Oekonomik gehörig, die letztere nothwendig und lob ens werth, die erstere auf die Cirkulation gegründet und mit Recht getadelt (denn sie beruht nicht auf der Natur, sondern auf wech- selseitiger Prellerei), so ist der Wucher mit vollstem Recht verhaßt, weil das Geld selbst hier die Quelle des Erwerbs und nicht dazu gebraucht wird, wozu es erfunden ward. Denn für den Waarenaustausch entstand es, der Zins aber macht aus Geld mehr Geld. Daher auch sein Name (τόκος Zins und Geborenes). Denn die Geborenen sind den Erzeugern ähnlich. Der Zins aber ist Geld von Geld, so daß von allen Erwerbszweigen dieser der naturwidrigste 3 5). " 3 3 ) "Under the rule of invariable equivalents commerce would be impossible." (G.Opdyke: „A Treatise on polit. Economy. New-York 1851", p. 67.) „Dem Unterschiede zwischen Realwerth und Tauschwerth liegt eine Thatsache zum Grunde - nämlich daß der Werth einer Sache ver- schieden ist von dem im Handel für sie gegebenen sogenannten Aequivalent, d. h. daß dieß Aequivalent kein Aequivalent ist."(F.-Engels Lc p. 95, 96.) 3 4 ) Benjamin Franklin: Works, vol. II, edit. Sparks in: ,,Positions to be examined concerning National Wealth". 3 5 ) Arist. 1. c. c. 10. 150 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital Wie das Handelskapital werden wir das zinstragende Kapital im Verlauf unsrer Untersuchung als abgeleitete Formen vorfinden und zugleich sehn, warum sie historisch vor der modernen Grundform des Kapitals erschei- nen. 5 Es hat sich gezeigt, daß der Mehrwerth nicht aus der Cirkulation ent- springen kann, bei seiner Bildung also etwas hinter ihrem ||128| Rücken vorgehn muß, das in ihr selbst unsichtbar i s t 3 6 ) . Kann aber der Mehrwerth anders woher entspringen als aus der Cirkulation? Die Cirkulation ist die Summe aller Waarenbeziehungen der Waarenbesitzer. Außerhalb dersel- 10 ben steht der Waarenbesitzer nur noch in Beziehung zu seiner eignen Waare. Was ihren Werth angeht, beschränkt sich das Verhältniß darauf, daß sie ein nach bestimmten gesellschaftlichen Gesetzen gemessenes Quantum seiner eignen Arbeit enthält. Dieß Quantum Arbeit drückt sich aus in der Werthgröße seiner Waare und da sich Werthgröße in Rechen- 15 geld darstellt, in einem Preise von z . B . 10 Pfd. St. Aber seine Arbeit stellt sich nicht dar im Werthe der Waare und einem Ueberschuß über ihrem eignen Werth, nicht in einem Preise von 10, der zugleich ein Preis von 11, nicht in einem Werth, der größer als er selbst ist. Der Waarenbesitzer kann durch seine Arbeit Werthe bilden, aber keine sich verwerthenden Werthe. 20 Er kann den Werth einer Waare erhöhn, indem er vorhandnem Werth neuen Werth durch neue Arbeit zusetzt, z.B. aus Leder Stiefel macht. Der- selbe Stoff hat jetzt mehr Werth, weil er ein größeres Arbeitsquantum ent- hält. Der Stiefel hat daher mehr Werth als das Leder, aber der Werth des Leders ist geblieben, was er war. Er hat sich nicht verwerthet, nicht wäh- rend der Stiefelfabrikation einen Mehrwerth angesetzt. Es ist also unmög- lich, daß der Waarenproducent außerhalb der Cirkulationssphäre, ohne mit andren Waarenbesitzern in Berührung zu treten, Werth verwerthe und da- her Geld oder Waare in Kapital verwandle. 25 Kapital kann also nicht aus der Cirkulation entspringen und es kann 30 eben so wenig aus der Cirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen. Ein doppeltes Resultat hat sich also ergeben. Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Waaren- austausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so daß der Austausch von 35 Aequivalenten als Ausgangspunkt gilt 3 7). Unser ||129| nur noch als Kapita- 3 6 ) "Profit, in the usual condition of the market, is not made by exchanging. Had it not ex- isted before, neither could it after that transaction." (Ramsay 1. c. p. 184.) 3 7 ) Nach der gegebenen Auseinandersetzung versteht der Leser, daß dieß nur heißt: Die Kapi- talbildung muß möglich sein, auch wenn der Waarenpreis gleich dem Waarenwerth. Sie kann 40 nicht aus der Abweichung der Waarenpreise von den Waarenwerthen erklärt werden. Weichen die Preise von den Werthen wirklich ab, so muß man sie erst auf die letzteren reduciren, d.h. von diesem Umstände als einem zufälligen absehn, um das Phänomen der Kapitalbildung auf 151 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital listenraupe vorhandner Geldbesitzer muß die Waaren zu ihrem Werth kau- fen, zu ihrem Werth verkaufen, und dennoch am Ende des Processes mehr Werth herausziehn als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muß in der Cirkulationssphäre und muß nicht in der Cirkulationssphäre vor- gehn. Dies sind die Bedingungen des Problems. Hic Rhodus, hic salta! 5 3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft. Die Werthveränderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll, kann nicht an diesem Geld selbst vorgehn, denn als Kaufmittel und als Zahlungsmittel realisirt es nur den Preis der Waare, die es kauft oder zahlt, während es, in seiner eignen Form verharrend, zum Petrefakt von gleich- 10 bleibender Werthgröße erstarrt 3 8). Eben so wenig kann die Veränderung aus dem zweiten Cirkulationsakt, dem Wiederverkauf der Waare, entsprin- gen, denn dieser Akt verwandelt die Waare bloß aus der Naturalform zu- rück in die Geldform. Die Veränderung muß sich also zutragen mit der Waare, die im ersten Akt G-W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Werth, 15 denn es werden Aequivalente ausgetauscht, die Waare wird zu ihrem Werthe bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Ge- brauchswerth als solchem, d. h. aus ihrem Verbrauch. Um aus dem Ver- brauch einer Waare Werth herauszuziehn, müßte unser Geldbesitzer so glücklich sein innerhalb der CirkulationsSphäre, auf dem Markt, eine 20 Waare zu entdecken, deren Gebrauchswerth selbst die eigenthümliche Be- schaffenheit besäße, Quelle von Werth zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Werthschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche ||130| specifische Waare vor - das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft. 25 Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der Grundlage des Waarenaustauschs rein vor sich zu haben und in seiner Beobachtung nicht durch störende und dem eigentlichen Verlauf fremde Nebenumstände verwirrt zu werden. Man weiß übrigens, daß diese Reduktion keineswegs eine bloß wissenschaftliche Procedur ist. Die beständigen Oscillationen der Marktpreise, ihr Steigen und Sinken, kompensiren sich, heben sich wechselseitig auf und reduciren sich selbst zum Durchschnittspreis als ihrer inne- ren Regel. Diese bildet den Leitstern z.B. des Kaufmanns oder des Industriellen in jeder Un- ternehmung, die längeren Zeitraum umfaßt. Er weiß also daß, eine längere Periode im Ganzen betrachtet, die Waaren wirklich weder unter, noch über, sondern zu ihrem Durch- schnittspreis verkauft werden. Wäre interesseloses Denken also überhaupt sein Interesse, so müßte er sich das Problem der Kapitalbildung so stellen: Wie kann Kapital entstehn bei der Reglung der Preise durch den Durchschnittspreis, d.h. in letzter Instanz durch den Werth der Waare? Ich sage „in letzter Instanz", weil die Durchschnittspreise nicht direkt mit den Werth- größen der Waaren zusammenfallen, wie A. Smith, Ricardo u. s. w. glauben. 3 8 ) "In the form of money ... capital is productive of no profit." (Ricardo: Princ. of Pol. Econ. 40 p. 267.) 30 35 152 Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendi- gen Persönlichkeit eines Menschen existiren und die er in Bewegung setzt, so oft er Gebrauchswerthe irgend einer Art producirt. 20 Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Waare auf dem 5 Markt vorfinde, müssen verschiedne Bedingungen erfüllt sein. Der Waa- renaustausch schließt an und für sich keine andren Abhängigkeitsverhält- nisse ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter dieser Vor- aussetzung kann die Arbeitskraft als Waare nur auf dem Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren Arbeits- 10 kraft sie ist, als Waare feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer sie als Waare verkaufe, muß er über sie verfügen können, also freier Ei- genthümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein 3 9). Er und der Geldbesitzer begegnen sich auf dem Markt und treten in Verhältniß zu einander als ebenbürtige Waarenbesitzer, nur dadurch unterschieden, daß 15 der eine Käufer, der andre Verkäufer, beide also juristisch gleiche Perso- nen sind. Die Fortdauer dieses Verhältnisses erheischt, daß der Eigenthü- mer der Arbeitskraft sie stets nur für bestimmte Zeit verkaufe, denn ver- kauft er sie in Bausch und Bogen, ein für allemal, so verkauft er sich selbst, verwandelt sich aus einem Freien in einen Sklaven, aus einem Waarenbe- sitzet in eine Waare. Er als Person muß sich beständig zu seiner Arbeits- kraft als seinem Eigenthum und daher seiner eignen Waare verhalten und das kann er nur, so weit er sie dem Käufer stets nur vorübergehend, für einen bestimmten Zeittermin, zur Verfügung stellt, zum Verbrauch über- läßt, also durch ihre Veräußerung nicht auf sein Eigenthum an ihr verzich- t e t 4 0 ) . I 3 9 ) In Realencyklopädien des klassischen Alterthums kann man den Unsinn lesen, daß in der antiken Welt das Kapital völlig entwickelt war, „außer daß der freie Arbeiter und das Kredit- wesen fehlten". Auch Herr Mommsen in seiner „Römischen Geschichte" begeht ein quid pro quo über das andre. 4 0 ) Verschiedne Gesetzgebungen setzen daher ein Maximum für den Arbeitskontrakt fest. Alle Gesetzbücher bei Völkern freier Arbeit regeln Kündigungsbedingungen des Kontrakts. In verschiednen Ländern, namentlich in Mexiko, (vor dem amerikanischen Bürgerkrieg auch in den von Mexiko losgerissenen Territorien, und der Sache nach bis zu Kusa's Umwälzung in den Donauprovinzen) ist die Sklaverei unter der Form von Peonage versteckt. Durch Vor- schüsse, die in Arbeit abzutragen, und sich von Generation zu Generation fortwälzen, wird nicht nur der einzelne Arbeiter, sondern seine Familie, thatsächlich das Eigenthum andrer Personen und ihrer Familien. Juarez hatte die Peonage abgeschafft. Der sogenannte Kaiser Maximilian führte sie wieder ein durch ein Dekret, das im Repräsentantenhaus zu Washing- ton treffend als Dekret zur Wiedereinführung der Sklaverei in Mexiko denuncirt ward. „Von 40 meinen besondren körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Thätigkeit kann ich ... einen in der Zeit beschränkten Gebrauch an einen Andren veräußern, weil sie nach dieser Beschränkung ein äußerliches Verhältniß zu meiner Totalität und Allge- meinheit erhalten. Durch die Veräußerung meiner ganzen durch die Arbeit konkreten Zeit und der Totalität meiner Produktion würde ich das Substantielle derselben, meine allgemeine 45 Thätigkeit und Wirklichkeit, meine Persönlichkeit zum Eigenthum eines Andren machen." 35 30 25 Hegel: „Philosophie des Rechts. Berlin 1840", p. 104, §.67. 153 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital 11311 Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Ar- beitskraft auf dem Markt als Waare vorfinde, ist die, daß ihr Besitzer, statt Waaren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leib- lichkeit existirt, als Waare feilbieten muß. Damit Jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waaren verkaufe, muß er natürlich Produktionsmittel besitzen, z.B. Rohstoffe, Arbeitsinstru- mente u. s. w. Er kann keine Stiefel machen ohne Leder. Er bedarf außer- dem Lebensmittel. Niemand, selbst kein Zukunftsmusikant, kann von Pro- dukten der Zukunft zehren, also auch nicht von Gebrauchswerthen, deren Produktion noch unfertig, und wie am ersten Tag seiner Erscheinung auf der Erdbühne, muß der Mensch noch jeden Tag konsumiren, bevor und während er producirt. Werden die Produkte als Waaren producirt, so müs- sen sie verkauft werden, nachdem sie producirt sind und können die Be- dürfnisse des Producenten erst nach dem Verkauf befriedigen. Zur Produk- tionszeit kömmt die für den Verkauf nöthige Zeit hinzu. Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Waarenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Waare verfügt, daß er andrerseits andre Waaren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nöthigen Sachen. 5 10 15 20 Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Cirkulationssphäre ge- genübertritt, interessirt den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondre Abtheilung des Waarenmarkts vorfindet. Und einstweilen interessirt sie uns eben so wenig. Wir halten theoretisch an der Thatsache 25 fest, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die Natur produ- cirt nicht auf ||132| der einen Seite Geld- oder Waarenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dieß Verhältniß ist kein naturgeschichtliches und eben so wenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer 30 vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomi- scher Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formatio- nen der gesellschaftlichen Produktion. Auch die ökonomischen Kategorien, die wir früher betrachtet, tragen ihre geschichtliche Spur. Im Dasein des Produkts als Waare sind be- 35 stimmte historische Bedingungen eingehüllt. Um Waare zu werden, darf das Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel für den Producenten selbst producirt werden. Hätten wir weiter geforscht: Unter welchen Um- ständen nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte die Form der Waare an, so hätte sich gefunden, daß dieß nur auf Grundlage einer ganz spezifischen, der kapitalistischen Produktionsweise, geschieht. 40 154 Viertes Kapitel • Verwandlung von Geld in Kapital Eine solche Untersuchung lag jedoch der Analyse der Waare fern. Waaren- produktion und Waarencirkulation können stattfinden, obgleich die weit überwiegende Produktenmasse, unmittelbar auf den Selbstbedarf gerichtet, sich nicht in Waare verwandelt, der gesellschaftliche Produktionsproceß 5 also noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwerth beherrscht ist. Die Darstellung des Produkts als Waare bedingt eine so weit entwickelte Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, daß die Schei- dung zwischen Gebrauchswerth und Tauschwerth, die im unmittelbaren Tauschhandel erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine solche Entwicklungs- 10 stufe ist aber den geschichtlich verschiedensten ökonomischen Gesell- schaftsformationen gemein. 15 Oder betrachten wir das Geld, so setzt es eine gewisse Höhe des Waaren- austausches voraus. Die besondren Geldformen, bloßes Waarenäquivalent, oder Cirkulationsmittel, oder Zahlungsmittel, Schatz und Weltgeld, deu- ten, je nach dem verschiednen Umfang und dem relativen Vorwiegen einer oder der andren Funktion, auf sehr verschiedne Stufen des gesellschaftli- chen Produktionsprocesses. Dennoch genügt erfahrungsmäßig eine relativ schwach entwickelte Waarencirkulation zur Bildung aller dieser Formen. Anders mit dem Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen sind 20 durchaus nicht da mit der Waaren- und Geldcirkulation. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt ||133| vorfindet, und diese eine historische Bedingung umschließt eine Weltgeschichte. Das Kapital kündigt daher von vorn herein eine Epoche des gesellschaftlichen Produk- 25 tionsprocesses a n 4 1 ) . Diese eigenthümliche Waare, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrach- ten. Gleich allen andren Waaren besitzt sie einen Werth 4 2). Wie wird er be- stimmt? 30 Der Werth der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Waare, ist be- stimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses specifi- schen Artikels nothwendige Arbeitszeit. Soweit sie Werth, repräsentirt die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlich- ter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existirt nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Exi- 35 Stenz voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produk- 4 1 ) Was also die kapitalistische Epoche charakterisirt, ist daß die Arbeitskraft für den Arbeiter selbst die Form einer ihm gehörigen Waare, seine Arbeit daher die Form der Lohnarbeit er- hält. Andrerseits verallgemeinert sich erst von diesem Augenblick die Waarenform der Ar- beitsprodukte. 4 2 ) "The Value or Worth of a man, is as of all other things, his price: that is to say, so much as would be given for the use of his power." Th. Hobbes: ,,Leviathan" in „Works edit. Moles- worth. London 1839-44", v. Ill, p. 76. 40 155 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital 5 tion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu sei- ner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft nothwendige Arbeits- zeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel nothwen- dige Arbeitszeit, oder der Werth der Arbeitskraft ist der Werth der zur Er- ihres Besitzers nothwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft haltung verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Aeußerung, bethätigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Bethätigung, die Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn u. s. w. verausgabt, das wieder ersetzt werden muß. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine ver- 10 mehrte Einnahme 4 3). Wenn der Eigenthümer der Arbeitskraft heute gear- beitet hat, muß er denselben Proceß morgen unter denselben Bedingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebens- mittel muß also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes In- dividuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen 15 Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung u.s.w. sind verschieden je ||134| nach den klimatischen und andren natürlichen Ei- genthümlichkeiten eines Landes. Andrerseits ist der Umfang s.g. n o t w e n - diger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großentheils von der Kulturstufe eines Landes, 20 unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet h a t 4 4 ) . Im Gegensatz zu den andren Waaren enthält also die Werthbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Pe- 25 riode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der nothwendigen Lebensmit- tel gegeben. Der Eigenthümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erschei- nung auf dem Markt eine kontinuirliche sein, wie die kontinuirliche Ver- wandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muß der Verkäufer der Ar- 30 beitskraft sich verewigen, „wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung 4 5)". Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzo- genen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produk- tion der Arbeitskraft nothwendigen Lebensmittel schließt also die Lebens- 35 mittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich 4 3 ) Der altrömische villicus, als Wirthschafter an der Spitze der Ackerbausklaven, empfing da- her, „weil er leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Maß als diese". (Th.Mommsen: „Rom. Geschichte 1856", p. 810.)~ 4 4 ) Vgl. ,,Over-population and its Remedy. London 1846" von W. Th. Thornton. 4 5 ) Petty. 40 156 Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital diese Race eigentümlicher Waarenbesitzer auf dem Waarenmarkte ver- ewigt 4 6). Um die allgemein menschliche Natur so zu modificiren, daß sie Ge- schick und Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwik- 5 kelte und specifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bil- dung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von Waarenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittel- ten Charakter der Arbeitskraft, sind ihre Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhnliche Arbeits- 10 kraft, gehn also ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werthe. Der Werth der Arbeitskraft löst sich auf in den Werth einer ||135| be- stimmten Summe von Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Werth dieser Lebensmittel, d. h. der Größe der zu ihrer Produktion er- 15 heischten Arbeitszeit. Ein Theil der Lebensmittel, z.B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel u.s.w., werden täglich neu verzehrt, und müssen täglich neu ersetzt werden. Andre Lebensmittel, wie Kleider, Möbel u.s.w. verbrauchen sich in längeren Zeit- räumen, und sind daher nur in längeren Zeiträumen zu ersetzen. Waaren 20 einer Art müssen täglich, andre wöchentlich, vierteljährlich u. s. f. gekauft oder gezahlt werden. Wie sich die Summe dieser Ausgaben aber immer während eines Jahres z.B. vertheilen möge, sie muß gedeckt sein durch die Durchschnittseinnahme Tag ein, Tag aus. Wäre die Masse der täglich zur Produktion der Arbeitskraft erheischten Waaren = A, die der wöchentlich 25 erheischten = B, die der vierteljährlich erheischten = C u.s.w., so wäre der • • • r u n tagliche Durchschnitt dieser Waaren = u u A - w 3 6 5 A + 5 2 B + 4 C + U.S.W. — 365 . Ge- setzt in dieser für den Durchschnitts-Tag nöthigen Waarenmasse steckten 6 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Ar- beitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, 30 oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft er- heischt. Dieß zu ihrer täglichen Produktion erheischte Arbeitsquantum bil- det den Tageswerth der Arbeitskraft, oder den Werth der täglich reprodu- cirten Arbeitskraft. Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem 35 Thaler darstellt, so ist Ein Thaler der dem Tageswerth der Arbeitskraft ent- 4 6 ) "Its (labour's) natural price ... consists in such a quantity of necessaries, and comforts of life, as, from the nature of the climate, and the habits of the country, are necessary to support the labourer, and to enable him to rear such a family as may preserve, in the market, an undi- minished supply of labour." R.Torrens: „An Essay on the external Corn Trade. London 1815" 40 P· 62. Das Wort Arbeit steht hier fälschlich für Arbeitskraft. 157 Zweiter Abschnitt • Die Verwandlung von Geld in Kapital sprechende Preis. Bietet der Besitzer der Arbeitskraft sie feil für Einen Thaler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Werth und, nach uns- rer Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Thaler in Kapital er- pichte Geldbesitzer diesen Werth. Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werths der Arbeitskraft wird gebildet durch den Werth einer Waarenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensproceß nicht erneu- ern kann, also durch den Werth der physisch unentbehrlichen Lebensmit- tel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so sinkt er unter ihren Werth, denn sie kann sich so nur in verkümmerter Form erhalten 10 und entwickeln. Der Werth jeder Waare ist aber bestimmt durch die Ar- beitszeit, erfordert um sie in normaler Güte zu liefern. 5 Es ist eine außerordentlich wohlfeile Sentimentalität, diese aus ||136| der Natur der Sache fließende Werthbestimmung der Arbeitskraft grob zu fin- den und etwa mit Rossi zu jammern: „Das Arbeitsvermögen (puissance de 15 travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln der Arbeit wäh- rend des Produktionsprocesses abstrahirt, heißt ein Hirngespinnst (être de raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen sagt, sagt zugleich Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeitslohn 4 7)." Wer Arbeits- vermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als wer Verdauungsvermögen 20 sagt, Verdauen sagt. Zum letztren Proceß ist bekanntlich mehr als ein guter Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen sagt, abstrahirt nicht von den zu seiner Subsistenz nothwendigen Lebensmitteln. Ihr Werth ist vielmehr ausgedrückt in seinem Werth. Wird es nicht verkauft, so nützt es dem Ar- beiter nichts, so empfindet er es vielmehr als eine grausame Naturnoth- 25 wendigkeit, daß sein Arbeitsvermögen ein bestimmtes Quantum Subsi- stenzmittel zu seiner Produktion erheischt hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion erheischt. Er entdeckt dann mit Sismondi: „das Arbeitsvermögen .... ist Nichts, wenn es nicht verkauft wird 4 8)." Die eigenthümliche Natur dieser specifischen Waare, der Arbeitskraft, 30 bringt es mit sich, daß mit der Abschließung des Kontrakts zwischen Käu- fer und Verkäufer ihr Gebrauchswerth noch nicht wirklich in die Hand des Käufers übergegangen ist. Ihr Werth, gleich dem jeder andren Waare, war bestimmt, bevor sie in die Cirkulation trat, denn ein bestimmtes Quantum gesellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der Arbeitskraft verausgabt, 35 aber ihr Gebrauchswerth besteht erst in der nachträglichen Kraftäußerung. Die Veräußerung der Kraft und ihre wirkliche Aeußerung, d. h. ihr Dasein als Gebrauchswerth, fallen daher der Zeit nach aus einander. Bei solchen 4 7 ) Rossi: ,,Cours d'Écon. Polit. Bruxelles 1843", p. 370, 371. 4 8 ) Sismondi: „Nouv. Princ. etc.", t.I, p. 114. 40 158 Viertes Kapitel · Verwandlung von Geld in Kapital Waaren a b e r 4 9 ) , wo die formelle Veräußerung des Gebrauchswerts durch den Verkauf und seine wirkliche Ueberlassung an den Käufer der Zeit nach auseinander fallen, funktionirt das Geld des Käufers meist als Zah- lungsmittel. In ||137| allen Ländern kapitalistischer Produktionsweise wird 5 die Arbeitskraft erst gezahlt, nachdem sie bereits während des im Kaufkon- trakt festgesetzten Termins funktionirt hat, z.B. am Ende jeder Woche. Ueberau schießt daher der Arbeiter dem Kapitalisten den Gebrauchswerth der Arbeitskraft vor; er läßt sie vom Käufer konsumiren, bevor er ihren Preis bezahlt erhält, überall kreditirt daher der Arbeiter dem Kapitalisten. 10 Daß dies Kreditiren kein leerer Wahn ist, zeigt nicht nur der gelegentliche Verlust des kreditirten Lohns beim Bankerott des Kapitalisten 5 0), sondern auch eine Reihe mehr nachhaltiger Wirkungen 5 1). Indeß ändert es an | 20 15 4 9 ) "All labour is paid, after it has ceased." („An Inquiry into those Principles respecting the Nature of Demand etc.", p. 104). «Le crédit commercial a dû commencer au moment où l'ouvrier, premier artisan de la production, a pu, au moyen de ses économies, attendre le sa- laire de son travail jusqu'à la fin de la semaine, de la quinzaine, du mois, du trimestre etc.» (Ch.Ganilh: „Des Systèmes de l'Écon. Polit. 2ème édit. Paris 1821", t. II, p. 150.) 5 0 ) ,,L'ouvrier prête son industrie", aber setzt Storch schlau hinzu: er „riskirt nichts" außer „de perdre son salaire ... l'ouvrier ne transmet rien de matériel". (Storch: ,,Cours d'Écon. Po- lit. Pétersbourg 1815", t. IL p. 36, 37.) 5 1 ) Ein Beispiel. In London existiren zweierlei Sorten von Bäckern, die ,,full priced", die das Brod zu seinem vollen Werthe verkaufen, und die „undersellers", die es unter diesem Werthe verkaufen. Letztere Klasse bildet über % der Gesammtzahl der Bäcker, (p. X X X I I - X X X I V im „Report" des Regierungskommissairs H. S.Tremenheere über die ,,Grievances complained of 25 by the journeymen bakers etc. London 1862.") Diese undersellers verkaufen, fast ausnahms- los, Brod, das verfälscht ist durch Beimischung von Alaun, Seife, Perlasche, Kalk, Derbyshire Steinmehl und ähnlichen angenehmen, nahrhaften und gesunden Ingredienzien. (Sieh das oben citirte Blaubuch, ebenso den Bericht des ,,Committee of 1855 on the Adulteration of Bread" und Dr.Hassall's: ,,Adulterations Detected". 2nd edit. London 1861.) Sir John Gordon 30 erklärte vor dem Comité von 1855, daß, „in Folge dieser Fälschungen der Arme, der von zwei Pfund Brod täglich lebt, jetzt nicht den vierten Theil des Nahrungsstoffes wirklich erhält, ab- gesehn von den schädlichen Wirkungen auf seine Gesundheit." Als Grund, warum „ein sehr großer Theil der Arbeiterklasse", obgleich wohlunterrichtet über die Fälschungen, dennoch Alaun, Steinmehl etc. mit in den Kauf nimmt, führt Tremenheere (I.e. p. XLVIII) an, daß es für sie „ein Ding der Notwendigkeit ist, von ihrem Bäcker oder dem chandler's shop das Brod zu nehmen, wie man es ihnen zu geben beliebt." Da sie erst Ende der Arbeitswoche be- zahlt werden, können sie auch „das während der Woche von ihren Familien verzehrte Brod erst Ende der Woche zahlen"; und, fügt Tremenheere mit Anführung der Zeugenaussagen hinzu: „es ist notorisch, daß mit solchen Mixturen bereitetes Brod expreß für diese Art Kun- 40 den gemacht wird." ("It is notorious that bread composed of those mixtures, is made expressly for sale in this manner.") „In vielen englischen Agrikulturdistrikten (aber noch mehr in schot- tischen) wird der Arbeitslohn vierzehntägig und selbst monatlich gezahlt. Mit diesen langen Zahlungsfristen muß der Agrikulturarbeiter seine Waaren auf Kredit kaufen . . . E r hat höhere Preise zu zahlen und ist thatsächlich an die Boutique gebunden, die ihm pumpt. So kostet ihm z.B. zu Horningsham in Wilts, wo die Löhnung monatlich, dasselbe Mehl 2 sh. 4 d. per stone, das er sonstwo mit 1 sh. 10 d. zahlt." (,,Sixth Report" on „Public Health" by „The Medi- cal Officer of the Privy Council etc. 1864", p. 264.) „Die Kattun-Handdrucker von Paisley und Kilmarnock (Westschottland) erzwangen 1853 durch einen Strike die Herabsetzung des Zah- lungstermins von einem Monat auf 14 Tage." („Reports of the Inspectors of Factories for 31st 50 Oct. 1853", p. 34.) Als eine weitere artige Entwicklung des Kredits, den der Arbeiter dem Ka- 45 35 159 Zweiter Abschnitt · Die Verwandlung von Geld in Kapital 113 81 der Natur des Waarenaustausches selbst nichts, ob das Geld als Kauf- mittel oder als Zahlungsmittel funktionirt. Der Preis der Arbeitskraft ist kontraktlich festgesetzt, obgleich er erst hinterher realisirt wird, wie der Miethpreis eines Hauses. Die Arbeitskraft ist verkauft, obgleich sie erst hinterher bezahlt wird. Für die reine Auffassung des Verhältnisses ist es j e - doch nützlich, einstweilen vorauszusetzen, daß der Besitzer der Arbeits- kraft mit ihrem Verkauf jedesmal auch sogleich den kontraktlich stipulir- ten Preis erhält. 5 Wir kennen nun die Art und Weise der Bestimmung des Werths, wel- cher dem Besitzer dieser eigenthümlichen Waare, der Arbeitskraft, vom 10 Geldbesitzer gezahlt wird. Der Gebrauchswerth, den letztrer seinerseits im Austausch erhält, zeigt sich erst im wirklichen Verbrauch, im Konsum- tionsproceß der Arbeitskraft. Alle zu diesem Proceß nöthigen Dinge, wie Rohmaterial u. s. w., kauft der Geldbesitzer auf dem Waarenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis. Der Konsumtionsproceß der Arbeitskraft ist zu- 15 gleich der Produktionsproceß von Waare und von Mehrwerth. Die Kon- sumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder andren Waare, voll- zieht sich außerhalb des Markts oder der Cirkulationssphäre. Diese geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und Aller Augen zugängliche Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit Geldbesitzer und Arbeitskraft- 20 besitzer, um beiden nachzufolgen in die verborgne Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: No admittance except on business. Hier wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital producirt, sondern auch wie man es selbst producirt, das Kapital. Das Geheimniß der Plusmacherei muß sich endlich enthüllen. 25 Die Sphäre der Cirkulation oder des Waarenaustausches, innerhalb de- ren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der That ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigenthum, und Bentham. Freiheit! denn Käufer und Verkäufer einer Waare, z . B . der Arbeitskraft, sind nur durch 30 ihren freien Willen ||139| bestimmt. Sie kontrahiren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Waarenbesitzer auf einander und tauschen Aequiva- pitalisten gibt, kann man die Methode vieler englischer Kohlenbergwerksbesitzer betrachten, 35 wonach der Arbeiter erst Ende des Monats bezahlt wird, und in der Zwischenzeit Vorschüsse vom Kapitalisten erhält, oft in Waaren, die er über ihren Marktpreis zahlen muß (Trucksy- stem). „It is a common practice with the coal masters to pay once a month, and advance cash to their workmen at the end of each intermediate week. The cash is given in the shop (näm- lich dem tommy shop oder dem Meister selbst gehörigen Kramladen); the men take it on one 40 side and lay it out on the other." (,,Children's Employment Commission, III. Report. Lond. 1864", p. 38. n.192.) 160 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß lent für Aequivalent. Eigenthum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu thun. Die ein- zige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältniß bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervortheiis, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, in Folge einer prästabilirten Harmonie der Dinge, oder unter den Auspicien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vortheils, des Gemeinnutzens, des Gesammtinteresses. 5 Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Cirkulation oder des 10 Waarenaustausches, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Be- griffe und Maßstab für sein Urtheil über die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unsrer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der Eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der Andre scheu, widerstrebsam, wie Jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die - Gerberei. 15 D R I T T E R A B S C H N I T T . Die Produktion des absoluten Mehrwerths. 20 F Ü N F T E S K A P I T E L . Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß. I) Arbeitsproceß. Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Ar- beitskraft konsumirt sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten läßt. Letztrer 25 wird hierdurch actu sich bethätigende Arbeitskraft, Arbeiter, was er früher nur potentia war. Um seine Arbeit in Waaren darzustellen, muß er sie vor allem in Gebrauchswerthen darstellen, Sachen, die zur Befriedigung von Bedürfnissen irgend ||140| einer Art dienen. Es ist also ein besondrer Ge- brauchswerth, ein bestimmter Artikel, den der Kapitalist vom Arbeiter an- fertigen läßt. Die Produktion von Gebrauchswerthen, oder Gütern, ändert ihre allgemeine Natur nicht dadurch, daß sie für den Kapitalisten und un- ter seiner Kontrole vorgeht. Der Arbeitsproceß ist daher zunächst unabhän- gig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form zu betrachten. 30 161 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 Die Arbeit ist zunächst ein Proceß zwischen Mensch und Natur, ein Pro- ceß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne That vermittelt, regelt und kontrolirt. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Na- turkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueig- nen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten thierartig in- 10 stinktmäßigen Formen der Arbeit zu thun. Dem Zustand, worin der Arbei- ter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Waarenmarkt auftritt, ist in urzeitlichen Hintergrund der Zustand entrückt, worin die menschli- che Arbeit ihre erste instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließ- 15 lieh angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen man- chen menschlichen Baumeister. Was aber von vorn herein den schlechte- sten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeits- 20 processes kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Thuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen 25 muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der An- strengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, ||141| je weniger er sie da- 30 her als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt. Die einfachen Momente des Arbeitsprocesses sind die zweckmäßige Thätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel. Die Erde (worunter ökonomisch auch das Wasser einbegriffen), wie sie den Menschen ursprünglich mit Proviant, fertigen Lebensmitteln ausrü- 35 stet 1), findet sich ohne sein Zuthun als der allgemeine Gegenstand der menschlichen Arbeit vor. Alle Dinge, welche die Arbeit nur von ihrem un- 1J "The earth's spontaneous productions being in small quantity, and quite independent of man, appear, as it were, to be furnished by nature, in the same way as a small sum is given to a young man, in order to put him in a way of industry, and of making his fortune." (James Steu- 40 art: ,,Principles of Polit. Econ. edit. Dublin 1770", v. I, p. 116.) 162 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß mittelbaren Zusammenhang mit dem Erdganzen loslöst, sind von Natur vorgefundne Arbeitsgegenstände. So der Fisch, der von seinem Lebensele- ment, dem Wasser, getrennt, gefangen wird, das Holz, das im Urwald ge- fällt, das Erz, das aus seiner Ader losgebrochen wird. Ist der Arbeitsgegen- stand dagegen selbst schon sozusagen durch frühere Arbeit filtrirt, so nennen wir ihn Rohmaterial. Z . B . das bereits losgebrochene Erz, das nun ausgewaschen wird. Alles Rohmaterial ist Arbeitsgegenstand, aber nicht j e - der Arbeitsgegenstand ist Rohmaterial. Rohmaterial ist der Arbeitsgegen- stand nur, sobald er bereits eine durch Arbeit vermittelte Veränderung er- fahren hat. 5 10 20 Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Ar- beiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand schiebt, und die ihm als Leiter seiner Thätigkeit auf diesen Gegenstand dienen. Er benutzt die me- chanischen, physikalischen, chemischen Eigenschaften der Dinge, um sie 15 als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäß, wirken zu lassen 2). Der Gegenstand, dessen sich der Arbeiter unmittelbar bemächtigt - abge- sehn von der Ergreifung fertiger Lebensmittel, der Früchte z. B . , wobei seine eignen Leibesorgane allein als Arbeitsmittel dienen - ist nicht der Arbeitsgegenstand, sondern das Arbeitsmittel. So wird das Natürliche selbst zum Organ seiner Thätigkeit, ein Organ, das er seinen eignen Lei- besorganen hinzufügt, seine natürliche Gestalt ||142| verlängernd, trotz der Bibel. Wie die Erde seine ursprüngliche Proviantkammer, ist sie sein ur- sprüngliches Arsenal von Arbeitsmitteln. Sie liefert ihm z.B. den Stein, womit er wirft, reibt, drückt, schneidet u. s. w. Die Erde selbst ist ein Ar- 25 beitsmittel, setzt jedoch zu ihrem Dienst als Arbeitsmittel in der Agrikul- tur wieder eine ganze Reihe andrer Arbeitsmittel und eine schon relativ hohe Entwicklung der Arbeitskraft voraus 3). Sobald überhaupt der Arbeits- proceß nur einigermaßen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Ar- beitsmittel. In den ältesten Menschenhöhlen finden wir Steinwerkzeuge 30 und Steinwaffen. Neben bearbeitetem Stein, Holz, Knochen und Mu- scheln spielt im Anfang der Menschengeschichte das gezähmte, also selbst schon durch Arbeit veränderte, gezüchtete Thier die Hauptrolle als Ar- beitsmittel 4). Der Gebrauch und die Schöpfung von Arbeitsmitteln, ob- 35 40 2) „Die Vernunft ist eben so listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermitteln- den Thätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß auf einander einwir- ken und sich zu einander abarbeiten läßt, ohne sich unmittelbar in diesen Proceß einzumi- schen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt." (Hegel: „Encyklopädie. Erster Theil. Die Logik. Berlin 1840", p.382.) 3) In der sonst elenden Schrift: „Theorie de l'Écon. Polit. Paris 1815", zählt Ganilh den Phy- siokraten gegenüber treffend die große Reihe von Arbeitsprocessen auf, welche die Vorausset- zung der eigentlichen Agrikultur bilden. 4) In den ,,Réflexions sur la Formation et Ia Distribution des Richesses" (1766) entwickelt Turgot gut die Wichtigkeit des gezähmten Thiers für die Anfänge der Kultur. 163 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 gleich im Keim schon gewissen Thierarten eigen, charakterisiren den spe- cifisch menschlichen Arbeitsproceß und Franklin definirt daher den Menschen als „a toolmaking animal", ein Werkzeuge fabricirendes Thier. Dieselbe Wichtigkeit, welche der Bau von Knochenreliquien für die Er- kenntniß der Organisation untergegangner Thiergeschlechter, haben ReIi- quien von Arbeitsmitteln für die Beurtheilung untergegangner ökonomi- scher Gesellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen 5)- Die Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft, sondern auch Anzeiger der gesellschaftli- 10 chen Verhältnisse, worin gearbeitet wird. Unter den Arbeitsmitteln selbst bieten die mechanischen Arbeitsmittel, deren Gesammtheit man das Kno- chen- und Muskelsystem der Produktion nennen kann, viel entscheiden- dere Charaktermerkmale einer gesellschaftlichen Produktionsepoche, als solche Arbeitsmittel, die nur zu Behältern des Arbeitsgegenstandes dienen, 15 und deren Gesammtheit ganz allgemein als das Gefäßsystem der Produk- tion bezeichnet werden kann, wie z.B. Röhren, Fässer, Körbe, Krüge u.s.w. Erst in 111431 der chemischen Fabrikation spielen sie eine bedeutungsvolle R o l l e 5 a ) . Im weitren Sinn zählt der Arbeitsproceß unter seine Mittel außer den 20 Dingen, welche die Wirkung der Arbeit auf ihren Gegenstand vermitteln, und daher in einer oder der andren Weise als Leiter der Thätigkeit dienen, alle gegenständlichen Bedingungen, die überhaupt erheischt sind, damit der Proceß stattfinde. Sie gehn nicht direkt in ihn ein, aber er kann ohne sie gar nicht oder nur unvollkommen vorgehn. Das allgemeine Arbeitsmit- 25 tel dieser Art ist wieder die Erde selbst, denn sie giebt dem Arbeiter den lo- cus standi und seinem Proceß den Wirkungsraum (field of employment). Durch die Arbeit schon vermittelte Arbeitsmittel dieser Art sind z.B. Ar- beitsgebäude, Kanäle, Straßen u. s. w. Im Arbeitsproceß bewirkt also die Thätigkeit des Menschen durch das 30 Arbeitsmittel eine von vorn herein bezweckte Veränderung des Arbeitsge- genstandes. Der Proceß erlischt im Produkt. Sein Produkt ist ein Ge- brauchswerth, ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnissen an- ihrem Gegenstand geeigneter Naturstoff. Die Arbeit hat sich mit verbunden. Sie ist vergegenständlicht und der Gegenstand ist verarbeitet. 35 Was auf Seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint 5) Von allen Waaren sind eigentliche Luxuswaaren die unbedeutendsten für die technologi- sche Vergleichung verschiedner Produktionsepochen. 5 a ) Note zur 2. Ausg. So wenig die bisherige Geschichtsschreibung die Entwicklung der mate- riellen Produktion, also die Grundläge alles gesellschaftlichen Levens und daher aller wirkli- 40 chen Geschichte kennt, hat man wenigstens die vorhistorische Zeit auf Grundlage naturwis- senschaftlicher, nicht sog. historischer Forschungen, nach dem Material der Werkzeuge und Waffen in Steinalter, Bronzealter und Eisenalter abgetheilt. 164 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf Seiten des Pro- dukts. Es hat gesponnen und das Produkt ist ein Gespinst. Betrachtet man den ganzen Proceß vom Standpunkt seines Resultats, des Produkts, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, 5 als Produktionsmittel 6) und die Arbeit selbst als produktive Arbeit 7). Wenn ein Gebrauchswerth als Produkt aus dem Arbeitsproceß heraus- kommt, gehn andre Gebrauchswerthe, Produkte frührer Arbeitsprocesse, als Produktionsmittel in ihn ein. Derselbe Ge11144|brauchswerth, der das Produkt dieser, bildet das Produktionsmittel jener Arbeit. Produkte sind 10 daher nicht nur Resultat, sondern zugleich Bedingung des Arbeitsproces- ses. Mit Ausnahme der extraktiven Industrie, die ihren Arbeitsgegenstand von Natur vorfindet, wie Bergbau, Jagd, Fischfang u. s. w., (der Ackerbau nur, soweit er in erster Instanz die jungfräuliche Erde selbst aufbricht), be- 15 handeln alle Industriezweige einen Gegenstand, der Rohmaterial, d.h. be- reits durch die Arbeit filtrirter Arbeitsgegenstand, selbst schon Arbeitspro- dukt ist. So z.B. der Samen in der Agrikultur. Thiere und Pflanzen, die man als Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte viel- leicht der Arbeit vom vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen, Pro- 20 dukte einer durch viele Generationen, unter menschlicher Kontrole, ver- mittelst menschlicher Arbeit, fortgesetzten Umwandlung. Was aber die Arbeitsmittel insbesondre betrifft, so zeigt ihre ungeheure Mehrzahl dem oberflächlichsten Blick die Spur vergangner Arbeit. Das Rohmaterial kann die Hauptsubstanz eines Produkts bilden, oder 25 nur als Hülfsstoff in seine Bildung eingehn. Der Hülfsstoff wird vom Ar- beitsmittel konsumirt, wie Kohle von der Dampfmaschine, OeI vom Rade, Heu vom Zugpferd, oder dem Rohmaterial zugesetzt, um darin eine stoffli- che Veränderung zu bewirken, wie Chlor zur ungebleichten Leinwand, Kohle zum Eisen, Farbe zur Wolle, oder er unterstützt die Verrichtung der 30 Arbeit selbst, wie z . B . zur Beleuchtung und Heizung des Arbeitslokals ver- wandte Stoffe. Der Unterschied zwischen Hauptstoff und Hülfsstoff ver- schwimmt in der eigentlich chemischen Fabrikation, weil keines der ange- wandten Rohmaterialien als die Substanz des Produkts wieder erscheint. 8). Da jedes Ding vielerlei Eigenschaften besitzt und daher verschiedner 35 Nutzanwendung fähig ist, kann dasselbe Produkt das Rohmaterial sehr ver- 6) Es scheint paradox z.B. den Fisch, der noch nicht gefangen ist, ein Produktionsmittel für den Fischfang zu nennen. Bisher ist aber noch nicht die Kunst erfunden, Fische in Gewässern zu fangen, in denen sie sich nicht vorfinden. 7) Diese Bestimmung produktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen Arbeits- processes ergibt, reicht keineswegs hin für den kapitalistischen Produktionsproceß. 8) Storch unterscheidet das eigentliche Rohmaterial als ,,matière" von den Hülfsstoffen als ,,matériaux"; Cherbuliez bezeichnet die Hülfsstoffe als ,,matières instrumentales". 40 165 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts schiedner Arbeitsprocesse bilden. Korn z.B. ist Rohmaterial für Müller, Stärkefabrikant, Destillateur, Viehzüchter u. s. w. Es wird Rohmaterial sei- ner eignen Produktion als Samen. So geht die Kohle als Produkt aus der Minenindustrie hervor und als Produktionsmittel in sie ein. Dasselbe Produkt mag in demselben Arbeitsproceß als Arbeitsmittel und Rohmaterial dienen. Bei der Viehmast z.B. wo das ||145| Vieh, das bearbei- tete Rohmaterial, zugleich Mittel der Düngerbereitung ist. 5 Ein Produkt, das in einer für die Konsumtion fertigen Form existirt, kann von neuem zum Rohmaterial eines andren Produkts werden, wie die Traube zum Rohmaterial des Weins. Oder die Arbeit entläßt ihr Produkt in 10 Formen, worin es nur wieder als Rohmaterial brauchbar ist. Rohmaterial in diesem Zustand heißt Halbfabrikat und hieße besser Stufenfabrikat, wie z . B . Baumwolle, Faden, Garn u.s.w. Obgleich selbst schon Produkt, mag das ursprüngliche Rohmaterial eine ganze Staffel verschiedner Processe zu durchlaufen haben, worin es in stets veränderter Gestalt stets von neuem 15 als Rohmaterial funktionirt bis zum letzten Arbeitsproceß, der es als ferti- ges Lebensmittel oder fertiges Arbeitsmittel von sich abstößt. Man sieht: ob ein Gebrauchswerth als Rohmaterial, Arbeitsmittel oder Produkt erscheint, hängt ganz und gar ab von seiner bestimmten Funktion im Arbeitsprocesse, von der Stelle, die er in ihm einnimmt, und mit dem 20 Wechsel dieser Stelle wechseln jene Bestimmungen. Durch ihren Eintritt als Produktionsmittel in neue Arbeitsprocesse ver- lieren Produkte daher den Charakter des Produkts. Sie funktioniren nur noch als gegenständliche Faktoren der lebendigen Arbeit. Der Spinner be- handelt die Spindel nur als Mittel womit, den Flachs nur als Gegenstand, 25 den er spinnt. Allerdings kann man nicht spinnen ohne Spinnmaterial und Spindel. Das Vorhandensein dieser Produkte ist daher vorausgesetzt beim Beginn des Spinnens. In diesem Proceß selbst aber ist es eben so gleichgül- tig, daß Flachs und Spindel Produkte vergangner Arbeit sind, wie es im Akt der Ernährung gleichgültig ist, daß Brod das Produkt der vergangnen 30 Arbeiten von Bauer, Müller, Bäcker u. s. w. Umgekehrt. Machen Produk- tionsmittel im Arbeitsproceß ihren Charakter als Produkte vergangner Ar- beit geltend, so durch ihre Mängel. Ein Messer, das nicht schneidet, Garn, das beständig zerreißt u. s. w., erinnern lebhaft an Messerschmied A und Garnwichser E. Im gelungnen Produkt ist die Vermittlung seiner Ge- 35 brauchseigenschaften durch vergangne Arbeit ausgelöscht. Eine Maschine, die nicht im Arbeitsproceß dient, ist nutzlos. Außerdem verfällt sie der zerstörenden Gewalt des natürlichen Stoffwechsels. Das Eisen verrostet, das Holz verfault. Garn, das nicht verwebt oder verstrickt wird, ist verdorbne Baumwolle. Die lebendige Arbeit muß diese Dinge er- 40 greifen, sie von den Todten ||146| erwecken, sie aus nur möglichen in wirk- 166 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß liehe und wirkende Gebrauchswerthe verwandeln. Vom Feuer der Arbeit beleckt, als Leiber derselben angeeignet, zu ihren begriffs- und berufsmäßi- gen Funktionen im Proceß begeistet, werden sie zwar auch verzehrt, aber zweckvoll, als Bildungselemente neuer Gebrauchswerthe, neuer Produkte, 5 die fähig sind als Lebensmittel in die individuelle Konsumtion oder als Produktionsmittel in neuen Arbeitsproceß einzugehn. Wenn also vorhandne Produkte nicht nur Resultate, sondern auch Exi- stenzbedingungen des Arbeitsprocesses sind, ist andrerseits ihr Hineinwer- fen in ihn, also ihr Kontakt mit lebendiger Arbeit, das einzige Mittel um 10 diese Produkte vergangner Arbeit als Gebrauchswerthe zu erhalten und zu verwirklichen. Die Arbeit verbraucht ihre stofflichen Elemente, ihren Gegenstand und ihr Mittel, verspeist dieselben, und ist also Konsumtionsproceß. Diese pro- duktive Konsumtion unterscheidet sich dadurch von der individuellen 15 Konsumtion, daß letztere die Produkte als Lebensmittel des lebendigen In- dividuums, erstere sie als Lebensmittel der Arbeit, seiner sich bethätigen- den Arbeitskraft, verzehrt. Das Produkt der individuellen Konsumtion ist daher der Konsument selbst, das Resultat der produktiven Konsumtion ein vom Konsumenten unterschiednes Produkt. 20 25 Sofern ihr Mittel und ihr Gegenstand selbst schon Produkte sind, ver- zehrt die Arbeit Produkte um Produkte zu schaffen oder vernutzt Produkte als Produktionsmittel von Produkten. Wie der Arbeitsproceß aber ur- sprünglich nur zwischen dem Menschen und der ohne sein Zuthun vor- handnen Erde vorgeht, dienen in ihm immer noch auch solche Produk- tionsmittel, die von Natur vorhanden, keine Verbindung von Naturstoff und menschlicher Arbeit darstellen. Der Arbeitsproceß, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Mo- menten dargestellt haben, ist zweckmäßige Thätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerthen, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürf- 30 nisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Na- tur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhän- gig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsfor- men gleich gemeinsam. Wir hatten daher nicht nöthig, den Arbeiter im Verhältniß zu andren Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit 35 auf der einen, die Natur und ihre Stoffe auf der andren Seite, genügten. So wenig man dem Weizen anschmeckt, wer ihn gebaut hat, so wenig sieht | 11471 man diesem Proceß an, unter welchen Bedingungen er vorgeht, ob unter der brutalen Peitsche des Sklavenaufsehers oder unter dem ängstli- chen Auge des Kapitalisten, ob Cincinnatus ihn verrichtet in der Bestel- lung seiner paar jugera, oder der Wilde, der mit einem Stein eine Bestie er- legt 9). 9) Aus diesem höchst logischen Grund entdeckt wohl Oberst Torrens in dem Stein des WiI- 40 167 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts Kehren wir zu unsrem Kapitalisten in spe zurück. Wir verließen ihn, nachdem er auf dem Waarenmarkt alle zu einem Arbeitsproceß nothwen- digen Faktoren gekauft hatte, die gegenständlichen Faktoren oder die Pro- duktionsmittel, den persönlichen Faktor oder die Arbeitskraft. Er hat mit schlauem Kennerblick die für sein besondres Geschäft, Spinnerei, Stiefel- fabrikation u. s. w. passenden Produktionsmittel und Arbeitskräfte ausge- wählt. Unser Kapitalist setzt sich also daran, die von ihm gekaufte Waare, die Arbeitskraft, zu konsumiren, d. h. er läßt den Träger der Arbeitskraft, den Arbeiter, die Produktionsmittel durch seine Arbeit konsumiren. Die allgemeine Natur des Arbeitsprocesses ändert sich natürlich nicht dadurch, daß der Arbeiter ihn für den Kapitalisten, statt für sich selbst verrichtet. Aber auch die bestimmte Art und Weise wie man Stiefel macht oder Garn spinnt, kann sich zunächst nicht ändern durch die Dazwischenkunft des Kapitalisten. Er muß die Arbeitskraft zunächst nehmen, wie er sie auf dem Markt vorfindet, also auch ihre Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, 15 wo es noch keine Kapitalisten gab. Die Verwandlung der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital kann sich erst später ereignen und ist daher erst später zu betrachten. 10 5 Der Arbeitsproceß, wie er als Konsumtionsproceß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten vorgeht, zeigt nun zwei eigenthümliche Phänomene. 20 Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrole des Kapitalisten, dem seine Ar- beit gehört. Der Kapitalist paßt auf, daß die Arbeit ordentlich von statten geht und die Produktionsmittel zweckmäßig verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeits111481instrument geschont, d.h. nur so weit zerstört wird, als sein Gebrauch in der Arbeit ernöthigt. 25 Zweitens aber: das Produkt ist Eigenthum des Kapitalisten, nicht des un- mittelbaren Producenten, des Arbeiters. Der Kapitalist zahlt z.B. den Ta- geswerth der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder andren Waare, z . B . eines Pferdes, das er für einen Tag gemiethet, gehört ihm also für den Tag. Dem Käufer der Waare gehört der Gebrauch der Waare, und der Besitzer 30 der Arbeitskraft gibt in der That nur den von ihm verkauften Gebrauchs- werth, indem er seine Arbeit gibt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstätte des Kapitalisten trat, gehörte der Gebrauchswerth seiner Ar- beitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Kapitalisten. Der Kapitalist hat durch den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als lebendigen Gäh- 35 rungsstoff den todten ihm gleichfalls gehörigen Bildungselementen des den - den Ursprung des Kapitals. „In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die er verfolgt, in dem ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit den Händen fassen kann, sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andren und entdecken so - den Ursprung des Kapitals." (R. Torrens: „An Essay on the 40 Production of Wealth etc." p. 70, 71.) Aus jenem ersten Stock ist wahrscheinlich auch zu er- klären, warum stock im Englischen synonym mit Kapital ist. 168 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß Produkts einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der Arbeitsproceß nur die Konsumtion der von ihm gekauften Waare Arbeitskraft, die er jedoch nur konsumiren kann, indem er ihr Produktionsmittel zusetzt. Der Arbeitspro- ceß ist ein Proceß zwischen Dingen, die der Kapitalist gekauft hat, zwi- sehen ihm gehörigen Dingen. Das Produkt dieses Processes gehört ihm da- her ganz eben so sehr als das Produkt des Gährungsprocesses in seinem Weinkeller 1 0). 5 2) Verwerth ungsproeeß. Das Produkt - das Eigenthum des Kapitalisten - ist ein Gebrauchswerth, 10 Garn, Stiefel u.s.w. Aber obgleich Stiefel z.B. gewissermaßen die Basis des gesellschaftlichen Fortschritts bilden ||149| und unser Kapitalist ein ent- schiedner Fortschrittsmann ist, fabricirt er die Stiefel nicht ihrer selbst we- gen. Der Gebrauchswerth ist überhaupt nicht das Ding ,,qu'on aime pour lui-même" in der Waarenproduktion. Gebrauchswerthe werden hier über- 15 haupt nur producirt, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerths sind. Und unsrem Kapitalisten handelt es sich um zweierlei. Erstens will er einen Gebrauchswerth produciren, der einen Tauschwerth hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Waare. Und zweitens will er eine Waare produciren, deren Werth höher als die Werthsumme der zu ihrer Produktion erheischten Waaren, der Produktionsmittel und der Ar- beitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Waarenmarkt vorschoß. Er will nicht nur einen Gebrauchswerth produciren, sondern eine Waare, nicht nur Gebrauchswerth, sondern Werth, und nicht nur Werth, sondern auch Mehrwerth. 20 25 In der That, da es sich hier um Waarenproduktion handelt, haben wir bisher offenbar nur eine Seite des Processes betrachtet. Wie die Waare selbst Einheit von Gebrauchswerth und Werth, muß ihr Produktionsproceß Einheit von Arbeitsproceß und Werthbildungsproceß sein. 30 35 40 1 0 ) „Die Produkte sind appropriirt, bevor sie in Kapital verwandelt werden; diese Verwand- lung entzieht sie nicht jener Appropriation." (Cherbuliez: „Riehe ou Pauvre, edit. Paris 1841", p. 54.) „Indem der Proletarier seine Arbeit gegen ein bestimmtes Quantum Lebensmittel (ap- provisionnement) verkauft, verzichtet er vollständig auf jeden Antheil am Produkt. Die Ap- propriation der Produkte bleibt dieselbe wie vorher; sie ist in keiner Weise durch die erwähnte Konvention verändert. Das Produkt gehört ausschließlich dem Kapitalisten, der die Rohstoffe und das Approvisionnement geliefert hat. Es ist dies eine strenge Konsequenz des Gesetzes der Appropriation, dessen Fundamentalprincip umgekehrt das ausschließliche Eigenthums- recht jedes Arbeiters an seinem Produkte war." (ibid. p. 58.) James Mill: „Elements of Pol. Econ. etc." p.70, 71: „Wenn die Arbeiter für Arbeitslohn arbeiten, ist der Kapitalist Eigenthü- mer nicht nur des Kapitals (meint hier die Produktionsmittel), sondern auch der Arbeit (of the labour also). Wenn man das, was für Arbeitslohn gezahlt wird, wie dies gebräuchlich, in den Begriff Kapital einschließt, ist es abgeschmackt, von der Arbeit getrennt vom Kapital zu sprechen. Das Wort Kapital in diesem Sinn schließt beides ein, Kapital und Arbeit." 169 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts Betrachten wir den Produktionsproceß nun auch als Werthbildungspro ceß. Wir wissen, daß der Werth jeder Waare bestimmt ist durch das Quantum der in ihrem Gebrauchswerth materialisirten Arbeit, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Dieß gilt auch für das Produkt, das sich unsrem Kapitalisten als Resultat des Arbeitsprocesses er- gab. Es ist also zunächst die in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu berechnen. 5 Es sei z . B . Garn. Zur Herstellung des Garns war zuerst sein Rohmaterial nöthig, z.B. 10 10 Pfund Baumwolle. Was der Werth der Baumwolle, ist nicht erst zu un- tersuchen, denn der Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem Werth, z.B. zu 10 sh. gekauft. In dem Preise der Baumwolle ist die zu ihrer Produktion erheischte Arbeit schon als allgemein gesellschaftliche Arbeit dargestellt. Wir wollen ferner annehmen, daß die in der Verarbeitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle andren aufgewandten Arbeitsmittel repräsentirt, einen Werth von 2 sh. besitzt. Ist eine Goldmasse von 12 sh. das Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen, so folgt zu- nächst, daß im Garn zwei Arbeitstage vergegenständlicht sind. | 15 |150| Der Umstand, daß die Baumwolle ihre Form verändert hat und die 20 aufgezehrte Spindelmasse ganz verschwunden ist, darf nicht beirren. Nach dem allgemeinen Werthgesetz sind z.B. 10 tì>Garn ein Aequivalent für 10 U Baumwolle und l/ A Spindel, wenn der Werth von 40 U Garn = dem Werth von 40 U Baumwolle + dem Werth einer ganzen Spindel, d.h. wenn dieselbe Arbeitszeit erfordert ist um beide Seiten dieser Gleichung zu pro- 25 duciren. In diesem Fall stellt sich dieselbe Arbeitszeit, das einemal in dem Gebrauchswerth Garn, das andremal in den Gebrauchswerthen Baumwolle und Spindel dar. Der Werth ist also gleichgültig dagegen, ob er in Garn, Spindel oder Baumwolle erscheint. Daß Spindel und Baumwolle, statt ru- hig neben einander zu liegen, im Spinnprocesse eine Verbindung eingehn, 30 welche ihre Gebrauchsformen verändert, sie in Garn verwandelt, berührt ihren Werth eben so wenig, als wenn sie durch einfachen Austausch gegen ein Aequivalent von Garn umgesetzt worden wären. Die zur Produktion der Baumwolle erheischte Arbeitszeit ist Theil der zur Produktion des Garns, dessen Rohmaterial sie bildet, erheischten Ar- 35 beitszeit und deßhalb im Garn enthalten. Ebenso verhält es sich mit der Arbeitszeit, die zur Produktion der Spindelmasse erheischt ist, ohne deren Verschleiß oder Konsum die Baumwolle nicht versponnen werden kann 1 1). n) "Not only the labour applied immediately to commodities affect their value, but the labour also which is bestowed on the implements, tools, and buildings with which such labour is as- 40 sisted." Ricardo 1. c. p. 16. 170 Fünftes Kapitel · Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß 5 So weit also der Werth des Garns, die zu seiner Herstellung erheischte Arbeitszeit, in Betrachtung kommt, können die verschiednen besondren, der Zeit und dem Raum nach getrennten Arbeitsprocesse, die durchlaufen werden müssen, um die Baumwolle selbst und die vernutzte Spindelmasse zu produciren, endlich aus Baumwolle und Spindel Garn zu machen, als verschiedne auf einander folgende Phasen eines und desselben Arbeitspro- cesses betrachtet werden. Alle im Garn enthaltne Arbeit ist vergangne Ar- beit. Daß die zur Produktion seiner Bildungselemente erheischte Arbeits- zeit früher vergangen ist, im Plusquamperfectum steht, dagegen die zum 10 Schlußproceß, dem Spinnen, unmittelbar verwandte Arbeit dem Präsens näher, im Perfectum steht, ist ein durchaus gleichgültiger Umstand. Ist eine bestimmte Masse Arbeit, z.B. von 30 Arbeitstagen, zum Bau eines Hauses nöthig, so ändert es nichts am Gesammtquantum der dem HauSe einverleibten Arbeitszeit, daß der 30. Arbeitstag 29 Tage später in die Pro- 15 duktion 111511 einging als der erste Arbeitstag. Und so kann die im Arbeits- material und Arbeitsmittel enthaltne Arbeitszeit ganz so betrachtet wer- den, als wäre sie nur in einem früheren Stadium des Spinnprocesses verausgabt worden, vor der zuletzt unter der Form des Spinnens zugesetz- ten Arbeit. 20 Die Werthe der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel, aus- gedrückt in dem Preise von 12 sh., bilden also Bestandtheile des Garn- werths, oder des Werths des Produkts. Nur sind zwei Bedingungen zu erfüllen. Einmal müssen Baumwolle und Spindel wirklich zur Produktion eines Gebrauchswerths gedient haben. Es 25 muß in unsrem Fall Garn aus ihnen geworden sein. Welcher Gebrauchs- werth ihn trägt, ist dem Werth gleichgültig, aber ein Gebrauchswerth muß ihn tragen. Zweitens ist vorausgesetzt, daß nur die unter den gegebnen ge- sellschaftlichen Produktionsbedingungen nothwendige Arbeitszeit ver- wandt wurde. Wäre also nur 1 Pfund Baumwolle nöthig, um 1 Pfund Garn 30 zu spinnen, so darf nur 1 Pfund Baumwolle verzehrt sein in der Bildung von 1 Pfund Garn. Ebenso verhält es sich mit der Spindel. Hat der Kapita- list die Phantasie goldne statt eiserner Spindeln anzuwenden, so zählt im Garnwerth dennoch nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeit, d. h. die zur Produktion eiserner Spindeln nothwendige Arbeitszeit. 35 Wir wissen jetzt, welchen Theil des Garnwerths die Produktionsmittel, Baumwolle und Spindel, bilden. Er ist gleich 12 sh., oder die Materiatur von zwei Arbeitstagen. Es handelt sich also nun um den Werththeil, wel- chen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle zusetzt. Wir haben diese Arbeit jetzt von einem ganz andren Gesichtspunkte zu 40 betrachten, als während des Arbeitsprocesses. Dort handelte es sich um die zweckmäßige Thätigkeit, Baumwolle in Garn zu verwandeln. Je zweckmä- 171 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts ßiger die Arbeit, desto besser das Garn, alle andren Umstände als gleich- bleibend vorausgesetzt. Die Arbeit des Spinners war specifisch verschieden von andren produktiven Arbeiten, und die Verschiedenheit offenbarte sich subjektiv und objektiv, im besondren Zweck des Spinnens, seiner besond- ren Operationsweise, der besondren Natur seiner Produktionsmittel, dem besondren Gebrauchswerth seines Produkts. Baumwolle und Spindel die- nen als Lebensmittel der Spinnarbeit, aber man kann mit ihnen keine ge- zogenen Kanonen machen. Sofern die Arbeit des Spinners dagegen werth- bildend ist, d. h. Werthquelle, ist sie durchaus nicht verschieden von der Arbeit des Kanonenbohrers, oder, was uns hier näher liegt, von den in den | 11521 Produktionsmitteln des Garns verwirklichten Arbeiten des Baumwoll- pflanzers und des Spindelmachers. Nur wegen dieser Identität können Baumwollpflanzen, Spindelmachen und Spinnen bloß quantitativ ver- schiedne Theile desselben Gesammtwerths, des Garnwerths, bilden. Es handelt sich hier nicht mehr um die Qualität, die Beschaffenheit und den Inhalt der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantität. Diese ist einfach zu zählen. Wir nehmen an, daß die Spinnarbeit einfache Arbeit, gesell- schaftliche Durchschnittsarbeit ist. Man wird später sehn, daß die gegen- t e i l i g e Annahme nichts an der Sache ändert. 5 10 15 Während des Arbeitsprocesses setzt sich die Arbeit beständig aus der 20 Form der Unruhe in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenständlichkeit um. Am Ende einer Stunde ist die Spinnbewegung in einem gewissen Quantum Garn dargestellt, also ein bestimmtes Quantum Arbeit, eine Arbeitsstunde, in der Baumwolle vergegenständlicht. Wir sa- gen Arbeitsstunde, d. h. die Verausgabung der Lebenskraft des Spinners 25 während einer Stunde, denn die Spinnarbeit gilt hier nur, so weit sie Ver- ausgabung von Arbeitskraft, nicht so weit sie die specifische Arbeit des Spinnens ist. Es ist nun entscheidend wichtig, daß während der Dauer des Processes, d. h. der Verwandlung von Baumwolle in Garn, nur die gesellschaftlich 30 nothwendige Arbeitszeit verzehrt wird. Müssen unter normalen, d. h. durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen, a Pfund Baumwolle während einer Arbeitsstunde in b Pfund Garn verwandelt sein, so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag von 12 Stunden, der 12 x a Pfund Baumwolle in 12 x b Pfund Garn verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich 35 nothwendige Arbeitszeit zählt als werthbildend. Wie die Arbeit selbst, so erscheint hier auch Rohmaterial und Produkt in einem ganz andren Licht als vom Standpunkt des eigentlichen Arbeits- processes. Das Rohmaterial gilt hier nur als Aufsauger eines bestimmten Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung verwandelt es sich in der That 40 in Garn, weil die Arbeitskraft in der Form der Spinnerei verausgabt und 172 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß ihm zugesetzt wurde. Aber das Produkt, das Garn, ist jetzt nur noch Grad- messer der von der Baumwolle eingesaugten Arbeit. Wird in einer Stunde 1¾ U Baumwolle versponnen oder in 1% U Garn verwandelt, so zeigen 10 U Garn 6 eingesaugte Arbeitsstunden an. Bestimmte und erfahrungsmä- 5 ßig festgestellte Quanta Produkt stellen jetzt nichts dar als bestimmte Quanta Arbeit, be||153|stimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind nur noch Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden, einem Tag gesell- schaftlicher Arbeit. Daß die Arbeit grade Spinnarbeit, ihr Material Baumwolle und ihr Pro- 10 dukt Garn, wird hier eben so gleichgültig, als daß der Arbeitsgegenstand selbst schon Produkt, also Rohmaterial ist. Wäre der Arbeiter, statt in der Spinnerei, in der Kohlengrube beschäftigt, so wäre der Arbeitsgegenstand, die Kohle, von Natur vorhanden. Dennoch stellte ein bestimmtes Quan- tum aus dem Bett losgebrochener Kohle, z . B . ein Centner, ein bestimmtes 15 Quantum aufgesaugter Arbeit dar. Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, daß ihr Tageswerth = 3 sh., und in den letztren 6 Arbeitsstunden verkörpert sind, dieß Arbeits- quantum also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der täglichen Le- bensmittel des Arbeiters zu produciren. Verwandelt unser Spinner nun 20 während einer Arbeitsstunde 1 ¾ ¾ Baumwolle in 1¾ U G a r n 1 2 ) , so in 6 Stunden 10 U Baumwolle in 10 U Garn. Während der Dauer des Spinn- processes saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeits- zeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar. Der Baumwolle wird also durch das Spinnen selbst ein Werth von 3 sh. zugesetzt. 25 Sehn wir uns nun den Gesammtwerth des Produkts, der 10 U Garn, an. In ihnen sind 2% Arbeitstage vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, Y2 Tag Arbeit eingesaugt während des Spinnprocesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von 15 sh. dar. Der dem Werth der 10 U Garn adäquate Preis beträgt also 30 15 sh., der Preis eines U Garn 1 sh. 6 d. 35 Unser Kapitalist stutzt. Der Werth des Produkts ist gleich dem Werth des vorgeschossenen Kapitals. Der vorgeschossene Werth hat sich nicht verwerthet, keinen Mehrwerth erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital ver- wandelt. Der Preis der 10 U Garn ist 15 sh. und 15 sh. wurden verausgabt auf dem Waarenmarkt für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprocesses: 10 sh. für Baumwolle, 2 sh. für die verzehrte Spindelmasse, und 3 sh. für Arbeitskraft. Der aufgeschwollne Werth des Garns hilft nichts, denn sein Werth ist nur die Summe der frü- her auf Baumwolle, Spindel und Arb e its 1115 41 kr aft vertheilten Werthe, und 40 1 2 ) Die Zahlen hier sind ganz willkürlich. 173 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts aus einer solchen bloßen Addition vorhandner Werthe kann nun und nim- mermehr ein Mehrwerth entspringen 1 3). Diese Werthe sind jetzt alle auf ein Ding koncentrirt, aber so waren sie in der Geldsumme von 15 sh., bevor diese sich durch drei Waarenkäufe zersplitterte. An und für sich ist dieß Resultat nicht befremdlich. Der Werth eines U Garn ist 1 sh. 6 d. und für 10 U Garn müßte unser Kapitalist daher auf dem Waarenmarkt 15 sh. zahlen. Ob er sein Privathaus fertig auf dem Markt kauft, oder es selbst bauen läßt, keine dieser Operationen wird das im Erwerb des Hauses ausgelegte Geld vermehren. 5 Der Kapitalist, der in der Vulgärökonomie Bescheid weiß, sagt vielleicht, 10 er habe sein Geld mit der Absicht vorgeschossen, mehr Geld daraus zu ma- chen. Der Weg zur Hölle ist jedoch mit guten Absichten gepflastert und er konnte eben so gut der Absicht sein, Geld zu machen, ohne zu produci- r e n 1 4 ) . Er droht. Man werde ihn nicht wieder ertappen. Künftig werde er die Waare fertig auf dem Markt kaufen, statt sie selbst zu fabriciren. Wenn 15 aber alle seine Brüder Kapitalisten deßgleichen thun, wo soll er Waare auf dem Markt finden? Und Geld kann er nicht essen. Er katechisirt. Man soll seine Abstinenz bedenken. Er konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen hat er sie produktiv konsumirt und Garn daraus gemacht. Aber dafür ist er ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. Er muß bei Leibe nicht 20 in die Rolle des Schatzbildners zurückfallen, der uns zeigte, was bei der Ascetik herauskommt. Außerdem, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Welches immer das Verdienst seiner Entsagung, es ist nichts da, um sie extra zu zahlen, da der Werth des Produkts, der aus dem Proceß herauskommt, nur gleich der Summe der hineingeworfenen Waarenwerthe. Er beruhige sich ||155| also dabei, daß Tugend der Tugend Lohn. Statt des- sen wird er zudringlich. Das Garn ist ihm unnütz. Er hat es für den Ver- kauf producirt. So verkaufe er es, oder, noch einfacher, producire in Zu- kunft nur Dinge für seinen eignen Bedarf, ein Recept, das ihm bereits sein Hausarzt MacCulloch als probates Mittel gegen die Epidemie der Ueber- 30 Produktion verschrieben hat. Er stellt sich trutzig auf die Hinterbeine. 25 1 3 ) Dieß ist der Fundamentalsatz, worauf die Lehre der Physiokraten von der Unproduktivität aller nicht agrikolen Arbeit beruht, und er ist unumstößlich für den Oekonomen - von Fach. « Cette façon d'imputer à une seule chose la valeur de plusieurs autres (par exemple au lin la consommation du tisserand), d'appliguer, pour ainsi dire, couche sur couche, plusieurs va- 35 leurs sur une seule, fait que celle-ci grossit d'autant .... Le terme d'addition peint très-bien la manière dont se forme le prix des ouvrages de main d'œuvre; ce prix n'est qu'un total de plu- sieurs valeurs consommées et additionnées ensemble; or, additionner n'est pas multiplier.» (Mercier de la Rivière 1. c. p. 599.) 1 4 ) So z. B. entzog er 1844-47 Theil seines Kapitals dem produktiven Geschäft, um es in 40 Eisenbahnaktien zu verspekuliren. So, zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, schloß er die Fabrik und warf den Fabrikarbeiter aufs Pflaster, um auf der Liverpooler Baumwollbörse zu spielen. 174 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß 10 Sollte der Arbeiter mit seinen eignen Gliedmaßen in der blauen Luft Ar- beitsgebilde schaffen, Waaren produciren? Gab er ihm nicht den Stoff, wo- mit und worin er allein seine Arbeit verleiblichen kann? Da nun der größte Theil der Gesellschaft aus solchen Habenichtsen besteht, hat er nicht der 5 Gesellschaft durch seine Produktionsmittel, seine Baumwolle und seine Spindel, einen unermeßlichen Dienst erwiesen, nicht dem Arbeiter selbst, den er obendrein noch mit Lebensmitteln versah? Und soll er den Dienst nicht berechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst erwie- sen, Baumwolle und Spindel in Garn zu verwandeln? Außerdem handelt es sich hier nicht um Dienste 1 5). Ein Dienst ist nichts als die nützliche Wir- kung eines Gebrauchswerths, sei es der Waare, sei es der Arbeit 1 6). Hier aber gilt's den Tauschwerth. Er zahlte dem Arbeiter den Werth von 3 sh. Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Aequivalent zurück in dem der Baum- wolle zugesetzten Werth von 3 sh., Werth für Werth. Unser Freund, eben 15 noch so kapitalübermüthig, nimmt plötzlich die anspruchslose Haltung seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht selbst gearbeitet? nicht die Arbeit der Ueberwachung, der Oberaufsicht über den Spinner verrichtet? Bildet diese seine Arbeit nicht auch Werth? Sein eigner over||156|looker und sein manager zucken die Achseln. Unterdeß hat er aber bereits mit heitrem Lä- cheln seine alte Physiognomie wieder angenommen. Er foppte uns mit der ganzen Litanei. Er giebt keinen Deut darum. Er überläßt diese und ähnli- che faule Ausflüchte und hohle Flausen den dafür eigens bezahlten Profes- soren der politischen Oekonomie. Er selbst ist ein praktischer Mann, der zwar nicht immer bedenkt, was er außerhalb des Geschäfts sagt, aber stets 20 25 weiß, was er im Geschäft thut. Sehn wir näher zu. Der Tageswerth der Arbeitskraft betrug 3 sh., weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist, d.h. weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nöthigen Lebensmittel einen halben Ar- beitstag kosten. Aber die vergangne Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, 30 und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungsko- 35 40 1 5 ) „Las du rhümen, schmücken und putzen ... Wer aber mehr oder besseres nimpt (als er gibt), das ist Wucher, und heisst, nicht Dienst, sondern Schaden gethan seinem Nehesten, als mit Stelen und rauben geschieht. Es ist nicht alles Dienst und wolgethan dem Nehesten, was man heisst, Dienst und wolgethan. Denn eine Ehebrecherin und Ehebrecher thun einander grossen Dienst und wolgefallen. Ein Reuter thut einem Mordbrenner grossen reuterdienst, das er im hilfft auff der Strassen rauben, Land und Leute bevehden. Die Papisten thun den unsern grossen Dienst, das sie nicht alle ertrenken, verbrennen, ermorden, im Gefengniss verfaulen lassen, sondern lassen doch etliche leben, und verjagen sie, oder nemen jenen was sie haben. Der Teuffei thut selber seinen Dienern grossen, unermesslichen Dienst ... Summa, die Welt ist voll grosser, trefflicher, teglicher Dienst und wolthaten." (Martin Luther: „An die Pfarr- herm, wider den Wucher zu predigen etc. Wittemberg 1540".) 1 6 ) Ich bemerke darüber in „Zur Kritik der Pol. Oek." p. 14. u. a.: „Man begreift, welchen ,Dienst' die Kategorie ,Dienst' (service) einer Sorte Oekonomen wie J. B. Say und F. Bastiat leisten muß." 175 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 sten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne Größen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwerth, die andre bildet ihren Gebrauchs- werth. Daß ein halber Arbeitstag nöthig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Werth der Arbeitskraft und ihre Verwerthung im Arbeitspro- ceß sind also zwei verschiedne Größen. Diese Werthdifferenz hatte der Ka- pitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua non, weil Ar- beit in nützlicher Form verausgabt werden muß, um Werth zu bilden. Was aber entschied, war der specifische Gebrauchswerth dieser Waare, Quelle 10 von Werth zu sein und von mehr Werth als sie selbst hat. Dieß ist der spe- cifische Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen des Waarenaustausches gemäß. In der That, der Ver- käufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder andren Waare, realisirt ihren Tauschwerth und veräußert ihren Gebrauchswerth. Er kann den 15 einen nicht erhalten, ohne den andren wegzugeben. Der Gebrauchswerth der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört ebensowenig ihrem Verkäufer, wie der Gebrauchswerth des verkauften OeIs dem Oelhändler. Der Geldbe- sitzer hat den Tageswerth der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, daß die 20 tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, ob- gleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher der Werth, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so groß ist als ihr eigner Tageswerth, ist ein be||157|sondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer. 25 Unser Kapitalist hat den Casus, der ihn lachen macht, vorgesehn. Der Arbeiter findet daher in der Werkstätte die nöthigen Produktionsmittel nicht nur für einen sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Ar- beitsproceß. Saugten 10 U Baumwolle 6 Arbeitsstunden ein und verwan- delten sich in 10 U Garn, so werden 20 U Baumwolle 12 Arbeitsstunden 30 einsaugen und in 20 U Garn verwandelt. Betrachten wir das Produkt des verlängerten Arbeitsprocesses. In den 20 U Garn sind jetzt 5 Arbeitstage vergegenständlicht, 4 in der verzehrten Baumwoll- und Spindelmasse, 1 von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprocesses. Der Goldaus- druck von 5 Arbeitstagen ist aber 30 sh. oder 1 Pfd. St. 10 sh. Dieß also der 35 Preis der 20 U Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie vor 1 sh. 6 d. Aber die Werthsumme der in den Proceß geworfenen Waaren betrug 27 sh. Der Werth des Garns beträgt 30 sh. Der Werth des Produkts ist um l/ 9 gewach- sen über den zu seiner Produktion vorgeschoßnen Werth. So haben sich 27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie haben einen Mehrwerth von 3 sh. gesetzt. 40 Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt. 176 Fünftes Kapitel · Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Wa- renaustausches in keiner Weise verletzt. Aequivalent wurde gegen Aequi- valent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Waare zu ihrem Werth, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er that dann, was jeder 5 andre Käufer von Waaren thut. Er konsumirte ihren Gebrauchswerth. Der Konsumtionsproceß der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsproceß der Waare, ergab ein Produkt von 20 U Garn mit einem Werth von 30 sh. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Waare, nachdem er Waare gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu 1 sh. 6 d., keinen Deut 10 über oder unter seinem Werth. Und doch zieht er 3 sh. mehr aus der Cirku- lation heraus als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Cirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Cirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Waarenmarkt. Nicht in 15 der Cirkulation, denn sie leitet nur den Verwerthungsproceß ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist ,,tout pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles". | 20 25 115 81 Indem der Kapitalist Geld in Waaren verwandelt, die als Stoffbild- ner eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprocesses dienen, indem er ihrer todten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einver- leibt, verwandelt er Werth, vergangne, vergegenständlichte, todte Arbeit in Kapital, sich selbst verwerthenden Werth, ein beseeltes Ungeheuer, das zu „arbeiten" beginnt, als hätt' es Lieb' im Leibe. Vergleichen wir nun Werthbildungsproceß und Verwerthungsproceß, so ist der Verwerthungsproceß nichts als ein über einen gewissen Punkt hin- aus verlängerter Werthbildungsproceß. Dauert der letztre nur bis zu dem Punkt, wo der vom Kapital gezahlte Werth der Arbeitskraft durch ein neues Aequivalent ersetzt ist, so ist er einfacher Werthbildungsproceß. Dauert der Werthbildungsproceß über diesen Punkt hinaus, so wird er Ver- 30 werthungsproceß. 35 Vergleichen wir ferner den Werthbildungsproceß mit dem Arbeitspro- ceß, so besteht der letztre in der nützlichen Arbeit, die Gebrauchswerthe producirt. Die Bewegung wird hier qualitativ betrachtet, in ihrer besondren Art und Weise, nach Zweck und Inhalt. Derselbe Arbeitsproceß stellt sich im Werthbildungsproceß nur von seiner quantitativen Seite dar. Es handelt sich nur noch um die Zeit, welche die Arbeit zu ihrer Operation braucht, oder um die Dauer, während deren die Arbeitskraft nützlich verausgabt wird. Hier gelten auch die Waaren, die in den Arbeitsproceß eingehn, nicht mehr als funktionell bestimmte, stoffliche Faktoren der zweckmäßig wir- 40 kenden Arbeitskraft. Sie zählen nur noch als bestimmte Quanta vergegen- ständlichter Arbeit. Ob in den Produktionsmitteln enthalten oder durch 177 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts die Arbeitskraft zugesetzt, die Arbeit zählt nur noch nach ihrem Zeitmaß. Sie beträgt so viel Stunden, Tage u. s. w. 5 Sie zählt jedoch nur, so weit die zur Produktion des Gebrauchswerths verbrauchte Zeit gesellschaftlich nothwendig ist. Es umfaßt dieß Ver- schiednes. Die Arbeitskraft muß unter normalen Bedingungen funktioni- ren. Ist die Spinnmaschine das gesellschaftlich herrschende Arbeitsmittel für die Spinnerei, so darf dem Arbeiter nicht ein Spinnrad in die Hand ge- geben werden. Statt Baumwolle von normaler Güte muß er nicht Schund erhalten, der jeden Augenblick reißt. In beiden Fällen würde er mehr als die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Pfundes 10 Garn verbrauchen, diese überschüssige Zeit aber nicht Werth oder Geld bilden. Der normale Charakter der gegenständ11159|lichen Arbeitsfaktoren hängt jedoch nicht vom Arbeiter, sondern vom Kapitalisten ab. Fernere Be- dingung ist der normale Charakter der Arbeitskraft selbst. In dem Fach, worin sie verwandt wird, muß sie das herrschende Durchschnittsmaß von 15 Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen. Aber unser Kapitalist kaufte auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft von normaler Güte. Diese Kraft muß in dem gewöhnlichen Durchschnittsmaß der Anstrengung, mit dem gesell- schaftlich üblichen Grad von Intensität verausgabt werden. Darüber wacht der Kapitalist eben so ängstlich, als daß keine Zeit ohne Arbeit vergeudet 20 wird. Er hat die Arbeitskraft für bestimmte Zeitfrist gekauft. Er hält darauf das Seine zu haben. Er will nicht bestohlen sein. Endlich - und hierfür hat derselbe Herr einen eignen code pénal - darf kein zweckwidriger Konsum von Rohmaterial und Arbeitsmitteln stattfinden, weil vergeudetes Material oder Arbeitsmittel überflüssig verausgabte Quanta vergegenständlichter 25 Arbeit darstellen, also nicht zählen und nicht in das Produkt der Werthbil- dung eingehn 1 7). | 1 7 ) Dieß ist einer der Umstände, die auf Sklaverei gegründete Produktion vertheuern. Der Ar- beiter soll sich hier, nach dem treffenden Ausdruck der Alten, nur als instrumentum vocale von dem Thier als instrumentum semivocale und dem todten Arbeitszeug als instrumentum 30 mutum unterscheiden. Er selbst aber läßt Thier und Arbeitszeug fühlen, daß er nicht Ihresgleichen, sondern ein Mensch ist. Er verschafft sich das Selbstgefühl seines Unterschieds von ihnen, in dem er sie mißhandelt und con amore verwüstet. Es gilt daher als ökonomisches Princip in dieser Produktionsweise, nur die rohesten, schwerfälligsten, aber grade wegen ihrer unbehülflichen Plumpheit schwer zu ruinirenden Arbeitsinstrumente anzuwenden. Bis zum 35 Ausbruch des Bürgerkrieges fand man daher in den am Meerbusen von Mexiko liegenden Sklavenstaaten Pflüge altchinesischer Konstruktion, die den Boden aufwühlen wie ein Schwein oder Maulwurf, aber ihn nicht spalten und wenden. Vgl. J. E. Cairnes: „The Slave Power. London 1862", p.46 sqq. In seinem „Sea Bord Slave States" erzählt Olmsted U.A.: "I am here shewn tools that no man in his senses, with us, would allow a labourer, for whom he 40 was paying wages, to be encumbered with; and the excessive weight and clumsiness of which, I would judge, would make work at least ten per cent greater than with those ordinarily used with us. And I am assured that, in the careless and clumsy way they must be used by the slaves, anything lighter or less rude could not be furnished them with good economy, and that such tools as we constantly give our labourers, and find our profit in giving them, would not 45 178 Fünftes Kapitel • Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß |160| Man sieht: der früher aus der Analyse der Waare gewonnene Unter- schied zwischen der Arbeit, soweit sie Gebrauchswerth, und derselben Ar- beit, soweit sie Werth schafft, hat sich jetzt als Unterscheidung der ver- schiednen Seiten des Produktionsprocesses dargestellt. 5 Als Einheit von Arbeitsproceß und Wertbildungsproceß ist der Produk- tionsproceß Produktionsproceß von Waaren; als Einheit von Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß ist er kapitalistischer Produktionsproceß, kapita- listische Form der Waarenproduktion. Es wurde früher bemerkt, daß es für den Verwerthungsproceß durchaus 10 gleichgültig, ob die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit einfache, gesell- schaftliche Durchschnittsarbeit, oder komplicirtere Arbeit, Arbeit von hö- herem specifischen Gewicht ist. Die Arbeit, die als höhere, komplicirtere Arbeit gegenüber der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt, ist die Aeußerung einer Arbeitskraft, worin höhere Bildungskosten eingehn, deren 15 Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Werth hat als die einfache Arbeitskraft. Ist der Werth dieser Kraft höher, so äu- ßert sie sich daher auch in höherer Arbeit und vergegenständlicht sich da- her, in denselben Zeiträumen, in verhältnißmäßig höheren Werthen. Wel- immer der Gradunterschied zwischen Spinnarbeit und ches 20 Juwelierarbeit, die Portion Arbeit, wodurch der Juwelenarbeiter nur den Werth seiner eignen Arbeitskraft ersetzt, unterscheidet sich qualitativ in keiner Weise von der zusätzlichen Portion Arbeit, wodurch er Mehrwerth schafft. Nach wie vor kommt der Mehrwerth nur heraus durch einen quan- titativen Ueberschuß von Arbeit, durch die verlängerte Dauer desselben 25 Arbeitsprocesses, in dem einen Fall Proceß der Garnproduktion, in dem jedoch andren Fall Proceß der Juwelenproduktion 1 8). | 30 last out a day in a Virginia cornfield - much lighter and more free from stones though it be than ours. So, too, when I ask why mules are so universally substituted for horses on the farm, the first reason given, and confessedly the most conclusive one, is that horses cannot bear the treatment that they always must get from the negroes; horses are always soon foundered or crippled by them, while mules will bear cudgelling, or lose a meal or two now and then, and not be materially injured, and they do not take cold or get sick, if neglected or overworked. But I do not need to go further than to the window of the room in which I am writing, to see at almost any time, treatment of cattle that would insure the immediate discharge of the driver 35 by almost any farmer owning them in the North." 1 8 ) Der Unterschied zwischen höherer und einfacher Arbeit, ,,skilled" und ,,unskilled labour", beruht zum Theil auf bloßen Illusionen, oder wenigstens Unterschieden, die längst aufgehört haben reell zu sein und nur noch in traditioneller Konvention fortleben; zum Theil auf der hülfloseren Lage gewisser Schichten der Arbeiterklasse, die ihnen minder als andren erlaubt, 40 den Werth ihrer Arbeitskraft zu ertrotzen. Zufällige Umstände spielen dabei so große Rolle, daß dieselben Arbeitsarten den Platz wechseln. Wo z.B. die physische Substanz der Arbeiter- klasse abgeschwächt und relativ erschöpft ist, wie in allen Ländern entwickelter kapitalisti- scher Produktion, verkehren sich im Allgemeinen brutale Arbeiten, die viel Muskelkraft erfor- dern, in höhere gegenüber viel feineren Arbeiten, die auf die Stufe einfacher Arbeit 45 herabsinken, wie z.B. die Arbeit eines bricklayer (Maurer) in England eine viel höhere Stufe 179 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts |161| Andrerseits muß in jedem Werthbildungsproceß die höhere Arbeit stets auf gesellschaftliche Durchschnittsarbeit reducirt werden, z.B. ein Tag höherer Arbeit auf χ Tage einfacher Arbeit 1 9). Man erspart also eine überflüssige Operation und vereinfacht die Analyse durch die Annahme, daß der vom Kapital verwandte Arbeiter einfache gesellschaftliche Durch- schnittsarbeit verrichtet. 5 SECHSTES KAPITEL. Konstantes Kapital und variables Kapital. Die verschiednen Faktoren des Arbeitsprocesses nehmen verschiednen An- theil an der Bildung des Produkten-Werths. 10 Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen Werth zu durch Zusatz eines bestimmten Quantums von Arbeit, abgesehn vom bestimmten Inhalt, Zweck und technischen Charakter seiner Arbeit. Andrerseits finden wir die Werthe der verzehrten Produktionsmittel wieder als Bestandtheile des Pro- dukten-Werths, z.B. die Werthe von Baumwolle und Spindel im Garn- werth. Der Werth der Produktionsmittel wird also erhalten durch seine Uebertragung auf das Produkt. Dieß Uebertragen geschieht während der Verwand||162|lung der Produktionsmittel in Produkt, im Arbeitsproceß. Es ist vermittelt durch die Arbeit. Aber wie? Der Arbeiter arbeitet nicht doppelt in derselben Zeit, nicht einmal um der Baumwolle durch seine Arbeit einen Werth zuzusetzen, und das andre- mal um ihren alten Werth zu erhalten, oder, was dasselbe, um den Werth der Baumwolle, die er verarbeitet, und der Spindel, womit er arbeitet, auf das Produkt, das Garn, zu übertragen. Sondern durch bloßes Zusetzen von 15 20 einnimmt, als die eines Damastwirkers. Auf der andren Seite fìgurirt die Arbeit eines fustian 25 cutter (Baumwollsammtscheerers), obgleich sie viel körperliche Anstrengung kostet und oben- drein sehr ungesund ist, als „einfache" Arbeit. Uebrigens muß man sich nicht einbilden, daß die sogenannte ,,skilled labour" einen quantitativ bedeutenden Umfang in der Nationalarbeit einnimmt. Laing rechnet, daß in England (und Wales) die Existenz von über 11 Millionen auf einfacher Arbeit beruht. Nach Abzug einer Million von Aristokraten und anderthalb Millio- 30 nen Paupers, Vagabunden, Verbrecher, Prostituirte u.s.w. von den 18 Millionen der Bevölke- rungszahl, zur Zeit seiner Schrift, bleiben 4 650 000 Mittelklasse mit Einschluß kleinerer Rentner, Beamten, Schriftsteller, Künstler, Schulmeister u. s. w. Um diese 4¾ Millionen her- auszubekommen, zählt er zum arbeitenden Theil der Mittelklasse, außer Banquiers u.s.w. alle besser bezahlten „Fabrikarbeiter"! Auch die bricklayers fehlen nicht unter den „potenzirten 35 Arbeitern". Bleiben ihm dann die besagten 11 Millionen. (S. Laing: „National Distress etc. London 1844.") "The great class, who have nothing to give for food but ordinary labour, are the great bulk of the people." (James Mill in Art. ,,Colony". Supplement to the Encyclop. Brit. 1824.) i 9 ) "Where reference is made to labour as a measure of value, it necessarily implies labour of 40 one particular kind ... the proportion which the other kinds bear to it being easily ascer- tained." (,,Outlines of Polit. Economy. London 1832", p. 22, 23.) 180 Sechstes Kapitel · Konstantes Kapital und variables Kapital neuem Werth erhält er den alten Werth. Da aber der Zusatz von neuem Werth zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werthe im Pro- dukt zwei ganz verschiedne Resultate sind, die der Arbeiter in derselben Zeit hervorbringt, obgleich er nur einmal in derselben Zeit arbeitet, kann 5 diese Doppelseitigkeit des Resultats offenbar nur aus der Doppelseitigkeit seiner Arbeit selbst erklärt werden. In demselben Zeitpunkt muß sie in einer Eigenschaft Werth schaffen und in einer andren Eigenschaft Werth erhalten oder übertragen. Wie setzt jeder Arbeiter Arbeitszeit und daher Werth zu? Immer nur in 10 der Form seiner eigenthümlich produktiven Arbeitsweise. Der Spinner setzt nur Arbeitszeit zu, indem er spinnt, der Weber, indem er webt, der Schmied, indem er schmiedet. Durch die zweckbestimmte Form aber, wor- in sie Arbeit überhaupt zusetzen und daher Neuwerth, durch das Spinnen, Weben, Schmieden werden die Produktionsmittel, Baumwolle und Spin- 15 del, Garn und Webstuhl, Eisen und Amboß, zu Bildungselementen eines Produkts, eines neuen Gebrauchswerths 2 0). Die alte Form ihres Gebrauchs- werths vergeht, aber nur um in einer neuen Form von Gebrauchswerth auf- zugehn. Bei Betrachtung des Werthbildungsprocesses ergab sich aber, daß so weit ein Gebrauchswerth zweckgemäß vernutzt wird zur Produktion 20 eines neuen Gebrauchswerths, die zur Herstellung des vernutzten Ge- brauchswerths nothwendige Arbeitszeit einen Theil der zur Herstellung des neuen Gebrauchswerths notwendigen Arbeitszeit bildet, also Arbeitszeit ist, die vom vernutzten Produktionsmittel auf das neue Produkt übertragen wird. Der Arbeiter erhält also die Werthe der vernutzten Produktionsmittel 25 oder überträgt sie als Werthbestandtheile auf das Produkt, nicht durch sein Zusetzen von Arbeit überhaupt, sondern durch den besondren nützlichen Charakter, durch die specifisch produktive Form dieser zusätzlichen Ar- beit. Als solche zweck||163|gemäße produktive Thätigkeit, Spinnen, We- ben, Schmieden, erweckt die Arbeit durch ihren bloßen Kontakt die 30 Produktionsmittel von den Todten, begeistet sie zu Faktoren des Arbeits- processes und verbindet sich mit ihnen zu Produkten. Wäre die specifische produktive Arbeit des Arbeiters nicht Spinnen, so würde er die Baumwolle nicht in Garn verwandeln, also auch die Werthe von Baumwolle und Spindel nicht auf das Garn übertragen. Wechselt dage- 35 gen derselbe Arbeiter das Metier und wird Tischler, so wird er nach wie vor durch einen Arbeitstag seinem Material Werth zusetzen. Er setzt ihn also zu durch seine Arbeit, nicht soweit sie Spinnarbeit oder Tischlerarbeit, sondern soweit sie abstrakte, gesellschaftliche Arbeit überhaupt, und er setzt eine bestimmte Werthgröße zu, nicht weil seine Arbeit einen besond- 40 2 0 ) "Labour gives a new creation for one extinguished." („An Essay on the Polit. Econ. of Na- tions. London 1821", p. 13.) 181 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts ren nützlichen Inhalt hat, sondern weil sie eine bestimmte Zeit dauert. In ihrer abstrakten allgemeinen Eigenschaft also, als Verausgabung menschli- cher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinners den Werthen von Baum- wolle und Spindel Neuwerth zu, und in ihrer konkreten, besondren, nützli- chen Eigenschaft als Spinnproceß, überträgt sie den Werth dieser Produktionsmittel auf das Produkt und erhält so ihren Werth im Produkt. Daher die Doppelseitigkeit ihres Resultats in demselben Zeitpunkt. 5 Durch das bloß quantitative Zusetzen von Arbeit wird neuer Werth zu- gesetzt, durch die Qualität der zugesetzten Arbeit werden die alten Werthe der Produktionsmittel im Produkt erhalten. Diese doppelseitige Wirkung 10 derselben Arbeit in Folge ihres doppelseitigen Charakters zeigt sich hand- greiflich an verschiednen Erscheinungen. Nimm an, irgend eine Erfindung befähige den Spinner in 6 Stunden so viel Baumwolle zu verspinnen wie früher in 36 Stunden. Als zweckmäßig nützliche, produktive Thätigkeit hat seine Arbeit ihre Kraft versechsfacht. 15 Ihr Produkt ist ein sechsfaches, 36 statt 6 lbs. Garn. Aber die 36 Pfund Baumwolle saugen jetzt nur so viel Arbeitszeit ein als früher 6 Pfund. Sechsmal weniger neuer Arbeit wird ihnen zugesetzt als mit der alten Me- thode, daher nur noch ein Sechstel des früheren Werths. Andrerseits exi- stirt jetzt der sechsfache Werth von Baumwolle im Produkt, den 36 Pfund 20 Garn. In den 6 Spinnstunden wird ein sechsmal größerer Werth von Roh- material erhalten und auf das Produkt übertragen, obgleich demselben Rohmaterial ein sechsmal kleinerer Neuwerth zugesetzt wird. Dieß zeigt, wie die Eigenschaft, worin die Arbeit während desselben untheilbaren Pro- cesses ||164| Werthe erhält, wesentlich unterschieden ist von der Eigen- 25 schaft, worin sie Werth schafft. Je mehr nothwendige Arbeitszeit während der Spinnoperation auf dasselbe Quantum Baumwolle geht, desto größer der Neuwerth, der der Baumwolle zugesetzt wird, aber je mehr Pfunde Baumwolle in derselben Arbeitszeit versponnen werden, desto größer der alte Werth, der im Produkt erhalten wird. 30 Nimm umgekehrt an, die Produktivität der Spinnarbeit bleibe unverän- dert, der Spinner brauche also nach wie vor gleich viel Zeit, um ein Pfund Baumwolle in Garn zu verwandeln. Aber der Tauschwerth der Baumwolle selbst wechsle, ein Pfund Baumwolle steige oder falle um das Sechsfache seines Preises. In beiden Fällen fährt der Spinner fort demselben Quantum 35 Baumwolle dieselbe Arbeitszeit zuzusetzen, also denselben Werth, und in beiden Fällen producirt er in gleicher Zeit gleich viel Garn. Dennoch ist der Werth, den er von der Baumwolle auf das Garn, das Produkt, überträgt, das einemal sechsmal kleiner, das andremal sechsmal größer als zuvor. Ebenso wenn die Arbeitsmittel sich vertheuern oder verwohlfeilern, aber 40 stets denselben Dienst im Arbeitsproceß leisten. 182 Sechstes Kapitel • Konstantes Kapital und variables Kapital Bleiben die technischen Bedingungen des Spinnprocesses unverändert und geht gleichfalls kein Werthwechsel mit seinen Produktionsmitteln vor, so verbraucht der Spinner nach wie vor in gleichen Arbeitszeiten gleiche Quanta Rohmaterial und Maschinerie von gleichbleibenden Werthen. Der 5 Werth, den er im Produkt erhält, steht dann in direktem Verhältniß zu dem Neuwerth, den er zusetzt. In zwei Wochen setzt er zweimal mehr Arbeit zu als in einer Woche, also zweimal mehr Werth, und zugleich vernutzt er zweimal mehr Material von zweimal mehr Werth, und verschleißt zweimal mehr Maschinerie von zweimal mehr Werth, erhält also im Produkt von 10 zwei Wochen zweimal mehr Werth als im Produkt einer Woche. Unter ge- gebnen gleichbleibenden Produktionsbedingungen erhält der Arbeiter um so mehr Werth, je mehr Werth er zusetzt, aber er erhält nicht mehr Werth, weil er mehr Werth zusetzt, sondern weil er ihn unter gleichbleibenden und von seiner eignen Arbeit unabhängigen Bedingungen zusetzt. 15 Allerdings kann in einem relativen Sinn gesagt werden, daß der Arbeiter stets in derselben Proportion alte Werthe erhält, worin er Neuwerth zusetzt. Ob die Baumwolle von 1 sh. auf 2 sh. steige oder auf 6 d. falle, er erhält in dem Produkt einer ||165| Stunde stets nur halb so viel Baumwollwerth, wie der auch wechsle, als in dem Produkt von zwei Stunden. Wechselt ferner 20 die Produktivität seiner eignen Arbeit, sie steige oder falle, so wird er z . B . in einer Arbeitsstunde mehr oder weniger Baumwolle verspinnen als frü- her, und dem entsprechend mehr oder weniger Baumwollwerth im Produkt einer Arbeitsstunde erhalten. Mit alle dem wird er in zwei Arbeitsstunden zweimal mehr Werth erhalten als in einer Arbeitsstunde. 25 Werth, von seiner nur symbolischen Darstellung im Werthzeichen abge- sehn, existirt nur in einem Gebrauchswerth, einem Ding. (Der Mensch selbst, als bloßes Dasein von Arbeitskraft betrachtet, ist ein Naturgegen- stand, ein Ding, wenn auch lebendiges, selbstbewußtes Ding, und die Ar- beit selbst ist dingliche Aeußerung jener Kraft.) Geht daher der Gebrauchs- 30 werth verloren, so geht auch der Werth verloren. Die Produktionsmittel verlieren mit ihrem Gebrauchswerth nicht zugleich ihren Werth, weil sie durch den Arbeitsproceß die ursprüngliche Gestalt ihres Gebrauchswerths in der That nur verlieren, um im Produkt die Gestalt eines andren Ge- brauchswerths zu gewinnen. So wichtig es aber für den Werth ist in irgend 35 einem Gebrauchswerth zu existiren, so gleichgültig ist es, in welchem er existirt, wie die Metamorphose der Waaren zeigt. Es folgt hieraus, daß im Arbeitsproceß Werth vom Produktionsmittel auf das Produkt nur übergeht, so weit das Produktionsmittel mit seinem selbständigen Gebrauchswerth auch seinen Tauschwerth verliert. Es gibt nur den Werth an das Produkt 40 ab, den es als Produktionsmittel verliert. Die gegenständlichen Faktoren des Arbeitsprocesses verhalten sich aber in dieser Hinsicht verschieden. 183 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 Die Kohle, womit die Maschine geheizt wird, verschwindet spurlos, ebenso das Oel, womit man die Axe des Rades schmiert u.s.w. Farbe und andre Hülfsstoffe verschwinden, zeigen sich aber in den Eigenschaften des Produkts. Das Rohmaterial bildet die Substanz des Produkts, hat aber seine Form verändert. Rohmaterial und Hülfsstoffe verlieren also die selb- ständige Gestalt, womit sie in den Arbeitsproceß als Gebrauchswerthe ein- traten. Anders mit den eigentlichen Arbeitsmitteln. Ein Instrument, eine Maschine, ein Fabrikgebäude, ein Gefäß u. s. w. dienen im Arbeitsproceß nur, so lange sie ihre ursprüngliche Gestalt bewahren und morgen wieder in eben derselben Form in den Arbeitsproceß eingehn, wie gestern. Wie sie 10 während ihres Lebens, des Arbeitsprocesses, ihre selbständige Gestalt dem Produkt gegenüber bewahren, so auch nach ||166| ihrem Tode. Die Leichen von Maschinen, Werkzeugen, Arbeitsgebäuden u. s. w. existiren immer noch getrennt von den Produkten, die sie bilden halfen. Betrachten wir nun die ganze Periode, während deren ein solches Arbeitsmittel dient, von 15 dem Tag seines Eintritts in die Werkstätte bis zum Tage seiner Verban- nung in die Rumpelkammer, so ist während dieser Periode sein Ge- brauchswerth von der Arbeit vollständig verzehrt worden, und sein Tausch- werth daher vollständig auf das Produkt übergegangen. Hat eine Spinnmaschine z . B . in 10 Jahren ausgelebt, so ist während des zehnjähri- 20 gen Arbeitsprocesses ihr Gesammtwerth auf das zehnjährige Produkt über- gegangen. Die Lebensperiode eines Arbeitsmittels umfängt also eine grö- ßere oder kleinere Anzahl stets von neuem mit ihm wiederholter Arbeitsprocesse. Und es geht dem Arbeitsmittel wie dem Menschen. Jeder Mensch stirbt täglich um 24 Stunden ab. Man sieht aber keinem Men- 25 sehen genau an, wie viel Tage er bereits verstorben ist. Dieß verhindert Le- bensversicherungsgesellschaften jedoch nicht, aus dem Durchschnittsleben der Menschen sehr sichre, und was noch viel mehr ist, sehr profitliche Schlüsse zu ziehn. So mit dem Arbeitsmittel. Man weiß aus der Erfahrung, wie lang ein Arbeitsmittel, z.B. eine Maschine von gewisser Art, durch- 30 schnittlich vorhält. Gesetzt, sein Gebrauchswerth im Arbeitsproceß daure nur 6 Tage. So verliert es im Durchschnitt jeden Arbeitstag % seines Ge- brauchswerths und giebt daher % seines Werths an das tägliche Produkt ab. In dieser Art wird der Verschleiß aller Arbeitsmittel berechnet, also z.B. ihr täglicher Verlust an Gebrauchswerth, und ihre entsprechende tägliche 35 Werthabgabe an das Produkt. Es zeigt sich so schlagend, daß ein Produktionsmittel nie mehr Werth an das Produkt abgiebt, als es im Arbeitsproceß durch Vernichtung seines eignen Gebrauchswerths verliert. Hätte es keinen Werth zu verlieren, d. h. wäre es nicht selbst Produkt menschlicher Arbeit, so würde es keinen 40 Werth an das Produkt abgeben. Es diente als Bildner von Gebrauchswerth, 184 Sechstes Kapitel · Konstantes Kapital und variables Kapital ohne als Bildner von Tauschwerth zu dienen. Dieß ist daher der Fall mit allen Produktionsmitteln, die von Natur, ohne menschliches Zuthun, vor- handen sind, mit Erde, Wind, Wasser, dem Eisen in der Erzader, dem Holze des Urwaldes u.s.w. 5 Ein andres interessantes Phänomen tritt uns hier entgegen. Eine Ma- schine sei z . B . 1000 Pfd. St. werth und schleiße sich in 1000 Tagen ab. In diesem Fall geht täglich ^ 0 0 0 des Werths der Maschine von ihr selbst auf ihr tägliches Produkt über. Zugleich, ||167| wenn auch mit abnehmender Lebenskraft, wirkt stets die Gesammtmaschine im Arbeitsproceß. Es zeigt 10 sich also, daß ein Faktor des Arbeitsprocesses, ein Produktionsmittel, ganz in den Arbeitsproceß, aber nur zum Theil in den Verwerthungsproceß ein- geht. Der Unterschied von Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß reflek- tirt sich hier an ihren gegenständlichen Faktoren, indem dasselbe Produk- tionsmittel als Element des Arbeitsprocesses ganz und als Element der 15 Werthbildung nur stückweis in demselben Produktionsproceß zählt 2 1). Andrerseits kann umgekehrt ein Produktionsmittel ganz in den Verwer- thungsproceß eingehn, obgleich nur stückweis in den Arbeitsproceß. Nimm an, beim Verspinnen der Baumwolle fielen täglich auf 115 Pfund 15 Pfund ab, die kein Garn, sondern nur devil's dust bilden. Dennoch, 20 wenn dieser Abfall von 15 % normal, von der Durchschnitts-Verarbeitung der Baumwolle unzertrennlich ist, geht der Werth der 15 % Baumwolle, die kein Element des Garns, ganz eben so sehr in den Garnwerth ein, wie der Werth der 100 U, die seine Substanz bilden. Der Gebrauchswerth von 15 U Baumwolle muß verstauben, um 100 U Garn zu machen. Der Untergang 25 dieser Baumwolle ist also eine Produktionsbedingung des Garns. Eben des- 35 2 1 ) Es handelt sich hier nicht um Reparaturen der Arbeitsmittel, Maschinen, Baulichkeiten u. s. w. Eine Maschine, die reparirt wird, funktionirt nicht als Arbeitsmittel, sondern als Ar- beitsmaterial. Es wird nicht mit ihr gearbeitet, sondern sie selbst wird bearbeitet, um ihren Gebrauchswerth zu flicken. Solche Reparaturarbeiten kann man für unsren Zweck immer ein- 30 geschlossen denken in die zur Produktion des Arbeitsmittels erheischte Arbeit. Im Text han- delt es sich um den Verschleiß, den kein Doctor kuriren kann und der allmählig den Tod her- beiführt, um ,,that kind of wear which cannot be repaired from time to time, and which, in the case of a knife, would ultimately reduce it to a state in which the cutler would say of it, it is not worth a new blade". Man hat im Text gesehn, daß eine Maschine z.B. ganz in jeden ein- zelnen Arbeitsproceß, aber nur stückweis in den gleichzeitigen Verwerthungsproceß eingeht. Danach zu beurtheilen die folgende Begriffsverwechslung: „Mr. Ricardo speaks of the portion of the labour of the engineer in making stocking machines" als z.B. enthalten in dem Werth von ein paar Strümpfen. "Yet the total labour that produced each single pair of stockings ... includes the whole labour of the engineer, not a portion; for one machine makes many pairs, and none of those pairs could have been done without any part of the machine." (,,Observa- tions on certain verbal disputes in Pol. Econ., particularly relating to Value, and to Demand and Supply. London 1821", p. 54.) Der Verfasser, ein ungemein selbstgefälliger ,,wiseacre", hat mit seiner Konfusion und daher mit seiner Polemik nur so weit Recht, als weder Ricardo noch irgend ein andrer Oekonom, vor oder nach ihm, die beiden Seiten der Arbeit genau ge- schieden, daher noch weniger ihre verschiedne Rolle in der Werthbildung analysirt hat. 40 45 185 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts wegen gibt sie ihren Werth an das Garn ab. Dieß gilt von allen Exkremen- ten des Arbeitsprocesses, in dem ||168| Grad wenigstens, worin diese Exkre- mente nicht wieder neue Produktionsmittel und daher neue selbständige Gebrauchswerthe bilden. So sieht man in den großen Maschinenfabriken zu Manchester Berge von Eisenabfällen, durch cyklopische Maschinen gleich Hobelspänen abgeschält, am Abend auf großen Wagen aus der Fa- brik in die Eisengießerei wandern, um den andren Tag wieder als massives Eisen aus der Eisengießerei in die Fabrik zurückzuwandern. 5 Nur soweit Produktionsmittel während des Arbeitsprocesses Werth in der Gestalt ihrer alten Gebrauchswerthe verlieren, übertragen sie Werth 10 auf die neue Gestalt des Produkts. Das Maximum des Werthverlustes, den sie im Arbeitsproceß erleiden können, ist offenbar beschränkt durch die ur- sprüngliche Werthgröße, womit sie in den Arbeitsproceß eintreten, oder durch die zu ihrer eignen Produktion erheischte Arbeitszeit. Produktions- mittel können dem Produkt daher nie mehr Werth zusetzen, als sie unab- hängig vom Arbeitsproceß, dem sie dienen, besitzen. Wie nützlich auch ein Arbeitsmaterial, eine Maschine, ein Produktionsmittel: wenn es 150 Pfd. St., sage 500 Arbeitstage, kostet, setzt es dem Gesammtprodukt, zu dessen Bildung es dient, nie mehr als 150 Pfd. St. zu. Sein Werth ist be- stimmt nicht durch den Arbeitsproceß, worin es als Produktionsmittel ein- 20 geht, sondern durch den Arbeitsproceß, woraus es als Produkt heraus- kommt. In dem Arbeitsproceß dient es nur als Gebrauchswerth, als Ding mit nützlichen Eigenschaften, und gäbe daher keinen Werth an das Pro- dukt ab, hätte es nicht Werth besessen vor seinem Eintritt in den Pro- c e ß 2 2 ) . | 15 25 2 2 ) Man begreift daher die Abgeschmacktheit des faden J. B. Say, der den Mehrwerth (Zins, Profit, Rente) aus den ,,services productifs" ableiten will, welche die Produktionsmittel, Erde, Instrumente, Leder u. s. w. durch ihre Gebrauchswerthe im Arbeitsprocesse leisten. Herr Wil- helm Roscher, der es nicht leicht läßt, artige apologetische Einfälle schwarz auf weiß zu regi- striren, ruft aus: „Sehr richtig bemerkt J. B. Say, Traité, 1.1, ch. 4, der durch eine Oelmühle 30 nach Abzug aller Kosten hervorgebrachte Werth sei doch etwas Neues, von der Arbeit, wo- durch die Oelmühle selbst geschaffen worden, wesentlich verschiednes." (I.e. p.82 Note.) Sehr richtig! Das von der Oelmühle hervorgebrachte „Oel" ist etwas sehr Verschiednes von der Ar- beit, welche der Bau der Mühle kostet. Und unter „Werth" versteht Herr Roscher solches Zeug wie „Oel", da „Oel" Werth hat, „in der Natur" aber sich Steinöl vorfindet, wenn auch re- 35 lativ nicht „sehr viel", worauf wohl seine andre Bemerkung abzielt: „Tauschwerthe bringt sie (die Natur!) fast gar nicht hervor." Es geht der Roscher'schen Natur mit dem Tauschwerth, wie der thörichten Jungfrau mit dem Kind, das nur „ganz klein war". Derselbe „Gelehrte" (,,savant sérieux") bemerkt noch bei oben erwähnter Gelegenheit: „Die Schule Ricardo's pflegt auch das Kapital unter den Begriff Arbeit zu subsumiren als ,aufgesparte Arbeit'. Dieß 40 ist ungeschickt (!), weil (!) ja (!) der Kapitalbesitzer (!) doch (!) mehr (!) gethan hat als die bloße (?!) Hervorbringung (?) und (??) Erhaltung desselben (wesselbigen?): eben (?!?) die Ent- haltung vom eignen Genüsse, wofür er z.B. (!!!) Zinsen verlangt." (I.e.) Wie „geschickt"! diese „anatomisch-physiologische Methode" der politischen Oekonomie, die aus bloßem „Verlan- gen" ja doch eben „Werth" entwickelt. 45 186 Sechstes Kapitel • Konstantes Kapital und variables Kapital |169| Indem die produktive Arbeit Produktionsmittel in Bildungsele- mente eines neuen Produkts verwandelt, geht mit deren Werth eine Seelen- wandrung vor. Er geht aus dem verzehrten Leib in den neu gestalteten Leib über. Aber diese Seelenwandrung ereignet sich gleichsam hinter dem Rük- 5 ken der wirklichen Arbeit. Der Arbeiter kann neue Arbeit nicht zusetzen, also nicht neuen Werth schaffen, ohne alte Werthe zu erhalten, denn er muß die Arbeit immer in bestimmter nützlicher Form zusetzen, und er kann sie nicht in nützlicher Form zusetzen, ohne Produkte zu Produk- tionsmitteln eines neuen Produkts zu machen, und dadurch ihren Werth 10 auf das neue Produkt zu übertragen. Es ist also eine Naturgabe der sich bethätigenden Arbeitskraft, der lebendigen Arbeit, Werth zu erhalten, in- dem sie Werth zusetzt, eine Naturgabe, die dem Arbeiter nichts kostet, aber dem Kapitalisten viel einbringt, die Erhaltung des vorhandnen Kapi- talwerths 2 2 a ) . So lange das Geschäft flott geht, ist der Kapitalist zu sehr in 15 die Plusmacherei vertieft, um diese Gratisgabe der Arbeit zu sehn. Ge- waltsame Unterbrechungen des Arbeitsprocesses, Krisen, machen sie ihm empfindlich bemerksam 2 3). 20 Was überhaupt an den Produktionsmitteln verzehrt wird, ist ihr Ge- brauchswerth, durch dessen Konsumtion die Arbeit Produkte ||170| bildet. Ihr Werth wird in der That nicht konsumirt 2 4), kann also auch nicht repro- ducirt werden. Er wird erhalten, aber nicht weil eine Operation mit ihm selbst im Arbeitsproceß vorgeht, sondern weil der Gebrauchswerth, worin er ursprünglich existirt, zwar verschwindet, aber nur in einen andren Ge- brauchswerth verschwindet. Der Werth der Produktionsmittel erscheint da- 30 25 22 a) "Of all the instruments of the farmer's trade, the labour of man ... in that on which he is most to rely for the re-payment of his capital. The other two—the working stock of the cattle, and the ... carts, ploughs, spades, and so forth—without a given portion of the first, are noth- ing at all." (Edmund Burke: ,,Thoughts and Details on Scarcity, originally presented to the Rt. Hon. W.Pitt in the Month of November 1795, edit. London 1800", p. 10.) 2 3 ) In der Times vom 26.Nov. 1862 jammert ein Fabrikant, dessen Spinnerei 800 Arbeiter be- schäftigt, und wöchentlich im Durchschnitt 150 Ballen ostindischer oder ungefähr 130 Ballen amerikanischer Baumwolle verzehrt, dem Publikum die jährlichen Stillstandskosten seiner Fabrik vor. Er schlägt sie auf 6000 Pfd. St. an. Unter diesen Unkosten befinden sich viele Po- sten, die uns hier nichts angehn, wie Grundrente, Steuern, Versichrungsprämien, Salaire für jährlich engagirte Arbeiter, manager, Buchhalter, Ingenieur u.s.w. Dann aber berechnet er für 150 Pfd. St. Kohlen, um die Fabrik von Zeit zu Zeit zu wärmen und die Dampfmaschine gele- gentlich in Gang zu setzen, außerdem Löhne für Arbeiter, die durch gelegentliche Arbeit die Maschinerie „flüssig" erhalten. Endlich 1200 Pfd. St. für Verschlechterung der Maschinerie, da ,,the weather and the natural principle of decay do not suspend their operations because the steam-engine ceases to revolve". Er bemerkt ausdrücklich, diese Summe von 1200 Pfd. St. sei so gering angeschlagen, weil sich die Maschinerie bereits in sehr abgenutztem Zustande befmde. 2 4 ) "Productive Consumption: where the consumption of a commodity is a part of the process of production ... In these instances there is no consumption of value." S.P.Newman 1. c. 35 40 45 p. 296. 187 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts her wieder im Werth des Produkts, aber er wird, genau gesprochen, nicht reproducirt. Was producirt wird, ist der neue Gebrauchswerth, worin der alte Tauschwerth wieder erscheint 2 5). 5 Anders mit dem subjektiven Faktor des Arbeitsprocesses, der sich bethä- tigenden Arbeitskraft. Während die Arbeit durch ihre zweckmäßige Form den Werth der Produktionsmittel auf das Produkt überträgt und erhält, bil- det jedes Moment ihrer Bewegung zusätzlichen Werth, Neuwerth. Gesetzt der Produktionsproceß breche ab beim Punkt, wo der Arbeiter ein Aequi- valent für den Werth seiner eignen Arbeitskraft producirt, durch sechsstün- dige Arbeit z.B. einen Werth von 3 sh. zugesetzt hat. Dieser Werth bildet 10 den Ueberschuß des Produktenwerths über seine dem Werth der Produk- tionsmittel geschuldeten Bestandtheile. Er ist der einzige Originalwerth, der innerhalb dieses Processes entstand, der einzige Werththeil des Pro- dukts, der durch den Proceß selbst producirt ist. Allerdings ersetzt er nur das vom Kapitalisten beim Kauf der Arbeitskraft vorgeschoßne, vom Arbei- 15 ter selbst in Lebensmitteln verausgabte Geld. Mit Bezug auf die verausgab- ten 3 sh. erscheint der Neuwerth von 3 sh. nur als Reproduktion. Aber er | |171| ist wirklich reproducirt, nicht nur scheinbar, wie der Werth der Produktionsmittel. Der Ersatz eines Werths durch den andren ist hier ver- mittelt durch neue Werthschöpfung. 20 Wir wissen jedoch bereits, daß der Arbeitsproceß über den Punkt hinaus fortdauert, wo ein bloßes Aequivalent für den Werth der Arbeitskraft repro- ducirt und dem Arbeitsgegenstand zugesetzt wäre. Statt der 6 Stunden, die hierzu genügen, währt der Proceß z . B . 12 Stunden. Durch die Bethätigung der Arbeitskraft wird also nicht nur ihr eigner Werth reproducirt, sondern 25 ein überschüssiger Werth producirt. Dieser Mehrwerth bildet den Ueber- schuß des Produktenwerths über den Werth der verzehrten Produktbildner, d. h. der Produktionsmittel und der Arbeitskraft. Indem wir die verschiednen Rollen dargestellt, welche die verschiednen 2 5 ) In einem nordamerikanischen Kompendium, das vielleicht 20 Auflagen erlebt hat, liest 30 man: "It matters not in what form capital reappears." Nach einer redseligen Aufzählung aller möglichen Produktionsingredienzien, deren Werth im Produkt wieder erscheint, heißt's schließlich: "The various kinds of food, clothing, and shelter, necessary for the existence and comfort of the human being, are also changed. They are consumed from time to time, and their value re-appears, in that new vigour imparted to his body and mind, forming fresh capi- 35 tal, to be employed again in the work of production." (F.Wayland I.e. p. 32.) Von allen andren Wunderlichkeiten abgesehn, ist es z.B. nicht der Preis des Brodes, der in der erneuten Kraft wieder erscheint, sondern seine blutbildenden Substanzen. Was dagegen als Werth der Kraft wiedererscheint, sind nicht die Lebensmittel, sondern ihr Werth. Dieselben Lebensmittel, wenn sie nur die Hälfte kosten, produciren ganz eben so viel Muskel, Knochen u.s.w., kurz 40 dieselbe Kraft, aber nicht Kraft vom selben Werth. Dieß Umsetzen von „Werth" in „Kraft" und die ganze pharisäische Unbestimmtheit verstecken den allerdings vergeblichen Versuch, aus bloßem Wiedererscheinen vorgeschoßner Werthe einen Mehrwerth heraus zu drech- seln. 188 Sechstes Kapitel • Konstantes Kapital und variables Kapital Faktoren des Arbeitsprocesses in der Bildung des Produktenwerths spielen, haben wir in der That die Funktionen der verschiednen Bestandtheile des Kapitals in seinem eignen Verwerthungsproceß charakterisirt. Der Ueber- schuß des Gesammtwerths des Produkts über die Werthsumme seiner BiI- 5 dungselemente ist der Ueberschuß des verwerteten Kapitals über den ur- sprünglich vorgeschoßnen Kapitalwerth. Produktionsmittel auf der einen Seite, Arbeitskraft auf der andren, sind nur die verschiednen Existenzfor- men, die der ursprüngliche Kapitalwerth annahm bei Abstreifung seiner Geldform und seiner Verwandlung in die Faktoren des Arbeitsprocesses. 10 Der Theil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d.h. in Roh- material, Hülfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verändert seine Werth- größe nicht im Produktionsproceß. Ich nenne ihn daher konstanten Kapi- t a l t e i l , oder kürzer: konstantes Kapital. Der in Arbeitskraft umgesetzte Theil des Kapitals verändert dagegen sei- 15 nen Werth im Produktionsproceß. Er reproducirt sein eignes Aequivalent und einen Ueberschuß darüber, Mehrwerth, der selbst wechseln, größer oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten Größe verwandelt sich dieser Theil des Kapitals fortwährend in eine variable. Ich nenne ihn daher varia- blen Kapitaltheil, oder kürzer: variables Kapital. Dieselben Kapitalbe- standtheile, die sich vom Standpunkt des Arbeitsprocesses als objektive und subjektive Faktoren, als Produktionsmittel und Arbeitskraft unter- scheiden, unterscheiden sich vom Standpunkt des Verwerthungsprocesses als konstantes Kapital und variables Kapital. 20 Der Begriff des konstanten Kapitals schließt eine Werthrevolution seiner 25 Bestandtheile in keiner Weise aus. Nimm an, das ||172| Pfund Baumwolle koste heute 6 d. und steige morgen, in Folge eines Ausfalls der Baumwoll- ernte, auf 1 sh. Die alte Baumwolle, die fortfährt verarbeitet zu werden, ist zum Werth von 6 d. gekauft, fügt aber jetzt dem Produkt einen Werththeil von 1 sh. zu. Und die bereits versponnene, vielleicht schon als Garn auf 30 dem Markt cirkulirende Baumwolle, fügt dem Produkt ebenfalls das Dop- pelte ihres ursprünglichen Werths zu. Man sieht jedoch, daß diese Werth- wechsel unabhängig sind von der Verwerthung der Baumwolle im Spinn- proceß selbst. Wäre die alte Baumwolle noch gar nicht in den Arbeitsproceß eingegangen, so könnte sie jetzt zu 1 sh. statt zu 6 d. wieder 35 verkauft werden. Umgekehrt: Je weniger Arbeitsprocesse sie noch durch- laufen hat, desto sichrer ist dieß Resultat. Es ist daher Gesetz der Spekula- tion bei solchen Werthrevolutionen auf das Rohmaterial in seiner mindest verarbeiteten Form zu spekuliren, also eher auf Garn als auf Gewebe und eher auf die Baumwolle selbst als auf das Garn. Die Werthänderung ent- springt hier in dem Proceß, der Baumwolle producirt, nicht in dem Proceß, worin sie als Produktionsmittel und daher als konstantes Kapital funktio- 40 189 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts nirt. Der Werth einer Waare ist zwar bestimmt durch das Quantum der in ihr enthaltnen Arbeit, aber dieß Quantum selbst ist gesellschaftlich be- stimmt. Hat sich die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte Ar- beitszeit verändert - und dasselbe Quantum Baumwolle z . B . stellt in un- günstigen Ernten größeres Quantum Arbeit dar, als in günstigen - so findet eine Rückwirkung auf die alte Waare statt, die immer nur als einzel- nes Exemplar ihrer Gattung gilt 2 6), deren Werth stets durch gesellschaft- lich nothwendige, also auch stets unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen nothwendige Arbeit gemessen wird. 5 Wie der Werth des Rohmaterials, mag der Werth bereits im Produktions- 10 proceß dienender Arbeitsmittel, der Maschinerie u. s. w. wechseln, also auch der Werththeil, den sie dem Produkt abgeben. Wird z.B. in Folge einer neuen Erfindung Maschinerie derselben Art mit verminderter Aus- gabe von Arbeit reproducirt, so entwerthet die alte Maschinerie mehr oder minder und überträgt daher auch verhältnißmäßig weniger Werth auf das Produkt. Aber auch hier entspringt der Werthwechsel außerhalb des Pro- duktionsprocesses, worin die Maschine als Produktionsmittel funktionirt. In diesem ||173| Proceß gibt sie nie mehr Werth ab als sie unabhängig von diesem Proceß besitzt. 15 Wie ein Wechsel im Werth der Produktionsmittel, ob auch rückwirkend 20 nach ihrem bereits erfolgten Eintritt in den Proceß, ihren Charakter als konstantes Kapital nicht verändert, ebenso wenig berührt ein Wechsel in der Proportion zwischen konstantem und variablem Kapital ihren funktio- nellen Unterschied. Die technischen Bedingungen des Arbeitsprocesses mögen z.B. so umgestaltet werden, daß wo früher 10 Arbeiter mit 10 Werk- 25 zeugen von geringem Werth eine verhältnißmäßig kleine Masse von Roh- material verarbeiteten, jetzt 1 Arbeiter mit einer theuren Maschine das hundertfache Rohmaterial verarbeitet. In diesem Fall wäre das konstante Kapital, d.h. die Werthmasse der angewandten Produktionsmittel, sehr ge- wachsen, und der variable Theil des Kapitals, der in Arbeitskraft vorge- 30 schoßne, sehr gefallen. Dieser Wechsel ändert jedoch nur das Größenver- hältniß zwischen konstantem und variablem Kapital, oder die Proportion, worin das Gesammtkapital in konstante und variable Bestandtheile zer- fällt, berührt dagegen nicht den Unterschied von konstant und variabel. 2 6 ) «Toutes les productions d'un même genre ne forment proprement qu'une masse, dont le 35 prix se détermine en général et sans égard aux circonstances particulières.» (Le Trosne 1. c. p. 893.) 190 Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts S I E B E N T E S K A P I T E L . Die Rate des Mehrwerths. 1. Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Der Mehrwerth, den das vorgeschoßne Kapital C im Produktionsproceß er- 5 zeugt hat, oder die Verwerthung des vorgeschoßnen Kapitalwerths C stellt sich zunächst dar als Ueberschuß des Werths des Produkts über die Werth- summe seiner Produktionselemente. Das Kapital C zerfallt in zwei Theile, eine Geldsumme c, die für Produk- tionsmittel, und eine andre Geldsumme v, die für Arbeitskraft verausgabt 10 wird; c stellt den in konstantes, ν den in variables Kapital verwandelten Werththeil vor. Ursprünglich ist also C = c + v, z . B . das vorgeschoßne Ka- c ν pital von 500 Pfd. St. = 410 Pfd. St. + 90 Pfd. St. Am Ende des Produk(cid:5) tionsprocesses kommt Waare heraus, deren Werth = c + ν + m, wo m der m c ^ ^ v Mehrwerth, z.B. 410 1. + 901. 4(cid:5) 901. Das ursprüng||174|liche Kapital C 15 hat sich in C verwandelt, aus 500 Pfd. St. in 590 Pfd. St. Die Differenz zwi- schen beiden ist = m, einem Mehrwerth von 90. Da der Werth der Produk- tionselemente gleich dem Werth des vorgeschoßnen Kapitals, so ist es in der That eine Tautologie, daß der Ueberschuß des Produktenwerths über den Werth seiner Produktionselemente gleich der Verwerthung des vorge- schoßnen Kapitals oder gleich dem producirten Mehrwerth. 20 Indeß erfordert diese Tautologie eine nähere Bestimmung. Was mit dem Produktenwerth verglichen wird, ist der Werth der in seiner Bildung aufge- zehrten Produktionselemente. Nun haben wir aber gesehn, daß der aus Ar- beitsmitteln bestehende Theil des angewandten konstanten Kapitals nur 25 ein Stück seines Werths an das Produkt abgibt, während ein andres Stück in seiner alten Existenzform fortdauert. Da das letztre keine Rolle in der Werthbildung spielt, ist hier davon zu abstrahiren. Sein Hineinziehen in die Rechnung würde nichts ändern. Nimm an, c = 4101. bestehe aus Roh- material zu 312 1., Hülfsstoffen zu 441. und im Proceß verschleißender Ma- 30 schinerie von 541., der Werth der wirklich angewandten Maschinerie be- trage aber 10541. Als vorgeschossen zur Erzeugung des Produktenwerths berechnen wir nur den Werth von 541., den die Maschinerie durch ihre Funktion verliert und daher dem Produkt abgibt. Rechneten wir die 1000 Pfd. St. mit, die in ihrer alten Form fortexistiren als Dampfmaschine 191 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts u.s.w., so müßten wir sie auf beiden Seiten mitrechnen, auf Seite des vor- geschoßnen Werths und auf Seite des Produktenwerths 2 6 a), und erhielten so resp. 1500 Pfd. St. und 1590 Pfd. St. Die Differenz oder der Mehrwerth wäre nach wie vor 90 Pfd. St. Unter dem zur Werthproduktion vorgeschoß- nen konstanten Kapital verstehn wir daher, wo das Gegentheil nicht aus dem Zusammenhang erhellt, stets nur den Werth der in der Produktion verzehrten Produktionsmittel. Dieß vorausgesetzt, kehren wir zurück zur Formel C = c + v, die sich in 5 C = c + ν + m und eben dadurch C in C verwandelt. Man weiß, daß der Werth des konstanten Kapitals im Produkt nur wieder erscheint. Das im 10 Proceß wirklich neu er||175|zeugte Werthprodukt ist also verschieden von dem aus dem Proceß erhaltnen Produktenwerth, daher nicht, wie es auf c ^ v ν m den ersten Blick scheint, c + ν + m oder 410 1. + 901. + 90 , sondern ν ^ v m ν + m oder 90 1. + 901. , nicht 5901., sondern 1801. Wäre c, das konstante Kapital, = 0, in andren Worten, gäbe es Industriezweige, worin der Kapita- 15 list keine producirten Produktionsmittel, weder Rohmaterial, noch Hülfs- stoffe, noch Arbeitsinstrumente, sondern nur von Natur vorhandne Stoffe und Arbeitskraft anzuwenden hätte, so wäre kein konstanter Werththeil auf das Produkt zu übertragen. Dieß Element des Produktenwerths, in unsrem Beispiel 410 Pfd. St., fiele fort, aber das Werthprodukt von 180 Pfd. St., 20 welches 90 Pfd. St. Mehrwerth enthält, bliebe ganz ebenso groß als ob c die größte Werthsumme darstellte. Wir hätten C = 0 + ν = ν, und C, das ver- w e r t e t e Kapital, = ν + m, C (cid:5) C nach wie vor = m. Wäre umgekehrt m = 0, in andren Worten, hätte die Arbeitskraft, deren Werth im variablen Kapital vorgeschossen wird, nur ein Aequivalent producirt, so C = c + ν 25 und C (der Produktenwerth) = c + ν + 0, daher C = C. Das vorgeschoßne Kapital hätte sich nicht verwerthet. Wir wissen in der That bereits, daß der Mehrwerth bloß Folge der Werth- veränderung ist, die mit v, dem in Arbeitskraft umgesetzten Kapitaltheil vorgeht, daß also ν + m = ν + Δν (ν plus Inkrement von ν) ist. Aber die 30 wirkliche Werthveränderung und das Verhältniß, worin sich der Werth än- dert, werden dadurch verdunkelt, daß in Folge des Wachsthums seines va- riirenden Bestandtheils auch das vorgeschoßne Gesammtkapital wächst. Es war 500 und es wird 590. Die reine Analyse des Processes erheischt also 2 6 a ) "If we reckon the value of the fixed capital employed as a part of the advances, we must 35 reckon the remaining value of such capital at the end of the year as a part of the annual re- turns." (Malthus: „Princ. of Pol. Econ. 2nd ed. London 1836", p. 269.) 192 Siebentes Kapitel · Die Rate des Mehrwerts von dem Theil des Produktenwerths, worin nur konstanter Kapitalwerth wieder erscheint, ganz zu abstrahiren, also das konstante Kapital c = 0 zu setzen, und damit ein Gesetz der Mathematik anzuwenden, wo sie mit va- riablen und konstanten Größen operirt, und die konstante Größe nur 5 durch Addition oder Substraktion mit der variablen verbunden ist. Eine andre Schwierigkeit entspringt aus der ursprünglichen Form des va- riablen Kapitals. So im obigen Beispiel ist C = 410 £ konstantes Kapital + 90 £ variables Kapital + 90 £ Mehrwerth. Neunzig Pfd. St. sind aber eine gegebne, also konstante Größe und ||176| es scheint daher ungereimt sie als ν 15 10 variable Größe zu behandeln. Aber 90 £ oder 90 £ variables Kapital ist hier in der That nur Symbol für den Proceß, den dieser Werth durchläuft. Der im Ankauf der Arbeitskraft vorgeschoßne Kapitaltheil ist ein bestimm- tes Quantum vergegenständlichter Arbeit, also konstante Werthgröße, wie der Werth der gekauften Arbeitskraft. Im Produktionsproceß selbst aber tritt an die Stelle der vorgeschoßnen 90 Pfd. St. die sich bethätigende Ar- beitskraft, an die Stelle todter, lebendige Arbeit, an die Stelle einer ruhen- den eine fließende Größe, an die Stelle einer konstanten eine variable. Das Resultat ist die Reproduktion von ν plus Inkrement von v. Vom Stand- punkt der kapitalistischen Produktion ist dieser ganze Verlauf Selbstbewe(cid:5) 20 gung des in Arbeitskraft umgesetzten, ursprünglich konstanten Werths. Ihm wird der Proceß und sein Resultat zu gut geschrieben. Erscheint die Formel 90 £ variables Kapital oder sich verwerthender Werth daher wider- spruchsvoll, so drückt sie nur einen der kapitalistischen Produktion imma- nenten Widerspruch aus. 25 Die Gleichsetzung des konstanten Kapitals mit 0 befremdet auf den er- sten Blick. Indeß vollzieht man sie beständig im Alltagsleben. Will Jemand z.B. Englands Gewinn an der Baumwollindustrie berechnen, so zieht er vor allem den an die Vereinigten Staaten, Indien, Aegypten u. s. w. gezahlten Baumwollpreis ab; d.h. er setzt im Produktenwerth nur wiedererscheinen- 30 den Kapitalwerth = 0 . 35 Allerdings hat das Verhältniß des Mehrwerths, nicht nur zum Kapital- theil, woraus er unmittelbar entspringt und dessen Werthverändrung er darstellt, sondern auch zum vorgeschoßnen Gesammtkapital seine große ökonomische Bedeutung. Wir behandeln dieß Verhältniß daher ausführ- lieh im dritten Buch. Um einen Theil des Kapitals durch seinen Umsatz in Arbeitskraft zu verwerthen, muß ein andrer Theil des Kapitals in Produk- tionsmittel verwandelt werden. Damit das variable Kapital funktionire, muß konstantes Kapital in entsprechenden Proportionen, je nach dem be- stimmten technischen Charakter des Arbeitsprocesses, vorgeschossen wer- 40 den. Der Umstand jedoch, daß man zu einem chemischen Proceß Retorten 193 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts und andre Gefäße braucht, verhindert nicht bei der Analyse von der R e - torte selbst zu abstrahiren. Sofern Werthschöpfung und Werthverändrung für sich selbst, d. h. rein betrachtet werden, liefern die Produktionsmittel, diese stofflichen Gestalten ||177| des konstanten Kapitals, nur den Stoff, worin sich die flüssige, werthbildende Kraft fixiren soll. Die Natur dieses Stoffes ist daher auch gleichgültig, ob Baumwolle oder Eisen. Auch der Werth dieses Stoffes ist gleichgültig. Er muß nur in hinreichender Masse vorhanden sein, um das während des Produktionsprocesses zu verausga- bende Arbeitsquantum einsaugen zu können. Diese Masse gegeben, mag ihr Werth steigen, oder fallen, oder sie mag werthlos sein, wie Erde und 10 Meer, der Proceß der Werthschöpfung und Werthverändrung wird nicht da- von berührt 2 7). 5 Wir setzen also zunächst den konstanten Kapitaltheil gleich Null. Das vorgeschoßne Kapital reducirt sich daher von c + ν auf v, und der Produk- tenwerth c + ν + m auf das Werthprodukt ν + m. Gegeben das Werthpro(cid:5) 15 dukt = 180 Pfd. St., worin sich die während der ganzen Dauer des Produk- tionsprocesses fließende Arbeit darstellt, so haben wir den Werth des variablen Kapitals = 90 Pfd. St. abzuziehn, um den Mehrwerth = 90 Pfd. St. zu erhalten. Die Zahl 90 Pfd. St. = m drückt hier die absolute Größe des producirten Mehrwerths aus. Seine proportionelle Größe aber, also das 20 Verhältniß, worin das variable Kapital sich verwertet hat, ist offenbar be- stimmt durch das Verhältniß des Mehrwerths zum variablen Kapital, oder ist ausgedrückt in -^-. Im obigen Beispiel also in 9 % 0 = 100%. Diese ver- hältnißmäßige Verwertung des variablen Kapitals, oder die verhältnißmä- ßige Größe des Mehrwerths, nenne ich Rate des Mehrwerths 2 8). 25 Wir haben gesehn, daß der Arbeiter während eines Abschnitts des Ar- beitsprocesses nur den Werth seiner Arbeitskraft producirt, d.h. den Werth seiner nothwendigen Lebensmittel. Da er in einem auf gesellschaftlicher Theilung der Arbeit beruhenden Zustand producirt, producirt er seine Le- bensmittel nicht direkt, sondern, in Form einer besondren Waare, des 30 Garns z.B., einen Werth gleich dem Werth seiner Lebensmittel, oder dem Geld, womit er sie kauft. Der Theil seines Arbeitstags, den er hierzu ver-| 1178|braucht, ist größer oder kleiner, je nach dem Werth seiner durch- schnittlichen täglichen Lebensmittel, also je nach der zu ihrer Produktion 2 7 ) Note zur 2. Ausg. Es versteht sich von selbst mit Lucretius „nil posse creari de nihilo". 35 Aus nichts wird nichts. „Werthschöpfung" ist Umsatz von Arbeitskraft in Arbeit. Ihrerseits ist die Arbeitskraft vor allem in menschlichen Organismus umgesetzter Naturstoff. 2 8 ) In derselben Weise, wie der Engländer „rate of profits", „rate of interest", u. s. w. braucht. Man wird aus Buch III sehen, daß die Profitrate leicht zu begreifen, sobald man die Gesetze des Mehrwerths kennt. Auf dem umgekehrten Weg begreift man ni l'un, ni l'autre. 40 194 Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts 5 erheischten durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit. Wenn der Werth sei- ner täglichen Lebensmittel im Durchschnitt 6 vergegenständlichte Arbeits- stunden darstellt, so muß der Arbeiter im Durchschnitt täglich 6 Stunden arbeiten, um ihn zu produciren. Arbeitete er nicht für den Kapitalisten, sondern für sich selbst, unabhängig, so müßte er, unter sonst gleichbleiben- den Umständen, nach wie vor im Durchschnitt denselben aliquoten Theil des Tags arbeiten, um den Werth seiner Arbeitskraft zu produciren, und dadurch die zu seiner eignen Erhaltung oder beständigen Reproduktion nöthigen Lebensmittel zu gewinnen. Da er aber in dem Theil des Arbeits- tags, worin er den Tageswerth der Arbeitskraft, sage 3 sh., producirt, nur ein Aequivalent für ihren vom Kapitalisten bereits gezahlten 2 8 a) Werth pro- ducirt, also durch den neu geschaffnen Werth nur den vorgeschoßnen va- riablen Kapitalwerth ersetzt, erscheint diese Produktion von Werth als bloße Reproduktion. Den Theil des Arbeitstags also, worin diese Repro- 15 duktion vorgeht, nenne ich nothwendige Arbeitszeit, die während dersel- ben verausgabten Arbeit nothwendige Arbeit 2 9). Nothwendig für den Ar- beiter, weil unabhängig von der gesellschaftlichen Form seiner Arbeit. Nothwendig für das Kapital und seine Welt, weil das beständige Dasein des Arbeiters ihre Basis. 10 20 Die zweite Periode des Arbeitsprocesses, die der Arbeiter über die Gren- zen der nothwendigen Arbeit hinausschanzt, kostet ihm zwar Arbeit, Ver- ausgabung von Arbeitskraft, bildet aber keinen Werth für ihn. Sie bildet Mehrwerth, der den Kapitalisten mit allem Reiz einer Schöpfung aus Nichts anlacht. Diesen Theil des Arbeitstags nenne ich Surplusarbeitszeit, 25 und die in ihr verausgabte Arbeit: Mehrarbeit (surplus labour). So ent- scheidend es für die Erkenntniß des Werths überhaupt, ihn als bloße Ge- rinnung ||179| von Arbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Arbeit, so ent- scheidend ist es für die Erkenntniß des Mehrwerths, ihn als bloße Gerinnung von Surplusarbeitszeit, als bloß vergegenständlichte Mehrarbeit zu begreifen. Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Producenten, dem Arbeiter, abgepreßt wird, unterscheidet die ökonomi- schen Gesellschaftsformationen, z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit 3 0). 30 2 8 a ) (Note zur 3. Aufl. Der Verfasser gebraucht hier die landläufige ökonomische Sprache. 35 Man erinnert sich, daß auf S. 137 nachgewiesen, wie in Wirklichkeit nicht der Kapitalist dem Arbeiter, sondern der Arbeiter dem Kapitalisten „vorschießt". - F. E.) 2 9 ) Wir haben bisher in dieser Schrift das Wort „nothwendige Arbeitszeit" angewandt für die zur Produktion einer Waare überhaupt gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit. Wir brau- chen es von jetzt ab auch für die zur Produktion der specifischen Waare Arbeitskraft noth- 40 wendige Arbeitszeit. Der Gebrauch derselben termini technici in verschiednem Sinn ist miß- lich, aber in keiner Wissenschaft ganz zu vermeiden. Man vergleiche z. B. die höheren und niedren Theile der Mathematik. 3 0 ) Mit wahrhaft Gottsched'scher Genialität entdeckt Herr Wilhelm Thucydides Roscher, daß 195 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts Da der Werth des variablen Kapitals = Werth der von ihm gekauften Ar- beitskraft, da der Werth dieser Arbeitskraft den nothwendigen Theil des Arbeitstags bestimmt, der Mehrwerth seinerseits aber bestimmt ist durch den überschüssigen Theil des Arbeitstags, so folgt: Der Mehrwerth verhält sich zum variablen Kapital, wie die Mehrarbeit zur nothwendigen, oder die Rate des Mehrwerths — = -77— m Mehrarbeit ., — ———. Beide Proportionen ^ ^ ν Nothwendige Arbeit drücken dasselbe Verhältniß in verschiedner Form aus, das einemal in der Form vergegenständlichter, das andremal in der Form flüssiger Arbeit. Die Rate des Mehrwerths ist daher der exakte Ausdruck für den Exploi- tationsgrad der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten 3 0 a). 10 Nach c \ unsrer Annahme war der Werth des Produkts = m 410 1. + 90 1. + 9 0 , das vorgeschoßne Kapital = 500 1. Da der Mehrwerth | |180| = 90 und das vorgeschoßne Kapital = 500, würde man nach der ge- wöhnlichen Art der Berechnung herausbekommen, daß die Rate des Mehr- werths (die man mit der Profitrate verwechselt) = 18 %, eine Verhältniß- zahl, deren Niedrigkeit Herrn Carey und andre Harmoniker rühren 15 möchte. In der That aber ist die Rate des Mehrwerths nicht = oder m c + ν sondern = — , also nicht -7^77, sondern -7^- = 1 0 0 %, mehr als das 500 90 ν Fünffache des scheinbaren Exploitationsgrads. Obgleich wir nun im gegeb- 20 nen Fall die absolute Größe des Arbeitstags nicht kennen, auch nicht die Periode des Arbeitsprocesses (Tag, Woche u. s. w.), endlich nicht die An- zahl der Arbeiter, die das variable Kapital von 901. gleichzeitig in Bewe- gung setzt, zeigt uns die Rate des Mehrwerths - ^ - durch ihre Konvertibili- wenn die Bildung von Mehrwerth oder Mehrprodukt, und die damit verbundne Akkumula- 25 tion, heurigen Tags der „Sparsamkeit" des Kapitalisten geschuldet, der dafür „z.B. Zins ver- langt", dagegen „auf den niedrigsten Kulturstufen ... die Schwächeren von den Stärkeren zur Sparsamkeit gezwungen werden". (1. c. p. 82, 78.) Zur Ersparung von Arbeit? oder nicht vor- handner überschüssiger Produkte? Neben wirklicher Ignoranz ist es apologetische Scheu vor gewissenhafter Analyse des Werths und Mehrwerths, und etwa verfänglich-polizeiwidrigem 30 Resultat, die einen Roscher und Cons, zwingt, die mehr oder minder plausiblen Rechtferti- gungsgründe des Kapitalisten für seine Aneignung vorhandner Mehrwerthe in Entstehungs- gründe des Mehrwerths zu verdrehen. 3 0 a ) Note zur 2. Ausg. Obgleich exakter Ausdruck für den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, ist die Rate des Mehrwerths kein Ausdruck für die absolute Größe der Exploitation. z.B. 35 wenn die nothwendige Arbeit = 5 Stunden und die Mehrarbeit = 5 Stunden, ist der Exploita- tionsgrad = 100 %. Die Größe derExploitation ist hier gemessen durch 5 Stunden. Ist dagegen die nothwendige Arbeit = 6 Stunden und die Mehrarbeit = 6 Stunden, so bleibt der Exploita- tionsgrad von 100 % unverändert, während die Größe der Exploitation um 20 % wächst, von 5 auf 6 Stunden. 40 196 Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts .. . tat m (cid:2)ZT—z Mehrarbeit Λ xr Λ ..Λ 1 . ^ . ΛαΛ .Λ — — — — genau das Verhältniß der zwei Bestandtheile Nothwendige Arbeit des Arbeitstags zu einander. Es ist 100%. Also arbeitete der Arbeiter die eine Hälfte des Tags für sich und die andre für den Kapitalisten. 5 Die Methode zur Berechnung der Rate des Mehrwerths ist also kurzge- faßt diese: Wir nehmen den ganzen Produktenwerth und setzen den darin nur wiedererscheinenden konstanten Kapitalwerth gleich Null. Die übrig- bleibende Werthsumme ist das einzige im Bildungsproceß der Waare wirk- lich erzeugte Werthprodukt. Ist der Mehrwerth gegeben, so ziehn wir ihn von diesem Werthprodukt ab, um das variable Kapital zu finden. Umge- 10 kehrt, wenn letztres gegeben und wir den Mehrwerth suchen. Sind beide gegeben, so ist nur noch die Schlußoperation zu verrichten, das Verhältniß des Mehrwerths zum variablen Kapital, zu berechnen. So einfach die Methode, scheint es doch passend, den Leser in die ihr zu Grunde liegende und ihm ungewohnte Anschauungsweise durch einige 15 Beispiele einzuexerciren. 20 Zunächst das Beispiel einer Spinnerei von 10,000 Mule-Spindeln, die No. 32 Garn aus amerikanischer Baumwolle spinnt und 1 U Garn wöchent- lich per Spindel producirt. Der Abfall ist 6 %. ||181| Also werden 10,600 U Baumwolle wöchentlich in 10,000 U Garn und 600 U Abfall verarbeitet. Im April 1871 kostet diese Baumwolle 1% d. per %, also für 10,600 U rund 342 Pfd. St. Die 10,000 Spindeln, inklusive Vorspinnmaschinerie und Dampfmaschine kosten 1 Pfd. St. per Spindel, also 10,000 Pfd. St. Ihr Ver- schleiß beträgt 10% = 1000 Pfd. St., oder wöchentlich 20 Pfd. St. Die Miethe des Fabrikgebäudes ist 300 Pfd. St. oder 6 Pfd. St. per Woche. Koh- len (4 Pfd. per Stunde und Pferdekraft, auf 100 Pferdekraft (Indikator), und 60 Stunden per Woche inklusive Heizung des Gebäudes) 11 Tons per Wo- che, zu 8 sh. 6 d. die Tonne, kosten rund 4½ Pfd. St. per Woche; Gas 1 Pfd. St. per Woche, OeI 4½ Pfd. St. per Woche, also alle Hülfsstoffe 10 Pfd. St. per Woche. Also ist der konstante Werththeil 378 Pfd. St. per Woche. Der 30 Arbeitslohn beträgt 52 Pfd. St. per Woche. Der Garnpreis ist 12¼ d. per U oder 10,000 U = 510 Pfd. S t , der Mehrwerth also 510 - 430 = 80 Pfd. St. Wir setzen den konstanten Werththeil von 378 Pfd. St. = 0, da er in der wöchentlichen Werthbildung nicht mitspielt. Bleibt das wöchentliche 25 ν m Werthprodukt von 132 = 52 + 80 Pfd. St. Die Rate des Mehrwerths also 35 = % = 153 n/ 1 3 %. Bei zehnstündigem durchschnittlichem Arbeitstag er- giebt dieß: Nothwendige Arbeit = 3¾ Stunden und Mehrarbeit = 6 2/ 3 3 Stunden 3 1). 3 1 ) Note zur 2. Ausg. Das in der ersten Ausgabe gegebne Beispiel einer Spinnerei für das Jahr 1860 enthielt einige faktische Irrthümer. Die im Text gegebnen durchaus genauen Daten sind 197 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts Jacob gibt für das Jahr 1815, bei Annahme eines Weizenpreises von 80 sh. per Quarter, und eines Durchschnittsertrags von 22 Bushels per acre, so daß der acre 11 Pfd. St. einbringt, folgende durch vorherige Kompensa- tion verschiedner Posten sehr mangelhafte, aber für unsren Zweck genü- gende Rechnung. Werthproduktion per acre. Samen (Weizen) Dünger Arbeitslohn Summa: 1 Pfd. St. 9 sh. 2 Pfd. St. 10 sh. 3 Pfd. St. 10 sh. 7 Pfd. St. 9sh. Zehnten, Rates, Taxes Rente Pächter's Profit u. Zins Summa: 1 Pfd. St. 1 sh. 1 Pfd. St. 8 sh. 1 Pfd. St. 2 sh. 3 Pfd. St. 11 sh. Der Mehrwerth, stets unter der Voraussetzung, daß Preis des Produkts = seinem Werth, wird hier unter die verschiednen ||182| Rubriken Profit, Zins, Zehnten u. s. w. vertheilt. Diese Rubriken sind uns gleichgültig. Wir addiren sie zusammen und erhalten einen Mehrwerth von 3 Pfd. 11 sh. Die 3 Pfd. 19 sh. für Samen und Dünger setzen wir als konstanten Kapitaltheil gleich Null. Bleibt vorgeschoßnes variables Kapital von 3 Pfd. 10 sh., an dessen Stelle ein Neuwerth von 3 Pfd. 10 sh. + 3 Pfd. 11 sh. producirt wor- den ist. Also beträgt — = m V 3 l?fd 11 sh. 0 ^ 3 Pfd. 10 sh. ' in Λ ' mehr als 100 %. Der Arbeiter ver(cid:5) wendet mehr als die Hälfte seines Arbeitstags zur Produktion eines Mehr- werths, den verschiedne Personen auf verschiedne Vorwände hin unter sich vertheilen 3 l a ) - 2. Darstellung des Produktenwerths in proportionellen Theilen des Produkts. Kehren wir nun zum Beispiel zurück, das uns zeigte, wie der Kapitalist aus Geld Kapital macht. Die nothwendige Arbeit seines Spinners betrug 6 Stunden, die Mehrarbeit desgleichen, der Exploitationsgrad der Arbeits- kraft daher 100%. Das Produkt des zwölfstündigen Arbeitstags sind 20 Pfd. Garn zum Werth von 30 sh. Nicht weniger als 8/ 1 0 dieses Garnwerths (24 sh.) sind ge- bildet durch den nur wieder erscheinenden Werth der verzehrten Produk- mir von einem Manchester Fabrikanten geliefert. - Es ist zu bemerken, daß in England die alte Pferdekraft nach dem Durchschnitt des Cylinders berechnet wurde, die neue nach der wirklichen Kraft zählt, die der Indikator anzeigt. 31 a) Die gegebnen Rechnungen gelten nur als Illustration. Es wird nämlich unterstellt, daß die Preise = den Werthen. Man wird in Buch III sehn, daß diese Gleichsetzung, selbst für die Durchschnittspreise, sich nicht in dieser einfachen Weise macht. 198 Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts tionsmittel (20 Pfd. Baumwolle zu 20 sh., Spindel u.s.w. zu 4 sh.) oder be- 2 / 1 0 sind der während des stehn aus konstantem Kapital. Die übrigen Spinnprocesses entstandne Neuwerth von 6 sh., wovon eine Hälfte den vor- geschoßnen Tageswerth der Arbeitskraft ersetzt oder das variable Kapital, 5 und die andre Hälfte einen Mehrwerth von 3 sh. bildet. Der Gesammtwerth der 20 Pfd. Garn ist also folgendermaßen zusammengesetzt: Garnwerth von 30 sh. = 24 sh. + 3 sh. +3 sh. c ν m Da dieser Gesammtwerth sich in dem Gesammtprodukt von 20 Pfd. Garn darstellt, müssen auch die verschiednen Werthelemente in proportio- 10 neuen Theilen des Produkts darstellbar sein. Existirt ein Garnwerth von 30 sh. in 20 Pfd. Garn, so 8 / 1 0 dieses Werths, oder sein konstanter Theil von 24 sh., in 8X 0 des ||183| Produkts, oder in 16 Pfd. Garn. Davon stellen 1 3 1 / Pfd. den Werth des Rohmaterials dar, der versponnenen Baumwolle zu 20 sh., und 2% Pfd. den Werth der verzehrten 15 Hilfsstoffe und Arbeitsmittel, Spindel u. s. w. zu 4 sh. 13¾ Pfund Garn stellen also alle im Gesammtprodukt von 20 Pfd. Garn versponnene Baumwolle vor, das Rohmaterial des Gesammtprodukts, aber auch weiter nichts. In ihnen stecken zwar nur 13¾ Pfd. Baumwolle zum Werth von 13½ sh., aber ihr zusätzlicher Werth von 6% sh. bildet ein Ae- 20 quivalent für die in den andren 6% Pfd. Garn versponnene Baumwolle. Es ist als ob letztren die Wolle ausgerupft und alle Wolle des Gesammtpro- dukts in 13½ Pfd. Garn zusammengestopft wäre. Sie enthalten dagegen jetzt kein Atom des Werths der verbrauchten Hülfsstoffe und Arbeitsmit- tel, noch des im Spinnproceß geschaffnen Neuwerths. 25 Ebenso stellen weitre 2% Pfd. Garn, worin der Rest des konstanten Kapi- tals ( = 4 sh.) steckt, nichts dar außer dem Werth der im Gesammtprodukt von 20 Pfd. Garn vernutzten Hülfsstoffe und Arbeitsmittel. Acht Zehntel des Produkts, oder 16 Pfd. Garn, obgleich leiblich, als Ge- brauchswerth betrachtet, als Garn, eben so sehr Gebilde der Spinnarbeit 30 wie die restirenden Produkttheile, enthalten daher in diesem Zusammen- hang keine Spinnarbeit, keine während des Spinnprocesses selbst einge- saugte Arbeit. Es ist als ob sie sich ohne Spinnen in Garn verwandelt hät- ten, und als wäre ihre Garngestalt reiner Lug und Trug. In der That, wenn der Kapitalist sie verkauft zu 24 sh. und damit seine Produktionsmittel zu- rückkauft, zeigt sich, daß 16 Pfd. Garn - nur verkleidete Baumwolle, Spin- del, Kohle u. s. w. sind. 35 Umgekehrt stellen die übrig bleibenden 2 / 1 0 des Produkts oder 4 Pfd. Garn jetzt nichts dar außer dem im zwölf stündigen Spinnproceß producir- ten Neuwerth von 6 sh. Was vom Werth der vernutzten Rohmaterialien 199 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts und Arbeitsmittel in ihnen steckte, ward bereits ausgeweidet und den er- sten 16 Pfd. Garn einverleibt. Die in 20 Pfd. Garn verkörperte Spinnarbeit ist koncentrirt auf 2/ 1 0 des Produkts. Es ist als ob der Spinner 4 Pfd. Garn in der Luft gewirkt oder in Baumwolle und mit Spindeln, die ohne Zuthat menschlicher Arbeit, von Natur vorhanden, dem Produkt keinen Werth zu- setzen. Von den 4 Pfd. Garn, worin so das ganze Werthprodukt des täglichen Spinnprocesses existirt, stellt die eine Hälfte nur den ||184| Ersatzwerth der vernutzten Arbeitskraft dar, also das variable Kapital von 3 s h , die andren 2 Pfd. Garn nur den Mehrwerth von 3 sh. 5 10 Da 12 Arbeitsstunden des Spinners sich in 6 sh. vergegenständlichen, sind im Garnwerth von 30 sh. 60 Arbeitsstunden vergegenständlicht. Sie existiren in 20 Pfd. Garn, wovon % 0 oder 16 Pfd. die M a t e r i a t o von 48 vor dem Spinnproceß vergangnen Arbeitsstunden sind, nämlich der in den Produktionsmitteln des Garns vergegenständlichten Arbeit, 2Z10 oder 4 Pfd. 15 dagegen die Materiatur der im Spinnproceß selbst verausgabten 12 Arbeits- stunden. Früher sahen wir, daß der Garnwerth gleich der Summe des in seiner Produktion erzeugten Neuwerths plus der bereits in seinen Produktions- mitteln präexistirenden Werthe ist. Jetzt hat sich gezeigt, wie die funktio- 20 nell oder begrifflich verschiednen Bestandtheile des Produktenwerths in proportioneilen Theilen des Produkts selbst darstellbar sind. Diese Zerfällung des Produkts - des Resultats des Produktionsproces- ses - in ein Quantum Produkt, das nur die in den Produktionsmitteln ent- haltne Arbeit oder den konstanten Kapitaltheil, ein andres Quantum, das 25 nur die im Produktionsproceß zugesetzte nothwendige Arbeit oder den va- riablen Kapitaltheil, und ein letztes Quantum Produkt, das nur die im sel- ben Proceß zugesetzte Mehrarbeit oder den Mehrwerth darstellt, ist ebenso einfach als wichtig, wie ihre spätre Anwendung auf verwickelte und noch ungelöste Probleme zeigen wird. 30 Wir betrachteten eben das Gesammtprodukt als fertiges Resultat des zwölfstündigen Arbeitstags. Wir können es aber auch in seinem Entste- hungsproceß begleiten, und dennoch die Theilprodukte als funktionell un- terschiedne Produktentheile darstellen. Der Spinner producirt in 12 Stunden 20 Pfd. Garn, daher in einer 35 Stunde 1% und in 8 Stunden 13¾ Pfd., also ein Theilprodukt vom Ge- sammtwerth der Baumwolle, die während des ganzen Arbeitstags verspon- nen wird. In derselben Art und Weise ist das Theilprodukt der folgenden Stunde und 36 Minuten = 2 % Pfd. Garn und stellt daher den Werth der während der 12 Arbeitsstunden vernutzten Arbeitsmittel dar. Ebenso pro- 40 ducirt der Spinner in der folgenden Stunde und 12 Minuten 2 Pfd. Garn 200 Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts = 3 sh., ein Produktenwerth gleich dem ganzen Werthprodukt, das er in 6 Stunden nothwendiger Arbeit schafft. Endlich producirt er in den letzten % Stunden ebenfalls 2 Pfd. Garn, deren Werth gleich dem durch seine halbtägige Mehrarbeit erzeugten Mehrwerth. ||185| Diese Art Berechnung 5 dient dem englischen Fabrikanten zum Hausgebrauch, und er wird z.B. sa- gen, daß er in den ersten 8 Stunden oder % des Arbeitstags seine Baum- wolle herausschlägt u. s. w. Man sieht, die Formel ist richtig, in der That nur die erste Formel, übersetzt aus dem Raum, wo die Theile des Produkts fertig neben einander liegen, in die Zeit, wo sie auf einander folgen. Die 10 Formel kann aber auch von sehr barbarischen Vorstellungen begleitet sein, namentlich in Köpfen, die eben so praktisch im Verwerthungsproceß inter- essirt sind, als sie ein Interesse haben, ihn theoretisch mißzuverstehn. So kann sich eingebildet werden, daß unser Spinner z.B. in den ersten 8 Stun- den seines Arbeitstags den Werth der Baumwolle, in der folgenden Stunde 15 und 36 Minuten den Werth der verzehrten Arbeitsmittel, in der folgenden Stunde und 12 Minuten den Werth des Arbeitslohns producirt oder ersetzt, und nur die vielberühmte „letzte Stunde" dem Fabrikherrn, der Produk- tion von Mehrwerth widmet. Dem Spinner wird so das doppelte Wunder aufgebürdet, Baumwolle, Spindel, Dampfmaschine, Kohle, OeI u. s. w. in 20 demselben Augenblick zu produciren, wo er mit ihnen spinnt, und aus Einem Arbeitstag von gegebnem Intensitätsgrad fünf solcher Tage zu ma- chen. In unsrem Fall nämlich erfordert die Produktion des Rohmaterials und der Arbeitsmittel 2% = 4 zwölfstündige Arbeitstage und ihre Verwand- lung in Garn einen andren zwölfstündigen Arbeitstag. Daß die Raubgier solche Wunder glaubt und nie den doktrinären Sykophanten mißt, der sie beweist, zeige nun ein Beispiel von historischer Berühmtheit. 25 3. Senior's „Letzte Stunde". An einem schönen Morgen des Jahres 1836 wurde der wegen seiner ökono- mischen Wissenschaft und seines schönen Styls berufene Nassau W. Se- 30 nior, gewissermaßen der Clauren unter den englischen Oekonomen, von Oxford nach Manchester citirt, um hier politische Oekonomie zu lernen, statt sie in Oxford zu lehren. Die Fabrikanten erkoren ihn zum Preisfechter gegen den neulich erlaßnen Factory Act und die darüber noch hinausstre- bende Zehnstundenagitation. Mit gewohntem praktischen Scharfsinn hat- ten sie erkannt, daß der Herr Professor ,,wanted a good deal of finishing". Sie verschrieben ihn daher nach Manchester. Der Herr Professor seiner- seits hat die zu Manchester von den Fabrikanten erhaltne Lektion stylisirt in dem Pamphlet: „Letters on ||186| the Factory Act, as it affects the cotton 35 201 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts manufacture. London 1837". Hier kann man u.a. folgendes Erbauliche le- sen: 5 ist. Ein Fabrikant letzten Stunde abgeleitet „Unter dem gegenwärtigen Gesetz kann keine Fabrik, die Personen un- ter 18 Jahren beschäftigt, länger als 11½ Stunden täglich arbeiten, d. h. 12 Stunden während der ersten 5 Tage und 9 Stunden am Sonnabend. Die folgende Analyse (!) zeigt nun, daß in einer solchen Fabrik der ganze Rein- gewinn von der legt 100 000 Pfd. St. aus - 8 0 0 0 0 Pfd. St. in Fabrikgebäude und Maschinen, 20 000 in Rohmaterial und Arbeitslohn. Der jährliche Umsatz der Fabrik, vorausgesetzt, das Kapital schlage jährlich einmal um und der Bruttoge- 10 winn betrage 15%, muß sich auf Waaren zum Werth von 115 000 Pfd. St. belaufen ... Von diesen 115 000 Pfd. St. producirt jede der 23 halben Ar- beitsstunden täglich 2% 3, die das Ganze der 115 000 Pfd. St. bilden (constituting the whole 115 000 Pfd. St.), ersetzen 2 % , d.h. 1 0 0 0 0 0 von den 115 000, nur das Kapital; Y23 oder 5000 Pfd. St. von den 15 000 Brutto-Gewinn (!) ersetzen die Abnutzung der Fabrik und 2Y23, d.h. die beiden letzten halben Stun- Maschinerie. Die übrigbleibenden den jedes Tags produciren den Reingewinn von 10 %. Wenn daher bei gleichbleibenden Preisen die Fabrik 13 Stunden statt 11½ arbeiten dürfte, so würde, mit einer Zulage von ungeführ 2600 Pfd. St. zum cirkulirenden 20 Kapital, der Reingewinn mehr als verdoppelt werden. Andrerseits wenn die Arbeitsstunden täglich um 1 Stunde reducirt würden, würde der Reinge- winn verschwinden, wenn um 1½ Stunden, auch der Bruttogewinn 3 2)." | 5 / 1 5 oder Y23. Von diesen 15 3 2 ) Senior I.e. p. 12, 13. Wir gehn auf die für unsren Zweck gleichgültigen Curiosa nicht ein, z.B. die Behauptung, daß die Fabrikanten den Ersatz der verschlißnen Maschinerie u.s.w., 25 also eines Kapitalbestandtheils, zum Gewinn, Brutto oder Netto, schmutzig oder rein, rech- nen. Auch nicht auf die Richtigkeit oder Falschheit der Zahlenangaben. Daß sie nicht mehr werth sind als die sogenannte „Analyse", bewies Leonard Horner in: „A Letter to Mr. Senior etc. Lond. 1837." Leonard Horner, einer der Factory Inquiry Commissioners von 1833, und Fabrikinspektor, in der That Fabrikcensor, bis 1859, hat unsterbliche Verdienste um die engli- 30 sehe Arbeiterklasse gewonnen. Außer mit den erbitterten Fabrikanten führte er einen lebens- langen Kampf mit den Ministern, für die es ungleich wichtiger war, die „Stimmen" der Fa- brikherrn im Unterhaus als die Arbeitsstunden der „Hände" in der Fabrik zu zählen. Zusatz zur Note 32. Senior's Darstellung ist konfus, ganz abgesehn von der Falschheit ihres Inhalts. Was er eigentlich sagen wollte, war dieß: Der Fabrikant beschäftigt die Arbeiter tag- 35 lieh 11½ oder 23X Stunden. Wie der einzelne Arbeitstag, so besteht die Jahresarbeit aus 11½ oder 23X Stunden (multiplicirt mit der Anzahl der Arbeitstage während des Jahrs). Dieß vor- ausgesetzt, produciren die 23X Arbeitsstunden das Jahresprodukt von 115 000 Pfd. St.; l/ 2 Ar- beitsstunde producirt % x 115 000 Pfd. St.; 2% Arbeitsstunden produciren 2% 3 x 115 000 Pfd. St. = 100000 Pfd. St., d.h. sie ersetzen nur das vorgeschoßne Kapital. Bleiben % Arbeitsstun- 40 den, die 3/ 2 3 x 115000 Pfd. St. = 15 000 produciren, d.h. den Bruttogewinn. Von diesen % Ar- beitsstunden producirt l/ 2 Arbeitsstunde % x 115 000 Pfd. St. = 5000 Pfd. St., d.h. sie produ- cirt nur den Ersatz für den Verschleiß der Fabrik und der Maschinerie. Die letzten zwei halben Arbeitsstunden, d. h. die letzte Arbeitsstunde, producirt %3 x 115 000 Pfd. St. = 10 000 Pfd. St., d.h. den Nettoprofit. Im Text verwandelt Senior die letzten 2/ 2 3 des Produkts 45 in Theile des Arbeitstags selbst. 202 Siebentes Kapitel · Die Rate des Mehrwerts 5 io 11871 Und das nennt der Herr Professor eine „Analyse"! Glaubte er den Fabrikantenjammer, daß die Arbeiter die beste Zeit des Tags in der Pro- duktion, daher der Reproduktion oder dem Ersatz des Werths von Baulich- keiten, Maschinen, Baumwolle, Kohle u. s. w. vergeuden, so war jede Ana- lyse überflüssig. Er hatte einfach zu antworten: Meine Herren! Wenn Ihr 10 Stunden arbeiten laßt statt 11½, wird, unter sonst gleichbleibenden Um- ständen, der tägliche Verzehr von Baumwolle, Maschinerie u. s. w. um ll/2 Stunden abnehmen. Ihr gewinnt also grade so viel als Ihr verliert. Eure Arbeiter werden in Zukunft ll/2 Stunden weniger für Reproduktion oder Er- satz des vorgeschoßnen Kapitalwerths vergeuden. Glaubte er ihnen nicht aufs Wort, sondern hielt als Sachverständiger eine Analyse für nöthig, so mußte er vor allem, in einer Frage, die sich ausschließlich um das Verhält- niß des Reingewinns zur Größe des Arbeitstags dreht, die Herren Fabri- kanten ersuchen, Maschinerie und Fabrikgebäude, Rohmaterial und Ar- 15 beit nicht kunterbunt durcheinander zu wirren, sondern gefälligst das in Fabrikgebäude, Maschinerie, Rohmaterial u. s. w. enthaltne konstante Ka- pital auf die eine, das in Arbeitslohn vorgeschoßne Kapital auf die andre Seite zu stellen. Ergab sich dann etwa, daß nach der Fabrikantenrechnung der Arbeiter in % Arbeitsstunden, oder in einer Stunde, den Arbeitslohn re- 20 producirt oder ersetzt, so hatte der Analytiker fortzufahren: Nach Eurer Angabe producirt der Arbeiter in der vorletzten Stunde sei- nen Arbeitslohn und in der letzten Euren Mehrwerth oder den Reinge- winn. Da er in gleichen Zeiträumen gleiche Werthe producirt, hat das Pro- dukt der vorletzten Stunde denselben Werth wie das der letzten. Er 25 producirt ferner nur Werth, so weit er Arbeit verausgabt und das Quantum seiner Arbeit ist gemessen durch eine Arbeitszeit. Diese beträgt nach Eurer Angabe 11¾ Stunden per Tag. Einen Theil dieser 11½ Stunden verbraucht er zur Produktion oder zum Ersatz seines Arbeitslohns, den andren zur Produktion Eures Reingewinns. Weiter thut er nichts wäh||188|rend des Ar- 30 beitstags. Da aber, nach Angabe, sein Lohn und der von ihm gelieferte Mehrwerth gleich große Werthe sind, producirt er offenbar seinen Arbeits- lohn in 5% Stunden und Euren Reingewinn in andren 5% Stunden. Da fer- ner der Werth des zweistündigen Garnprodukts gleich der Werthsumme seines Arbeitslohns plus Eures Reingewinns ist, muß dieser Garnwerth 35 durch 11½ Arbeitsstunden gemessen sein, das Produkt der vorletzten Stunde durch 5% Arbeitsstunden, das der letzten ditto. Wir kommen jetzt zu einem häklichen Punkt. Also aufgepaßt! Die vorletzte Arbeitsstunde ist eine gewöhnliche Arbeitsstunde wie die erste. Ni plus, ni moins. Wie kann der Spinner daher in Einer Arbeitsstunde einen Garnwerth produciren, der 40 5¾ Arbeitsstunden darstellt? Er verrichtet in der That kein solches Wun- der. Was er in Einer Arbeitsstunde an Gebrauchswerth producirt, ist ein 203 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 bestimmtes Quantum Garn. Der Werth dieses Garns ist gemessen durch 5% Arbeitsstunden, wovon A% ohne sein Zuthun in den stündlich verzehr- ten Produktionsmitteln stecken, in Baumwolle, Maschinerie u.s.w, % oder eine Stunde von ihm selbst zugesetzt ist. Da also sein Arbeitslohn in 5¾ Stunden producirt wird und das Garnprodukt Einer Spinnstunde eben- falls 5% Arbeitsstunden enthält, ist es durchaus keine Hexerei, daß das Werthprodukt seiner 5% Spinnstunden gleich dem Produktenwerth Einer Spinnstunde. Ihr seid aber durchaus auf dem Holzweg, wenn Ihr meint, er verliere ein einziges Zeitatom seines Arbeitstags mit der Reproduktion oder dem „Ersatz" der Werthe von Baumwolle, Maschinerie u. s. w. Da- 10 durch daß seine Arbeit aus Baumwolle und Spindel Garn macht, dadurch daß er spinnt, geht der Werth von Baumwolle und Spindel von selbst auf das Garn über. Es ist dieß der Qualität seiner Arbeit geschuldet, nicht ihrer Quantität. Allerdings wird er in einer Stunde mehr Baumwollwerth u. s. w. auf Garn übertragen als in ]/ 2 Stunde, aber nur weil er in 1 Stunde mehr 15 Baumwolle verspinnt als in l/ 2. Ihr begreift also: Euer Ausdruck, der Arbei- ter producirt in der vorletzten Stunde den Werth seines Arbeitslohns und in der letzten den Reingewinn, heißt weiter nichts, als daß in dem Garn- produkt von zwei Stunden seines Arbeitstags, ob sie vorn oder hinten ste- hen, 11½ Arbeitsstunden verkörpert sind, grade so viel Stunden als sein 20 ganzer Arbeitstag zählt. Und der Ausdruck, daß er in den ersten 5¾ Stun- den seinen Arbeitslohn und in den letzten 5¾ Stunden Euren Reingewinn producirt, heißt wieder nichts, als daß Ihr die ersten 5% Stunden zahlt und die letzten 5% Stunden nicht ||189| zahlt. Ich spreche von Zahlung der Ar- beit, statt der Arbeitskraft, um Euren slang zu reden. Vergleicht Ihr Herren 25 nun das Verhältniß der Arbeitszeit, die Ihr zahlt, zur Arbeitszeit, die Ihr nicht zahlt, so werdet Ihr finden, daß es halber Tag zu halbem Tag ist, also 100 %, was allerdings ein artiger Procentsatz. Es unterliegt auch nicht dem geringsten Zweifel, daß wenn Ihr Eure „Hände" statt 11¾ Stunden 13 ab- schanzt und, was Euch so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andren, die über- 30 schüssigen \ l / 2 Stunden zur bloßen Mehrarbeit schlagt, letztre von 5% Stun- den auf 1% Stunden wachsen wird, die Rate des Mehrwerths daher von 100 % auf 126%3 %. Dagegen seid Ihr gar zu tolle Sanguiniker, wenn Ihr hofft, sie werde durch den Zusatz von 1% Stunden von 100 auf 200 % und gar mehr als 200 % steigen, d.h. sich „mehr als verdoppeln". Andrerseits - 35 des Menschen Herz ist ein wunderlich Ding, namentlich wenn der Mensch sein Herz im Beutel trägt, - seid Ihr gar zu verrückte Pessimisten, wenn Ihr fürchtet, mit der Reduktion des Arbeitstags von 11½ auf 10½ Stunden werde Euer ganzer Reingewinn in die Brüche gehn. Bei Leibe nicht. Alle andren Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt, wird die Mehrarbeit 40 von 5¾ auf 4¾ Stunden fallen, was immer noch eine ganz erkleckliche Rate 204 Siebentes Kapitel • Die Rate des Mehrwerts des Mehrwerths giebt, nämlich S214/23%. Die verhängnißvolle „letzte Stunde" aber, von der Ihr mehr gefabelt habt als die Chiliasten vom Welt- untergang, ist „all bosh". Ihr Verlust wird weder Euch den „Reingewinn" noch den von Euch verarbeiteten Kindern beiderlei Geschlechts die „See- lenreinheit" kosten 3 2 3). | 5 15 3 2 a ) Wenn Senior bewies, daß an „der letzten Arbeitsstunde" der Reingewinn der Fabrikan- ten, die Existenz der englischen Baumwollindustrie, Englands Weltmarktgröße hängen, be- wies dahin wiederum Dr. Andrew Ure in den Kauf, daß Fabrikkinder und junge Personen un- ter 18 Jahren, welche man nicht volle 12 Stunden in die warme und reine Moralluft der 10 Fabrikstube bannt, sondern „eine Stunde" früher in die gemüthskalte und frivole Außenwelt verstößt, von Müßiggang und Laster um ihr Seelenheil geprellt werden. Seit 1848 werden die Fabrikinspektoren nicht müde, in ihren halbjährlichen „Reports" die Fabrikanten mit „der letzten", der „verhängnißvollen Stunde" zu necken. So sagt Herr Howell, in seinem Fabrikbe- richt vom 31. Mai 1855: „Wäre die folgende scharfsinnige Berechnung (er citirt Senior) rich- tig, so hätte jede Baumwollfabrik im Vereinigten Königreich seit 1850 mit Verlust gearbeitet." („Reports of the Insp. of Fact, for the half year ending 30th April 1855" p. 19.) Als im Jahr 1848 die Zehnstundenbill durchs Parlament ging, oktroyirten die Fabrikanten einigen Nor- malarbeitern in den ländlichen, zwischen den Grafschaften Dorset und Somerset zerstreut lie- genden Flachsspinnereien eine Gegenpetition, worin es u. A. heißt: „Eure Bittsteller, Eltern, 20 glauben, daß eine zusätzliche Mußestunde weiter keinen Erfolg haben kann, als die Demora- lisation ihrer Kinder, denn Müßiggang ist alles Lasters Anfang." Hierzu bemerkt der Fabrik- bericht vom 31. Oktober 1848: „Die Atmosphäre der Flachsspinnereien, worin die Kinder die- ser tugendhaft-zärtlichen Eltern arbeiten, ist geschwängert mit so unzähligen Staub- und Faserpartikelchen des Rohmaterials, daß es außerordentlich unangenehm ist, auch nur 10 Mi- 25 nuten in den Spinnstuben zuzubringen, denn ihr könnt das nicht ohne die peinlichste Emp- findung, indem Auge, Ohr, Nasenlöcher und Mund sich sofort füllen mit Flachsstaubwolken, vor denen kein Entrinnen ist. Die Arbeit selbst erheischt, wegen der Fieberhast der Maschine- rie, rastlosen Aufwand von Geschick und Bewegung, unter der Kontrole nie ermüdender Auf- merksamkeit, und es scheint etwas hart, Eltern den Ausdruck ,Faullenzerei' auf die eignen 30 Kinder anwenden zu lassen, die, nach Abzug der Essenszeit, 10 volle Stunden an solche Be- schäftigung, in einer solchen Atmosphäre, geschmiedet sind ... Diese Kinder arbeiten länger als die Ackerknechte in den Nachbardörfern ... Solch liebloses Gekohl über ,Müßiggang und Laster' muß als der reinste cant und die schamloseste Heuchelei gebranntmarkt werden ... Der Theil des Publikums, der vor ungefähr zwölf Jahren auffuhr über die Zuversicht, womit 35 man öffentlich und ganz ernsthaft proklamirte, unter der Sanktion hoher Autorität, daß der ganze ,Reingewinn' des Fabrikanten aus ,der letzten Stunde' Arbeit fließt, und daher die Re- duktion des Arbeitstags um eine Stunde den Reingewinn vernichtet; dieser Theil des Publi- kums, sagen wir, wird kaum seinen Augen trauen, wenn er nun findet, daß die Original-Ent- deckung über die Tugenden der ,letzten Stunde' seitdem soweit verbessert worden ist ,Moral' 40 und ,Profit' gleichmäßig einzuschließen; so daß wenn die Dauer der Kinderarbeit auf volle 10 Stunden reducirt wird, die Moral der Kinder zugleich mit dem Nettogewinn ihrer Anwen- der flöten geht, beide abhängig von dieser letzten, dieser fatalen Stunde." („Repts. of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1848", p. 101.) Derselbe Fabrikbericht gibt dann Proben von der „Moral" und „Tugend" dieser Herrn Fabrikanten, von den Schlichen, Pfiffen, Lockungen, Drohmit- teln, Fälschungen u.s.w., die sie anwandten, um von wenigen ganz verwahrlosten Arbeitern dergleichen Petitionen unterzeichnen zu machen, um sie dann als Petitionen eines ganzen Industriezweigs, ganzer Grafschaften dem Parlament aufzubinden. - Höchst charakteristisch bleibt es für den heutigen Stand der sogenannten ökonomischen „Wissenschaft", daß weder Senior selbst, der später zu seiner Ehre energisch für die Fabrikgesetzgebung auftrat, noch seine ursprünglichen und spätren Widersacher, die Trugschlüsse der „Originalentdeckung" aufzulösen wußten. Sie appellirten an die thatsächliche Erfahrung. Das why und wherefore blieb Mysterium. 45 50 205 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts 11901 Wenn einmal Euer „letztes Stündlein" wirklich schlägt, denkt an den Professor von Oxford. Und nun: In einer beßren Welt wünsch' ich mir mehr von Eurem werthen Umgang. Addio 3 3)!.. Das Signal der von Senior 1836 entdeckten „letzten Stunde" ward ||191| am 15. April 1848, polemisch gegen das Zehnstundengesetz, von James Wilson, einem der ökonomi- 5 sehen Hauptmandarine, im „London Economist" von neuem geblasen. 4. Das Mehrprodukt. Den Theil des Produkts ( / 1 0 von 20 Pfd. Garn oder 2 Pfd. Garn in dem Bei- spiel sub 2 ) , worin sich der Mehrwerth darstellt, nennen wir Mehrprodukt (surplus produce, produit net). Wie die Rate des Mehrwerths durch sein 10 Verhältniß nicht zur Gesammtsumme, sondern zum variablen Bestand- t e i l des Kapitals bestimmt wird, so die Höhe des Mehrprodukts durch sein Verhältniß nicht zum Rest des Gesammtprodukts, sondern zum Pro- dukttheil, worin sich die nothwendige Arbeit darstellt. Wie die Produktion von Mehrwerth der bestimmende Zweck der kapitalistischen Produktion, 15 so mißt nicht die absolute Größe des Produkts, sondern die relative Größe des Mehrprodukts, den Höhegrad des R e i c h t h u m s 3 4 ) . 20 3 3 ) Indeß hatte der Herr Professor doch etwas bei seinem Manchester Ausflug profitirt! In den „Letters on the Factory Act" hängt der ganze Reingewinn, „Profit" und „Zins" und sogar ,,something more" an einer unbezahlten Arbeitsstunde des Arbeiters ! Ein Jahr zuvor, in seinen zum Gemeinbesten Oxforder Studenten und gebildeter Philister verfaßten „Outlines of Politi- cal Economy" hatte er noch gegenüber Ricardo's Werthbestimmung durch die Arbeitszeit „entdeckt", daß der Profit aus der Arbeit des Kapitalisten und der Zins aus seiner Ascetik, sei- ner „Abstinenz" herstamme. Die Flause selbst war alt, aber das Wort „Abstinenz" neu. Herr Roscher verdeutscht es richtig durch „Enthaltung". Seine minder mit Latein beschlagnen 25 Kompatrioten, Wirthe, Schulzen und andre Michels, haben es in „Entsagung" vermöncht. 3 4 ) „Für ein Individuum mit einem Kapital von 20000 Pfd. St., dessen Profite 2000 Pfd. St. jährlich betragen, wäre es ein durchaus gleichgültig Ding, ob sein Kapital 100 oder 1000 Ar- beiter beschäftigt, ob die producirten Waaren sich zu 10 000 oder 20 000 Pfd. St. verkaufen, immer vorausgesetzt, daß seine Profite in allen Fällen nicht unter 2000 Pfd. St. fallen. Ist das 30 reale Interesse einer Nation nicht dasselbe? Vorausgesetzt ihr reales Nettoeinkommen, ihre Renten und Profite bleiben dieselben, so ist es nicht von der geringsten Wichtigkeit, ob die Nation aus 10 oder 12 Millionen Einwohnern besteht." (Ric. 1. c. p. 416.) Lange vor Ricardo sagte der Fanatiker des Mehrprodukts, Arthur Young, ein übrigens schwatzschweifiger, kritik- loser Schriftsteller, dessen Ruf in umgekehrtem Verhältniß zu seinem Verdienst steht, U.A.: 35 „Von welchem Nutzen würde in einem modernen Königreich eine ganze Provinz sein, deren Boden in altrömischer Manier, von kleinen, unabhängigen Bauern, meinetwegen noch so gut bebaut würde? Von welchem Zwecke, außer dem einzigen, Menschen zu erzeugen (,,the mere purpose of breeding men"), was an und für sich gar keinen Zweck hat" (,,is a most useless pur- pose"). Arthur Young: ,,Political Arithmetic etc. London 1774", p. 47. 40 Zusatz zu Note 34. Sonderbar 1st „the strong inclination to represent net wealth as benefi- cial to the labouring class ... though it is evidently not on account of being net". (Th. Hop- kins: „On Rent of Land etc. London 1828", p. 126.) 206 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag Die Summe der nothwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, der Zeitab- schnitte, worin der Arbeiter den Ersatzwerth seiner Arbeitskraft und den Mehrwerth producirt, bildet die absolute Größe seiner Arbeitszeit - den Ar- beitstag (working day). | 5 |192| A C H T E S K A P I T E L . Der Arbeitstag. 1. Die Grenzen des Arbeitstags. Wir gingen von der Voraussetzung aus, daß die Arbeitskraft zu ihrem Werthe gekauft und verkauft wird. Ihr Werth, wie der jeder andren Waare, 10 wird bestimmt durch die zu ihrer Produktion nöthige Arbeitszeit. Er- heischt also die Produktion der durchschnittlichen täglichen Lebensmittel des Arbeiters 6 Stunden, so muß er im Durchschnitt 6 Stunden per Tag ar- beiten, um seine Arbeitskraft täglich zu produciren oder den in ihrem Ver- kauf erhaltnen Werth zu reproduciren. Der nothwendige Theil seines Ar- 15 beitstags beträgt dann 6 Stunden, und ist daher, unter sonst gleich- bleibenden Umständen, eine gegebne Größe. Aber damit ist die Größe des Arbeitstags selbst noch nicht gegeben. Nehmen wir an, die Linie a b stelle die Dauer oder Länge der nothwendigen Arbeitszeit vor, sage 6 Stunden. Je nachdem die Arbeit 20 über ab um 1, 3 oder 6 Stunden u.s.w. verlängert wird, erhalten wir die 3 verschiednen Linien: Arbeitstag I Arbeitstag II a a b — c , und Arbeitstag III b b c, a c, 25 die drei verschiedne Arbeitstage von 7, 9 und 12 Stunden vorstellen. Die Verlängrungslinie bc stellt die Länge der Mehrarbeit vor. Da der Arbeitstag = a b + b c oder a c ist, variirt er mit der variablen Größe b e . Da ab gegeben ist, kann das Verhältniß von bc zu ab stets gemessen werden. Es beträgt in 30 Arbeitstag I %, in Arbeitstag II % und in Arbeitstag I I I % von ab. Da ferner die Proportion -r—— — — — - — — die Rate des Mehrwerths be- IVlehrarbeitszeit Nothwendige Arbeitszeit stimmt, ist letztre gegeben durch jenes Verhältniß. Sie beträgt in den drei verschiednen Arbeitstagen respektive 16%, 50 und 100%. Umgekehrt würde die Rate des Mehrwerths allein uns nicht die Größe des Arbeitstags 207 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts geben. Wäre sie z.B. gleich 100%, so könnte der Arbeitstag 8-, 10-, 12stün- dig u. s. w. sein. Sie würde anzeigen, daß die zwei Bestandtheile des Arbeits- tags, ||193| nothwendige Arbeit und Mehrarbeit, gleich groß sind, aber nicht wie groß jeder dieser Theile. Der Arbeitstag ist also keine konstante, sondern eine variable Größe. Einer seiner Theile ist zwar bestimmt durch die zur beständigen Reproduk- tion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine Gesammtgröße wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. Der Arbeitstag ist da- her bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt 3 5). 5 Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fließende Größe 10 ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken variiren. Seine Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings, setzen wir die Ver- längerungslinie b c , oder die Mehrarbeit, = 0 , so erhalten wir eine Mini- malschranke, nämlich den Theil des Tags, den der Arbeiter nothwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muß. Auf Grundlage der kapitalistischen 15 Produktionsweise kann die nothwendige Arbeit aber immer nur einen Theil seines Arbeitstags bilden, der Arbeitstag sich also nie auf dies Mini- mum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er ist über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängerbar. Diese Maximal- schranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische Schranke der 20 Arbeitskraft. Ein Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stun- den nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben. So kann ein Pferd Tag aus Tag ein nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Theils des Tags muß die Kraft ruhen, schlafen, während eines andren Theils hat der Mensch andre physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reini- 25 gen, kleiden u. s. w. Außer dieser rein physischen Schranke stößt die Ver- längrung des Arbeitstags auf moralische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und socialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Varia- tion des Arbeitstags bewegt sich daher innerhalb physischer und socialer 30 Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und erlauben den größten Spielraum. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12, 14, 16, 18 Stunden, also von der verschiedensten Länge. Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswerth gekauft. Ihm ge- hört ihr Gebrauchswerth während eines Arbeitstags. ||194| Er hat also das 35 Recht erlangt, den Arbeiter während eines Tags für sich arbeiten zu lassen. Aber was ist ein Arbeitstag 3 6)? Jedenfalls weniger als ein natürlicher Le- 3 5 ) "A day's labour is vague, it may be long or short." „An Essay on Trade and Commerce, containing Observations on Taxation etc. London 1770", p. 73. 3 6 ) Diese Frage ist unendlich wichtiger als die berühmte Frage Sir Robert Peel's an die Bir- 40 minghamer Handelskammer: "What is a pound?" eine Frage, die nur gestellt werden konnte, 208 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag benstag. Um wie viel? Der Kapitalist hat seine eigne Ansicht über dies ul- tima Thüle, die nothwendige Schranke des Arbeitstags. Als Kapitalist ist er nur personificirtes Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerthen, Mehr- 5 werth zu schaffen, mit seinem konstanten Theil, den Produktionsmitteln, die größtmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen 3 7). Das Kapital ist ver- storbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung leben- diger Arbeit, und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die Zeit, während deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, während deren der Kapi- talist die von ihm gekaufte Arbeitskraft konsumirt 3 8). Konsumirt der Ar- beiter seine disponible Zeit für sich selbst, so bestiehlt er den Kapitali- sten 3 9). 10 Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des Waarenaustausches. Er, wie jeder andre Käufer, sucht den größtmöglichsten Nutzen aus dem 15 Gebrauchswerth seiner Waare herauszuschlagen. Plötzlich aber erhebt sich die Stimme des Arbeiters, die im Sturm und Drang des Produktionsproces- ses verstummt war: Die Waare, die ich dir verkauft habe, unterscheidet sich von dem andren Waarenpöbel dadurch, daß ihr Gebrauch Werth schafft und größren Werth 20 als sie selbst kostet. Dieß war der Grund, warum du sie kauftest. Was auf deiner Seite als Verwerthung von Kapital erscheint, ist auf meiner Seite überschüssige Verausgabung von Arbeitskraft. Du und ich kennen auf dem Marktplatz nur ein Gesetz, das des Waarenaustausches. Und der Konsum der ||195| Waare gehört nicht dem Verkäufer, der sie veräußert, sondern 25 dem Käufer, der sie erwirbt. Dir gehört daher der Gebrauch meiner tägli- chen Arbeitskraft. Aber vermittelst ihres täglichen Verkaufspreises muß ich sie täglich reproduciren und daher von neuem verkaufen können. Abge- sehn von dem natürlichen Verschleiß durch Alter u. s. w., muß ich fähig sein, morgen mit demselben Normalzustand von Kraft, Gesundheit und 30 Frische zu arbeiten, wie heute. Du predigst mir beständig das Evangelium weil Peel über die Natur des Geldes eben so unklar war als die ,,little shilling men" von Bir- mingham. 3 7 ) „Es ist die Aufgabe des Kapitalisten mit dem verausgabten Kapital die größtmögliche Summe Arbeit herauszuschlagen." («D'obtenir du capital dépensé la plus forte somme de tra- 35 vail possible.») J. G. Courcelle-Seneuil: ,,Traité théorique et pratique des entreprises indus- trielles. 2ème édit. Paris 1857", p. 62. 3 8 ) "An Hour's Labour lost in a day is a prodigious injury to a commercial state." "There is a very great consumption of luxuries among the labouring poor of this kingdom; particularly among the manufacturing populace: by which they also consume their time, the most fatal of 40 consumptions." „An Essay on Trade and Commerce etc." p. 47 u. 153. 3 9 ) « Si le manouvrier libre prend un instant de repos, l'économie sordide qui le suit des yeux avec inquiétude, prétend qu'il la vole. » (N. Linguet: ,,Théorie des Loix Civiles etc. London 1767", t. II, p. 466.) 209 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts der „Sparsamkeit" und „Enthaltung". Nun gut! Ich will wie ein vernünfti- ger, sparsamer Wirth mein einziges Vermögen, die Arbeitskraft, haushalten und mich jeder tollen Verschwendung derselben enthalten. Ich will täglich nur soviel von ihr flüssig machen, in Bewegung, in Arbeit umsetzen, als sich mit ihrer Normaldauer und gesunden Entwicklung verträgt. Durch maßlose Verlängrung des Arbeitstags kannst du in Einem Tage ein größres Quantum meiner Arbeitskraft flüssig machen, als ich in drei Tagen erset- zen kann. Was du so an Arbeit gewinnst, verliere ich an Arbeitssubstanz. Die Benutzung meiner Arbeitskraft und die Beraubung derselben sind ganz verschiedne Dinge. Wenn die Durchschnittsperiode, die ein Durch- 10 Schnittsarbeiter bei vernünftigem Arbeitsmaß leben kann, 30 Jahre beträgt, ist der Werth meiner Arbeitskraft, den du mir einen Tag in den andren 5 zahlst, 365 X 30 oder 1 X 0 9 5 0 ihres Gesammtwerths. Konsumirst du sie aber in 10 Jahren, so zahlst du mir täglich 1 X 0 9 5 0 statt 1 X 6 5 0 ihres Gesammtwerths, also nur 1J1 ihres Tageswerths, und stiehlst mir daher täglich % des Werths 15 meiner Waare. Du zahlst mir eintägige Arbeitskraft, wo du dreitägige ver- brauchst. Das ist wider unsren Vertrag und das Gesetz des Waarenaustau- sches. Ich verlange also einen Arbeitstag von normaler Länge und ich ver- lange ihn ohne Appell an dein Herz, denn in Geldsachen hört die Gemüthlichkeit auf. Du magst ein Musterbürger sein, vielleicht Mitglied 20 des Vereins zur Abschaffung der Thierquälerei und obendrein im Geruch der Heiligkeit stehn, aber dem Ding, das du mir gegenüber repräsentirst, schlägt kein Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein eigner Herzschlag. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den Werth meiner Waare verlange, wie jeder andre Verkäufer 4 0). | 25 |196| Man sieht: von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergiebt sich aus der Natur des Waarenaustausches selbst keine Grenze des Arbeitstags, also keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lang als möglich und womöglich aus Einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schließt die specifi- 30 sehe Natur der verkauften Waare eine Schranke ihres Konsums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will. Es fin- det hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Gesetz des Waarenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen 35 4 0 ) Während des großen Strike der London builders, 1860-61, zur Reduktion des Arbeitstags auf 9 Stunden, veröffentlichte ihr Komité eine Erklärung, die halb und halb auf das Plaidoyer unsres Arbeiters hinausläuft. Die Erklärung spielt nicht ohne Ironie darauf an, daß der Profit- wüthigste der ,,building masters" - ein gewisser Sir M. Peto - im „Geruch der Heiligkeit" stehe. (Derselbe Peto kam nach 1867 zu einem Ende mit - Strousberg!) 40 210 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normirung des Arbeitstags als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar - ein Kampf zwischen dem Gesammt- kapitalisten, d. h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesammtarbeiter, 5 oder der Arbeiterklasse. 2. Der Heißhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar. 10 Das Kapital hat die Mehrheit nicht erfunden. Ueberau, wo ein Theil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muß der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung nothwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel für den Eigner der Produktionsmittel zu produciren 4 1), sei dieser Eigenthümer nun athe- niensischer καλός κάγαθός, etruskischer Theokrat, civis romanus, nor- mannischer Baron, amerikanischer Sklavenhalter, walachischer Bojar, mo(cid:5) 15 derner Landlord oder Kapitalist 4 2). Indeß ist klar, daß, wenn in einer ökonomischen Gesellschaftsformation nicht der Tauschwerth, sondern der Gebrauchswerth des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engern oder weitern Kreis von Bedürfnissen beschränkt ist, aber ||197| kein schran- kenloses Bedürfniß nach Mehrarbeit aus dem Charakter der Produktion selbst entspringt. Entsetzlich zeigt sich daher im Alterthum die Ueberar- beit, wo es gilt den Tauschwerth in seiner selbständigen Geldgestalt zu ge- winnen, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod ar- beiten ist hier die officielle Form der Ueberarbeit. Man lese nur den Diodorus Siculus 4 3). Doch sind dieß Ausnahmen in der alten Welt. Sobald 25 aber Völker, deren Produktion sich noch in den niedrigren Formen der Sklavenarbeit, Frohnarbeit u. s. w. bewegt, hineingezogen werden in einen durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Weltmarkt, der 20 30 4 1 ) "Those who labour ... in reality feed both the pensioners called the rich, and themselves." (Edmund Burke I.e. p.2, 3.) 4 2 ) Sehr naiv bemerkt Niebuhr in seiner „Römischen Geschichte": „Man kann sich nicht ver- hehlen, daß Werke wie die etruskischen, die in ihren Trümmern erstaunen, in kleinen (!) Staaten Frohnherrn und Knechte voraussetzen." Viel tiefer sagte Sismondi, daß „Brüsseler Spitzen" Lohnherrn und Lohndiener voraussetzen. 4 3 ) „Man kann diese Unglücklichen (in den Goldbergwerken zwischen Aegypten, Aethiopien 35 und Arabien), die nicht einmal ihren Körper reinlich halten, noch ihre Blöße decken können, nicht ansehn, ohne ihr jammervolles Schicksal zu beklagen. Denn da findet keine Nachsicht und keine Schonung statt für Kranke, für Gebrechliche, für Greise, für die weibliche Schwachheit. Alle müssen, durch Schläge gezwungen, fortarbeiten, bis der Tod ihren Qualen und ihrer Noth ein Ende macht." Diod. Sic. „Historische Bibliothek", Buch 3, c. 13. [S. 258, 40 260.] 211 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vorwiegenden Interesse ent- wickelt, wird den barbarischen Greueln der Sklaverei, Leibeigenschaft u. s. w. der civilisirte Greuel der Ueberarbeit aufgepfropft. Daher bewahrte die Negerarbeit in den südlichen Staaten der amerikanischen Union einen gemäßigt patriarchalischen Charakter, so lange die Produktion hauptsäch- lieh auf den unmittelbaren Selbstbedarf gerichtet war. In dem Grade aber wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse jener Staaten, ward die Ue- berarbeitung des Negers, hier und da die Konsumtion seines Lebens in sie- ben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und berechnenden Systems. Es galt nicht mehr eine gewisse Masse nützlicher Produkte aus ihm heraus- zuschlagen. Es galt nun die Produktion des Mehrwerths selbst. Aehnlich mit der Frohnarbeit, z . B . in den Donaufürstenthümern. Die Vergleichung des Heißhungers nach Mehrarbeit in den Donaufür- stenthümern mit demselben Heißhunger in englischen Fabriken bietet ein besondres Interesse, weil die Mehrarbeit in der Frohnarbeit eine selbstän- dige, sinnlich wahrnehmbare Form besitzt. 5 10 15 20 Gesetzt der Arbeitstag zähle 6 Stunden nothwendiger Arbeit und 6 Stun- den Mehrarbeit. So liefert der freie Arbeiter dem Kapitalisten wöchentlich 6 x 6 , oder 36 Stunden Mehrarbeit. Es ist dasselbe, als arbeite er 3 Tage in der Woche für sich und 3 Tage in der Woche umsonst für den Kapitalisten. Aber dieß ist nicht sichtbar. Mehrarbeit und nothwendige Arbeit ver- schwimmen in ||198| einander. Ich kann daher dasselbe Verhältniß z.B. auch so ausdrücken, daß der Arbeiter in jeder Minute 30 Sekunden für sich und 30 Sekunden für den Kapitalisten arbeitet u. s.w. Anders mit der Frohnarbeit. Die nothwendige Arbeit, die z.B. der walachische Bauer zu 25 seiner Selbsterhaltung verrichtet, ist räumlich getrennt von seiner Mehrar- beit für den Bojaren. Die eine verrichtet er auf seinem eignen Felde, die andre auf dem herrschaftlichen Gut. Beide Theile der Arbeitszeit existiren daher selbständig neben einander. In der Form der Frohnarbeit ist die Mehrarbeit genau abgeschieden von der nothwendigen Arbeit. An dem 30 quantitativen Verhältniß von Mehrarbeit und nothwendiger Arbeit ändert diese verschiedne Erscheinungsform offenbar nichts. Drei Tage Mehrarbeit in der Woche bleiben drei Tage Arbeit, die kein Aequivalent für den Arbei- ter selbst bildet, ob sie Frohnarbeit heiße oder Lohnarbeit. Bei dem Kapita- listen jedoch erscheint der Heißhunger nach Mehrarbeit im Drang zu maß- 35 loser Verlängrung des Arbeitstags, bei dem Bojaren einfacher in unmit- telbarer Jagd auf Frohntage 4 4). Die Frohnarbeit war in den Donaufürstenthümern verknüpft mit Natu- ralrenten und sonstigem Zubehör von Leibeigenschaft, bildete aber den 4 4 ) Das Nachfolgende bezieht sich auf die Zustände der rumänischen Provinzen, wie sie sich 40 vor der Umwälzung seit dem Krimkrieg gestaltet hatten. 212 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag entscheidenden Tribut an die herrschende Klasse. Wo dieß der Fall, ent- sprang die Frohnarbeit selten aus der Leibeigenschaft, Leibeigenschaft vielmehr meist umgekehrt aus der Frohnarbeit 4 4 a). So in den rumänischen Provinzen. Ihre ursprüngliche Produktionsweise war auf Gemeineigen- thum gegründet, aber nicht auf Gemeineigenthum in slavischer oder gar indischer Form. Ein Theil der Ländereien wurde als freies Privateigenthum von den Mitgliedern der Gemeinde selbständig bewirthschaftet, ein andrer Theil - der ager publicus - gemeinsam von ihnen bestellt. Die Produkte dieser gemeinsamen Arbeit dienten theils als Reserve||199|fonds für Miß- ernten und andre Zufälle, theils als Staatsschatz zur Deckung für die Ko- sten von Krieg, Religion und andre Gemeindeausgaben. Im Laufe der Zeit usurpirten kriegerische und kirchliche Würdenträger mit dem Gemeinei- genthum die Leistungen für dasselbe. Die Arbeit der freien Bauern auf ihrem Gemeindeland verwandelte sich in Frohnarbeit für die Diebe des Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich Leibeigenschafts-Ver- hältnisse, jedoch nur thatsächlich, nicht gesetzlich, bis das weltbefreiende Rußland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der Kodex der Frohnarbeit, den der russische General Kis- seleff 1831 proklamirte, war natürlich von den Bojaren selbst diktirt. Ruß- land eroberte so mit einem Schlag die Magnaten der Donaufürstenthümer und den Beifallsklatsch der liberalen Crétins von ganz Europa. Nach dem ,,Règlement organique", so heißt jener Kodex der Frohnar- beit, schuldet jeder walachische Bauer, außer einer Masse detaillirter Natu- ralabgaben, dem s. g. Grundeigenthümer 1) zwölf Arbeitstage überhaupt, 2) einen Tag Feldarbeit und 3) einen Tag Holzfuhre. Summa Summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische Oekonomie wird j e - doch der Arbeitstag nicht in seinem ordinären Sinn genommen, sondern der zur Herstellung eines täglichen Durchschnittsprodukts nothwendige Arbeitstag, aber das tägliche Durchschnittsprodukt ist pfiffiger Weise so bestimmt, daß kein Cyklope in 24 Stunden damit fertig würde. In den dür- ren Worten echt russischer Ironie erklärt daher das „Reglement" selbst, un- ter 12 Arbeitstagen sei das Produkt einer Handarbeit von 36 Tagen zu ver- stehn, unter einem Tag Feldarbeit drei Tage, und unter einem Tag 4 4 a ) (Note zur 3. Aufl. - Dieß gilt ebenfalls für Deutschland und speciell für das ostelbische Preußen. Im 15. Jahrhundert war der deutsche Bauer fast überall ein, gewissen Leistungen in Produkt und Arbeit unterworfener, aber sonst wenigstens faktisch freier Mann. Die deutschen Kolonisten in Brandenburg, Pommern, Schlesien und Ostpreußen waren sogar rechtlich als Freie anerkannt. Der Sieg des Adels im Bauernkrieg machte dem ein Ende. Nicht nur die be- siegten süddeutschen Bauern wurden wieder leibeigen. Schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts werden die ostpreußischen, brandenburgischen, pommerschen und schlesischen, und bald darauf auch die schleswig-holsteinischen freien Bauern zu Leibeignen erniedrigt. (Maurer, „Frohnhöfe" IV. Bd. - Meitzen, „Der Boden des pr. Staats".- Hanssen, „Leibeigenschaft in Schleswig-Holstein".) - F.E.) 213 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 Holzfuhr ebenfalls das Dreifache. Summa: 42 Frohntage. Es kommt aber hinzu die s.g. Jobagie, Dienstleistungen, die dem Grundherrn für außeror- dentliche Produktionsbedürfnisse gebühren. Im Verhältniß zur Größe sei- ner Bevölkerung hat jedes Dorf jährlich ein bestimmtes Kontingent zur J o - bagie zu stellen. Diese zusätzliche Frohnarbeit wird für jeden walachischen Bauern auf 14 Tage geschätzt. So beträgt die vorgeschriebne Frohnarbeit 56 Arbeitstage jährlich. Das Ackerbaujahr zählt aber in der Walachei we- gen des schlechten Klimas nur 210 Tage, wovon 40 für Sonn- und Feier- tage, 30 durchschnittlich für Unwetter, zusammen 70 Tage ausfallen. Blei- ben 140 Arbeitstage. Das Verhältniß der Frohnarbeit zur nothwendigen 10 Arbeit 5% 4, oder 66% Procent, drückt eine viel kleinere Rate ||200| des Mehrwerths aus als die, welche die Arbeit des englischen Agrikultur- oder Fabrikarbeiters regulirt. Dieß ist jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebne Frohnarbeit. Und in noch „liberalerem" Geist als die englische Fabrikge- setzgebung hat das ,,Règlement organique" seine eigne Umgehung zu er- 15 leichtern gewußt. Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht, wird das nomi- nelle Tagwerk jedes der 54 Frohntage wieder so bestimmt, daß eine Zubuße auf die folgenden Tage fallen muß. In einem Tag z.B. soll eine Landstrecke ausgejätet werden, die zu dieser Operation, namentlich auf den Maispflanzungen, doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche Tag- 20 werk für einzelne Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, daß der Tag im Mo- nat Mai anfängt und im Monat Oktober aufhört. Für die Moldau sind die Bestimmungen noch härter. „Die zwölf Frohntage des Règlement organi- que", rief ein siegtrunkner Bojar, „belaufen sich auf 365 Tage im Jahr!" 4 5) War das Règlement organique der Donaufürstenthümer ein positiver 25 Ausdruck des Heißhungers nach Mehrarbeit, den jeder Paragraph legalisirt, so sind die englischen Factory-Acts negative Ausdrücke desselben Heiß- hungers. Diese Gesetze zügeln den Drang des Kapitals nach maßloser Aus- saugung der Arbeitskraft durch gewaltsame Beschränkung des Arbeitstags von Staatswegen, und zwar von Seiten eines Staats, den Kapitalist und 30 Landlord beherrschen. Von einer täglich bedrohlicher anschwellenden Ar- beiterbewegung abgesehn, war die Beschränkung der Fabrikarbeit diktirt durch dieselbe Nothwendigkeit, welche den Guano auf die englischen Fel- der ausgoß. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde er- schöpft, hatte in dem andren die Lebenskraft der Nation an der Wurzel er- griffen. Periodische Epidemien sprachen hier ebenso deutlich als das abnehmende Soldatenmaß in Deutschland und Frankreich 4 6). | 35 4 5 ) Weitere Details findet man in: E. Regnault: ,,Histoire politique et sociale des Principautés Danubiennes. Paris 1855". 4 6 ) „Im Allgemeinen spricht innerhalb gewisser Grenzen für das Gedeihen organischer We- sen das Ueberschreiten des Mittelmaßes ihrer Art. Für den Menschen verkleinert sich sein 40 214 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag | 2 0 1 | Der jetzt (1867) geltende Factory-Act von 1850 erlaubt für den durchschnittlichen Wochentag 10 Stunden, nämlich für die ersten 5 Wo- chentage 12 Stunden, von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends, wovon aber Y2 Stunde für Frühstück und eine Stunde für Mittagessen gesetzlich ab- 5 gehn, also 10½ Arbeitsstunden bleiben, und 8 Stunden für den Samstag, von 6 Uhr Morgens bis 2 Uhr Nachmittags, wovon Y2 Stunde für Frühstück abgeht. Bleiben 60 Arbeitsstunden, 10½ für die ersten fünf Wochentage, IY2 für den letzten W o c h e n t a g 4 7 ) . Es sind eigne Wächter des Gesetzes be- stellt, die dem Ministerium des Innern direkt untergeordneten Fabrikin- 10 spektoren, deren Berichte halbjährig von Parlamentswegen veröffentlicht werden. Sie liefern also eine fortlaufende und officielle Statistik über den Kapitalistenheißhunger nach Mehrarbeit. Hören wir einen Augenblick die Fabrikinspektoren 4 S). „Der betrügerische Fabrikant beginnt die Arbeit eine Viertelstunde, 15 manchmal früher, manchmal später, vor 6 Uhr Morgens, und schließt sie eine Viertelstunde, manchmal früher, manchmal später, nach 6 Uhr Nach- mittags. Er nimmt 5 Minuten weg vom Anfang und Ende der nominell für das Frühstück anberaumten halben Stunde, und knappt 10 Minuten ab zu 30 Körpermaß, wenn sein Gedeihen beeinträchtigt ist, sei es durch physische oder sociale Ver- 20 hältnisse. In allen europäischen Ländern, wo Konskription besteht, hat seit Einführung der- selben das mittlere Körpermaß der erwachsnen Männer und im Ganzen ihre Tauglichkeit zum Kriegsdienst abgenommen. Vor der Revolution (1789) war das Minimum für den Infan- teristen in Frankreich 165 Centimeter; 1818 (Gesetz vom 10. März) 157, nach dem Gesetz vom 21. März 1832, 156 Centimeter; durchschnittlich in Frankreich wegen mangelnder Größe 25 und Gebrechen über die Hälfte ausgemustert. Das Militärmaß war in Sachsen 1780: 178 Cen- timeter, jetzt 155. In Preußen ist es 157. Nach Angabe in der Bayrischen Zeitung vom 9. Mai 1862 von Dr. Meyer, stellt sich nach einem 9jährigen Durchschnitt heraus, daß in Preußen von 1000 Konskribirten 716 untauglich zum Militärdienst: 317 wegen Mindermaß und 399 wegen Gebrechen .... Berlin konnte 1858 sein Kontingent an Ersatz-Mannschaft nicht stel- len, es fehlten 156 Mann." (J.v. Liebig: „Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie. 1862. 7. Aufl." Band I, p.117, 118.) 4 7 ) Die Geschichte des Fabrikakts von 1850 folgt im Verlauf dieses Kapitels. 4 8 ) Auf die Periode vom Beginn der großen Industrie in England bis 1845 gehe ich nur hier und da ein, und verweise den Leser darüber auf: „Die Lage der arbeitenden Klasse in Eng- 35 land. Von Friedrich Engels. Leipzig 1845". Wie tief Engels den Geist der kapitalistischen Pro- duktionsweise begriff, zeigen die Factory Reports, Reports on Mines u.s.w., die seit 1845 er- schienen sind, und wie bewundrungswürdig er die Zustände im Detail malte, zeigt der oberflächlichste Vergleich seiner Schrift mit den 18 bis 20 Jahre später veröffentlichten offî- ciellen Reports der ,,Children's Employment Commission" (1863-67). Diese handeln näm- lieh von Industriezweigen, worin die Fabrikgesetzgebung bis 1862 noch nicht eingeführt war, zum Theil noch nicht eingeführt ist. Hier wurde also den von Engels geschilderten Zuständen mehr oder minder große Aendrung nicht von außen aufgeherrscht. Meine Beispiele entlehne ich hauptsächlich der Freihandelsperiode nach 1848, jener paradiesischen Zeit, wovon eben so großmäulige als wissenschaftlich verwahrloste Freihandelshausirburschen den Deutschen so fabelhaft viel vorfauchen. - Uebrigens flgurirt England hier nur im Vordergrund, weil es die kapitalistische Produktion klassisch repräsentirt und allein eine officiell fortlaufende Sta- tistik der behandelten Gegenstände besitzt. 40 45 215 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts Anfang und Ende der für Mittagessen anberaumten Stunde. Samstag arbei- tet er ||202| eine Viertelstunde, manchmal mehr, manchmal weniger, nach 2 Uhr Nachmittags. So beträgt sein Gewinn: 15 Minuten. Vor 6 Uhr Morgens Nach 6 Uhr Nachmittags 15 » 10 » Für Frühstückszeit 20 » Beim Mittagessen 60 Minuten. An Samstagen. 15 Minuten. Vor 6 Uhr Morgens Für Frühstück 10 » Nach 2 Uhr Nachmittags 15 » Summa in 5 Tagen: 300 Minuten. Wöchentlicher Gesammtgewinn: 340 Minuten. 10 Oder 5 Stunden 40 Minuten wöchentlich, was mit 50 Arbeitswochen multiplicirt, nach Abzug von 2 Wochen für Feiertage oder gelegentliche Unterbrechungen, 27 Arbeitstage gibt 4 9)." 15 „Wird der Arbeitstag täglich 5 Minuten über die Normaldauer verlän- gert, so gibt das 2% Produktionstage im J a h r " 5 0 ) . „Eine zusätzliche Stunde täglich, dadurch gewonnen, daß bald hier ein Stückchen Zeit erhascht wird, bald dort ein andres Stückchen, macht aus den 12 Monaten des Jah- res 1 3 " 5 1 ) . 20 Krisen, worin die Produktion unterbrochen und nur „kurze Zeit", nur während einiger Tage in der Woche, gearbeitet wird, ändern natürlich nichts an dem Trieb nach Verlängrung des Arbeitstags. Je weniger Ge- schäfte gemacht werden, desto größer soll der Gewinn auf das gemachte Geschäft sein. Je weniger Zeit gearbeitet werden kann, desto mehr Surplus- 25 arbeitszeit soll gearbeitet werden. So berichten die Fabrikinspektoren über die Periode der Krise von 1857 bis 1858: „Man mag es für eine Inkonsequenz halten, daß irgendwelche Ueberar- beit zu einer Zeit stattfinde, wo der Handel so schlecht geht, aber sein schlechter Zustand spornt rücksichtslose Leute zu Ueberschreitungen; sie 30 sichern sich so einen Extraprofit ..." „Zur selben Zeit", sagt Leonard Hor- ner, „wo 122 Fabriken in meinem Distrikt ganz aufgegeben sind, 143 still stehn und alle andren kurze Zeit arbeiten, wird die Ueberarbeit über die gesetzlich bestimmte Zeit fortgesetzt 5 2)." „Obgleich", sagt Herr Howell, „in den meisten Fabriken des schlechten Geschäftsstands wegen nur halbe 35 Zeit gearbeitet wird, erhalte ich nach wie vor dieselbe An||203|zahl von 4 9 ) ,,Suggestions etc. by Mr. L. Horner, Inspector of Factories", in: ,,Factories Regulation Acts. Ordered by the House of Commons to be printed 9. Aug. 1859", p. 4, 5. 5 0 ) „Reports of the Insp. of Fact, for the half year, Oct. 1856", p. 35. 5 1 ) „Reports etc. 30th April 1858", p. 9, 10. 5 2 ) „Reports etc." Lc p. 10. 40 216 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag Klagen, daß eine halbe Stunde oder % Stunden täglich den Arbeitern weg- geschnappt (snatched) werden durch Eingriffe in die ihnen gesetzlich gesi- cherten Fristen für Mahlzeit und Erholung 5 3)." Dasselbe Phänomen wiederholt sich auf kleinerer Stufenleiter während 5 der furchtbaren Baumwollkrise von 1861 bis 1 8 6 5 5 4 ) . „Es wird zuweilen vorgeschützt, wenn wir Arbeiter während der Speise- stunden oder sonst zu ungesetzlicher Zeit am Werk ertappen, daß sie die Fabrik durchaus nicht verlassen wollen, und daß es des Zwangs bedarf, um ihre Arbeit (Reinigen der Maschinen u.s.w.) zu unterbrechen, namentlich 10 Samstag Nachmittags. Aber wenn die ,Hände' nach Stillsetzung der Ma- schinerie in der Fabrik bleiben, geschieht es nur, weil ihnen zwischen 6 Uhr Morgens und 6 Uhr Abends, in den gesetzlich bestimmten Arbeits- stunden, keine Frist zur Verrichtung solcher Geschäfte gestattet worden i s t 5 5 ) . " 15 20 „Der durch Ueberarbeit über die gesetzliche Zeit zu machende Extrapro- fit scheint für viele Fabrikanten eine zu große Versuchung, um ihr wider- stehn zu können. Sie rechnen auf die Chance nicht ausgefunden zu werden und berechnen, daß selbst im Fall der Entdeckung die Geringfügigkeit der Geldstrafen und Gerichtskosten ||204| ihnen immer noch eine Gewinnbi- lanz sichert 5 6)." „Wo die zusätzliche Zeit durch Multiplikation kleiner Diebstähle („a multiplication of small thefts") im Laufe des Tages gewon- 25 5 3 ) „Reports etc." I.e. p.25. 5 4 ) „Reports etc. for the half year ending 30th April 1861". Sieh Appendix No. 2; „Reports etc. 31st Octob. 1862", p. 7, 52, 53. Die Ueberschreitungen werden wieder zahlreicher mit dem letzten Halbjahr 1863. Vgl. „Reports etc. ending 31st Oct. 1863", p. 7. 5 5 ) „Reports etc. 31st Oct. 1860", p. 23. Mit welchem Fanatismus, nach gerichtlichen Aussa- gen der Fabrikanten, ihre Fabrikhände sich jeder Unterbrechung der Fabrikarbeit widerset- zen, zeige folgendes Kuriosum: Anfang Juni 1836 gingen den Magistrates von Dewsbury (Yorkshire) Denunciationen zu, wonach die Eigner von 8 großen Fabriken in der Nähe von 30 Batley den Fabrikakt verletzt hätten. Ein Theil dieser Herren war angeklagt, 5 Knaben zwi- schen 12 und 15 Jahren von 6 Uhr Morgens des Freitags bis 4 Uhr Nachmittag des folgenden Samstags abgearbeitet zu haben, ohne irgend eine Erholung zu gestatten, außer für Mahlzei- ten und Eine Stunde Schlaf um Mitternacht. Und diese Kinder hatten die rastlose, 30stündige Arbeit'zu verrichten in dem „shoddy-hole", wie die Höhle heißt, worin Wollenlumpen aufge- rissen werden und wo ein Luftmeer von Staub, Abfällen u.s.w. selbst den erwachsnen Arbeiter zwingt, den Mund beständig mit Schnupftüchern zu verbinden, zum Schutz seiner Lunge! Die Herren Angeklagten versicherten an Eidesstatt - als Quäker waren sie zu skrupulös reli- giöse Männer einen Eid zu leisten, - sie hätten in ihrer großen Barmherzigkeit den elenden Kindern 4 Stunden Schlaf erlaubt, aber die Starrköpfe von Kindern wollten durchaus nicht zu 40 Bett gehn! Die Herrn Quäker wurden zu 20 Pfd. St. Geldbuße verurtheilt. Dryden ahnte diese 35 Quäker: 45 "Fox full fraught in seeming sanctity, That feared an oath, but like the devil would lie, That look'd like Lent, and had the holy leer, And durst not sin! before he said his prayer!" 5 6 ) „Rep. etc. 31. Oct. 1856" p. 34. 217 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts nen wird, stehn den Inspektoren fast unüberwindliche Schwierigkeiten der Beweisführung im W e g 5 7 ) . " Diese „kleinen Diebstähle" des Kapitals an der Mahlzeit und Erholungszeit der Arbeiter bezeichnen die Fabrikinspekto- ren auch als ,,petty pilferings of minutes", Mausereien von Minuten 5 8), ,,snatching a few minutes", Wegschnappen von Minuten 5 9), oder wie die Arbeiter es technisch heißen, ,,nibbling and cribbling at meal times 6 0)". 5 Man sieht, in dieser Atmosphäre ist die Bildung des Mehrwerths durch die Mehrarbeit kein Geheimniß. „Wenn Sie mir erlauben," sagte mir ein sehr respektabler Fabrikherr, „täglich nur 10 Minuten Ueberzeit arbeiten zu lassen, stecken Sie jährlich 1000 Pfd. St. in meine T a s c h e 6 1 ) . " „Zeit- 10 atome sind die Elemente des Gewinns 6 2)." Nichts ist in dieser Hinsicht charakteristischer als die Bezeichnung der Arbeiter, die volle Zeit arbeiten, durch „füll times" und die der Kinder un- ter 13 Jahren, die nur 6 Stunden arbeiten dürfen, als „half times 6 3)". Der Arbeiter ist hier nichts mehr als personificirte Arbeitszeit. Alle individuel- 15 len Unterschiede lösen sich auf in die von „Vollzeitler" und „Halbzeitler". 3. Englische Industriezweige legale Schranke der Exploitation. ohne Den Trieb nach Verlängrung des Arbeitstags, den Wehrwolfsheißhunger für Mehrarbeit, beobachteten wir bisher auf einem Gebiet, wo maßlose 20 Ausschreitungen, nicht übergipfelt, so sagt ein bürgerlicher englischer Oe- konom, von den Grausamkeiten der Spanier gegen die Rothhäute Arne- rika's 6 4), das Kapital endlich an ||205| die Kette gesetzlicher Regulation ge- legt haben. Werfen wir jetzt den Blick auf einige Produktionszweige, wo die Aussaugung der Arbeitskraft entweder noch heute fesselfrei ist oder es 25 gestern noch war. „Herr Broughton, ein County Magistrate, erklärte als Präsident eines 5 7 ) I.e. p.35. 5 8 ) I.e. p.48. 5 9 ) I.e. 6 0 ) I.e. 6 1 ) I.e. p.48. 6 2 ) „Moments are the elements of profit". „Rep. of the Insp. etc. 30th April 1860", p. 56. 6 3 ) Der Ausdruck hat officielles Bürgerrecht, wie in der Fabrik, so in den Fabrikberichten. 6 4 ) "The cupidity of mill-owners, whose cruelties in pursuit of gain, have hardly been ex- 35 ceeded by those perpetrated by the Spaniards on the conquest of America, in the pursuit of gold." John Wade: ,,History of the Middle and Working Classes. 3d ed. Lond. 1835", p. 114. Der theoretische Theil dieses Buchs; eine Art Grundriß der politischen Oekonomie, enthält für seine Zeit einiges Originelle, z. B. über Handelskrisen. Der historische Theil leidet an schamlosem Plagiarismus aus Sir M. Eden's: „The State of the Poor. London 1797". 30 40 218 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag Meetings, abgehalten in der Stadthalle von Nottingham, am 14. Januar 1860, daß in dem mit der Spitzenfabrikation beschäftigten Theile der städ- tischen Bevölkerung ein der übrigen civilisirten Welt unbekannter Grad von Leid und Entbehrung vorherrscht ... Um 2, 3, 4 Uhr des Morgens wer- 5 den Kinder von 9 - 1 0 Jahren ihren schmutzigen Betten entrissen und ge- zwungen, für die nackte Subsistenz bis 10, 11, 12 Uhr Nachts zu arbeiten, während ihre Glieder wegschwinden, ihre Gestalt zusammenschrumpft, ihre Gesichtszüge abstumpfen und ihr menschliches Wesen ganz und gar in einem steinähnlichen Torpor erstarrt, dessen bloßer Anblick schauder- 10 haft ist. Wir sind nicht überrascht, daß Herr Mallett und andre Fabrikan- ten auftraten, um Protest gegen jede Diskussion einzulegen .... Das System, wie der Rev. Montagu Valpy es beschrieb, ist ein System unbe- schränkter Sklaverei, Sklaverei in socialer, physischer, moralischer und in- tellektueller Beziehung ... Was soll man denken von einer Stadt, die ein 15 öffentliches Meeting abhält, um zu petitioniren, daß die Arbeitszeit für Männer täglich auf 18 Stunden beschränkt werden solle! .... Wir deklami- ren gegen die virginischen und karolinischen Pflanzer. Ist jedoch ihr Ne- germarkt, mit allen Schrecken der Peitsche und dem Schacher in Men- schenfleisch, abscheulicher als diese langsame Menschenabschlachtung, 20 die vor sich geht, damit Schleier und Kragen zum Vortheil von Kapitali- sten fabricirt werden 6 5)?" 25 an die Die Töpferei ,,Children's Employment Commissioners", (Pottery) von Staffordshire hat während der letzten 22 Jahre den Gegenstand dreier parlamentarischen Untersuchungen gebil- det. Die Resultate sind niedergelegt im Bericht des Herrn Scriven von 1841 im Bericht des Dr. Greenhow von 1860, veröffentlicht auf Befehl des ärztlichen Beamten des Privy Council (Public Health, 3rd Report, I, 1 0 2 - 1 1 3 ) , endlich im Be- richt des Herrn Longe von 1863, in „First Report of the Children's Employ- ment Commission" ||206| vom 15. Juni 1863. Für meine Aufgabe genügt es, 30 den Berichten von 1860 bis 1863 einige Zeugenaussagen der exploitirten Kinder selbst zu entlehnen. Von den Kindern mag man auf die Erwachse- nen schließen, namentlich Mädchen und Frauen, und zwar in einem Indu- striezweig, woneben Baumwollspinnerei u. d. g. als ein sehr angenehmes und gesundes Geschäft erscheint 6 6). 35 Wilhelm Wood, neunjährig, „war 7 Jahre 10 Monate alt, als er zu arbei- ten begann". Er „ran moulds" (trug die fertig geformte Waare in die Trok- kenstube, um nachher die leere Form zurückzubringen) von Anfang an. Er kommt jeden Tag in der Woche um 6 Uhr Morgens und hört auf ungefähr 9 Uhr Abends. „Ich arbeite bis 9 Uhr Abends jeden Tag in der Woche. So 40 6 5 ) London Daily Telegraph vom 17. Januar 1860. 6 6 ) Vgl. Engels „Lage etc." p. 249-51. 219 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts z . B . während der letzten 7 - 8 Wochen." Also fünfzehnstündige Arbeit für ein siebenjähriges Kind! J. Murray, ein zwölfjähriger Knabe, sagt aus: „I run moulds and turn jigger (drehe das Rad). Ich komme um 6 Uhr, manch- mal um 4 Uhr Morgens. Ich habe während der ganzen letzten Nacht bis diesen Morgen 6 Uhr gearbeitet. Ich war nicht im Bett seit der letzten Nacht. Außer mir arbeiteten 8 oder 9 andre Knaben die letzte Nacht durch. Alle außer Einem sind diesen Morgen wieder gekommen. Ich be- komme wöchentlich 3 sh. 6 d. (1 Thaler 5 Groschen). Ich bekomme nicht mehr, wenn ich die ganze Nacht durcharbeite. Ich habe in der letzten Wo- che zwei Nächte durchgearbeitet." Fernyhough, ein zehnjähriger Knabe: 10 „Ich habe nicht immer eine ganze Stunde für das Mittagessen; oft nur eine halbe Stunde; jeden Donnerstag, Freitag und Samstag 6 7)." 5 Dr. Greenhow erklärt die Lebenszeit in den Töpferdistrikten von Stoke- upon-Trent und Wolstanton für außerordentlich kurz. Obgleich im Distrikt Stoke nur 36,6%, und in Wolstanton nur 30,4% der männlichen Bevölke- 15 rung über 20 Jahre in den Töpfereien beschäftigt sind, fällt unter Männern dieser Kategorie, im ersten Distrikt mehr als die Hälfte, im zweiten unge- fähr 2/ 5 der Todesfälle in Folge von Brustkrankheiten auf die Töpfer. Dr. Boothroyd, praktischer Arzt zu Hanley, sagt aus: „Jede successive Genera- tion der Töpfer ist zwerghafter und schwächer als die vorhergehende." Ebenso ein andrer Arzt, Herr McBean: „Seit ich vor 25 Jahren meine Praxis unter den Töpfern begann, hat sich die auffallende Entartung dieser Klasse fort- schreitend in Abnahme von ||207| Gestalt und Gewicht gezeigt." Diese Aus- sagen sind dem Bericht des Dr. Greenhow von 1860 entnommen 6 8). 20 Aus dem Bericht der Kommissäre von 1863 folgendes: Dr. J. T. Arledge, 25 Oberarzt des North Staffordshire Krankenhauses, sagt: „Als eine Klasse re- präsentiren die Töpfer, Männer und Frauen ... eine entartete Bevölkerung physisch und moralisch. Sie sind in der Regel verzwergt, schlecht gebaut, und oft an der Brust verwachsen. Sie altern vorzeitig und sind kurzlebig; phlegmatisch und blutlos, verrathen sie die Schwäche ihrer Konstitution 30 durch hartnäckige Anfälle von Dyspepsie, Leber- und Nierenstörungen und Rheumatismus. Vor allem aber sind sie Brustkrankheiten unterworfen, der Pneumonie, Phthisis, Bronchitis und dem Asthma. Eine Form des letztren ist ihnen eigenthümlich und bekannt unter dem Namen des Töp- fer-Asthma oder der Töpfer-Schwindsucht. Skrophulose, die Mandeln, 35 Knochen oder andre Körpertheile angreift, ist eine Krankheit von mehr als zwei Dritteln der Töpfer. Daß die Entartung (dégénérescence) der Bevölke- rung dieses Distrikts nicht noch viel größer ist, verdankt sie ausschließlich der Rekrutirung aus den umliegenden Landdistrikten und den Zwischen- 6 7 ) ,,Children's Employment Commission. First Report etc. 1863", Appendix p. 16, 19, 18. 6 8 ) „Public Health. 3d Report etc.", p. 102, 104, 105. 40 220 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag heirathen mit gesundren Racen." Herr Charles Parsons, vor kurzem noch House Surgeon derselben Krankenanstalt, schreibt in einem Briefe an den Kommissär Longe u.a.: „Ich kann nur aus persönlicher Beobachtung, nicht statistisch sprechen, aber ich stehe nicht an zu versichern, daß meine Em- pörung wieder und wieder aufkochte bei dem Anblick dieser armen Kin- der, deren Gesundheit geopfert wurde, um der Habgier ihrer Eltern und Ar- beitgeber zu fröhnen." Er zählt die Ursachen der Töpferkrankheiten auf und schließt sie kulminirend ab mit „Long Hours" („langen Arbeitsstun- den"). Der Kommissionsbericht hofft, daß „eine Manufaktur von so hervor- ragender Stellung in den Augen der Welt nicht lange mehr den Makel tra- gen wird, daß ihr großer Erfolg begleitet ist von physischer Entartung, vielverzweigten körperlichen Leiden, und frühem Tode der Arbeiterbevöl- kerung, durch deren Arbeit und Geschick so große Resultate erzielt wor- den sind 6 9)." Was von den Töpfereien in England, gilt von denen in Schott- land 7 0). 5 10 15 Die Manufaktur von Zündhölzern datirt von 1833, von der Erfindung, den Phosphor auf die Zündruthe selbst anzubringen. Seit ||208| 1845 hat sie sich rasch in England entwickelt und von den dichtbevölkerten Theilen Londons namentlich auch nach Manchester, Birmingham, Liverpool, Bri- 20 stol, Norwich, Newcastle, Glasgow verbreitet, mit ihr die Mundsperre, die ein Wiener Arzt schon 1845 als eigenthümliche Krankheit der Zündholz- macher entdeckte. Die Hälfte der Arbeiter sind Kinder unter 13 und junge Personen unter 18 Jahren. Die Manufaktur ist wegen ihrer Ungesundheit und Widerwärtigkeit so verrufen, daß nur der verkommenste Theil der Ar- 25 beiterklasse, halbverhungerte Wittwen u.s.w., Kinder für sie hergiebt, „zer- lumpte, halb verhungerte, ganz verwahrloste und unerzogne Kinder 7 1)". Von den Zeugen, die Kommissär White (1863) verhörte, waren 270 unter 18 Jahren, 40 unter 10 Jahren, 10 nur 8 und 5 nur 6 Jahre alt. Wechsel des Arbeitstags von 12 auf 14 und 15 Stunden, Nachtarbeit, unregelmäßige 30 Mahlzeiten, meist in den Arbeitsräumen selbst, die vom Phosphor verpe- stet sind 7 1). Dante wird in dieser Manufaktur seine grausamsten Höl- lenphantasien übertroffen finden. In der Tapetenfabrik werden die gröberen Sorten mit Maschinen, die fei- neren mit der Hand (block printing) gedruckt. Die lebhaftesten Geschäfts- 35 monate fallen zwischen Anfang Oktober und Ende April. Während dieser Periode dauert diese Arbeit häufig und fast ohne Unterbrechung von 6 Uhr Vormittags bis 10 Uhr Abends und tiefer in die Nacht. J. Leach sagt aus: „Letzten Winter (1862) blieben von 19 Mädchen 6 weg in Folge durch Ueberarbeitung zugezogner Krankheiten. Um sie wach zu 40 6 9 ) ,,Children's Employm. Commission. 1863", p. 24, 22 u. XI. 7 0 ) I.e. p.XLVIL 7 1 ) I.e. p.LIV. 221 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 halten, muß ich sie anschreien." W. Duffy: „Die Kinder konnten oft vor Müdigkeit die Augen nicht aufhalten, in der That, wir selbst können es oft kaum." J.Lightbourne: „Ich bin 13 Jahre alt ... Wir arbeiteten letzten Win- ter bis 9 Uhr Abends und den Winter vorher bis 10 Uhr. Ich pflegte letzten Winter fast jeden Abend vom Schmerz wunder Füße zu schreien." G. Aspden: „Diesen meinen Jungen pflegte ich, als er 7 Jahre alt war, auf meinem Rücken hin und her über den Schnee zu tragen, und er pflegte 16 Stunden zu arbeiten! ... Ich habe oft niedergekniet, um ihn zu füttern, während er an der Maschine stand, denn er durfte sie nicht verlassen oder stillsetzen." Smith, der geschäftsführende Associé einer Manchester-Fa- 10 brik: „Wir (er meint seine „Hände", die für „uns" arbeiten) arbeiten ohne Unterbrechung für Mahlzeiten, so daß die Tagesarbeit von 10½ Stunden um 4½ ||209| Uhr Nachmittags fertig ist, und alles Spätere ist Ueberzeit 7 2). (Ob dieser Herr Smith wohl keine Mahlzeit während 10½ Stunden zu sich nimmt?) Wir (derselbe Smith) hören selten auf vor 6 Uhr Abends (er meint 15 mit der Konsumtion „unsrer" Arbeitskraftmaschinen), so daß wir (iterum Crispinus) in der That das ganze Jahr durch Ueberzeit arbeiten ... Die Kin- der und Erwachsnen (152 Kinder und junge Personen unter 18 Jahren und 140 Erwachsne) haben gleichmäßig während der letzten 18 Monate im Durchschnitt allermindestens 7 Tage und 5 Stunden in der Woche gearbei- 20 tet, oder 78½ Stunden wöchentlich. Für die 6 Wochen, endend am 2. Mai dieses Jahres (1863), war der Durchschnitt höher - 8 Tage oder 84 Stunden in der Woche!" Doch fügt derselbe Herr Smith, der dem pluralis majestatis so sehr ergeben ist, schmunzelnd hinzu: „Maschinenarbeit ist leicht." Und so sagen die Anwender des Block Printing: „Handarbeit ist gesunder als 25 Maschinenarbeit." Im Ganzen erklären sich die Herrn Fabrikanten mit Entrüstung gegen den Vorschlag, „die Maschinen wenigstens während der Mahlzeiten still zu setzen". „Ein Gesetz", sagt Herr Ottley, der manager einer Tapetenfabrik im Borough (in London), „das Arbeitsstunden von 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends erlaubte, würde uns (!) sehr wohl zusa- 30 gen, aber die Stunden des Factory Act von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends passen uns (!) nicht ... Unsre Maschine wird während des Mittag- essens (welche Großmuth) still gesetzt. Das Stillsetzen verursacht keinen nennenswerthen Verlust an Papier und Farbe." „Aber", fügt er sympathe- tisch hinzu, „ich kann verstehn, daß der damit verbundne Verlust nicht ge- 35 7 2 ) Dieß ist nicht in unsrem Sinn der Surplusarbeitszeit zu nehmen. Diese Herrn betrachten die lO^stündige Arbeit als Normalarbeitstag, der also auch die normale Mehrarbeit ein- schließt. Dann beginnt „die Ueberzeit", die etwas besser bezahlt wird. Man wird bei einer spätren Gelegenheit sehn, daß die Verwendung der Arbeitskraft während des sogenannten Normaltages unter dem Werthe bezahlt wird, so daß die „Ueberzeit" ein bloßer Kapitalisten- 40 pfiff ist, um mehr „Mehrarbeit" auszupressen, was es übrigens selbst dann bleibt, wenn die während des „Normaltages" verwandte Arbeitskraft wirklich voll bezahlt wird. 222 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag liebt wird." Der Kommissionsbericht meint naiv, die Furcht einiger „lei- tenden Firmen", Zeit, d. h. Aneignungszeit fremder Arbeit, und dadurch „Profit zu verlieren", sei kein „hinreichender Grund", um Kinder unter 13 und junge Personen unter 18 Jahren während 1 2 - 1 6 Stunden ihr Mittags- 5 mahl „verlieren zu lassen", oder es ihnen zuzusetzen, wie man der Dampf- maschine Kohle und Wasser, der Wolle Seife, dem Rad OeI u. s. w. zu- setzt, - während des Produktionsprocesses selbst, als bloßen Hülfsstoff des Arbeitsmittels 7 3). ||210| Kein Industriezweig in England - (wir sehn von dem erst neuerdings 10 sich Bahn brechenden Maschinenbrod ab) - hat so alterthümliche, j a , wie man aus den Dichtern der römischen Kaiserzeit ersehn kann, vorchristli- che Produktionsweise bis heute beibehalten, als die Bäckerei. Aber das Ka- pital, wie früher bemerkt, ist zunächst gleichgültig gegen den technischen Charakter des Arbeitsprocesses, dessen es sich bemächtigt. Es nimmt ihn 15 zunächst, wie es ihn vorfindet. Die unglaubliche Brodverfälschung, namentlich in London, wurde zu- erst enthüllt durch das Komité des Unterhauses „über die Verfälschung von Nahrungsmitteln" ( 1 8 5 5 - 5 6 ) und Dr. Hassall's Schrift: ,,Adulterations detected 7 4)". Die Folge dieser Enthüllungen war das Gesetz vom 6. August 20 1860: ,,for preventing the adulteration of articles of food and drink", ein wirkungsloses Gesetz, da es natürlich die höchste Delikatesse gegen jeden freetrader beobachtet, der sich vornimmt durch Kauf und Verkauf ge- fälschter Waaren „to turn an honest penny 7 5)". Das Komité selbst formu- lirte mehr oder minder naiv seine Ueberzeugung, daß Freihandel wesent- lieh den Handel mit gefälschten, oder wie der Engländer es witzig nennt, „sophisticirten Stoffen" bedeute. In der That, diese Art „Sophistik" ver- steht es besser als Protagoras schwarz aus weiß und weiß aus schwarz zu machen, und besser als die Eleaten den bloßen Schein alles Realen ad ocu- los zu demonstriren 7 6). | 25 30 |211| Jedenfalls hatte das Komité die Augen des Publikums auf sein 35 7 3 ) Lc Evidence p. 123, 124, 125, 140 u. LXIV. 7 4 ) Alaun, fein gerieben, oder mit Salz gemischt, ist ein normaler Handelsartikel, der den be- zeichnenden Namen ,,baker's stuff führt. 7 5 ) Ruß ist bekanntlich eine sehr energische Form des Kohlenstoffs und bildet ein Düngmit- tel, das kapitalistische Schornsteinfeger an englische Pächter verkaufen. Es hatte nun 1862 der britische ,,Juryman" in einem Proceß zu entscheiden, ob Ruß, welchem ohne Wissen des Käufers 90 % Staub und Sand beigemischt sind, „wirklicher" Ruß im „kommerciellen" Sinn oder „gefälschter" Ruß im „gesetzlichen" Sinn sei. Die ,,amis du commerce" entschieden, es sei „wirklicher" kommercieller Ruß, und wiesen den klagenden Pächter ab, der noch oben- 40 drein die Proceßkosten zu zahlen hatte. 7 6 ) Der französische Chemiker Chevallier, in einer Abhandlung über die ,,sophistications" der Waaren, zählt unter 600 und einigen Artikeln, die er Revue passiren läßt, für viele derselben 10, 20, 30 verschiedne Methoden der Fälschung auf. Er fügt hinzu, er kenne nicht alle Metho- den und erwähne nicht alle, die er kenne. Für den Zucker giebt er 6 Fälschungsarten, 9 für 223 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts „tägliches Brod" und damit auf die Bäckerei gelenkt. Gleichzeitig erscholl in öffentlichen Meetings und Petitionen an das Parlament der Schrei der Londoner Bäckergesellen über Ueberarbeitung u.s.w. Der Schrei wurde so dringend, daß Herr H. S. Tremenheere, auch Mitglied der mehrerwähnten Kommission von 1863, zum königlichen Untersuchungskommissär bestallt wurde. Sein Bericht 7 7) sammt Zeugenaussagen, regte das Publikum auf, nicht sein Herz, sondern seinen Magen. Der bibelfeste Engländer wußte zwar, daß der Mensch, wenn nicht durch Gnadenwahl Kapitalist oder Landlord oder Sinekurist, dazu berufen ist, sein Brod im Schweiße seines Angesichts zu essen, aber er wußte nicht, daß er in seinem Brode täglich ein gewisses Quantum Menschenschweiß essen muß, getränkt mit Eiter- beulenausleerung, Spinnweb, Schaben-Leichnamen und fauler deutscher Hefe, abgesehn von Alaun, Sandstein und sonstigen angenehmen minerali- schen Ingredienzien. Ohne alle Rücksicht auf seine Heiligkeit, den „Free- trade", wurde daher die anhero „freie" Bäckerei der Aufsicht von Staatsin- spektoren unterworfen (Ende der Parlamentssitzung 1863) und durch denselben Parlamentsakt die Arbeitszeit von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Mor- gens für Bäckergesellen unter 18 Jahren verboten. Die letztre Klausel spricht Bände über die Ueberarbeitung in diesem uns so altvaterisch anhei- melnden Geschäftszweig. 5 10 15 20 „Die Arbeit eines Londoner Bäckergesellen beginnt in der Regel um 11 Uhr Nachts. Zu dieser Stunde macht er den Teig, ein sehr mühsamer Prozeß, der 1J1 bis % Stunden währt, je nach der Größe des Gebäcks und sei- ner Feinheit. Er legt sich dann nieder auf das Knetbrett, das zugleich als Deckel des Trogs dient, worin der Teig gemacht wird, und schläft ein paar 25 Stunden mit einem Mehlsack unter dem Kopf und einem andren Mehlsack auf dem Leib. Dann beginnt eine rasche und ununterbrochne Arbeit von 5 Stunden, Werfen, Wägen, Formen, in den Ofen schieben, aus dem Ofen holen u.s.w. des Teiges. Die Temperatur eines Backhauses beträgt von 75 bis 90 Grad und in den kleinen Backhäusern eher mehr als weniger. Wenn 30 das Geschäft Brod, Wecken u. s. w. zu machen vollbracht ist, beginnt die Vertheilung des Brods; und ein beträchtlicher Theil der Taglöhner, nach- dem ||212| er die beschriebne harte Nachtarbeit vollbracht, trägt während des Tags das Brod in Körben, oder schiebt es in Karren, von Haus zu Haus und operirt dazwischen auch manchmal im Backhaus. Je nach der Jahres- zeit und dem Umfang des Geschäfts endet die Arbeit zwischen 1 und 35 das Olivenöl, 10 für die Butter, 12 für das Salz, 19 für die Milch, 20 für das Brod, 23 für den Branntwein, 24 für Mehl, 28 für Chokolade, 30 für Wein, 32 für Kaffee etc. Selbst der liebe Herrgott entgeht diesem Schicksal nicht. Sieh: „Rouard de Card, de la falsification des subs- tances sacramentelles. Paris 1856". [S. 89-92] 7 7 ) „Report etc. relating to the Grievances complained of by the Journeymen Bakers etc. Lon- don 1862" und ,,Second Report etc. London 1863". 40 224 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag 6 Uhr Nachmittags, während ein andrer Theil der Gesellen bis spät Nach- mittags im Backhaus beschäftigt i s t 7 8 ) . " „Während der Londoner Saison beginnen die Gesellen der Bäcker zu ,vollen' Brodpreisen im Westend re- gelmäßig um 11 Uhr Nachts, und sind mit dem Brodbacken, unterbrochen 5 durch einen oder zwei oft sehr kurze Zwischenräume, bis 8 Uhr des näch- sten Morgens beschäftigt. Sie werden dann bis 4, 5, 6 ja 7 Uhr zur Brodher- umträgerei vernutzt oder manchmal mit Biscuitbacken im Backhaus. Nach vollbrachtem Werk genießen sie einen Schlaf von 6, oft nur von 5 und 4 Stunden. Freitags beginnt die Arbeit stets früher, sage Abends 10 Uhr 10 und dauert ohne Unterlaß, sei es in der Zubereitung, sei es in der Kolporti- rung des Brods, bis den folgenden Samstag Abend 8 Uhr, aber meist bis 4 oder 5 Uhr in Sonntag Nacht hinein. Auch in den vornehmen Bäckereien, die das Brod zum ,vollen Preise' verkaufen, muß wieder 4 bis 5 Stunden am Sonntag vorbereitende Arbeit für den nächsten Tag verrichtet wer- 15 den ... Die Bäckergesellen der ,underselling masters' (die das Brod unter dem vollen Preise verkaufen), und diese betragen, wie früher bemerkt, über % der Londoner Bäcker, haben noch längere Arbeitsstunden, aber ihre Ar- beit ist fast ganz auf das Backhaus beschränkt, da ihre Meister, die Liefe- rung an kleine Kramladen ausgenommen, nur in der eignen Boutique ver- 20 kaufen. Gegen Ende der Woche, ... d.h. am Donnerstag, beginnt hier die Arbeit um 10 Uhr in der Nacht und dauert mit nur geringer Unterbrechung bis tief in Sonntag Nacht hinein 7 9)." Von den ,,underselling masters" begreift selbst der bürgerliche Stand- punkt: „die unbezahlte Arbeit der Gesellen (the unpaid labour of the men) 25 bildet die Grundlage ihrer Konkurrenz" 8 0). Und der ,,full priced baker" de- nuncirt seine ,,underselling" Konkurrenten der Untersuchungskommission als Diebe fremder Arbeit und Fälscher. „Sie reussiren nur durch den Be- trug des Publikums und dadurch, daß sie 18 Stunden aus ihren Gesellen für einen Lohn von 12 Stunden herausschlagen 8 1)." | 30 |213| Die Brodfälschung und die Bildung einer Bäckerklasse, die das Brod unter dem vollen Preis verkauft, entwickelten sich in England seit Anfang des 18. Jahrhunderts, sobald der Zunftcharakter des Gewerbs ver- fiel und der Kapitalist in der Gestalt von Müller oder Mehlfaktor hinter den nominellen Bäckermeister trat 8 2). Damit war die Grundlage zur kapita- 35 7 8 ) 1. c. First Report etc. p. VI, VII. 7 9 ) I.e. p.LXXI. 8 0 ) George Read: „The History of Baking. London 1848", p. 16. 8 1 ) Report (First) etc. Evidence. Aussage des „füll priced baker" Cheesman p. 108. 8 2 ) George Read I.e. Ende des 17. und Anfangs des 18. Jahrhunderts wurden die in alle mögli- 40 chen Gewerbe sich eindrängenden Factors (Agenten) noch officiell als „Public Nuisances" de- nuncirt. So erließ z. B. die Grand Jury, bei der vierteljährigen Friedensrichtersitzung in der Grafschaft Somerset, ein ,,presentment" an das Unterhaus, worin es u. a. heißt: "that these fac- tors of Blackwell Hall are a Publick Nuisance and Prejudice to the Clothing Trade and ought to be put down as a Nuisance." (,,The Case of our English Wool etc. London 1685", p. 7.) 225 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts listischen Produktion, zur maßlosen Verlängrung des Arbeitstages und Nachtarbeit gelegt, obgleich letztre selbst in London erst 1824 ernsthaft Fuß faßte 8 3). Man wird nach dem Vorhergehenden verstehn, daß der Kommissionsbe- richt die Bäckergesellen zu den kurzlebigen Arbeitern zählt, die, nachdem sie der unter allen Theilen der Arbeiterklasse normalen Kinderdecimation glücklich entwischt sind, selten das 42. Lebensjahr erreichen. Nichts desto weniger ist das Bäckergewerbe stets mit Kandidaten überfüllt. Die Zufuhr- quellen dieser „Arbeitskräfte" für London sind Schottland, die westlichen Agrikulturdistrikte Englands und - Deutschland. 5 10 15 In den Jahren 1 8 5 8 - 1 8 6 0 organisirten die Bäckergesellen in Irland auf ihre eignen Kosten große Meetings zur Agitation gegen die Nacht- und Sonntagsarbeit. Das Publikum, z.B. auf dem Maimeeting zu Dublin, 1860, ergriff mit irischer Wärme Partei für sie. Ausschließliche Tagarbeit wurde durch diese Bewegung in der That erfolgreich durchgesetzt zu Wexford, Kilkenny, Clonmel, Waterford u. s. w. „Zu Limerick, wo die Qualen der Lohngesellen bekanntermaßen alles Maß überstiegen, scheiterte diese Be- wegung an der Opposition der Bäckermeister, namentlich der Bäcker-Mü- ler. Das Beispiel Limerick's führte zum Rückschritt in Ennis und Tipper- ary. Zu Cork, wo der öffentliche Unwille sich in der lebhaftesten Form 20 kundgab, vereitelten die Meister die Bewegung durch den Gebrauch ihrer Macht die Gesellen an die Luft zu setzen. Zu Dublin leisteten die Meister den entschiedensten Widerstand und zwangen durch Verfolgung der Ge- sellen, die an der Spitze der Agitation standen, den Rest zum Nachgeben, zur Fügung in die Nacht- und Sonntagsarbeit 8 4)." Die Kommission der in 25 Irland bis an die Zähne ||214| gewaffneten englischen Regierung remon- strirt leichenbitterlich gegen die unerbittlichen Bäckermeister von Dublin, Limerick, Cork u.s.w.: „Das Komité glaubt, daß die Arbeitsstunden durch Naturgesetze beschränkt sind, die nicht ungestraft verletzt werden. Indem die Meister durch die Drohung sie fortzujagen, ihre Arbeiter zur Verlet- 30 zung ihrer religiösen Ueberzeugung, zum Ungehorsam gegen das Landes- gesetz und die Verachtung der öffentlichen Meinung zwingen", (dieß letztre bezieht sich alles auf die Sonntagsarbeit), „setzen sie böses Blut zwischen Kapital und Arbeit und geben ein Beispiel, gefährlich für Reli- gion, Moralität und öffentliche Ordnung ... Das Komité glaubt, daß die 35 Verlängrung des Arbeitstags über 12 Stunden ein usurpatorischer Eingriff in das häusliche und Privatleben des Arbeiters ist und zu unheilvollen mo- ralischen Resultaten führt, durch Einmischung in die Häuslichkeit eines 8 3 ) First Report etc. p. VIII. 8 4 ) „Report of Committee on the Baking Trade in Ireland for 1861". 40 226 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag Mannes und die Erfüllung seiner Familienpflichten als Sohn, Bruder, Gatte und Vater. Arbeit über 12 Stunden hat die Tendenz die Gesundheit des Arbeiters zu untergraben, führt zu vorzeitiger Alterung und frühem Tod und daher zum Unglück der Arbeiterfamilien, die der Vorsorge und 5 der Stütze des Familienhaupts grade im nothwendigsten Augenblick be- raubt werden (,,are deprived") 8 5)·" 15 Wir waren eben in Irland. Auf der andren Seite des Kanals, in Schott- land, denuncirt der Ackerbauarbeiter, der Mann des Pfluges, seine 13 bis 14stündige Arbeit, im rauhsten Klima, mit vierstündiger Zusatzarbeit für 10 den Sonntag (in diesem Lande der Sabbat-Heiligen!) 8 6), während vor einer Londoner Grand Jury gleichzeitig drei Eisenbahnarbeiter stehn, ein Perso- nenkondukteur, ein Lokomotivführer und ein Signalgeber. Ein großes Eisenbahnunglück hat Hunderte von Passagieren in die andre Welt expe- dirt. Die Nachlässigkeit der Eis enb ahnarb e it er ist die Ursache des Un-1 |215|glücks. Sie erklären vor den Geschwornen einstimmig, vor 10 bis 12 Jahren habe ihre Arbeit nur 8 Stunden täglich gedauert. Während der letzten 5 - 6 Jahre habe man sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt und bei besonders lebhaftem Zudrang der Reiselustigen, wie in den Perio- den der Exkursionszüge, währe sie oft ununterbrochen 4 0 - 5 0 Stunden. Sie 20 seien gewöhnliche Menschen und keine Cyklopen. Auf einem gegebnen Punkt versage ihr Arbeitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn höre auf zu denken und ihr Auge zu sehn. Der ganz und gar ,,respectable British Jury- man" antwortet durch ein Verdikt, das sie wegen ,,manslaughter" (Todt- schlag) vor die Assisen schickt, und in einem milden Anhang den from- 25 men Wunsch äußert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn möchten doch in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der nöthigen Anzahl von „Arbeitskräften" und „enthaltsamer" oder „entsagender" oder „sparsamer" in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft s e i n 8 7 ) . 30 8 5 ) I.e. 8 6 ) Oeffentliches Meeting der Agrikulturarbeiter in Lasswade, bei Glasgow, vom 5. Jan. 1866. (Sieh ,,Workman's Advocate" vom 13. Jan. 1866.) Die Bildung, seit Ende 1865, einer Trade's Union unter den Agrikulturarbeitern, zunächst in Schottland, ist ein historisches Ereigniß. In einem der unterdrücktesten Agrikulturdistrikte Englands, in Buckinghamshire, machten die Lohnarbeiter März 1867 einen großen Strike zur Erhöhung des Wochenlohns von 9-10 sh. 35 auf 12 sh. - (Man sieht aus Vorstehendem, daß die Bewegung des englischen Ackerbauprole- tariats, seit Unterdrückung seiner gewaltsamen Demonstrationen nach 1830 und namentlich seit Einführung des neuen Armengesetzes ganz und gar gebrochen, in den sechsziger Jahren wieder beginnt, bis sie endlich 1872 epochemachend wird. Ich komme hierauf im II. Band zu- rück, ebenso auf die seit 1867 erschienenen Blaubücher über die Lage des englischen Landar- 40 belters. Zusatz zur 3. Aufl.) 8 7 ) ,,Reynolds's Newspaper" vom 20. Jan. 1866. Woche für Woche bringt dasselbe Wochen- blatt gleich darauf, unter den ,,sensational headings": ,,Fearful and fatal accidents" ,,Appalling tragedies" u.s.w., eine ganze Liste neuer Eisenbahnkatastrophen. Darauf antwortet ein Arbei- ter von der North Staffordlinie: „Jedermann kennt die Folgen, wenn die Aufmerksamkeit von 227 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von allen Professionen, Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrängen als die Seelen der Er- schlagnen auf den Odysseus, und denen man, ohne die Blaubücher unter ihren Armen, auf den ersten Blick die Ueberarbeit ansieht, greifen wir noch zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, daß vor dem Kapital alle Menschen gleich sind, - eine Putzmacherin und einen Grob- schmied. 5 In den letzten Wochen vom Juni 1863 brachten alle Londoner Tages- ,,sensational" Aushänge112161schild: blätter einen Paragraph mit dem ,,Death from simple Overwork" (Tod von einfacher Ueberarbeit). Es han- 10 delte sich um den Tod der Putzmacherin Mary Anne Walkley, zwanzigjäh- rig, beschäftigt in einer sehr respektablen Hofputzmanufaktur, exploitirt von einer Dame mit dem gemüthlichen Namen Elise. Die alte oft erzählte Geschichte ward nun neu entdeckt 8 8), daß diese Mädchen durchschnittlich 16/4 Stunden, während der Saison aber oft 30 Stunden ununterbrochen ar- 15 beiten, indem ihre versagende „Arbeitskraft" durch gelegentliche Zufuhr von Sherry, Portwein oder Kaffee flüssig erhalten wird. Und es war grade die Höhe der Saison. Es galt die Prachtkleider edler Ladies für den Huldi- gungsball bei der frisch importirten Prinzessin von Wales im Umsehn fer- tig zu zaubern. Mary Anne Walkley hatte 26½ Stunden ohne Unterlaß ge- 20 arbeitet zusammen mit 60 andren Mädchen, je 30 in einem Zimmer, das kaum Y3 der nöthigen Kubikzolle Luft gewährte, während sie Nachts zwei zu zwei Ein Bett theilten in einem der Sticklöcher, worin ein Schlafzimmer durch verschiedne Bretterwände abgepfercht i s t 8 9 ) . Und dieß war eine der Lokomotivenführer und Heizer einen Augenblick erlahmt. Und wie ist es anders möglich bei 25 maßloser Verlängerung der Arbeit, im rauhsten Wetter, ohne Pause und Erholung? Nehmt als ein Beispiel, wie es täglich vorkommt, folgenden Fall. Letzten Montag begann ein Heizer sehr früh Morgens sein Tagewerk. Er endete es nach 14 Stunden 50 Minuten. Bevor er auch nur die Zeit hatte, seinen Thee zu nehmen, rief man ihn von neuem an die Arbeit. Er hatte also 29 Stunden 15 Minuten ununterbrochen durchzuschanzen. Der Rest seines Wochenwerks aufgemacht wie folgt: Mittwoch 15 Stunden; Donnerstag 15 Stunden 35 Minuten; Freitag 14¾ Stunden; Sonnabend 14 Stunden 10 Minuten; zusammen für die Woche 88 Stunden 30 Minuten. Und nun denkt euch sein Erstaunen, als er nur Zahlung für 6 Arbeitstage erhielt. Der Mann war ein Neuling und fragte, was man unter einem Tagewerk verstehe. Antwort: 13 Stunden, also 78 Stunden per Woche. Aber wie mit der Zahlung für die überschüssigen 35 10 Stunden 30 Minuten? Nach langem Hader erhielt er eine Vergütung von 10 d. (noch nicht 10 Silbergroschen)." I.e. Nr. vom 4.Februar, 1866. 8 8 ) Vgl. F. Engels 1. c. p. 253, 254. 8 9 ) Dr.Letheby, beim Board of Health funktionirender Arzt, erklärte damals: „Das Minimum für die Erwachsnen sollte in einem Schlafzimmer 300 Kubikfuß und in einem Wohnzimmer 40 500 Kubikfuß Luft sein." Dr. Richardson, Oberarzt eines Londoner Hospitals: „Näherinnen aller Art, Putzmacherinnen, Kleidermacherinnen und gewöhnliche Näherinnen leiden an dreifachem Elend - Ueberarbeit, Luftmangel und Mangel an Nahrung oder Mangel an Ver- dauung. Im Ganzen paßt diese Art Arbeit unter allen Umständen besser für Weiber als für Männer. Aber es ist das Unheil des Geschäfts, daß es, namentlich in der Hauptstadt, von eini- 45 gen 26 Kapitalisten monopolisirt wird, die durch Machtmittel, welche dem Kapital entsprin- 30 228 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag besseren Putzmachereien Londons. Mary Anne Walkley erkrankte am Freitag und starb am Sonntag, ohne, zum Erstaunen von Frau Elise, auch nur vorher das letzte Putzstück fertig zu ||217| machen. Der zu spät ans Sterbebett gerufne Arzt, Herr Keys, bezeugte vor der ,,Coroner's Jury" in 5 dürren Worten: „Mary Anne Walkley sei gestorben an langen Arbeitsstun- den in einem überfüllten Arbeitszimmer und überengem, schlechtventilir- tem Schlafgemach." Und dem Arzt eine Lektion in guter Lebensart zu ge- ben, erklärte dagegen die ,,Coroner's Jury": „Die Hingeschiedne sei gestorben an der Apoplexie, aber es sei Grund, zu fürchten, daß ihr Tod 10 durch Ueberarbeit in einer überfüllten Werkstatt u.s.w. beschleunigt wor- den sei." Unsre „weißen Sklaven", rief der Morning Star, das Organ der Freihandelsherrn Cobden und Bright, „unsre weißen Sklaven werden in das Grab hineingearbeitet und verderben und sterben ohne Sang und K l a n g 9 0 ) " . 15 „Zu Tod arbeiten ist die Tagesordnung, nicht nur in der Werkstätte der Putzmacherinnen, sondern in tausend Plätzen, ja an jedem Platz, wo das Geschäft im Zug ist . . . Laßt uns den Grobschmied als Beispiel nehmen. Wenn man den Dichtern glauben darf, giebt es keinen so lebenskräftigen, 20 gen (that spring from capital), Oekonomie aus der Arbeit herauszwingen (force economy out of labour; er meint, Auslagen Ökonomisiren durch Verschwendung der Arbeitskraft.) Ihre Macht wird im Bereich dieser ganzen Klasse von Arbeiterinnen gefühlt. Kann eine Kleider- macherin einen kleinen Kreis von Kunden gewinnen, so zwingt die Konkurrenz sie, sich zu Hause todt zu arbeiten, um ihn zu erhalten, und mit derselben Ueberarbeit muß sie nothwen- dig ihre Gehüliinnen heimsuchen. Mißlingt ihr Geschäft oder kann sie sich nicht selbständig etabliren, so wendet sie sich an ein Etablissement, wo die Arbeit nicht geringer, aber die Zah- lung sicher ist. So gestellt wird sie eine reine Sklavin, hin und her geschleudert von jeder FIu- thung der Gesellschaft; bald zu Hause in einem kleinen Zimmer verhungernd, oder nahe so, dann wieder von 24 Stunden 15, 16, ja 18 Stunden beschäftigt in kaum erträglicher Luft und mit einer Nahrung, die, selbst wenn gut, wegen Abwesenheit reiner Luft nicht verdaut werden 30 kann. Von diesen Opfern lebt die Schwindsucht, welche nichts als eine Luftkrankheit ist." 25 35 (Dr. Richardson: „Work and Overwork" in „Social Science Review", 18. Juli 1863.) 9 0 ) Morning Star, 23. Juni 1863. Die Times benutzte den Vorfall zur Vertheidigung der ameri- kanischen Sklavenhalter gegen Bright u.s.w. „Sehr viele von uns", sagt sie, „meinen, daß so lange wir unsre eignen jungen Frauenzimmer zu Tode arbeiten, mit der Geißel des Hungers statt dem Knall der Peitsche, wir kaum das Recht haben, Feuer und Schwert auf Familien zu hetzen, die als Sklavenhalter geboren waren und ihre Sklaven mindestens gut nähren und mä- ßig arbeiten lassen." (Times, Juli 2, 1863.) In derselben Weise kanzelte der Standard, ein To- ryblatt, den Rev. Newman Hall ab: „Er exkommunicire die Sklavenhalter, bete aber mit den braven Leuten, die Kutscher und Omnibusführer von London u.s.w. nur 16 Stunden täglich für einen Hundelohn arbeiten ließen." Endlich sprach das Orakel, Herr Thomas Carlyle, von dem ich schon 1850 drucken ließ: „Zum Teufel ist der Genius, der Kultus ist geblieben." In einer kurzen Parabel reducirt er das einzig großartige Ereigniß der Zeitgeschichte, den ameri- kanischen Bürgerkrieg, darauf, daß der Peter vom Norden dem Paul vom Süden mit aller Ge- walt den Hirnschädel einschlagen will, weil der Peter vom Norden seinen Arbeiter „täglich" 45 und der Paul vom Süden ihn für „Lebzeit miethet". (Macmillan's Magazine. Ilias Americana in nuce. Augustheft 1863.) So ist endlich die Schaumblase der Torysympathie für den städti- schen, bei Leibe nicht den ländlichen! - Lohnarbeiter geplatzt. Der Kern heißt - Sklaverei! 40 229 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts lustigen Mann als den Grobschmied. Er erhebt sich früh und schlägt Fun- ken vor der Sonne; er ißt und trinkt und schläft wie kein anderer Mensch. Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mäßiger Arbeit, in der That in einer der besten menschlichen Stellungen. Aber wir folgen ihm in die Stadt und sehn die Arbeitslast, die auf den starken Mann gewälzt wird, und welchen Rang nimmt er ein in den Sterblichkeitslisten unsres Landes? In Marylebone (einem der größten Stadtviertel Londons) sterben Grob- schmiede in dem Ver||218|hältniß von 31 per 1000 jährlich, oder 11 über der Durchschnittssterblichkeit erwachsner Männer in England. Die Be- schäftigung, eine fast instinktive Kunst der Menschheit, an und für sich ta- dellos, wird durch bloße Uebertreibung der Arbeit der Zerstörer des Man- nes. Er kann so viel Hammerschläge täglich schlagen, so viel Schritte gehn, so viel Athemzüge holen, so viel Werk verrichten, und durchschnittlich sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn, so viel mehr Schläge zu schlagen, so viel mehr Schritte zu gehn, so viel öfter des Tags zu athmen, und alles zu- sammen seine Lebensausgabe täglich um ein Viertel zu vermehren. Er macht den Versuch, und das Resultat ist, daß er für eine beschränkte Pe- riode ein Viertel mehr Werk verrichtet und im 37. Jahre statt im 50. stirbt 9 1)." 4. Tag- und Nachtarbeit. Das Ablösungssystem. Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt des Verwerthungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit und mit jedem Trop- fen Arbeit ein proportionelles Quantum Mehrarbeit einzusaugen. So weit sie das nicht thun, bildet ihre bloße Existenz einen negativen Verlust für den Kapitalisten, denn sie repräsentiren während der Zeit, wo sie brach lie- gen, nutzlosen Kapitalvorschuß, und dieser Verlust wird positiv, sobald die Unterbrechung zusätzliche Auslagen nöthig macht für den Wiederbeginn des Werks. Die Verlängrung des Arbeitstags über die Grenzen des natürli- chen Tags in die Nacht hinein wirkt nur als Palliativ, stillt nur annähernd den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut. Arbeit während aller 24 Stunden des Tags anzueignen, ist daher der immanente Trieb der kapi- talistischen Produktion. Da dieß aber physisch unmöglich, würden diesel- ben Arbeitskräfte Tag und Nacht fortwährend ausgesaugt, so bedarf es, zur Ueberwindung des physischen Hindernisses, der Abwechslung zwischen den bei Tag und Nacht verspeisten Arbeitskräften, eine Abwechslung, die verschiedne Methoden zuläßt, z.B. so geordnet sein kann, daß ein Theil des Arbeiterpersonals eine Woche Tagdienst, Nachtdienst die andre Wo- 9 1 ) Dr. Richardson 1. c. 230 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag che versieht u. s. w. Man weiß, daß dies Ablösungssystem, diese Wechsel- wirtschaft, in der vollblütigen Jugendperiode der englischen Baumwollin- dustrie u.s.w. vorherrschte, und u.a. gegenwärtig in den Baumwollspinne- reien des Gouvernements Moskau blüht. Als System existirt dieser 5 24stündige Produktions11219|proceß heute noch in vielen bis jetzt „freien" Industriezweigen Großbritanniens, u. a. in den Hochöfen, Schmieden, Walzwerken und andren Metallmanufakturen von England, Wales und Schottland. Der Arbeitsproceß umfaßt hier außer den 24 Stunden der 6 Werkeltage großentheils auch die 24 Stunden des Sonntags. Die Arbeiter 10 bestehen aus Männern und Weibern, Erwachsnen und Kindern beiderlei Geschlechts. Das Alter der Kinder und jungen Personen durchläuft alle Zwischenstufen vom 8. (in einigen Fällen vom 6.) bis zum 18. J a h r 9 2 ) . In ei- nigen Branchen arbeiten auch die Mädchen und Weiber des Nachts zu- sammen mit dem männlichen Personal 9 3). 15 Von den allgemeinen schädlichen Wirkungen der Nachtarbeit abge- s e h n 9 4 ) , bietet die ununterbrochne, vierundzwanzigstündige Dauer des Produktionsprocesses höchst willkommne Gelegenheit, ||220| die Grenze des nominellen Arbeitstags zu überschreiten. Z . B . in den vorhin erwähn- 20 9 2 ) ,,Children's Employment Commission". Third Report. Lond. 1864, p. IV, V, VI, VII. 9 3 ) "Both in Staffordshire and in South Wales young girls and women are employed on the pit banks and on the coke heaps, not only by day, but also by night. This practice has been often noticed in Reports presented to Parliament, as being attended with great and notorious evils. These females, employed with the men, hardly distinguished from them in their dress, and be- grimed with dirt and smoke, are exposed to the deterioration of character arising from the loss 25 of self-respect which can hardly fail to follow from their unfeminine occupation." 1. c. 194, p. XXVI. Vgl. Fourth Report (1865) 61, p. XIII. Ebenso in Glasfabriken. 9 4 ) „Es scheint natürlich", bemerkte ein Stahlfabrikant, der Kinder zur Nachtarbeit verwen- det, „daß die Jungen, die Nachts arbeiten, bei Tag nicht schlafen und keine ordentliche Ruhe finden können, sondern rastlos am nächsten Tag herumlaufen." I.e. Fourth Rep. 63, p.XIII. 30 Ueber die Wichtigkeit des Sonnenlichts zur Erhaltung und Entwicklung des Körpers bemerkt ein Arzt u.a.: „Licht wirkt auch direkt auf die Gewebe des Leibes, denen es Härte und Elasti- cität giebt. Die Muskeln von Thieren, denen man das normale Quantum Licht vorenthält, werden schwammig und unelastisch, die Nervenkraft verliert ihren Ton durch Mangel an Sti- mulirung, und die Ausarbeitung von allem, was im Wachsthum begriffen ist, wird verküm- 35 mert... Im Fall von Kindern ist beständiger Zutritt von reichlichem Tageslicht und der direk- ten Sonnenstrahlen während eines Theils des Tags durchaus wesentlich für die Gesundheit. Licht hilft die Speisen zu gutem plastischen Blut verarbeiten und härtet die Fiber, nachdem sie gebildet ist. Es wirkt ebenso als Reizmittel auf die Sehorgane und ruft hierdurch größere Thätigkeit in verschiednen Hirnfunktionen hervor." Herr W. Strange, Oberarzt des Worcester 40 „General Hospital", aus dessen Schrift über „Gesundheit" (1864) diese Stelle entlehnt ist, schreibt in einem Brief an einen der Untersuchungskommissäre, Herrn White: „Ich habe frü- her in Lancashire Gelegenheit gehabt, die Wirkungen der Nachtarbeit auf Fabrikkinder zu beobachten, und im Widerspruch zu der beliebten Versicherung einiger Arbeitsgeber erkläre ich mit Entschiedenheit, daß die Gesundheit der Kinder bald davon litt." (I.e. 284. p.55.) Daß solche Dinge überhaupt den Gegenstand ernsthafter Kontroversen bilden, zeigt am besten, wie die kapitalistische Produktion auf die „Gehirnfunktionen" der Kapitalisten und ihrer re- tainers wirkt. 45 231 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts ten, sehr anstrengenden Industriezweigen beträgt der officielle Arbeitstag für jeden Arbeiter meist 12 Stunden, Nachtstunden oder Tagstunden. Aber die Ueberarbeit über diese Grenze hinaus ist in vielen Fällen, um die Worte des englischen officiellen Berichts zu brauchen, „wirklich schauder- haft" (,,truly fearful") 9 5)- „Kein menschliches Gemüth", heißt es, „kann die Arbeitsmasse, die nach den Zeugenaussagen durch Knaben von 9 bis 12 Jahren verrichtet wird, überdenken, ohne unwiderstehlich zum Schluß zu kommen, daß dieser Machtmißbrauch der Eltern und Arbeitgeber nicht länger erlaubt werden darf 9 6)." 5 „Die Methode, Knaben überhaupt abwechselnd Tag und Nacht arbeiten 10 zu lassen, führt, sowohl während des Geschäftsdranges als während des ge- wöhnlichen Verlaufs der Dinge, zu schmählicher Verlängrung des Arbeits- tags. Diese Verlängrung ist in vielen Fällen nicht nur grausam, sondern gradezu unglaublich. Es kann nicht fehlen, daß aus einer oder der andren Ursache ein Ablösungsknabe hier und da wegbleibt. Einer oder mehrere 15 der anwesenden Knaben, die ihren Arbeitstag bereits vollbracht, müssen dann den Ausfall gut machen. Dieß System ist so allgemein bekannt, daß der manager eines Walzwerks auf meine Frage, wie die Stelle der abwesen- den Ersatzknaben ausgefüllt würde, antwortete: Ich weiß wohl, daß Sie das eben so gut wissen als ich, und er nahm keinen Anstand, die Thatsache zu 20 gestehn 9 7)." „In einem Walzwerke, wo der nominelle Arbeitstag von 6 Uhr Morgens bis 5½ Uhr Abends dauerte, arbeitete ein Junge 4 Nächte jede Woche bis mindestens 8½ Uhr Abends des nächsten Tags ... und dieß während 6 Mo- naten." „Ein Andrer arbeitete im Alter von 9 Jahren manchmal drei zwölf- 25 stündige Arbeitsschichten nach einander und im Alter von 10 Jahren zwei Tage und zwei Nächte nach einander." „Ein Dritter, jetzt 10 Jahre, arbei- tete von Morgens 6 Uhr bis 12 Uhr in die Nacht drei Nächte durch und bis 9 Uhr Abends während der andren Nächte." „Ein Vierter, jetzt 13 Jahre, ar- beitete von 6 Uhr Nachmittags bis den andren Tag 12 Uhr Mittags während 30 einer ganzen Woche, und manchmal drei Schichten nach einander, z.B. von Montag Morgen bis Dienstag Nacht." „Ein Fünfter, jetzt 12 Jahre, ar- beitete in einer Eisengießerei zu ||221| Stavely von 6 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts während 14 Tagen, ist unfähig, es länger zu thun." „George Allinsworth, neunjährig: Ich kam hierhin letzten Freitag. Nächsten Tag 35 hatten wir um 3 Uhr Morgens anzufangen. Ich blieb daher die ganze Nacht hier. Wohne 5 Meilen von hier. Schlief auf der Flur mit einem Schurzfell unter mir und einer kleinen Jacke über mir. Die zwei andren Tage war ich 9 5 ) Lc 57, p.XII. 9 6 ) I.e. (4th Rep. 1865) 58, p.XII. 9 7 ) I.e. 232 40 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag hier um 6 Uhr Morgens. J a ! dieß ist ein heißer Platz! Bevor ich herkam, ar- beitete ich ebenfalls während eines ganzen Jahres in einem Hochofen. Es war ein sehr großes Werk auf dem Lande. Begann auch Samstags Morgens um 3 Uhr, aber ich konnte wenigstens nach Hause schlafen gehn, weil es nah war. An andren Tagen fing ich 6 Uhr Morgens an und endete 6 oder 7 Uhr Abends" u . s . w . 9 8 ) . | |222| Laßt uns nun hören, wie das Kapital selbst dieß Vierundzwanzig- Stundensystem auffaßt. Die Uebertreibungen des Systems, seinen Miß- 9 8 ) 1. c. p. XIII. Die Bildungsstufe dieser „Arbeitskräfte" muß natürlich so sein, wie sie in fol- genden Dialogen mit einem der Untersuchungskommissäre erscheint! „Jeremias Haynes, 12 Jahre alt: ... Viermal vier ist acht, aber vier Vierer (4 fours) sind 16 ... Ein König ist ihm, der alles Geld und Gold hat. (A king is him that has all the money and gold.) Wir haben einen König, man sagt, er ist eine Königin, sie nennen sie Prinzessin Alexandra. Man sagt, sie hei- rathete der Königin Sohn. Eine Prinzessin ist ein Mann." Wm. Turner, zwölfjährig: „Lebe nicht in England. Denke, es gibt solch ein Land, wußte nichts davon zuvor." John Morris, vierzehnjährig: „Habe sagen hören, daß Gott die Welt gemacht und daß alles Volk ersoff, au- ßer einem; habe gehört, daß der eine ein kleiner Vogel war." William Smith, fünfzehnjährig: „Gott machte den Mann; der Mann machte das Weib." Edward Taylor, fünfzehnjährig: „Weiß nichts von London." Henry Matthewman, siebzehnjährig: „Geh' manchmal in die Kirche ... Ein Name, worüber sie predigen, war ein gewisser Jesus Christ, aber ich kann keine andren Namen nennen, und ich kann auch nichts über ihn sagen. Er wurde nicht gemordet, sondern starb wie andre Leute. Er war nicht so wie andre Leute in gewisser Art, weil er religiös war in gewisser Art, und andre ist es nicht." ("He was not the same as other people in some ways, be- cause he was religious in some ways, and others isn't.") (I.e. 74, p.XV.) „Der Teufel ist eine gute Person. Ich weiß nicht, wo er lebt. Christus war ein schlechter Kerl." ("The devil is a good person. I don't know where he lives." "Christ was a wicked man.") „Dieß Mädchen (10 Jahre) buchstabirt God Dog und kannte den Namen der Königin nicht." (Ch. Empi. Comm. V. Rep. 1866, p. 55, η. 278.) Dasselbe System, das in den erwähnten Metallmanufakturen, herrscht in den Glas- und Papierfabriken. In den Papierfabriken, wo das Papier mit Maschinen gemacht wird, ist Nachtarbeit die Regel für alle Processe außer dem der Lumpensortirung. In einigen Fällen wird die Nachtarbeit, vermittelst Ablösungen, unaufhörlich die ganze Woche durch fortgesetzt, gewöhnlich von Sonntag Nacht bis 12 Uhr Nacht des folgenden Samstags. Die Mannschaft, die sich an der Tagesreihe befindet, arbeitet 5 Tage von 12 und einen von 18 Stunden, und die der Nachtreihe 5 Nächte von 12 Stunden und eine von 6 Stunden, in je- der Woche. In andren Fällen arbeitet jede Reihe 24 Stunden die eine nach der andren, an Wechseltagen. Eine Reihe arbeitet 6 Stunden am Montag und 18 am Samstag, um 24 Stun- den vollzumachen. In andren Fällen ist ein Zwischensystem eingeführt, worin alle an der Pa- piermacher-Maschinerie Angestellten jeden Tag in der Woche 15-16 Stunden arbeiten. Dieß System, sagt Untersuchungskommissär Lord, scheint alle Uebel der Zwölfstunden- und Vier- undzwanzigstunden-Ablösung zu vereinigen. Kinder unter 13 Jahren, junge Personen unter 18 Jahren und Weiber arbeiten unter diesem Nachtsystem. Manchmal, in dem Zwölfstunden- system, mußten sie, wegen Ausbleibens der Ablöser, die doppelte Reihe von 24 Stunden ar : beiten. Zeugenaussagen beweisen, daß Knaben und Mädchen sehr oft Ueberzeit arbeiten, die sich nicht selten zu 24, ja 36 Stunden ununterbrochner Arbeit ausdehnt. In dem „kontinuirli- chen und unveränderlichen" Proceß der Glassirräume findet man Mädchen von 12 Jahren, die den ganzen Monat durch täglich 14 Stunden arbeiten, „ohne irgend eine regelmäßige Er- holung oder Unterbrechung außer zwei, höchstens drei halbstündigen Ausfällen für Mahlzei- ten". In einigen Fabriken, wo man die reguläre Nachtarbeit ganz aufgegeben, weil entsetzlich viel Ueberzeit gearbeitet und „dieß häufig in den schmutzigsten, heißesten und monotonsten Processen". (,,Children's Employment Commission. Report IV, 1865", p. XXXVIII and XXXIX.) 233 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts brauch zur „grausamen und unglaublichen" Verlängrung des Arbeitstags, übergeht es natürlich mit Stillschweigen. Es spricht nur von dem System in seiner „normalen" Form. 5 „Die Herren Naylor und Vickers, Stahlfabrikanten, die zwischen 600 und 700 Personen anwenden, und darunter nur 10 % unter 18 Jahren, und hier- von wieder nur 20 Knaben zum Nachtpersonal, äußern sich wie folgt: ,Die Knaben leiden durchaus nicht von der Hitze. Die Temperatur ist wahr- scheinlich 86° bis 90° .... In den Schmiede- und Walzwerken arbeiten die Hände Tag und Nacht ablösungsweise, aber dahingegen ist auch alles and- re Werk Tagwerk, von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends. In der Schmiede 10 wird von 12 Uhr bis 12 Uhr gearbeitet. Einige Hände arbeiten fortwährend des Nachts ohne Wechsel zwischen Tag- und Nachtzeit .... Wir finden nicht, daß Tag- oder Nachtarbeit irgend einen Unterschied in der Gesund- heit (der Herren Naylor und Vickers?) macht, und wahrscheinlich schlafen Leute besser, wenn sie dieselbe Ruheperiode genießen, als wenn sie wech- 15 seit .... Ungefähr zwanzig Knaben unter 18 Jahren arbeiten mit der Nacht- mannschaft .... Wir könnten's nicht recht thun (not well do), ohne die Nachtarbeit von Jungen unter 18 Jahren. Unser Einwurf ist - die Vermeh- rung der Produktionskosten. Geschickte Hände und Häupter von Departe- ments sind schwer zu haben, aber Jungens kriegt man, so viel man will .... 20 Natürlich, in Anbetracht der geringen Proportion von Jungen, die wir ver- wenden, wären Beschränkungen der Nachtarbeit von wenig Wichtigkeit oder Interesse für uns' 9 9)." | |223| Herr J. Ellis, von der Firma der Herren John Brown et Co., Stahl- und Eisenwerke, die 3000 Männer und Jungen anwenden, und zwar für 25 Theil der schweren Stahl- und Eisenarbeit „Tag und Nacht, in Ablösun- gen", erklärt, daß in den schweren Stahlwerken ein oder zwei Jungen auf zwei Männer kommen. Ihr Geschäft zählt 500 Jungen unter 18 Jahren und davon ungefähr oder 170, unter 13 Jahren. Mit Bezug auf die vorge- schlagne Gesetzänderung meint Herr Ellis: „Ich glaube nicht, daß es sehr 30 tadelhaft (very objectionable) wäre, keine Person unter 18 Jahren über 12 Stunden aus den 24 arbeiten zu lassen. Aber ich glaube nicht, daß man irgend eine Linie ziehen kann für die Entbehrlichkeit von Jungen über 12 Jahren für die Nachtarbeit. Wir würden sogar eher ein Gesetz anneh- men, überhaupt keine Jungen unter 13 Jahren oder selbst unter 15 Jahren 35 zu verwenden, als ein Verbot die Jungen, die wir einmal haben, während der Nacht zu brauchen. Die Jungen, die in der Tagesreihe, müssen wech- selweis auch in der Nachtreihe arbeiten, weil die Männer nicht unaufhör- lich Nachtarbeit verrichten können; es würde ihre Gesundheit ruiniren. ") Fourth Report etc. 1865, 79, p. XVI. 40 234 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag Wir glauben jedoch, daß Nachtarbeit, wenn die Woche dafür wechselt, kei- nen Schaden thut. (Die Herren Naylor und Vickers glaubten, übereinstim- mend mit dem Besten ihres Geschäfts, umgekehrt, daß statt der fortwäh- renden, grade die periodisch wechselnde Nachtarbeit möglicher Weise 5 Schaden anrichtet.) Wir finden die Leute, die die alternirende Nachtarbeit verrichten, grade so gesund als die, die nur am Tage arbeiten .... Unsre Einwürfe gegen die Nichtanwendung von Jungen unter 18 Jahren zur Nachtarbeit würden gemacht werden von wegen Vermehrung der Auslage, aber dieß ist auch der einzige Grund. (Wie cynisch naiv!) Wir glauben, daß 10 diese Vermehrung größer wäre, als das Geschäft (the trade) mit schuldiger Rücksicht auf seine erfolgreiche Ausführung billiger Weise tragen könnte. (As the trade with due regard to etc. could fairly bear! Welche breimäulige Phraseologie!) Arbeit ist hier rar und könnte unzureichend werden unter einer solchen Regulation" (d. h. Ellis, Brown et Co. könnten in die fatale 15 Verlegenheit kommen, den Werth der Arbeitskraft voll zahlen zu müs- s e n ) 1 0 0 ) . Die „Cyklops Stahl- und Eisenwerke" der Herren Cammell et Co. werden auf derselben großen Stufenleiter ausgeführt, wie die des besagten John Brown et Co. Der geschäftsführende Direktor hatte ||224| dem Regierungs- 20 kommissär White seine Zeugenaussage schriftlich eingehändigt, fand es aber später passend, das zur Revision ihm wieder zurückgestellte Manu- skript zu unterschlagen. Jedoch Herr White hat ein nachhaltig Gedächtniß. Er erinnert sich ganz genau, daß für diese Herrn Cyklopen das Verbot der Nachtarbeit von Kindern und jungen Personen „ein Ding der Unmöglich- 25 keit; es wäre dasselbe, als setzte man ihre Werke still", und dennoch zählt ihr Geschäft wenig mehr als 6 % Jungen unter 18 und nur 1 % unter 13 Jah- ren 1 0 1)! Ueber denselben Gegenstand erklärt Herr E.F.Sanderson, von der Firma Sanderson, Bros, et Co., Stahl-Walz- und Schmiedewerke, in Attercliffe: 30 „Große Schwierigkeiten würden entspringen aus dem Verbot, Jungen unter 18 Jahren des Nachts arbeiten zu lassen, die Hauptschwierigkeit aus der Vermehrung der Kosten, welche ein Ersatz der Knabenarbeit durch Män- nerarbeit nothwendig nach sich zöge. Wie viel das betragen würde, kann ich nicht sagen, aber wahrscheinlich wäre es nicht so viel, daß der Fabri- 35 kant den Stahlpreis erhöhen könnte, und folglich fiele der Verlust auf ihn, da die Männer (welch querköpfig Volk!) natürlich weigern würden, ihn zu tragen." Herr Sanderson weiß nicht, wie viel er den Kindern zahlt, aber „vielleicht beträgt es 4 bis 5 sh. per Kopf die Woche .... Die Knabenarbeit ist von einer Art, wofür im Allgemeinen (,,generally", natürlich nicht im- 40 1 0°) I.e. 80, p.XVI, XVII. 1 0 1 ) 1. c. 82, p.XVII. 235 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 10 mer „im Besondern") die Kraft der Jungen grade ausreicht, und folglich würde kein Gewinn aus der größren Kraft der Männer fließen, um den Ver- lust zu kompensiren, oder doch nur in den wenigen Fällen, wo das Metall sehr schwer ist. Die Männer würden es auch minder lieben, keine Knaben unter sich zu haben, da Männer minder gehorsam sind. Außerdem müssen die Jungen jung anfangen, um das Geschäft zu lernen. Die Beschränkung der Jungen auf bloße Tagarbeit würde diesen Zweck nicht erfüllen." Und warum nicht? Warum können Jungen ihr Handwerk nicht bei Tag lernen? Deinen Grund? „Weil dadurch die Männer, die in Wechselwochen bald den Tag, bald die Nacht arbeiten, von den Jungen ihrer Reihe während derselben Zeit getrennt, halb den Profit verlieren würden, den sie aus ihnen herausschlagen. Die Anleitung, die sie den Jungen geben, wird näm- lich als Theil des Arbeitslohnes dieser Jungen berechnet und befähigt die Männer daher, die Jungenarbeit wohlfeiler zu bekommen. Jeder Mann würde ||225| seinen halben Profit verlieren." (In andren Worten, die Herren 15 Sanderson müßten einen Theil des Arbeitslohnes der erwachsnen Männer aus eigner Tasche statt mit der Nachtarbeit der Jungen zahlen. Der Profit der Herren Sanderson würde bei dieser Gelegenheit etwas fallen, und dieß ist der Sanderson'sche gute Grund, warum Jungen ihr Handwerk nicht bei Tag lernen können 1 0 2).) Außerdem würde dieß reguläre Nachtarbeit auf die 20 Männer werfen, die nun von den Jungen abgelöst werden, und sie würden das nicht aushalten. Kurz und gut, die Schwierigkeiten wären so groß, daß sie wahrscheinlich zur gänzlichen Unterdrückung der Nachtarbeit führen würden. „Was die Produktion von Stahl selbst angeht", sagt E. F. Sander- son, „würde es nicht den geringsten Unterschied machen, aber!" Aber die 25 Herren Sanderson haben mehr zu thun als Stahl zu machen. Die Stahlma- cherei ist bloßer Vorwand der Plusmacherei. Die Schmelzöfen, Walzwerke u.s.w., die Baulichkeiten, die Maschinerie, das Eisen, die Kohle u.s.w. ha- ben mehr zu thun als sich in Stahl zu verwandeln. Sie sind da, um Mehrar- beit einzusaugen, und saugen natürlich mehr in 24 Stunden als in 12. Sie 30 geben in der That von Gottes und Rechtswegen den Sandersons eine An- weisung auf die Arbeitszeit einer gewissen Anzahl von Händen für volle 24 Stunden des Tags und verlieren ihren Kapitalcharakter, sind daher für die Sandersons reiner Verlust, sobald ihre Funktion der Arbeitseinsaugung unterbrochen wird. „Aber dann wäre da der Verlust an so viel kostspieliger 35 Maschinerie, welche die halbe Zeit brach läge, und für eine solche Produk- tenmasse, wie wir fähig sind, sie bei dem gegenwärtigen System zu leisten, 1 0 2 ) „In unsrer reflexionsreichen und raisonnirenden Zeit muß es Einer noch nicht weit ge- bracht haben, der nicht für Alles, auch das Schlechteste und Verkehrteste, einen guten Grund anzugeben weiß. Alles, was in der Welt verdorben worden ist, das ist aus guten Gründen ver- 40 dorben worden." (Hegel I.e. p.249.) 236 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag müßten wir Räumlichkeiten und Maschinenwerke verdoppeln, was die Auslage verdoppeln würde." Aber warum beanspruchen grade diese San- dersons ein Privilegium vor den andren Kapitalisten, die nur bei Tag arbei- ten lassen dürfen und deren Baulichkeiten, Maschinerie, Rohmaterial da- 5 her bei Nacht „brach" liegen? „Es ist wahr", antwortet E. F. Sanderson im Namen aller Sandersons, „es ist wahr, daß dieser Verlust von brachliegen- der Maschinerie alle Manufakturen trifft, worin nur bei Tag gearbeitet wird. Aber der Gebrauch der Schmelzöfen würde in unsrem Fall einen E x - traverlust verursachen. Hält man sie im ||226| Gang, so wird Brennmaterial 10 verwüstet (statt daß jetzt das Lebensmaterial der Arbeiter verwüstet wird), und hält man sie nicht im Gang, so setzt das Zeitverlust im Wiederanlegen des Feuers und zur Gewinnung des nöthigen Hitzegrads (während der Ver- lust, selbst Achtjähriger, an Schlafzeit Gewinn von Arbeitszeit für die San- dersonsippe) und die Oefen selbst würden vom Temperaturwechsel leiden" 15 (während doch dieselbigen Oefen nichts leiden vom Tag- und Nachtwech- sel der A r b e i t ) 1 0 3 ) . 25 1 0 3 ) 1. c. 85. Auf ähnliches zartes Bedenken des Herrn Glasfabrikanten, daß „regelmäßige Mahlzeiten" der Kinder „unmöglich" sind, weil dadurch ein bestimmtes „Quantum Hitze", das die Oefen ausstrahlen, „reiner Verlust" wäre oder „verwüstet" würde, antwortet Untersu- 20 chungskommissär White, durchaus nicht gleich Ure, Senior etc. und ihren schmalen deut- schen Nachkläffern, wie Roscher etc., gerührt von der „Enthaltsamkeit", „Entsagung" und „Sparsamkeit" der Kapitalisten in Verausgabung ihres Geldes und ihrer Timur-Tamerlan- schen „Verschwendung" von Menschenleben: „Ein gewisses Quantum Hitze mag über das jet- zige Maß hinaus verwüstet werden, in Folge von Sicherung regulärer Mahlzeiten, aber selbst in Geldwerth ist es nichts verglichen mit der Verwüstung von Lebenskraft (,,the waste of ani- mal power"), die jetzt dem Königreich daraus erwächst, daß in den Glashütten beschäftigte und im Wachstum begriffene Kinder nicht einmal die Muße finden, ihre Speisen bequem einzunehmen und zu verdauen." (I.e. p.XLV.) Und das im „Fortschrittsjahr" 1865! Abgesehn von der Kraftausgabe im Heben und Tragen, marschirt ein solches Kind in den Hütten, die 30 Flaschen und Flintglas machen, während der kontinuirlichen Verrichtung seiner Arbeit, 15 bis 20 (englische) Meilen in 6 Stunden! Und die Arbeit dauert oft 14 bis 15 Stunden! In vie- len dieser Glashütten herrscht, wie in den Spinnereien von Moskau, das System sechsstündi- ger Ablösungen. „Während der Arbeitszeit der Woche sind sechs Stunden die äußerste unun- terbrochene Rastperiode, und davon geht ab die Zeit zur und von der Fabrik zu gehn, 35 Waschen, Kleiden, Speisen, was alles Zeit kostet. So bleibt in der That nur die kürzeste Ruhe- zeit. Keine Zeit für Spiel und frische Luft, außer auf Kosten des Schlafs, so unentbehrlich für Kinder, die in solch heißer Atmosphäre solch anstrengendes Werk verrichten .... Selbst der kurze Schlaf ist dadurch unterbrochen, daß das Kind sich selbst wecken muß bei Nacht, oder bei Tag vom Außenlärm geweckt wird." Herr White giebt Fälle, wo ein Junge 36 Stunden 40 nach einander arbeitete; andre, wo Knaben von 12 Jahren bis 2 Uhr Nachts schanzen und dann in der Hütte schlafen bis 5 Uhr Morgens (3 Stunden!), um das Tagwerk von neuem zu beginnen! „Die Masse Arbeit", sagen die Redacteure des allgemeinen Berichts, Tremenheere und Tufnell, „die Knaben, Mädchen und Weiber im Lauf ihres täglichen oder nächtlichen Ar- beitsbanns („spell of labour") verrichten, ist fabelhaft." (1. c. XLIII und XLIV.) Unterdeß 45 wankt vielleicht eines Abends späte das „entsagungsvolle" Glaskapital, portweinduslig, aus dem Klub nach Haus, idiotisch vor sich hersummend: "Britons never, never, shall be slaves!" 237 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetze zur Verlängerung des Arbeitstags von der Mitte des 14. bis zu Ende des 17. Jahrhunderts. 5 „Was ist ein Arbeitstag?" Wie groß ist die Zeit, während deren das Kapital die Arbeitskraft, deren Tageswerth es zahlt, konsumiren darf? Wie weit kann der Arbeitstag verlängert werden über die zur Reproduktion der Ar- beitskraft selbst nothwendige Arbeitszeit? Auf diese Fragen, man hat es ge- sehn, antwortet ||227| das Kapital: der Arbeitstag zählt täglich volle 24 Stunden nach Abzug der wenigen Ruhestunden, ohne welche die Ar- beitskraft ihren erneuerten Dienst absolut versagt. Es versteht sich zu- 10 nächst von selbst, daß der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch nichts ist außer Arbeitskraft, daß daher alle seine disponible Zeit von Natur und Rechts wegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwerthung des Kapitals ange- hört. Zeit zu menschlicher Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur Erfül- lung socialer Funktionen, zu geselligem Verkehr, zum freien Spiel der phy- 15 sischen und geistigen Lebenskräfte, selbst die Feierzeit des Sonntags - und wäre es im Lande der Sabbathheiligen 1 0 4) - reiner Firlefanz! Aber in seinem maßlos blinden Trieb, seinem Wehrwolfs-Heißhunger nach Mehr- arbeit, überrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die reinphysischen Maximalschranken des Arbeitstags. Es usurpirt die Zeit für 20 Wachsthum, Entwicklung und gesunde Erhaltung des Körpers. Es raubt die Zeit, erheischt zum Verzehr von freier Luft und Sonnenlicht. Es knik- kert ab an der Mahlzeit und einverleibt sie womöglich dem Produktions- proceß selbst, so daß dem Arbeiter als bloßem Produktionsmittel Speisen zugesetzt werden, wie dem Dampfkessel Kohle und der Maschinerie Talg 25 oder Oel. Den gesunden Schlaf zur Sammlung, Erneurung und Erfrischung der Lebenskraft reducirt es auf so viel Stunden Erstarrung, als die Wieder- belebung eines absolut erschöpften Organismus unentbehrlich macht. Statt 1 0 4 ) In England z.B. wird immer noch hier und da auf dem Lande ein Arbeiter zu Gefängniß- strafe verurtheilt wegen Entheiligung des Sabbaths durch Arbeit auf dem Gärtchen vor sei- nem Hause. Derselbe Arbeiter wird wegen Kontraktbruches bestraft, bleibt er des Sonntags, sei es selbst aus religiösen Mucken, vom Metall-, Papier- oder Glaswerk weg. Das orthodoxe Parlament hat kein Ohr für Sabbathentheiligung, wenn sie im „Verwerthungsproceß" des Ka- pitals vorgeht. In einer Denkschrift (August 1863), worin die Londoner Taglöhner in Fisch- und Geflügelladen Abschaffung der Sonntagsarbeit verlangen, heißt es, ihre Arbeit daure während der ersten 6 Wochentage durchschnittlich 15 Stunden täglich und am Sonntag 8-10 Stunden. Man entnimmt zugleich aus dieser Denkschrift, daß namentlich die kitzlige Gourmandise der aristokratischen Mucker von Exeter Hall diese „Sonntagsarbeit" ermuthigt. Diese „Heiligen", so eifrig „in cute curanda", bewähren ihr Christenthum durch die Erge- bung, womit sie die Ueberarbeit, die Entbehrungen und den Hunger dritter Personen ertra- gen. Obsequium ventris istis (den Arbeitern) perniciosius est. 30 35 40 238 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag daß die normale Erhaltung ||228| der Arbeitskraft hier die Schranke des Ar- beitstags, bestimmt umgekehrt die größte täglich mögliche Verausgabung der Arbeitskraft, wie krankhaft gewaltsam und peinlich auch immer, die Schranke für die Rastzeit des Arbeiters. Das Kapital fragt nicht nach der 5 Lebensdauer der Arbeitskraft. Was es interessirt, ist einzig und allein das Maximum von Arbeitskraft, das in einem Arbeitstag flüssig gemacht wer- den kann. Es erreicht dieß Ziel durch Verkürzung der Dauer der Arbeits- kraft, wie ein habgieriger Landwirth gesteigerten Bodenertrag durch Berau- bung der Bodenfruchtbarkeit erreicht. 10 Die kapitalistische Produktion, die wesentlich Produktion von Mehr- werth, Einsaugung von Mehrarbeit ist, produzirt also mit der Verlängrung des Arbeitstags nicht nur die Verkümmerung der menschlichen Arbeits- kraft, welche ihrer normalen moralischen und physischen Entwicklungs- und B e thätigungsb e dingungen beraubt wird. Sie producirt die vorzeitige 15 Erschöpfung und Abtödtung der Arbeitskraft selbst 1 0 5). Sie verlängert die Produktionszeit des Arbeiters während eines gegebenen Termins durch Verkürzung seiner Lebenszeit. Der Werth der Arbeitskraft schließt aber den Werth der Waaren ein, wel- che zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflanzung der Arbeiter- 20 klasse erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Verlängrung des Arbeits- tags, die das Kapital in seinem maßlosen Trieb nach Selbstverwerthung nothwendig anstrebt, die Lebensperiode der einzelnen Arbeiter und damit die Dauer ihrer Arbeitskraft verkürzt, wird rascherer Ersatz der Verschlisse- nen nöthig, also das Eingehen größerer Verschleißkosten in die Reproduk- tion der Arbeitskraft, ganz wie der täglich zu reproduzirende Werththeil einer Maschine um so größer ist, je rascher sie verschleißt. Das Kapital scheint daher durch sein eignes Interesse auf einen Normalarbeitstag hin- gewiesen. 25 Der Sklavenhalter kauft seinen Arbeiter, wie er sein Pferd kauft. Mit 30 dem Sklaven verliert er ein Kapital, das durch neue Auslage auf dem Skla- venmarkt ersetzt werden muß. Aber „die Reisfelder von Georgien und die Sümpfe des Mississippi mögen fatalistisch zerstörend auf die menschliche Konstitution wirken; dennoch ist diese Verwüstung von menschlichem Le- ben nicht so groß, daß ||229| sie nicht gut gemacht werden könnte aus den strotzenden Gehegen von Virginien und Kentucky. Oekonomische Rück- sichten, die eine Art Sicherheit für die menschliche Behandlung des Skla- ven bieten könnten, sofern sie das Interesse des Herrn mit der Erhaltung des Sklaven identiflciren, verwandeln sich, nach Einführung des Sklaven- 35 40 1 0 5 ) "We have given in our previous reports the statements of several experienced manufactur- ers to the effect that over-hours .... certainly tend prematurely to exhaust the working power of the men." 1. c. 64. p. XIII. 239 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts handels, umgekehrt in Gründe der extremsten Zugrunderichtung des Skla- ven, denn sobald sein Platz einmal durch Zufuhr aus fremden Negergehe- gen ausgefüllt werden kann, wird die Dauer seines Lebens minder wichtig als dessen Produktivität, so lange es dauert. Es ist daher eine Maxime der Sklavenwirthschaft in Ländern der Sklaveneinfuhr, daß die wirksamste Oekonomie darin besteht, die größtmöglichste Masse Leistung in mög- lichst kurzer Zeit dem Menschenvieh (human chattle) auszupressen. Grade in tropischer Kultur, wo die jährlichen Profite oft dem Gesammtkapital der Pflanzungen gleich sind, wird das Negerleben am rücksichtslosesten geop- fert. Es ist die Agrikultur Westindiens, seit Jahrhunderten die Wiege fabel- 10 haften Reichthums, die Millionen der afrikanischen Race verschlungen hat. Es ist heut zu Tage in Cuba, dessen Revenuen nach Millionen zählen, und dessen Pflanzer Fürsten sind, wo wir bei der Sklavenklasse außer der gröbsten Nahrung, der erschöpfendsten und unablässigsten Plackerei einen großen Theil durch die langsame Tortur von Ueberarbeit und Mangel an 15 Schlaf und Erholung jährlich direkt zerstört s e h n " 1 0 6 ) . 5 Mutato nomine de te fabula narratur! Lies statt Sklavenhandel Arbeits- markt, statt Kentucky und Virginien Irland und die Agrikulturdistrikte von England, Schottland und Wales, statt Afrika Deutschland! Wir hörten, wie die Ueberarbeit mit den Bäckern in London aufräumt, und dennoch ist 20 der Londoner Arbeitsmarkt stets überfüllt mit deutschen und andren Todeskandidaten für die Bäckerei. Die Töpferei, wie wir sahen, ist einer der kurzlebigsten Industriezweige. Fehlt es deßwegen an Töpfern? Josiah Wedgwood, der Erfinder der modernen Töpferei, von Haus selbst ein ge- wöhnlicher Arbeiter, erklärte 1785 vor dem Hause der Gemeinen, daß die 25 ganze Manufaktur 15 bis 20 000 Personen beschäftige 1 0 7). Im Jahr 1861 be- trug die Bevölkerung allein der städtischen Sitze dieser Industrie in Groß- britannien 101 302. „Die Baumwollindustrie zählt 90 Jahre . . . I n drei Ge- nerationen der englischen Race hat sie neun Generationen von Baumwollarbeitern ||230| verspeist 1 0 8)." Allerdings, in einzelnen Epochen 30 fieberhaften Aufschwungs zeigte der Arbeitsmarkt bedenkliche Lücken. So z . B . 1834. Aber die Herren Fabrikanten schlugen nun den Poor Law Com- missioners vor, die „Uebervölkerung" der Ackerbaudistrikte nach dem Norden zu schicken, mit der Erklärung, daß „die Fabrikanten sie absorbi- ren und konsumiren würden" 1 0 9). Dieß waren ihre eigensten Worte. „Agen- 35 ten wurden zu Manchester bestallt mit Einwilligung der Poor Law Com- 1 0 6 ) Cairnes I.e. p.110, 111. 1 0 7 ) John Ward: „The History of the Borough of Stoke-upon-Trent. London 1843", p. 42. 1 0 8 ) Ferrand's Rede im ,,House of Commons" vom 27. April 1863. 1 0 9 ) "That the manufacturers would absorb it and use it up. Those were the very words used by 40 the cotton manufacturers." 1. c. 240 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag missioners. Agrikulturarbeiterlisten wurden ausgefertigt und diesen Agenten Übermacht. Die Fabrikanten liefen in die Bureaux, und nachdem sie, was ihnen paßte, ausgewählt, wurden die Familien vom Süden Eng- lands verschickt. Diese Menschenpackete wurden geliefert mit Etiquetten 5 gleich so viel Güterballen, auf Kanal und Lastwagen, - einige strolchten zu Fuß nach, und viele irrten verloren und halb verhungert in den Manu- fakturdistrikten umher. Dieß entwickelte sich zu einem wahren Handels- zweig. Das Haus der Gemeinen wird es kaum glauben. Dieser regelmäßige Handel, dieser Schacher in Menschenfleisch dauerte fort, und diese Leute 1 ο wurden gekauft und verkauft von den Manchester Agenten an die Manches- ter Fabrikanten, ganz so regelmäßig wie Neger an die Baumwollpflanzer der südlichen Staaten . . . . Das Jahr 1860 bezeichnet das Zenith der Baum- wollindustrie . . . . Es fehlte wieder an Händen. Die Fabrikanten wandten sich wieder an die Fleischagenten . . . und diese durchstöberten die Dünen 15 von Dorset, die Hügel von Devon und die Ebnen von Wilts, aber die Ue- bervölkerung war bereits verspeist." Der „Bury Guardian" jammerte, daß 10 000 zusätzliche Hände nach Abschluß des englisch-französischen Han- delsvertrags absorbirt werden könnten und bald an 30 oder 40 000 mehr nöthig sein würden. Nachdem die Agenten und Subagenten des Fleisch- 20 handels die Agrikulturdistrikte 1860 ziemlich resultatlos durchgefegt, „wandte sich eine Fabrikantendeputation an Herrn Villiers, Präsidenten des Poor Law Board, mit dem Gesuch, die Zufuhr der Armen- und Waisen- kinder aus den Workhouses wieder zu erlauben" 1 1 0). | n o ) 1. c. Villiers, trotz bestem Willen, war „gesetzlich" in der Lage, das Fabrikantenanliegen 25 abschlagen zu müssen. Die Herren erreichten jedoch ihre Zwecke durch die Willfährigkeit der lokalen Armenverwaltungen. Herr A. Redgrave, Fabrikinspektor, versichert, daß dießmal das System, wonach die Waisen und Pauper's Kinder „gesetzlich" als apprentices (Lehrlinge) gel- ten, „nicht begleitet war von den alten Mißständen" - (über diese „Mißstände" vgl. Engels I.e.) -, obgleich allerdings in einem Fall „Mißbrauch mit dem System getrieben worden ist, in 30 Bezug auf Mädchen und junge Weiber, die von den Agrikulturdistrikten Schottlands nach Lancashire und Cheshire gebracht wurden". In diesem „System" schließt der Fabrikant einen Kontrakt mit den Behörden der Armenhäuser für bestimmte Perioden. Er nährt, kleidet und logirt die Kinder und giebt ihnen einen kleinen Zuschuß in Geld. Sonderbar klingt folgende Bemerkung des Herrn Redgrave, namentlich wenn man bedenkt, daß selbst unter den Prospe- ritätsjahren der englischen Baumwollindustrie das Jahr 1860 einzig dasteht und die Arbeits- löhne außerdem hoch standen, weil die außerordentliche Arbeitsnachfrage auf Entvölkerung in Irland stieß, auf beispiellose Auswanderung aus englischen und schottischen Agrikultur- distrikten nach Australien und Amerika, auf positive Abnahme der Bevölkrung in einigen englischen Agrikulturdistrikten in Folge theils glücklich erzielten Bruchs der Lebenskraft, 40 theils des früheren Abschöpf ens der disponiblen Bevölkrung durch die Händler in Men- schenfleisch. Und trotz alledem sagt Herr Redgrave: „Diese Art Arbeit (der Armenhauskin- der) wird jedoch nur gesucht, wenn keine andre gefunden werden kann, denn es ist theure Ar- beit (high-priced labour). Der gewöhnliche Arbeitslohn für einen Jungen von 13 Jahren ist ungefähr 4 sh. wöchentlich; aber 50 oder 100 solcher Jungen logiren, kleiden, nähren, mit ärztlicher Hülfsleistung und passender Oberaufsicht versehn, und ihnen obendrein eine kleine Zubuße in Geld geben, ist unthubar für 4 sh. per Kopf wöchentlich." („Rep. of the Insp. 35 45 241 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts | 2 3 1 | Was die Erfahrung dem Kapitalisten im Allgemeinen zeigt, ist eine beständige Uebervölkerung, d. h. Uebervölkerung im Verhältniß zum augenblicklichen Verwerthungsbedürfniß des Kapitals, obgleich sie aus verkümmerten, schnell hinlebenden, sich rasch verdrängenden, so zu sagen unreif gepflückten Menschengenerationen ihren Strom b i l d e t 1 1 1 ) . Aller- 5 dings zeigt die Erfahrung dem ver||232|ständigen Beobachter auf der and- ren Seite, wie rasch und tief die kapitalistische Produktion, die, geschicht- lich gesprochen, kaum von gestern datirt, die Volkskraft an der Le- benswurzel ergriffen hat, wie die Degeneration der industriellen Bevölk- rung nur durch beständige Absorption naturwüchsiger Lebenselemente 10 vom Lande verlangsamt wird, und wie selbst die ländlichen Arbeiter, trotz freier Luft und des unter ihnen so allmächtig waltenden principle of natu- ral selection, das nur die kräftigsten Individuen aufkommen läßt, schon ab- zuleben beginnen 1 1 2). Das Kapital, das so „gute Gründe" hat, die Leiden der es umgebenden Arbeitergeneration zu läugnen, wird in seiner prakti- 15 sehen Bewegung durch die Aussicht auf zukünftige Verfaulung der Menschheit und schließlich doch unaufhaltsame Entvölkerung so wenig und so viel bestimmt als durch den möglichen Fall der Erde in die Sonne. of Factories for 30th April 1860" p. 27.) Herr Redgrave vergißt zu sagen, wie der Arbeiter selbst dieß alles seinen Jungen für ihre 4 sh. Arbeitslohn leisten kann, wenn es der Fabrikant 20 nicht kann für 50 oder 100 Jungen, die gemeinsam logirt, beköstigt und beaufsichtigt werden. Zur Abwehr falscher Schlußfolgerungen aus dem Text muß ich hier noch bemerken, daß die englische Baumwollindustrie, seit ihrer Unterwerfung unter den Factory Act von 1850 mit sei- ner Reglung der Arbeitszeit u.s.w., als die englische Musterindustrie betrachtet werden muß. Der englische Baumwollarbeiter steht in jeder Hinsicht höher als sein kontinentaler Schick- 25 salsgenosse. „Der preußische Fabrikarbeiter arbeitet mindestens 10 Stunden mehr per Woche als sein englischer Rival, und wenn er an seinem eignen Webstuhl zu Hause beschäftigt wird, fällt selbst diese Schranke seiner zusätzlichen Arbeitsstunden weg." („Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1855" p. 103.) Der obenerwähnte Fabrikinspektor Redgrave reiste nach der Indu- strieausstellung von 1851 auf dem Kontinent, speciell in Frankreich und Preußen, um die 30 dortigen Fabrikzustände zu untersuchen. Er sagt von dem preußischen Fabrikarbeiter: „Er er- hält einen Lohn ausreichend zur Verschaffung einfacher Kost und des wenigen Komforts, wor- an er gewöhnt und womit er zufrieden ist .... Er lebt schlechter und arbeitet härter als sein englischer Rivale." („Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1853" p. 85.) m) „Die Ueberarbeiteten sterben mit befremdlicher Raschheit, aber die Plätze derer, die un- tergehn, sind sofort wieder ausgefüllt, und ein häufiger Wechsel der Personen bringt keine Aenderung auf der Bühne hervor." „England and America. London 1833", t.1.55. (Verfasser E.G. Wakefield.) 1 1 2 ) Siehe „Public Health. Sixth Report of the Medical Officer of the Privy Council. 1863". Veröffentlicht London, 1864. Dieser Report handelt namentlich von den Agrikulturarbeitern. 40 „Man hat die Grafschaft Sutherland als eine sehr verbesserte Grafschaft dargestellt, aber eine neuerliche Untersuchung hat entdeckt, daß hier in Distrikten, einst so berühmt wegen schö- ner Männer und tapfrer Soldaten, die Einwohner degenerirt sind zu einer magren und ver- kümmerten Race. In den gesundesten Lagen, auf Hügelabhängen im Angesicht des Meeres, sind die Gesichter ihrer Kinder so dünn und blaß, wie sie nur in der faulen Atmosphäre einer 45 Londoner Winkelgasse sein können." (Thornton 1. c. p. 74, 75.) Sie gleichen in der That den 30000 ,,gallant Highlanders", die Glasgow in seinen wynds und closes mit Prostituirten und Dieben zusammenbettet. 35 242 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag In jeder Aktienschwindelei weiß jeder, daß das Unwetter einmal einschla- gen muß, aber jeder hofft, daß es das Haupt seines Nächsten trifft, nach- dem er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat. Après moi le déluge! ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitali- 5 stennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Le- bensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird 1 1 3). Der Klage über physische und geistige Verkümmrung, vorzeitigen Tod, Tortur der Ueberarbeit, antwortet es: Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsre Lust (den Profit) vermehrt? Im Großen und | 10 |233| Ganzen hängt dieß aber auch nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegen- über als äußerliches Zwangsgesetz geltend 1 1 4). Die Festsetzung eines normalen Arbeitstags ist das Resultat eines viel- 15 hundertjährigen Kampfes zwischen Kapitalist und Arbeiter. Doch zeigt die Geschichte dieses Kampfes zwei entgegengesetzte Strömungen. Man ver- gleiche z.B. die englische Fabrikgesetzgebung unsrer Zeit mit den engli- schen Arbeitsstatuten vom 14. bis tief in die Mitte des 18. Jahrhunderts 1 1 5)- Während das moderne Fabrikgesetz den Arbeitstag gewaltsam abkürzt, su- 20 m) „Obgleich die Gesundheit der Bevölkerung ein so wichtiges Element des nationalen Ka- pitals ist, fürchten wir gestehn zu müssen, daß die Kapitalisten durchaus nicht bei der Hand sind, diesen Schatz zu erhalten und werth zu achten. ... Die Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiter wurde den Fabrikanten aufgezwungen." („Times" 5.Novbr. 1861.) „Die Männer des West Riding wurden die Tuchmacher der Menschheit, .... die Gesundheit des Arbeiter- 25 volks wurde geopfert, und in ein paar Generationen wäre die Race degenerirt, aber eine Reak- tion trat ein. Die Stunden der Kinderarbeit wurden beschränkt u. s. w." („Report of the Regis- trar General for October 1861".) 114) ψίτ fìncien daher z.B., daß Anfang 1863 26 Firmen, welche ausgedehnte Töpfereien in Staffordshire besitzen, darunter auch J. Wedgwood und Söhne, in einer Denkschrift „um ge- 30 waltsame Einmischung des Staats" petitioniren. Die „Konkurrenz mit andren Kapitalisten" erlaube ihnen keine „freiwillige" Beschränkung der Arbeitszeit der Kinder u.s.w. „So sehr wir daher die oben erwähnten Uebel beklagen, würde es unmöglich sein, sie durch irgend eine Art Uebereinkunft unter den Fabrikanten zu verhindern .... In Anbetracht aller dieser Punkte, sind wir zur Ueberzeugung gelangt, daß ein Zwangsgesetz nöthig ist." ,,Children's Emp. 35 Comm. Rep. 1. 1863, p. 322". Zusatz zu Note 114. Ein viel frappantres Beispiel bot die jüngste Vergangenheit. Die Höhe der Baumwollpreise, in einer Epoche fieberhaften Geschäfts, hatte die Besitzer von Baum- wollwebereien in Blackburn veranlaßt, durch gemeinschaftliche Uebereinkunft die Arbeitszeit in ihren Fabriken während eines bestimmten Termins abzukürzen. Dieser Termin lief ab un- 40 gefähr Ende November (1871). Unterdeß benutzten die reichren Fabrikanten, welche Spinne- rei mit Weberei verbinden, den durch jene Uebereinkunft veranlaßten Ausfall der Produktion dazu, ihr eignes Geschäft auszudehnen und so auf Kosten der kleinen Meister große Profite zu machen. Letztre wandten sich nun in ihrer Noth - an die Fabrikarbeiter, riefen sie auf, die Neunstundenagitation ernsthaft zu betreiben, und versprachen Geldbeiträge zu diesem Be- 45 huf! 1 1 5 ) Diese Arbeiterstatute, die man gleichzeitig auch in Frankreich, den Niederlanden u. s. w. findet, wurden in England erst 1813 formell aufgehoben, nachdem sie längst von den Produk- tionsverhältnissen beseitigt waren. 243 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 chen ihn jene Statute gewaltsam zu verlängern. Allerdings erscheinen die Ansprüche des Kapitals im Embryozustand, wo es erst wird, also noch nicht durch bloße Gewalt der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch durch Hülfe der Staatsmacht sein Einsaugungsrecht eines genügenden Quantums Mehrarbeit sichert, ganz und gar bescheiden, vergleicht man sie mit den Koncessionen, die es in seinem Mannesalter knurrend und wider- strebig machen muß. Es kostet Jahrhunderte, bis der „freie" Arbeiter in Folge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise sich freiwillig dazu versteht, d. h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohn- heitsmäßigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeits- 10 fähigkeit selbst, seine Erstgeburt für ein Gericht Linsen zu ||234| verkau- fen. Es ist daher natürlich, daß die Verlängrung des Arbeitstags, die das Kapital von Mitte des 14. bis Ende des 17. Jahrhunderts staatsgewaltig den volljährigen Arbeitern aufzudringen sucht, ungefähr mit der Schranke der Arbeitszeit zusammenfällt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 15 der Verwandlung von Kinderblut in Kapital hier und da von Staats wegen gezogen wird. Was heute, z.B. im Staate Massachusetts, bis jüngst dem freisten Staate der nordamerikanischen Republik, als Staatsschranke der Arbeit von Kindern unter 12 Jahren proklamirt ist, war in England noch Mitte des 17. Jahrhunderts der normale Arbeitstag vollblütiger Handwer- 20 ker, robuster Ackerknechte und riesenhafter Grobschmiede 1 1 6). Das erste „Statute of Labourers" (23 Eduard III. 1349) fand seinen un- mittelbaren Vorwand (nicht seine Ursache, denn die Gesetzgebung dieser Art dauert Jahrhunderte fort ohne den Vorwand) in der großen Pest, wel- che die Bevölkerung decimirte, so daß, wie ein Tory-Schriftsteller sagt, „die 25 Schwierigkeit, Arbeiter zu raisonablen Preisen (d. h. zu Preisen, die ihren Anwendern ein raisonables Quantum Mehrarbeit ließen) an die Arbeit zu setzen, in der That unerträglich wurde 1 1 7)". Raisonable Arbeitslöhne wur- 1 1 6 ) "No child under the age of 12 years shall be employed in any manufacturing establish- ment more than 10 hours in one day." „General Statutes of Massachusetts". Sect. 3, ch. 60. 30 (Die Ordonnanzen wurden erlassen 1836-1858.) "Labour performed during a period of 10 hours on any day in all cotton, woollen, silk, paper, glass, and flax factories, or in manufac- tories of iron and brass, shall be considered a legal day's labour. And be it enacted, that here- after no minor engaged in any factory shall be holden or required to work more than 10 hours in any day, or 60 hours in any week; and that hereafter no minor shall be admitted as a worker under the age of 10 years in any factory within this state." „State of New Jersey. An act to lim- it the hours of labour etc." § 1 und 2. (Gesetz vom 11. März 1851.) "No minor who has at- tained the age of 12 years, and is under the age of 15 years, shall be employed in any manu- facturing establishment more than 11 hours in any one day, nor before 5 o'clock in the morning, nor after ll/2 in t n e evening." ,,Revised Statutes of the State of Rhode Island etc. ch. 139, §.23, 1st July 1857". 1 1 7 ) ,,Sophisms of Free Trade. 7th edit. Lond. 1850", p. 205. Derselbe Tory giebt übrigens zu: „Parlamentsakte, die die Arbeitslöhne gegen die Arbeiter zu Gunsten der Arbeitsanwender re- gulirten, währten für die lange Periode von 464 Jahren. Die Bevölkrung wuchs. Diese Gesetze wurden nun überflüssig und lästig." (1. c. p. 206.) 40 35 45 244 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag 5 doch nie durchgesetzt den daher zwangsgesetzlich diktirt, ebenso wie die Grenze des Arbeitstags. Der letztre Punkt, der uns hier allein interessirt, ist wiederholt in dem Sta- tut von 1496 (unter Henry V I I ) . Der Arbeitstag für alle Handwerker (artifi- cers) und Ackerbauarbeiter vom März bis September sollte damals, was j e - ||235| wurde, dauern von 5 Uhr Morgens bis zwischen 7 und 8 Uhr Abends, aber die Stunden für Mahlzeiten betragen I Stunde für Frühstück, ll/2 Stunden für Mittagessen, und Y2 Stunde für Vieruhrbrod, also grade doppelt so viel als nach dem jetzt gültigen Fabrik- a k t 1 1 8 ) . Im Winter sollte gearbeitet werden von 5 Uhr Morgens bis zum 10 Dunkeln, mit denselben Unterbrechungen. Ein Statut der Elisabeth von 1562 für alle Arbeiter „gedungen für Lohn per Tag oder Woche", läßt die Länge des Arbeitstags unberührt, sucht aber die Zwischenräume zu be- schränken auf 2]/2 Stunden für den Sommer und 2 für den Winter. Das Mit- tagessen soll nur eine Stunde dauern und „der Nachmittagsschlaf von 15 Y 2 Stunde" nur zwischen Mitte Mai und Mitte August erlaubt sein. Für jede Stunde Abwesenheit soll 1 d. (etwa 8 Pfennige) vom Lohn abgehn. In der Praxis jedoch war das Verhältniß den Arbeitern viel günstiger als im Statu- tenbuch. Der Vater der politischen Oekonomie und gewissermaßen der Er- finder der Statistik, William Petty, sagt in einer Schrift, die er im letzten 20 Drittel des 17. Jahrhunderts veröffentlichte: „Arbeiter (labouring men, eigentlich damals Ackerbauarbeiter) arbeiten 10 Stunden täglich und neh- men wöchentlich 20 Mahlzeiten ein, nämlich an Arbeitstagen täglich drei und an Sonntagen zwei; woraus man klärlich sieht, daß, wenn sie an Frei- tag-Abenden fasten wollten, und in anderthalb Stunden zu Mittag speisen 25 wollten, während sie jetzt zu dieser Mahlzeit zwei Stunden brauchen, von II bis 1 Uhr Morgens, wenn sie also Y20 mehr arbeiteten und Y20 weniger verzehrten, das Zehntel der oben erwähnten Steuer aufbringbar wäre 1 1 9)." Hatte Dr. Andrew Ure nicht Recht, die Zwölfstundenbill von 1833 als Rückgang in die Zeiten der Finsterniß zu verschreien? Allerdings gelten 30 die in den Statuten und von Petty erwähnten Bestimmungen auch für ,,ap- prentices" (Lehrlinge). Wie es aber noch Ende des 17. Jahrhunderts mit der Kinderarbeit stand, ersieht man aus folgender Klage: „Unsere Jugend, hier in England, treibt gar nichts bis zu ||236| der Zeit, wo sie Lehrlinge werden, 1 1 8 ) J.Wade bemerkt mit Recht in Bezug auf dieß Statut: „Aus dem Statut von 1496 geht her- 35 vor, daß die Nahrung als Aequivalent für % des Einkommens eines Handwerkers und l/ 2 des Einkommens eines Agrikulturarbeiters galt, und dieß zeigt eine größere Stufe von Unabhän- gigkeit unter den Arbeitern an, als jetzt vorherrscht, wo die Nahrung der Arbeiter in Agrikul- tur und Manufaktur ein viel höheres Verhältniß zu ihren Löhnen bildet." (J.Wade I.e. p.25.) Die Meinung, als sei diese Differenz etwa der Differenz im Preisverhältniß zwischen Nah- rungsmitteln und Kleidungsstücken, jetzt und damals, geschuldet, widerlegt der oberfläch- lichste Blick auf: „Chronicon Preciosum etc. By Bishop Fleetwood. 1st edit. London 1707. 2nd. edit. London 1745". 1 1 9 ) „W. Petty: Political Anatomy of Ireland. 1672. edit. 1691", p. 10. 40 245 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts und dann brauchen sie natürlich lange Zeit - sieben Jahre -, um sich zu voll k o m m η en Handwerkern zu bilden." Deutschland wird dagegen ge- rühmt, weil dort die Kinder von der Wiege auf wenigstens zu „ein bißchen Beschäftigung erzogen werden" 1 2 0). Noch während des größten Theils des 18. Jahrhunderts, bis zur Epoche 5 der großen Industrie, war es dem Kapital in England nicht gelungen, durch Zahlung des wöchentlichen Werths der Arbeitskraft sich der ganzen Wo- che des Arbeiters, Ausnahme bilden jedoch die Agrikulturarbeiter, zu be- mächtigen. Der Umstand, daß sie eine ganze Woche mit dem Lohn von 4 Tagen leben konnten, schien den Arbeitern kein hinreichender Grund, 10 auch die andren zwei Tage für den Kapitalisten zu arbeiten. Eine Seite der englischen Oekonomen denuncirte im Dienst des Kapitals diesen Eigen- sinn aufs wüthendste, eine andre Seite vertheidigte die Arbeiter. Hören wir z.B. die Polemik zwischen Postlethwayt, dessen Handels-Diktionnär damals denselben R u f genoß wie heut zu Tage ||237| ähnliche Schriften 15 von MacCulloch und MacGregor, und dem früher citirten Verfasser des „Essay on Trade and C o m m e r c e " 1 2 1 ) . 25 1 2 0 ) „A Discourse of the Necessity of Encouraging Mechanick Industry. London 1690", p. 13. Macaulay, der die englische Geschichte im Whig- und Bourgeoisinteresse zurechtgefâlscht hat, deklamirt, wie folgt: „Die Praxis, Kinder vorzeitig an die Arbeit zu setzen, herrschte im 20 17. Jahrhundert in einem für den damaligen Zustand der Industrie fast unglaublichen Grad vor. Zu Norwich dem Hauptsitz der Wollindustrie, wurde ein Kind von 6 Jahren für arbeitsfä- hig gehalten. Verschiedne Schriftsteller jener Zeit und darunter manche, die als außerordent- lich wohlgesinnt betrachtet wurden, erwähnen mit ,Exultation' (Entzücken) die Thatsache, daß in dieser Stadt allein Knaben und Mädchen einen Reichthum schaffen, der über ihren eignen Unterhalt hinaus 12 000 Pfd. St. in einem Jahr betrug. Je genauer wir die Geschichte der Vergangenheit untersuchen, desto mehr Grund finden wir, die Ansicht derer zu verwer- fen, die unser Zeitalter für fruchtbar an neuen socialen Uebeln halten. Das, was neu ist, ist die Intelligenz, die die Uebel entdeckt, und die Humanität, die sie heilt." (,,History of Eng- land", v. I, p. 417.) Macaulay hätte weiter berichten können, daß „außerordentlich wohlge- 30 sinnte" amis du commerce im 17. Jahrhundert mit ,,Exultation" erzählen, wie in einem Ar- menhaus in Holland ein Kind von 4 Jahren beschäftigt wurde, und daß dieß Beispiel der „vertue mise en pratique" in allen Schriften von Humanitairen à la Macaulay Muster passirt bis zur Zeit A. Smith's. Es ist richtig, daß mit dem Aufkommen der Manufaktur, im Unter- schied zum Handwerk, sich Spuren der Kinderexploitation zeigen, die von jeher bis zu einem 35 gewissen Grad bei den Bauern existirt und um so entwickelter, je härter das Joch, das auf dem Landmann lastet. Die Tendenz des Kapitals ist unverkennbar, aber die Thatsachen selbst stehn noch so vereinzelt, wie die Erscheinung zweiköpfiger Kinder. Sie wurden daher „mit Exultation", als besonders merkwürdig und bewundernswerth, von ahnungsvollen ,,amis du commerce" für Mit- und Nachwelt aufgezeichnet und zur Nachahmung empfohlen. Derselbe schottische Sykophant und Schönredner Macaulay sagt: „Man höre heute nur von Rückschritt und sehe nur Fortschritt." Was für Augen und namentlich was für Ohren! m) Unter den Anklägern der Arbeiter ist der grimmigste der im Text erwähnte anonyme Ver- fasser von: „An Essay on Trade and Commerce, containing Observations on Taxation etc. London 1770". Schon früher in seiner Schrift: ,,Considerations on Taxes. London 1765". 45 Auch Polonius Arthur Young, der unsägliche statistische Schwätzer, folgt in derselben Linie. Unter den Vertheidigern der Arbeiter stehn oben an: Jacob Vanderlint in: ,,Money answers all things. London 1734", Rev. Nathaniel Forster, D. D. in: „An Enquiry into the Causes of the 40 246 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag 5 15 Postlethwayt sagt u. a.: „Ich kann diese wenigen Bemerkungen nicht ab- schließen, ohne Notiz zu nehmen von der trivialen Redensart in dem Munde zu vieler, daß, wenn der Arbeiter (industrious poor) in 5 Tagen ge- nug erhalten kann, um zu leben, er nicht volle 6 Tage arbeiten will. Daher schließen sie auf die Nothwendigkeit, selbst die nothwendigen Lebensmit- tel durch Steuern oder irgend welche andre Mittel zu vertheuern, um den Handwerker und Manufakturarbeiter zu unausgesetzter sechstägiger Arbeit in der Woche zu zwingen. Ich muß um die Erlaubniß bitten, andrer Mei- nung zu sein als diese großen Politiker, welche für die beständige Sklaverei 10 der Arbeiterbevölkerung dieses Königreichs (,,the perpetual slavery of the working people") die Lanze einlegen; sie vergessen das Sprichwort ,all work and no play4 (nur Arbeit und kein Spiel, macht dumm). Brüsten sich die Engländer nicht mit der Genialität und Gewandtheit ihrer Handwerker und Manufakturarbeiter, die bisher den britischen Waaren allgemeinen !Credit und R u f verschafft haben? Welchem Umstand war dieß geschuldet? Wahrscheinlich keinem andren als der Art und Weise, wie unser Arbeits- volk, eigenlaunig, sich zu zerstreuen weiß. Wären sie gezwungen, das ganze Jahr durchzuarbeiten, alle sechs Tage in der Woche, in steter Wie- derholung desselben Werkes, würde das nicht ihre Genialität abstumpfen 20 und sie dumm-träg statt munter und gewandt machen; und würden unsre Arbeiter in Folge solcher ewigen Sklaverei ihren R u f nicht verlieren statt erhalten? ... Welche Art Kunstgeschick könnten wir erwarten von solch hart geplackten Thieren (hard driven animals)? ... Viele von ihnen verrich- ten so viel Arbeit in 4 Tagen als ein Franzose in 5 oder 6. Aber wenn Eng- länder ewige Schanzarbeiter sein sollen, so steht ||238| zu fürchten, daß sie noch unter die Franzosen entarten (degenerate) werden. Wenn unser Volk wegen seiner Tapferkeit im Krieg berühmt ist, sagen wir nicht, daß dieß ei- nerseits dem guten englischen Roastbeef und Pudding in seinem Leibe, andrerseits nicht minder unsrem konstitutionellen Geiste der Freiheit ge- 30 schuldet ist? Und warum sollte die größere Genialität, Energie und Ge- wandtheit unsrer Handwerker und Manufakturarbeiter nicht der Freiheit geschuldet sein, womit sie sich in ihrer eignen Art und Weise zerstreuen? Ich hoffe, sie werden nie wieder diese Privilegien verlieren, noch das gute Leben, woraus ihre Arbeitstüchtigkeit und ihr Muth gleichmäßig herstam- 25 35 m e n ! " 1 2 2 ) Darauf antwortet der Verfasser des „Essay on Trade and Commerce": Present High Price of Provisions. London 1767", Dr.Price, und namentlich auch Postlethwayt, sowohl in einem Supplement zu seinem „Universal Dictionary of Trade and Commerce" als in: ,,Great Britain's Commercial Interest explained and improved. 2nd. edit. Lond. 1759". Die 40 Thatsachen selbst findet man bei vielen andren gleichzeitigen Schriftstellern konstatirt, u. a. bei Josiah Tucker. 1 2 2 ) Postlethwayt 1. c. „First Preliminary Discourse", p. XIV. 247 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 „Wenn es für eine göttliche Einrichtung gilt, den siebenten Tag der Wo- che zu feiern, so schließt dieß ein, daß die andren Wochentage der Arbeit (er meint dem Kapital, wie man gleich sehen wird) angehören, und es kann nicht grausam gescholten werden, dieß Gebot Gottes zu erzwingen Daß die Menschheit im Allgemeinen von Natur zur Bequemlichkeit und Trägheit neigt, davon machen wir die fatale Erfahrung im Betragen unsres Manufakturpöbels, der durchschnittlich nicht über 4 Tage die Woche ar- beitet, außer im Fall einer Theuerung der Lebensmittel .... Gesetzt, ein Bushel Weizen repräsentire alle Lebensmittel des Arbeiters, koste 5 sh., und der Arbeiter verdiene einen Schilling täglich durch seine Arbeit. Dann 10 braucht er bloß 5 Tage in der Woche zu arbeiten; nur 4, wenn der Bushel 4 sh. beträgt .... Da aber der Arbeitslohn in diesem Königreich viel höher steht, verglichen mit dem Preise der Lebensmittel, so besitzt der Manufak- tur-Arbeiter, der 4 Tage arbeitet, einen Geldüberschuß, womit er während des Rests der Woche müßig lebt ... Ich hoffe, ich habe genug gesagt, um 15 klar zu machen, daß mäßige Arbeit während 6 Tagen in der Woche keine Sklaverei ist. Unsre Agrikulturarbeiter thun dieß und, allem Anscheine nach, sind sie die Glücklichsten unter den Arbeitern (labouring poor) 1 2 3), aber die Holländer thun es in den Manufakturen und scheinen ein sehr glückliches Volk. Die Franzosen thun es, so weit nicht die vielen Feiertage 20 dazwischen ||239| kommen 1 2 4) ... Aber unser Pöbel hat sich die fixe Idee in den Kopf gesetzt, daß ihm als Engländer durch das Recht der Geburt das Privilegium zukommt, freier und unabhängiger zu sein als [das Arbeiter- volk] in irgend einem andren Lande von Europa. Nun, diese Idee, so weit sie auf die Tapferkeit unsrer Soldaten einwirkt, mag von einigem Nutzen 25 sein; aber je weniger die Manufakturarbeiter davon haben, desto besser für sie selbst und den Staat. Arbeiter sollten sich nie für unabhängig von ihren Vorgesetzten (,,independent of their superiors") halten .... Es ist außeror- dentlich gefährlich, mobs in einem kommerciellen Staat wie dem unsrigen zu enkouragiren, wo vielleicht 7 Theile von den 8 der Gesammtbevölkrung 30 Leute mit wenig oder keinem Eigenthum si nd 1 2 5) .... Die Kur wird nicht vollständig sein, bis unsre industriellen Armen sich bescheiden, 6 Tage für dieselbe Summe zu arbeiten, die sie nun in 4 Tagen verdienen" 1 2 6). Zu die- 1 2 3 ) „An Essay etc." Er selbst erzählt p.96, worin schon 1770 „das Glück" der englischen Agri- kulturarbeiter bestand. „Ihre Arbeitskräfte („their working powers") sind stets auf das Aeußer- ste angespannt („on the stretch"); sie können nicht schlechter leben, als sie thun (,,they can- not live cheaper than they do"), noch härter arbeiten („nor work harder")." 1 2 4 ) Der Protestantismus spielt schon durch seine Verwandlung fast aller traditionellen Feier- tage in Werktage eine wichtige Rolle in der Genesis des Kapitals. 1 2 5 ) „An Essay etc." p.15, 41, 96, 97, 55, 56, 57. 1 2 6 ) 1. c. p. 69. Jacob Vanderlint erklärte schon 1734, das Geheimniß der Kapitalistenklage über die Faullenzerei des Arbeitervolks sei einfach, daß sie für denselben Lohn 6 statt 4 Ar- beitstage beanspruchten. 248 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag sem Zwecke, wie zur „Ausrottung der Faullenzerei, Ausschweifung und ro- mantischen Freiheitsduselei", ditto „zur Minderung der Armentaxe, För- derung des Geistes der Industrie und Herabdrückung des Arbeitspreises in den Manufakturen", schlägt unser treuer Eckart des Kapitals das probate 5 Mittel vor, solche Arbeiter, die der öffentlichen Wohlthätigkeit anheimfal- len, in einem Wort, paupers, einzusperren in ein „ideales Arbeitshaus" (an ideal Workhouse). „Ein solches Haus muß zu einem Hause des Schreckens (House of Terror) gemacht werden 1 2 7). In diesem ,Hause des Schreckens', diesem ,Ideal von einem Workhouse', soll gearbeitet werden 14 Stunden täglich mit Einbegriff jedoch der passenden Mahlzeiten, so daß volle 12 Arbeitsstunden übrig bleiben" 1 2 8). 10 Zwölf Arbeitsstunden täglich im „Ideal-Workhouse", im Hause des Schreckens von 1770! Drei und sechzig Jahre später, 1833, als das engli- sche Parlament in vier Fabrikzweigen den Arbeits||240|tag für Kinder von 15 13 bis 18 Jahren auf 12 volle Arbeitsstunden herabsetzte, schien der jüng- ste Tag der englischen Industrie angebrochen! 1852, als L. Bonaparte bür- gerlich Fuß zu fassen suchte durch Rütteln am gesetzlichen Arbeitstag, schrie das französische Volk aus einem Munde: „Das Gesetz, das den Ar- beitstag auf 12 Stunden verkürzt, ist das ganze Gut, das uns von der Ge- 20 setzgebung der Republik blieb" 1 2 9)! In Zürich ist die Arbeit von Kindern über 10 Jahren auf 12 Stunden beschränkt; im Aargau wurde 1862 die Ar- beit von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren von 12% auf 12 Stunden redu- cirt, in Oestreich 1860 für Kinder zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf 12 Stunden 1 3 0). Welch ein „Fortschritt seit 1770", würde Macaulay „mit 25 Exultation" aufjauchzen! 1 2 7 ) I.e. p.242, 243: "Such ideal workhouse must be made a 'House of Terror', and not an asy- lum for the poor, where they are to be plentifully fed, warmly and decently clothed, and where they do but little work." 1 2 8 ) "In this ideal workhouse the poor shall work 14 hours in a day, allowing proper time for 30 meals, in such manner that there shall remain 12 hours of neat labour." (1. c.) „Die Franzo- sen", sagt er, „lachen über unsre enthusiastischen Ideen von Freiheit." O.e. p.78.) 1 2 9 ) "They especially objected to work beyond the 12 hours per day, because the law which fixed those hours is the only good which remains to them of the legislation of the Republic." (Rep. of Insp. of Fact. 31st Octob. 1855, p. 80.) Das französische Zwölfstundengesetz vom 35 5. September 1850, eine verbürgerlichte Ausgabe des Dekrets der provisorischen Regierung vom 2. März 1848, erstreckt sich auf alle Ateliers ohne Unterschied. Vor diesem Gesetz war der Arbeitstag in Frankreich unbeschränkt. Er währte in den Fabriken 14, 15 und mehr Stun- den. Siehe „Des classes ouvrières en France pendant l'année 1848. Par M.Blanqui". Herr Blan- qui, der Óekonom, nicht der Revolutionär, war von Regierungs wegen mit der Enquête über die Arbeitszustände betraut. 1 3°) Belgien bewährt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als bürgerlicher Musterstaat. Lord Howard de Waiden, englischer Bevollmächtigter in Brüssel, berichtet dem Foreign Office d.d. 12.Mai 1862: „Der Minister Rogier erklärte mir, daß weder ein allgemei- nes Gesetz noch Lokalregulationen die Kinderarbeit irgendwie beschränken; daß die Regie- rung sich während der letzten 3 Jahre in jeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern 40 45 249 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts Das „Haus des Schreckens" für Paupers, wovon die Kapitalseele 1770 noch träumte, erhob sich wenige Jahre später als riesiges „Arbeitshaus" für die Manufakturarbeiter selbst. Es hieß Fabrik. Und dießmal erblaßte das Ideal vor der Wirklichkeit. 6. Der Kampf um den Normalarbeitstag. 5 Zwangsgesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit. Die englische Fabrikgesetzgebung von 1833-1864. Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeitstag bis zu seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese hinaus, bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12 Stunden ||241| zu verlängern 1 3 1), er- 10 folgte nun, seit der Geburt der großen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig gewaltsame und maßlose Ueberstür- zung. Jede Schranke von Sitte und Natur, Alter und Geschlecht, Tag und Nacht, wurde zertrümmert. Selbst die Begriffe von Tag und Nacht, bäuer- lich einfach in den alten Statuten, verschwammen so sehr, daß ein engli- 15 scher Richter noch 1860 wahrhaft talmudistischen Scharfsinn aufbieten mußte, um „urtheilskräftig" zu erklären, was Tag und Nacht s e i 1 3 2 ) . Das Kapital feierte seine Orgien. Sobald die vom Produktionslärm übertölpelte Arbeiterklasse wieder eini- germaßen zur Besinnung kam, begann ihr Widerstand, zunächst im Ge- 20 burtsland der großen Industrie, in England. Während drei Decennien j e - doch blieben die von ihr ertrotzten Koncessionen rein nominell. Das Parlament erließ 5 Arbeits-Akte von 1802 bis 1833, war aber so schlau, kei- nen Pfennig für ihre zwangsmäßige Ausführung, das nöthige Beamtenper- sonal u.s.w. zu votiren 1 3 3). Sie blieben ein todter Buchstabe. „Die Thatsa- 25 ein Gesetz über den Gegenstand vorzulegen, daß sie aber stets ein unüberwindliches Hinder- niß fand an der eifersüchtigen Angst gegen irgend welche Gesetzgebung im Widerspruch mit dem Princip vollkommner Freiheit der Arbeit!" m) „Es ist sicher sehr bedauerlich, daß irgend eine Klasse von Personen 12 Stunden täglich sich abplacken muß. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die Zeit, um zu und von der Werk- 30 statt zu gehn, so beträgt dieß in der That 14 von den 24 Tagesstunden ... Abgesehn von der Gesundheit, wird Niemand, ich hoffe, anstehn zuzugeben, daß vom moralischen Gesichts- punkt eine so gänzliche Absorption der Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlaß, vom frü- hen Alter von 13 Jahren, und in den „freien" Industriezweigen selbst von viel frührem Alter an, außerordentlich schädlich und ein furchtbares Uebel ist. ... Im Interesse der öffentlichen Moral, für die Aufziehung einer tüchtigen Bevölkrung, und um der großen Masse des Volks einen vernünftigen Lebensgenuß zu verschaffen, muß darauf gedrungen werden, daß in allen Geschäftszweigen ein Theil jedes^Arbeitstags reservirt werde für Erholung und Muße." (Leo- nard Horner in: „Insp. of Fact. Reports. 31stDec. 1841.") m) Sieh ,,Judgment of Mr. J. H. Otway, Belfast, Hilary Sessions, County Antrim 1860". 1 3 3 ) Sehr charakteristisch ist es für das Régime Louis Philippe's, des roi bourgeois, daß das 40 35 250 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag che ist, daß vor dem Akt von 1833 Kinder und junge Personen abge||242!arbeitet wurden (,,were worked") die ganze Nacht, den ganzen Tag, oder beide ad libitum" 1 3 4). Erst seit dem Fabrikakt von 1833 - umfassend Baumwoll-, Wolle-, 5 Flachs- und Seidenfabriken - datirt für die moderne Industrie ein Normal- arbeitstag. Nichts charakterisirt den Geist des Kapitals besser als die Ge- schichte der englischen Fabrikgesetzgebung von 1833 bis 1864! Das Gesetz von 1833 erklärt, der gewöhnliche Fabrikarbeitstag solle be- ginnen um halb 6 Uhr Morgens und enden halb 9 Uhr Abends, und inner- 10 halb dieser Schranken, einer Periode von 15 Stunden, solle es gesetzlich sein, junge Personen (d.h. Personen zwischen 13 und 18 Jahren) zu irgend einer Zeit des Tags anzuwenden, immer vorausgesetzt, daß ein und die- selbe junge Person nicht mehr als 12 Stunden innerhalb Eines Tags ar- beite, mit Ausnahme gewisser speciell vorgesehner Fälle. Die 6. Sektion des 15 Akts bestimmt, „daß im Laufe jedes Tags jeder solchen Person von be- schränkter Arbeitszeit mindestens 1 1/ 2 Stunden für Mahlzeiten eingeräumt werden sollen". Die Anwendung von Kindern unter 9 Jahren, mit später zu erwähnender Ausnahme, ward verboten, die Arbeit der Kinder von 9 bis 13 Jahren auf 8 Stunden täglich beschränkt. Nachtarbeit, d.h. nach diesem 20 Gesetz, Arbeit zwischen halb 9 Uhr Abends und halb 6 Uhr Morgens, ward verboten für alle Personen zwischen 9 und 18 Jahren. Die Gesetzgeber waren so weit entfernt, die Freiheit des Kapitals in Aus- saugung der erwachsnen Arbeitskraft oder, wie sie es nannten, „die Frei- heit der Arbeit" antasten zu wollen, daß sie ein eignes System ausheckten, 25 um solcher haarsträubenden Konsequenz des Fabrikakts vorzubeugen. „Das große Uebel des Fabriksystems, wie es gegenwärtig eingerichtet ist", heißt es im ersten Bericht des Centrairaths der Kommission vom 28. Juni 1833, „besteht darin, daß es die Nothwendigkeit schafft, die Kin- derarbeit zur äußersten Länge des Arbeitstags der Erwachsnen auszudeh- 30 nen. Das einzige Heilmittel für dieß Uebel, ohne Beschränkung der Arbeit der Erwachsnen, woraus ein Uebel entspringen würde, größer als das, dem vorgebeugt werden soll, scheint der Plan, doppelte Reihen von Kindern zu 35 40 einzige unter ihm erlassene Fabrikgesetz vom 22.März 1841 niemals durchgeführt worden ist. Und dieß Gesetz betrifft nur Kinderarbeit. Es setzt 8 Stunden für Kinder zwischen 8 und 12, zwölf Stunden für Kinder zwischen 12 und 16 Jahren u.s.w. fest, mit vielen Ausnahmen, wel- che die Nachtarbeit selbst für Achtjährige erlauben. Ueberwachung und Erzwingung des Ge- setzes blieben in einem Lande, wo jede Maus polizeilich administrirt wird, dem guten Willen der ,,amis du commerce" überlassen. Erst seit 1853 gibt es in einem einzigen Département, dem Département du Nord, einen bezahlten Regierungsinspektor. Nicht minder charakteri- stisch für die Entwicklung der französischen Gesellschaft überhaupt ist es, daß Louis Phi- lippe's Gesetz bis zur Revolution von 1848 einzig dastand in der alles umspinnenden franzö- sischen Gesetzfabrik! 1 3 4 ) „Rep. of Insp. of Fact. 30th April 1860", p. 50. 251 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts verwenden." Unter dem Namen Relaissystem („System of Relays"; Relay heißt im Englischen wie im Französischen: das Wechseln der Postpferde auf verschiednen Stationen) wurde daher ||243| dieser „Plan" ausgeführt, so daß z . B . von halb 6 Uhr Morgens bis halb 2 Uhr Nachmittags eine Reihe von Kindern zwischen 9 und 13 Jahren, von halb zwei Uhr Nachmittags bis halb 9 Uhr Abends eine andre Reihe vorgespannt wird u. s. w. 5 Zur Belohnung dafür, daß die Herren Fabrikanten alle während der letz- ten 22 Jahre erlaßnen Gesetze über Kinderarbeit aufs frechste ignorirt hat- ten, ward ihnen jetzt aber auch die Pille vergoldet. Das Parlament be- stimmte, daß nach dem l.März 1834 kein Kind unter 11 Jahren, nach dem 10 l.März 1835 kein Kind unter 12 Jahren und nach dem l.März 1836 kein Kind unter 13 Jahren über 8 Stunden in einer Fabrik arbeiten solle! Dieser für das „Kapital" so schonungsvolle „Liberalismus" war um so anerken- nenswerther, als Dr. Farre, Sir A. Carlisle, Sir B. Brodie, Sir C Bell, Mr.Guthrie u.s.w., kurz die bedeutendsten physicians und surgeons Lon- 15 don's in ihren Zeugenaussagen vor dem Unterhaus erklärt hatten, daß peri- culum in mora! Dr. Farre drückte sich noch etwas gröber dahin aus: „Ge- setzgebung ist gleich nothwendig für die Vorbeugung des Tods in allen Formen, worin er vorzeitig angethan werden kann, und sicher dieser (der Fabrikmodus) muß als eine der grausamsten Methoden ihn anzuthun be- 20 trachtet werden 1 3 5)." Dasselbe „reformirte" Parlament, das aus Zartsinn für die Herrn Fabrikanten Kinder unter 13 Jahren noch Jahre lang in die Hölle 72stündiger Fabrikarbeit per Woche festbannte, verbot dagegen in dem Emancipationsakt, der auch die Freiheit tropfenweise eingab, von vornhe- rein den Pflanzern, irgend einen Negersklaven länger als 45 Stunden per 25 Woche abzuarbeiten! Aber keineswegs gesühnt, eröffnete das Kapital jetzt eine mehrjährige und geräuschvolle Agitation. Sie drehte sich hauptsächlich um das Alter der Kategorien, die unter dem Namen Kinder auf 8stündige Arbeit be- schränkt und einem gewissen Schulzwang unterworfen worden waren. 30 Nach der kapitalistischen Anthropologie hörte das Kindesalter im 10. oder, wenn es hoch ging, im 11. Jahre auf. Je näher der Termin der vollen Aus- führung des Fabrikakts, das verhängnißvolle Jahr 1836 rückte, um so wilder raste der Fabrikantenmob. Es gelang ihm in der That, die Regierung so weit einzuschüchtern, daß sie 1835 den Termin des Kindesalters von 13 35 auf 12 Jahre herabzusetzen vorschlug. Indeß wuchs die pressure from with- out drohend an. Der Muth versagte ||244| dem Unterhause. Es verweiger- te, Dreizehnjährige länger als 8 Stunden täglich unter das Juggernaut- 1 3 5 ) "Legislation is equally necessary for the prevention of death, in any form in which it can be prematurely inflicted, and certainly this must be viewed as a most cruel mode of inflicting 40 it." 252 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag rad des Kapitals zu werfen, und der Akt von 1833 trat in volle Wirkung. Er blieb unverändert bis Juni 1844. Während des Decenniums, worin er erst theilweise, dann ganz die Fa- brikarbeit regulirte, strotzen die officiellen Berichte der Fabrikinspektoren 5 von Klagen über die Unmöglichkeit seiner Ausführung. Da das Gesetz von 1833 es nämlich den Herrn vom Kapital freistellte, in der fünfzehnstündi- gen Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends jede J u n g e Person" und jedes „Kind" zu irgend beliebiger Zeit die zwölf-, respektive die achtstündige Arbeit beginnen, unterbrechen, enden zu lassen, und 10 ebenso den verschiednen Personen verschiedne Stunden der Mahlzeiten anzuweisen, fanden die Herrn bald ein neues „Relaissystem" aus, wonach die Arbeitspferde nicht an bestimmten Stationen gewechselt, sondern an wechselnden Stationen stets wieder von neuem vorgespannt werden. Wir verweilen nicht weiter bei der Schönheit dieses Systems, da wir später dar- 15 auf zurückkommen müssen. So viel ist aber auf den ersten Blick klar, daß es den ganzen Fabrikakt nicht nur seinem Geist, sondern auch seinem Buchstaben nach aufhob. Wie sollten die Fabrikinspektoren bei dieser komplicirten Buchführung über jedes einzelne Kind und jede junge Person die gesetzlich bestimmte Arbeitszeit und die Gewährung der gesetzlichen 20 Mahlzeiten erzwingen? In einem großen Theil der Fabriken blühte der alte brutale Unfug bald wieder ungestraft auf. In einer Zusammenkunft mit dem Minister des Innern (1844) bewiesen die Fabrikinspektoren die Un- möglichkeit jeder Kontrole unter dem neuausgeheckten Relaissystem 1 3 6). Unterdeß hatten sich aber die Umstände sehr geändert. Die Fabrikarbeiter, 25 namentlich seit 1838, hatten die Zehnstundenbill zu ihrem ökonomischen, wie die Charter zu ihrem politischen Wahlaufruf gemacht. Ein Theil der Fabrikanten selbst, der den Fabrikbetrieb dem Akt von 1833 gemäß gere- gelt hatte, überwarf das Parlament mit Denkschriften über die unsittliche „Konkurrenz" der „falschen Brüder", denen größere Frechheit oder glückli- 30 chere Lokalumstände den Gesetzesbruch erlaubten. Zudem, wie sehr im- merhin der einzelne Fabrikant der alten Raubgier den Zügel frei schießen lassen mochte, die Wortführer und politischen Leiter der Fabrikanten- klasse geboten eine veränderte Haltung und veränderte Sprache gegen-1 |245|über den Arbeitern. Sie hatten den Feldzug zur Abschaffung der 35 Korngesetze eröffnet und bedurften der Hülfe der Arbeiter zum Siege! Sie versprachen daher nicht nur Verdopplung des Laibes Brod, sondern An- nahme der Zehnstundenbill unter dem tausendjährigen Reich des Free Trade 1 3 7). Sie durften also um so weniger eine Maßregel bekämpfen, die nur den Akt von 1833 zur Wahrheit machen sollte. In ihrem heiligsten In- 40 1 3 6 ) „Rep. of Insp. of Fact. 31st October 1849", p. 6. 1 3 7 ) „Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1848", p. 98. 253 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts teresse, der Grundrente, bedroht, donnerten endlich die Tories entrüstet philanthropisch über die „infamen Praktiken" 1 3 8) ihrer Feinde. So kam der zusätzliche Fabrikakt vom 6. Juni 1844 zu Stande. Er trat am 1. Oktober 1844 in Wirkung. Er gruppirt eine neue Kategorie von Arbeitern unter die Beschützten, nämlich die Frauenzimmer über 18 Jahre. Sie wur- den in jeder Rücksicht den jungen Personen gleichgesetzt, ihre Arbeitszeit auf 12 Stunden beschränkt, Nachtarbeit ihnen untersagt u. s. w. Zum er- stenmal sah sich die Gesetzgebung also gezwungen, auch die Arbeit Voll- jähriger direkt und officiell zu kontroliren. In dem Fabrikbericht von 1 8 4 4 - 4 5 heißt es ironisch: „Es ist kein einziger Fall zu unsrer Kenntniß 10 gekommen, wo erwaçhsne Weiber sich über diesen Eingriff in ihre Rechte beschwert hätten 1 3 9)." Die Arbeit von Kindern unter 13 Jahren wurde auf 61Z2 und, unter gewissen Bedingungen, 7 Stunden täglich reducirt 1 4 0). 5 Um die Mißbräuche des falschen „Relaissystems" zu beseitigen, traf das Gesetz u. a. folgende wichtige Detailbestimmungen: „Der Arbeitstag für 15 Kinder und junge Personen ist von der Zeit an zu zählen, wo irgend ein Kind oder eine junge Person des Morgens in der Fabrik zu arbeiten an- fängt." So daß wenn A z . B . um 8 Uhr Morgens die Arbeit beginnt, und B um 10 Uhr, der Arbeitstag dennoch für B zur selben Stunde enden muß wie für A. Der Anfang des Arbeitstags soll angezeigt werden durch eine öf- 20 fentliche Uhr, z . B . die nächste Eisenbahnuhr, wonach die Fabrikglocke zu richten. Der Fabrikant hat eine großgedruckte Notiz in der Fabrik aufzu- hängen, worin Anfang, Ende, Pausen des Arbeitstags angegeben sind. Kin- der, die ihre Arbeit des Vormittags vor 12 Uhr beginnen, dürfen nicht wie- der nach 1 Uhr ||246| Mittags verwandt werden. Die Nachmittagsreihe muß 25 also aus andren Kindern bestehn als die Vormittagsreihe. Die 1½ Stunden für Mahlzeit müssen allen beschützten Arbeitern zu denselben Tagesperio- den eingeräumt werden, eine Stunde wenigstens vor 3 Uhr Nachmittags. Kinder oder junge Personen dürfen nicht länger als 5 Stunden vor 1 Uhr Mittags verwandt werden, ohne eine mindestens halbstündige Pause für 30 Mahlzeit. Kinder, junge Personen oder Frauenzimmer dürfen während kei- ner Mahlzeit in einer Fabrikstube bleiben, worin irgend ein Arbeitsproceß vorgeht u. s. w. Man hat gesehn: Diese minutiösen Bestimmungen, welche die Periode, Grenzen, Pausen der Arbeit so militärisch uniform nach dem Glocken- 35 schlag regeln, waren keineswegs Produkte parlamentarischer Hirnweberei. 1 3 8 ) Uebrigens braucht Leonard Horner den Ausdruck ,,nefarious practices" officiell. („Re- ports of Insp. of Fact. 31st October 1859", p. 7.) 1 3 9 ) „Rep. etc. for 30th Sept. 1844"rp. 15. 1 4°) Der Akt erlaubt Kinder 10 Stunden anzuwenden, wenn sie nicht Tag nach Tag, sondern 40 nur einen Tag über den andren arbeiten. Im Ganzen blieb diese Klausel wirkungslos. 254 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag Sie entwickelten sich allmählig aus den Verhältnissen heraus, als Naturge- setze der modernen Produktionsweise. Ihre Formulirung, officielle Aner- kennung und staatliche Proklamation waren Ergebniß langwieriger Klas- senkämpfe. Eine ihrer nächsten Folgen war, daß die Praxis auch den 5 Arbeitstag der erwachsenen männlichen Fabrikarbeiter denselben Schran- ken unterwarf, da in den meisten Produktionsprocessen die Kooperation der Kinder, jungen Personen und Frauenzimmer unentbehrlich. Im Gro- ßen und Ganzen galt daher während der Periode von 1 8 4 4 - 4 7 der zwölf- stündige Arbeitstag allgemein und uniform in allen der Fabrikgesetzge- 10 bung unterworfenen Industriezweigen. 15 20 25 Die Fabrikanten erlaubten diesen „Fortschritt" jedoch nicht ohne einen kompensirenden „Rückschritt". Auf ihren Antrieb reducirte das Unterhaus das Minimalalter der zu verarbeitenden Kinder von 9 Jahren auf 8, zur Si- cherung der dem Kapital von Gott und Rechts wegen geschuldeten „addi- tionellen Fabrikkinderzufuhr" 1 4 1). Die Jahre 1 8 4 6 - 4 7 machen Epoche in der ökonomischen Geschichte Englands. Widerruf der Korngesetze, die Einfuhrzölle auf Baumwolle und andre Rohmaterialien abgeschafft, der Freihandel zum Leitstern der Ge- setzgebung erklärt! Kurz, das tausendjährige Reich brach an. Andrerseits erreichten in denselben Jahren Chartistenbewegung und Zehnstundenagi- tation ihren Höhepunkt. Sie fanden Bundesgenossen in den racheschnau- benden Tories. Trotz des fanatischen Widerstands des wortbrüchigen Frei- handelsheers, mit Bright und Cobden an der Spitze, ging die so lang erstrebte Zehnstundenbill durch das Parlament. | |247| Der neue Fabrikakt vom 8. Juni 1847 setzte fest, daß am 1. Juli 1847 eine vorläufige Verkürzung des Arbeitstags der „jungen Personen" (von 13 bis 18 Jahren) und aller Arbeiterinnen auf 11 Stunden, am l . M a i 1848 aber die definitive Beschränkung auf 10 Stunden eintreten solle. Im Uebrigen war der Akt nur ein amendirender Zusatz der Gesetze von 1833 30 und 1844. Das Kapital unternahm einen vorläufigen Feldzug, um die volle Ausfüh- rung des Akts am l . M a i 1848 zu verhindern. Und zwar sollten die Arbeiter selbst, angeblich durch die Erfahrung gewitzigt, ihr eignes Werk wieder zerstören helfen. Der Augenblick war geschickt gewählt. „Man muß sich er- innern, daß in Folge der furchtbaren Krise von 1 8 4 6 - 4 7 großes Leid unter den Fabrikarbeitern vorherrschte, da viele Fabriken nur für kurze Zeit ge- arbeitet, andre ganz still gestanden hatten. Eine beträchtliche Anzahl der Arbeiter befand sich daher in drückendster Lage, viele in Schulden. Man 35 40 1 4 1 ) "As a reduction in their hours of work would cause a larger number (of children) to be employed, it was thought that the additional supply of children from eight to nine years of age, would meet the increased demand." (1. c. p. 13.) 255 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 konnte daher mit ziemlicher Gewißheit annehmen, daß sie die längere Ar- beitszeit vorziehn würden, um die vergangnen Verluste gut zu machen, vielleicht Schulden abzuzahlen, oder ihre Möbel aus dem Pfandhaus zu holen, oder verkaufte Habseligkeiten zu ersetzen, oder neue Kleidungs- stücke sich selbst und ihren Familien zu verschaffen" 1 4 2). Die Herrn Fa- brikanten suchten die natürliche Wirkung dieser Umstände zu steigern durch eine allgemeine Lohnherabsetzung von 10%. Dieß geschah so zu sa- gen zur Einweihungsfeier der neuen Freihandelsära. Dann folgte weitre Herabsetzung um 8½%, sobald der Arbeitstag auf 11, und um das Dop- pelte, sobald er definitiv auf 10 Stunden verkürzt wurde. Wo es daher 10 irgendwie die Verhältnisse zuließen, fand eine Lohnherabsetzung von we- nigstens 25 % statt 1 4 3). Unter so günstig vorbereiteten Chancen begann man die Agitation unter den Arbeitern für Widerruf des Akts von 1847. Kein Mittel des Betrugs, der Verführung und der Drohung wurde dabei ver- schmäht, aber alles umsonst. Mit Bezug auf das halbe Dutzend Petitionen, 15 worin die Arbeiter klagen mußten über „ihre Unterdrückung durch den Akt", erklärten die Bittsteller selbst, bei mündlichem Verhör, ihre Unter- schriften seien abgenöthigt worden. „Sie seien unterdrückt, ||248| aber von Jemand anders als dem Fabrikakt" 1 4 4). Wenn es aber den Fabrikanten nicht gelang, die Arbeiter in ihrem Sinn sprechen zu machen, schrieen sie 20 selbst nur um so lauter in Presse und Parlament im Namen der Arbeiter. Sie denuncirten die Fabrikinspektoren als eine Art Konventskommissäre, die ihrer Weltverbesserungsgrille den unglücklichen Arbeiter unbarmher- zig aufopferten. Auch dieß Manöver schlug fehl. Fabrikinspektor Leonard Horner stellte in eigner Person und durch seine Unterinspektoren zahlrei- 25 che Zeugenverhöre in den Fabriken Lancashire's an. Ungefähr 7 0 % der verhörten Arbeiter erklären sich für 10 Stunden, eine viel geringere Pro- centzahl für 11 und eine ganz unbedeutende Minorität für die alten 12 Stunden 1 4 5). Ein andres „gütliches" Manöver war, die erwachsnen männlichen Arbei- 30 1 4 2 ) „Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1848", p. 16. 1 4 3 ) „Ich fand, daß man Leuten, die 10 sh. wöchentlich erhalten hatten, 1 sh. abzog auf Rech- nung der allgemeinen Lohnherabsetzung von 10 %, und weitre 1 sh. 6 d. für die Zeitverkür- zung, zusammen 2 sh. 6 d., und trotz alledem hielt die Mehrzahl fest an der Zehnstunden- bill." (1. c.) 1 4 4 ) „Als ich die Petition unterzeichnete, erklärte ich zugleich, ich thue damit etwas Schlech- tes. - Warum habt Ihr sie denn unterzeichnet? - Weil man mich im Weigerungsfalle auf das Pflaster geworfen hätte. - Der Bittsteller fühlte sich in der That ,unterdrückt', aber nicht grade durch den Fabrikakt." (1. c. p. 102.) 1 4 5 ) 1. c. p. 17. In Herrn Horner's Distrikt wurden so 10270 erwachsne männliche Arbeiter in 40 181 Fabriken verhört. Man findet ihre Ausagen im Appendix des Fabrikreports für das Halb- jahr endend October 1848. Diese Zeugenverhöre bieten auch in andrer Beziehung schätzbares Material. 35 256 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag 5 ter 12 bis 15 Stunden arbeiten zu lassen und dann diese Thatsache für den besten Ausdruck der proletarischen Herzenswünsche zu erklären. Aber der „unbarmherzige" Fabrikinspektor Leonard Horner war wieder an Ort und Stelle. Die meisten „Ueberstündigen" sagten aus, „sie würden es bei wei- tern vorziehn, 10 Stunden für geringren Arbeitslohn zu arbeiten, aber sie hätten keine Wahl; so viele von ihnen seien arbeitslos, so viele Spinner ge- zwungen, als bloße piecers zu arbeiten, daß, wenn sie die längre Arbeitszeit verweigerten, andre sofort ihre Stellen einnehmen würden, so daß die Frage so für sie stehe: entweder die längre Zeit arbeiten oder auf dem PfLa- 10 ster liegen" 1 4 6). 15 Der vorläufige Feldzug des Kapitals war mißglückt, und das Zehnstun- dengesetz trat am l . M a i 1848 in Kraft. Unterdeß hatte jedoch das Fiasko der Chartistenpartei, deren Führer eingekerkert und deren Organisation zersprengt, bereits das Selbstvertrauen der englischen Arbeiterklasse er- schüttert. Bald darauf vereinigte die Pariser Juniinsurrektion und ihre blu- tige Erstickung, wie im kon||249|tinentalen Europa so in England, alle Fraktionen der herrschenden Klassen, Grundeigenthümer und Kapitali- sten, Börsenwölfe und Krämer, Protektionisten und Freihändler, Regierung und Opposition, Pfaffen und Freigeister, junge Huren und alte Nonnen, 20 unter dem gemeinschaftlichen Ruf zur Rettung des Eigenthums, der Reli- gion, der Familie, der Gesellschaft! Die Arbeiterklasse wurde überall ver- fehmt, in den Bann gethan, unter das ,,loi des suspects" gestellt. Die Herrn Fabrikanten brauchten sich also nicht zu geniren. Sie brachen in offne Re- volte aus, nicht nur wider das Zehnstundengesetz, sondern wider die ganze 25 Gesetzgebung, welche seit 1833 die „freie" Aussaugung der Arbeitskraft ei- nigermaßen zu zügeln suchte. Es war eine Proslavery Rebellion in Minia- tur, während mehr als zwei Jahren durchgeführt mit cynischer Rücksichts- losigkeit, mit terroristischer Energie, beide um so wohlfeiler, als der rebellische Kapitalist nichts riskirte außer der Haut seiner Arbeiter. 30 Zum Verständniß des Nachfolgenden muß man sich erinnern, daß die Fabrikakte von 1833, 1844 und 1847 alle drei in Rechtskraft, so weit der eine nicht den andren amendirt; daß keiner derselben den Arbeitstag des männlichen Arbeiters über 18 Jahre beschränkt, und daß seit 1833 die fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends 35 der gesetzliche „Tag" blieb, innerhalb dessen erst die zwölf-, später die zehnstündige Arbeit der jungen Personen und Frauenzimmer unter den vorgeschriebnen Bedingungen zu verrichten war. Die Fabrikanten begannen hie und da mit Entlassung eines Theils, 1 4 6 ) Lc Siehe die von Leonard Horner selbst gesammelten Aussagen No. 69, 70, 71, 72, 92, 93 40 und die von Subinspektor A. gesammelten No. 51, 52, 58, 59, 60, 62, 70 des „Appendix". Ein Fabrikant schenkte selbst klaren Wein ein. Siehe No. 14 nach No. 265 1. c. 257 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts manchmal der Hälfte, der von ihnen beschäftigten jungen Personen und Arbeiterinnen und stellten dagegen die fast verschollne Nachtarbeit unter den erwachsnen männlichen Arbeitern wieder her. Das Zehnstundenge- setz, riefen sie, lasse ihnen keine andre Alternative 1 4 7)! 5 Der zweite Schritt bezog sich auf die gesetzlichen Pausen für Mahlzei- ten. Hören wir die Fabrikinspektoren. „Seit der Beschränkung der Arbeits- stunden auf 10 behaupten die Fabrikanten, obgleich sie praktisch ihre An- sicht noch nicht bis zur letzten Konsequenz durchführen, daß, wenn z.B. von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends gearbeitet wird, sie den gesetzlichen Vorschriften genug thun, indem sie eine Stunde für Mahlzeit vor 9 Uhr 10 Morgens und eine halbe Stunde nach 7 Uhr Abends, also 1% Stunden für | |250| Mahlzeiten geben. In einigen Fällen erlauben sie jetzt eine halbe oder ganze Stunde für Mittagessen, bestehn aber zugleich darauf, sie seien durchaus nicht verpflichtet, irgend einen Theil der l]/2 Stunden im Lauf des zehnstündigen Arbeitstags einzuräumen" 1 4 8). Die Herrn Fabrikanten 15 behaupteten also, die peinlich genauen Bestimmungen des Akts von 1844 über Mahlzeiten gäben den Arbeitern nur die Erlaubniß, vor ihrem Eintritt in die Fabrik und nach ihrem Austritt aus der Fabrik, also bei sich zu Hause, zu essen und zu trinken! Und warum sollten die Arbeiter auch nicht vor 9 Uhr Morgens ihr Mittagessen einnehmen? Die Kronjuristen 20 entschieden jedoch, daß die vorgeschriebenen Mahlzeiten „in Pausen wäh- rend des wirklichen Arbeitstags gegeben werden müssen, und daß es unge- setzlich, 10 Stunden nach einander von 9 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends ohne Unterbrechung arbeiten zu l a s s e n " 1 4 9 ) . Nach diesen gemüthlichen Demonstrationen leitete das Kapital seine 25 Revolte ein durch einen Schritt, der dem Buchstaben des Gesetzes von 1844 entsprach, also legal war. Das Gesetz von 1844 verbot allerdings, Kinder von 8 bis 13 Jahren, die vor 12 Uhr Vormittags beschäftigt würden, wieder nach 1 Uhr mittags zu beschäftigen. Aber es regelte in keiner Weise die o^stündige Arbeit der 30 Kinder, deren Arbeitszeit um 12 Uhr Vormittags oder später begann! Acht- jährige Kinder konnten daher, wenn sie die Arbeit um 12 Uhr Vormittags begannen, von 12 bis 1 Uhr verwandt werden, 1 Stunde; von 2 Uhr bis 4 Uhr Nachmittags, 2 Stunden, und von 5 Uhr bis halb 9 Uhr Abends, 31Z2 Stunden; alles in allem die gesetzlichen 6½ Stunden! Oder noch besser. 35 Um ihre Verwendung der Arbeit erwachsner männlicher Arbeiter bis halb 9 Uhr Abends anzupassen, brauchten ihnen die Fabrikanten kein Werk zu geben vor 2 Uhr Nachmittags, und konnten sie dann ununterbrochen in 1 4 7 ) „Reports etc. for 31st October 1848", p. 133, 134. 1 4 8 ) „Reports etc. for 30th April 1848", p.47. 1 4 9 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1848", p. 130. 40 258 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag der Fabrik halten bis halb 9 Uhr Abends! „Und es wird jetzt ausdrücklich zugestanden, daß neuerdings in Folge der Fabrikantengier, ihre Maschine- rie länger als 10 Stunden laufen zu lassen, sich die Praxis in England ein- geschlichen hat, acht- bis dreizehnjährige Kinder beiderlei Geschlechts 5 nach Entfernung aller jungen Personen und Weiber aus der Fabrik allein mit den erwachsnen Männern bis halb 9 Uhr Abends arbeiten zu las- s e n " 1 5 0 ) . Arbeiter und Fabrik||251|inspektoren protestirten aus hygieni- schen und moralischen Gründen. Aber das Kapital antwortete: 10 „Meine Thaten auf mein Haupt! Mein Recht verlang ich! Die Buße und Verpfändung meines Scheins!" In der That waren nach statistischer Vorlage an das Unterhaus vom 26.JuIi 1850, trotz aller Proteste, am 15. Juli 1850 3742 Kinder in 257 Fa- briken dieser „Praxis" unterworfen 1 5 1). Noch nicht genug! Das Luchsauge des Kapitals entdeckte, daß der Akt von 1844 fünfstündige Arbeit des Vor- 15 mittags nicht ohne Pause von wenigstens 30 Minuten für Erfrischung er- laubt, aber nichts der Art für die Nachmittagsarbeit vorschreibt. Es ver- langte und ertrotzte daher den Genuß, achtjährige Arbeiterkinder unausgesetzt von 2 bis halb 9 Uhr Abends nicht nur schanzen, sondern auch hungern zu lassen! 20 „Ja, die Brust, So sagt der S c h e i n " 1 5 2 ) . Dieß Shylock'sche Festklammern am Buchstaben des Gesetzes von 1844, soweit es die Kinderarbeit regelt, sollte jedoch nur die offne Revolte gegen dasselbe Gesetz vermitteln, soweit es die Arbeit von Ju n g e n Perso- 25 nen und Frauenzimmern" regelt. Man erinnert sich, daß die Abschaffung des „falschen Relaissystems" Hauptzweck und Hauptinhalt jenes Gesetzes bildet. Die Fabrikanten eröffneten ihre Revolte mit der einfachen Erklä- rung, die Sektionen des Akts von 1844, welche beliebigen Nießbrauch der 30 1 5°) „Reports etc." I.e. p.142. m) „Reports etc. for 31st Oct. 1850", p. 5, 6. 1 5 2 ) Die Natur des Kapitals bleibt dieselbe, in seinen unentwickelten, wie in seinen entwickel- ten Formen. In dem Gesetzbuch, daß der Einfluß der Sklavenhalter kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs dem Territorium von New-Mexico aufherrschte, heißt es: der Arbeiter, so weit der Kapitalist seine Arbeitskraft gekauft hat, „ist sein (des Kapitalisten) 35 Geld". ("The labourer is his (the capitalist's) money.") Dieselbe Anschauung war gangbar bei den römischen Patriciern. Das Geld, das sie dem plebejischen Schuldner vorgeschossen, hatte sich vermittelst seiner Lebensmittel in Fleisch und Blut des Schuldners verwandelt. Dieß „Fleisch und Blut" war daher „ihr Geld". Daher das Shylock'sche Gesetz der 10 Tafeln! Lin- guet's Hypothese, daß die patricischen Gläubiger von Zeit zu Zeit jenseits der Tiber Fest- schmause in gekochtem Schuldnerfleisch veranstalteten, bleibe ebenso dahingestellt, wie Daumer's Hypothese über das christliche Abendmahl. 40 259 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts jungen Personen und Frauenzimmer in beliebigen kürzeren Abschnitten des fünfzehnstündigen Fabriktags verbieten, seien „vergleichungsweise harmlos (comparatively harmless) geblieben, so lange die Arbeitszeit auf 12 Stunden eingeschränkt war. Unter dem Zehnstundengesetz seien sie eine unerträgliche Unbill" (hard||252|ship) 1 5 3). Sie zeigten daher den In- spektoren in der kühlsten Weise an, daß sie sich über den Buchstaben des Gesetzes hinwegsetzen und das alte System auf eigne Faust wieder einfüh- ren würden 1 5 4). Es geschehe im Interesse der übelberathnen Arbeiter selbst, „um ihnen höhre Löhne zahlen zu können". „Es sei der einzig mögliche Plan, um unter dem Zehnstundengesetz die industrielle Suprematie Groß- 10 britanniens zu erhalten 1 5 5)." „Es möge etwas schwer sein, Unregelmäßigkei- ten unter dem Relaissystem zu entdecken, aber was heiße das? (what of that?) Soll das große Fabrikinteresse dieses Landes als ein sekundäres Ding behandelt werden, um den Fabrikinspektoren und Subinspektoren ein biß- chen mehr Mühe (some little trouble) zu sparen 1 5 6)?" 15 5 Alle diese Flausen halfen natürlich nichts. Die Fabrikinspektoren schrit- ten gerichtlich ein. Bald aber überschüttete eine solche Staubwolke von Fa- brikantenpetitionen den Minister des Innern, Sir George Grey, daß er in einem Cirkular vom 5. August 1848 die Inspektoren anwies, „im Allgemei- nen nicht einzuschreiten wegen Verletzung des Buchstabens des Akts, so 20 oft das Relaissystem nicht erwiesenermaßen mißbraucht werde, um junge Personen und Frauenzimmer über 10 Stunden arbeiten zu lassen". Hierauf erlaubte Fabrikinspektor J. Stuart das sogenannte Ablösungssystem wäh- rend der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags in ganz Schottland, wo es bald wieder in alter Weise aufblühte. Die englischen Fabrikinspektoren 25 dagegen erklärten, der Minister besitze keine diktatorische Gewalt zur Suspension der Gesetze, und fuhren mit gerichtlicher Procedur wider die Proslavery Rebellen fort. Wozu jedoch alle Ladung vor's Gericht, sobald die Gerichte, die county magistrates 1 5 7) freisprachen? In diesen Gerichten saßen die Herrn Fabri- 30 kanten über sich selbst zu Gericht. Ein Beispiel. Ein gewisser Eskrigge, Baumwollspinner von der Firma Kershaw, Leese et Co., hatte dem Fabrik- inspektor seines Distrikts das Schema eines für seine Fabrik bestimmten Relaissystems vorgelegt. Ab 1125 31schlägig beschieden, verhielt er sich zu- 1 5 3 ) „Reports etc. for 31st October 1848", p. 133. 1 5 4 ) So unter andren Philanthrop Ashworth in einem quäkerhaft widrigen Brief an Leonard Horner. (Rep. Apr. 1849, p.4.) 1 5 5 ) I.e. p.138. 1 5 6 ) 1. c. p. 140. 1 5 7 ) Diese ,,county magistrates", die ,,great unpaid", wie W. Cobbett sie nennt, sind eine Art 40 unbezahlter Friedensrichter, aus den Honoratioren der Grafschaften gebildet. Sie bilden in der That die Patrimonialgerichte der herrschenden Klassen. 35 260 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag nächst passiv. Wenige Monate später stand ein Individuum Namens Ro- binson, ebenfalls Baumwollspinner, und wenn nicht der Freitag, so jeden- falls der Verwandte des Eskrigge, vor den Borough Justices zu Stockport, wegen Einführung des identischen, von Eskrigge ausgeheckten Relais- 5 plans. Es saßen 4 Richter, darunter 3 Baumwollspinner, an ihrer Spitze derselbe unvermeidliche Eskrigge. Eskrigge sprach den Robinson frei und erklärte nun, was dem Robinson recht, sei dem Eskrigge billig. Auf seine eigne rechtskräftige Entscheidung gestützt, führte er sofort das System in seiner eignen Fabrik e i n 1 5 8 ) . Allerdings war schon die Zusammensetzung 10 dieser Gerichte eine offne Verletzung des Gesetzes 1 5 9). „Diese Art gericht- licher Farcen", ruft Inspektor Howell aus, „schreien nach einem Heilmit- tel .... entweder paßt das Gesetz diesen Urtheilssprüchen an, oder laßt es verwalten durch ein minder fehlbares Tribunal, das seine Entscheidungen dem Gesetz anpaßt .... In allen solchen Fällen, wie sehnt man sich nach 15 einem bezahlten Richter 1 6 0)!" Die Kronjuristen erklärten die Fabrikanten-Interpretation des Aktes von 1844 für abgeschmackt, aber die Gesellschaftsretter ließen sich nicht beir- ren. „Nachdem ich", berichtet Leonard Horner, „durch 10 Verfolgungen in 7 verschiednen Gerichtsbezirken versucht habe, das Gesetz zu erzwingen, 20 und nur in einem Fall von den Magistraten unterstützt wurde, ... halte ich weitere Verfolgung wegen Umgehung des Gesetzes für nutzlos. Der Theil des Akts, der verfaßt wurde, um Uniformität in den Arbeitsstunden zu schaffen, ... existirt nicht mehr in Lancashire. Auch besitze ich mit mei- nen Unteragenten durchaus kein Mittel, uns zu versichern, daß Fabriken, 25 wo das sog. Relaissystem herrscht, junge Personen und Frauenzimmer nicht über 10 Stunden beschäftigen ... Ende April 1849 arbeiteten schon 114 Fabriken in meinem Distrikt nach dieser Methode, und ihre Anzahl nimmt in der letzten Zeit reißend zu. Im Allgemeinen arbeiten sie jetzt 13¾ Stunden, von 6 Uhr Morgens bis halb 8 Uhr Abends; in einigen Fällen 30 15 Stunden, von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends" 1 6 1). | |254| Schon December 1848 besaß Leonard Horner eine Liste von 65 Fa- brikanten und 29 Fabrikaufsehern, die einstimmig erklärten, kein System der Oberaufsicht könne unter diesem Relaissystem die extensivste Ueber- arbeit verhindern 1 6 2). Bald wurden dieselben Kinder und jungen Personen 35 40 1 5 8 ) „Reports etc. for 30th April 1849", p.21, 22. Vgl. ähnliche Beispiele ibid. p.4, 5. 1 5 9 ) Durch 1 und 2 Wm. IV. c. 39, s. 10, bekannt als Sir John Hobhouse's Factory Act, wird verboten, daß irgend ein Besitzer einer Baumwollspinnerei oder Weberei, oder Vater, Sohn und Bruder eines solchen Besitzers in Fragen, die den Factory Act betreffen, als Friedensrich- ter funktioniren. 1 6°) I.e. 1 6 1 ) „Reports etc. for 30th April 1849", p. 5. 1 6 2 ) „Rep. etc. for 31st Oct. 1849", p. 6. 261 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts aus der Spinnstube in die Webestube u. s. w., bald, während 15 Stunden, aus einer Fabrik in die andre geschoben (shifted) 1 6 3). Wie ein System kon- troliren, „welches das Wort Ablösung mißbraucht, um die Hände in endlo- ser Mannigfaltigkeit wie Karten durcheinander zu mischen und die Stun- den der Arbeit und der Rast für die verschiednen Individuen täglich so zu verschieben, daß ein und dasselbe vollständige Assortiment von Händen niemals an demselben Platze zur selben Zeit zusammenwirkt" 1 6 4)! 5 Aber ganz abgesehn von wirklicher Ueberarbeitung, war dieß sog. Relais- system eine Ausgeburt der Kapitalphantasie, wie sie Fourier in seinen hu- moristischen Skizzen der ,,courtes séances" nie übertroffen hat, nur daß 10 die Attraktion der Arbeit verwandelt war in die Attraktion des Kapitals. Man sehe sich jene Fabrikantenschemas an, welche die gute Presse pries als Muster von dem, „was ein vernünftiger Grad von Sorgfalt und Methode ausrichten kann" (,,what a reasonable degree of care and method can ac- complish"). Das Arbeiterpersonal wurde manchmal in 12 bis 15 Kategorien 15 vertheilt, die selbst wieder ihre Bestandtheile beständig wechselten. Wäh- rend der fünfzehnstündigen Periode des Fabriktags zog das Kapital den Ar- beiter jetzt für 30 Minuten, jetzt für eine Stunde an und stieß ihn dann wieder ab, um ihn von neuem in die Fabrik zu ziehn und aus der Fabrik zu stoßen, ihn hin und her hetzend in zerstreuten Zeitfetzen, ohne je den Halt auf ihn zu verlieren, bis die zehnstündige Arbeit vollgemacht. Wie auf der Bühne hatten dieselben Personen abwechselnd in den verschiednen Sce- nen der verschiednen Akte aufzutreten. Aber wie ein Schauspieler während der ganzen Dauer des Dramas der Bühne gehört, so gehörten die Arbeiter jetzt während 15 Stunden der Fabrik, nicht eingerechnet die Zeit, um von 25 und zu ihr zu gehn. Die Stunden der Rast verwandelten sich so in Stunden erzwungnen Müßiggangs, welche den jungen Arbeiter in die Kneipe und die junge Arbeiterin in das Bordell trieben. Bei jedem neuen Einfall, den der Kapitalist täglich ausheckte, um seine Maschinerie ohne ||255| Ver- mehrung des Arbeiterpersonals 12 oder 15 Stunden im Gang zu halten, 30 hatte der Arbeiter bald in diesem Stück Zeitabfall, bald in jenem seine Mahlzeit einzuschlucken. Zur Zeit der Zehnstundenagitation schrien die Fabrikanten, das Arbeiterpack petitionire, in der Erwartung, zwölfstündi- gen Arbeitslohn für zehnstündige Arbeit zu erhalten. Sie hatten jetzt die Medaille umgekehrt. Sie zahlten zehnstündigen Arbeitslohn für zwölf- und 35 fünfzehnstündige Verfügung über die Arbeitskräfte 1 6 5)! Dieß war des Pu- 20 1 6 3 ) „Rep. etc. for 30th April 1849", p.21. 1 6 4 ) „Rep. etc. l.Dec. 1848", p.95. 1 6 5 ) Siehe „Reports etc. for 30th April 1849", p.6 und die weitläufige Auseinandersetzung des ,,shifting system" durch die Fabrikinspektoren Howell und Saunders in „Reports etc. for 31st Oct. 1848". Siehe auch die Petition der Geistlichkeit von Ashton und Nachbarschaft, Früh- ling 1849, an die Königin, gegen das ,,shift system". 40 262 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag dels Kern, dieß die Fabrikantenausgabe des Zehnstundengesetzes! Es wa- ren dieselben salbungsvollen, Menschenliebe triefenden Freihändler, die den Arbeitern 10 volle Jahre, während der Anticornlaw-Agitation, auf Hel- ler und Pfennig vorgerechnet, daß bei freier Korneinfuhr eine zehnstün- 5 dige Arbeit, mit den Mitteln der englischen Industrie, vollständig genüge, um die Kapitalisten zu bereichern 1 6 6). 10 Die zweijährige Kapitalrevolte wurde endlich gekrönt durch den Ur- theilsspruch eines der vier höchsten Gerichtshöfe von England, des Court of Exchequer, der in einem vor ihn gebrachten Fall am 8. Februar 1850 ent- schied, daß die Fabrikanten zwar wider den Sinn des Akts von 1844 han- delten, dieser Akt selbst aber gewisse Worte enthalte, die ihn sinnlos mach- ten. „Mit dieser Entscheidung war das Zehnstundengesetz abgeschafft" 1 6 7). Eine Masse Fabrikanten, die bisher noch das Relaissystem für junge Perso- nen und Arbeiterinnen gescheut, griffen nun mit beiden Händen z u 1 6 8 ) . 15 Mit diesem scheinbar definitiven Sieg des Kapitals trat aber sofort ein Umschlag ein. Die Arbeiter hatten bisher passiven, obgleich unbeugsamen und täglich erneuten Widerstand geleistet. Sie protestirten jetzt in laut dro- henden Meetings in Lancashire und Yorkshire. Das angebliche Zehnstun- dengesetz sei also bloßer Humbug, parlamentarische Prellerei, und habe 20 nie existirt! Die ||256| Fabrikinspektoren warnten dringend die Regierung, der Klassenantagonismus sei zu einer unglaublichen Höhe gespannt. Ein Theil der Fabrikanten selbst murrte: „Durch die widersprechenden Ent- scheidungen der Magistrate herrsche ein ganz abnormer und anarchischer Zustand. Ein andres Gesetz gelte in Yorkshire, ein andres in Lancashire, 25 ein andres Gesetz in einer Pfarrei von Lancashire, ein andres in ihrer un- mittelbaren Nachbarschaft. Der Fabrikant in großen Städten könne das Gesetz umgehn, der in Landflecken finde nicht das nöthige Personal für das Relaissystem und noch minder zur Verschiebung der Arbeiter aus einer Fabrik in die andre u.s.w." Und gleiche Exploitation der Arbeitskraft ist das erste Menschenrecht des Kapitals. 30 Unter diesen Umständen kam es zu einem Kompromiß zwischen Fa- brikanten und Arbeitern, der in dem neuen zusätzlichen Fabrikakt vom 5. August 1850 parlamentarisch besiegelt ist. Für „junge Personen und Frauenzimmer" wurde der Arbeitstag in den ersten 5 Wochentagen von 10 35 auf 10½ Stunden erhöht, für den Samstag auf 1% Stunden beschränkt. Die Arbeit muß in der Periode von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends vor- 1 6 6 ) Vgl. z.B. „The Factory Question and the Ten Hours Bill. By R.H. Greg. 1837." 1 6 7 ) F.Engels: „Die englische Zehnstundenbill" (in der von mir herausgegebenen: „Neuen Rh. Zeitung. Politisch-ökonomische Revue. Aprilheft 1850", p. 13). Derselbe „hohe" Gerichtshof 40 entdeckte ebenfalls während des amerikanischen Bürgerkriegs eine Wortschraube, die das Ge- setz gegen Ausrüstung von Piratenschiffen in's direkte Gegentheil verkehrt. 1 6 8 ) „Rep. etc. for 30th April 1850". 263 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts gehn 1 6 9), mit l^stündigen Pausen für Mahlzeiten, die gleichzeitig und ge- mäß den Bestimmungen von 1844 einzuräumen sind u. s. w. Damit war dem Relaissystem ein für allemal ein Ende gemacht 1 7 0). Für die Kinderar- beit blieb das Gesetz von 1844 in Kraft. 5 Eine Fabrikantenkategorie sicherte sich dießmal, wie früher, besondere Seigneurialrechte auf Proletarierkinder. Es waren dieß die Seidenfabrikan- ten. Im Jahr 1833 hatten sie drohend geheult, „wenn man ihnen die Frei- heit raube, Kinder jedes Alters täglich 10 Stunden abzurackern, setze man ihre Fabriken still" (if the liberty of working children of any age for 10 hours a day was taken away, it would stop their works). Es sei ihnen un- 10 möglich, eine hinreichende Anzahl von Kindern über 11 Jahren zu kaufen. Sie erpreßten das gewünschte Privilegium. Der Vorwand stellte sich bei spätrer Untersuchung als baare Lüge heraus 1 7 1), was sie jedoch nicht ver- hinderte, während eines Decenniums aus dem Blut kleiner Kinder, die zur Verrichtung ihrer Arbeit auf Stühle gestellt ||257| werden mußten, täglich 15 10 Stunden Seide zu spinnen 1 7 2). Der Akt von 1844 „beraubte" sie zwar der „Freiheit", Kinder unter 11 Jahren länger als 6¾ Stunden, sicherte ihnen dagegen das Privilegium, Kinder zwischen 11 und 13 Jahren 10 Stunden täglich zu verarbeiten, und kassirte den für andre Fabrikkinder vorge- schriebenen Schulzwang. Dießmal der Vorwand: „Die Delikatesse des Ge- 20 webes erheische eine Fingerzartheit, die nur durch frühen Eintritt in die Fabrik zu sichern" 1 7 3). Der delikaten Finger wegen wurden die Kinder ganz geschlachtet, wie Hornvieh in Südrußland wegen Haut und Talg. Endlich, 1850, wurde das 1844 eingeräumte Privilegium auf die Departements der Seidenzwirnerei und Seidenhaspelei beschränkt, hier aber, zum Schaden- 25 ersatz des seiner „Freiheit" beraubten Kapitals, die Arbeitszeit für Kinder von 11 bis 13 Jahren von 10 auf 10¾ Stunden erhöht. Vorwand: „Die Ar- beit sei leichter in Seidenfabriken als in den andren Fabriken und in kei- ner Weise so nachtheilig für die Gesundheit" 1 7 4). Officielle ärztliche Un- tersuchung bewies hinterher, daß umgekehrt „die durchschnittliche Sterblichkeitsrate in den Seidendistrikten ausnahmsweise hoch und unter 30 1 6 9 ) Im Winter kann die Periode zwischen 7 Uhr Morgens und 7 Uhr Abends an die Stelle tre- ten. 1 7°) "The present law (of 1850) was a compromise whereby the employed surrendered the ben- efit of the Ten Hours' Act for the advantage of one uniform period for the commencement and termination of the labour of those whose labour is restricted." („Reports etc. for 30th April 1852", p. 14.) m) „Reports etc. for 30th Sept. 1844", p. 13. m ) I.e. 1 7 3 ) "The delicate texture of the fabric in which they were employed requiring a lightness of 40 touch, only to be acquired by their early introduction to these factories." („Reports etc. for 31st Oct. 1846", p. 20.) 1 7 4 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1861", p. 26. 35 264 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag dem weiblichen Theil der Bevölkerung selbst höher ist als in den Baum- wolldistrikten von Lancashire" 1 7 5). Trotz der ||258| halbjährlich wiederhol- ten Proteste der Fabrikinspektoren dauert der Unfug bis zur Stunde fort 1 7 6). 5 Das Gesetz von 1850 verwandelte nur für „junge Personen und Frauen- zimmer" die fünfzehnstündige Periode von halb 6 Uhr Morgens bis halb 9 Uhr Abends in die zwölfstündige Periode von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends. Also nicht für Kinder, die immer noch eine halbe Stunde vor B e - ginn und 2% Stunden nach Schluß dieser Periode verwerthbar blieben, 10 wenn auch die Gesammtdauer ihrer Arbeit 6l/2 Stunden nicht überschreiten durfte. Während der Diskussion des Gesetzes wurde dem Parlament von den Fabrikinspektoren eine Statistik über die infamen Mißbräuche jener Anomalie unterbreitet. Jedoch umsonst. Im Hintergrund lauerte die Ab- sicht, den Arbeitstag der erwachsnen Arbeiter mit Beihülfe der Kinder in 15 Prosperitätsjahren wieder auf 15 Stunden zu schrauben. Die Erfahrung der folgenden 3 Jahre zeigte, daß solcher Versuch am Widerstand der erwachs- nen männlichen Arbeiter scheitern müsse 1 7 7). Der Akt von 1850 wurde da- her 1853 endlich ergänzt durch das Verbot, „Kinder des Morgens vor und Abends nach den jungen Personen und Frauenzimmern zu verwenden". 20 Von nun an regelte, mit wenigen Ausnahmen, der Fabrikakt von 1850 in 1 7 5 ) 1. c. p. 27. Im Allgemeinen hat sich die dem Fabrikgesetz unterworfene Arbeiterbevölke- rung physisch sehr verbessert. Alle ärztlichen Zeugnisse stimmen darin überein und eigne persönliche Anschauung zu verschiednen Perioden hat mich davon überzeugt. Dennoch, und abgesehn von der ungeheuren Sterblichkeitsrate der Kinder in den ersten Lebensjahren, zei- 25 gen die officiellen Berichte des Dr. Greenhow den ungünstigen Gesundheitszustand der Fa- brikdistrikte, verglichen mit „Agrikulturdistrikten von normaler Gesundheit". Zum Beweis u.a. folgende Tabelle aus seinem Bericht von 1861: Procentsatz der in der Manufak- tur beschäftigten affektionfürje erwachsenen Männer. Procentsatz der in der Manufak- tur beschäftigten Beschäfti- erwachsenen Frauenzimmer. Sterblichkeits- rate von Lungen- affektion für je 100 0 0 0 Frauen- zimmer. Sterblichkeits- Name des rate von Lungen- Distrikts. Art der weib- lichen 1 0 0 0 0 0 Männer. gung. gung. 30 35 40 40 45 14,9 42,6 37,3 41,9 31,0 14,9 36,6 30,4 598 708 547 611 691 588 721 726 305 Wigan 644 Blackburn 734 Halifax 564 Bradford 603 Macclesfield 804 Leek 705 Stoke-upon-Trent 6 6 5 Woolstanton 727 Acht gesunde Agrikultur- distrikte 340 18,0 34,9 20,4 30,0 26,0 17,2 19,3 13,9 Baumwolle ditto Worsted ditto Seide ditto Erdenwaare ditto 1 7 6 ) Man weiß, wie widerstrebend die englischen „Freihändler" dem Schutzzoll für Seidenma- nufaktur entsagten. Statt des Schutzes gegen französische Einfuhr dient nun die Schutzlosig- keit englischer Fabrikkinder. 1 7 7 ) „Reports etc. for 30th April 1853", p.30. 265 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts den ihm unterworfenen Industriezweigen den Arbeitstag aller Arbeiter 1 7 8). Seit dem Erlaß des ersten Fabrikakts war jetzt ein halbes Jahrhundert ver- flossen 1 7 9). I |259| Ueber ihre ursprüngliche Sphäre griff die Gesetzgebung zuerst hin- aus durch den „Printworks' A c t " (Gesetz über Kattundruckereien u. s.w.) von 1845. Die Unlust, womit das Kapital diese neue „Extravaganz" zuließ, spricht aus jeder Zeile des Akts! Er beschränkt den Arbeitstag für Kinder von 8 - 1 3 Jahren und für Frauenzimmer auf 16 Stunden zwischen 6 Uhr Morgens und 10 Uhr Abends, ohne irgend eine gesetzliche Pause für Mahl- zeiten. Er erlaubt männliche Arbeiter über 13 Jahre Tag und Nacht hin- 10 durch beliebig abzuarbeiten 1 8 0). Er ist ein parlamentarischer A b o r t 1 8 1 ) . 5 Dennoch hatte das Princip gesiegt mit seinem Sieg in den großen Indu- striezweigen, welche das eigenste Geschöpf der modernen Produktions- weise. Ihre wundervolle Entwicklung von 1 8 5 3 - 1 8 6 0 , Hand in Hand mit der physischen und moralischen Wiedergeburt der Fabrikarbeiter, schlug 15 das blödeste Auge. Die Fabrikanten selbst, denen die gesetzliche Schranke und Regel des Arbeitstags durch halbhundertjährigen Bürgerkrieg Schritt für Schritt abgetrotzt, wiesen prahlend auf den Kontrast mit den noch „freien" Exploitationsgebieten h i n 1 8 2 ) . Die Pharisäer der „politischen Oe- konomie" proklamirten nun die Einsicht in die Nothwendigkeit eines ge- 20 setzlich geregelten Arbeitstags als charakteristische Neuerrungenschaft ihrer „Wissenschaft" 1 8 3). Man versteht leicht, daß nachdem sich die Fa- 1 7 8 ) Während der Zenithjahre der englischen Baumwollindustrie, 1859 und 1860, versuchten einige Fabrikanten durch die Lockangel hoher Arbeitslöhne für Extrazeit, die erwachsnen männlichen Spinner u. s. w. zur Verlängerung des Arbeitstags zu bestimmen. Die Hand-Mule 25 Spinners und Self-Actor Minders machten dem Experiment ein Ende durch eine Denkschrift an ihre Anwender, worin es u. a. heißt: „Grad herausgesprochen, unser Leben ist uns zur Last, und so lange wir fast 2 Tage die Woche (20 Stunden) länger an die Fabrik gekettet sind als die andren Arbeiter, fühlen wir uns gleich Heloten im Lande und werfen uns selbst vor, ein Sy- stem zu verewigen, das uns selbst und unsre Nachkommen physisch und moralisch beschä- 30 digt ... Daher geben wir hiermit respektvolle Notiz, daß wir von Neujahrstag an keine Minute mehr als 60 Stunden wöchentlich, von 6 Uhr bis 6 Uhr, mit Abzug der gesetzlichen Pausen von I]Z2 Stunden, arbeiten werden." („Reports etc. for 30th April 1860", p. 30.) 1 7 9 ) Ueber die Mittel, die die Fassung dieses Gesetzes für seinen Bruch gewährt, cf. den Par- liamentary Return: ,,Factories Regulation Acts" (9. Aug. 1859) und darin Leonard Horner's 35 ,,Suggestions for Amending the Factory Acts to enable the Inspectors to prevent illegal wor- king, now become very prevalent". 1 8°) „Kinder von 8 Jahren und darüber sind in der That von 6 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends während des letzten Halbjahrs (1857) in meinem Distrikt abgerackert worden." („Reports etc. for 31st Oct. 1857", p. 39.) 1 8 1 ) "The Printworks' Act is admitted to be a failure, both with reference to its educational and protective provisions." („Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 52.) 1 8 2 ) So z.B. E.Potter in Brief an Times vom 24.März 1863. Die Times erinnert ihn an die Fa- brikantenrevolte gegen das Zehnstundengesetz. 1 8 3 ) So u. a. Herr W. Newmarchr Mitarb eiter an und Herausgeber von Tooke's: ,,History of 45 Prices". Ist es wissenschaftlicher Fortschritt, der öffentlichen Meinung feige Koncessionen zu machen? 40 266 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag brikmagnaten in das Unvermeidliche gefügt und mit ihm ausgesöhnt, die Widerstandskraft des Kapitals graduell abschwächte, während zugleich die Angriffskraft der Arbeiterklasse wuchs mit der Zahl ihrer Verbündeten in den nicht unmittelbar interessirten Gesellschaftsschichten. Daher verglei- 5 chungsweis rascher Fortschritt seit 1860. Die Färbereien und Bleichereien 1 8 4) wurden 1860, die Spitzen-| |260|fabriken und Strumpfwirkereien 1861 dem Fabrikakt von 1850 unter- worfen. In Folge des ersten Berichts der „Kommission über die Beschäfti- gung der Kinder" (1863) theilten dasselbe Schicksal die Manufaktur aller 10 Erdenwaaren (nicht nur Töpfereien), der Zündhölzer, Zündhütchen, Patro- nen, Tapetenfabrik, Baumwollsammt-Scheererei (fustian cutting) und zahl- reiche Processe, die unter dem Ausdruck ,,finishing" (letzte Appretur) zu- sammengefaßt sind. Im Jahre 1863 wurden die „Bleicherei in offner L u f t " 1 8 5 ) ||261| und die Bäckerei unter eigne Akte gestellt, wovon der erste 15 1 8 4 ) Der 1860 erlaßne Akt über Bleichereien und Färbereien bestimmt, daß der Arbeitstag am 1.August 1861 vorläufig auf 12, am 1.August 1862 definitiv auf 10 Stunden , d.h. 10½ für Werkeltage und 7½ für Samstage herabgesetzt werde. Als nun das böse Jahr 1862 anbrach, wiederholte sich die alte Farce. Die Herrn Fabrikanten petitionirten das Parlament, nur noch für ein einziges Jahr länger die zwölfstündige Beschäftigung von jungen Personen und Frau- 20 enzimmern zu dulden .... „Beim gegenwärtigen Zustand des Geschäfts (zur Zeit der Baum- wollnoth) sei es ein großer Vortheil für die Arbeiter, wenn man ihnen erlaubt, 12 Stunden täg- lich zu arbeiten und so viel Arbeitslohn als möglich herauszuschlagen ..." Es war bereits gelungen, eine Bill in diesem Sinn ins Unterhaus zu bringen. „Sie fiel vor der Agitation der Arbeiter in den Bleichereien Schottlands." („Report etc. for 31st Oct. 1862", p. 14, 15.) So ge- 25 schlagen von den Arbeitern selbst, in deren Namen es zu sprechen vorgab, entdeckte das Ka- pital nun, mit Hülfe juristischer Brillen, daß der Akt von 1860, gleich allen Parlamentsakten zum „Schutz der Arbeit", in sinnverwirrten Wortschraubungen abgefaßt, einen Vorwand gebe, die „calenderers" und „finishers" von seiner Wirkung auszuschließen. Die englische Jurisdik- tion, stets getreuer Knecht des Kapitals, sanktionirte durch den Hof der „Common Pleas" die 30 Rabulisterei. „Es hat große Unzufriedenheit unter den Arbeitern erregt und ist sehr bedauer- lich, daß die klare Absicht der Gesetzgebung auf Vorwand einer mangelhaften Wortdefinition vereitelt wird." (1. c. p. 18.) 1 8 5 ) Die „Bleicher in offner Luft" hatten sich dem Gesetz von 1860 über „Bleicherei" durch die Lüge entzogen, daß sie keine Weiber des Nachts verarbeiteten. Die Lüge wurde von den 35 Fabrikinspektoren aufgedeckt, zugleich aber das Parlament durch Arbeiterpetitionen seiner wiesenduftigkühlen Vorstellungen von „Bleicherei in offner Luft" beraubt. In dieser Luftblei- cherei werden Trockenzimmer von 90 bis 100 Grad Fahrenheit angewandt, worin hauptsäch- lich Mädchen arbeiten. ,,Cooling" (Abkühlung) ist der technische Ausdruck für gelegentliches Entrinnen aus dem Trockenzimmer in die freie Luft. „Fünfzehn Mädchen in den Trocken- 40 zimmern. Hitze von 80 zu 90 ° für Leinwand, von 100 ° und mehr für Cambrics. Zwölf Mäd- chen bügeln und legen auf (die Cambrics etc.) in einem kleinen Zimmer von ungefähr 10 Fuß im Quadrat, in der Mitte ein enggeschloßner Ofen. Die Mädchen stehn rund um den Ofen herum, der eine schreckliche Gluth ausstrahlt und die Cambrics rasch für die Büglerinnen trocknet. Die Stundenzahl für diese Hände ist unbeschränkt. Wenn geschäftig, arbeiten sie 45 bis 9 oder 12 Uhr Nachts viele Tage hintereinander." („Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 56.) Ein Arzt erklärt: „Für die Abkühlung sind keine besondren Stunden erlaubt, aber wenn die Temperatur zu unerträglich wird, oder die Hände der Arbeiterinnen sich von Schweiß be- schmutzen, ist ihnen gestattet, ein paar Minuten fortzugehn ... Meine Erfahrung in der Be- handlung der Krankheiten dieser Arbeiterinnen zwingt mich zu konstatiren, daß ihr Gesund- 267 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts u. a. die Arbeit von Kindern, jungen Personen und Weibern zur Nachtzeit (von 8 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens) und der zweite die Anwendung von Bäckergesellen unter 18 Jahren zwischen 9 Uhr Abends und 5 Uhr Mor- gens verbietet. Auf die spätren Vorschläge der erwähnten Kommission, welche, mit Ausnahme des Ackerbaus, der Minen und des Transportwe- sens, alle wichtigen englischen Industriezweige der „Freiheit" zu berauben drohen, kommen wir zurück 1 8 5 a ) . 5 7. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Rückwirkung der englischen Fabrikgesetzgebung auf andre Länder. Der Leser erinnert sich, daß die Produktion von Mehrwerth oder die Ex- 10 traktion von Mehrarbeit den specifîschen Inhalt und Zweck der kapitalisti- schen Produktion bildet, abgesehn von jedweder aus der Unterordnung der Arbeit unter das Kapital etwa entspringenden Umgestaltung der Produk- tionsweise selbst. Er erinnert sich, daß auf dem bisher entwickelten Stand- punkt nur der selbständige und daher gesetzlich mündige Arbeiter als 15 Waarenverkäufer mit dem Kapitalisten kontrahirt. Wenn also in unsrer hi- storischen Skizze einerseits die moderne Industrie eine Hauptrolle spielt, andrerseits die Arbeit physisch und rechtlich Unmündiger, so galt uns die eine nur als besondre Sphäre, die andre nur als besonders schlagendes Bei- spiel der Arbeitsaussaugung. Ohne jedoch der spätren Entwicklung vorzu- 20 greifen, folgt aus dem bloßen Zusammenhang der geschichtlichen Thatsa- chen: | heitszustand tief unter dem der Baumwollspinnerinnen steht (und das Kapital hatte sie in seinen Bittschriften an das Parlament in der Manier von Rubens übergesund gemalt!). Ihre auffallendsten Krankheiten sind Phthisis, Bronchitis, Uterinkrankheiten, Hysterie in der 25 scheußlichsten Form und Rheumatismus. Alle diese entspringen, wie ich glaube, direkt oder indirekt, aus der überhitzten Luft ihrer Arbeitszimmer und dem Mangel genügender komfor- tabler Kleidung, um sie beim Nachhausegehen während der Wintermonate vor der kaltfeuch- ten Atmosphäre zu schützen." (1. c. p. 56, 57.) Die Fabrikinspektoren bemerken über das den jovialen „Bleichern in offner Luft" nachträglich abgetrotzte Gesetz von 1863: „Dieser Akt hat 30 nicht nur verfehlt, den Arbeitern den Schutz zu gewähren, den er zu gewähren scheint .... er ist so formulirt, daß der Schutz erst eintritt, sobald man Kinder und Frauenzimmer nach 8 Uhr Abends an der Arbeit ertappt, und selbst dann ist die vorgeschriebene Beweismethode so verklausulirt, daß Bestrafung kaum erfolgen kann." (1. c. p. 52.) „Als ein Akt mit humanen und auf Erziehung gerichteten Zwecken ist er ganz und gar verfehlt. Man wird es doch kaum 35 human nennen, Weibern und Kindern zu erlauben, oder, was auf dasselbe hinauskommt, sie zu zwingen, 14 Stunden täglich, mit oder ohne Mahlzeiten, wie es sich treffen mag, und viel- leicht noch längere Stunden zu arbeiten, ohne Schranke mit Bezug auf das Alter, ohne Unter- schied des Geschlechts und ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Gewohnheiten der Fa- milien der Nachbarschaft, worin die Bleichwerke liegen." („Reports etc. for 30th April 1863", 40 p.40.) 1 8 5 a ) (Note zur 2. Ausg.) Seit 1866, wo ich das im Text Befindliche schrieb, ist wieder eine Re- aktion eingetreten. 268 Achtes Kapitel · Der Arbeitstag |262| Erstens: In den durch Wasser, Dampf und Maschinerie zunächst revolutionirten Industrien, in diesen ersten Schöpfungen der modernen Produktionsweise, den Baumwolle-, Wolle-, Flachs-, Seide-Spinnereien und Webereien wird der Trieb des Kapitals nach maß- und rücksichtsloser 5 Verlängerung des Arbeitstags zuerst befriedigt. Die veränderte materielle Produktionsweise und die ihr entsprechend veränderten socialen Verhält- nisse der Producenten 1 8 6) schaffen erst die maßlose Ausschreitung und ru- fen dann im Gegensatz die gesellschaftliche Kontrole hervor, welche den Arbeitstag mit seinen Pausen gesetzlich beschränkt, regulirt und unifor- 10 mirt. Diese Kontrole erscheint daher während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bloß als Ausnahmegesetzgebung 1 8 7). Sobald sie das Urge- biet der neuen Produktionsweise erobert hatte, fand sich, daß unterdeß nicht nur viele andre Produktionszweige in das eigentliche Fabrikregime eingetreten, sondern daß Manufakturen mit mehr oder minder verjährter 15 Betriebsweise, wie Töpfereien, Glasereien u.s.w., daß altmodische Hand- werke, wie die Bäckerei, und endlich selbst die zerstreute sog. Hausarbeit, wie Nägelmacherei u . s . w . 1 8 8 ) , seit lange der kapitalistischen Exploitation eben so sehr verfallen waren als die Fabrik. Die Gesetzgebung ward daher gezwungen, ihren Ausnahmecharakter allmählig abzustreifen, oder, wo sie römisch kasuistisch verfährt, wie in England, irgend ein Haus, worin man arbeitet, nach Belieben für eine Fabrik (factory) zu erklären 1 8 9). 20 Zweitens: Die Geschichte der Reglung des Arbeitstags in einigen Pro- duktionsweisen, in andren der noch fortdauernde Kampf um diese Reg- lung, beweisen handgreiflich, daß der vereinzelte Arbeiter, der Arbeiter als 25 „freier" Verkäufer seiner Arbeitskraft, auf ge||263|wisser Reifestufe der ka- pitalistischen Produktion, widerstandslos unterliegt. Die Schöpfung eines Normalarbeitstags ist daher das Produkt eines langwierigen, mehr oder minder versteckten Bürgerkriegs zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse. Wie der Kampf eröffnet wird im Umkreis der modernen In- 30 dustrie, so spielt er zuerst in ihrem Heimathland, England 1 9 0). Die engli- 35 40 1 8 6 ) "The conduct of each of these classes (capitalists and workmen) has been the result of the relative situation in which they have been placed." („Reports etc. for 31st Oct. 1848", p. 113.) 1 8 7 ) "The employments placed under restriction were connected with the manufacture of tex- tile fabrics by the aid of steam or water power. There were two conditions to which an employ- ment must be subject to cause it to be inspected, viz., the use of steam or water power, and the manufacture of certain specified fibres." („Reports etc. for 31st October 1864", p. 8.) 1 8 8 ) Ueber den Zustand dieser sogenannten häuslichen Industrie äußerst reichhaltiges Mate- rial in den letzten Berichten der ,,Children's Employment Commission". 1 8 9 ) "The Acts of last Session (1864) ... embrace a diversity of occupations the customs in which differ greatly, and the use of mechanical power to give motion to machinery is no longer one of the elements necessary, as formerly, to constitute in legal phrase a Factory." (Reports etc. for 31st Oct. 1864, p. 8.) 1 9°) Belgien, das Paradies des kontinentalen Liberalismus, zeigt auch keine Spur dieser Bewe- 269 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts sehen Fabrikarbeiter waren die Preisfechter nicht nur der englischen, son- dern der modernen Arbeiterklasse überhaupt, wie auch ihre Theoretiker der Theorie des Kapitals zuerst den Fehdehandschuh hinwarfen 1 9 1). Der Fabrikphilosoph Ure denuncirt es daher als unauslöschliche Schmach der englischen Arbeiterklasse, daß sie „die Sklaverei der Fabrikakte" auf ihre 5 Fahne schrieb gegenüber dem Kapital, das männlich für „vollkommne Freiheit der Arbeit" st ri t t 1 9 2). Frankreich hinkt langsam hinter England her. Es bedarf der Februarre- volution zur Geburt des Zwölfstundengesetzes 1 9 3), das viel mangel||264|haf- ter ist als sein englisches Original. Trotzdem macht die französische revo- 10 lutionäre Methode auch ihre eigenthümlichen Vorzüge geltend. Mit einem Schlag diktirt sie allen Ateliers und Fabriken ohne Unterschied dieselbe Schranke des Arbeitstags, während die englische Gesetzgebung bald an diesem Punkt, bald an jenem, dem Druck der Verhältnisse widerwillig weicht und auf dem besten Weg ist, einen neuen juristischen Rattenkönig 15 auszubrüten 1 9 4). Andrerseits proklamirt das französische Gesetz principiell, 25 gung. Selbst in seinen Kohlengruben und Metallminen werden Arbeiter beider Geschlechter und von jeder Altersstufe mit vollkommner „Freiheit" für jede Zeitdauer und Zeitperiode konsumirt. Auf je 1000 darin beschäftigten Personen kommen 733 Männer, 83 Weiber, 135 Jungen und 49 Mädchen unter 16 Jahren; in den Hochöfen u. s.w. kommen auf je 1000 20 668 Männer, 149 Weiber, 98 Jungen und 85 Mädchen unter 16 Jahren. Kommt nun noch hinzu niedriger Arbeitslohn für enorme Ausbeutung reifer und unreifer Arbeitskräfte, im Ta- gesdurchschnitt 2 sh. 8 d. für Männer, 1 sh. 8 d. für Weiber, 1 sh. 2½ d. für Jungen. Dafür hat Belgien aber auch 1863, verglichen mit 1850, Quantum und Werth seiner Ausfuhr von Koh- len, Eisen u. s. w. ziemlich verdoppelt. 1 9 1 ) Als Robert Owen kurz nach dem ersten Decennium dieses Jahrhunderts die Nothwendig- keit einer Beschränkung des Arbeitstags nicht nur theoretisch vertrat, sondern den Zehnstun- dentag wirklich in seine Fabrik zu New-Lanark einführte, ward das als kommunistische Uto- pie verlacht, ganz so wie seine „Verbindung von produktiver Arbeit mit Erziehung der Kin- der", ganz wie die von ihm ins Leben gerufenen Kooperationsgeschäfte der Arbeiter. Heutzu- 30 tage ist die erste Utopie Fabrikgesetz, die zweite figurirt als officielle Phrase in allen ,,Factory Acts", und die dritte dient sogar schon zum Deckmantel reaktionärer Schwindeleien. 1 9 2 ) Ure fzs. Uebers. „Philosophie des Manufactures. Paris 1836", t.II, p.39, 40, 67, 77 etc. 1 9 3 ) In dem Compte Rendu des „Internationalen Statistischen Kongresses zu Paris, 1855", heißt es u. a.: „Das französische Gesetz, das die Dauer der täglichen Arbeit in Farbriken und 35 Werkstätten auf 12 Stunden beschränkt, begrenzt diese Arbeit nicht innerhalb bestimmter fi- xer Stunden (Zeitperioden), indem nur für die Kinderarbeit die Periode zwischen 5 Uhr Vor- mittags und 9 Uhr Abends vorgeschrieben ist. Daher bedient sich ein Theil der Fabrikanten des Rechts, welches ihnen dieß verhängnisvolle Schweigen gibt, um Tag aus, Tag ein, viel- leicht mit Ausnahme der Sonntage, ohne Unterbrechung arbeiten zu lassen. Sie wenden dazu 40 zwei verschiedne Arbeiterreihen an, von denen keine mehr als 12 Stunden in der Werkstätte zubringt, aber das Werk des Etablissements dauert Tag und Nacht. Das Gesetz ist befriedigt, aber ist es die Humanität ebenfalls?" Außer dem „zerstörenden Einfluß der Nachtarbeit auf den menschlichen Organismus", wird auch „der fatale Einfluß der nächtlichen Association beider Geschlechter in denselben trüb erleuchteten Werkstätten" betont. 1 9 4 ) „Z.B. in meinem Distrikt, in denselben Fabrikbaulichkeiten, ist derselbe Fabrikant Blei- cher und Färber unter dem „Bleicherei- und Färberei-Akt", Drucker unter dem „Printworks' Act" und finisher unter dem „Fabrikakt" ... (Report of Mr. Baker in „Reports etc. for 31st Oct. 45 270 Achtes Kapitel • Der Arbeitstag was in England nur im Namen von Kindern, Unmündigen und Frauenzim- mern erkämpft und erst neuerdings als allgemeines Recht beansprucht wird 1 9 5). In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Ar- 5 beiterbewegung gelähmt, so lange die Sklaverei einen Theil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emancipiren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Skla- verei entsproß sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bür- gerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der 10 Lokomotive vom atlantischen bis zum stillen Ocean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien. Der allgemeine Arbeiterkongreß zu Bal- timore (Aug. 1866) erklärt: „Das erste und große Erheischniß der Gegen- wart, um die Arbeit dieses Landes von der kapitalistischen Sklaverei zu be- ist der Erlaß eines Gesetzes, wodurch 8 Stunden den freien, 15 Normal-Arbeitstag in allen Staaten der amerikanischen Union bilden sol- len. Wir sind entschlossen, alle ||265| unsre Macht aufzubieten, bis dieß glorreiche Resultat erreicht i s t " 1 9 6 ) . Gleichzeitig (Anfang September 1866) beschloß der „Internationale Arbeiterkongreß" zu Genf auf Vorschlag des Londoner Generalraths: „Wir erklären die Beschränkung des Arbeitstags für eine vorläufige Bedingung, ohne welche alle andren Bestrebungen nach Emancipation scheitern müssen ... Wir schlagen 8 Arbeitsstunden als le- gale Schranke des Arbeitstags vor." 20 So besiegelt die auf beiden Seiten des atlantischen Meers instinktiv aus den Produktionsverhältnissen selbst erwachsne Arbeiterbewegung den Aus- 25 spruch des englischen Fabrikinspektors R. J. Saunders: „Weitere Schritte zur Reform der Gesellschaft sind niemals mit irgend einer Aussicht auf Er- folg durchzuführen, wenn nicht zuvor der Arbeitstag beschränkt und seine vorgeschriebne Schranke strikt erzwungen wird" 1 9 7). 30 35 40 1861", p. 20.) Nach Aufzählung der verschiednen Bestimmungen dieser Akte und der daher folgenden Komplikation, sagt Herr Baker: „Man sieht, wie schwer es sein muß, die Vollzie- hung dieser 3 Parlamentsakte zu sichern, wenn der Fabrikeigner das Gesetz zu umgehn be- liebt." Was aber den Herrn Juristen dadurch gesichert ist, sind Processe. 1 9 5 ) So getrauen sich endlich die Fabrikinspektoren zu sagen: "These objections (des Kapitals gegen legale Beschränkung der Arbeitszeit) must succumb before the broad principle of the rights of labour ... there is a time when the master's right in his workman's labour ceases and his time becomes his own, even if there was no exhaustion in the question." („Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 54.) 1 9 6 ) „Wir, die Arbeiter von Dunkirk, erklären, daß die unter dem jetzigen System erheischte Länge der Arbeitszeit zu groß ist und dem Arbeiter keine Zeit für Erholung und Entwicklung läßt, ihn vielmehr auf einen Zustand der Knechtschaft herabdrückt, der wenig besser als die Sklaverei ist („a condition of servitude but little better than slavery"). Deshalb beschlossen, daß 8 Stunden für einen Arbeitstag genügen und legal als genügend anerkannt werden müs- sen; daß wir zu unsrem Beistand die Presse anrufen, den gewaltigen Hebel ... und alle, die diesen Beistand versagen, als Feinde der Arbeitsreform und Arbeiterrechte betrachten." (Be- 45 Schlüsse der Arbeiter zu Dunkirk, Staat New-York, 1866.) 1 9 7 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1848", p. 112. 271 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts Man muß gestehn, daß unser Arbeiter anders aus dem Produktionspro- ceß herauskommt, als er in ihn eintrat. Au f dem Markt trat er als Besitzer der Waare „Arbeitskraft" andren Waarenbesitzern gegenüber, Waarenbe- sitzer dem Waarenbesitzer. Der Kontrakt, wodurch er dem Kapitalisten seine Arbeitskraft verkaufte, bewies so zu sagen schwarz auf weiß, daß er 5 frei über sich selbst verfügt. Nach geschlossenem Handel wird entdeckt, daß er „kein freier Agent " war, daß die Zeit, wofür es ihm freisteht, seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Zeit ist, wofür er gezwungen ist, sie zu ver- kaufen 1 9 8), daß in der That sein Sauger nicht losläßt, „so lange noch ein Muskel, eine Sehne, ein Tropfen ||266| Bluts auszubeuten" 1 9 9). Zum 10 „Schutz" gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermäch- tiges gesellschaftliches Hinderniß, das sie selbst verhindert, durch freiwilli- gen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklave- rei zu verkaufen 2 0 0). An die Stelle des prunkvollen Katalogs der 15 „unveräußerlichen Menschenrechte" tritt die bescheidne Magna Charta eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die „endlich klar macht, wann die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet, und wann die ihm selbst gehörige Zeit b e g i n n t " 2 0 1 ) . Quantum mutatus ab ilio! 1 9 8 ) "These proceedings ( die Manöver des Kapitals z.B. 1848-50) have afforded, moreover, 20 incontrovertible proof of the fallacy of the assertion so often advanced, that operatives need no protection, but may be considered as free agents in the disposal of the only property they possess, the labour of their hands, and the sweat of their brows." („Reports etc. for 30th April 1850", p. 45.) "Free Labour, if so it may be termed, even in a free country requires the strong arm of the law to protect it." („Reports etc. for 31st Oct. 1864", p. 34.) "To permit, which is 25 tantamount to compelling ... to work 14 hours a day with or without meals etc." („Reports etc. for 30th April 1863", p. 40.) 1 9 9 ) Friedrich Engels, „Die englische Zehnstundenbill", p. 5. 2 0°) Die Zehnstundenbill hat in den ihr unterworfnen Industriezweigen „die Arbeiter vor gänzlicher Degeneration gerettet und ihren physischen Zustand beschützt." („Reports etc. for 30 31st Oct. 1859", p. 47.) „Das Kapital (in den Fabriken) kann niemals die Maschinerie in Be- wegung halten über eine begrenzte Zeitperiode, ohne die beschäftigten Arbeiter an ihrer Ge- sundheit und ihrer Moral zu beschädigen; und sie sind nicht in einer Lage, sich selbst zu schützen." (I.e. p.8.) 2 0 1 ) "A still greater boon is, the distinction at last made clear between the worker's own time 35 and his master's. The worker knows now when that which he sells is ended, and when his own begins, and by possessing a sure foreknowledge of this, is enabled to pre-arrange his own min- utes for his own purposes." (1. c. p. 52.) "By making them masters of their own time, they (die Fabrikgesetze) have given them a moral energy which is directing them to the eventual posses- sion of political power." (1. c. p. 47.) Mit verhaltner Ironie und in sehr vorsichtigen Ausdrücken 40 deuten die Fabrikinspektoren an, daß das jetzige Zehnstundengesetz auch den Kapitalisten einigermaßen von seiner naturwüchsigen Brutalität als bloßer Verkörperung des Kapitals be- freit und ihm Zeit zu einiger „Bildung" gegeben habe. Vorher "the master had no time for anything but money: the servant had no time for anything but labour". (I.e. p.48.) 272 Neuntes Kapitel • Rate und Masse des Mehrwerts N E U N T E S K A P I T E L . Rate und Masse des Mehrwerths. Wie bisher, wird in diesem Kapitel der Werth der Arbeitskraft, also der zur Reproduktion oder Erhaltung der Arbeitskraft nothwendige Theil des Ar- 5 beitstags, als gegebne, konstante Größe unterstellt. Dieß also vorausgesetzt, ist mit der Rate zugleich die Masse des Mehr- werths gegeben, die der einzelne Arbeiter dem Kapitalisten in bestimmter Zeitperiode liefert. Beträgt z.B. die noth||267|wendige Arbeit täglich 6 Stunden, ausgedrückt in einem Goldquantum von 3 sh. = 1 Thaler, so ist 10 der Thaler der Tageswerth einer Arbeitskraft, oder der im Ankauf einer Ar- beitskraft vorgeschoßne Kapitalwerth. Ist ferner die Rate des Mehrwerths 100 %, so producirt dieß variable Kapital von 1 Thaler eine Masse Mehr- werth von 1 Thaler, oder der Arbeiter liefert täglich eine Masse Mehrarbeit von 6 Stunden. 15 Das variable Kapital ist aber der Geldausdruck für den Gesammtwerth aller Arbeitskräfte, die der Kapitalist gleichzeitig verwendet. Sein Werth ist also gleich dem Durchschnittswerth einer Arbeitskraft, multiplicirt mit der Anzahl der verwandten Arbeitskräfte. Bei gegebnem Werth der Arbeitskraft steht also die Größe des variablen Kapitals in direktem Verhältniß zur An- 20 zahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter. Ist der Tageswerth einer Ar- beitskraft = 1 Thaler, so ist also ein Kapital vorzuschießen von 100 Th., um 100, von η Th., um η Arbeitskräfte täglich zu exploitiren. 25 Ebenso: Producirt ein variables Kapital von 1 Thaler, der Tageswerth einer Arbeitskraft, einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler, so ein variab- les Kapital von 100 Thalern einen täglichen Mehrwerth von 100, und eins von η Thalern einen täglichen Mehrwerth von 1 Thaler x n. Die Masse des producirten Mehrwerths ist also gleich dem Mehrwerth, den der Arbeitstag des einzelnen Arbeiters liefert, multiplicirt mit der Anzahl der angewand- ten Arbeiter. Da aber ferner die Masse Mehrwerth, die der einzelne Arbei- ter producirt, bei gegebnem Werth der Arbeitskraft, durch die Rate des Mehrwerths bestimmt ist, so folgt dieß erste Gesetz: Die Masse des produ- cirten Mehrwerths ist gleich der Größe des vorgeschoßnen variablen Kapi- tals multiplicirt mit der Rate des Mehrwerths oder ist bestimmt durch das zusammengesetzte Verhältniß zwischen der Anzahl der von demselben Ka- 35 pitalisten gleichzeitig exploitirten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad 30 der einzelnen Arbeitskraft. Nennen wir also die Masse des Mehrwerths M, den vom einzelnen Ar- beiter im Tagesdurchschnitt gelieferten Mehrwerth m, das im Ankauf der 273 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts einzelnen Arbeitskraft täglich vorgeschoßne variable Kapital v, die Ge- sammtsumme des variablen Kapitals V 5 den Werth einer Durchschnitts-Ar- ,. ihren Exploitationsgrad (cid:2) ( Nothwendige ^ J ™ d die beitskraft k, Mehrarbeit Λ a' I « . \ , . Anzahl der angewandten Arbeiter n, so erhalten wir: | |268| M = V ι a' k X — X n. a Es wird fortwährend unterstellt, nicht nur daß der Werth einer Durch- schnitts-Arbeitskraft konstant ist, sondern daß die von einem Kapitalisten angewandten Arbeiter auf Durchschnitts-Arbeiter reducirt sind. Es giebt 10 Ausnahmefälle, wo der producirte Mehrwerth nicht verhältnißmäßig zur Anzahl der exploitirten Arbeiter wächst, aber dann bleibt auch der Werth der Arbeitskraft nicht konstant. In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwerth kann daher die Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des andren ersetzt werden. 15 Wird das variable Kapital vermindert und gleichzeitig in demselben Ver- hältniß die Rate des Mehrwerths erhöht, so bleibt die Masse des producir- ten Mehrwerths unverändert. Muß unter den frühern Annahmen der Kapi- talist 100 Thaler vorschießen, um 100 Arbeiter täglich zu exploitiren, und beträgt die Rate des Mehrwerths 50 %, so wirft dieß variable Kapital von 20 100 einen Mehrwerth von 50 Th. ab, oder von 100 x 3 Arbeitsstunden. Wird die Rate des Mehrwerths verdoppelt, oder der Arbeitstag, statt von 6 zu 9, von 6 zu 12 Stunden verlängert, so wirft das um die Hälfte vermin- derte variable Kapital von 50 Thalern ebenfalls einen Mehrwerth von 50 Thalern ab oder von 50 x 6 Arbeitsstunden. Verminderung des varia- 25 bien Kapitals ist also ausgleichbar durch proportioneile Erhöhung im Ex- ploitationsgrad der Arbeitskraft, oder die Abnahme in der Anzahl der be- schäftigten Arbeiter durch proportionelle Verlängerung des Arbeitstags. Innerhalb gewisser Grenzen wird die vom Kapital erpreßbare Zufuhr der Arbeit also unabhängig von der Arbeiterzufuhr 2 0 2). Umgekehrt läßt Ab- 30 nähme in der Rate des Mehrwerths die Masse des producirten Mehrwerths unverändert, wenn proportionell die Größe des variablen Kapitals oder die Anzahl der beschäftigten Arbeiter wächst. Indeß hat der Ersatz von Arbeiteranzahi oder Größe des variablen Kapi- 2 0 2 ) Dieß Elementargesetz scheint den Herren von der Vulgärökonomie unbekannt, die, um- 35 gekehrte Archimedes, in der Bestimmung der Marktpreise der Arbeit durch Nachfrage und Zufuhr den Punkt gefunden zu haben glauben, nicht um die Welt aus den Angeln zu heben, sondern um sie stillzusetzen. 274 Neuntes Kapitel • Rate und Masse des Mehrwerts 5 10 tals durch gesteigerte Rate des Mehrwerths oder Verlängerung des Arbeits- tags unüberspringbare Schranken. Welches ||269| immer der Werth der Ar- beitskraft sei, ob daher die zur Erhaltung des Arbeiters nothwendige Arbeitszeit 2 oder 10 Stunden betrage, der Gesammtwerth, den ein Arbei- ter, Tag aus, Tag ein, produciren kann, ist immer kleiner als der Werth, worin sich 24 Arbeitsstunden vergegenständlichen, kleiner als 12 sh. oder 4 Thaler, wenn dieß der Geldausdruck von 24 vergegenständlichten Ar- beitsstunden. Unter unsrer frühern Annahme, wonach täglich 6 Arbeits- stunden erheischt, um die Arbeitskraft selbst zu reproduciren oder den in ihrem Ankauf vorgeschoßnen Kapitalwerth zu ersetzen, producirt ein variables Kapital von 500 Thalern, das 500 Arbeiter zur Mehrwerthsrate von 100% oder mit zwölfstündigem Arbeitstag verwendet, täglich einen Mehrwerth von 500 Thalern oder 6 x 500 Arbeitsstunden. Ein Kapital von 100 Thalern, das 100 Arbeiter täglich verwendet zur Mehrwerthsrate von 15 2 0 0 % oder mit 18stündigem Arbeitstag, producirt nur eine Mehrwerths- masse von 200 Thalern oder 12 x 100 Arbeitsstunden. Und sein gesammtes Werthprodukt, Aequivalent des vorgeschoßnen variablen Kapitals plus Mehrwerth, kann Tag aus, Tag ein, niemals die Summe von 400 Thalern oder 24 x 100 Arbeitsstunden erreichen. Die absolute Schranke des durch- schnittlichen Arbeitstags, der von Natur immer kleiner ist als 24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerths, oder von verringerter ex- ploitirten Arbeiteranzahl durch erhöhten Exploitationsgrad der Arbeits- kraft. Dieß handgreifliche zweite Gesetz ist wichtig zur Erklärung vieler Er- scheinungen, entspringend aus der später zu entwickelnden Tendenz des Kapitals, die von ihm beschäftigte Arbeiteranzahl oder seinen variablen in Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheil so viel als immer möglich zu reduci- ren, im Widerspruch zu seiner andren Tendenz, die möglichst große Masse von Mehrwerth zu produciren. Umgekehrt. Wächst die Masse der verwand- ten Arbeitskräfte, oder die Größe des variablen Kapitals, aber nicht verhält- nißmäßig zur Abnahme in der Rate des Mehrwerths, so sinkt die Masse des producirten Mehrwerths. 20 30 25 Ein drittes Gesetz ergiebt sich aus der Bestimmung der Masse des pro- ducirten Mehrwerths durch die zwei Faktoren, Rate des Mehrwerths und 35 Größe des vorgeschoßnen variablen Kapitals. Die Rate des Mehrwerths oder den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, und den Werth der Arbeits- kraft oder die Größe der nothwendigen Arbeitszeit gegeben, ist es selbst- verständlich, daß, je größer das variable Kapital, desto größer die Masse des produ||270|cirten Werths und Mehrwerths. Ist die Grenze des Arbeits- tags gegeben, ebenso die Grenze seines nothwendigen Bestandtheils, so hängt die Masse von Werth und Mehrwerth, die ein einzelner Kapitalist 40 275 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 producirt, offenbar ausschließlich ab von der Masse Arbeit, die er in Bewe- gung setzt. Diese aber hängt, unter den gegebnen Annahmen, ab von der Masse Arbeitskraft oder der Arbeiteranzahl, die er exploitirt, und diese An- zahl ihrerseits ist bestimmt durch die Größe des von ihm vorgeschoßnen variablen Kapitals. Bei gegebner Rate des Mehrwerths und gegebnem Werth der Arbeitskraft verhalten sich also die Massen des producirten Mehrwerths direkt wie die Größen der vorgeschoßnen variablen Kapitale. Nun weiß man aber, daß der Kapitalist sein Kapital in zwei Theile theilt. Einen Theil legt er aus in Produktionsmitteln. Dieß ist der konstante Theil seines Kapitals. Den andren Theil setzt er um in lebendige Arbeitskraft. 10 Dieser Theil bildet sein variables Kapital. Auf Basis derselben Produk- tionsweise findet in verschiednen Produktionszweigen verschiedne Thei- lung des Kapitals in konstanten und variablen Bestandtheil statt. Innerhalb desselben Produktionszweigs wechselt dieß Verhältniß mit wechselnder technischer Grundlage und gesellschaftlicher Kombination des Produc- 15 tionsprocesses. Wie aber ein gegebnes Kapital immer zerfalle in konstan- ten und variablen Bestandtheil, ob der letztre sich zum erstren verhalte wie 1:2, 1:10, oder l:x, das eben aufgestellte Gesetz wird nicht davon berührt, da früherer Analyse gemäß der Werth des konstanten Kapitals im Produk- tenwerth zwar wiedererscheint, aber nicht in das neugebildete Werthpro- 20 dukt eingeht. Um 1000 Spinner zu verwenden, sind natürlich mehr Roh- materialien, Spindeln u. s. w. erheischt, als um 100 zu verwenden. Der Werth dieser zuzusetzenden Produktionsmittel aber mag steigen, fallen, unverändert bleiben, groß oder klein sein, er bleibt ohne irgend einen Ein- fluß auf den Verwerthungsproceß der sie bewegenden Arbeitskräfte. Das 25 oben konstatirte Gesetz nimmt also die Form an: Die von verschiednen Kapitalen producirten Massen von Werth und Mehrwerth verhalten sich bei gegebnem Werth und gleich großem Exploitationsgrad der Arbeitskraft direkt wie die Größen der variablen Bestandtheile dieser Kapitale, d. h. ihrer in lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheile. 30 Dieß Gesetz wiederspricht offenbar aller auf den Augenschein gegründe- ten Erfahrung. Jedermann weiß, daß ein Baumwollspinner, der, die Pro- centtheile des angewandten Gesammtkapitals berechnet, ||271| relativ viel konstantes und wenig variables Kapital anwendet, deßwegen keinen klein- ren Gewinn oder Mehrwerth erbeutet als ein Bäcker, der relativ viel varia- 35 bles und wenig konstantes Kapital in Bewegung setzt. Zur Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder, wie es vom Standpunkt der elementaren Algebra vieler Mittelglieder bedarf, um zu verstehn, daß -jj- eine wirkliche Größe darstellen kann. Obgleich sie das Gesetz nie formulirt hat, hängt die klassische Oekonomie instinktiv daran 40 276 Neuntes Kapitel • Rate und Masse des Mehrwerts fest, weil es eine nothwendige Konsequenz des Werthgesetzes überhaupt ist. Sie sucht es durch gewaltsame Abstraktion vor den Widersprüchen der Erscheinung zu retten. Man wird später 2 0 3) sehn, wie die Ricardo'sche Schule an diesem Stein des Anstoßes gestolpert ist. Die Vulgärökonomie, 5 die „wirklich auch nichts gelernt hat", pocht hier, wie überall, auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt im Gegensatz zu Spi- noza, daß „die Unwissenheit ein hinreichender Grund ist". Die Arbeit, die vom Gesammtkapital einer Gesellschaft Tag aus, Tag ein, in Bewegung gesetzt wird, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet 10 werden. Ist z . B . die Zahl der Arbeiter eine Million und beträgt der Durch- schnittsarbeitstag eines Arbeiters 10 Stunden, so besteht der gesellschaftli- che Arbeitstag aus 10 Millionen Stunden. Bei gegebner Länge dieses Ar- beitstags, seien seine Grenzen physisch oder social gezogen, kann die Masse des Mehrwerths nur vermehrt werden durch Vermehrung der Arbei- teranzahl, d.h. der Arbeiterbevölkerung. Das Wachsthum der Bevölkrung bildet hier die mathematische Grenze für Produktion des Mehrwerths durch das gesellschaftliche Gesammtkapital. Umgekehrt. Bei gegebner Größe der Bevölkrung wird diese Grenze gebildet durch die mögliche Ver- längerung des Arbeitstags 2 0 4). Man wird im folgenden Kapitel sehn, daß 15 20 dieß Gesetz nur für die bisher behandelte Form des Mehrwerths gilt. Aus der bisherigen Betrachtung der Produktion des Mehrwerths ergibt sich, daß nicht jede beliebige Geld- oder Werthsumme in Kapital verwan- delbar, zu dieser Verwandlung vielmehr ein be||272|stimmtes Minimum von Geld oder Tauschwerth in der Hand des einzelnen Geld- oder Waaren- 25 besitzers vorausgesetzt ist. Das Minimum von variablem Kapital ist der Kostenpreis einer einzelnen Arbeitskraft, die das ganze Jahr durch, Tag aus, Tag ein, zur Gewinnung von Mehrwerth vernutzt wird. Wäre dieser Arbeiter im Besitz seiner eignen Produktionsmittel und begnügte er sich, als Arbeiter zu leben, so genügte ihm die zur Reproduktion seiner Lebens- 30 mittel nothwendige Arbeitszeit, sage von 8 Stunden täglich. Er brauchte also auch nur Produktionsmittel für 8 Arbeitsstunden. Der Kapitalist dage- gen, der ihn außer diesen 8 Stunden sage 4 Stunden Mehrarbeit verrichten läßt, bedarf einer zusätzlichen Geldsumme zur Beschaffung der zusätzli- chen Produktionsmittel. Unter unsrer Annahme jedoch müßte er schon zwei Arbeiter anwenden, um von dem täglich angeeigneten Mehrwerth wie ein Arbeiter leben, d. h. seine nothwendigen Bedürfnisse befriedigen zu 35 2 0 3 ) Näheres darüber im „Vierten Buch". 2 0 4 ) "The labour, that is the economic time of society, is a given portion, say ten hours a day of a million of people or ten million hours.... Capital has its boundary of increase. The bound- ary may, at any given period, be attained in the actual extent of economic time employed." („An Essay on the Political Economy of Nations. London 1821", p. 47, 49.) 40 277 Dritter Abschnitt · Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 können. In diesem Fall wäre bloßer Lebensunterhalt der Zweck seiner Pro- duktion, nicht Vermehrung des Reichthums, und das letztre ist unterstellt bei der kapitalistischen Produktion. Damit er nur doppelt so gut lebe wie ein gewöhnlicher Arbeiter, und die Hälfte des producirten Mehrwerths in Kapital zurückverwandle, müßte er zugleich mit der Arbeiterzahl das Mi- nimum des vorgeschoßnen Kapitals um das Achtfache steigern. Allerdings kann er selbst, gleich seinem Arbeiter, unmittelbar Hand im Produktions- processe anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding zwischen Kapita- list und Arbeiter, ein „kleiner Meister". Ein gewisser Höhegrad der kapita- listischen Produktion bedingt, daß der Kapitalist die ganze Zeit, während 10 deren er als Kapitalist, d. h. als personificirtes Kapital funktionirt, zur An- eignung und daher Kontrole fremder Arbeit und zum Verkauf der Pro- dukte dieser Arbeit verwenden könne 2 0 5). Die Verwandlung des Hand- werksmeisters in den Kapitalisten suchte das Zunftwesen des Mittelalters dadurch gewaltsam ||273| zu verhindern, daß es die Arbeiteranzahl, die ein 15 einzelner Meister beschäftigen durfte, auf ein sehr geringes Maximum be- schränkte. Der Geld- oder Waarenbesitzer verwandelt sich erst wirklich in einen Kapitalisten, wo die für die Produktion vorgeschoßne Minimal- summe weit über dem mittelaltrigen Maximum steht. Hier, wie in der Na- turwissenschaft, bewährt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner Logik 20 entdeckten Gesetzes, daß bloß quantitative Verändrungen auf einem ge- wissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen 2 0 5 a ) . 205) « J j 1 6 f a r m e r cannot rely on his own labour; and if he does, I will maintain that he is a loser by it. His employement should be, a general attention to the whole: his thrasher must be watched, or he will soon lose his wages in corn not thrashed out; his mowers, reapers etc. must 25 be looked after; he must constantly go round his fences; he must see there is no neglect; which would be the case if he was confined to any one spot." „An Enquiry into the Connection be- tween the Price of Provisions, and the Size of Farms etc. By a Farmer. London 1773", p. 12. Diese Schrift ist sehr interessant. Man kann darin die Genesis des ,,capitalist farmer" oder ,,merchant farmer", wie er ausdrücklich genannt wird, studiren und seiner Selbstverherrli- chung gegenüber dem ,,small farmer", dem es wesentlich um die Subsistenz zu thun ist, zuhö- ren. „Die Kapitalistenklasse wird zuerst theilweise und schließlich ganz und gar entbunden von der Nothwendigkeit der Handarbeit." (Textbook of Lectures on the Polit. Economy of Na- tions. By the Rev. Richard Jones. Herford 1852. Lecture III, p. 39.) 2 0 5 a ) Die in der modernen Chemie angewandte, von Laurent und Gerhardt zuerst wissen- 35 schaftlich entwickelte Molekulartheorie beruht auf keinem andren Gesetze. (Zusatz zur 3. Ausg.) - Wir bemerken zur Erklärung dieser für den Nichtchemiker ziemlich dunklen An- merkung, daß der Verfasser hier von den von C.Gerhardt 1843 zuerst so benannten „homolo- gen Reihen" von Kohlenwasserstoffverbindungen spricht, von denen jede eine eigne algebra- ische Zusammensetzungsformel hat. So die Reihe der Paraffine: Cn, H 2 n + 2; die der normalen 40 Alkohole: Cn, H 2 n + 2, O; die der normalen fetten Säuren C n, H 2 n, O2 und viele andre. In obigen Beispielen wird durch einfachen quantitativen Zusatz von CH2 zur Molekularformel jedesmal ein qualitativ verschiedner Körper gebildet. Ueber die, von Marx überschätzte, Theilnahme Laurent's und Gerhardt's an der Feststellung dieser wichtigen Thatsache vgl. Kopp, „Entwick- lung der Chemie, München 1873", S.709 und 716, und Schorlemmer, ,,Rise and Development 45 of Organic Chemistry, London 1879", p. 54. - F. E. 30 278 Neuntes Kapitel · Rate und Masse des Mehrwerts Das Minimum der Werthsumme, worüber der einzelne Geld- oder Waa- renbesitzer verfügen muß, um sich in einen Kapitalisten zu entpuppen, wechselt auf verschiednen Entwicklungsstufen der kapitalistischen Produk- tion und ist, bei gegebner Entwicklungsstufe, verschieden in verschiednen 5 Produktionssphären, je nach ihren besondren technischen Bedingungen. Gewisse Produktionssphären erheischen schon in den Anfängen der kapi- talistischen Produktion ein Minimum von Kapital, das sich noch nicht in der Hand einzelner Individuen vorfindet. Dieß veranlaßt theils Staatssubsi- dien an solche Private, wie in Frankreich zur Zeit Colbert's und wie in 10 manchen deutschen Staaten bis in unsre Epoche hinein, theils die Bildung von Gesellschaften mit gesetzlichem Monopol für den Betrieb gewisser In- dustrie- und Handelszweige 2 0 6), - die Vorläufer der modernen Aktienge- sellschaften. Wir halten uns nicht beim Detail der Verändrungen auf, die das Verhält- 15 niß von Kapitalist und Lohnarbeiter im Verlaufe des ||274| Produktionspro- cesses erfuhr, also auch nicht bei den weitren Fortbestimmungen des Kapi- tals selbst. Nur wenige Hauptpunkte seien hier betont. Innerhalb des Produktionsprocesses entwickelte sich das Kapital zum Kommando über die Arbeit, d. h. über die sich bethätigende Arbeitskraft 20 oder den Arbeiter selbst. Das personificirte Kapital, der Kapitalist, paßt auf, daß der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit dem gehörigen Grad von Intensität verrichte. 25 Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangs verhältniß, welches die Arbeiterklasse nöthigt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis ihrer eignen Lebensbedürfnisse vorschrieb. Und als Producent fremder Ar- beitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Exploiteur von Arbeits- kraft übergipfelt es an Energie, Maßlosigkeit und Wirksamkeit alle frühern auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme. Das Kapital ordnet sich zunächst die Arbeit unter mit den technischen 30 Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es verändert daher nicht unmittelbar die Produktionsweise. Die Produktion von Mehrwerth in der bisher betrachteten Form, durch einfache Verlängrung des Arbeitstags, er- schien daher von jedem Wechsel der Produktionsweise selbst unabhängig. Sie war in der altmodischen Bäckerei nicht minder wirksam als in der mo- 35 dernen Baumwollspinnerei. Betrachteten wir den Produktionsproceß unter dem Gesichtspunkt des Arbeitsprocesses, so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln nicht als Kapital, sondern als bloßem Mittel und Material seiner zweckmä- ßigen produktiven Thätigkeit. In einer Gerberei z.B. behandelt er die Felle 2 0 6 ) „Die Gesellschaft Monopolia" nennt Martin Luther derartige Institute. 40 279 Dritter Abschnitt • Die Produktion des absoluten Mehrwerts 5 als seinen bloßen Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist, dem er das Fell gerbt. Anders, sobald wir den Produktionsproceß unter dem Gesichts- punkt des Verwerthungsprocesses betrachteten. Die Produktionsmittel ver- wandelten sich sofort in Mittel zur Einsaugung fremder Arbeit. Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoff- liche Elemente seiner produktiven Thätigkeit verzehrt zu werden, verzeh- ren sie ihn als Ferment ihres eignen Lebensprocesses, und der Lebenspro- ceß des Kapitals besteht nur in seiner Bewegung als sich selbst verwerthender Werth. Schmelzöfen und Arbeitsgebäude, die des Nachts 10 ruhn und keine lebendige Arbeit einsaugen, sind „reiner Verlust" (,,mere loss") für den Kapitalisten. Darum konstituiren Schmelzöfen und ||275| Ar- beitsgebäude einen „Anspruch auf die Nachtarbeit" der Arbeitskräfte. Die bloße Verwandlung des Geldes in gegenständliche Faktoren des Produk- tionsprocesses in Produktionsmittel, verwandelt letztre in Rechtstitel und 15 Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit. Wie diese der kapitalisti- schen Produktion eigenthümliche und sie charakterisirende Verkehrung, ja Verrückung des Verhältnisses von todter und lebendiger Arbeit, von Werth und werthschöpferischer Kraft, sich im Bewußtsein der Kapitalistenköpfe abspiegelt, zeige schließlich noch ein Beispiel. Während der englischen Fa- 20 brikantenrevolte von 1 8 4 8 - 5 0 schrieb „der Chef der Leinen- und Baum- wollspinnerei zu Paisley, einer der ältesten und respektabelsten Firmen von Westschottland, der Kompagnie Carlile, Söhne und Co., die seit 1752 besteht und Generation nach Generation von derselben Familie geführt wird", - dieser äußerst intelligente Gentleman also schrieb in die „Glas- 25 gow Daily Mail" vom 25. April 1849 einen B r i e f 2 0 7 ) unter dem Titel: „Das Relaissystem", worin u. a. folgende grotesk naive Stelle unterläuft: „Laßt uns nun die Uebel betrachten, die aus einer Reduktion der Arbeitszeit von 12 auf 10 Stunden fließen .... Sie ,belaufen' sich auf die allerernsthafteste Beschädigung der Aussichten und des Eigenthums des Fabrikanten. Arbei- 30 tete er (d. h. seine „Hände") 12 Stunden und wird er auf 10 beschränkt, dann schrumpfen je 12 Maschinen oder Spindeln seines Etablissements auf 10 zusammen (,,then every 12 machines or spindles, in his establish- ment, shrink to 10"), und wollte er seine Fabrik verkaufen, so würden sie nur als 10 gewerthschätzt werden, so daß so ein sechster Theil vom Werth 35 einer jeden Fabrik im ganzen Lande abgezogen würde" 2 0 8). 2 0 7 ) „Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1849", p. 59. 2 0 8 ) I.e. p.60. Fabrikinspektor Stuart, selbst Schotte, und im Gegensatz zu den englischen Fa- brikinspektoren ganz in kapitalistischer Denkart befangen, bemerkt ausdrücklich, dieser Brief, den er seinem Bericht einverleibt, „sei die allernützlichste Mittheilung, die irgend einer 40 der Fabrikanten, welche das Relaissystem anwenden, gemacht, und ganz besonders darauf be- rechnet, die Vorurtheile und Bedenken gegen jenes System zu beseitigen". 280 Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts Diesem erbangestammten Kapitalhirn von Westschottland verschwimmt der Werth der Produktionsmittel, Spindeln u.s.w., so sehr mit ihrer Kapi- taleigenschaft, sich selbst zu verwerthen, oder täglich ein bestimmtes Quantum fremder Gratisarbeit einzuschlucken, daß der Chef des Hauses 5 Carlile und Co. in der That wähnt, beim Verkauf seiner Fabrik werde ihm nicht nur der Werth der Spindeln gezahlt, sondern obendrein ihre Verwer- thung, nicht nur die Arbeit, die in ihnen steckt und zur Produktion von Spindeln ||276| derselben Art nöthig ist, sondern auch die Mehrarbeit, die sie täglich aus den braven Westschotten von Paisley auspumpen helfen, 10 und eben deßhalb, meint er, schrumpfe mit der Verkürzung des Arbeits- tags um zwei Stunden der Verkaufspreis von je 12 Spinnmaschinen auf den von je 10 zusammen! V I E R T E R A B S C H N I T T . Die Produktion des relativen Mehrwerths. 1 5 Z E H N T E S K A P I T E L . Begriff des relativen Mehrwerths. Der Theil des Arbeitstags, der bloß ein Aequivalent für den vom Kapital gezahlten Werth der Arbeitskraft producirt, galt uns bisher als konstante Größe, was er in der That ist unter gegebnen Produktionsbedingungen, auf 20 einer vorhandnen ökonomischen Entwicklungsstufe der Gesellschaft, l i e - ber diese seine nothwendige Arbeitszeit hinaus konnte der Arbeiter 2, 3, 4, 6 u.s.w. Stunden arbeiten. Von der Größe dieser Verlängrung hingen Rate des Mehrwerths und Größe des Arbeitstags ab. War die nothwendige Ar- beitszeit konstant, so dagegen der Gesammtarbeitstag variabel. Unterstelle jetzt einen Arbeitstag, dessen Größe und dessen Theilung in nothwendige b — c , Arbeit und Mehrarbeit gegeben sind. Die Linie a c, a stelle z . B . einen zwölfstündigen Arbeitstag vor, das Stück a b 10 Stunden nothwendige Arbeit, das Stück b c 2 Stunden Mehrarbeit. Wie kann nun die Produktion von Mehrwerth vergrößert, d. h. die Mehrarbeit verlängert 30 werden, ohne jede weitere Verlängrung oder unabhängig von jeder weiteren 25 Verlängrung von a c? Trotz gegebner Grenzen des Arbeitstags a c scheint b c verlängerbar, wenn nicht durch Ausdehnung über seinen Endpunkt c, der zugleich der 281 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Endpunkt des Arbeitstags a c ist, so durch Verschiebung seines Anfangs- punkts b in entgegengesetzter Richtung nach a hin. Nimm an, b '— b in a b ' — b — c sei gleich der Hälfte von bc oder gleich einer Arbeitsstunde. Wird nun in dem zwölfstündigen Arbeitstag a c der Punkt b nach b' verrückt, so dehnt sich b c aus zu b' c, die Mehrarbeit wächst um die Hälfte, von 2 auf 3 Stunden, obgleich der Arbeitstag nach wie vor nur 12 Stunden ||277| zählt. Diese Ausdehnung der Mehrarbeit von b c auf b' c, von 2 auf 3 Stunden, ist aber offenbar unmöglich ohne gleichzeitige Zu- sammenziehung der nothwendigen Arbeit von a b auf a b', von 10 auf 9 Stunden. Der Verlängrung der Mehrarbeit entspräche die Verkürzung der 10 nothwendigen Arbeit, oder ein Theil der Arbeitszeit, die der Arbeiter bis- her in der That für sich selbst verbraucht, verwandelt sich in Arbeitszeit für den Kapitalisten. Was verändert, wäre nicht die Länge des Arbeitstags, son- dern seine Theilung in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit. 5 Andrerseits ist die Größe der Mehrarbeit offenbar selbst gegeben mit ge- 15 gebner Größe des Arbeitstags und gegebnem Werth der Arbeitskraft. Der Werth der Arbeitskraft, d.h. die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit, bestimmt die zur Reproduktion ihres Werths nothwendige Arbeitszeit. Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von einem halben Shilling oder 6 d. dar, und beträgt der Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., so 20 muß der Arbeiter täglich 10 Stunden arbeiten, um den ihm vom Kapital gezahlten Tageswerth seiner Arbeitskraft zu ersetzen oder ein Aequivalent für den Werth seiner nothwendigen täglichen Lebensmittel zu produciren. Mit dem Werth dieser Lebensmittel ist der Werth seiner Arbeitskraft 1), mit dem Werth seiner Arbeitskraft ist die Größe seiner nothwendigen Arbeits- 25 zeit gegeben. Die Größe der Mehrarbeit aber wird erhalten durch Subtrak- tion der nothwendigen Arbeitszeit vom Gesammtarbeitstag. Zehn Stunden subtrahirt von zwölf lassen zwei, und es ist nicht abzusehn, wie die Mehr- arbeit unter den gegebnen Bedingungen über zwei Stunden hinaus verlän- gert werden kann. Allerdings mag der Kapitalist statt 5 sh. dem Arbeiter 30 nur 4 sh. 6 d. oder noch weniger zahlen. Zur Reproduktion dieses Werths von 4 sh. 6 d. würden 9 Arbeitsstunden genügen, von dem zwölfstündigen x) Der Werth des täglichen Durchschnittslohns ist bestimmt durch das, was der Arbeiter braucht „so as to live, labour, and generate". (William Petty: ,,Political Anatomy of Ireland" 1672, p. 64.) "The Price of Labour is always constituted of the price of necessaries." Der Arbei- ter erhält nicht den entsprechenden Lohn ,,whenever ... the labouring man's wages will not, suitably to his low rank and station, as a labouring man, support such a family as is often the lot of many of them to have". (J. Vanderlint I.e. p. 15.) «Le simple ouvrier, qui n'a que ses bras et son industrie, n'a rien qu'autant qu'il parvient à vendre à d'autres sa peine... En tout genre de travail il doit arriver et il arrive en effet, que le salaire de l'ouvrier se borne à ce qui lui est nécessaire pour lui procurer la subsistance.» (Turgot: ,,Réflexions" etc. Œuvres éd. Daire. t.I, p. 10.) "The price of the necessaries of life is, in fact, the cost of producing labour." (Malthus: ,,Inquiry into etc. Rent." Lond. 1815, p. 48 Note.) 282 Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts 10 Arbeitstag daher 3 statt ||278| 2 Stunden der Mehrarbeit anheimfallen und der Mehrwerth selbst von 1 sh. auf 1 sh. 6 d. steigen. Dieß Resultat wäre j e - doch nur erzielt durch Herabdrückung des Lohns des Arbeiters unter den Werth seiner Arbeitskraft. Mit den 4 sh. 6 d., die er in 9 Stunden producirt, 5 verfügt er über Y10 weniger Lebensmittel als vorher und so findet nur eine verkümmerte Reproduktion seiner Arbeitskraft statt. Die Mehrarbeit würde hier nur verlängert durch Ueberschreitung ihrer normalen Grenzen, ihre Domäne nur ausgedehnt durch usurpatorischen Abbruch von der Domäne der nothwendigen Arbeitszeit. Trotz der wichtigen Rolle, welche diese Me- thode in der wirklichen Bewegung des Arbeitslohnes spielt, ist sie hier aus- geschlossen durch die Voraussetzung, daß die Waaren, also auch die Ar- beitskraft, zu ihrem vollen Werth gekauft und verkauft werden. Dieß einmal unterstellt, kann die zur Produktion der Arbeitskraft oder zur Re- produktion ihres Werths nothwendige Arbeitszeit nicht abnehmen, weil 15 der Lohn des Arbeiters unter den Werth seiner Arbeitskraft, sondern nur wenn dieser Werth selbst sinkt. Bei gegebner Länge des Arbeitstags muß die Verlängrung der Mehrarbeit aus der Verkürzung der nothwendigen Ar- beitszeit entspringen, nicht umgekehrt die Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit aus der Verlängrung der Mehrarbeit. In unsrem Beispiel muß 20 der Werth der Arbeitskraft wirklich um Y10 sinken, damit die nothwendige Arbeitszeit um 1X 0 abnehme, von 10 auf 9 Stunden, und daher die Mehrar- beit sich von 2 auf 3 Stunden verlängre. Eine solche Senkung des Werths der Arbeitskraft um Y10 bedingt aber ihrerseits, daß dieselbe Masse Lebensmittel, die früher in 10, jetzt in 25 9 Stunden producirt wird. Dieß ist jedoch unmöglich ohne eine Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit. Mit gegebnen Mitteln kann ein Schuster z . B . ein Paar Stiefel in einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soll er in derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muß sich die Produktivkraft seiner Arbeit verdoppeln, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine 30 Aenderung in seinen Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder bei- den zugleich. Es muß daher eine Revolution in den Produktionsbedingun- gen seiner Arbeit eintreten, d. h. in seiner Produktionsweise und daher im Arbeitsproceß selbst. Unter Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit ver- stehn wir hier überhaupt eine Verändrung im Arbeitsproceß, wodurch die 35 zur Produktion einer Waare gesellschaftlich erheischte Arbeitszeit verkürzt wird, ein kleinres Quantum Arbeit also die Kraft erwirbt, ein größres Quan||279|tum Gebrauchswerth zu produciren 2). Während also bei der 2) «Quando si perfezionano le arti, che non è altro che la scoperta di nuove vie, onde si possa compiere una manufattura con meno gente ο (che è lo stesso) in minor tempo di prima.» Ga- liani 1. c. p. 158, 159. «L'économie sur les frais de production ne peut être autre chose que l'économie sur la quantité de travail employé pour produire.» (Sismondi: ,,Études etc." 1.1, P-22.) 40 283 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Produktion des Mehrwerths in der bisher betrachteten Form die Produk- tionsweise als gegeben unterstellt war, genügt es für die Produktion von Mehrwerth durch Verwandlung nothwendiger Arbeit in Mehrarbeit keines- wegs, daß das Kapital sich des Arbeitsprocesses in seiner historisch überlie- ferten oder vorhandnen Gestalt bemächtigt und nur seine Dauer verlän- gert. Es muß die technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprocesses, also die Produktionsweise selbst umwälzen, um die Pro- duktivkraft der Arbeit zu erhöhn, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit den Werth der Arbeitskraft zu senken und so den zur Reproduk- tion dieses Werths nothwendigen Theil des Arbeitstags zu verkürzen. Durch Verlängrung des Arbeitstags producirten Mehrwerth nenne ich absoluten Mehrwerth; den Mehrwerth dagegen, der aus Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entsprechender Verändrung im Größenver- hältniß der beiden Bestandtheile des Arbeitstags entspringt, - relativen Mehrwerth. 5 10 15 Um den Werth der Arbeitskraft zu senken, muß die Steigerung der Pro- duktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Werth der Ar- beitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der gewohnheitsmäßi- gen Lebensmittel angehören oder sie ersetzen können. Der Werth einer Waare ist aber nicht nur bestimmt durch das Quantum der Arbeit, welche 20 ihr die letzte Form giebt, sondern ebensowohl durch die in ihren Produk- tionsmitteln enthaltne Arbeitsmasse. z.B. der Werth eines Stiefels nicht nur durch die Schusterarbeit, sondern auch durch den Werth von Leder, Pech, Draht u. s. w. Steigerung der Produktivkraft und entsprechende Ver- wohlfeilerung der Waaren in den Industrien, welche die stofflichen EIe- 25 mente des konstanten Kapitals, die Arbeitsmittel und das Arbeitsmaterial, zur Erzeugung der nothwendigen Lebensmittel liefern, senken also eben- falls den Werth der Arbeitskraft. In Produktionszweigen dagegen, die we- der nothwendige Lebensmittel liefern, noch Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, läßt die erhöhte Produktivkraft den Werth der Arbeitskraft un- berührt. | 30 |280| Die verwohlfeilerte Waare senkt natürlich den Werth der Arbeits- kraft nur pro tanto, d. h. nur im Verhältniß, worin sie in die Reproduktion der Arbeitskraft eingeht. Hemden z. B. sind ein nothwendiges Lebensmit- tel, aber nur eins von vielen. Ihre Verwohlfeilerung vermindert bloß die 35 Ausgabe des Arbeiters für Hemden. Die Gesammtsumme der nothwendi- gen Lebensmittel besteht jedoch nur aus verschiednen Waaren, lauter Pro- dukten besondrer Industrien, und der Werth jeder solchen Waare bildet stets einen aliquoten Theil vom Werth der Arbeitskraft. Dieser Werth nimmt ab mit der zu seiner Reproduktion nothwendigen Arbeitszeit, deren 40 Ge s ammtverkürzung gleich der Summe ihrer Verkürzungen in allen jenen 284 Zehntes Kapitel · Begriff des relativen Mehrwerts besondren Produktionszweigen ist. Wir behandeln dieß allgemeine Resul- tat hier so, als wäre es unmittelbares Resultat und unmittelbarer Zweck in jedem einzelnen Fall. Wenn ein einzelner Kapitalist durch Steigerung der Produktivkraft der Arbeit z . B . Hemden verwohlfeiert, schwebt ihm keines- 5 wegs nothwendig der Zweck vor, den Werth der Arbeitskraft und daher die nothwendige Arbeitszeit pro tanto zu senken, aber nur soweit er schließlich zu diesem Resultat beiträgt, trägt er bei zur Erhöhung der allgemeinen Rate des Mehrwerths 3). Die allgemeinen und nothwendigen Tendenzen des Kapitals sind zu unterscheiden von ihren Erscheinungsformen. 10 Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewußtsein kommen, ist jetzt nicht zu betrachten, aber so viel erhellt von vorn herein: wissenschaftliche 15 Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapi- tals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehm- bare Bewegung kennt. Dennoch ist zum Verständniß der Produktion des relativen Mehrwerths und bloß auf Grundlage der bereits gewonnenen Re- sultate Folgendes zu bemerken. 20 Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von 6 d. oder l/ 2 sh. dar, so wird in zwölfstündigem Arbeitstag ein Werth von 6 sh. producirt. Gesetzt, mit der gegebnen Produktivkraft der ||281| Arbeit würden 12 Stück Waaren in diesen 12 Arbeitsstunden verfertigt. Der Werth der in jedem 25 Stück vernutzten Produktionsmittel, Rohmaterial u.s.w. sei 6 d. Unter die- sen Umständen kostet die einzelne Waare 1 sh., nämlich 6 d. für den Werth der Produktionsmittel, 6 d. für den in ihrer Verarbeitung neu zuge- setzten Werth. Es gelinge nun einem Kapitalisten, die Produktivkraft der Arbeit zu verdoppeln und daher 24 statt 12 Stück dieser Waarenart in dem zwölfstündigen Arbeitstag zu produciren. Bei unverändertem Werth der Produktionsmittel sinkt der Werth der einzelnen Waare jetzt auf 9 d., näm- lich 6 d. für den Werth der Produktionsmittel, 3 d. für den durch die letzte Arbeit neu zugesetzten Werth. Trotz der verdoppelten Produktivkraft schafft der Arbeitstag nach wie vor nur einen Neuwerth von 6 sh., welcher sich jedoch jetzt auf doppelt so viel Produkte vertheilt. Auf jedes einzelne Produkt fällt daher nur noch Y24 statt Y12 dieses Gesammtwerths, 3 d. statt 6 d. oder, was dasselbe ist, den Produktionsmitteln wird bei ihrer Verwand- 30 35 3) „Wenn der Fabrikant durch Verbesserung der Maschinerie seine Produkte verdoppelt ... gewinnt er (schließlich) bloß, sofern er dadurch befähigt wird, den Arbeiter wohlfeiler zu klei- 40 den ... und so ein kleinerer Theil des Gesammtertrags auf den Arbeiter fällt." (Ramsay 1. c. p.168.) 285 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 lung in Produkt, jedes Stück berechnet, jetzt nur noch eine halbe statt wie früher eine ganze Arbeitsstunde zugesetzt. Der individuelle Werth dieser Waare steht nun unter ihrem gesellschaftlichen Werth, d.h. sie kostet weni- ger Arbeitszeit als der große Haufen derselben Artikel, producirt unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen. Das Stück kostet im Durch- schnitt 1 sh. oder stellt 2 Stunden gesellschaftlicher Arbeit dar; mit der ver- änderten Produktionsweise kostet es nur 9 d. oder enthält nur 1% Arbeits- stunden. Der wirkliche Werth einer Waare ist aber nicht ihr individueller, sondern ihr gesellschaftlicher Werth, d. h. er wird nicht durch die Arbeits- zeit gemessen, die sie im einzelnen Fall dem Producenten thatsächlich ko- 10 stet, sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte Ar- beitszeit. Verkauft also der Kapitalist, der die neue Methode anwendet, seine Waare zu ihrem gesellschaftlichen Werth von 1 sh., so verkauft er sie 3 d. über ihrem individuellen Werth und realisirt so einen Extramehrwerth von 3 d. Andrerseits stellt sich aber der zwölfstündige Arbeitstag jetzt für 15 ihn in 24 Stück Waare dar statt früher in 12. Um also das Produkt eines Ar- beitstags zu verkaufen, bedarf er doppelten Absatzes oder eines zweifachen größern Markts. Unter sonst gleichbleibenden Umständen erobern seine Waaren nur größern Marktraum durch Kontraktion ihrer Preise. Er wird sie daher über ihrem individuellen, aber unter ihrem gesellschaftlichen Werth 20 verkaufen, sage zu 10 d. das Stück. So schlägt er an jedem einzelnen Stück immer noch einen Extra||282|mehrwerth von 1 d. heraus. Diese Steigerung des Mehrwerths findet für ihn statt, ob oder ob nicht seine Waare dem Um- kreis der nothwendigen Lebensmittel angehört und daher bestimmend in den allgemeinen Werth der Arbeitskraft eingeht. Vom letztren Umstand 25 abgesehn, existirt also für jeden einzelnen Kapitalisten das Motiv, die Waare durch erhöhte Produktivkraft der Arbeit zu verwohlfeilern. Indeß entspringt selbst in diesem Fall die gesteigerte Produktion von Mehrwerth aus der Verkürzung der nothwendigen Arbeitszeit und entspre- chender Verlängrung der Mehrarbeit 3 a ) . Die nothwendige Arbeitszeit be- 30 trage 10 Stunden oder der Tageswerth der Arbeitskraft 5 sh., die Mehrar- beit 2 Stunden, der täglich producirte Mehrwerth daher 1 sh. Unser Kapitalist producirt aber jetzt 24 Stück, die er zu 10 d. per Stück oder zu- sammen zu 20 sh. verkauft. Da der Werth der Produktionsmittel gleich 12 sh., ersetzen 14% Stück Waare nur das vorgeschoßne konstante Kapital. 35 Der zwölfstündige Arbeitstag stellt sich in den übrigbleibenden 9% Stück 3 a ) "A man's profit does not depend upon his command of the produce of other men's labour, but upon his command of labour itself. If he can sell his goods at a higher price, while his workmen's wages remain unaltered, he is clearly benefited ... A smaller proportion of what he produces is sufficient to put that labour into motion, and a larger proportion consequently re- 40 mains for himself." (,,Outlines of Polit. Econ. London 1832", p. 49, 50.) 286 Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts dar. Da der Preis der Arbeitskraft = 5 sh., stellt sich im Produkt von 6 Stück die nothwendige Arbeitszeit dar und in 33/5 Stück die Mehrarbeit. Das Verhältniß der nothwendigen Arbeit zur Mehrarbeit, welches unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen 5:1 betrug, beträgt jetzt 5 nur noch 5:3. Dasselbe Resultat erhält man so: Der Produktenwerth des zwölfstündigen Arbeitstags ist 20 sh. Davon gehören 12 sh. dem nur wieder erscheinenden Werth der Produktionsmittel. Bleiben also 8 sh. als Geld- ausdruck des Werths, worin sich der Arbeitstag darstellt. Dieser Geldaus- druck ist höher als der Geldausdruck der gesellschaftlichen Durchschnitts- 10 arbeit von derselben Sorte, wovon sich 12 Stunden nur in 6 sh. ausdrücken. Die Arbeit von ausnahmsweiser Produktivkraft wirkt als potenzirte Arbeit oder schafft in gleichen Zeiträumen höhere Werthe als die gesellschaftli- che Durchschnittsarbeit derselben Art. Aber unser Kapitalist zahlt nach wie vor nur 5 sh. für den Tageswerth der Arbeitskraft. Der Arbeiter bedarf 15 daher, statt früher 10, jetzt nur noch ll/2 Stunden zur Reproduktion dieses Werths. Seine ||283| Mehrarbeit wächst daher um 2l/2 Stunden, der von ihm producirte Mehrwerth von 1 auf 3 sh. Der Kapitalist, der die verbesserte Produktionsweise anwendet, eignet sich daher einen größern Theil des Ar- beitstags für die Mehrarbeit an, als die übrigen Kapitalisten in demselben 20 Geschäft. Er thut im Einzelnen, was das Kapital bei der Produktion des re- lativen Mehrwerths im Großen und Ganzen thut. Andrerseits aber ver- schwindet jener Extramehrwerth, sobald die neue Produktionsweise sich verallgemeinert und damit die Differenz zwischen dem individuellen Werth der wohlfeiler producirten Waaren und ihrem gesellschaftlichen 25 Werth verschwindet. Dasselbe Gesetz der Werthbestimmung durch die Ar- beitszeit, das dem Kapitalisten mit der neuen Methode in der Form fühl- bar wird, daß er seine Waare unter ihrem gesellschaftlichen Werth verkau- fen muß, treibt seine Mitbewerber als Zwangsgesetz der Konkurrenz zur Einführung der neuen Produktionsweise 4). Die allgemeine Rate des Mehr- 30 Werths wird also durch den ganzen Proceß schließlich nur berührt, wenn die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit Produktionszweige ergrif- fen, also Waaren verwohlfeilert hat, die in den Kreis der nothwendigen Le- bensmittel eingehn, daher Elemente des Werths der Arbeitskraft bilden. Der Werth der Waaren steht in umgekehrtem Verhältniß zur Produktiv- 35 kraft der Arbeit. Ebenso, weil durch Waarenwerthe bestimmt, der Werth 4) "If my neighbour by doing much with little labour, can sell cheap, I must contrive to sell as cheap as he. So that every art, trade, or engine, doing work with labour of fewer hands, and consequently cheaper, begets in others a kind of necessity and emulation, either of using the same art, trade, or engine, or of inventing something like it, that every man may be upon the square, that no man may be able to undersell his neighbour." (,,The Advantages of the East- India Trade to England. Lond. 1720", p. 67.) 40 287 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwerth in direktem Ver- hältniß zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag von 12 Stunden, Geldwerth als gleichbleibend vorausgesetzt, producirt stets dasselbe Werthprodukt von 6 sh., wie diese Werthsumme sich immer ver- theile zwischen Aequivalent für den Werth der Arbeitskraft und Mehr- werth. Fällt aber in Folge gesteigerter Produktivkraft der Werth der tägli- chen Lebensmittel und daher der Tageswerth der Arbeitskraft von 5 sh. auf 3 sh., so wächst der Mehrwerth von 1 sh. auf 3 sh. Um den Werth der Ar- beitskraft zu reproduciren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Arbeitsstun- 10 den nöthig. Vier ||284| Arbeitsstunden sind frei geworden und können der Domäne der Mehrarbeit annexirt werden. Es ist daher der immanente Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Ar- beit zu steigern, um die Waare und durch die Verwohlfeilerung der Waare den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern 5). 15 5 Der absolute Werth der Waare ist dem Kapitalisten, der sie producirt, an und für sich gleichgültig. Ihn interessirt nur der in ihr steckende und im Verkauf realisirbare Mehrwerth. Realisirung von Mehrwerth schließt von selbst Ersatz des vorgeschoßnen Werths ein. Da nun der relative Mehr- werth in direktem Verhältniß zur Entwicklung der Produktivkraft der Ar- 20 beit wächst, während der Werth der Waaren in umgekehrtem Verhältniß zur selben Entwicklung fällt, da also derselbe identische Proceß die Waa- ren verwohlfeilert und den in ihnen enthaltnen Mehrwerth steigert, löst sich das Räthsel, daß der Kapitalist, dem es nur um die Produktion von Tauschwerth zu thun ist, den Tauschwerth der Waaren beständig zu sen- 25 ken strebt, ein Widerspruch, womit einer der Gründer der politischen Oe- konomie, Quesnay, seine Gegner quälte und worauf sie ihm die Antwort schuldig blieben. „Ihr gebt zu", sagt Quesnay, „daß, je mehr man, ohne Nachtheil für die Produktion, Kosten oder kostspielige Arbeiten in der Fa- brikation industrieller Produkte ersparen kann, desto vortheilhafter diese 30 Ersparung, weil sie den Preis des Machwerks vermindert. Und trotzdem glaubt ihr, daß die Produktion des Reichthums, der aus den Arbeiten der 5) "In whatever proportion the expenses of a labourer are diminished, in the same proportion will his wages be diminished, if the restraints upon industry are at the same time taken off." (,,Considerations concerning taking off the Bounty on Corn exported etc. Lond. 1753", p. 7.) 35 "The interest of trade requires, that corn and all provisions should be as cheap as possible; for whatever makes them dear, must make labour dear also ... in all countries, where industry is not restrained, the price of provisions must affect the Price of Labour. This will always be di- minished when the necessaries of life grow cheaper." (1. c. p. 3.) "Wages are decreased in the same proportion as the powers of production increase. Machinery, it is true, cheapens the ne- 40 cessaries of life, but it also cheapens the labourer too." („A Prize Essay on the comparative merits of Competition and Cooperation. London 1834", p. 27.) 288 Zehntes Kapitel • Begriff des relativen Mehrwerts Industriellen herkommt, in der Vermehrung des Tauschwerths ihres Mach- werks besteht" 6). Oekonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft ||285| der Arbeit 7) bezweckt in der kapitalistischen Produktion also durchaus nicht 5 Verkürzung des Arbeitstags. Sie bezweckt nur Verkürzung der für Produk- tion eines bestimmten Waarenquantums nothwendigen Arbeitszeit. Daß der Arbeiter bei gesteigerter Produktivkraft seiner Arbeit in einer Stunde z.B. 10 mal mehr Waare als früher producirt, also für jedes Stück Waare 10 mal weniger Arbeitszeit braucht, verhindert durchaus nicht, ihn nach wie 10 vor 12 Stunden arbeiten und in den 12 Stunden 1200 statt früher 120 Stück produciren zu lassen. Ja sein Arbeitstag mag gleichzeitig verlängert wer- den, so daß er jetzt in 14 Stunden 1400 Stück producirt u.s.w. Man kann daher bei Oekonomen vom Schlag eines MacCulloch, Ure, Senior und tutti quanti auf einer Seite lesen, daß der Arbeiter dem Kapital für die Entwick- lung der Produktivkräfte Dank schuldet, weil sie die nothwendige Arbeits- zeit verkürzt, und auf der nächsten Seite, daß er diesen Dank beweisen muß, indem er statt 10 künftig 15 Stunden arbeitet. Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen Produktion, be- zweckt, den Theil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten 20 muß, zu verkürzen, um grade dadurch den andren Theil des Arbeitstags, den er für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern. Wie weit dies Resultat auch ohne Verwohlfeilerung der Waaren erreichbar, wird sich zeigen in den besondren Produktionsmethoden des relativen Mehrwerths, zu deren Betrachtung wir jetzt Übergehn. 15 25 6) «Ils convinnent que plus on peut, sans préjudice, épargner de frais ou de travaux dispen- dieux dans la fabrication des ouvrages des artisans, plus cette épargne est profitable par la di- minution des prix de ces ouvrages. Cependant ils croient que la production de richesse qui résulte des travaux des artisans consiste dans l'augmentation de la valeur vénale de leurs ouvrages.» (Quesnay: ,,Dialogues sur le Commerce et sur les Travaux des Artisans", p. 188, 30 189.) 7) «Ces spéculateurs si économes du travail des ouvriers qu'il faudrait qu'ils payassent.» (J.N. Bidaut: „Du Monopole qui s'établit dans les arts industriels et le commerce. Paris 1828", p. 13.) "The employer will be always on the stretch to economise time and labour." (Dugald Stewart: Works ed. by Sir W. Hamilton. Edinburgh, v. VIII, 1855, ,,Lectures on Polit. Econ.", 35 p. 318.) "Their (the capitalists') interest is that the productive powers of the labourers they em- ploy should be the greatest possible. On promoting that power their attention is fixed and al- most exclusively fixed." (R.Jones I.e. Lecture III.) 289 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts E L F T E S K A P I T E L . Kooperation. Die kapitalistische Produktion beginnt, wie wir sahen, in der That erst, wo dasselbe individuelle Kapital eine größere Anzahl Arbeiter gleichzeitig be- schäftigt, der Arbeitsproceß also seinen ||286| Umfang erweitert und Pro- dukt auf größrer quantitativer Stufenleiter liefert. Das Wirken einer grö- ßern Arbeiteranzahl zur selben Zeit, in demselben Raum (oder, wenn man will, auf demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben Waarensorte, unter dem Kommando desselben Kapitalisten, bildet historisch und be- grifflich den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Mit Bezug 10 auf die Produktionsweise selbst unterscheidet sich z . B . die Manufaktur in ihren Anfängen kaum anders von der zünftigen Handwerksindustrie als durch die größere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital beschäftig- ten Arbeiter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist nur erweitert. 5 Der Unterschied ist also zunächst bloß quantitativ. Man sah, daß die 15 Masse des Mehrwerths, welche ein gegebnes Kapital producirt, gleich dem Mehrwerth, den der einzelne Arbeiter liefert, multiplicirt mit der Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter. Diese Anzahl ändert an und für sich nichts an der Rate des Mehrwerths oder dem Exploitationsgrad der Ar- beitskraft, und mit Bezug auf die Produktion von Waarenwerth überhaupt 20 scheint jede qualitative Verändrung des Arbeitsprocesses gleichgültig. Es folgt dieß aus der Natur des Werths. Vergegenständlicht sich ein zwölfstün- diger Arbeitstag in 6 sh., so 1200 solcher Arbeitstage in 6 sh. x 1200. In dem einen Fall haben sich 12 x 1200, in dem andren 12 Arbeitsstunden den Produkten einverleibt. In der Werthproduktion zählen Viele immer 25 nur als viele Einzelne. Für die Werthproduktion macht es also keinen Un- terschied, ob 1200 Arbeiter vereinzelt produciren oder vereint unter dem Kommando desselben Kapitals. Indeß findet doch innerhalb gewisser Grenzen eine Modifikation statt. In Werth vergegenständlichte Arbeit ist Arbeit von gesellschaftlicher 30 Durchschnittsqualität, also die Aeußerung einer durchschnittlichen Ar- beitskraft. Eine Durchschnittsgröße existirt aber immer nur als Durch- schnitt vieler verschiedner Größenindividuen derselben Art. In jedem In- dustriezweig weicht der individuelle Arbeiter, Peter oder Paul, mehr oder minder vom Durchschnittsarbeiter ab. Diese individuellen Abweichungen, 35 welche mathematisch „Fehler" heißen, kompensiren sich und verschwin- den, sobald man eine größere Anzahl Arbeiter zusammennimmt. Der be- rühmte Sophist und Sykophant Edmund Burke will aus seinen praktischen 290 Elftes Kapitel • Kooperation 10 Erfahrungen als Pächter sogar wissen, daß schon „für ein so geringes Pelo- ton" wie 5 Ackerknechte aller individuelle Unterschied der Arbeit ver- schwindet, also die ersten besten im Mannesalter ||287| befindlichen fünf englischen Ackerknechte zusammengenommen in derselben Zeit grad so 5 viel Arbeit verrichten als beliebige andre fünf englische Ackerknechte 8). Wie dem auch sei, es ist klar, daß der Gesammtarbeitstag einer größren Anzahl gleichzeitig beschäftigter Arbeiter, dividirt durch die Anzahl der Arbeiter, an und für sich ein Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ist. Der Arbeitstag des Einzelnen sei z . B . zwölfstündig. So bildet der Arbeits- tag von 12 gleichzeitig beschäftigten Arbeitern einen Gesammtarbeitstag von 144 Stunden, und obgleich die Arbeit eines Jeden des Dutzend mehr oder minder von der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit abweichen, der Einzelne daher etwas mehr oder weniger Zeit zu derselben Verrichtung brauchen mag, besitzt der Arbeitstag jedes Einzelnen als ein Zwölftel des 15 Gesammtarbeitstags von 144 Stunden die gesellschaftliche Durchschnitts- qualität. Für den Kapitalisten aber, der ein Dutzend beschäftigt, existirt der Arbeitstag als Gesammtarbeitstag des Dutzend. Der Arbeitstag jedes Einzelnen existirt als aliquoter Theil des Gesammtarbeitstags, ganz unab- hängig davon, ob die Zwölf einander in die Hand arbeiten oder ob der 20 ganze Zusammenhang ihrer Arbeiten nur darin besteht, daß sie für densel- ben Kapitalisten arbeiten. Werden dagegen von den 12 Arbeitern je zwei von einem kleinen Meister beschäftigt, so wird es zufällig, ob jeder ein- zelne Meister dieselbe Werthmasse producirt und daher die allgemeine Rate des Mehrwerths realisirt. Es fänden individuelle Abweichungen statt. 25 Verbrauchte ein Arbeiter bedeutend mehr Zeit in der Produktion einer Waare, als gesellschaftlich erheischt ist, wiche die für ihn individuell noth- wendige Arbeitszeit bedeutend ab von der gesellschaftlich nothwendigen oder der Durchschnitts-Arbeitszeit, so gälte seine Arbeit nicht als Durch- schnittsarbeit, seine Arbeitskraft nicht als durchschnittliche Arbeitskraft. 30 Sie verkaufte sich gar nicht oder nur unter dem Durchschnittswerth der Ar- beitskraft. Ein bestimmtes Minimum der Arbeitsfertigkeit ist also voraus- gesetzt, und wir werden später sehn, daß die kapi||288|talistische Produk- tion Mittel findet, dieß Minimum zu messen. Nichts desto weniger weicht das Minimum vom Durchschnitt ab, obgleich auf der andren Seite der 35 8) "Unquestionably, there is a great deal of difference between the value of one man's labour and that of another, from strength, dexterity and honest application. But I am quite sure, from my best observation, that any given five men will, in their total, afford a proportion of labour equal to any other five within the periods of life I have stated; that is, that among such five men there will be one possessing all the qualifications of a good workman, one bad, and the 40 other three middling, and approximating to the first and the last. So that in so small a platoon as that of even five, you will find the full complement of all that five men can earn." (E.Burke 1. c. p. 15, 16.) cf. Quételet über das Durchschnittsindividuum. 291 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Durchschnittswerth der Arbeitskraft gezahlt werden muß. Von den sechs Kleinmeistern würde der eine daher mehr, der andre weniger als die allge- meine Rate des Mehrwerths herausschlagen. Die Ungleichheiten würden sich für die Gesellschaft kompensiren, aber nicht für den einzelnen Mei- ster. Das Gesetz der Verwerthung überhaupt realisirt sich also für den ein- zelnen Producenten erst vollständig, sobald er als Kapitalist producirt, viele Arbeiter gleichzeitig anwendet, also von vorn herein gesellschaftliche Durchschnittsarbeit in Bewegung setzt 9). 5 10 Auch bei gleichbleibender Arbeitsweise bewirkt die gleichzeitige An- wendung einer größren Arbeiteranzahl eine Revolution in den gegenständ- liehen Bedingungen des Arbeitsprocesses. Baulichkeiten, worin Viele ar- beiten, Lager für Rohmaterial u. s. w., Gefäße, Instrumente, Apparate, u.s.w., die Vielen gleichzeitig oder abwechselnd dienen, kurz ein Theil der Produktionsmittel wird jetzt gemeinsam im Arbeitsproceß konsumirt. Ei- nerseits wird der Tauschwerth von Waaren, also auch von Produktionsmit- 15 teln, durchaus nicht erhöht durch irgend welche erhöhte Ausbeutung ihres Gebrauchswerths. Andrerseits wächst der Maßstab der gemeinsam ge- brauchten Produktionsmittel. Ein Zimmer, worin 20 Weber mit ihren 20 Webstühlen arbeiten, muß weiter gestreckt sein als das Zimmer eines unabhängigen Webers mit zwei Gesellen. Aber die Produktion einer Werk- 20 statt für 20 Personen kostet weniger Arbeit als die von 10 Werkstätten für je zwei Personen, und so wächst überhaupt der Werth massenweise kon- centrirter und gemeinsamer Produktionsmittel nicht verhältnißmäßig mit ihrem Umfang und ihrem Nutzeffekt. Gemeinsam vernutzte Produktions- mittel geben geringren Werthbestandtheil an das einzelne Produkt ab, 25 theils weil der Gesammtwerth, den sie abgeben, sich gleichzeitig auf eine größre Produktenmasse vertheilt, theils weil sie, im Vergleich zu vereinzel- ten Produktionsmitteln, zwar mit absolut größrem, aber, ihren Wirkungs- kreis betrachtet, mit relativ ||289| kleinrem Werth in den Produktionspro- ceß eintreten. Damit sinkt ein Werthbestandtheil des konstanten Kapitals, 30 also proportioneil zu seiner Größe, auch der Gesammtwerth der Waare. Die Wirkung ist dieselbe, als ob die Produktionsmittel der Waare wohlfei- ler producirt würden. Diese Oekonomie in der Anwendung der Produk- tionsmittel entspringt nur aus ihrem gemeinsamen Konsum im Arbeits- proceß Vieler. Und sie erhalten diesen Charakter als Bedingungen 35 gesellschaftlicher Arbeit oder gesellschaftliche Bedingungen der Arbeit im 9) Herr Professor Roscher will entdeckt haben, daß eine Nähmamsell, die während zwei Ta- gen von der Frau Professorin beschäftigt wird, mehr Arbeit liefert, als zwei Nähmamsellen, welche die Frau Professorin am selben Tage beschäftigt. Der Herr Professor stelle seine Beob- achtungen über den kapitalistischen Produktionsproceß nicht in der Kinderstube an und nicht unter Umständen, worin die Hauptperson fehlt, der Kapitalist. 40 292 Elftes Kapitel • Kooperation Unterschied von den zersplitterten und relativ kostspieligen Produktions- mitteln vereinzelter selbständiger Arbeiter oder Kleinmeister, selbst wenn die Vielen nur räumlich zusammen, nicht mit einander arbeiten. Ein Theil der Arbeitsmittel erwirbt diesen gesellschaftlichen Charakter, bevor ihn der 5 Arbeitsproceß selbst erwirbt. Die Oekonomie der Produktionsmittel ist überhaupt von doppeltem Ge- sichtspunkt zu betrachten. Das eine Mal, soweit sie Waaren verwohlfeilert und dadurch den Werth der Arbeitskraft senkt. Das andre Mal, so weit sie das Verhältniß des Mehrwerths zum vorgeschoßnen Gesammtkapital, d. h. 10 zur Werthsumme seiner konstanten und variablen Bestandtheile, verän- dert. Der letztre Punkt wird erst im ersten Abschnitt des dritten Buchs die- ses Werks erörtert, wohin wir des Zusammenhangs wegen auch manches schon hierher Gehörige verweisen. Der Gang der Analyse gebietet diese Zerreißung des Gegenstands, die zugleich dem Geist der kapitalistischen 15 Produktion entspricht. Da hier nämlich die Arb eitsb e dingung en dem Ar- beiter selbständig gegenübertreten, erscheint auch ihre Oekonomie als eine besondre Operation, die ihn nichts angeht und daher getrennt ist von den Methoden, welche seine persönliche Produktivität erhöhen. Die Form der Arbeit Vieler, die in demselben Produktionsproceß oder in 20 verschiednen, aber zusammenhängenden Produktionsprocessen, planmä- ßig neben und mit einander arbeiten, heißt Kooperation 1 0). Wie die Angriffskraft einer Kavalerieschwadron oder die Widerstands- kraft eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von der Summe der von jedem Kavaleristen und Infanteristen vereinzelt entwickelten An- 25 griffs- und Widerstandskräfte, so die mechanische Kraftsumme vereinzel- ter Arbeiter von der gesellschaftlichen Kraftpotenz, die sich entwickelt, wenn viele Hände gleichzeitig in ||290|. derselben ungetheilten Operation zusammenwirken, z. B. wenn es gilt eine Last zu heben, eine Kurbel zu drehn oder einen Widerstand aus dem Weg zu räumen 1 1). Die Wirkung der 30 kombinirten Arbeit könnte hier von der vereinzelten gar nicht oder nur in viel längren Zeiträumen oder nur auf einem Zwergmaßstab hervorgebracht werden. Es handelt sich hier nicht nur um Erhöhung der individuellen Pro- duktivkraft durch die Kooperation, sondern um die Schöpfung einer Pro- duktivkraft, die an und für sich Massenkraft sein m u ß 1 1 a ) . 1 0 ) ,,Concours de forces". (Destutt de Tracy 1. c. p. 80.) u) "There are numerous operations of so simple a kind as not to admit a division into parts, which cannot be performed without the cooperation of many pairs of hands. For instance the lifting of a large tree on a wain ... every thing in short, which cannot be done unless a great many pairs of hands help each other in the same undivided employment, and at the same 35 40 time." (E. G. Wakefield: „A View of the Art of Colonization. London 1849", p. 168.) 11 a) "As one man cannot, and 10 men must strain, to lift a tun of weight, yet one hundred men can do it only by the strength of a finger of each of them." (John Bellers: "Proposals for raising a colledge of industry. London 1696", p. 21.) 293 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 Abgesehn von der neuen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung vieler Kräfte in eine Gesammtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produkti- ven Arbeiten der bloße gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine eigne Erregung der Lebensgeister (animal spirits), welche die individuelle Leistungsfähigkeit der Einzelnen erhöhen, so daß ein Dutzend Personen zusammen in einem gleichzeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein viel größres Gesammtprodukt liefern als zwölf vereinzelte Arbeiter, von denen jeder 12 Stunden, oder als ein Arbeiter, der 12 Tage nach einander arbei- t e t 1 2 ) . Dieß rührt daher, daß der Mensch von Natur, wenn nicht, wie Ari- stoteles meint, ein politisches 1 3), jedenfalls ein gesellschaftliches Thier ist. | 10 |291| Obgleich Viele Dasselbe oder Gleichartiges gleichzeitig mit einan- der verrichten, kann die individuelle Arbeit eines Jeden dennoch als Theil der Gesammtarbeit verschiedne Phasen des Arbeitsprocesses selbst darstel- len, die der Arbeitsgegenstand, in Folge der Kooperation, rascher durch- läuft. Z. B . , wenn Maurer eine Reihe von Händen bilden, um Bausteine 15 vom Fuß eines Gestells bis zu seiner Spitze zu befördern, thut jeder von ihnen dasselbe, aber dennoch bilden die einzelnen Verrichtungen konti- nuirliche Theile einer Gesammtverrichtung, besondre Phasen, die jeder Baustein im Arbeitsproceß durchlaufen muß, und wodurch ihn etwa die 24 Hände des Gesammtarbeiters rascher fördern, als die zwei Hände jedes 20 einzelnen Arbeiters, der das Gerüst auf- und abstiege 1 4). Der Arbeitsgegen- stand durchläuft denselben Raum in kürzerer Zeit. Andrerseits findet Kombination der Arbeit statt, wenn ein Bau z . B . von verschiednen Seiten gleichzeitig angegriffen wird, obgleich die Kooperirenden Dasselbe oder 1 2 ) "There is also" (wenn dieselbe Arbeiterzahl von einem Pächter auf 300, statt von 10 Päch- 25 tern auf je 30 acres angewandt wird) "an advantage in the proportion of servants, which will not easily be understood but by practical men; for it is natural to say, as 1 is to 4, so are 3:12: but this will not hold good in practice; for in harvest-time and many other operations which require that kind of despatch, by the throwing many hands together, the work is better, and more expeditiously done: fi., in harvest, 2 drivers, 2 loaders, 2 pitchers, 2 rakers, and the rest 30 at the rick, or in the barn, will despatch double the work, that the same number of hands would do, if divided into different gangs, on different farms." („An Enquiry into the Connec- tion between the present price of provisions and the size of farms. By a Farmer. London 1773", p. 7, 8.) 1 3 ) Aristoteles' Definition ist eigentlich die, daß der Mensch von Natur Stadtbürger. Sie ist 35 für das klassische Alterthum ebenso charakteristisch, als Franklin's Definition, daß der Mensch von Natur Instrumentenmacher, für das Yankeethum. 1 4 ) «On doit encore remarquer que cette division partielle du travail peut se faire quand même les ouvriers sont occupés d'une même besogne. Des maçons par exemple, occupés de faire passer de mains en mains des briques à un échafaudage supérieur, font tous la même be- 40 sogne, et pourtant il existe parmi eux une espèce de division de travail, qui consiste en ce que chacun d'eux fait passer la brique par un espace donné, et que tous ensemble la font parvenir beaucoup plus promptement à l'endroit marqué qu'ils ne feraient si chacun d'eux portait sa brique séparément jusqu'à l'échafaudage supérieur.» (F. Skarbek: ,,Théorie des richesses so- ciales. 2ème éd. Paris 1839", 1.1, p. 97, 98.) 45 294 Elftes Kapitel • Kooperation Gleichartiges thun. Der kombinirte Arbeitstag von 144 Stunden, der den Arbeitsgegenstand vielseitig im Raum angreift, weil der kombinirte Arbei- ter oder Gesammtarbeiter vorn und hinten Augen und Hände hat und in gewissem Grad Allgegenwart besitzt, fördert das Gesammtprodukt rascher 5 als 12 zwölfstündige Arbeitstage mehr oder minder vereinzelter Arbeiter, die ihr Werk einseitiger angreifen müssen. In derselben Zeit reifen ver- schiedne Raumtheile des Produkts. 10 Wir betonten, daß die Vielen, die einander ergänzen, Dasselbe oder Gleichartiges thun, weil diese einfachste Form gemeinsamer Arbeit auch in der ausgebildetsten Gestalt der Kooperation eine große Rolle spielt. Ist der Arbeitsproceß complicirt, so erlaubt die bloße Masse der Zusammenar- beitenden die verschiednen Operationen unter verschiedne Hände zu ver- theilen, daher gleichzeitig zu verrichten und dadurch die zur Herstellung des Gesammtprodukts nöthige Arbeitszeit zu verkürzen 1 5)-1 15 |292| In vielen Produktionszweigen gibt es kritische Momente, d. h. durch die Natur des Arbeitsprocesses selbst bestimmte Zeitepochen, wäh- rend deren bestimmte Arbeitsresultate erzielt werden müssen. Soll z.B. eine Heerde Schafe geschoren oder eine Morgenanzahl Kornland gemäht und geherbstet werden, so hängt Quantität und Qualität des Produkts da- 20 von ab, daß die Operation zu einer gewissen Zeit begonnen und zu einer gewissen Zeit beendet wird. Der Zeitraum, den der Arbeitsproceß einneh- men darf, ist hier vorgeschrieben, wie etwa beim Häringsfang. Der Ein- zelne kann aus einem Tag nur einen Arbeitstag herausschneiden, sage von 12 Stunden, aber die Kooperation von 100 z . B . erweitert einen zwölfstün- 25 digen Tag zu einem Arbeitstag von 1200 Stunden. Die Kürze der Arbeits- frist wird kompensirt durch die Größe der Arbeitsmasse, die im entschei- denden Augenblick auf das Produktionsfeld geworfen wird. Die rechtzeitige Wirkung hängt hier ab von der gleichzeitigen Anwendung vie- ler kombinirten Arbeitstage, der Umfang des Nutzeffekts von der Arbeiter- 30 anzahl, die jedoch stets kleiner bleibt als die Anzahl der Arbeiter, die ver- einzelt in demselben Zeitraum denselben Wirkungsraum ausfüllen würden 1 6). Es ist der Mangel dieser Kooperation, wodurch im Westen der Vereinigten Staaten eine Masse Korn und in den Theilen Ostindiens, wo 1 5 ) «Est-il question d'exécuter un travail compliqué, plusieurs choses doivent être faites si- 35 multanément. L'un en fait une pendant que l'autre en fait une autre, et tous contribuent à l'effet qu'un seul homme n'aurait pu produire. L'un rame pendant que l'autre tient le gouver- nail, et qu'un troisième jette le filet ou harponne le poisson, et la pêche a un succès impossi- ble sans ce concours.» (Destutt de Tracy I.e. [p. 78].) 1 6 ) "The doing of it (der Arbeit in der Agrikultur) at the critical juncture, is of so much the 40 greater consequence." (An Inquiry into the Connection between the present price etc., p. 7.) „In der Agrikultur gibt es keinen wichtigeren Faktor, als den Faktor der Zeit." (Liebig: „Ueber Theorie und Praxis in der Landwirthschaft. 1856", p.23.) 295 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts englische Herrschaft das alte Gemeinwesen zerstört hat, eine Masse Baum- wolle jährlich verwüstet wird 1 7). Auf der einen Seite erlaubt die Kooperation die Raumsphäre der Arbeit auszurecken und wird daher für gewisse Arbeitsprocesse ||293| schon durch den räumlichen Zusammenhang des Arbeitsgegenstandes erheischt, wie bei Trockenlegung von Land, Eindämmung, Bewäßrung, Kanal-, Straßen-, Eisenbahnbauten u. s. w. Andrerseits ermöglicht sie, verhältnißmäßig zur Stufenleiter der Produktion, räumliche Verengung des Produktionsgebiets. Diese Beschränkung der Raumsphäre der Arbeit bei gleichzeitiger Ausdeh- nung ihrer Wirkungssphäre, wodurch eine Masse falscher Kosten (faux 10 frais) erspart werden, entspringt aus der Konglomeration der Arbeiter, dem Zusammenrücken verschiedner Arbeitsprocesse und der Koncentration der Produktionsmittel 1 8). 5 Verglichen mit einer gleich großen Summe vereinzelter individueller Ar- beitstage, producirt der kombinirte Arbeitstag größre Massen von Ge- 15 brauchswerth und vermindert daher die zur Produktion eines bestimmten Nutzeffekts nöthige Arbeitszeit. Ob er im gegebnen Fall diese gesteigerte Produktivkraft erhält, weil er die mechanische Kraftpotenz der Arbeit er- höht, oder ihre räumliche Wirkungssphäre ausdehnt, oder das räumliche Produktionsfeld im Verhältniß zur Stufenleiter der Produktion verengt, 20 oder im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flüssig macht, oder den Wetteifer der Einzelnen erregt und ihre Lebensgeister spannt, oder den gleichartigen Verrichtungen Vieler den Stempel der Kontinuität und Vielseitigkeit aufdrückt, oder verschiedne Operationen gleichzeitig verrich- tet, oder die Produktionsmittel durch ihren gemeinschaftlichen Gebrauch 25 ökonomisirt, oder der individuellen Arbeit den Charakter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit verleiht, unter allen Umständen ist die specifische Produktivkraft des kombinirten Arbeitstags gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus der Kooperation selbst. Im planmäßigen Zusammenwirken mit Andern 30 1 7 ) "The next evil is one which one would scarcely expect to find in a country which exports more labour than any other in the world, with the exception perhaps of China and England— the impossibility of procuring a sufficient number of hands to clean the cotton. The conse- quence of this is that large quantities of the crop are left unpicked, while another portion is gathered from the ground, when it has fallen, and is of course discoloured and partially rot- 35 ted, so that for want of labour at the proper season the cultivator is actually forced to submit to the loss of a large part ofthat crop for which England is so anxiously looking." (Bengal Hur- karu. Bi-Monthly Overland Summary of News. 22nd July 1861.) 1 8 ) "In the progress of culture all, and perhaps more than all the capital and labour which once loosely occupied 500 acres, are now concentrated for the more complete tillage of 100." 40 Obgleich ,,relatively to the amount of capital and labour employed, space is concentrated, it is an enlarged sphere of production, as compared to the sphere of production formerly occupied or worked upon by one single, independent agent of production". (R.Jones: „An Essay on the Distribution of Wealth. On Rent. London 1831", p. 190, 191, 199, 200.) 296 Elftes Kapitel • Kooperation streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen 1 9). | |294| Wenn Arbeiter überhaupt nicht unmittelbar zusammenwirken kön- nen, ohne zusammen zu sein, ihre Konglomeration auf bestimmtem Raum 5 daher Bedingung ihrer Kooperation ist, können Lohnarbeiter nicht koope- riren, ohne daß dasselbe Kapital, derselbe Kapitalist sie gleichzeitig an- wendet, also ihre Arbeitskräfte gleichzeitig kauft. Der Gesammtwerth die- ser Arbeitskräfte, oder die Lohnsumme der Arbeiter für den Tag, die Woche u. s.w., muß daher in der Tasche des Kapitalisten vereint sein, be- 10 vor die Arbeitskräfte selbst im Produktionsproceß vereint werden. Zahlung von 300 Arbeitern auf einmal, auch nur für einen Tag, bedingt mehr Kapi- talauslage als Zahlung weniger Arbeiter Woche für Woche während des ganzen Jahrs. Die Anzahl der kooperirenden Arbeiter, oder die Stufenleiter der Kooperation, hängt also zunächst ab von der Größe des Kapitals, das 15 der einzelne Kapitalist im Ankauf von Arbeitskraft auslegen kann, d.h. von dem Umfang, worin je ein Kapitalist über die Lebensmittel vieler Arbeiter verfügt. Und wie mit dem variablen, verhält es sich mit dem konstanten Kapital. Die Auslage für Rohmaterial z.B. ist 30 mal größer für den einen Kapitali- 20 sten, der 300, als für jeden der 30 Kapitalisten, der je 10 Arbeiter beschäf- tigt. Werthumfang und Stoffmasse der gemeinsam benutzten Arbeitsmittel wachsen zwar nicht in demselben Grad wie die beschäftigte Arbeiteran- zahl, aber sie wachsen beträchtlich. Koncentration größrer Massen von Produktionsmitteln in der Hand einzelner Kapitalisten ist also materielle 25 Bedingung für die Kooperation von Lohnarbeitern, und der Umfang der Kooperation, oder die Stufenleiter der Produktion, hängt ab vom Umfang dieser Koncentration. 30 Ursprünglich erschien eine gewisse Minimalgröße des individuellen Ka- pitals nothwendig, damit die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Arbei- ter, daher die Masse des producirten Mehrwerths hinreiche, den Arbeitsan- wender selbst von der Handarbeit zu entbinden, aus einem Kleinmeister einen Kapitalisten zu machen und so das Kapitalverhältniß formell herzu- stellen. Sie erscheint jetzt als materielle Bedingung für die Verwandlung vieler zersplitterter und von einander unabhängiger individueller Arbeits- 35 processe in einen kombinirten gesellschaftlichen Arbeitsproceß. Ebenso erschien ursprünglich das Kommando des Kapitals über die Ar- beit nur als formelle Folge davon, daß der Arbeiter statt für sich, für den 1 9 ) «La forza di ciascuno uomo è minima, ma la riunione delle minime forze forma una forza totale maggiore anche della somma delle forze medesime fino a che le forze per essere riunite 40 possono diminuire il tempo ed accrescere lo spazio della loro azione.» (G. R. Carli, Note zu P.Verri, I.e. t.XV, p. 196.) 297 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit der Koopera- tion vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des Kapitals zum Erheischniß für die Ausführung ||295| des Arbeitsprocesses selbst, zu einer wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten auf dem Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des Generals auf dem Schlachtfeld. 5 Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf größrem Maßstab bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die Harmonie der individuellen Thätigkeiten vermittelt und die allgemeinen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesammtkör- 10 pers im Unterschied von der Bewegung seiner selbständigen Organe ent- springen. Ein einzelner Violinspieler dirigirt sich selbst, ein Orchester be- darf des Musikdirektors. Diese Funktion der Leitung, Ueberwachung und Vermittlung, wird zur Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeord- nete Arbeit kooperativ wird. Als specifische Funktion des Kapitals erhält 15 die Funktion der Leitung specifische Charaktermale. Zunächst ist das treibende Motiv und der bestimmende Zweck des kapi- talistischen Produktionsprocesses möglichst große Selbstverwerthung des Kapitals 2 0), d. h. möglichst große Produktion von Mehrwerth, also mög- lichst große Ausbeutung der Arbeitskraft durch den Kapitalisten. Mit der 20 Masse der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter wächst ihr Widerstand und damit nothwendig der Druck des Kapitals zur Bewältigung dieses Wider- stands. Die Leitung des Kapitalisten ist nicht nur eine aus der Natur des gesellschaftlichen Arbeitsprocesses entspringende und ihm angehörige be- sondre Funktion, sie ist zugleich Funktion der Ausbeutung eines gesell- 25 schaftlichen Arbeitsprocesses und daher bedingt durch den unvermeidli- chen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem Rohmaterial seiner Ausbeutung. Ebenso wächst mit dem Umfang der Produktionsmittel, die dem Lohnarbeiter als fremdes Eigenthum gegenüberstehn, die Nothwen- digkeit der Kontrole über deren sachgemäße Verwendung 2 1). Die Koopera- 30 2 0 ) "Profits ... is the sole end of trade." (J. Vanderlint I.e. p. 11.) 2 1 ) Ein englisches Philisterblatt, der Spectator vom 26. Mai 1866, berichtet, daß nach Einfüh- rung einer Art von Kompagniegeschäft zwischen Kapitalist und Arbeitern in der „wirework company of Manchester": "the first result was a sudden decrease in waste, the men not seeing why they should waste their own property any more than any other master's, and waste is per- 35 haps, next to bad debts, the greatest source of manufacturing loss." Dasselbe Blatt entdeckt als Grundmangel der Rochdale cooperative experiments: "They showed that associations of workmen could manage shops, mills, and almost all forms of industry with success, and they immensely improved the condition of the men, but then they did not leave a clear place for masters." („Sie bewiesen, daß Arbeiterassociationen Boutiquen, Fabriken und beinahe alle 40 Formen der Industrie mit Erfolg Iiandhaben können, und sie verbesserten außerordentlich die Lage der Leute selbst, aber!, aber dann ließen sie keinen sichtbaren Platz für Kapitalisten of- fen." Quelle horreur!) 298 Elftes Kapitel • Kooperation tion der Lohnarbeiter ||296| ist ferner bloße Wirkung des Kapitals, das sie gleichzeitig anwendet. Der Zusammenhang ihrer Funktionen und ihre Ein- heit als produktiver Gesammtkörper liegen außer ihnen, im Kapital, das sie zusammenbringt und zusammenhält. Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen daher ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten ge- genüber, als Macht eines fremden Willens, der ihr Thun seinem Zweck un- terwirft. 5 Wenn daher die kapitalistische Leitung dem Inhalt nach zwieschlächtig ist, wegen der Zwieschlächtigkeit des zu leitenden Produktionsprocesses 10 selbst, welcher einerseits gesellschaftlicher Arbeitsproceß zur Herstellung eines Produkts, andrerseits Verwerthungsproceß des Kapitals, so ist sie der Form nach despotisch. Mit der Entwicklung der Kooperation auf größrem Maßstab entwickelt dieser Despotismus seine eigenthümlichen Formen. Wie der Kapitalist zunächst entbunden wird von der Handarbeit, sobald 15 sein Kapital jene Minimalgröße erreicht hat, womit die eigentlich kapitali- stische Produktion erst beginnt, so tritt er jetzt die Funktion unmittelbarer und fortwährender Beaufsichtigung der einzelnen Arbeiter und Arbeiter- gruppen selbst wieder ab an eine besondre Sorte von Lohnarbeitern. Wie eine Armee militärischer, bedarf eine unter dem Kommando desselben Ka- 20 pitals zusammenwirkende Arbeitermasse industrieller Oberofficiere (Diri- genten, managers) und Unterofficiere (Arbeitsaufseher, foremen, overlook- ers, contremaîtres), die während des Arbeitsprocesses im Namen des Kapitals kommandiren. Die Arbeit der Oberaufsicht befestigt sich zu ihrer ausschließlichen Funktion. Bei Vergleichung der Produktionsweise unab- 25 hängiger Bauern oder selbständiger Handwerker mit der auf Sklaverei be- ruhenden Plantagenwirthschaft, zählt der politische Oekonom diese Arbeit der Oberaufsicht zu den faux frais de production 2 1 2 1). Bei Betrachtung der kapitalistischen Produktionsweise identificirt er dagegen die Funktion der Leitung, so weit sie aus der Natur des gemeinschaftlichen Arbeitsprocesses 30 entspringt, mit derselben Funktion, so weit sie durch den kapitalistischen und daher antagonistischen Charakter dieses Processes be||297|dingt wird 2 2). Der Kapitalist ist nicht Kapitalist, weil er industrieller Leiter ist, sondern er wird industrieller Befehlshaber, weil er Kapitalist ist. Der Ober- 35 40 21 a) Nachdem Professor Cairnes die ,,superintendence of labour" als einen Hauptcharakter der Sklavenproduktion in den südlichen Staaten von Nordamerika dargestellt hat, fährt er fort: "The peasant proprietor (des Nordens) appropriating the whole produce of his soil, needs no other stimulus to exertion. Superintendence is here completely dispensed with." (Cairnes I.e. p.48, 49.) 2 2 ) Sir James Steuart, überhaupt ausgezeichnet durch offnes Auge für die charakteristisch-ge- seilschaftlichen Unterschiede verschiedner Produktionsweisen, bemerkt: "Why do large un- dertakings in the manufacturing way ruin private industry, but by coming nearer to the sim- plicity of slaves?" (Princ. of Pol. Econ., London 1767, v. I, p. 167, 168.) 299 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts befehl in der Industrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl in Krieg und Gericht Attribut des Grundeigenthums war 2 2 a). 5 Eigenthümer seiner Arbeitskraft ist der Arbeiter, so lange er als Verkäu- fer derselben mit dem Kapitalist marktet, und er kann nur verkaufen, was er besitzt, seine individuelle, vereinzelte Arbeitskraft. Dieß Verhältniß wird in keiner Weise dadurch verändert, daß der Kapitalist 100 Arbeits- kräfte statt einer kauft oder mit 100 von einander unabhängigen Arbeitern Kontrakte schließt statt mit einem einzelnen. Er kann die 100 Arbeiter an- wenden, ohne sie kooperiren zu lassen. Der Kapitalist zahlt daher den Werth der 100 selbständigen Arbeitskräfte, aber er zahlt nicht die kombi- 10 nirte Arbeitskraft der Hundert. Als unabhängige Personen sind die Arbei- ter Vereinzelte, die in ein Verhältniß zu demselben Kapital, aber nicht zu einander treten. Ihre Kooperation beginnt erst im Arbeitsproceß, aber im Arbeitsproceß haben sie bereits aufgehört, sich selbst zu gehören. Mit dem Eintritt in denselben sind sie dem Kapital einverleibt. Als Kooperirende, 15 als Glieder eines werkthätigen Organismus, sind sie selbst nur eine besond- re Existenzweise des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als ge- sellschaftlicher Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgelt- lich, sobald die Arbeiter unter bestimmte Bedingungen gestellt sind, und 20 das Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem Ka- pital gehört, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur be- sitzt, als seine immanente Produktivkraft. 25 Kolossal zeigt sich die Wirkung der einfachen Kooperation in den Rie- senwerken der alten Asiaten, Aegypter, Etrusker u.s.w. „Es geschah in ver- gangnen Zeiten, daß diese asiatischen Staaten ||298| nach Bestreitung ihrer Civil- und Militärausgaben, sich im Besitz eines Ueberschusses von Le- bensmitteln befanden, die sie für Werke der Pracht und des Nutzens ver- 30 ausgaben konnten. Ihr Kommando über die Hände und Arme fast der gan- zen nicht ackerbauenden Bevölkrung und die ausschließliche Verfügung des Monarchen und der Priesterschaft über jenen Ueberschuß boten ihnen die Mittel zur Errichtung jener mächtigen Monumente, womit sie das Land erfüllten . . . I n der Bewegung der kolossalen Statuen und der enor- 35 men Massen, deren Transport Staunen erregt, wurde fast nur menschliche Arbeit verschwenderisch angewandt. Die Zahl der Arbeiter und die Kon- centration ihrer Mühen genügte. So sehn wir mächtige Korallenriffe aus den Tiefen des Oceans zu Inseln anschwellen und festes Land bilden, ob- 2 2 a ) Auguste Comte und seine Schule hätten daher in derselben Art die ewige Nothwendig- 40 keit von Feudalherrn beweisen können, wie sie dieß für die Kapitalherrn gethan. 300 Elftes Kapitel • Kooperation gleich jeder individuelle Ablagerer (depositary) winzig, schwach und ver- ächtlich ist. Die nicht ackerbauenden Arbeiter einer asiatischen Monar- chie haben außer ihren individuellen körperlichen Bemühungen wenig zum Werk zu bringen, aber ihre Zahl ist ihre Kraft, und die Macht der 5 Direktion über diese Massen gab jenen Riesenwerken den Ursprung. Es war die Koncentration der Revenuen, wovon die Arbeiter leben, in einer Hand oder wenigen Händen, welche solche Unternehmungen möglich machte" 2 3). Diese Macht asiatischer und ägyptischer Könige oder etruski- scher Theokraten u. s.w. ist in der modernen Gesellschaft auf den Kapitali- sten übergegangen, ob er nun als vereinzelter Kapitalist auftritt, oder, wie bei Aktiengesellschaften, als kombinirter Kapitalist. 10 20 Die Kooperation im Arbeitsproceß, wie wir sie in den Kulturanfängen der Menschheit, bei Jägervölkern 2 3 a) oder etwa in der Agrikultur indischer Gemeinwesen vorherrschend finden, beruht einerseits auf dem Gemeinei- 15 genthum an den Produktionsbedingungen, andrerseits darauf, daß das ein- zelne Individuum sich von der Nabelschnur des Stammes oder des Ge- meinwesens noch ebensowenig losgerissen hat, wie das Bienenindividuum vom Bienenstock. Beides unterscheidet sie von der kapitalistischen Koope- ration. Die sporadische Anwendung der Kooperation auf großem Maßstab in der antiken Welt, dem Mittelalter und den modernen Kolonien, beruht auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschafts-Verhältnissen, ||299| zu- meist auf der Sklaverei. Die kapitalistische Form setzt dagegen von vorn- herein den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft dem Kapital im Gegensatz zur jedoch entwickelt sie sich verkauft. Historisch 25 Bauernwirthschaft und zum unabhängigen Handwerksbetrieb, ob dieser zünftige Form besitze oder n i c h t 2 4 ) . Ihnen gegenüber erscheint die kapita- listische Kooperation nicht als eine besondre historische Form der Koope- ration, sondern die Kooperation selbst als eine dem kapitalistischen Pro- specifisch unterscheidende duktionsproceß 30 historische Form. eigenthümliche und ihn Wie die durch die Kooperation entwickelte gesellschaftliche Produktiv- kraft der Arbeit als Produktivkraft des Kapitals erscheint, so die Koopera- 2 3 ) R. Jones: „Textbook of Lectures etc.", p. 77, 78. Die altassyrischen, ägyptischen u. s. w. Sammlungen in London und andren europäischen Hauptstädten machen uns zu Augenzeu- 35 gen jener kooperativen Arbeitsprocesse. 23 a) Linguet in seiner „Theorie des Lois civiles" hat vielleicht nicht Unrecht, wenn er die Jagd für die erste Form der Kooperation und Menschenjagd (Krieg) für eine der ersten Formen der Jagd erklärt. 2 4 ) Die kleine Bauernwirthschaft und der unabhängige Handwerksbetrieb, die beide theils die 40 Basis der feudalen Produktionsweise bilden, theils nach deren Auflösung neben dem kapitali- stischen Betrieb erscheinen, bilden zugleich die ökonomische Grundlage der klassischen Ge- meinwesen zu ihrer besten Zeit, nachdem sich das ursprünglich orientalische Gemeineigen- thum aufgelöst, und bevor sich die Sklaverei der Produktion ernsthaft bemächtigt hat. 301 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts tion selbst als eine specifische Form des kapitalistischen Produktionspro- cesses im Gegensatz zum Produktionsproceß vereinzelter unabhängiger Arbeiter oder auch Kleinmeister. Es ist die erste Aenderung, welche der wirkliche Arbeitsproceß durch seine Subsumtion unter das Kapital erfährt. Diese Aenderung geht naturwüchsig vor sich. Ihre Voraussetzung, gleich- zeitige Beschäftigung einer größren Anzahl von Lohnarbeitern in demsel- ben Arbeitsproceß, bildet den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produk- tion. Dieser fällt mit dem Dasein des Kapitals selbst zusammen. Wenn sich die kapitalistische Produktionsweise daher einerseits als historische Nothwendigkeit für die Verwandlung des Arbeitsprocesses in einen gesell- 10 schaftlichen Proceß darstellt, so andrerseits diese gesellschaftliche Form des Arbeitsprocesses als eine vom Kapital angewandte Methode, um ihn durch Steigerung seiner Produktivkraft profitlicher auszubeuten. 5 In ihrer bisher betrachteten einfachen Gestalt fällt die Kooperation zu- sammen mit der Produktion auf größrer Stufenleiter, bildet aber keine fe- 15 ste, charakteristische Form einer besondren Entwicklungsepoche der kapi- talistischen Produktionsweise. Höchstens erscheint sie annähernd so in den noch handwerksmäßigen Anfängen der Manufaktur 2 5) und in jener Art großer Agrikultur, welche der 113 001 Manufakturperiode entspricht und sich wesentlich nur durch die Masse der gleichzeitig angewandten Arbeiter und den Umfang der koncentrirten Produktionsmittel von der Bauernwirth- schaft unterscheidet. Die einfache Kooperation ist stets noch vorherr- schende Form solcher Produktionszweige, worin das Kapital auf großer Stufenleiter operirt, ohne daß Theilung der Arbeit oder Maschinerie eine bedeutende Rolle spielte. 20 25 Die Kooperation bleibt die Grundform der kapitalistischen Produktions- weise, obgleich ihre einfache Gestalt selbst als besondre Form neben ihren weiter entwickelten Formen erscheint. Z W Ö L F T E S K A P I T E L . Theilung der Arbeit und Manufaktur. 30 1. Doppelter Ursprung der Manufaktur. Die auf Theilung der Arbeit beruhende Kooperation schafft sich ihre klas- sische Gestalt in der Manufaktur. Als charakteristische Form des kapitali- 2 5 ) "Whether the united skill, industry and emulation of many together on the same work be not the way to advance it? And whether it had been otherwise possible for England, to have carried on her Woollen Manufacture to so great a perfection?" (Berkeley: ,,The Querist". Lond. 1750, p. 56, § 521.) 35 302 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur 5 stischen Produktionsprocesses herrscht sie vor während der eigentlichen Manufakturperiode, die, rauh angeschlagen, von Mitte des 16. Jahrhun- derts bis zum letzten Drittheil des achtzehnten währt. Die Manufaktur entspringt auf doppelte Weise. Entweder werden Arbeiter von verschiedenartigen, selbständigen Hand- werken, durch deren Hände ein Produkt bis zu seiner letzten Reife laufen muß, in eine Werkstatt unter dem Kommando desselben Kapitalisten ver- einigt. Z . B . eine Kutsche war das Gesammtprodukt der Arbeiten einer gro- ßen Anzahl unabhängiger Handwerker, wie Stellmacher, Sattler, Schnei- 10 der, Schlosser, Gürtler, Drechsler, Posamentirer, Glaser, Maler, Lackirer, Vergolder u. s. w. Die Kutschenmanufaktur vereinigt alle diese verschied- nen Handwerker in ein Arbeitshaus, wo sie einander gleichzeitig in die Hand arbeiten. Man kann eine Kutsche zwar nicht vergolden, bevor sie ge- macht ist. Werden aber viele Kutschen gleichzeitig gemacht, so kann ein 15 Theil beständig vergoldet werden, während ein andrer Theil eine frühre Phase des Produktionsprocesses durchläuft. So weit stehn wir noch auf dem Boden der einfachen Kooperation, die ihr Material an Menschen und Dingen vorfindet. Indeß tritt sehr bald eine wesentliche Veränderung ein. Der Schneider, ||301| Schlosser, Gürtler u. s.w., der nur im Kutschenma- 20 chen beschäftigt ist, verliert nach und nach mit der Gewohnheit auch die Fähigkeit, sein altes Handwerk in seiner ganzen Ausdehnung zu betreiben. Andrerseits erhält sein vereinseitigtes Thun jetzt die zweckmäßigste Form für die verengte Wirkungssphäre. Ursprünglich erschien die Kutschenma- nufaktur als eine Kombination selbständiger Handwerke. Sie wird allmälig 25 Theilung der Kutschenproduktion in ihre verschiednen Sonderoperatio- nen, wovon jede einzelne zur ausschließlichen Funktion eines Arbeiters krystallisirt und deren Gesammtheit vom Verein dieser Theilarbeiter ver- richtet wird. Ebenso entstand die Tuchmanufaktur und eine ganze Reihe andrer Manufakturen aus der Kombination verschiedner Handwerke unter 30 dem Kommando desselben Kapitals 2 6). 2 6 ) Um ein mehr modernes Beispiel dieser Bildungsart der Manufaktur anzuführen, folgendes Citat. Die Seidenspinnerei und Weberei von Lyon und Nîmes «est toute patriarcale; elle em- ploie beaucoup de femmes et d'enfants, mais sans les épuiser ni les corrompre ; elle les laisse dans leurs belles vallées de la Drôme, du Var, de l'Isère, de Vaucluse, pour y élever des vers et 35 dévider leurs cocons; jamais elle n'entre dans une véritable fabrique. Pour être aussi bien ob- servé ... le principe de la division du travail, s'y revêt d'un caractère spécial. Il y a bien des dé- videuses, des moulineurs, des teinturiers, des encolleurs, puis des tisserands ; mais ils ne sont pas réunis dans un même établissement, ne dépendent pas d'un même maître; tous ils sont in- dépendants.» (A. Blanqui: ,,Cours d'Econ. Industrielle. Recueilli par A. Biaise. Paris 40 (1838-39)", p. 79.) Seit Blanqui dieß schrieb, sind die verschiednen unabhängigen Arbeiter zum Theil in Fabriken vereinigt worden. (Zur 4. Aufl. - Und seit Marx obiges schrieb, hat der Kraftstuhl sich in diesen Fabriken eingebürgert und verdrängt rasch den Handwebstuhl. Die Krefelder Seidenindustrie weiß ebenfalls ein Lied davon zu singen. - D. H.) 303 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 Die Manufaktur entspringt aber auch auf entgegengesetztem Wege. Es werden viele Handwerker, die Dasselbe oder Gleichartiges thun, z . B . Pa- pier oder Typen oder Nadeln machen, von demselben Kapital gleichzeitig in derselben Werkstatt beschäftigt. Es ist dieß Kooperation in der einfach- sten Form. Jeder dieser Handwerker (vielleicht mit einem oder zwei Gesel- len) macht die ganze Waare und vollbringt also die verschiednen, zu ihrer Herstellung erheischten Operationen der Reihe nach. Er arbeitet in seiner alten handwerksmäßigen Weise fort. Indeß veranlassen bald äußere Um- stände, die Koncentration der Arbeiter in demselben Raum und die Gleichzeitigkeit ihrer Arbeiten anders zu vernutzen. Es soll z.B. ein große- 10 res Quantum fertiger Waare in einer bestimmten Zeitfrist geliefert werden. Die Arbeit wird daher vertheilt. Statt die verschiednen Operationen von demselben Handwerker in einer zeitlichen Reihenfolge verrichten zu las- sen, 113021 werden sie von einander losgelöst, isolirt, räumlich neben einan- der gestellt, jede derselben einem andren Handwerker zugewiesen und alle 15 zusammen von den Kooperirenden gleichzeitig ausgeführt. Diese zufällige Vertheilung wiederholt sich, zeigt ihre eigenthümlichen Vortheile und ver- knöchert nach und nach zur systematischen Theilung der Arbeit. Aus dem individuellen Produkt eines selbständigen Handwerkers, der Vielerlei thut, verwandelt sich die Waare in das gesellschaftliche Produkt eines Vereins 20 von Handwerkern, von denen jeder fortwährend nur eine und dieselbe Theiloperation verrichtet. Dieselben Operationen, die in einander flössen als successive Verrichtungen des deutschen zünftigen Papiermachers, ver- selbständigten sich in der holländischen Papiermanufaktur zu neben ein- ander laufenden Theiloperationen vieler kooperirenden Arbeiter. Der zünf- 25 tige Nadler von Nürnberg bildet das Grundelement der englischen Nadelmanufaktur. Während aber jener eine Nadler eine Reihe von viel- leicht 20 Operationen nach einander durchlief, verrichteten hier bald 20 Nadler neben einander, jeder nur eine der 20 Operationen, die in Folge von Erfahrungen noch viel weiter gespaltet, isolirt und zu ausschließlichen 30 Funktionen einzelner Arbeiter verselbständigt wurden. Die Ursprungsweise der Manufaktur, ihre Herausbildung aus dem Hand- werk ist also zwieschlächtig. Einerseits geht sie von der Kombination ver- schiedenartiger, selbständiger Handwerke aus, die bis zu dem Punkt verun- selbständigt und vereinseitigt werden, wo sie nur noch einander 35 ergänzende Theiloperationen im Produktionsproceß einer und derselben Waare bilden. Andrerseits geht sie von der Kooperation gleichartiger Handwerker aus, zersetzt dasselbe individuelle Handwerk in seine ver- schiednen besondren Operationen und isolirt und verselbständigt diese bis zu dem Punkt, wo jede derselben zur ausschließlichen Funktion eines be- 40 sondren Arbeiters wird. Einerseits führt daher die Manufaktur Theilung 304 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur der Arbeit in einen Produktionsproceß ein oder entwickelt sie weiter, and- rerseits kombinirt sie früher geschiedne Handwerke. Welches aber immer ihr besondrer Ausgangspunkt, ihre Schlußgestalt ist dieselbe - ein Produk- tionsmechanismus, dessen Organe Menschen sind. 5 Zum richtigen Verständniß der Theilung der Arbeit in der Manufaktur ist es wesentlich, folgende Punkte festzuhalten: Zunächst fällt die Analyse des Produktionsprocesses in seine besondren Phasen hier ganz und gar zu- sammen mit der Zersetzung einer handwerksmäßigen Thätigkeit in ihre verschiednen Theil||303|operationen. Zusammengesetzt oder einfach, die 10 Verrichtung bleibt handwerksmäßig und daher abhängig von Kraft, Ge- schick, Schnelle, Sicherheit des Einzelarbeiters in Handhabung seines In- struments. Das Handwerk bleibt die Basis. Diese enge technische Basis schließt wirklich wissenschaftliche Analyse des Produktionsprocesses aus, da jeder Theilproceß, den das Produkt durchmacht, als handwerksmäßige 15 Theilarbeit ausführbar sein muß. Eben weil das handwerksmäßige Ge- schick so die Grundlage des Produktionsprocesses bleibt, wird jeder Arbei- ter ausschließlich einer Theilfunktion angeeignet und seine Arbeitskraft in das lebenslängliche Organ dieser Theilfunktion verwandelt. Endlich ist diese Theilung der Arbeit eine besondre Art der Kooperation, und manche ihrer Vortheile entspringen aus dem allgemeinen Wesen, nicht aus dieser besondren Form der Kooperation. 20 2. Oer Theilarbeiter und sein Werkzeug. 30 Gehn wir nun näher auf das Einzelne ein, so ist zunächst klar, daß ein Ar- beiter, der lebenslang eine und dieselbe einfache Operation verrichtet, sei- 25 nen ganzen Körper in ihr automatisch einseitiges Organ verwandelt und daher weniger Zeit dazu verbraucht als der Handwerker, der eine ganze Reihe von Operationen abwechselnd ausführt. Der kombinirte Gesammtar- beiter, der den lebendigen Mechanismus der Manufaktur bildet, besteht aber aus lauter solchen einseitigen Theilarbeitern. Im Vergleich zum selb- ständigen Handwerk wird daher mehr in weniger Zeit producirt oder die Produktivkraft der Arbeit gesteigert 2 7). Auch vervollkommnet sich die Me- thode der Theilarbeit, nachdem sie zur ausschließlichen Funktion einer Person verselbständigt ist. Die stete Wiederholung desselben beschränkten Thuns und die Koncentration der Aufmerksamkeit auf dieses Beschränkte lehren erfahrungsmäßig den bezweckten Nutzeffekt mit geringstem Kraft- aufwand erreichen. Da aber immer verschiedne Arbeitergenerationen 2 7 ) "The more any manufacture of much variety shall be distributed and assigned to different artists, the same must needs be better done and with greater expedition, with less loss of time and labour." (,,The Advantages of the East India Trade. Lond. 1720", p. 71.) 35 305 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts gleichzeitig zusammenleben und in denselben Manufakturen zusammen- wirken, befestigen, häufen und übertragen sich bald die so gewonnenen technischen Kunstgriffe 2 8). 5 Die Manufaktur producirt in der That die Virtuosität des Detail||304|ar- beiters, indem sie die naturwüchsige Sonderung der Gewerbe, die sie in der Gesellschaft vorfand, im Innern der Werkstatt reproducirt und systema- tisch zum Extrem treibt. Andrerseits entspricht ihre Verwandlung der Theilarbeit in den Lebensberuf eines Menschen dem Trieb früherer Gesell- schaften, die Gewerbe erblich zu machen, sie in Kasten zu versteinern oder in Zünfte zu verknöchern, falls bestimmte historische Bedingungen dem 10 Kastenwesen widersprechende Variabilität des Individuums erzeugen. Ka- sten und Zünfte entspringen aus demselben Naturgesetz, welches die Son- derung von Pflanzen und Thieren in Arten und Unterarten regelt, nur daß auf einem gewissen Entwicklungsgrad die Erblichkeit der Kasten oder die Ausschließlichkeit der Zünfte als gesellschaftliches Gesetz dekretirt 15 wird 2 9). „Die Musline von Dakka sind an Feinheit, die Kattune und andre Zeuge von Koromandel an Pracht und Dauerhaftigkeit der Farben niemals übertroffen worden. Und dennoch werden sie producirt ohne Kapital, Ma- schinerie, Theilung der Arbeit oder irgend eins der andren Mittel, die der Fabrikation in Europa so viele Vortheile bieten. Der Weber ist ein verein- 20 zeltes Individuum, der das Gewebe auf Bestellung eines Kunden verfertigt und mit einem Webstuhl von der einfachsten Konstruktion, manchmal nur bestehend aus hölzernen, roh zusammengefügten Stangen. Er besitzt nicht einmal einen Apparat zum Aufziehn der Kette, der Webstuhl muß daher in seiner ganzen Länge ausgestreckt bleiben und wird so unförmlich und 25 weit, daß er keinen Raum findet in der Hütte des Producenten, der seine Arbeit daher in freier Luft verrichten muß, wo sie durch jede Wetteränd- rung unterbrochen wird." 3 0) Es ist nur ||305| das von Generation auf Gene- ration gehäufte und von Vater auf Sohn vererbte Sondergeschick, das dem Hindu wie der Spinne diese Virtuosität verleiht. Und dennoch verrichtet 30 2 8 ) "Easy labour is transmitted skill." (Th. Hodgskin 1. c. p. 48.) 2 9 ) „Auch die Künste sind ... in Aegypten zu dem gehörigen Grad von Vollkommenheit ge- diehn. Denn in diesem Lande allein dürfen die Handwerker durchaus nicht in die Geschäfte einer andren Bürgerklasse eingreifen, sondern bloß den nach dem Gesetz ihrem Stamme erb- lich zugehörigen Beruf treiben ... Bei andren Völkern findet man, daß die Gewerbsleute ihre 35 Aufmerksamkeit auf zu viele Gegenstände vertheilen ... Bald versuchen sie es mit dem Land- bau, bald lassen sie sich in Handelsgeschäfte ein, bald befassen sie sich mit zwei oder drei Künsten zugleich. In Freistaaten laufen sie meist in die Volksversammlungen ... In Aegypten dagegen verfällt jeder Handwerker in schwere Strafen, wenn er sich in Staatsgeschäfte mischt, oder mehrere Künste zugleich treibt. So kann nichts ihren Berufsfleiß stören ... Zudem, wie 40 sie von ihren Vorfahren viele Regeln haben, sind sie eifrig darauf bedacht, noch neue Vor- theile aufzufinden." (Diodorus Siculus: „Historische Bibliothek" 1.1, c. 74.) 3 0 ) ,,Historical and descriptive Account of Brit. India etc. by Hugh Murray, James Wilson etc. Edinburgh 1832", v. II, p. 449 [,450]. Der indische Webstuhl ist hochschäftig, d. h. die Kette ist vertikal aufgespannt. 45 306 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur ein solcher indischer Weber sehr komplicirte Arbeit, verglichen mit der Mehrzahl der Manufakturarbeiter. 5 Ein Handwerker, der die verschiednen Theilprocesse in der Produktion eines Machwerks nach einander ausführt, muß bald den Platz, bald die In- strumente wechseln. Der Uebergang von einer Operation zur andren unter- bricht den Fluß seiner Arbeit und bildet gewissermaßen Poren in seinem Arbeitstag. Diese Poren verdichten sich, sobald er den ganzen Tag eine und dieselbe Operation kontinuirlich verrichtet, oder sie verschwinden in dem Maße, wie der Wechsel seiner Operation abnimmt. Die gesteigerte 10 Produktivität ist hier entweder der zunehmenden Ausgabe von Arbeitskraft in einem gegebnen Zeitraum geschuldet, also wachsender Intensität der Arbeit, oder einer Abnahme des unproduktiven Verzehrs von Arbeitskraft. Der Ueberschuß von Kraftaufwand nämlich, den jeder Uebergang aus der Ruhe in die Bewegung erheischt, kompensirt sich bei längrer Fortdauer der 15 einmal erreichten Normalgeschwindigkeit. Andrerseits zerstört die Konti- nuität gleichförmiger Arbeit die Spann- und Schwungkraft der Lebensgei- ster, die im Wechsel der Thätigkeit selbst ihre Erholung und ihren Reiz finden. Die Produktivität der Arbeit hängt nicht nur von der Virtuosität des Ar- 20 beiters ab, sondern auch von der Vollkommenheit seiner Werkzeuge. Werkzeuge derselben Art, wie Schneide-, Bohr-, Stoß-, Schlaginstrumente u.s.w., werden in verschiednen Arbeitsprocessen gebraucht, und in demsel- ben Arbeitsproceß dient dasselbe Instrument zu verschiednen Verrichtun- gen. Sobald jedoch die verschiednen Operationen eines Arbeitsprocesses 25 von einander losgelöst sind und jede Theiloperation in der Hand des Theil- arbeiters eine möglichst entsprechende und daher ausschließliche Form ge- winnt, werden Verändrungen der vorher zu verschiednen Zwecken dienen- den Werkzeuge nothwendig. Die Richtung ihres Formwechsels ergiebt sich aus der Erfahrung der besondren Schwierigkeiten, welche die unveränderte 30 Form in den Weg legt. Die Differenzirung der Arbeitsinstrumente, wo- durch Instrumente derselben Art besondre feste Formen für jede besondre Nutzanwendung erhalten, und ihre Specialisirung, wodurch jedes solches Sonderinstrument nur in der Hand specifischer Theilarbeiter in seinem ganzen Umfang wirkt, charakterisiren die Manufaktur. Zu ||306| Birming- 35 harn allein producirt man etwa 300 Varietäten von Hämmern, wovon jeder nicht nur für einen besondren Produktionsproceß, sondern eine Anzahl Varietäten oft nur für verschiedne Operationen in demselben Proceß dient. Die Manufakturperiode vereinfacht, verbessert und vermannigfacht die Ar- beitswerkzeuge durch deren Anpassung an die ausschließlichen Sonder- funktionen der Theilarbeiter 3 1). Sie schafft damit zugleich eine der mate- 3 1 ) Darwin bemerkt in seinem Epoche machenden Werk über „die Entstehung der Arten" mit 40 307 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts riellen Bedingungen der Maschinerie, die aus einer Kombination einfacher Instrumente besteht. Der Detailarbeiter und sein Instrument bilden die einfachen Elemente der Manufaktur. Wenden wir uns jetzt zu ihrer Gesammtgestalt. 3. Die beiden Grundformen der Manufaktur - 5 heterogene Manufaktur und organische Manufaktur. Die Gliederung der Manufaktur besitzt zwei Grundformen, die trotz gele- gentlicher Verschlingung zwei wesentlich verschiedne Arten bilden und namentlich auch bei der spätren Verwandlung der Manufaktur in die ma- schinenartig betriebne, große Industrie eine ganz verschiedne Rolle spie- 10 len. Dieser Doppelcharakter entspringt aus der Natur des Machwerks selbst. Es wird entweder gebildet durch bloß mechanische Zusammenset- zung selbständiger Theilprodukte oder verdankt seine fertige Gestalt einer Reihenfolge zusammenhängender Processe und Manipulationen. Eine Lokomotive z . B . besteht aus mehr als 5000 selbständigen Theilen. 15 Sie kann jedoch nicht als Beispiel der ersten Art der eigentlichen Manufak- tur gelten, weil sie ein Gebilde der großen Industrie ist. Wohl aber die Uhr, an welcher auch William Petty die manufakturmäßige Theilung der Arbeit veranschaulicht. Aus dem individuellen Werk eines Nürnberger Handwer- kers verwandelte sich die Uhr in das gesellschaftliche Produkt einer Unzahl 20 von Theilarbeitern, wie Rohwerkmacher, Uhrfedermacher, Zifferblattma- cher, Spiralfedermacher, Steinloch- und Rubinhebelmacher, Zeiger-1 |307|macher, Gehäusemacher, Sehraubenmacher, Vergolder, mit vielen Unterabtheilungen, wie z.B. Räderfabrikant (Messing- und Stahlräder wie- der geschieden), Triebmacher, Zeigerwerkmacher, acheveur de pignon (be- 25 festigt die Räder auf den Trieben, polirt die facettes u.s.w.), Zapfenmacher, planteur de finissage (setzt verschiedne Räder und Triebe in das Werk), fi- nisseur de barillet (läßt Zähne einschneiden, macht die Löcher zur richti- gen Weite, härtet Stellung und Gesperr), Hemmungmacher, bei der Cylin- derhemmung wieder Cylindermacher, Steigradmacher, Unruhemacher, 30 Raquettemacher (das Rückwerk, woran die Uhr regulirt wird), planteur d'échappement (eigentliche Hemmungmacher); dann der repasseur de ba- Bezug auf die natürlichen Organe der Pflanzen und Thiere: „So lange ein und dasselbe Organ verschiedne Arbeiten zu verrichten hat, läßt sich ein Grund für seine Veränderlichkeit viel- leicht darin finden, daß natürliche Züchtung jede kleine Abweichung der Form weniger sorg- fältig erhält oder unterdrückt, als wenn dasselbe Organ nur zu einem besondren Zwecke allein bestimmt wäre. So mögen Messer, welche allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im Gan- zen so ziemlich von einerlei Form sein, während ein nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes Werkzeug für jeden andren Gebrauch auch eine andre Form haben muß." 35 308 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur 5 10 rillet (macht Federhaus und Stellung ganz fertig), Stahlpolirer, Räderpoli- rer, Schraubenpolirer, Zahlenmaler, Blattmacher (schmilzt das Email auf das Kupfer), fabricant de pendants (macht bloß die Bügel des Gehäuses), finisseur de charnière (steckt den Messingstift in die Mitte des Gehäuses etc.), faiseur de secret (macht die Federn im Gehäuse, die den Deckel auf- springen machen), graveur, ciseleur, polisseur de boîte u.s.w., u.s.w., end- lich der repasseur, der die ganze Uhr zusammensetzt und sie gehend ablie- fert. Nur wenige Theile der Uhr laufen durch verschiedne Hände, und alle diese membra disjecta sammeln sich erst in der Hand, die sie schließlich in ein mechanisches Ganzes verbindet. Dieß äußerliche Verhältniß des ferti- gen Produkts zu seinen verschiedenartigen Elementen läßt hier, wie bei ähnlichem Machwerk, die Kombination der Theilarbeiter in derselben Werkstatt zufällig. Die Teilarbeiten können selbst wieder als von einander unabhängige Handwerke betrieben werden, wie im Kanton Waadt und 15 Neuchâtel, während in Genf z . B . große Uhrenmanufakturen bestehn, d.h. unmittelbare Kooperation der Theilarbeiter unter dem Kommando eines Kapitals stattfindet. Auch im letztren Fall werden Zifferblatt, Feder und Gehäuse selten in der Manufaktur selbst verfertigt. Der kombinirte manu- fakturmäßige Betrieb ist hier nur unter ausnahmsweisen Verhältnissen pro- fitlich, weil die Konkurrenz unter den Arbeitern, die zu Hause arbeiten wollen, am größten ist, die Zersplittrung der Produktion in eine Masse he- terogener Processe wenig Verwendung gemeinschaftlicher Arbeitsmittel er- laubt und der Kapitalist bei der zerstreuten Fabrikation die Auslage für Ar- beitsgebäude u. s. w. erspart 3 2). Indeß ist auch die Stellung ||308| dieser 25 Detailarbeiter, die zu Hause, aber für einen Kapitalisten (Fabrikant, éta- blisseur) arbeiten, ganz und gar verschieden von der des selbständigen Handwerkers, welcher für seine eignen Kunden arbeitet 3 3). 20 Die zweite Art der Manufaktur, ihre vollendete Form, producirt Mach- 30 3 2 ) Genf hat im Jahr 1854 80 000 Uhren producirt, noch nicht ein Fünftheil der Uhrenproduk- tion des Kantons Neuchâtel. Chaux-de-Fonds, das man als eine einzige Uhrenmanufaktur be- trachten kann, liefert allein jährlich doppelt so viel als Genf. Von 1850-61 lieferte Genf 720 000 Uhren. Siehe: „Report from Geneva on the Watch Trade" in „Reports by H.M.'s Se- cretaries of Embassy and Legation on the Manufactures, Commerce etc. No. 6. 1863". Wenn die Zusammenhangslosigkeit der Processe, worin die Produktion nur zusammengesetzter 35 Machwerke zerfällt, an und für sich die Verwandlung solcher Manufakturen in den Maschi- nenbetrieb der großen Industrie sehr erschwert, kommen bei der Uhr noch zwei andre Hinder- nisse hinzu, die Kleinheit und Delikatesse ihrer Elemente, und ihr Luxuscharakter, daher ihre Varietät, so daß z.B. in den besten Londoner Häusern das ganze Jahr hindurch kaum ein Dutzend Uhren gemacht werden, die sich ähnlich sehn. Die Uhrenfabrik von Vacheron & 40 Constantin, die mit Erfolg Maschinerie anwendet, liefert auch höchstens 3 - 4 verschiedne Va- rietäten von Größe und Form. 3 3 ) In der Uhrmacherei, diesem klassischen Beispiel der heterogenen Manufaktur, kann man sehr genau die oben erwähnte, aus der Zersetzung der handwerksmäßigen Thätigkeit entsprin- gende Differenzirung und Specialisirung der Arbeitsinstrumente studiren. 3 0 9 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts werke, die zusammenhängende Entwicklungsphasen, eine Reihenfolge von Stufenprocessen durchlaufen, wie z.B. der Draht in der Nähnadelmanufak- tur die Hände von 72 und selbst 92 specifîschen Theilarbeitern durch- läuft. 5 Soweit solche Manufaktur ursprünglich zerstreute Handwerke kombi- nirt, vermindert sie die räumliche Trennung zwischen den besondren Pro- duktionsphasen des Machwerks. Die Zeit seines Uebergangs aus einem Stadium in das andre wird verkürzt, ebenso die Arbeit, welche diese Uebergänge vermittelt 3 4). Im Vergleich zum Handwerk wird so Produktiv- kraft gewonnen, und zwar entspringt dieser Gewinn aus dem allgemeinen 10 kooperativen Charakter der Manufaktur. Andrerseits bedingt ihr eigen- t ü m l i c h e s Princip der Theilung der Arbeit eine Isolirung der verschiednen Produktionsphasen, die als eben so viele handwerksmäßige Theilarbeiten gegen einander verselbständigt sind. Die Herstellung und Erhaltung des Zusammenhangs zwischen den isolirten Funktionen ernöthigt beständigen 15 Transport des Machwerks aus einer Hand in die andre und aus einem Pro- ceß in den andren. Vom Standpunkt der großen Industrie tritt dieß als eine charakteristische, kostspielige und dem Princip der Manufaktur imma- nente Beschränktheit hervor 3 5). | |309| Betrachtet man ein bestimmtes Quantum Rohmaterial, z.B. von 20 Lumpen in der Papiermanufaktur oder von Draht in der Nadelmanufaktur, so durchläuft es in den Händen der verschiednen Theilarbeiter eine zeitli- che Stufenfolge von Produktionsphasen bis zu seiner Schlußgestalt. Be- trachtet man dagegen die Werkstatt als einen Gesammtmechanismus, so befindet sich das Rohmaterial gleichzeitig in allen seinen Produktionspha- 25 sen auf einmal. Mit einem Theil seiner vielen instrumentbewaffneten Hände zieht der aus den Detailarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter den Draht, während er gleichzeitig mit andren Händen und Werkzeugen ihn streckt, mit andren schneidet, spitzt etc. Aus einem zeitlichen Nacheinan- der sind die verschiednen Stufenprocesse in ein räumliches Nebeneinan- 30 der verwandelt. Daher Lieferung von mehr fertiger Waare in demselben Zeitraum 3 6). Jene Gleichzeitigkeit entspringt zwar aus der allgemeinen ko- 3 4 ) "In so close a cohabitation of the People, the carriage must needs be less." (,,The Advan- tages of the East India Trade", p. 106.) 3 5 ) "The isolation of the different stages of manufacture consequent upon the employment of 35 the manual labour adds immensely to the cost of production, the loss mainly arising from the mere removals from one process to another." (,,The Industry of Nations. Lond. 1855", Part. II, p. 200.) 3 6 ) "It (the division of labour) produces also an economy of time, by separating the work into its different branches, all of which may be carried on into execution at the same moment ... By carrying on all the different processes at once, which an individual must have executed se- parately, it becomes possible to produce a multitude of pins for instance completely finished in the same time as a single pin might have been either cut or pointed." (Dugald Stewart 1. c. p. 319.) 40 310 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur operativen Form des Gesammtprocesses, aber die Manufaktur findet nicht nur die Bedingungen der Kooperation vor, sondern schafft sie theilweise erst durch die Zerlegung der handwerksmäßigen Thätigkeit. Andrerseits er- reicht sie diese gesellschaftliche Organisation des Arbeitsprocesses nur 5 durch Festschmieden desselben Arbeiters an dasselbe Detail. Da das Theilprodukt jedes Theilarbeiters zugleich nur eine besondre Entwicklungsstufe desselben Machwerks ist, liefert ein Arbeiter dem and- ren oder eine Arbeitergruppe der andern ihr Rohmaterial. Das Arbeitsre- sultat des einen bildet den Ausgangspunkt für die Arbeit des andren. Der 10 eine Arbeiter beschäftigt daher hier unmittelbar den andren. Die nothwen- dige Arbeitszeit zur Erreichung des bezweckten Nutzeffekts in jedem Theilproceß wird erfahrungsmäßig festgestellt und der Gesammtmechanis- mus der Manufaktur beruht auf der Voraussetzung, daß in gegebner Ar- beitszeit ein gegebnes Resultat erzielt wird. Nur unter dieser Vorausset- 15 zung können die verschiednen, einander ergänzenden Arbeitsprocesse ununterbrochen, gleichzeitig und räumlich neben einander fortgehn. Es ist klar, daß diese unmittelbare Abhängig||310|keit der Arbeiten und daher der Arbeiter von einander jeden Einzelnen zwingt, nur die nothwendige Zeit zu seiner Funktion zu verwenden, und so eine ganz andre Kontinuität, 20 Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, Ordnung 3 7) und namentlich auch Inten- sität der Arbeit erzeugt wird als im unabhängigen Handwerk oder selbst der einfachen Kooperation. Daß auf eine Waare nur die zu ihrer Herstel- lung gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit verwandt wird, erscheint bei der Waarenproduktion überhaupt als äußrer Zwang der Konkurrenz, weil, 25 oberflächlich ausgedrückt, jeder einzelne Producent die Waare zu ihrem Marktpreis verkaufen muß. Lieferung von gegebnem Produktenquantum in gegebner Arbeitszeit wird dagegen in der Manufaktur technisches Gesetz des Produktionsprocesses selbst 3 8). 30 Verschiedne Operationen bedürfen jedoch ungleicher Zeitlängen und liefern daher in gleichen Zeiträumen ungleiche Quanta von Theilproduk- ten. Soll also derselbe Arbeiter Tag aus, Tag ein stets nur dieselbe Ope- ration verrichten, so müssen für verschiedne Operationen verschiedne Verhältnißzahlen von Arbeitern verwandt werden, z.B. 4 Gießer und 2 Ab- brecher auf einen Frottirer in einer Typenmanufaktur, wo der Gießer 35 stündlich 2000 Typen gießt, der Abbrecher 4000 abbricht und der Frottirer 8000 blank reibt. Hier kehrt das Princip der Kooperation in seiner einfach- 3 7 ) "The more variety of artists to every manufacture ... the greater the order and regularity of every work, the same must needs be done in less time, the labour must be less." (,,The Advan- tages etc." p. 68.) 3 8 ) Indeß erreicht der manufakturmäßige Betrieb dieß Resultat in vielen Zweigen nur unvoll- kommen, weil er die allgemeinen chemischen und physikalischen Bedingungen des Produk- tionsprocesses nicht mit Sicherheit zu kontroliren weiß. 40 311 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts sten Form zurück, gleichzeitige Beschäftigung Vieler, die Gleichartiges thun, aber jetzt als Ausdruck eines organischen Verhältnisses. Die manu- fakturmäßige Theilung der Arbeit vereinfacht und vermannigfacht also nicht nur die qualitativ unterschiednen Organe des gesellschaftlichen Ge- sammtarbeiters, sondern schafft auch ein mathematisch festes Verhältniß für den quantitativen Umfang dieser Organe, d.h. für die relative Arbeiter- zahl oder relative Größe der Arbeitergruppen in jeder Sonderfunktion. Sie entwickelt mit der qualitativen Gliederung die quantitative Regel und Pro- portionalität des gesellschaftlichen Arbeitsprocesses. 5 Ist die passendste Verhältnißzahl der verschiednen Gruppen von Theil- 10 arbeitern erfahrungsmäßig festgesetzt für eine bestimmte Stufenleiter der Produktion, so kann man diese Stufenleiter nur ||311| ausdehnen, indem man ein Multipel jeder besondren Arbeitergruppe verwendet 3 9). Es kommt hinzu, daß dasselbe Individuum gewisse Arbeiten eben so gut auf größerer als kleinerer Staffel ausführt, z . B . die Arbeit der Oberaufsicht, den Trans- 15 port der Theilprodukte aus einer Produktionsphase in die andre u.s.w. Die Verselbständigung dieser Funktionen, oder ihre Zuweisung an besondre Arbeiter, wird also erst vortheilhaft mit Vergrößrung der beschäftigten Ar- beiterzahl, aber diese Vergrößrung muß sofort alle Gruppen proportioneil ergreifen. 20 Die einzelne Gruppe, eine Anzahl von Arbeitern, die dieselbe Theil- funktion verrichten, besteht aus homogenen Elementen und bildet ein be- sondres Organ des Gesammtmechanismus. In verschiednen Manufakturen jedoch ist die Gruppe selbst ein gegliederter Arbeitskörper, während der Gesammtmechanismus durch die Wiederholung oder Vervielfältigung die- 25 ser produktiven Elementarorganismen gebildet wird. Nehmen wir z . B . die Manufaktur von Glasflaschen. Sie zerfällt in drei wesentlich unterschiedne Phasen. Erstens die vorbereitende Phase, die Bereitung der Glaskomposi- tion, Mengung von Sand, Kalk u.s.w. und Schmelzung dieser Komposition zu einer flüssigen Glasmasse 4 0). In dieser ersten Phase sind verschiedne 30 Theilarbeiter beschäftigt, ebenso in der Schlußphase, der Entfernung der Flaschen aus den Trockenöfen, ihre Sortirung, Verpackung u. s. w. Zwi- schen beiden Phasen steht in der Mitte die eigentliche Glasmacherei oder Verarbeitung der flüssigen Glasmasse. An demselben Munde eines Glas- 3 9 ) „Wenn die Erfahrung, je nach der besondren Natur der Produkte jeder Manufaktur, so- 35 wohl die vortheilhafteste Art, die Fabrikation in Theiloperationen zu spalten, als auch die für sie nöthige Arbeiterzahl kennen gelehrt hat, werden alle Etablissements, die kein exaktes Multipel dieser Zahl anwenden, mit mehr Kosten fabriciren .... Dieß ist eine der Ursachen der kolossalen Ausdehnung industrieller Etablissements." (Ch. Babbage: „On the Economy of Machinery". Lond. 1832, ch. XXI, p. 172, 173.) 4 0 ) In England ist der Schmelzofen getrennt vom Glasofen, an dem das Glas verarbeitet wird, in Belgien z. B. dient derselbe Ofen zu beiden Processen. 40 312 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur ofens arbeitet eine Gruppe, die in England das „hole" (Loch) heißt, und aus einem bottle maker oder finisher, einem blower, einem gatherer, einem putter up oder whetter off und einem taker in zusammengesetzt ist. Diese fünf Theilarbeiter bilden eben so viele Sonderorgane eines einzigen Ar- 5 beitskörpers, der nur als Einheit, also nur durch unmittelbare Kooperation der Fünf wirken kann. Fehlt ein Glied des fünftheiligen Körpers, so ist er paralysirt. Derselbe Glasofen hat aber verschiedne Oeffnungen, in England z . B . 4 - 6 , ||312| deren jede einen irdenen Schmelztiegel mit flüssigem Glas birgt, und wovon jede eine eigne Arbeitergruppe von derselben fünfgliedri- 10 gen Form beschäftigt. Die Gliederung jeder einzelnen Gruppe beruht hier unmittelbar auf der Theilung der Arbeit, während das Band zwischen den verschiednen gleichartigen Gruppen einfache Kooperation ist, die eins der Produktionsmittel, hier den Glasofen, durch gemeinsamen Konsum öko- nomischer verbraucht. Ein solcher Glasofen mit seinen 4 - 6 Gruppen bil- 15 det eine Glashütte, und eine Glasmanufaktur umfaßt eine Mehrzahl sol- cher Hütten, zugleich mit den Vorrichtungen und Arbeitern für die einleitenden und abschließenden Produktionsphasen. Endlich kann die Manufaktur, wie sie theilweis aus der Kombination verschiedner Handwerke entspringt, sich zu einer Kombination verschied- 20 ner Manufakturen entwickeln. Die größren englischen Glashütten z . B . fa- briciren ihre irdenen Schmelztiegel selbst, weil von deren Güte das Gelin- gen oder Mißlingen des Produkts wesentlich abhängt. Die Manufaktur eines Produktionsmittels wird hier mit der Manufaktur des Produkts ver- bunden. Umgekehrt kann die Manufaktur des Produkts verbunden werden 25 mit Manufakturen, worin es selbst wieder als Rohmaterial dient, oder mit deren Produkten es später zusammengesetzt wird. So findet man z.B. die Manufaktur von Flintglas kombinirt mit der Glasschleiferei und der Gelb- gießerei, letztre für die metallische Einfassung mannigfacher Glasartikel. Die verschiednen kombinirten Manufakturen bilden dann mehr oder min- 30 der räumlich getrennte Departemente einer Gesammtmanufaktur, zugleich von einander unabhängige Produktionsprocesse, jeder mit eigner Theilung der Arbeit. Trotz mancher Vortheile, welche die kombinirte Manufaktur bietet, gewinnt sie, auf eigner Grundlage, keine wirklich technische Ein- heit. Diese entsteht erst bei ihrer Verwandlung in den maschinenmäßigen 35 Betrieb. Die Manufakturperiode, welche Verminderung der zur Waarenproduk- tion nothwendigen Arbeitszeit bald als bewußtes Princip ausspricht 4 1), ent- wickelt sporadisch auch den Gebrauch von Maschinen, namentlich für ge- wisse einfache erste Processe, die massenhaft und mit großem Kraft- 40 4 1 ) Man kann dieß unter andren ersehn aus W. Petty, John Bellers, Andrew Yarranton, „The Advantages of the East India Trade" und J. Vanderlint. 313 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts aufwand auszuführen sind. So wird z . B . bald in der Papiermanufaktur das Zermalmen der Lumpen durch Papiermühlen und in der Metallurgie das Zerstoßen der ||313| Erze durch sogenannte Pochmühlen verrichtet 4 2). Die element arische Form aller Maschinerie hatte das römische Kaiserreich überliefert in der Wassermühle 4 3). Die Handwerksperiode vermachte die großen Erfindungen des Kompasses, des Pulvers, der Buchdruckerei und der automatischen Uhr. Im Großen und Ganzen jedoch spielt die Maschi- nerie jene Nebenrolle, die Adam Smith ihr neben der Theilung der Arbeit anweist 4 4). Sehr wichtig wurde die sporadische Anwendung der Maschine- rie im 17. Jahrhundert, weil sie den großen Mathematikern jener Zeit prak- 10 tische Anhaltspunkte und Reizmittel zur Schöpfung der modernen Mecha- nik darbot. 5 Die specifische Maschinerie der Manufakturperiode bleibt der aus vie- len Theilarbeitern kombinirte Gesammtarbeiter selbst. Die verschiednen Operationen, die der Producent einer Waare abwechselnd verrichtet und 15 die sich im Ganzen seines Arbeitsprocesses verschlingen, nehmen ihn ver- schiedenartig in Anspruch. In der einen muß er mehr Kraft entwickeln, in der andren mehr Gewandtheit, in der dritten mehr geistige Aufmerksam- keit u.s.w., und dasselbe Individuum besitzt diese Eigenschaften nicht in gleichem Grad. Nach der Trennung, Verselbständigung und Isolirung der 20 verschiednen Operationen werden die Arbeiter ihren vorwiegenden Eigen- schaften gemäß getheilt, klassificirt und gruppirt. Bilden ihre Naturbeson- derheiten die Grundlage, worauf sich die Theilung der Arbeit pfropft, so entwickelt die Manufaktur, einmal eingeführt, Arbeitskräfte, die von Natur nur zu einseitiger Sonderfunktion taugen. Der Gesammtarbeiter besitzt 25 jetzt alle produktiven Eigenschaften in gleich hohem Grad der Virtuosität | |314| und verausgabt sie zugleich aufs ökonomischste, indem er alle seine Organe, individualisirt in besondren Arbeitern oder Arbeitergruppen, aus- 30 4 2 ) Noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts bedient sich Frankreich der Mörser und Siebe zum Pochen und Waschen der Erze. 4 3 ) Die ganze Entwicklungsgeschichte der Maschinerie läßt sich verfolgen an der Geschichte der Getreidemühlen. Die Fabrik heißt im Englischen immer noch mill. In deutschen techno- logischen Schriften aus den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts findet man noch den Aus- druck Mühle nicht nur für alle mit Naturkräften getriebene Maschinerie, sondern selbst für alle Manufakturen, die maschinenartige Apparate anwenden. 4 4 ) Wie man aus dem Vierten Buch dieser Schrift näher sehn wird, hat A. Smith keinen einzi- gen neuen Satz über die Theilung der Arbeit aufgestellt. Was ihn aber als den zusammenfas- senden politischen Oekonomen der Manufakturperiode charakterisirt, ist der Accent, den er auf die Theilung der Arbeit legt. Die untergeordnete Rolle, die er der Maschinerie anweist, rief im Beginn der großen Industrie Lauderdale's, in einer weiter entwickelten Epoche Ure's 40 Polemik hervor. A. Smith verwechselt auch die Differenzirung der Instrumente, wobei die Theilarbeiter der Manufaktur selbst sehr thätig waren, mit der Maschinenerfindung. Es sind nicht Manufakturarbeiter, sondern Gelehrte, Handwerker, selbst Bauern (Brindley) u.s.w., die hier eine Rolle spielen. 35 314 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur schließlich zu ihren specifischen Funktionen verwendet 4 5). Die Einseitig- keit und selbst die Unvollkommenheit des Theilarbeiters werden zu seiner Vollkommenheit als Glied des Gesammtarbeiters 4 6). Die Gewohnheit einer einseitigen Funktion verwandelt ihn in ihr naturgemäß sicher wirkendes ihn 5 Organ, während der Zusammenhang des Gesammtmechanismus zwingt, mit der Regelmäßigkeit eines Maschinentheils zu wirken 4 7). Da die verschiednen Funktionen des Gesammtarbeiters einfacher oder zusammengesetzter, niedriger oder höher, erheischen seine Organe, die in- dividuellen Arbeitskräfte, sehr verschiedne Grade der Ausbildung und be- lo sitzen daher sehr verschiedne Werthe. Die Manufaktur entwickelt also eine Hierarchie der Arbeitskräfte, der eine Stufenleiter der Arbeitslöhne ent- spricht. Wird einerseits der individuelle Arbeiter einer einseitigen Funk- tion angeeignet und lebenslang annexirt, so werden eben so sehr die ver- schiednen Arbeitsverrichtungen jener Hierarchie der natürlichen und 15 erworbnen Geschicklichkeiten angepaßt 4 8). Jeder Produktionsproceß be- dingt indeß gewisse einfache Hantierungen, deren jeder Mensch, wie er geht und steht, fähig ist. Auch sie werden jetzt von ihrem ||315| flüssigen Zusammenhang mit den inhaltvollern Momenten der Thätigkeit losgelöst und zu ausschließlichen Funktionen verknöchert. 20 Die Manufaktur erzeugt daher in jedem Handwerk, das sie ergreift, eine Klasse sogenannter ungeschickter Arbeiter, die der Handwerksbetrieb streng ausschloß. Wenn sie die durchaus vereinseitigte Specialität auf Ko- sten des ganzen Arbeitsvermögens zur Virtuosität entwickelt, beginnt sie auch schon den Mangel aller Enwicklung zu einer Specialität zu machen. 25 4 5 ) „Indem man das Machwerk in mehrere verschiedne Operationen theilt, deren jede ver- schiedne Grade von Gewandtheit und Kraft erheischt, kann der Manufakturherr sich genau das jeder Operation entsprechende Quantum von Kraft und Gewandtheit verschaffen. Wäre dagegen das ganze Werk von einem Arbeiter zu. verrichten, so müßte dasselbe Individuum ge- nug Gewandtheit für die delikatesten und genug Kraft für die mühseligsten Operationen be- 30 sitzen." (Ch. Babbage, 1. c. ch. XIX.) 4 6 ) Z.B. einseitige Muskelentwicklung, Knochenverkrümmung u.s.w. 4 7 ) Sehr richtig antwortet Herr Wm. Marshall, der general manager einer Glasmanufaktur, auf die Frage des Untersuchungskommissärs, wie die Arbeitsamkeit unter den beschäftigten Jun- gen aufrecht erhalten werde: "They cannot well neglect their work; when they once begin, they 35 must go on; they are just the same as parts of a machine." (,,Child. Empi. Comm. Fourth Re- port" 1865, p. 247.) 4 8 ) Dr. Ure in seiner Apotheose der großen Industrie fühlt die eigenthümlichen Charaktere der Manufaktur schärfer heraus als frühere Oekonomen, die nicht sein polemisches Interesse hatten, und selbst als seine Zeitgenossen, z.B. Babbage, der ihm zwar überlegen ist als Mathe- 40 matiker und Mechaniker, aber dennoch die große Industrie eigentlich nur vom Standpunkt der Manufaktur auffaßt. Ure bemerkt: „Die Aneignung der Arbeiter an jede Sonderoperation bildet das Wesen der Vertheilung der Arbeiten." Andrerseits bezeichnet er diese Vertheilung als „Anpassung der Arbeiten an die verschiednen individuellen Fähigkeiten" und charakteri- sirt endlich das ganze Manufaktursystem als „ein System von Gradationen nach dem Rang 45 der Geschicklichkeit", als „eine Theilung der Arbeit nach den verschiednen Graden des Ge- schicks" u.s.w. Ure, Philos, of Manuf, p. 19-23, passim. 315 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Neben die hierarchische Abstufung tritt die einfache Scheidung der Arbei- ter in geschickte und ungeschickte. Für letztre fallen die Erlernungskosten ganz weg, für erstre sinken sie, im Vergleich zum Handwerker, in Folge vereinfachter Funktion. In beiden Fällen sinkt der Werth der Arbeits- kraft 4 9). Ausnahme findet statt, soweit die Zersetzung des Arbeitsprocesses neue zusammenfassende Funktionen erzeugt, die im Handwerksbetrieb gar nicht oder nicht in demselben Umfang vorkamen. Die relative Entwer- t u n g der Arbeitskraft, die aus dem Wegfall oder der Verminderung der Er- lernungskosten entspringt, schließt unmittelbar höhere Verwerthung des Kapitals ein, denn alles, was die zur Reproduktion der Arbeitskraft noth- 10 wendige Zeit verkürzt, verlängert die Domaine der Mehrarbeit. 5 4. Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft. Wir betrachteten erst den Ursprung der Manufaktur, dann ihre einfachen Elemente, den Theilarbeiter und sein Werkzeug, endlich ihren Gesammt- 15 mechanismus. Wir berühren jetzt kurz das Verhältniß zwischen der manu- fakturmäßigen Theilung der Arbeit und der gesellschaftlichen Theilung der Arbeit, welche die allgemeine Grundlage aller Waarenproduktion bildet. Hält man nur die Arbeit selbst im Auge, so kann man die Trennung der gesellschaftlichen Produktion in ihre großen Gattungen, wie Agrikultur, 20 Industrie u.s.w., als Theilung der Arbeit im Allgemeinen, die Sonderung dieser Produktionsgattungen in Arten und Unterarten als Theilung der Ar- beit im Besondren, und die Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt als Theilung der Arbeit im Einzelnen bezeichnen 5 0). | |316| Die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft und die ent- 25 sprechende Beschränkung der Individuen auf besondre Berufssphären ent- wickelt sich, wie die Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur, von 4 9 ) "Each handicraftsman, being .... enabled to perfect himself by practice in one point, be- came .... a cheaper workman." Ure, I.e. p. 19. 5 0 ) „Die Theilung der Arbeit geht von der Trennung der verschiedenartigsten Professionen fort bis zu jener Theilung, wo mehrere Arbeiter sich in die Anfertigung eines und desselben Produkts theilen, wie in der Manufaktur." (Storch: ,,Cours d'Écon. Pol." Pariser Ausgabe, t.I, p. 173.) «Nous rencontrons chez les peuples parvenus à un certain degré de civilisation trois genres de divisions d'industrie: la première, que nous nommons générale, amène la distinc- tion des producteurs en agriculteurs, manufacturiers et commerçans, elle se rapporte aux trois principales branches d'industrie nationale; la seconde, qu'on pourrait appeler spéciale, est la division de chaque genre d'industrie en espèces... la troisième division d'industrie, celle en- fin qu'on devrait qualifier de division de la besogne ou du travail proprement dit, est celle qui s'établit dans les arts et les métiers séparés... qui s'établit dans la plupart des manufactures et des ateliers.» (Skarbek 1. c. p. 84, 85.) 30 35 40 316 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur entgegengesetzten Ausgangspunkten. Innerhalb einer F a m i l i e 5 0 a ) , weiter entwickelt eines Stammes, entspringt eine naturwüchsige Theilung der Ar- beit aus den Geschlechts- und Altersverschiedenheiten, also auf rein phy- siologischer Grundlage, die mit der Ausdehnung des Gemeinwesens, der 5 Zunahme der Bevölkerung und namentlich dem Konflikt zwischen ver- schiednen Stämmen und der Unterjochung eines Stamms durch den and- ren ihr Material ausweitet. Andrerseits, wie ich früher bemerkt, entspringt der Produktenaustausch an den Punkten, wo verschiedne Familien, Stämme, Gemeinwesen in Kontakt kommen, denn nicht Privatpersonen, 10 sondern Familien, Stämme u.s.w. treten sich in den Anfängen der Kultur selbständig gegenüber. Verschiedne Gemeinwesen finden verschiedne Pro- duktionsmittel und verschiedne Lebensmittel in ihrer Naturumgebung vor. Ihre Produktionsweise, Lebensweise und Produkte sind daher verschieden. Es ist diese naturwüchsige Verschiedenheit, die bei dem Kontakt der Ge- 15 meinwesen den Austausch der wechselseitigen Produkte und daher die all- mählige Verwandlung dieser Produkte in Waaren hervorruft. Der Aus- tausch schafft nicht den Unterschied der Produktionssphären, sondern setzt die unterschiednen in Beziehung und verwandelt sie so in mehr oder minder von einander abhängige Zweige einer gesellschaftlichen Gesammt- 20 Produktion. Hier entsteht die gesellschaftliche Theilung der Arbeit durch den Austausch ursprünglich verschiedner, aber von einander unabhängiger Produktionssphären. ||317| Dort, wo die physiologische Theilung der Arbeit den Ausgangspunkt bildet, lösen sich die besondren Organe eines unmit- telbar zusammengehörigen Ganzen von einander ab, zersetzen sich, zu 25 welchem Zersetzungsproceß der Waarenaustausch mit fremden Gemein- wesen den Hauptanstoß giebt, und verselbständigen sich bis zu dem Punkt, wo der Zusammenhang der verschiednen Arbeiten durch den Austausch der Produkte als Waaren vermittelt wird. Es ist in dem einen Fall Verun- selbständigung der früher Selbständigen, in dem andren Verselbständigung 30 der früher Unselbständigen. Die Grundlage aller entwickelten und durch Waarenaustausch vermittel- ten Theilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und L a n d 5 1 ) . Man 5 0 a ) Note zur 3. Aufl. - Spätere sehr gründliche Studien der menschlichen Urzustände führten den Verfasser zum Ergebniß, daß ursprünglich nicht die Familie sich zum Stamm ausgebil- 35 det, sondern umgekehrt, der Stamm die ursprüngliche naturwüchsige Form der auf Blutsver- wandtschaft beruhenden menschlichen Vergesellschaftung war, so daß aus der beginnenden Auflösung der Stammesbande erst später die vielfach verschiednen Formen der Familie sich entwickelten. (D.H.) 5 1 ) Sir James Steuart hat diesen Punkt am besten behandelt. Wie wenig sein Werk, welches 40 10 Jahre vor dem ,,Wealth of Nations" erschien, heut zu Tage bekannt ist, sieht man u. a. dar- aus, daß die Bewundrer des Malthus nicht einmal wissen, daß dieser in der ersten Ausgabe seiner Schrift über die „Population", vom rein deklamatorischen Theil abgesehn, neben den Pfaffen Wallace und Townsend fast nur den Steuart abschreibt. 317 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts kann sagen, daß die ganze ökonomische Geschichte der Gesellschaft sich in der Bewegung dieses Gegensatzes resümirt, auf den wir jedoch hier nicht weiter eingehn. Wie für die Theilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur eine gewisse Anzahl gleichzeitig angewandter Arbeiter die materielle Voraussetzung bil- det, so für die Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft die Größe der Bevölkerung und ihre Dichtigkeit, die hier an die Stelle der Agglomera- tion in derselben Werkstatt tritt 5 2). Indeß ist diese Dichtigkeit etwas Relati- ves. Ein relativ spärlich bevölkertes Land mit entwickelten Kommunika- tionsmitteln besitzt eine dichtere Bevölkerung als ein mehr bevölkertes 10 Land mit unentwickelten Kommunikationsmitteln, und in dieser Art sind z.B. die nördlichen Staaten der amerikanischen Union dichter bevölkert als Indien 5 3). 5 15 Da Waarenproduktion und Waarencirkulation die allgemeine ||318| Vor- aussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, erheischt manufaktur- mäßige Theilung der Arbeit eine schon bis zu gewissem Entwicklungsgrad gereifte Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. Umgekehrt ent- wickelt und vervielfältigt die manufakturmäßige Theilung der Arbeit rück- wirkend jene gesellschaftliche Theilung der Arbeit. Mit der Differenzirung der Arbeitsinstrumente differenziren sich mehr und mehr die Gewerbe, 20 welche diese Instrumente produciren 5 4). Ergreift der manufakturmäßige Betrieb ein Gewerb, das bisher als Haupt- oder Nebengewerb mit andren zusammenhing und von demselben Producenten ausgeführt wurde, so fin- det sofort Scheidung und gegenseitige Verselbständigung statt. Ergreift er eine besondre Produktionsstufe einer Waare, so verwandeln sich ihre ver- 25 schiednen Produktionsstufen in verschiedne unabhängige Gewerbe. Es ward bereits angedeutet, daß, wo das Machwerk ein bloß mechanisch zu- sammengesetztes Ganze von Theilprodukten, die Theilarbeiten sich selbst wieder zu eignen Handwerken verselbständigen können. Um die Theilung der Arbeit vollkommner innerhalb einer Manufaktur auszuführen, wird 30 derselbe Produktionszweig, je nach der Verschiedenheit seiner Rohstoffe 5 2 ) "There is a certain density of population which is convenient, both for social intercourse, and for that combination of powers by which the produce of labour is increased." (James Mill I.e. p. 50.) "As the number of labourers increases, the productive power of society augments in the compound ratio of that increase, multiplied by the effects of the division of labour." (Th. 35 Hodgskin 1. c. p. 120.) 5 3 ) In Folge der großen Baumwollnachfrage seit 1861 wurde in einigen sonst zahlreich bevöl- kerten Distrikten Ostindiens die Baumwollproduktion auf Kosten der Reisproduktion ausge- dehnt. Es entstand daher partielle Hungersnoth, weil wegen mangelnder Kommunikations- mittel und daher mangelnden physischen Zusammenhangs der Reisausfall in einem Distrikt nicht durch Zufuhr aus andren Distrikten ausgeglichen werden konnte. 5 4 ) So bildete die Fabrikation der Weberschiffchen schon während des 17. Jahrhunderts einen besondren Industriezweig in Holland. 40 318 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur oder der verschiednen Formen, die derselbe Rohstoff erhalten kann, in ver- schiedne zum Theil ganz neue Manufakturen gespaltet. So wurden bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich allein über 100 ver- schiedenartige Seidenzeuge gewebt, und in Avignon ζ. Β. war es Gesetz, 5 daß „jeder Lehrling sich immer nur einer Fabrikations art widmen und nicht die Verfertigung mehrerer Zeugarten zugleich lernen durfte". Die ter- ritoriale Theilung der Arbeit, welche besondre Produktionszweige an be- sondre Distrikte eines Landes bannt, erhält neuen Anstoß durch den ma- nufakturmäßigen Betrieb, der alle Besonderheiten ausbeutet 5 5). Reiches 10 Material zur Theilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft liefert der Ma- nufakturperiode die Erweiterung des Weltmarkts und das Kolonialsystem, die zum Umkreis ihrer allgemeinen Existenzbedingungen gehören. Es ist hier nicht der Ort, weiter nachzuweisen, wie sie neben der ökonomischen jede andre Sphäre der Gesellschaft ergreift ||319| und überall die Gründ- läge zu jener Ausbildung des Fachwesens, der Specialitäten, und einer Par- cellirung des Menschen legt, die schon A. Ferguson, den Lehrer A. Smiths, in den Ausruf ausbrechen ließ: „Wir machen eine Nation von Heloten, und es giebt keine Freien unter u n s " 5 6 ) . ls 20 Trotz der zahlreichen Analogien jedoch und der Zusammenhänge zwi- sehen der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und der Thei- lung innerhalb einer Werkstatt, sind beide nicht nur graduell, sondern we- sentlich unterschieden. Am schlagendsten scheint die Analogie unstreitig, wo ein innres Band verschiedne Geschäftszweige verschlingt. Der Vieh- züchter z.B. producirt Häute, der Gerber verwandelt die Häute in Leder, 25 der Schuster das Leder in Stiefel. Jeder producirt hier ein Stufenprodukt, und die letzte fertige Gestalt ist das kombinirte Produkt ihrer Sonderarbei- ten. Es kommen hinzu die mannigfachen Arbeitszweige, die dem Vieh- züchter, Gerber, Schuster Produktionsmittel liefern. Man kann sich nun mit A. Smith einbilden, diese gesellschaftliche Theilung der Arbeit unter- scheide sich von der manufakturmäßigen nur subjektiv, nämlich für den Beobachter, der hier die mannigfachen Theilarbeiten auf einen Blick räumlich zusammensieht, während dort ihre Zerstreuung über große Flä- chen und die große Zahl der in jedem Sonderzweig Beschäftigten den Zu- sammenhang verdunklen 5 7). Was aber stellt den Zusammenhang her zwi- 30 35 40 5 5 ) "Whether the Woollen Manufacture of England is not divided into several parts or bran- ches appropriated to particular places, where they are only or principally manufactured; fine cloths in Somersetshire, coarse in Yorkshire, long ells at Exeter, soies at Sudbury, crapes at Norwich, linseys at Kendal, blankets at Whitney, and so forth!" (Berkeley: ,,The Querist" 1750, [p. 56,] §. 520.) 5 6 ) A.Ferguson: ,,History of Civil Society", Edinb. 1750, PartIV, sect.II, p.285. 5 7 ) In den eigentlichen Manufakturen, sagt er, scheint die Theilung der Arbeit größer, weil "those employed in every different branch of the work can often be collected into the same 319 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts sehen den unabhängigen Arbeiten von Viehzüchter, Gerber, Schuster? Das Dasein ihrer respektiven Produkte als Waaren. Was charakterisirt dagegen die manufakturmäßige Theilung der Arbeit? Daß der Theilarbeiter keine Waare producirt 5 8). Erst das gemeinsame ||320| Produkt der Theilarbeiter verwandelt sich in W a a r e 5 8 a ) . Die Theilung der Arbeit im Innern der Ge- 5 Seilschaft ist vermittelt durch den K a u f und Verkauf der Produkte ver- schiedner Arbeitszweige, der Zusammenhang der Theilarbeiten in der Ma- nufaktur durch den Verkauf verschiedner Arbeitskräfte an denselben Kapitalisten, der sie als kombinirte Arbeitskraft verwendet. Die manufak- turmäßige Theilung der Arbeit unterstellt Koncentration der Produktions- 10 mittel in der Hand eines Kapitalisten, die gesellschaftliche Theilung der Arbeit Zersplitterung der Produktionsmittel unter viele von einander unab- hängige Waarenproducenten. Statt daß in der Manufaktur das eherne Ge- setz der Verhältnißzahl oder Proportionalität bestimmte Arbeitermassen unter bestimmte Funktionen subsumirt, treiben Zufall und Willkür ihr 15 buntes Spiel in der Vertheilung der Waarenproducenten und ihrer Produk- tionsmittel unter die verschiednen gesellschaftlichen Arbeitszweige. Zwar workhouse, and placed at once under the view of the spectator. In those great manufactures (!), on the contrary, which are destined to supply the great wants of the great body of the peo- ple, every different branch of the work employs so great a number of workmen, that it is im- 20 possible to collect them all into the same workhouse ... the division is not near so obvious." (A.Smith: ,,Wealth of Nations", b.I, ch.I.) Der berühmte Passus in demselben Kapitel, der mit den Worten beginnt: "Observe the accomodation of the most common artificer or day la- bourer in a civilized and thriving country etc." und dann weiter ausmalt, wie zahllos mannig- faltige Gewerbe zur Befriedigung der Bedürfnisse eines gewöhnlichen Arbeiters zusammen- 25 wirken, ist ziemlich wörtlich kopirt aus B. de Mandeville's Remarks zu seiner: „Fable of the Bees, or Private Vices, Publick Benefits". (Erste Ausgabe ohne Remarks 1705, mit den Re- marks 1714.) 5 8 ) "There is no longer anything which we can call the natural reward of individual labour. Each labourer produces only some part of a whole, and each part, having no value or utility of 30 itself, there is nothing on which the labourer can seize, and say: it is my product, this I will keep for myself." (,,Labour defended against the claims of Capital. Lond. 1825", p. 25.) Der Verfasser dieser vorzüglichen Schrift ist der früher citirte Th. Hodgskin. 5 8 a ) Note zur 2. Ausgabe. Dieser Unterschied zwischen gesellschaftlicher und manufakturmä- ßiger Theilung der Arbeit wurde den Yankees praktisch illustrirt. Eine der während des Bür- 35 gerkriegs zu Washington neu ausgeheckten Steuern war die Accise von 6 % auf „alle indu- striellen Produkte". Frage: Was ist ein industrielles Produkt? Antwort des Gesetzgebers: Ein Ding ist producirt, „wenn es gemacht ist" (when it is made) und es ist gemacht, wenn für den Verkauf fertig. Nun ein Beispiel aus vielen. Manufakturen zu New York und Philadelphia hat- ten früher Regenschirme mit allem Zubehör „gemacht". Da ein Regenschirm aber ein Mix- 40 tum Compositum ganz heterogener Bestandtheile, wurden letztre nach und nach zu Machwer- ken unabhängig von einander und an verschiednen Orten betriebner Geschäftszweige. Ihre Theilprodukte gingen nun als selbständige Waaren ein in die Regenschirm-Manufaktur, wel- che sie nur noch in ein Ganzes zusammensetzt. Die Yankees haben derartige Artikel ,,assem- bled articles" (versammelte Artikel) getauft, was sie namentlich verdienten als Sammelplätze 45 von Steuern. So „versammelte" der Regenschirm erstens 6 % Accise auf den Preis jedes seiner Elemente und hinwiederum 6 % auf seinen eignen Gesammtpreis. 320 Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur suchen sich die verschiednen Produktionssphären beständig ins Gleich- gewicht zu setzen, indem einerseits jeder Waarenproducent einen Ge- brauchswerth produciren, also ein besondres gesellschaftliches Bedürfniß befriedigen muß, der Umfang dieser Bedürfnisse aber quantitativ verschie- 5 den ist und ein innres Band die verschiednen Bedürfnißmassen zu einem naturwüchsigen System verkettet; indem andrerseits das Werthgesetz der Waaren bestimmt, wie viel die Gesellschaft von ihrer ganzen disponiblen Arbeitszeit auf die Produktion jeder besondren Waarenart verausgaben kann. Aber diese be||321|ständige Tendenz der verschiednen Produktions- 10 Sphären, sich ins Gleichgewicht zu setzen, bethätigt sich nur als Reaktion gegen die beständige Aufhebung dieses Gleichgewichts. Die bei der Thei- lung der Arbeit im Innern der Werkstatt a priori und planmäßig befolgte Regel wirkt bei der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft nur a posteriori als innre, stumme, im Barometerwechsel der Marktpreise wahr- 15 nehmbare, die regellose Willkür der Waarenproducenten überwältigende Naturnothwendigkeit. Die manufakturmäßige Theilung der Arbeit unter- stellt die unbedingte Autorität des Kapitalisten über Menschen, die bloße Glieder eines ihm gehörigen Gesammtmechanismus bilden; die gesell- schaftliche Theilung der Arbeit stellt unabhängige Waarenproducenten 20 einander gegenüber, die keine andre Autorität anerkennen als die der Kon- kurrenz, den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen auf sie ausübt, wie auch im Thierreich das bellum omnium contra omnes die Exi- stenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erhält. Dasselbe bürgerli- che Bewußtsein, das die manufakturmäßige Theilung der Arbeit, die Ie- 25 benslängliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung und die unbedingte Unterordnung der Theilarbeiter unter das Kapital als eine Or- ganisation der Arbeit feiert, welche ihre Produktivkraft steigre, denuncirt daher eben so laut jede bewußte gesellschaftliche Kontrole und Reglung des gesellschaftlichen Produktionsprocesses als einen Eingriff in die unver- letzlichen Eigenthumsrechte, Freiheit und sich selbst bestimmende „Ge- nialität" des individuellen Kapitalisten. Es ist sehr charakteristisch, daß die begeisterten Apologeten des Fabriksystems nichts Aergres gegen jede allgemeine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu sagen wissen, als daß sie die ganze Gesellschaft in eine Fabrik verwandeln würde. 30 35 Wenn die Anarchie der gesellschaftlichen und die Despotie der manu- fakturmäßigen Arbeitstheilung einander in der Gesellschaft der kapitalisti- schen Produktionsweise bedingen, bieten dagegen frühere Gesellschaftsfor- men, worin die Besonderung der Gewerbe sich naturwüchsig entwickelt, dann krystallisirt und endlich gesetzlich befestigt hat, einerseits das Bild 40 einer plan- und autoritätsmäßigen Organisation der gesellschaftlichen Ar- beit, während sie anderseits die Theilung der Arbeit innerhalb der Werk- 321 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts statt ganz ausschließen, oder nur auf einem Zwergmaßstab, oder nur spora- disch und zufällig entwickeln 5 9). | 5 15 10 13221 Jene uralterthümlichen, kleinen indischen Gemeinwesen z.B., die zum Theil noch fortexistiren, berahn auf gemeinschaftlichem Besitz des Grund und Bodens, auf unmittelbarer Verbindung von Agrikultur und Handwerk und auf einer festen Theilung der Arbeit, die bei Anlage neuer Gemeinwesen als gegebner Plan und Grundriß dient. Sie bilden sich selbst genügende Produktionsganze, deren Produktionsgebiet von 100 bis auf ei- nige 1000 Acres wechselt. Die Hauptmasse der Produkte wird für den un- mittelbaren Selbstbedarf der Gemeinde producirt, nicht als Waare, und die Produktion selbst ist daher unabhängig von der durch Waarenaustausch vermittelten Theilung der Arbeit im Großen und Ganzen der indischen Gesellschaft. Nur der Ueberschuß der Produkte verwandelt sich in Waare, zum Theil selbst wieder erst in der Hand des Staats, dem ein bestimmtes Quantum seit undenklichen Zeiten als Naturairente zufließt. Verschiedne Theile Indiens besitzen verschiedne Formen des Gemeinwesens. In der einfachsten Form bebaut die Gemeinde das Land gemeinschaftlich und vertheilt seine Produkte unter ihre Glieder, während jede Familie Spinnen, Weben u.s.w. als häusliches Nebengewerb treibt. Neben dieser gleichartig beschäftigten Masse finden wir den „Haupteinwohner", Richter, Polizei 20 und Steuereinnehmer in einer Person; den Buchhalter, der die Rechnung über den Ackerbau führt und alles darauf Bezügliche katastrirt und regi- strirt; einen dritten Beamten, der Verbrecher verfolgt und fremde Reifeende beschützt und von einem Dorf zum andren geleitet; den Grenzmann, der die Grenzen der Gemeinde gegen die Nachbargemeinden bewacht; den 25 Wasseraufseher, der das Wasser aus den gemeinschaftlichen Wasserbehäl- tern zu Ackerbauzwecken vertheilt; den Braminen, der die Funktionen des religiösen Kultus verrichtet; den Schulmeister, der die Gemeindekinder im Sand schreiben und lesen lehrt; den Kalenderbraminen, der als Astrolog die Zeiten für Saat, Ernte und die guten und bösen Stunden für alle be- 30 sondren Ackerbauarbeiten angiebt; einen Schmied und einen Zimmer- mann, welche alle Ackerbauwerkzeuge verfertigen und ausbessern; den Töpfer, der alle Gefäße für das Dorf macht; den Barbier, den Wäscher für die Reinigung der Kleider, den Silberschmied, hier und da den Poeten, der in einigen Gemeinden den Silberschmied, in andren ||323| den Schulmei- 35 ster ersetzt. Dieß Dutzend Personen wird auf Kosten der ganzen Gemeinde 5 9 ) « On peut ... établir en règle générale, que moins l'autorité préside à la division du travail dans l'intérieur de la société, plus la division du travail se développe dans l'intérieur de l'ate- lier, et plus elle y est soumise à ^autorité d'un seul. Ainsi l'autorité dans l'atelier et celle dans la société, par rapport à la division du travail, sont en raison inverse l'une de l'autre. » (Karl 40 Marx I.e. p. 130, 131.) 322 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur erhalten. Wächst die Bevölkerung, so wird eine neue Gemeinde nach dem Muster der alten auf unbebautem Boden angesiedelt. Der Gemeindeme- chanismus zeigt planmäßige Theilung der Arbeit, aber ihre manufakturmä- ßige Theilung ist unmöglich, indem der Markt für Schmied, Zimmermann 5 u.s.w. unverändert bleibt und höchstens, je nach dem Größenunterschied der Dörfer, statt eines Schmieds, Töpfers u. s. w. ihrer zwei oder drei vor- kommen 6 0). Das Gesetz, das die Theilung der Gemeindearbeit regelt, wirkt hier mit der unverbrüchlichen Autorität eines Naturgesetzes, während j e - der besondre Handwerker, wie Schmied u.s.w., nach überlieferter Art, aber 10 selbständig und ohne Anerkennung irgend einer Autorität in seiner Werk- statt, alle zu seinem Fach gehörigen Operationen verrichtet. Der einfache produktive Organismus dieser selbstgenügenden Gemeinwesen, die sich beständig in derselben Form reproduciren und, wenn zufällig zerstört, an demselben Ort, mit demselben Namen, wieder aufbauen 6 1), liefert den 15 Schlüssel zum Geheimniß der Unveränderlichkeit asiatischer Gesellschaf- ten, so auffallend kontrastirt durch die beständige Auflösung und Neubil- dung asiatischer Staaten und rastlosen Dynastenwechsel. Die Struktur der ökonomischen Grundelemente der Gesellschaft bleibt von den Stürmen der politischen Wolkenregion unberührt. 20 Die Zunftgesetze, wie schon früher bemerkt, verhinderten planmäßig, durch äußerste Beschränkung der Gesellenzahl, die ein einzelner Zunft- meister beschäftigen durfte, seine Verwandlung in einen Kapitalisten. Ebenso konnte er Gesellen nur beschäftigen in dem ausschließlichen Handwerk, worin er selbst Meister war. Die Zunft wehrte eifersüchtig jeden 25 Uebergriff des Kaufmanns113241kapitals ab, der einzig freien Form des Ka- pitals, die ihr gegenüberstand. Der Kaufmann konnte alle Waaren kaufen, nur nicht die Arbeit als Waare. Er war nur geduldet als Verleger der Hand- werksprodukte. Riefen äußere Umstände eine fortschreitende Theilung der Arbeit hervor, so zerspalteten sich bestehende Zünfte in Unterarten oder lagerten sich neue Zünfte neben die alten hin, jedoch ohne Zusammenfas- sung verschiedner Handwerke in einer Werkstatt. Die Zunftorganisation, so sehr ihre Besondrung, Isolirung und Ausbildung der Gewerbe zu den 30 35 40 6 0 ) Lieut. Col. Mark Wilks: ,,Historical Sketches of the South of India. Lond. 1810-17", v. I, p. 118-20. Eine gute Zusammenstellung der verschiednen Formen des indischen Gemeinwe- sens findet man in George Campbell's „Modern India. London 1852". 6 1 ) "Under this simple form ... the inhabitants of the country have lived since time immemo- rial. The boundaries of the villages have been but seldom altered; and though the villages themselves have been sometimes injured, and even desolated by war, famine, and disease, the same name, the same limits, the same interests, and even the same families, have continued for ages. The inhabitants give themselves no trouble about the breaking up and division of kingdoms; while the village remains entire, they care not to what power it is transferred or to what sovereign it devolves; its internal economy remains unchanged." (Th. Stamford Raffles, late Lieut. Gov. of Java: ,,The History of Java. Lond. 1817", v. I, p. 285.) 323 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts materiellen Existenzbedingungen der Manufakturperiode gehören, schloß daher die manufakturmäßige Theilung der Arbeit aus. Im Großen und Ganzen blieben der Arbeiter und seine Produktionsmittel mit einander verbunden, wie die Schnecke mit dem Schneckenhaus, und so fehlte die erste Grundlage der Manufaktur, die Verselbständigung der Produktions- mittel als Kapital gegenüber dem Arbeiter. 5 Während die Theilung der Arbeit im Ganzen einer Gesellschaft, ob ver- mittelt oder unvermittelt durch den Waarenaustausch, den verschiedenar- tigsten ökonomischen Gesellschaftsformationen angehört, ist die manufak- turmäßige Theilung der Arbeit eine ganz specifische Schöpfung der 10 kapitalistischen Produktionsweise. 5. Der kapitalistische Charakter der Manufaktur. Eine größere Arbeiteranzahl unter dem Kommando desselben Kapitals bil- det den naturwüchsigen Ausgangspunkt, wie der Kooperation überhaupt, so der Manufaktur. Umgekehrt entwickelt die manufakturmäßige Theilung 15 der Arbeit das Wachsthum der angewandten Arbeiterzahl zur technischen Nothwendigkeit. Das Arbeiterminimum, das ein einzelner Kapitalist an- wenden muß, ist ihm jetzt durch die vorhandne Theilung der Arbeit vorge- schrieben. Andrerseits sind die Vortheile weitrer Theilung bedingt durch weitre Vermehrung der Arbeiteranzahl, die nur noch in Vielfachen aus- 20 führbar. Mit dem variablen muß aber auch der konstante Bestandtheil des Kapitals wachsen, neben dem Umfang der gemeinsamen Produktionsbe- dingungen, wie Baulichkeiten, Oefen u. s.w., namentlich auch und viel ra- scher als die Arbeiteranzahl, das Rohmaterial. Seine Masse, verzehrt in ge- gebner Zeit durch gegebnes Arbeitsquantum, nimmt Verhältniß zu wie die Produktivkraft der Arbeit in Folge ihrer Theilung. Wachsender Minimalumfang von Kapital in der Hand der einzelnen Kapi- talisten, oder wachsende Verwandlung der gesellschaftlichen Lebensmit- tel ||325| und Produktionsmittel in Kapital ist also ein aus dem technischen Charakter der Manufaktur entspringendes Gesetz 6 2). in demselben 25 30 6 2 ) „Es genügt nicht, daß das zur Unterabtheilung der Handwerke nöthige Kapital (sollte hei- ßen, die dazu nöthigen Lebens- und Produktionsmittel) sich in der Gesellschaft vorhanden vorfinde; es ist außerdem nöthig, daß es in den Händen der Unternehmer in hinreichend be- trächtlichen Massen akkumulirt sei, um sie zur Arbeit auf großer Stufenleiter zu befähigen ... Je mehr die Theilung zunimmt, erheischt die beständige Beschäftigung einer selben Zahl von ' 3 5 Arbeitern immer beträchtlicheres Kapital in Werkzeugen, Rohstoffen u.s.w." (Storch: ,,Cours d'Écon. Polit." Pariser Ausg. t.I, p. 250, 251.) «La concentration des instruments de produc- tion et la division du travail sontaussi inséparables Tune de l'autre que le sont, dans le régime politique, la concentration des pouvoirs publics et la division des intérêts privés.» (Karl Marx 1. c. p. 134.) 40 324 Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur Wie in der einfachen Kooperation ist in der Manufaktur der funktioni- rende Arbeitskörper eine Existenzform des Kapitals. Der aus vielen indivi- duellen Theilarbeitern zusammengesetzte gesellschaftliche Produktions- mechanismus gehört dem Kapitalisten. Die aus der Kombination der 5 Arbeiten entspringende Produktivkraft erscheint daher als Produktivkraft des Kapitals. Die eigentliche Manufaktur unterwirft nicht nur den früher selbständigen Arbeiter dem Kommando und der Disciplin des Kapitals, sondern schafft überdem eine hierarchische Gliederung unter den Arbei- tern selbst. Während die einfache Kooperation die Arbeitsweise der Einzel- 10 nen im Großen und Ganzen unverändert läßt, revolutionirt die Manufak- tur sie von Grund aus und ergreift die individuelle Arbeitskraft an ihrer Wurzel. Sie verkrüppelt den Arbeiter in eine Abnormität, indem sie sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen, wie man in den La Plata Staaten 15 ein ganzes Thier abschlachtet, um sein Fell oder seinen Talg zu erbeuten. Die besondren Theilarbeiten werden nicht nur unter verschiedne Indivi- duen vertheilt, sondern das Individuum selbst wird getheilt, in das automa- tische Triebwerk einer Theilarbeit verwandelt 6 3) und die abgeschmackte Fabel des Menenius Agrippa verwirklicht, die einen Menschen als bloßes 20 Fragment seines eignen Körpers darstellt 6 4). Wenn der Arbeiter ursprüng- lich seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft, weil ihm die materiellen Mittel zur Produktion einer Waare fehlen, versagt jetzt seine individuelle Arbeitskraft selbst ihren Dienst, so||326|bald sie nicht an das Kapital ver- kauft wird. Sie funktionirt nur noch in einem Zusammenhang, der erst 25 nach ihrem Verkauf existirt, in der Werkstatt des Kapitalisten. Seiner na- türlichen Beschaffenheit nach verunfähigt, etwas Selbständiges zu machen, entwickelt der Manufakturarbeiter produktive Thätigkeit nur noch als Zu- behör zur Werkstatt des Kapitalisten 6 5). Wie dem auserwählten Volk auf der Stirn geschrieben stand, daß es das Eigenthum Jehovas, so drückt die 30 Theilung der Arbeit dem Manufakturarbeiter einen Stempel auf, der ihn zum Eigenthum des Kapitals brandmarkt. Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbständige Bauer oder Handwerker, wenn auch auf kleinem Maßstab, entwickelt, wie der Wilde alle Kunst des Kriegs als persönliche List ausübt, sind jetzt nur noch 6 3 ) Dugald Stewart nennt die Manufakturarbeiter ,,living automatons ... employed in the de- tails of thé work". (1. c. p. 318.) 6 4 ) Bei den Korallen bildet jedes Individuum in der That den Magen für die ganze Gruppe. Es führt ihr aber Nahrungsstoff zu, statt wie der römische Patricier ihn wegzuführen. 6 5 ) «L'ouvrier qui porte dans ses bras tout un métier, peut aller partout exercer son industrie et trouver des moyens de subsister: l'autre (der Manufakturarbeiter) n'est qu'un accessoire qui, séparé de ses confrères, n'a plus ni capacité, ni indépendance, et qui se trouve forcé d'ac- cepter la loi qu'on juge à propos de lui imposer.» (Storch I.e. edit. Petersb. 1815, t.I, p.204.) 325 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts für das Ganze der Werkstatt erheischt. Die geistigen Potenzen der Produk- tion erweitern ihren Maßstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten verschwinden. Was die Theilarbeiter verlieren, koncentrirt sich ihnen ge- genüber im Kapital 6 6). Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Thei- lung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktions- processes als fremdes Eigenthum und sie beherrschende Macht gegenüber zu stellen. Dieser Scheidungsproceß beginnt in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Theilarbeiter verstümmelt. Er voll- 10 endet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbstän- dige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapi- tals preßt 6 7). 5 In der Manufaktur ist die Bereicherung des Gesammtarbeiters und da- her des Kapitals an gesellschaftlicher Produktivkraft bedingt ||327| durch 15 die Verarmung des Arbeiters an individuellen Produktivkräften. „Die Un- wissenheit ist die Mutter der Industrie wie des Aberglaubens. Nachdenken und Einbildungskraft sind dem Irrthum unterworfen; aber die Gewohnheit, den Fuß oder die Hand zu bewegen, hängt weder von dem einen, noch von der andren ab. Manufakturen prosperiren also da am meisten, wo man am 20 meisten sich des Geistes entschlägt, in der Art, daß die Werkstatt als eine Maschine betrachtet werden kann, deren Theile Menschen sind." 6 8). In der That wandten einige Manufakturen in der Mitte des 18. Jahrhunderts für gewisse einfache Operationen, welche aber Fabrikgeheimnisse bildeten, mit Vorliebe halbe Idioten a n 6 9) . 25 „Der Geist der großen Mehrzahl der Menschen", sagt A. Smith, „entwik- kelt sich nothwendig aus und an ihren Alltagsverrichtungen. Ein Mensch, der sein ganzes Leben in der Verrichtung weniger einfacher Operationen verausgabt ... hat keine Gelegenheit, seinen Verstand zu üben. .. Er wird im Allgemeinen so stupid und unwissend, wie es für eine menschliche 30 Kreatur möglich ist." Nachdem Smith den Stumpfsinn des Theilarbeiters geschildert, fährt er fort: „Die Einförmigkeit seines stationären Lebens ver- dirbt natürlich auch den Muth seines Geistes ... Sie zerstört selbst die 6 6 ) A. Ferguson 1. c. p.281: "The former may have gained what the other has lost." 6 7 ) „Der Mann des Wissens und der produktive Arbeiter sind weit von einander getrennt, und die Wissenschaft, statt in der Hand des Arbeiters seine eignen Produktivkräfte für ihn selbst zu vermehren, hat sich fast überall ihm gegenübergestellt .... Kenntniß wird ein Instrument, fähig von der Arbeit getrennt und ihr entgegengesetzt zu werden." (W. Thompson: „An In- quiry into the Principles of the Distribution of Wealth. London 1824", p. 274.) 6 8 ) A. Ferguson I.e. p.280. 6 9 ) J.D. Tuckett: „A History of the Past and Present State of the Labouring Population. Lond. 1846", v.I, p. 148. ~~ - 35 40 326 Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur Energie seines Körpers und verunfâhigt ihn, seine Kraft schwunghaft und ausdauernd anzuwenden außer in der Detailbeschäftigung, wozu er heran- gezogen ist. Sein Geschick in seinem besondren Gewerke scheint so erwor- ben auf Kosten seiner intellektuellen, socialen und kriegerischen Tugen- 5 den. Aber in jeder industriellen und civilisirten Gesellschaft ist dieß der Zustand, worin der arbeitende Arme (the labouring poor), d. h. die große Masse des Volks nothwendig verfallen m u ß " 7 0 ) . Um die aus der Theilung der Arbeit entspringende völlige Verkümmerung der Volksmasse ||328| zu verhindern, empfiehlt A. Smith Volksunterricht von Staats wegen, wenn 10 auch in vorsichtig homöopathischen Dosen. Konsequent polemisirt dage- gen sein französischer Uebersetzer und Kommentator, G. Garnier, der sich unter dem ersten französischen Kaiserthum naturgemäß zum Senator ent- puppte. Volksunterricht verstoße wider die ersten Gesetze der Theilung der Arbeit und mit demselben „proscribire man unser ganzes Gesellschaftssy- stem". „Wie alle andren Theilungen der Arbeit", sagt er, „wird die zwi- schen Handarbeit und Verstandesarbeit 7 1) ausgesprochner und entschied- ner im Maße wie die Gesellschaft (er wendet richtig diesen Ausdruck an für das Kapital, das Grundeigenthum und ihren Staat) reicher wird. Gleich jeder andren ist diese Theilung der Arbeit eine Wirkung vergangner und 20 eine Ursache künftiger Fortschritte ... Darf die Regierung denn dieser Theilung der Arbeit entgegenwirken und sie in ihrem naturgemäßen Gang aufhalten? Darf sie einen Theil der Staatseinnahme zum Versuch verwen- den, zwei Klassen von Arbeit, die ihre Theilung und Trennung erstreben, zu verwirren und zu vermischen?" 7 2) 15 25 Eine gewisse geistige und körperliche Verkrüppelung ist unzertrennlich selbst von der Theilung der Arbeit im Ganzen und Großen der Gesell- schaft. Da aber die Manufakturperiode diese gesellschaftliche Zerspaltung der Arbeitszweige viel weiter führt, andrerseits erst mit der ihr eigenthümli- chen Theilung das Individuum an seiner Lebenswurzel ergreift, liefert sie 30 auch zuerst das Material und den Anstoß zur industriellen Pathologie 7 3). 7 0 ) A. Smith: ,,Wealth of Nations", Β. V, ch. I, art. II. Als Schüler A.Ferguson's, der die nach- theiligen Folgen der Theilung der Arbeit entwickelt hatte, war A. Smith über diesen Punkt durchaus klar. Im Eingang seines Werks, wo die Theilung der Arbeit ex professo gefeiert wird, deutet er sie nur vorübergehend als Quelle der gesellschaftlichen Ungleichheiten an. Erst im 35 5. Buch über das Staatseinkommen reproducirt er Ferguson. Ich habe in „Misere de Ia Philo- sophie" das Nöthige über das historische Verhältniß von Ferguson, A. Smith, Lemontey und Say in ihrer Kritik der Theilung der Arbeit gegeben und dort auch zuerst die manufakturmä- ßige Theilung der Arbeit als specifische Form der kapitalistischen Produktionsweise darge- stellt. (1. c. p. 122 sq.) 7 1 ) Ferguson sagt bereits Lc p. 281: "and thinking itself, in this age of separations, may be- come a peculiar craft." 7 2 ) G. Garnier, t. V seiner Uebersetzung, p. 4 - 5 . 7 3 ) Ramazzini, Professor der praktischen Medicin zu Padua, veröffentlichte 1700 sein Werk: „De morbis artificum", 1777 in's Französische übersetzt, wieder abgedruckt 1841 in der „En- 40 327 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts „Einen Menschen unterabtheilen, heißt ihn hinrichten, wenn er das To- desurtheil verdient, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht ||329| verdient. Die Unterabtheilung der Arbeit ist der Meuchelmord eines V o l k s " 7 4 ) . 5 Die auf Theilung der Arbeit beruhende Kooperation oder die Manufak- tur ist in ihren Anfangen ein naturwüchsiges Gebild. Sobald sie einige Konsistenz und Breite des Daseins gewonnen, wird sie zur bewußten, plan- mäßigen und systematischen Form der kapitalistischen Produktionsweise. Die Geschichte der eigentlichen Manufaktur zeigt, wie die ihr eigenthüm- liche Theilung der Arbeit zunächst erfahrungsmäßig, gleichsam hinter dem Rücken der handelnden Personen, die sachgemäßen Formen gewinnt, 10 dann aber, gleich dem zünftigen Handwerke, die einmal gefundne Form traditionell festzuhalten strebt und in einzelnen Fällen jahrhundertlang festhält. Aendert sich diese Form, so außer in Nebendingen immer nur in Folge einer Revolution der Arbeitsinstrumente. Die moderne Manufak- tur - ich spreche hier nicht von der auf Maschinerie beruhenden großen 15 Industrie - findet entweder, wie z.B. die Kleidermanufaktur, in den gro- ßen Städten, wo sie entsteht, die disjecta membra poetae bereits fertig vor und hat sie nur aus ihrer Zerstreuung zu sammeln, oder das Princip der Theilung liegt auf flacher Hand, indem einfach die verschiednen Verrich- tungen der handwerksmäßigen Produktion (z. B. beim Buchbinden) be- 20 sondren Arbeitern ausschließlich angeeignet werden. Es kostet noch keine Woche Erfahrung, in solchen Fällen die Verhältnißzahl zwischen den für jede Funktion nöthigen Händen zu finden 7 5). Die manufakturmäßige Theilung der Arbeit schafft durch Analyse der cyclopédie des Sciences Médicales. 7me Div. Auteurs Classiques". Die Periode der großen In- 25 dustrie hat seinen Katalog der Arbeiterkrankheiten natürlich sehr vermehrt. Siehe u. a. „Hy- giene physique et morale de l'ouvrier dans les grandes villes en général, et dans la ville de Lyon en particulier. Par le Dr. A. L. Fonteret. Paris 1858" und „Die Krankheiten, welche ver- schiednen Ständen, Altern und Geschlechtern eigenthümlich sind. 6 Bände. Ulm 1840." Im Jahre 1854 ernannte die Society of Arts eine Untersuchungskommission über industrielle Pa- 30 thologie. Die Liste der von dieser Kommission gesammelten Dokumente findet man im Kata- log des ,,Twickenham Economic Museum". Sehr wichtig die officiellen „Reports on Public Health". Sieh auch Eduard Reich, M. D.: „Ueber die Entartung des Menschen". Erlangen 1868. 7 4 ) "To subdivide a man is to execute him, if he deserves the sentence, to assassinate him, if 35 he does not. - The subdivision of labour is the assassination of a people." (D. Urquhart: ,,Familiar Words. London 1855", p. 119.) Hegel hatte sehr ketzerische Ansichten über die Theilung der Arbeit. „Unter gebildeten Menschen kann man zunächst solche verstehn, die Al- les machen können, was Andre thun", sagt er in seiner Rechtsphilosophie. 7 5 ) Der gemüthliche Glaube an das Erfmdungsgenie, das der einzelne Kapitalist in der Thei- 40 lung der Arbeit a priori ausübe, findet sich nur noch bei deutschen Professoren, wie Herrn Roscher z. B., der dem Kapitalisten, aus dessen Jupiterhaupt die Theilung der Arbeit fertig hervorspringe, zum Dank „diverse Arbeitslöhne" widmet. Die größre oder geringre Anwen- dung der Theilung der Arbeit hängt von der Länge der Börse ab, nicht von der Größe des Ge- nies. 45 328 Zwölftes Kapitel · Teilung der Arbeit und Manufaktur handwerksmäßigen Thätigkeit, Specificirung der Arbeitsinstrumente, Bil- dung der Theilarbeiter, ihre Gruppirung und Kombination in einem Ge- sammtmechanismus, die qualitative Gliederung und quantitative Propor- tionalität gesellschaftlicher Produktionsprocesse, also eine bestimmte 5 Organisation gesellschaftlicher Arbeit ||330| und entwickelt damit zugleich neue, gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit. Als specifisch kapitalisti- sche Form des gesellschaftlichen Produktionsprocesses - und auf den vor- gefundnen Grundlagen konnte sie sich nicht anders als in der kapitalisti- schen Form entwickeln - ist sie nur eine besondre Methode, relativen 10 Mehrwerth zu erzeugen oder die Selbstverwerthung des Kapitals - was man gesellschaftlichen Reichthum, ,,Wealth of Nations" u. s. w. nennt - auf Kosten der Arbeiter zu erhöhn. Sie entwickelt die gesellschaftliche Pro- duktivkraft der Arbeit nicht nur für den Kapitalisten, statt für den Arbeiter, sondern durch die Verkrüpplung des individuellen Arbeiters. Sie producirt 15 neue Bedingungen der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit. Wenn sie daher einerseits als historischer Fortschritt und nothwendiges Entwick- lungsmoment im ökonomischen Bildungsproceß der Gesellschaft er- scheint, so andrerseits als ein Mittel civilisirter und raffinirter Exploita- tion. 20 Die politische Oekonomie, die als eigne Wissenschaft erst in der Manu- fakturperiode aufkommt, betrachtet die gesellschaftliche Theilung der Ar- beit überhaupt nur vom Standpunkt der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit 7 6), als Mittel, mit demselben Quantum Arbeit mehr Waare zu pro- duciren, daher die Waaren zu verwohlfeilern und die Akkumulation des 25 Kapitals zu beschleunigen. Im strengsten Gegensatz zu dieser Accentui- rung der Quantität und des Tauschwerths halten sich die Schriftsteller des klassischen Alterthums ausschließlich an Qualität und Gebrauchswerth 7 7). In Folge der Scheidung der gesellschaftlichen Produktionszweige werden die Waaren besser gemacht, die verschiednen Triebe und ||331| Talente der 30 35 7 6 ) Mehr als A. Smith fixiren ältere Schriftsteller wie Petty, wie der anonyme Verfasser der ,,Advantages of the East India Trade" etc., den kapitalistischen Charakter der manufakturmä- ßigen Theilung der Arbeit. 7 7 ) Ausnahme unter den Modernen bilden einige Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, die in Bezug auf Theilung der Arbeit fast nur den Alten nachsprechen, wie Beccaria und James Har- ris. So Beccaria: «Ciascuno prova coll' esperienza, che applicando la mano e l'ingegno sempre allo stesso genere di opere e di produtti, egli più facili, più abbondanti e migliori ne trova i ri- sultati, di quello che se ciascuno isolatamente le cose tutte a se necessarie soltanto facesse .... Dividendosi in tal maniera per la commune e privata utilità gli uomini in varie classi e condi- zioni.» (Cesare Beccaria: ,,Elementi di Econ. Pubblica", ed. Custodi, Parte Moderna, t. XI, 40 p.28.) James Harris, später Earl of Malmesbury, berühmt durch die „Diaries" über seine Ge- sandtschaft in Petersburg, sagt selbst in einer Note zu seinem ,,Dialogue concerning Happi- ness. London 1741", später wieder abgedruckt in ,,Three Treatises etc. 3. ed. Lond. 1772": "The whole argument, to prove society natural (nämlich durch die ,,division of employments") is taken from the second book of Plato's republic." 329 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Menschen wählen sich entsprechende Wirkungssphären 7 8) und ohne B e - schränkung ist nirgendwo Bedeutendes zu leisten 7 9). Also Produkt und Pro- ducent werden verbessert durch die Theilung der Arbeit. Wird gelegentlich auch das Wachsthum der Produktenmasse erwähnt, so nur mit Bezug auf die größre Fülle des Gebrauchswerths. Es wird mit keiner Silbe des Tauschwerths, der Verwohlfeilerung der Waaren gedacht. Dieser Stand- punkt des Gebrauchswerths herrscht sowohl bei Plato 8 0), der die Theilung der Arbeit als Grundlage der gesellschaftlichen Scheidung der Stände be- handelt, als bei Xenophon 8 1), der mit seinem charakte113 321ristisch bürger- 5 7 8 ) So in der Odyssee XIV, 228: ,,'Αλλος γάρ τ' άλλοισιν άνήρ έπιτέρπεται εργοις" und Ar(cid:5) 10 chilochus beim Sextus Empiricus: ,,Αλλος άλλω έπ' έργω καρδίην ίαίνεται." 7 9 ) ,,Πολλ' ήπίστατο έργα, κακώς Ô' ήπίστατο πάντα" (cid:5) Der Athenienser fühlte sich als Waarenproducent dem Spartaner überlegen, weil dieser im Krieg wohl über Menschen, nicht aber über Geld verfügen könne, wie Thucydides den Perikles sagen läßt in der Rede, worin er die Athenienser zum peloponnesischen Krieg aufstachelt: ,,Σώμασί τε ετοιμότεροι oi αύ(cid:5) 15 τουργοί των ανθρώπων ή χρήμασι πολεμεΐν" (Thuc. 1.1, c. 141). Dennoch blieb ihr Ideal, auch in der materiellen Produktion, die αυτάρκεια, die der Theilung der Arbeit gegenüber steht, ,,παρ' ών γαρ το ευ, παρά τούτων και το αϋταρκες". Man muß dabei erwägen, daß es noch zur Zeit des Sturzes der 30 Tyrannen keine 5000 Athener ohne Grundeigenthum gab. 8 0 ) Plato entwickelt die Theilung der Arbeit innerhalb des Gemeinwesens aus der Vielseitig- 20 keit der Bedürfnisse und der Einseitigkeit der Anlagen der Individuen. Hauptgesichtspunkt bei ihm, daß der Arbeiter sich nach dem Werk richten müsse, nicht das Werk nach dem Ar- beiter, was unvermeidlich, wenn er verschiedne Künste zugleich, also eine oder die andre als Nebenwerk treibe. „Ού γάρ οιμαι έθέλει το πραττόμενον την του πράττοντος σχολήν πε(cid:5) ριμένειν,άλλ' ανάγκη τον πράττοντα τω πραττομένω έπακολουθεΐν μη έν πάρεργου με(cid:5) 25 ρει. (cid:5) 'Ανάγκη. (cid:5) Έκ δη τούτων πλείω τε έκαστα γίγνεται και κάλλιον και ραον, όταν εΐρ εν κατά φύοιν και έν καιρώ, σχολήν τών άλλων άγων, πράττη" (Rep. II, 2. ed. Baiter, Orelli etc.) Aehnlich bei Thucydides 1. c. c. 142: „Das Seewesen ist eine Kunst so sehr wie irgend etwas andres und kann nicht bei etwa vorkommenden Fällen als Nebenwerk betrieben werden, sondern vielmehr nichts andres neben ihm als Nebenwerk." Muß das Werk, sagt 30 Plato, auf den Arbeiter warten, so wird oft der kritische Zeitpunkt der Produktion verpaßt und das Machwerk verdorben, „£ργου καιρόν διόλλυται". Dieselbe platonische Idee findet man wieder im Protest der englischen Bleichereibesitzer gegen die Klausel des Fabrikakts, die eine bestimmte Eßstunde für alle Arbeiter festsetzt. Ihr Geschäft könne sich nicht nach den Arbei- tern richten, denn "in the various operations of singeing, washing, bleaching, mangling, calen- 35 dering, and dyeing, none of them can be stopped at a given moment without risk of dam- age ... to enforce the same dinner hour for all the workpeople might occasionally subject valuable goods to the risk of danger by incomplete operations." Le platonisme où va-t-il se nicher! 8 1 ) Xenophon erzählt, es sei nicht nur ehrenvoll, Speisen von der Tafel des Perserkönigs zu 40 erhalten, sondern diese Speisen seien auch viel schmackhafter als andre. „Und dieß ist nichts Wunderbares, denn wie die übrigen Künste in den großen Städten besonders vervollkommnet sind, ebenso werden die königlichen Speisen ganz eigens zubereitet. Denn in den kleinen Städten macht Derselbe Bettstelle, Thüre, Pflug, Tisch; oft baut er obendrein noch Häuser und ist zufrieden, wenn er selbst so eine für seinen Unterhalt ausreichende Kundschaft findet. 45 Es ist rein unmöglich, daß ein Mensch, der so vielerlei treibt, alles gut mache. In den großen Städten aber, wo jeder Einzelne viele Käufer findet, genügt auch ein Handwerk, um seinen Mann zu nähren. Ja oft gehört dazu nicht einmal ein ganzes Handwerk, sondern der eine macht Mannsschuhe, der andre Weiberschuhe. Hier und da lebt einer bloß vom Nähen, der andre vom Zuschneiden der Schuhe; der eine schneidet bloß Kleider zu, der andre setzt die 50 Stücke nur zusammen. Nothwendig ist es nun, daß der Verrichter der einfachsten Arbeit sie 330 Zwölftes Kapitel • Teilung der Arbeit und Manufaktur liehen Instinkt schon der Theilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt näher rückt. Plato's Republik, soweit in ihr die Theilung der Arbeit als das gestaltende Princip des Staats entwickelt wird, ist nur atheniensische Idea- lisirung des ägyptischen Kastenwesens, wie Aegypten als industrielles Mu- 5 sterland auch andren seiner Zeitgenossen gilt, z . B . dem Isokrates 8 2), und diese Bedeutung selbst noch für die Griechen der römischen Kaiserzeit be- hielt 8 3). 15 Während der eigentlichen Manufakturperiode, d. h. der Periode, worin die Manufaktur die herrschende Form der kapitalistischen Produktions- 10 weise, stößt die volle Ausführung ihrer eignen Tendenzen auf vielseitige Hindernisse. Obgleich sie, wie wir sahen, neben der hierarchischen Gliede- rung der Arbeiter eine einfache Scheidung zwischen geschickten und unge- schickten Arbeitern schafft, bleibt die Zahl der letztren durch den überwie- genden Einfluß der erstren sehr beschränkt. Obgleich sie die Sonderopera- tionen dem verschiednen Grad von Reife, Kraft und Entwicklung ihrer lebendigen Arbeitsorgane anpaßt und daher zu produktiver Ausbeutung von Weibern und Kindern drängt, scheitert diese Tendenz im Großen und Ganzen an den Gewohnheiten und dem Widerstand der männlichen Ar-| |333|beiter. Obgleich die Zersetzung der handwerksmäßigen Thätigkeit die 20 Bildungskosten und daher den Werth der Arbeiter senkt, bleibt für schwie- rigere Detailarbeit eine längre Erlernungszeit nöthig und wird auch da, wo sie vom Ueberfluß, eifersüchtig von den Arbeitern aufrecht erhalten. Wir finden z . B . in England die laws of apprenticeship mit ihrer siebenjährigen Lernzeit bis zum Ende der Manufakturperiode in Vollkraft und erst von 25 der großen Industrie über Haufen geworfen. Da das Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt und der in ihr funktionirende Ge- sammtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unabhängiges objekti- ves Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit der Insubordination der Arbeiter. „Die Schwäche der menschlichen Natur", ruft Freund Ure aus, 30 „ist so groß, daß der Arbeiter, je geschickter, desto eigenwilliger und unbedingt auch am besten macht. Ebenso steht's mit der Kochkunst." (Xen. Cyrop. 1. VIII, c. 2.) Die zu erzielende Güte des Gebrauchswerths wird hier ausschließlich fixirt, obgleich schon Xenophon die Stufenleiter der Arbeitstheilung vom Umfang des Markts abhängig weiß. 8 2 ) „Er (Busiris) theilte Alle in besondere Kasten ... befahl, daß immer die Nämlichen die 35 gleichen Geschäfte treiben sollten weil er wußte, daß die, welche mit ihren Beschäftigungen wechseln, in keinem Geschäft gründlich werden; die aber, welche beständig bei denselben Be- schäftigungen bleiben, jedes aufs Vollendetste zu Stande bringen. Wirklich werden wir auch finden, daß sie in Beziehung auf Künste und Gewerbe ihre Rivalen mehr übertroffen haben als sonst der Meister den Stümper und in Beziehung auf die Einrichtung, wodurch sie die Kö- 40 nigsherrschaft und übrige Staatsverfassung erhalten, so vortrefflich sind, daß die berühmten Philosophen, welche darüber zu sprechen unternehmen, die Staatsverfassung Aegyptens vor andren lobten." (Isoer. Busiris, c.7, 8.) 8 3 ) cf. Diod. Sic. 331 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts schwieriger zu behandeln wird, und folglich dem Gesammtmechanismus durch seine rappelköpfigen Launen schweren Schaden zufügt" 8 4). Durch die ganze Manufakturperiode läuft daher die Klage über den Disciplin- mangel der Arbeiter 8 5). Und hätten wir nicht die Zeugnisse gleichzeitiger Schriftsteller, die einfachen Thatsachen, daß es vom 16. Jahrhundert bis zur Epoche der großen Industrie dem Kapital mißlingt, sich der ganzen disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter zu bemächtigen, daß die Manufakturen kurzlebig sind und mit der Ein- oder Auswandrung der Ar- beiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen und in dem andren aufschla- gen, würden Bibliotheken sprechen. „Ordnung muß auf die eine oder die andre Weise gestiftet werden", ruft 1770 der wiederholt citirte Verfasser des „Essay on Trade and Commerce". Ordnung, hallt es 66 Jahre später zu- rück aus dem Mund des Dr. Andrew Ure, „Ordnung" fehlte in der auf „dem scholastischen Dogma der Theilung der Arbeit" beruhenden Manufaktur, und „Arkwright schuf die Ordnung". 5 10 15 Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder in ihrem ganzen Umfang ergreifen, noch in ihrer Tiefe umwälzen. Sie gip- felte als ökonomisches Kunstwerk auf der breiten Grundlage des städti- schen Handwerks und der ländlich häuslichen Industrie. Ihre eigne enge technische Basis trat auf einem gewissen Entwicklungsgrad mit den von ihr 20 selbst geschaffnen Produktionsbedürfnissen in Widerspruch. | |334| Eins ihrer vollendetsten Gebilde war die Werkstatt zur Produktion der Arbeitsinstrumente selbst, und namentlich auch der bereits angewand- ten komplicirteren mechanischen Apparate. „Ein solches Atelier", sagt Ure, „bot dem Auge die Theilung der Arbeit in ihren mannigfachen Abstu- 25 fungen. Bohrer, Meißel, Drechselbank hatten jede ihre eignen Arbeiter, hierarchisch gegliedert nach dem Grad ihrer Geschicklichkeit." Dieß Pro- dukt der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit producirte seinerseits - Maschinen. Sie heben die handwerksmäßige Thätigkeit als das regelnde Princip der gesellschaftlichen Produktion auf. So wird einerseits der tech- 30 nische Grund der lebenslangen Annexation des Arbeiters an eine Theil- funktion weggeräumt. Andrerseits fallen die Schranken, welche dasselbe Princip der Herrschaft des Kapitals noch auferlegte. 8 4 ) Ure L c p.20. 8 5 ) Das im Text Gesagte gilt viel mehr für England als für Frankreich und mehr für Frank- 35 reich als Holland. 332 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie D R E I Z E H N T E S K A P I T E L . Maschinerie und große Industrie. 1. Entwicklung der Maschinerie. John Stuart Mill sagt in seinen „Principien der politischen Oekonomie": 5 „Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgend eines menschlichen Wesens erleichtert haben" 8 6). Sol- ches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie. Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Ar- beit soll sie Waaren verwohlfeilern und den Theil des Arbeitstags, den der 10 Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den andren Theil seines Ar- beitstags, den er dem Kapitalisten umsonst giebt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwerth. Die Umwälzung der Produktionsweise nimmt in der Manufaktur die Ar- beitskraft zum Ausgangspunkt, in der großen Industrie das Arbeitsmittel. 15 Es ist also zunächst zu untersuchen, wodurch das Arbeitsmittel aus einem Werkzeug in eine Maschine verwandelt wird, oder wodurch sich die Ma- schine vom Handwerksinstrument unterscheidet. Es handelt sich hier nur um große, allgemeine ||335| Charakterzüge, denn abstrakt strenge Grenzli- nien scheiden ebensowenig die Epochen der Gesellschafts- wie die der Erd- 20 geschichte. Mathematiker und Mechaniker - und man findet dieß hier und da von englischen Oekonomen wiederholt - erklären das Werkzeug für eine einfa- che Maschine und die Maschine für ein zusammengesetztes Werkzeug. Sie sehn hier keinen wesentlichen Unterschied und nennen sogar die einfa- 25 chen mechanischen Potenzen, wie Hebel, schiefe Ebne, Schraube, Keil u. s.w. Maschinen 8 7). In der That besteht jede Maschine aus jenen einfa- chen Potenzen, wie immer verkleidet und kombinirt. Vom ökonomischen Standpunkt jedoch taugt die Erklärung nichts, denn ihr fehlt das histori- sche Element. Andrerseits sucht man den Unterschied zwischen Werkzeug 30 und Maschine darin, daß beim Werkzeug der Mensch die Bewegungskraft, bei der Maschine eine von der menschlichen verschiedne Naturkraft, wie Thier, Wasser, Wind u. s. w. 8 8). Danach wäre ein mit Ochsen bespannter 35 8 6 ) "It is questionable, if all the mechanical inventions yet made have lightened the day's toil of any human being." Mill hätte sagen sollen ,,of any human being not fed by other people's labour", denn die Maschinerie hat unstreitig die Zahl der vornehmen Müßiggänger sehr ver- mehrt. 8 7 ) Sieh z.B. Hutton's ,,Course of Mathematics". 8 8 ) „Von diesem Gesichtspunkt aus läßt sich denn auch eine scharfe Grenze zwischen Werk- 333 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Pflug, der den verschiedensten Produktionsepochen angehört, eine Ma- schine, Claussen's Circular Loom, der, von der Hand eines einzigen Arbei- ters bewegt, 96 000 Maschen in einer Minute verfertigt, ein bloßes Werk- zeug. J a , derselbe loom wäre Werkzeug, wenn mit der Hand, und Maschine, wenn mit Dampf bewegt. Da die Anwendung von Thierkraft 5 eine der ältesten Erfindungen der Menschheit, ginge in der That die Ma- schinenproduktion der Handwerksproduktion voraus. Als John Wyatt 1735 seine Spinnmaschine und mit ihr die industrielle Revolution des 18. Jahr- hunderts ankündigte, erwähnte er mit keinem Wort, daß statt eines Men- schen ein Esel die Maschine treibe, und dennoch fiel diese Rolle dem Esel 10 zu. Eine Maschine, „um ohne Finger zu spinnen", lautete sein Pro- gramm 8 9). I 13 361 Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschied- nen Theilen, der Bewegungsmaschine, dem Transmissionsmechanismus, endlich der Werkzeugmaschine oder Arbeitsmaschine. Die Bewegungsma- 15 schine wirkt als Triebkraft des ganzen Mechanismus. Sie erzeugt ihre eigne Bewegungskraft wie die Dampfmaschine, kalorische Maschine, elektro-ma- gnetische Maschine u.s.w., oder sie empfängt den Anstoß von einer schon fertigen Naturkraft außer ihr, wie das Wasserrad vom Wassergefäll, der Windflügel vom Wind u. s. w. Der Transmissionsmechanismus, zusammen- 20 gesetzt aus Schwungrädern, Treibwellen, Zahnrädern, Kreiselrädern, zeug und Maschine ziehn: Spaten, Hammer, Meißel u.s.w., Hebel- und Schraubenwerke, für welche, mögen sie übrigens noch so künstlich sein, der Mensch die bewegende Kraft ist ... dieß alles fällt unter den Begriff des Werkzeugs; während der Pflug mit der ihn bewegenden Thierkraft, Wind- u.s.w. Mühlen zu den Maschinen zu zählen sind." (Wilhelm Schulz: „Die 25 Bewegung der Produktion. Zürich 1843", p. 38.) Eine in mancher Hinsicht lobenswerthe Schrift. 8 9 ) Schon vor ihm wurden, wenn auch sehr unvollkommne, Maschinen zum Vorspinnen an- gewandt, wahrscheinlich zuerst in Italien. Eine kritische Geschichte der Technologie würde überhaupt nachweisen, wie wenig irgend eine Erfindung des 18. Jahrhunderts einem einzel- nen Individuum gehört. Bisher existirt kein solches Werk. Darwin hat das Interesse auf die Geschichte der natürlichen Technologie gelenkt, d. h. auf die Bildung der Pflanzen- und Thierorgane als Produktionsinstrumente für das Leben der Pflanzen und Thiere. Verdient die Bildungsgeschichte der produktiven Organe des Gesellschaftsmenschen, der materiellen Basis jeder besondren Gesellschaftsorganisation, nicht gleiche Aufmerksamkeit? Und wäre sie nicht leichter zu liefern, da, wie Vico sagt, die Menschengeschichte sich dadurch von der Naturge- schichte unterscheidet, daß wir die eine gemacht und die andre nicht gemacht haben? Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Pro- duktionsproceß seines Lebens, damit auch seiner geseUschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle Religionsgeschichte, die von die- 40 ser materiellen Basis abstrahirt, ist - unkritisch. Es ist in der That viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt aus den jedesma- ligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztre ist die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode. Die Mängel des abstrakt na- turwissenschaftlichen Materialismus, der den geschichtlichen Proceß ausschließt, ersieht man schon aus den abstrakten und ideologischen Vorstellungen seiner Wortführer, sobald sie sich über ihre Specialität hinauswagen. 35 45 30 334 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Schäften, Schnüren, Riemen, Zwischengeschirr und Vorgelege der ver- schiedensten Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es nöthig, ihre Form, z.B. aus einer perpendikulären in eine kreisförmige, vertheilt und überträgt sie auf die Werkzeugmaschinerie. Beide Theile des Mechanis- 5 mus sind nur vorhanden, um der Werkz eugmas chine die Bewegung mitzu- theilen, wodurch sie den Arbeitsgegenstand anpackt und zweckgemäß ver- ändert. Dieser Theil der Maschinerie, die Werkzeugmaschine, ist es, wovon die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert ausgeht. Sie bildet noch j e - den Tag von neuem den Ausgangspunkt, so oft Handwerksbetrieb oder Ma- io nufakturbetrieb in Maschinenbetrieb übergeht. Sehn wir uns nun die Werkzeugmaschine oder eigentliche Arbeitsma- schine näher an, so erscheinen im Großen und Ganzen, wenn auch oft in sehr modificirter Form, die Apparate und Werkzeuge wieder, womit der Handwerker und Manufakturarbeiter arbeitet, aber statt als Werkzeuge des 15 Menschen jetzt als Werkzeuge eines Mechanismus oder als mechanische. Entweder ist die ganze ||337| Maschine nur eine mehr oder minder verän- derte mechanische Ausgabe des alten Handwerksinstruments, wie bei dem mechanischen Webstuhl 9 0), oder die am Gerüst der Arbeitsmaschine ange- brachten thätigen Organe sind alte Bekannte, wie Spindeln bei der Spinn- 20 maschine, Nadeln beim Strumpfwirkerstuhl, Sägeblätter bei der Sägema- schine, Messer bei der Zerhackmaschine u. s. w. Der Unterschied dieser Werkzeuge von dem eigentlichen Körper der Arbeitsmaschine erstreckt sich bis auf ihre Geburt. Sie werden nämlich immer noch großentheils handwerksmäßig oder manufakturmäßig producirt und später erst an den 25 maschinenmäßig producirten Körper der Arbeitsmaschine befestigt 9 1). Die Werkzeugmaschine ist also ein Mechanismus, der nach Mittheilung der entsprechenden Bewegung mit seinen Werkzeugen dieselben Operationen verrichtet, welche früher der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrich- tete. Ob die Triebkraft nun vom Menschen ausgeht oder selbst wieder von 30 einer Maschine, ändert am Wesen der Sache nichts. Nach Uebertragung des eigentlichen Werkzeugs vom Menschen auf einen Mechanismus tritt eine Maschine an die Stelle eines bloßen Werkzeugs. Der Unterschied springt sofort ins Auge, auch wenn der Mensch selbst noch der erste Motor bleibt. Die Anzahl von Arbeitsinstrumenten, womit er gleichzeitig wirken 35 9 0 ) Namentlich in der ursprünglichen Form des mechanischen Webstuhls erkennt man den alten Webstuhl auf den ersten Blick wieder. Wesentlich verändert erscheint er in seiner mo- dernen Form. 9 1 ) Erst seit ungefähr 1850 wird ein stets wachsender Theil der Werkzeuge der Arbeitsmaschi- nen maschinenmäßig in England fabricirt, obgleich nicht von denselben Fabrikanten, welche 40 die Maschinen selbst machen. Maschinen zur Fabrikation solcher mechanischen Werkzeuge sind z.B. die automatic bobbin-making engine, card-setting engine, Maschinen zum Machen der Weberlitzen, Maschinen zum Schmieden von mule und throstle Spindeln. 335 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 kann, ist durch die Anzahl seiner natürlichen Produktionsinstrumente, sei- ner eignen körperlichen Organe, beschränkt. Man versuchte in Deutsch- land erst einen Spinner zwei Spinnräder treten, ihn also gleichzeitig mit zwei Händen und zwei Füßen arbeiten zu lassen. Dieß war zu anstrengend. Später erfand man ein Tretspinnrad mit zwei Spindeln, aber die Spinnvir- tuosen, die zwei Fäden gleichzeitig spinnen konnten, waren fast so selten als zweiköpfige Menschen. Die Jenny spinnt dagegen von vorn herein mit 1 2 - 1 8 Spindeln, der Strumpfwirkerstuhl strickt mit viel 1000 Nadeln auf einmal u. s. w. Die Anzahl der Werkzeuge, womit dieselbe Werkzeugma- schine gleichzeitig spielt, ist von vorn herein emancipirt von der organi- 10 sehen Schranke, wodurch das Handwerkszeug eines Arbeiters beengt wird. | 13 3 81 An vielem Handwerkszeug besitzt der Unterschied zwischen dem Menschen als bloßer Triebkraft und als Arbeiter mit dem eigentlichen Operateur eine sinnlich besonderte Existenz. Z . B . beim Spinnrad wirkt der Fuß nur als Triebkraft, während die Hand, die an der Spindel arbeitet, 15 zupft und dreht, die eigentliche Spinnoperation verrichtet. Grade diesen letzten Theil des Handwerksinstruments ergreift die industrielle Revolu- tion zuerst und überläßt dem Menschen, neben der neuen Arbeit die Ma- schine mit seinem Auge zu überwachen und ihre Irrthümer mit seiner Hand zu verbessern, zunächst noch die rein mechanische Rolle der Trieb- 20 kraft. Werkzeuge dagegen, auf die der Mensch von vorn herein nur als ein- fache Triebkraft wirkt, wie z .B. beim Drehn der Kurbel einer Mühle 9 2), bei Pumpen, beim Auf- und Abbewegen der Arme eines Blasebalgs, beim Sto- ßen eines Mörsers etc., rufen zwar zuerst die Anwendung von Thieren, Wasser, W i n d 9 3 ) als Bewegungskräften hervor. Sie recken sich, theilweise 25 innerhalb, sporadisch schon lange vor der Manufakturperiode zu Maschi- nen, aber sie revolutioniren die Produktionsweise nicht. Daß sie selbst in ihrer handwerksmäßigen Form bereits Maschinen sind, zeigt sich in der Periode der großen Industrie. Die Pumpen z. B., womit die Holländer 1 8 3 6 - 3 7 den See von Harlem auspumpten, waren nach dem Princip ge- 30 wohnlicher Pumpen konstruirt, nur daß cyklopische Dampfmaschinen statt 9 2 ) Moses von Aegypten sagt: „Du sollst dem Ochsen, der drischt, nicht das Maul verbinden." Die christlich germanischen Philanthropen legten dagegen dem Leibeignen, den sie als Trieb- kraft zum Mahlen verwandten, eine große hölzerne Scheibe um den Hals, damit er kein Mehl mit der Hand zum Mund bringen könne. 9 3 ) Theils Mangel an lebendigem Wassergefäll, theils Kampf gegen sonstigen Wasserüberfluß zwangen die Holländer zur Anwendung des Winds als Triebkraft. Die Windmühle selbst er- hielten sie aus Deutschland, wo diese Erfindung einen artigen Kampf zwischen Adel, Pfaffen und Kaiser hervorrief, wem denn von den drei der Wind „gehöre". Luft macht eigen, hieß es in Deutschland, während der Wind Holland frei machte. Was er hier eigen machte, war nicht 40 der Holländer, sondern der Grund und Boden für den Holländer. Noch 1836 wurden 12 000 Windmühlen von 60000 Pferdekraft in Holland verwandt, um zwei Dritttheile des Lands vor Rückverwandlung in Morast zu schützen. 35 336 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie der Menschenhände ihre Kolben trieben. Der gewöhnliche und sehr un- vollkommne Blasbalg des Grobschmieds wird noch zuweilen in England durch bloße Verbindung seines Arms mit einer Dampfmaschine in eine mechanische Luftpumpe verwandelt. Die Dampfmaschine selbst, wie sie 5 Ende des 17. Jahrhunderts während der Manufakturperiode erfunden ward und bis zum Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts fortexi-| |339|stirte 9 4), rief keine industrielle Revolution hervor. Es war vielmehr um- gekehrt die Schöpfung der Werkzeugmaschinen, welche die revolutionirte Dampfmaschine nothwendig machte. Sobald der Mensch, statt mit dem 10 Werkzeug auf den Arbeitsgegenstand, nur noch als Triebkraft auf eine Werkzeugmaschine wirkt, wird die Verkleidung der Triebkraft in menschli- che Muskel zufällig und kann Wind, Wasser, Dampf u. s. w. an die Stelle treten. Dieß schließt natürlich nicht aus, daß solcher Wechsel oft große technische Aendrungen des ursprünglich für menschliche Triebkraft allein 15 konstruirten Mechanismus bedingt. Heutzutage werden alle Maschinen, die sich erst Bahn brechen müssen, wie Nähmaschinen, Brodbereitungsma- schinen u.s.w., wenn sie den kleinen Maßstab nicht von vorn herein durch ihre Bestimmung ausschließen, für menschliche und rein mechanische Triebkraft zugleich konstruirt. 20 Die Maschine, wovon die industrielle Revolution ausgeht, ersetzt den Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen Mechanis- mus, der mit einer Masse derselben oder gleichartiger Werkzeuge auf ein- mal operirt und von einer einzigen Triebkraft, welches immer ihre Form, bewegt wird 9 5). Hier haben wir die Maschine, aber erst als einfaches EIe- 25 ment der maschinenmäßigen Produktion. Die Erweitrung des Umfangs der Arbeitsmaschine und der Zahl ihrer gleichzeitig operirenden Werkzeuge bedingt einen massenhafteren Bewe- gungsmechanismus, und dieser Mechanismus zur Ueberwältigung seines eignen Widerstands eine mächtigere Triebkraft als die menschliche, abge- sehn davon, daß der Mensch ein sehr unvollkommnes Produktionsinstru- ment gleichförmiger und kontinuirlicher Bewegung ist. Vorausgesetzt, daß er nur noch als einfache Triebkraft wirkt, also an die Stelle seines Werk- zeugs eine Werkzeugmaschine getreten ist, können Naturkräfte ihn jetzt auch als Triebkraft ersetzen. Von allen aus der Manufakturperiode überlie- ferten großen Bewegungskräften war die Pferdekraft die schlechteste, theils weil ein Pferd seinen eignen Kopf hat, theils wegen seiner Kostspieligkeit und des beschränkten Umfangs, worin es in Fabriken allein anwendbar 30 35 9 4 ) Sie wurde zwar schon sehr verbessert durch Watt's erste, sogenannte einfach wirkende Dampfmaschine, blieb aber in dieser Form bloße Hebemaschine für Wasser und Salzsoole. 9 5 ) „Die Vereinigung aller dieser einfachen Instrumente, durch einen einzigen Motor in Be- wegung gesetzt, bildet eine Maschine." (Babbage 1. c.) 40 337 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 i s t 9 6 ) . Dennoch wurde das Pferd ||340| häufig während der Kinderzeit der großen Industrie angewandt, wie außer dem Jammer gleichzeitiger Agrono- men schon der bis heute überlieferte Ausdruck der mechanischen Kraft in Pferdekraft bezeugt. Der Wind war zu unstät und unkontrolirbar, und die Anwendung der Wasserkraft überwog außerdem in England, dem Geburts- ort der großen Industrie, schon während der Manufakturperiode. Man hatte bereits im 17. Jahrhundert versucht, zwei Läufer und also auch zwei Mahlgänge mit einem Wasserrad in Bewegung zu setzen. Der geschwollne Umfang des Transmissionsmechanismus gerieth aber jetzt in Konflikt mit der nun unzureichenden Wasserkraft, und dieß ist einer der Umstände, der 10 zur genauem Untersuchung der Reibungsgesetze trieb. Ebenso führte das ungleichförmige Wirken der Bewegungskraft bei Mühlen, die durch Stoßen und Ziehen mit Schwengeln in Bewegung gesetzt wurden, auf die Theorie und Anwendung des Schwungrads 9 7), das später eine so wichtige Rolle in der großen Industrie spielt. In dieser Art entwickelte die Manufakturpe- 15 riode die ersten wissenschaftlichen und technischen Elemente der großen Industrie. Arkwright's Throstlespinnerei wurde von vorn herein mit Wasser getrieben. Indeß war auch der Gebrauch der Wasserkraft als herrschender Triebkraft mit erschwerenden Umständen verbunden. Sie konnte nicht be- liebig erhöht und ihrem Mangel nicht abgeholfen werden, sie versagte zu- 20 weilen und war vor allem rein lo||341|kaler Natur 9 8). Erst mit Watt's zwei- ter, sog. doppelt wirkender Dampfmaschine war ein erster Motor gefunden, der seine Bewegungskraft selbst erzeugt aus der Verspeisung von Kohlen und Wasser, dessen Kraftpotenz ganz unter menschlicher Kontrole steht, 25 9 6 ) John C.Morton verlas Dezember 1859 in der Society of Arts einen Aufsatz über „die in der Agrikultur angewandten Kräfte". Es heißt darin u. a.: „Jede Verbeßrung, welche die Gleichförmigkeit des Bodens fördert, macht die Dampfmaschine zur Erzeugung rein mecha- nischer Kraft anwendbarer ... Pferdekraft wird erheischt, wo krumme Hecken und andre Hin- dernisse gleichförmige Aktion verhindern. Diese Hindernisse schwinden täglich mehr. In Operationen, die mehr Ausübung des Willens und weniger wirkliche Kraft erfordern, ist die durch den menschlichen Geist von Minute zu Minute gelenkte Kraft, also Menschenkraft, al- lein anwendbar." Herr Morton reducirt dann Dampfkraft, Pferdekraft und Menschenkraft auf die bei Dampfmaschinen gewöhnliche Maßeinheit, nämlich die Kraft, 33 000 Pfund in der Minute um einen Fuß zu heben, und berechnet die Kosten einer Dampfpferdekraft bei der Dampfmaschine auf 3 d. und beim Pferde auf 5l/2 d. per Stunde. Ferner kann das Pferd bei voller Erhaltung seiner Gesundheit nur 8 Stunden täglich angewandt werden. Durch Dampf- kraft können mindestens'3 von je 7 Pferden auf bebautem Land während des ganzen Jahrs er- spart werden, zu einem Kostenpreis, nicht größer als dem der entlaßnen Pferde während der 3 oder 4 Monate, wo sie allein wirklich vernutzt werden. In den Agrikulturoperationen, worin die Dampfkraft angewandt werden kann, verbessert sie endlich, verglichen mit der Pferde- kraft, die Qualität des Machwerks. Um das Werk der Dampfmaschine zu verrichten, müßten 66 Arbeiter per Stunde zu zusammen 15 sh., und um das der Pferde zu verrichten, 32 Mann zu zusammen 8 sh. per Stunde angewandt werden. 9 7 ) Faulhaber 1625, De Cous 1688τ 9 8 ) Die moderne Erfindung der Turbinen befreit die industrielle Ausbeutung der Wasserkraft 45 von vielen frühern Schranken. 35 40 30 338 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie der mobil und ein Mittel der Lokomotion, städtisch und nicht gleich dem Wasserrad ländlich, die Koncentration der Produktion in Städten erlaubt, statt sie wie das Wasserrad über das Land zu zerstreuen"), universell in seiner technologischen Anwendung, in seiner Residenz verhältnißmäßig 5 wenig durch lokale Umstände bedingt. Das große Genie Watt's zeigt sich in der Specifikation des Patents, das er April 1784 nahm, und worin seine Dampfmaschine nicht als eine Erfindung zu besondren Zwecken, sondern als allgemeiner Agent der großen Industrie geschildert wird. Er deutet hier Anwendungen an, wovon manche, wie z.B. der Dampfhammer, mehr als ein halbes Jahrhundert später erst eingeführt wurden. Jedoch bezweifelte er die Anwendbarkeit der Dampfmaschine auf Seeschifffahrt. Seine Nachfol- ger, Boulton und Watt, stellten 1851 die kolossalste Dampfmaschine für Ocean steamers auf der Londoner Industrieausstellung aus. 10 Nachdem erst die Werkzeuge aus Werkzeugen des menschlichen Orga- 15 nismus in Werkzeuge eines mechanischen Apparats, der Werkzeugma- schine, verwandelt, erhielt nun auch die Bewegungsmaschine eine selb- ständige, von den Schranken menschlicher Kraft völlig emancipirte Form. Damit sinkt die einzelne Werkzeugmaschine, die wir bisher betrachtet, zu einem bloßen Element der maschinenmäßigen Produktion herab. Eine Be- 20 wegungsmaschine konnte jetzt viele Arbeitsmaschinen gleichzeitig treiben. Mit der Anzahl der gleichzeitig bewegten Arbeitsmaschinen wächst die Be- wegungsmaschine und dehnt sich der Transmissionsmechanismus zu einem weitläufigen Apparat aus. | 13421 Es ist nun zweierlei zu unterscheiden, Kooperation vieler gleichar- 25 tiger Maschinen und Maschinensystem. In dem einen Fall wird das ganze Machwerk von derselben Arbeitsma- schine verrichtet. Sie führt alle die verschiednen Operationen aus, welche ein Handwerker mit seinem Werkzeug, z. B. der Weber mit seinem Web- stuhl verrichtete, oder welche Handwerker mit verschiednen Werkzeugen, sei es selbständig oder als Glieder einer Manufaktur, der Reihe nach aus- führten 1 0 0). Z . B . in der modernen Manufaktur von Briefkouverts faltete ein ") "In the early days of textile manufactures, the locality of the factory depended upon the existence of a stream having a sufficient fall to turn a water wheel; and, although the est- ablishment of the water mills was the commencement of the breaking up of the domestic sys- tern of manufacture, yet the mills necessarily situated upon streams, and frequently at consid- erable distances the one from the other, formed part of a rural rather than an urban system; and it was not until the introduction of the steam-power as a substitute for the stream, that factories were congregated in towns and localities where the coal and water required for the production of steam were found in sufficient quantities. The steam-engine is the parent of 30 35 40 manufacturing towns." (A.Redgrave in „Reports of the Insp. of Fact. 30th April 1860", p. 36.) 1 0°) Vom Standpunkt der manufakturmäßigen Theilung war Weben keine einfache, sondern vielmehr eine komplicirte handwerksmäßige Arbeit, und so ist der mechanische Webstuhl eine Maschine, die sehr Mannigfaltiges verrichtet. Es ist überhaupt eine falsche Vorstellung, 339 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 Arbeiter das Papier mit dem Falzbein, ein andrer legte den Gummi auf, ein dritter schlug die Klappe um, auf welche die Devise aufgedrückt wird, ein vierter bossirte die Devise u.s.w. und bei jeder dieser Theiloperationen mußte jede einzelne Enveloppe die Hände wechseln. Eine einzige Envelop- pemaschine verrichtet alle diese Operationen auf einen Schlag und macht 3000 und mehr Enveloppes in einer Stunde. Eine auf der Londoner Indu- strieausstellung von 1862 ausgestellte amerikanische Maschine zur Berei- tung von Papiertuten schneidet das Papier, kleistert, faltet und vollendet 300 Stück per Minute. Der innerhalb der Manufaktur getheilte und in einer Reihenfolge ausgeführte Gesammtproceß wird hier von einer Arbeits- 10 maschine vollbracht, die durch Kombination verschiedner Werkzeuge wirkt. Ob nun eine solche Arbeitsmaschine nur mechanische Wiedergeburt eines komplicirteren Handwerkszeuges sei, oder Kombination verschieden- artiger manufakturmäßig partikularisirter einfacher Instrumente, - in der Fabrik, d.h. in der auf Maschinenbetrieb gegründeten Werkstatt, erscheint 15 jedesmal die einfache Kooperation wieder, und zwar zunächst (wir sehn hier vom Arbeiter ab) als räumliche Konglomeration gleichartiger und gleichzeitig zusammenwirkender Arbeitsmaschinen. So wird eine Webfa- brik durch das Nebeneinander vieler mechanischen Webstühle und eine Nähfabrik durch das Nebeneinander vieler Nähmaschinen in demselben 20 Arbeitsgebäude gebildet. Aber es existirt hier eine technische Einheit, in- dem die vielen gleichartigen Arbeits||343|maschinen gleichzeitig und gleichmäßig ihren Impuls empfangen vom Herzschlag des gemeinsamen ersten Motors, auf sie übertragen durch den Transmissionsmechanismus, der ihnen auch theilweis gemeinsam ist, indem sich nur besondre Ausläufe 25 davon für jede einzelne Werkzeugmaschine verästeln. Ganz wie viele Werkzeuge die Organe einer Arbeitsmaschine, bilden viele Arbeitsmaschi- nen jetzt nur noch gleichartige Organe desselben Bewegungsmechanismus. Ein eigentliches Maschinensystem tritt aber erst an die Stelle der einzel- nen selbständigen Maschine, wo der Arbeitsgegenstand eine zusammen- 30 hängende Reihe verschiedner Stufenprocesse durchläuft, die von einer Kette verschiedenartiger, aber einander ergänzender Werkzeugmaschinen ausgeführt werden. Hier erscheint die der Manufaktur eigenthümliche Ko- operation durch Theilung der Arbeit wieder, aber jetzt als Kombination von Theilarbeitsmaschinen. Die specifischen Werkzeuge der verschiednen 35 Theilarbeiter, in der Wollmanufaktur z . B . der Wollschläger, Wollkämmer, daß die moderne Maschinerie sich ursprünglich solcher Operationen bemächtigt, welche die manufakturmäßige Theilung der Arbeit vereinfacht hatte. Spinnen und Weben wurden wäh- rend der Manufakturperiode in neue Arten gesondert und ihre Werkzeuge verbessert und vari- irt, aber der Arbeitsproceß selbst, in keiner Weise getheilt, blieb handwerksmäßig. Es ist nicht 40 die Arbeit, sondern das Arbeitsmittel, wovon die Maschine ausgeht. 340 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 10 Wollscheerer, Wollspinner u.s.w., verwandeln sich jetzt in die Werkzeuge specificirter Arbeitsmaschinen, von denen jede ein besondres Organ für eine besondre Funktion im System des kombinirten Werkzeugmechanis - mus bildet. Die Manufaktur selbst liefert dem Maschinensystem in den 5 Zweigen, worin es zuerst eingeführt wird, im Großen und Ganzen die na- turwüchsige Grundlage der Theilung und daher der Organisation des Pro- duktionsprocesses 1 0 1). Indeß tritt sofort ein wesentlicher Unterschied ein. In der Manufaktur müssen Arbeiter, vereinzelt oder in Gruppen, jeden be- sondren Theilproceß mit ihrem Handwerkszeug ausführen. Wird der Arbei- ter dem ||344| Proceß angeeignet, so ist aber auch vorher der Proceß dem Arbeiter angepaßt. Dieß subjektive Princip der Theilung fällt weg für die maschinenartige Produktion. Der Gesammtproceß wird hier objektiv, an und für sich betrachtet, in seine konstituirenden Phasen analysirt, und das Problem jeden Theilproceß auszuführen und die verschiednen Theilpro- 15 cesse zu verbinden, durch technische Anwendung der Mechanik, Chemie u.s.w. gelöst 1 0 2), wobei natürlich nach wie vor die theoretische Konception durch gehäufte praktische Erfahrung auf großer Stufenleiter vervollkomm- net werden muß. Jede Theilmaschine liefert der zunächst folgenden ihr Rohmaterial, und da sie alle gleichzeitig wirken, befindet sich das Produkt 20 eben so fortwährend auf den verschiednen Stufen seines Bildungsproces- ses, wie im Uebergang aus einer Produktionsphase in die andre. Wie in der Manufaktur die unmittelbare Kooperation der Theilarbeiter bestimmte Verhältnißzahlen zwischen den besondren Arbeitergruppen schafft, so in dem gegliederten Maschinensystem die beständige Beschäftigung der 25 Theilmaschinen durch einander ein bestimmtes Verhältniß zwischen ihrer Anzahl, ihrem Umfang und ihrer Geschwindigkeit. Die kombinirte Ar- 35 1 0 1 ) Vor der Epoche der großen Industrie war die Wollmanufaktur die herrschende Manufak- tur Englands. In ihr wurden daher während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die meisten Experimente gemacht. Der Baumwolle, deren mechanische Verarbeitung minder mühvolle 30 Vorbereitungen erfordert, kamen die an der Schafwolle gemachten Erfahrungen zu gut, wie später umgekehrt die mechanische Wollindustrie sich auf Grundlage der mechanischen Baumwollspinnerei und Weberei entwickelt. Einzelne Elemente der Wollmanufaktur sind erst seit den letzten Decennien dem Fabriksystem einverleibt worden, z. B. das Wollkämmen. "The application of power to the process of combing wool ... extensively in operation since the introduction of the 'combing machine', especially Lister's .... undoubtedly had the effect of throwing a very large number of men out of work. Wool was formerly combed by hand, most frequently in the cottage of the comber. It is now very generally combed in the factory, and handlabour is superseded, except in some particular kinds of work, in which hand- combed wool is still preferred. Many of the handcombers found employment in the factories, 40 but the produce of the handcomber bears so small a proportion to that of the machine, that the employment of a very large number of combers has passed away." („Rep. of Insp. of Fact, for 31 st Oct. 1856", p. 16.) 1 0 2 ) "The principle of the factory system, then, is to substitute .... the partition of a process into its essential constituents, for the division or graduation of labour among artizans." (Ure, I.e. p.20.) 45 341 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts je kontinuirlicher ihr Gesammtproceß, d. h. mit beitsmaschine, jetzt ein gegliedertes System von verschiedenartigen einzel- nen Arbeitsmaschinen und von Gruppen derselben, ist um so vollkomm- ner, je weniger Unterbrechung das Rohmaterial von seiner ersten Phase zu seiner letzten übergeht, je mehr also statt der Menschenhand der Mechanismus selbst es von einer Produktionsphase in die andre fördert. Wenn in der Manufaktur die Isolirung der Sonderprocesse ein durch die Theilung der Arbeit selbst gegebnes Princip ist, so herrscht dagegen in der entwickelten Fabrik die Kontinuität der Sonderprocesse. 5 Ein System der Maschinerie, beruhe es nun auf bloßer Kooperation 10 gleichartiger Arbeitsmaschinen, wie in der Weberei, oder auf einer Kombi- nation verschiedenartiger, wie in der Spinnerei, bildet an und für sich einen großen Automaten, sobald es von einem sich selbst bewegenden er- sten Motor getrieben wird. Indeß kann das Gesammt-System z . B . von der Dampfmaschine getrieben werden, obgleich entweder einzelne Werkzeug- 15 maschinen für gewisse Bewegungen noch den Arbeiter brauchen, wie die zum Einfahren der Mule nöthige Bewegung vor der Einführung der selfact- ing ||345| mule und immer noch bei Feinspinnerei, oder aber bestimmte Theile der Maschine zur Verrichtung ihres Werks gleich einem Werkzeug vom Arbeiter gelenkt werden müssen, wie beim Maschinenbau vor der Ver- 20 Wandlung des slide rest (ein Drehapparat) in einen selfactor. Sobald die Ar- beitsmaschine alle zur Bearbeitung des Rohstoffs nöthigen Bewegungen ohne menschliche Beihülfe verrichtet und nur noch menschlicher Nach- hülfe bedarf, haben wir ein automatisches System der Maschinerie, das in- deß beständiger Ausarbeitung im Detail fähig ist. So sind z.B. der Apparat, 25 der die Spinnmaschine von selbst still setzt, sobald ein einzelner Faden reißt, und der selfacting stop, der den verbesserten Dampfwebstuhl still setzt, sobald der Spule des Weberschiffs der Einschlagsfaden ausgeht, ganz moderne Erfindungen. Als ein Beispiel sowohl der Kontinuität der Produk- tion als der Durchführung des automatischen Princips kann die moderne Papierfabrik gelten. An der Papierproduktion kann überhaupt der Unter- schied verschiedner Produktionsweisen, auf Basis verschiedner Produk- tionsmittel, wie der Zusammenhang der gesellschaftlichen Produktionsver- hältnisse mit diesen Produktionsweisen, im Einzelnen vortheilhaft studirt werden, da uns die ältere deutsche Papiermacherei Muster der handwerks- 35 mäßigen Produktion, Holland im 17. und Frankreich im 18. Jahrhundert Muster der eigentlichen Manufaktur, und das moderne England Muster der automatischen Fabrikation in diesem Zweig liefern, außerdem in China und Indien noch zwei verschiedne altasiatische Formen derselben Industrie existiren. 40 30 Als gegliedertes System von Arbeitsmaschinen, die ihre Bewegung nur 342 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie vermittelst der Transmissionsmaschinerie von einem centralen Automaten empfangen, besitzt der Maschinenbetrieb seine entwickeltste Gestalt. An die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer, dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt, und dessen dämonische Kraft, erst 5 versteckt durch die fast feierlich gemeßne Bewegung seiner Riesenglieder, im fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsor- gane ausbricht. Es gab Mules, Dampfmaschinen u.s.w., bevor es Arbeiter gab, deren aus- schließliches Geschäft es war, Dampfmaschinen, Mules u.s.w. zu machen, 10 ganz wie der Mensch Kleider trug, bevor es Schneider gab. Die Erfindun- gen von Vaucanson, Arkwright, Watt u.s.w. waren jedoch nur ausführbar, weil jene Erfinder ein von der Manufakturperiode fertig geliefertes und be- trächtliches Quantum geschickter mechanischer Arbeiter vorfanden. Ein Theil dieser Arbeiter bestand aus selbständigen Handwerkern verschiedner 15 Profession, ||346| ein andrer Theil war in Manufakturen vereinigt, worin, wie früher erwähnt, die Theilung der Arbeit mit besondrer Strenge waltete. Mit der Zunahme der Erfindungen und der wachsenden Nachfrage nach den neu erfundnen Maschinen entwickelte sich mehr und mehr einerseits die Sondrung der Maschinenfabrikation in mannichfaltige selbständige 20 Zweige, andrerseits die Theilung der Arbeit im Innern der maschinenbau- enden Manufakturen. Wir erblicken hier also in der Manufaktur die un- mittelbare technische Grundlage der großen Industrie. Jene producirte die Maschinerie, womit diese in den Produktionssphären, die sie zunächst er- griff, den handwerks- und manufakturmäßigen Betrieb aufhob. Der Ma- schinenbetrieb erhob sich also naturwüchsig auf einer ihm unangemeßnen materiellen Grundlage. Auf einem gewissen Entwicklungsgrad mußte er diese erst fertig vorgefundne und dann in ihrer alten Form weiter ausgear- beitete Grundlage selbst umwälzen und sich eine seiner eignen Produk- tionsweise entsprechende neue Basis schaffen. Wie die einzelne Maschine 30 zwergmäßig bleibt, so lange sie nur durch Menschen bewegt wird, wie das Maschinensystem sich nicht frei entwickeln konnte, bevor an die Stelle der vorgefundnen Triebkräfte - Thier, Wind und selbst Wasser - die Dampf- maschine trat, ebenso war die große Industrie in ihrer ganzen Entwicklung gelähmt, so lange ihr charakteristisches Produktionsmittel, die Maschine selbst, persönlicher Kraft und persönlichem Geschick seine Existenz ver- dankte, also abhing von der Muskelentwicklung, der Schärfe des Blicks und der Virtuosität der Hand, womit der Theilarbeiter in der Manufaktur und der Handwerker außerhalb derselben ihr Zwerginstrument führten. Abgesehn von der Vertheurung der Maschinen in Folge dieser Ursprungs- 40 weise - ein Umstand, welcher das Kapital als bewußtes Motiv beherrscht - blieb so die Ausdehnung der bereits maschinenmäßig betriebnen Industrie 25 35 343 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 und das Eindringen der Maschinerie in neue Produktionszweige rein be- dingt durch das Wachsthum einer Arbeiterkategorie, die wegen der halb- künstlerischen Natur ihres Geschäfts nur allmählig und nicht sprungweis vermehrt werden konnte. Aber auf einer gewissen Entwicklungsstufe ge- rieth die große Industrie auch technisch in Widerstreit mit ihrer hand- werks- und manufakturmäßigen Unterlage. Ausreckung des Umfangs der Bewegungsmaschinen, des Transmissionsmechanismus und der Werkzeug- maschinen, größere Komplikation, Mannichfaltigkeit und strengere Regel- mäßigkeit ihrer Bestandtheile, im Maße wie die Werkzeugmaschine sich von dem handwerksmäßigen Modell, das ihren Bau ||347| ursprünglich be- 10 herrscht, losriß und eine freie, nur durch ihre mechanische Aufgabe be- stimmte Gestalt erhielt 1 0 3), Ausbildung des automatischen Systems und stets unvermeidlichere Anwendung von schwer zu bewältigendem Mate- rial, z . B . Eisen statt Holz - die Lösung aller dieser naturwüchsig entsprin- genden Aufgaben stieß überall auf die persönlichen Schranken, die auch 15 das in der Manufaktur kombinirte Arbeiterpersonal nur dem Grad, nicht dem Wesen nach durchbricht. Maschinen z . B . wie die moderne Drucker- presse, der moderne Dampfwebstuhl und die moderne Kardirmaschine konnten nicht von der Manufaktur geliefert werden. Die Umwälzung der Produktionsweise in einer Sphäre der Industrie be- 20 dingt ihre Umwälzung in der andren. Es gilt dieß zunächst für solche Indu- striezweige, welche zwar durch die gesellschaftliche Theilung der Arbeit isolirt sind, so daß jeder derselben eine selbständige Waare producirt, sich aber dennoch als Phasen eines Gesammtprocesses verschlingen. So machte die Maschinenspinnerei Maschinenweberei nöthig und beide zusammen 25 die mechanisch-chemische Revolution in der Bleicherei, Druckerei und Färberei. So rief andrerseits die Revolution in der Baumwollspinnerei die Erfindung des gin zur Trennung der Baumwollfaser vom Samen hervor, womit erst die Baumwollproduktion auf dem nun erheischten großen Maß- stab möglich ward 1 0 4). Die Revolution in der Produktionsweise der Indu- 30 1 0 3 ) Der mechanische Webstuhl in seiner ersten Form besteht hauptsächlich aus Holz, der verbesserte, moderne, aus Eisen. Wie sehr im Anfang die alte Form des Produktionsmittels seine neue Form beherrscht, zeigt u. a. die oberflächlichste Vergleichung des modernen Dampfwebstuhls mit dem alten, der modernen Blasinstrumente in Eisengießereien mit der er- sten unbehülflichen mechanischen Wiedergeburt des gewöhnlichen Blasbalgs, und vielleicht 35 schlagender als alles Andre eine vor der Erfindung der jetzigen Lokomotiven versuchte Loko- motive, die in der That zwei Füße hatte, welche sie abwechselnd wie ein Pferd aufhob. Erst nach weitrer Entwicklung der Mechanik und gehäufter praktischer Erfahrung wird die Form gänzlich durch das mechanische Princip bestimmt und daher gänzlich emancipirt von der überlieferten Körperform des Werkzeugs, das sich zur Maschine entpuppt. 1 0 4 ) Des Yankee Eli Whitney cottongin war. bis zur neuesten Zeit im wesentlichen weniger verändert worden, als irgend eine andre Maschine des 18. Jahrhunderts. Erst in den letzten Decennien (vor 1867) hat ein andrer Amerikaner, Herr Emery von Albany, New-York, Whit- ney's Maschine durch eine ebenso einfache als wirksame Verbeßrung antiquirt. 40 344 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie strie und Agrikultur ernöthigte namentlich aber auch eine Revolution in den allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen Produktionsproces- ses, d. h. den Kommunikations- und Transportmitteln. Wie die Kommuni- kations- und Transportmittel einer Gesellschaft, deren Pivot, um mich 5 eines ||348| Ausdrucks Fourier's zu bedienen, die kleine Agrikultur mit ihrer häuslichen Nebenindustrie und das städtische Handwerk waren, den Produktionsbedürfnissen der Manufakturperiode mit ihrer erweiterten Theilung der gesellschaftlichen Arbeit, ihrer Koncentration von Arbeits- mitteln und Arbeitern und ihren Kolonialmärkten durchaus nicht mehr ge- 10 nügen konnten, daher auch in der That umgewälzt wurden, so verwandel- ten sich die von der Manufakturperiode überlieferten Transport- und Kommunikationsmittel bald in unerträgliche Hemmschuhe für die große Industrie mit ihrer fieberhaften Geschwindigkeit der Produktion, ihrer massenhaften Stufenleiter, ihrem beständigen Werfen von Kapital- und Ar- 15 beitermassen aus einer Produktionssphäre in die andre und ihren neuge- schaffnen weltmarktlichen Zusammenhängen. Abgesehn von ganz umge- wälztem Segelschiffbau, wurde das Kommunikations- und Transportwesen daher allmählig durch ein System von Flußdampfschiffen, Eisenbahnen, oceanischen Dampfschiffen und Telegraphen der Produktionsweise der 20 großen Industrie angepaßt. Die furchtbaren Eisenmassen aber, die jetzt zu schmieden, zu schweißen, zu schneiden, zu bohren und zu formen waren, erforderten ihrerseits cyklopische Maschinen, deren Schöpfung der manu- fakturmäßige Maschinenbau versagte. 25 Die große Industrie mußte sich also ihres charakteristischen Produk- tionsmittels, der Maschine selbst, bemächtigen und Maschinen durch Ma- schinen produciren. So erst schuf sie ihre adäquate technische Unterlage und stellte sich auf ihre eignen Füße. Mit dem wachsenden Maschinenbe- trieb in den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts bemächtigte sich die Maschinerie in der That allmählig der Fabrikation der Werkzeugmaschi- 30 nen. Jedoch erst während der letztverfloßnen Decennien riefen ungeheurer Eisenbahnbau und oceanische Dampfschifffahrt die zur Konstruktion von ersten Motoren angewandten cyklopischen Maschinen ins Leben. Die wesentlichste Produktionsbedingung für die Fabrikation von Ma- schinen durch Maschinen war eine jeder Kraftpotenz fähige und doch zu- 35 gleich ganz kontrolirbare Bewegungsmaschine. Sie existirte bereits in der Dampfmaschine. Aber es galt zugleich die für die einzelnen Maschinen- theile nöthigen streng geometrischen Formen wie Linie, Ebne, Kreis, Cy- linder, Kegel und Kugel maschinenmäßig zu produciren. Dieß Problem lö- ste Henry Maudslay im ersten Decennium des 19. Jahrhunderts durch die 40 Erfindung des slide-rest, der bald automatisch gemacht und in modificirter Form von der Drechselbank, wofür er zuerst bestimmt war, auf andre 345 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Konstruktionsmaschinen übertragen wurde. Diese mechanische Vor-| |349|richtung ersetzt nicht irgend ein besondres Werkzeug, sondern die menschliche Hand selbst, die eine bestimmte Form hervorbringt durch Vorhalten, Anpassen und Richtung der Schärfe von Schneideinstrumenten u.s.w. gegen oder über das Arbeitsmaterial, z . B . Eisen. So gelang es, die geometrischen Formen der einzelnen Maschinentheile „mit einem Grad von Leichtigkeit, Genauigkeit und Raschheit zu produciren, den keine ge- häufte Erfahrung der Hand des geschicktesten Arbeiters verleihen konnte" 1 0 5)- 5 Betrachten wir nun den Theil der zum Maschinenbau angewandten Ma- 10 15 schinerie, der die eigentliche Werkzeugmaschine bildet, so erscheint das handwerksmäßige Instrument wieder, aber in cyklopischem Umfang. Der Operateur der Bohrmaschine z.B. ist ein ungeheurer Bohrer, der durch eine Dampfmaschine getrieben wird und ohne den umgekehrt die Cylinder großer Dampfmaschinen und hydraulischer Pressen nicht producirt werden könnten. Die mechanische Drechselbank ist die cyklopische Wiedergeburt der gewöhnlichen Fußdrechselbank, die Hobelmaschine ein eiserner Zim- mermann, der mit denselben Werkzeugen in Eisen arbeitet, womit der Zimmermann in Holz; das Werkzeug, welches in den Londoner Schiffs- werften das Furnirwerk schneidet, ist ein riesenartiges Rasirmesser, das 20 Werkzeug d,er Scheermaschine, welche Eisen schneidet, wie die Schneider- scheere Tuch, eine Monstrescheere, und der Dampfhammer operirt mit einem gewöhnlichen Hammerkopf, aber von solchem Gewicht, daß Thor selbst ihn nicht schwingen könnte 1 0 6). Einer dieser Dampfhämmer z.B., die eine Erfindung von Nasmyth sind, wiegt über 6 Tonnen und stürzt mit 25 einem perpendikulären Fall von 7 Fuß auf einen Amboß von 36 Tonnen Gewicht. Er pulverisirt spielend einen Granitblock und ist nicht minder fä- hig, einen Nagel in weiches Holz mit einer Aufeinanderfolge leiser Schläge einzutreiben 1 0 7). Als Maschinerie erhält das Arbeitsmittel eine materielle Existenz-1 30 |350|weise, welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkräfte und er- fahrungsmäßiger Routine durch bewußte Anwendung der Naturwissen- 1 0 5 ) „The Industry of Nations. Lond. 1855", Part. II, p. 239. Es heißt eben daselbst: "Simple and outwardly unimportant as this appendage to lathes may appear, it is not, we believe, averring too much to state, that its influence in improving and extending the use of machinery has been as great as that produced by Watt's improvements of the steam-engine itself. Its intro- duction went at once to perfect all machinery, to cheapen it, and to stimulate invention and improvement." 1 0 6 ) Eine dieser Maschinen in London zum Schmieden von paddle-wheel shafts führt den Na- men „Thor". Sie schmiedet einen Schaft von 16¾ Tonnen Gewicht mit derselben Leichtigkeit, 40 wie der Schmied ein Hufeisen. 1 0 7 ) Die in Holz arbeitenden Maschinen, die auch auf kleinem Maßstab angewandt werden können, sind meist amerikanische Erfindung. 35 346 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie schaft bedingt. In der Manufaktur ist die Gliederung des gesellschaftlichen Arbeitsprocesses rein subjektiv, Kombination von Theilarbeitern; im Ma- schinensystem besitzt die große Industrie einen ganz objektiven Produk- tionsorganismus, den der Arbeiter als fertige materielle Produktionsbedin- 5 gung vorfindet. In der einfachen und selbst in der durch Theilung der Arbeit specificirten Kooperation erscheint die Verdrängung des vereinzel- ten Arbeiters durch den vergesellschafteten immer noch mehr oder minder zufällig. Die Maschinerie, mit einigen später zu erwähnenden Ausnahmen, funktionirt nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter oder gemeinsa- 10 mer Arbeit. Der kooperative Charakter des Arbeitsprocesses wird jetzt also durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktirte technische Notwendig- keit. 2. Werthabgabe der Maschinerie an das Produkt. 20 Man sah, daß die aus Kooperation und Theilung der Arbeit entspringen- 15 den Produktivkräfte dem Kapital nichts kosten. Sie sind Naturkräfte der gesellschaftlichen Arbeit. Naturkräfte, wie Dampf, Wasser u. s. w., die zu produktiven Processen angeeignet werden, kosten ebenfalls nichts. Wie aber der Mensch eine Lunge zum Athmen braucht, braucht er ein „Gebild von Menschenhand", um Naturkräfte produktiv zu konsumiren. Ein Was- serrad ist nöthig, um die Bewegungskraft des Wassers, eine Dampfma- schine, um die Elasticität des Dampfs auszubeuten. Wie mit den Natur- kräften; verhält es sich mit der Wissenschaft. Einmal entdeckt, kostet das Gesetz über die Abweichung der Magnetnadel im Wirkungskreise eines elektrischen Stroms oder über Erzeugung von Magnetismus im Eisen, um 25 das ein elektrischer Strom kreist, keinen D e u t 1 0 8 ) . Aber zur Ausbeutung dieser Gesetze für Télégraphie u. s. w. bedarf es eines sehr kostspieligen und weitläufigen Apparats. Durch die Maschine wird, wie wir sahen, das Werkzeug nicht verdrängt. Aus einem Zwerg-Werkzeug des menschlichen Organismus reckt ||351| es sich in Umfang und Anzahl zum Werkzeug eines vom Menschen geschaffnen Mechanismus. Statt mit dem Hand- werkszeug, läßt das Kapital den Arbeiter jetzt mit einer Maschine arbeiten, die ihre Werkzeuge selbst führt. Wenn es daher auf den ersten Blick klar 30 35 1 0 8 ) Die Wissenschaft kostet dem Kapitalisten überhaupt „Nichts", was ihn durchaus nicht hindert, sie zu exploitiren. Die „fremde" Wissenschaft wird dem Kapital einverleibt, wie fremde Arbeit. „Kapitalistische" Aneignung und „persönliche" Aneignung, sei es von Wissen- schaft, sei es von materiellem Reichthum, sind aber ganz und gar disparate Dinge. Dr. Ure selbst bejammerte die grobe Unbekanntschaft seiner lieben, Maschinen exploitirenden Fa- brikanten mit der Mechanik, und Liebig weiß von der haarsträubenden Unwissenheit der eng- lischen chemischen Fabrikanten in der Chemie zu erzählen. 347 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts ist, daß die große Industrie durch Einverleibung ungeheurer Naturkräfte und der Naturwissenschaft in den Produktionsproceß die Produktivität der Arbeit außerordentlich steigern muß, ist es keineswegs eben so klar, daß diese gesteigerte Produktivkraft nicht durch vermehrte Arbeitsausgabe auf der andren Seite erkauft wird. Gleich jedem andren Bestandtheil des kon- stanten Kapitals, schafft die Maschinerie keinen Werth, giebt aber ihren eignen Werth an das Produkt ab, zu dessen Erzeugung sie dient. Soweit sie Werth hat und daher Werth auf das Produkt überträgt, bildet sie einen Werthbestandtheil desselben. Statt es zu verwohlfeilern, vertheuert sie es im Verhältniß zu ihrem eignen Werth. Und es ist handgreiflich, daß Ma- 10 schine und systematisch entwickelte Maschinerie, das charakteristische Ar- beitsmittel der großen Industrie, unverhältnißmäßig an Werth schwillt, verglichen mit den Arbeitsmitteln des Handwerks- und Manufakturbe- triebs. 5 Es ist nun zunächst zu bemerken, daß die Maschinerie stets ganz in den 15 Arbeitsproceß und immer nur theilweis in den Verwerthungsproceß ein- geht. Sie setzt nie mehr Werth zu, als sie im Durchschnitt durch ihre Ab- nutzung verliert. Es findet also große Differenz statt zwischen dem Werth der Maschine und dem periodisch von ihr auf das Produkt übertragnen Werththeil. Es findet eine große Differenz statt zwischen der Maschine als 20 werthbildendem und als produktbildendem Element. Je größer die Periode, während welcher dieselbe Maschinerie wiederholt in demselben Arbeits- proceß dient, desto größer jene Differenz. Allerdings haben wir gesehn, daß jedes eigentliche Arbeitsmittel oder Produktionsinstrument immer ganz in den Arbeitsproceß und stets nur stückweis, im Verhältniß zu seinem tägli- 25 chen Durchschnittsverschleiß, in den Verwerthungsproceß eingeht. Diese Differenz jedoch zwischen Benutzung und Abnutzung ist viel größer bei der Maschinerie als bei dem Werkzeug, weil sie, aus dauerhafterem Mate- rial gebaut, länger lebt, weil ihre Anwendung, durch streng wissenschaftli- che Gesetze geregelt, größre Oekonomie in der Verausgabung ihrer B e - 30 standtheile und ihrer Konsumtionsmittel ermöglicht, und endlich, weil ihr Produktionsfeld unverhältnißmäßig größer ist als das des Werkzeugs. Ziehn wir von beiden, von Maschinerie und Werkzeug, ihre täglichen Durchschnittskosten ab, oder den ||352| Werthbestandtheil, den sie durch täglichen Durchschnittsverschleiß und den Konsum von Hülfsstoffen, wie 35 Oel, Kohlen u.s.w., dem Produkt zusetzen, so wirken sie umsonst, ganz wie ohne Zuthun menschlicher Arbeit vorhandne Naturkräfte. Um so viel grö- ßer der produktive Wirkungsumfang der Maschinerie als der des Werk- zeugs, um so viel größer ist der Umfang ihres unentgeltlichen Dienstes ver- glichen mit dem des Werkzeugs. Erst in der großen Industrie lernt der 40 Mensch das Produkt seiner vergangnen, bereits vergegenständlichten Ar- 348 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie beit auf großem Maßstab gleich einer Naturkraft umsonst wirken zu las- s e n 1 0 9 ) . Es ergab sich bei Betrachtung der Kooperation und Manufaktur, daß ge- wisse allgemeine Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten u. s. w., im 5 Vergleich mit den zersplitterten Produktionsbedingungen vereinzelter Ar- beiter durch den gemeinsamen Konsum ökonomisirt werden, daher das Produkt weniger vertheuern. Bei der Maschinerie wird nicht nur der Kör- per einer Arbeitsmaschine von ihren vielen Werkzeugen, sondern dieselbe Bewegungsmaschine nebst einem Theil des Transmissionsmechanismus 10 von vielen Arbeitsmaschinen gemeinsam verbraucht. Gegeben die Differenz zwischen dem Werth der Maschinerie und dem auf ihr Tagesprodukt übertragnen Werththeil, hängt der Grad, worin dieser Werththeil das Produkt vertheuert, zunächst vom Umfang des Produkts ab, gleichsam von seiner Oberfläche. Herr Baynes aus Blackburn schätzt in 15 einer 1857 veröffentlichten Vorlesung, daß „jede r e a l e 1 0 9 a ) mechanische Pferdekraft 450 selfacting ||353| Mulespindeln nebst Vorgeschirr treibt oder 200 Throstlespindeln oder 15 Webstühle für 40 inch cloth nebst den Vor- richtungen zum Aufziehn der Kette, Schlichten u. s. w." Es ist im ersten Fall das Tagesprodukt von 450 Mulespindeln, im zweiten von 200 Throstle- 1 0 9 ) Ricardo faßt diese, übrigens von ihm ebensowenig wie der allgemeine Unterschied zwi- schen Arbeitsproceß und Verwerthungsproceß entwickelte Wirkung der Maschinen manch- mal so vorzugsweis ins Auge, daß er gelegentlich den Werthbestandtheil vergißt, den Maschi- nen an das Produkt abgeben, und sie ganz und gar mit den Naturkräften zusammenwirft. So z.B. "Adam Smith nowhere undervalues the services which the natural agents and machinery perform for us, but he very justly distinguishes the nature of the value which they add to com- modities ... as they perform their work gratuitously, the assistance which they afford us, adds nothing to value in exchange." (Ric. I.e. p.336, 337.) Ricardo's Bemerkung ist natürlich rich- tig gegen J . B . Say, der sich vorfaselt, die Maschinen leisteten den „Dienst" Werth zu schaffen, der Theil des „Profits" bilde. 1 0 9 a ) (Note zur 3. Aufl. - Eine „Pferdekraft" ist gleich der Kraft von 33 000 Fußpfund in der Minute, d.h. der Kraft, die 33 000 Pfund in der Minute um 1 Fuß (englisch) hebt oder 1 Pfund um 33 000 Fuß. Dieß ist die oben gemeinte Pferdekraft. In der gewöhnlichen Geschäftsspra- che, und auch hie und da in Citaten dieses Buchs, wird aber unterschieden zwischen „nomi- nellen" und „kommerziellen" oder „indicirten" Pferdekräften derselben Maschine. Die alte oder nominelle Pferdekraft wird berechnet ausschließlich aus Kolbenhub und Cylinderdurch- messer, und läßt Dampfdruck und Kolbengeschwindigkeit ganz außer Berücksichtigung. D.h. faktisch sagt sie aus: diese Dampfmaschine hat z.B. 50 Pferdekraft, wenn sie mit demselben schwachen Dampfdruck und derselben geringen Kolbengeschwindigkeit getrieben wird wie zur Zeit von Boulton und Watt. Letztere beiden Faktoren sind aber seitdem enorm gewach- sen. Um die von einer Maschine heute wirklich gelieferte mechanische Kraft zu messen, wurde der Indikator erfunden, der den Dampfdruck anzeigt. Die Kolbengeschwindigkeit läßt sich leicht feststellen. So ist das Maß der „indicirten" oder „kommerziellen" Pferdekraft einer Maschine eine mathematische Formel, welche Cylinderdurchmesser, Höhe des Kolbenhubs, Kolbengeschwindigkeit und Dampfdruck gleichzeitig berücksichtigt und damit anzeigt, wie- vielmal die Maschine in der Minute 33 000 Fußpfund wirklich leistet. Eine nominelle Pferde- kraft kann daher in Wirklichkeit drei, vier, selbst fünf indicirte oder wirkliche Pferdekräfte lei- sten. Dieß zur Erklärung verschiedener späterer Citate. D. H.) 349 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Spindeln, im dritten von 15 mechanischen Webstühlen, worüber sich die täglichen Kosten einer Dampfpferdekraft und der Verschleiß der von ihr in Bewegung gesetzten Maschinerie vertheilen, so daß hierdurch auf eine Unze Garn oder eine Elle Geweb nur ein winziger Werththeil übertragen wird. Ebenso im obigen Beispiel mit dem Dampfhammer. Da sich sein tag- licher Verschleiß, Kohlenkonsum u. s. w. vertheilen auf die furchtbaren Eisenmassen, die er täglich hämmert, hängt sich jedem Centner Eisen nur ein geringer Werththeil an, der sehr groß wäre, sollte das cyklopische In- strument kleine Nägel eintreiben. 5 Den Wirkungskreis der Arbeitsmaschine, also die Anzahl ihrer Werk- 10 zeuge, oder, wo es sich um Kraft handelt, deren Umfang gegeben, wird die Produktenmasse von der Geschwindigkeit abhängen, womit sie operirt, also z . B . von der Geschwindigkeit, womit sich die Spindel dreht, oder der Anzahl Schläge, die der Hammer in einer Minute austheilt. Manche jener kolossalen Hämmer geben 70 Schläge, Ryder's Schmiedepatentmaschine, 15 die Dampfhämmer in kleineren Dimensionen zum Schmieden von Spin- deln anwendet, 700 Schläge in einer Minute. Die Proportion gegeben, worin die Maschinerie Werth auf das Produkt überträgt, hängt die Größe dieses Werththeils von ihrer eignen Werthgröße a b 1 1 0 ) . Je weniger Arbeit sie selbst enthält, ||354| desto weniger Werth setzt 20 sie dem Produkt zu. Je weniger Werth abgebend, desto produktiver ist sie und desto mehr nähert sich ihr Dienst dem der Naturkräfte. Die Produk- tion der Maschinerie durch Maschinerie verringert aber ihren Werth, ver- hältnißmäßig zu ihrer Ausdehnung und Wirkung. Eine vergleichende Analyse der Preise handwerks- oder manufakturmä- 25 ßig producirter Waaren und der Preise derselben Waaren als Maschinen- produkt ergibt im Allgemeinen das Resultat, daß beim Maschinenprodukt der dem Arbeitsmittel geschuldete Werthbestandtheil relativ wächst, aber absolut abnimmt. Das heißt, seine absolute Größe nimmt ab, aber seine Größe im Verhältniß zum Gesammtwerth des Produkts, z.B. eines Pfundes 30 Garns, nimmt z u 1 1 1 ) . n o ) Der in kapitalistischen Vorstellungen befangne Leser vermißt hier natürlich den „Zins", den die Maschine, pro rata ihres Kapitalwerths, dem Produkt zusetzt. Es ist jedoch leicht ein- zusehn, daß die Maschine, da sie so wenig als irgend ein andrer Bestandtheil des konstanten Kapitals Neuwerth erzeugt, keinen solchen unter dem Namen „Zins" zusetzen kann. Es ist 35 ferner klar, daß hier, wo es sich um die Produktion des Mehrwerths handelt, kein Theil dessel- ben unter dem Namen „Zins" a priori vorausgesetzt werden kann. Die kapitalistische Rech- nungsweise, die prima facie abgeschmackt und den Gesetzen der Werthbildung widerspre- chend scheint, findet im Dritten Buch dieser Schrift ihre Erklärung. l n ) Dieser von der Maschine zugesetzte Werthbestandtheil fallt absolut und relativ, wo sie 40 Pferde verdrängt, überhaupt Arbeitsthiere, die nur als Bewegungskraft, nicht als Stoffwechsel- maschinen benutzt werden. Nebenbei bemerkt, Descartes mit seiner Definition der Thiere als bloßer Maschinen sieht mit den Augen der Manufakturperiode im Unterschied zum Mittelal- 350 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie 5 Es ist klar, daß bloßes Deplacement der Arbeit stattfindet, also die Ge- sammtsumme der zur Produktion einer Waare erheischten Arbeit nicht vermindert oder die Produktivkraft der Arbeit nicht vermehrt wird, wenn die Produktion einer Maschine so viel Arbeit kostet, als ihre Anwendung erspart. Die Differenz jedoch zwischen ||355| der Arbeit, die sie kostet, und der Arbeit, die sie erspart, oder der Grad ihrer Produktivität hängt offenbar nicht ab von der Differenz zwischen ihrem eignen Werth und dem Werth des von ihr ersetzten Werkzeugs. Die Differenz dauert so lange, als die Ar- beitskosten der Maschine und daher der von ihr dem Produkt zugesetzte 10 Werththeil kleiner bleiben als der Werth, den der Arbeiter mit seinem Werkzeug dem Arbeitsgegenstand zusetzen würde. Die Produktivität der Maschine mißt sich daher an dem Grad, worin sie menschliche Arbeits- kraft ersetzt. Nach Herrn Baynes kommen auf 450 Mulespindeln nebst Vormaschinerie, die von einer Dampfpferdekraft getrieben werden, 2l/2 Ar- 15 beiter 1 1 2) und werden mit jeder selfacting mule spindle bei zehnstündigem Arbeitstag 13 Unzen Garn (Durchschnittsnummer), also wöchentlich 365¾ Pfd. Garn von 2l/2 Arbeitern gesponnen. Bei ihrer Verwandlung in Garn absorbiren ungefähr 366 Pfund Baumwolle (wir sehn der Vereinfa- chung halber vom Abfall ab) also nur 150 Arbeitsstunden oder 15 zehn- 20 stündige Arbeitstage, während mit dem Spinnrad, wenn der Handspinner 13 Unzen Garn in 60 Stunden liefert, dasselbe Quantum Baumwolle 2700 Arbeitstage von 10 Stunden oder 27 000 Arbeitsstunden absorbiren 25 30 35 40 ter, dem das Thier als Gehülfe des Menschen galt, wie später wieder dem Herrn v. Haller in seiner „Restauration der Staatswissenschaften". Daß Descartes ebenso wie Baco eine verän- derte Gestalt der Produktion und praktische Beherrschung der Natur durch den Menschen als Resultat der veränderten Denkmethode betrachtete, zeigt sein „Discours de la Méthode", wo es u. a. heißt: „II est possible (durch die von ihm in die Philosophie eingeführte Methode) de parvenir à des connaissances fort utiles à la vie, et qu'au lieu de cette philosophie spéculative qu'on enseigne dans les écoles, on en peut trouver une pratique, par laquelle, connaissant la force et les actions du feu, de l'eau, de l'air, des astres, et de tous les autres corps qui nous en- vironnent, aussi distinctement que nous connaissons les divers métiers de nos artisans, nous les pourrions employer en même façon à tous les usages auxquels ils sont propres, et ainsi nous rendre comme maîtres et possesseurs de la nature", und so ,,contribuer au perfectionne- ment de la vie humaine". In der Vorrede zu Sir Dudley North's „Discourses upon Trade" (1691) heißt es, die Methode des Descartes, auf die politische Oekonomie angewandt, habe sie von alten Märchen und abergläubischen Vorstellungen über Geld, Handel u. s. w. zu be- freien angefangen. Im Durchschnitt schließen sich jedoch die englischen Oekonomen der frü- hem Zeit an Baco und Hobbes als ihre Philosophen an, während Locke später „der Philosoph" κατ' εξοχήν der politischen Oekonomie für England, Frankreich und Italien ward. m) Nach einem Jahresbericht der Handelskammer zu Essen (Okt. 1863) producirte 1862 die Krupp'sche Gußstahlfabrik mittelst 161 Schmelz-, Glüh- und Cementöfen, 32 Dampfmaschi- nen (im Jahr 1800 war das ungefähr die Gesammtzahl der in Manchester angewandten Dampfmaschinen) und 14 Dampfhämmern, welche zusammen 1236 Pferdekraft repräsenti- ren, 49 Schmiedeessen, 203 Werkzeugmaschinen und circa 2400 Arbeitern - 13 Millionen 45 Pfund Gußstahl. Hier noch nicht 2 Arbeiter auf 1 Pferdekraft. 351 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts würde 1 1 3). Wo die alte Methode des blockprinting oder der Handkattun- druckerei durch Maschinendruck verdrängt ist, druckt eine einzige Ma- schine mit dem Beistand eines Mannes oder Jungen so viel vierfarbigen Kattun in einer Stunde wie früher 200 Männer 1 1 4). Bevor Eli Whitney 1793 den cottongin erfand, kostete die Trennung eines Pfundes Baumwolle vom Samen einen Durchschnittsarbeitstag. In Folge seiner Erfindung konnten täglich 100 Pfd. Baumwolle von einer Negerin gewonnen werden und die Wirksamkeit des gin ward seitdem noch bedeutend erhöht. Ein Pfund Baumwollfaser, früher zu 50 cents producirt, wird später mit größrem Pro- fit, d.h. mit Einschluß von mehr unbezahlter Arbeit, zu 10 cents verkauft. | 10 |356|In Indien wendet man zur Trennung der Faser vom Samen ein halb- maschinenartiges Instrument an, die Churka, womit ein Mann und eine Frau täglich 28 Pfd. reinigen. Mit der von Dr. Forbes vor einigen Jahren er- fundnen Churka produciren 2 Mann und 1 Junge täglich 250 Pfd.; wo Och- sen, Dampf oder Wasser als Triebkräfte gebraucht werden, sind nur wenige Jungen und Mädchen als feeders (Handlanger des Materials für die Ma- schine) erheischt. Sechszehn dieser Maschinen, mit Ochsen getrieben, ver- richten täglich das frühere Durchschnitts-Tagewerk von 750 Leuten 1 1 5). 15 5 Wie bereits erwähnt, verrichtet die Dampfmaschine, beim Dampfpflug, in einer Stunde zu 3 d. oder % sh. so viel Werk wie 66 Menschen zu 15 sh. 20 per Stunde. Ich komme auf dieses Beispiel zurück gegen eine falsche Vor- stellung. Die 15 sh. sind nämlich keineswegs der Ausdruck der während einer Stunde von den 66 Menschen zugefügten Arbeit. War das Verhältniß von Mehrarbeit zu nothwendiger Arbeit 100 %, so producirten diese 66 Ar- beiter per Stunde einen Werth von 30 sh., obgleich sich nur 33 Stunden in 25 einem Aequivalent für sie selbst, d.h. im Arbeitslohn von 15 sh. darstellen. Gesetzt also, eine Maschine koste eben so viel als der Jahreslohn von 150 durch sie verdrängten Arbeitern, sage 3000 Pfd. St., so sind 3000 Pfd. St. keineswegs der Geldausdruck der von 150 Arbeitern gelieferten und dem Arbeitsgegenstand zugesetzten Arbeit, sondern nur des Theils ihrer Jahres- 30 arbeit, der sich für sie selbst in Arbeitslohn darstellt. Dagegen drückt der Geldwerth der Maschine von 3000 Pfd. St. alle während ihrer Produktion verausgabte Arbeit aus, in welchem Verhältniß immer diese Arbeit Arbeits- lohn für den Arbeiter und Mehrwerth für den Kapitalisten bilde. Kostet die Maschine also ebensoviel als die von ihr ersetzte Arbeitskraft, so ist die in 35 1 1 3 ) Babbage berechnet, daß in Java 117 % dem Baumwollwerth fast nur durch die Spinnarbeit zugesetzt werden. Zur selben Zeit (1832) betrug in England der Gesammtwerth, den Maschi- nerie und Arbeit der Baumwolle bei der Feinspinnerei zusetzten, ungefähr 33% auf den Werth des Rohmaterials. („On the Economy of Machinery", p. 165, 166.) 1 1 4 ) Beim Maschinendruck außerdem Farbe erspart. 1 1 5 ) Vgl. Paper read by Dr. Watson, Reporter on Products to the Government of India, before the Society of Arts, 17. April 1861. 40 352 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie ihr selbst vergegenständlichte Arbeit stets viel kleiner als die von ihr er- setzte lebendige A r b e i t 1 1 6 ) . 5 Ausschließlich als Mittel zur Verwohlfeilerung des Produkts betrachtet, ist die Grenze für den Gebrauch der Maschinerie darin gegeben, daß ihre eigne Produktion weniger Arbeit kostet, als ihre Anwendung Arbeit ersetzt. Für das Kapital jedoch drückt ||357| sich diese Grenze enger aus. Da es nicht die angewandte Arbeit zahlt, sondern den Werth der angewandten Arbeitskraft, wird ihm der Maschinengebrauch begrenzt durch die Diffe- renz zwischen dem Maschinenwerth und dem Werth der von ihr ersetzten 10 Arbeitskraft. Da die Theilung des Arbeitstags in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit in verschiednen Ländern verschieden ist, ebenso in demselben Lande zu verschiednen Perioden oder während derselben Periode in ver- schiednen Geschäftszweigen; da ferner der wirkliche Lohn des Arbeiters bald unter den Werth seiner Arbeitskraft sinkt, bald über ihn steigt, kann 15 die Differenz zwischen dem Preise der Maschinerie und dem Preise der von ihr zu ersetzenden Arbeitskraft sehr variiren, wenn auch die Differenz zwischen dem zur Produktion der Maschine nöthigen Arbeitsquantum und dem Gesammtquantum der von ihr ersetzten Arbeit dieselbe b l e i b t 1 1 6 a ) . Es ist aber nur die erstere Differenz, welche die Produktionskosten der Waare für den Kapitalisten selbst bestimmt und ihn durch die Zwangsgesetze der Konkurrenz beeinflußt. Es werden daher heute Maschinen in England er- funden, die nur in Nordamerika angewandt werden, wie Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert Maschinen erfand, die nur Holland anwandte, und wie manche französische Erfindung des 18. Jahrhunderts nur in England ausgebeutet ward. Die Maschine selbst producirt in älter entwickelten Län- dern durch ihre Anwendung auf einige Geschäftszweige in andren Zweigen solchen Arbeitsüberfluß (redundancy of labour, sagt Ricardo), daß hier der Fall des Arbeitslohns unter den Werth der Arbeitskraft den Gebrauch der Maschinerie verhindert und ihn vom Standpunkt des Kapitals, dessen Ge- 30 winn ohnehin aus der Vermindrung nicht der angewandten, sondern der bezahlten Arbeit entspringt, überflüssig, oft unmöglich macht. In einigen Zweigen der englischen Wollmanufaktur ist während der letzten Jahre die Kinderarbeit sehr vermindert, hier und da fast verdrängt worden. Warum? Der Fabrikakt ernöthigte eine doppelte Kinderreihe, von denen je eine 6, 35 die andre 4 Stunden, oder jede nur 5 Stunden arbeitet. Die Eltern wollten aber die half-times (Halbzeitler) nicht wohlfeiler verkaufen als früher die full-times (Vollzeitler). Daher Ersetzung der half-times durch Maschine- 25 20 1 1 6 ) "These mute agents (die Maschinen) are always the produce of much less labour than that which they displace, even when they are of the same money value." (Ricardo I.e. p. 40.) 1 1 6 a ) Note zur 2. Ausgabe. In einer kommunistischen Gesellschaft hätte daher die Maschine- rie einen ganz andren Spielraum als in der bürgerlichen Gesellschaft. 40 353 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts r i e 1 1 7 ) . Vor dem Verbot der Arbeit von Weibern und ||358| Kindern (unter 10 Jahren) in Minen fand das Kapital die Methode, nackte Weiber und Mädchen, oft mit Männern zusammengebunden in Kohlen- und andren Minen zu vernutzen, so übereinstimmend mit seinem Moralkodex und na- mentlich auch seinem Hauptbuch, daß es erst nach dem Verbot zur Ma- schinerie griff. Die Yankees haben Maschinen zum Steinklopfen erfunden. Die Engländer wenden sie nicht an, weil der „Elende" („wretch" ist Kunst- ausdruck der englischen politischen Oekonomie für den Agrikultur arbei- ter), der diese Arbeit verrichtet, einen so geringen Theil seiner Arbeit be- zahlt erhält, daß Maschinerie die Produktion für den Kapitalisten 10 vertheuern würde 1 1 8). In England werden gelegentlich statt der Pferde im- mer noch Weiber zum Ziehn u.s.w. bei den Kanalbooten verwandt 1 1 9), weil die zur Produktion von Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein ma- thematisch gegebenes Quantum, die zur Erhaltung von Weibern der Sur- pluspopulation dagegen unter aller Berechnung steht. Man findet daher 15 nirgendwo schamlosere Verschwendung von Menschenkraft für Lumpe- reien, als gerade in England, dem Land der Maschinen. 5 3. Nächste Wirkungen des maschinenmäßigen Betriebs auf den Arbeiter. Den Ausgangspunkt der großen Industrie bildet, wie gezeigt, die Révolu- 20 tion des Arbeitsmittels, und das umgewälzte Arbeitsmittel erhält seine meist entwickelte Gestalt im gegliederten Maschinensystem der Fabrik. Bevor wir zusehn, wie diesem objektiven Organismus Menschenmaterial einverleibt wird, betrachten wir einige allgemeine Rückwirkungen jener Revolution auf den Arbeiter selbst. 25 1 1 7 ) ,,Employers of labour would not unnecessarily retain two sets of children under thir- teen ... In fact one class of manufacturers, the spinners of woollen yarn, now rarely employ children under thirteen years of ages, i.e. half-times. They have introduced improved and new machinery of various kinds which altogether supersedes the employment of children (d.h. un- ter 13 J.); f. i.: I will mention one process as an illustration of this diminution in the number of 30 children, wherein, by the addition of an apparatus, called a piecing machine, to existing ma- chines, the work of six or four half-times, according to the peculiarity of each machine, can be performed by one young person (über 13 J.) ... the half-time system" stimulirte ,,the invention of the piecing machine". („Reports of Insp. of Fact, for 31 st Oct. 1858".) us) "Machinery ... can frequently not be employed until labour (er meint wages) rises." (Ri- 35 cardo 1. c. p. 479.) 1 1 9 ) Sieh „Report of the Social Science Congress at Edinburgh. October 1863". 354 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie a) Aneignung zuschüssiger Arbeitskräfte durch das Kapital. Weiber- und Kinderarbeit. Sofern die Maschinerie Muskelkraft entbehrlich macht, wird sie zum Mit- tel, Arbeiter ohne Muskelkraft oder von unreifer Körper113 591entwicklung 5 aber größrer Geschmeidigkeit der Glieder anzuwenden. Weiber- und Kin- derarbeit war daher das erste Wort der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie! Dieß gewaltige Ersatzmittel von Arbeit und Arbeitern ver- wandelte sich damit sofort in ein Mittel, die Zahl der Lohnarbeiter zu ver- mehren durch Einreihung aller Mitglieder der Arbeiterfamilie, ohne Unter- 10 schied von Geschlecht und Alter, unter die unmittelbare Botmäßigkeit des Kapitals. Die Zwangsarbeit für den Kapitalisten usurp irte nicht nur die Stelle des Kinderspiels, sondern auch der freien Arbeit im häuslichen Kreis, innerhalb sittlicher Schranke, für die Familie selbst 1 2 0). 15 Der Werth der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur Erhal- tung des individuellen erwachsnen Arbeiters, sondern durch die zur Erhal- tung der Arbeiterfamilie nöthige Arbeitszeit. Indem die Maschinerie alle Glieder der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, vertheilt sie den Werth der Arbeitskraft des Mannes über seine ganze Familie. Sie entwer- thet daher seine Arbeitskraft. Der Ankauf der in 4 Arbeitskräfte z . B . par- 20 cellirten Familie kostet vielleicht mehr als früher der Ankauf der Arbeits- kraft des Familienhaupts, aber dafür treten 4 Arbeitstage an die Stelle von Einem, und ihr Preis fällt im Verhältniß zum Ueberschuß der Mehrarbeit der Vier über die Mehrarbeit des Einen. Vier müssen nun nicht nur Arbeit, sondern Mehrarbeit für das Kapital liefern, damit eine Familie lebe. So er- 25 weitert die Maschinerie von vorn herein mit dem menschlichen Exploita- tionsmaterial, dem eigensten Ausbeutungsfeld des Kapitals 1 2 1), zugleich den Exploitationsgrad. | 1 2 0 ) Dr. Edward Smith wurde während der den amerikanischen Bürgerkrieg begleitenden Baumwollkrise von der englischen Regierung nach Lancashire, Cheshire u.s.w. geschickt, zur 30 Berichterstattung über den Gesundheitszustand der Baumwollarbeiter. Er berichtet u. a.: Hy- gienisch habe die Krise, abgesehn von der Verbannung der Arbeiter aus der Fabrikatmosphä- re, vielerlei andre Vortheile. Die Arbeiterfrauen fänden jetzt die nöthige Muße, ihren Kindern die Brust zu reichen, statt sie mit Godfrey's Cordial (einem Opiat) zu vergiften. Sie hätten die Zeit gewonnen, kochen zu lernen. Unglücklicher Weise fiel diese Kochkunst in einen Augen- 35 blick, wo sie nichts zu essen hatten. Aber man sieht, wie das Kapital die für die Konsumtion nöthige Familienarbeit usurpirt hat zu seiner Selbstverwerthung. Ebenso wurde die Krise be- nutzt, um in eignen Schulen die Töchter der Arbeiter nähen zu lehren. Eine amerikanische Revolution und eine Weltkrise erheischt, damit die Arbeitermädchen, die für die ganze Welt spinnen, nähen lernen! m) "The numerical increase of labourers has been great, through the growing substitution of female for male, and above all of childish for adult, labour. Three girls of 13, at wages from of 6 sh. to 8 sh. a week, have replaced the one man of mature age, of wages varying from 18 sh. to 40 355 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts |360| Sie revolutionirt ebenso von Grund aus die formelle Vermittlung des Kapitalverhältnisses, den Kontrakt zwischen Arbeiter und Kapitalist. Auf Grundlage des Warenaustausches war es erste Voraussetzung, daß sich Kapitalist und Arbeiter als freie Personen, als unabhängige Waarenbe- sitzer, der eine Besitzer von Geld und Produktionsmitteln, der andre Besit- 5 zer von Arbeitskraft, gegenübertraten. Aber jetzt kauft das Kapital Unmün- dige oder Halbmündige. Der Arbeiter verkaufte früher seine eigne Arbeitskraft, worüber er als formell freie Person verfügte. Er verkauft jetzt Weib und Kind. Er wird Sklavenhändler 1 2 2). Die Nachfrage nach Kinderar- beit gleicht oft auch in der Form der Nachfrage nach Negersklaven, wie 10 man sie in amerikanischen Zeitungsinseraten zu lesen gewohnt war. „Meine Aufmerksamkeit", sagt z.B. ein englischer Fabrikinspektor, „wurde gelenkt auf eine Annonce in dem Lokalblatt einer der bedeutendsten Ma- nufakturstädte meines Distrikts, wovon Folgendes die Kopie: Gebraucht 12 bis 20 Jungen, nicht jünger als was für 13 Jahre passiren kann. Lohn 4 sh. 15 per ||361| Woche. Anzufragen e t c . " 1 2 3 ) . Die Phrase „was für 13 Jahre passi- ren kann" bezieht sich darauf, daß nach dem Factory Act Kinder unter 13 Jahren nur 6 Stunden arbeiten dürfen. Ein amtlich qualificirter Arzt (certifying surgeon) muß das Alter bescheinigen. Der Fabrikant verlangt also Jungen, die so aussehn, als ob sie schon dreizehnjährig. Die manch- 20 mal sprungweise Abnahme in der Anzahl der von Fabrikanten beschäftig- 45 sh." (Th. de Quincey: „The Logic of Politic. Econ. Lond. 1844", Note zu p.147.) Da gewisse Funktionen der Familie, z.B. Warten und Säugen der Kinder u.s.w., nicht ganz unterdrückt werden können, müssen die vom Kapital konfìscirten Familienmütter mehr oder minder Steilvertreter dingen. Die Arbeiten, welche der Familienkonsum erheischt, wie Nähen, Flik- 25 ken u. s.w., müssen durch Kauf fertiger Waaren ersetzt werden. Der verminderten Ausgabe von häuslicher Arbeit entspricht also vermehrte Geldausgabe. Die Produktionskosten der Ar- beiterfamilie wachsen daher und gleichen die Mehreinnahme aus. Es kommt hinzu, daß Oe- konomie und Zweckmäßigkeit in Vernutzung und Bereitung der Lebensmittel unmöglich werden. Ueber diese von der officiellen politischen Oekonomie verheimlichten Thatsachen 30 findet man reichliches Material in den „Reports" der Fabrikinspektoren, der ,,Children's Em- ployment Commission" und namentlich auch den „Reports on Public Health". 1 2 2 ) Im Kontrast zur großen Thatsache, daß die Beschränkung der Weiber- und Kinderarbeit in den englischen Fabriken von den erwachsnen männlichen Arbeitern dem Kapital aber- obert wurde, findet man noch in den jüngsten Berichten der ,,Children's Employment Com- 35 mission" wahrhaft empörende und durchaus sklavenhändlerische Züge der Arbeitereltern mit Bezug auf den Kinderschacher. Der kapitalistische Pharisäer aber, wie man aus denselben „Reports" sehn kann, denuncirt diese von ihm selbst geschaffne, verewigte und exploitirte Be- stialität, die er sonst „Freiheit der Arbeit" tauft. "Infant labour has been called into aid ... even to work for their own daily bread. Without strength to endure such disproportionate toil, 40 without instruction to guide their future life, they have been thrown into a situation physically and morally polluted. The Jewish historian has remarked upon the overthrow of Jerusalem by Titus, that it was no wonder it should have been destroyed, with such a signal destruction, when an inhuman mother sacrificed her own offspring to satisfy the cravings of absolute hun- ger." „Public Economy Concentrated. Carlisle 1833", p. 66. 1 2 3 ) A.Redgrave in „Reports of Insp. of Fact, for 31st October 1858", p.41. 45 356 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie ten Kinder unter 13 Jahren, überraschend in der englischen Statistik der letzten 20 Jahre, war nach Aussage der Fabrikinspektoren selbst großen- theils das Werk von certifying surgeons, welche das Kindesalter der Exploi- tationslust der Kapitalisten und dem Schacherbedürfniß der Eltern gemäß 5 verschoben. In dem berüchtigten Londoner Distrikt von Bethnal Green wird jeden Montag und Dienstag Morgen offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei Geschlechts vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner Seidenmanufakturen vermiethen. „Die gewöhnlichen Bedingungen sind 1 sh. 8 d. die Woche (die den Eltern gehören) und 2 d. für mich selbst nebst 10 Thee." Die Kontrakte gelten nur für die Woche. Die Scenen und die Spra- che während der Dauer dieses Markts sind wahrhaft empörend 1 2 4). Es kommt immer noch in England vor, daß Weiber „Jungen vom Workhouse nehmen und sie jedem beliebigen Käufer für 2 sh. 6 d. wöchentlich ver- miethen" 1 2 5 ) . Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens 15 2000 Jungen in Großbritannien als lebendige Schornsteinfegermaschinen (obgleich Maschinen zu ihrem Ersatz existiren) von ihren eignen Eltern verkauft 1 2 6). Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im Rechtsver- hältniß zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft, so daß die ganze Transaktion selbst den Schein eines Kontrakts zwischen freien Personen 20 verliert, bot dem englischen Parlament später den juristischen Entschuldi- gungsgrund für Staatseinmischung in das Fabrikwesen. So oft das Fabrik- gesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen Industriezweigen auf 6 Stunden beschränkt, ertönt stets neu der Fabrikantenjammer: ein Theil der Eltern entziehe die Kinder nun der gemaßregelten Industrie, um sie in 25 solche zu verkaufen, wo noch „Freiheit der Arbeit" herrscht, d. h. wo | 13621 Kinder unter 13 Jahren gezwungen werden, wie Erwachsne zu arbei- ten, also auch theurer loszuschlagen sind. Da aber das Kapital von Natur ein leveller ist, d. h. in allen Produktionssphären Gleichheit der Exploita- tionsbedingungen der Arbeit als sein angebornes Menschenrecht verlangt, 30 wird die legale Beschränkung der Kinderarbeit in einem Industriezweig Ur- sache ihrer Beschränkung in dem andren. Bereits früher wurde der physische Verderb der Kinder und jungen Per- sonen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschinerie erst di- rekt in den auf ihrer Grundlage aufschießenden Fabriken und dann indi- rekt in allen übrigen Industriezweigen der Exploitation des Kapitals unterwirft. Hier verweilen wir daher nur bei einem Punkt, der ungeheuren Sterblichkeit von Arbeiterkindern in ihren ersten Lebensjahren. In Eng- 35 1 2 4 ) ,,Children's Employment Commission. V. Report. London 1866", p. 81, η. 31. (Zur 4. Aufl. (cid:5) Die Seidenindustrie von Bethnal Green ist jetzt fast vernichtet. (cid:5) D.H.] 40 1 2 5 ) ,,Child. Employm. Comm. III. Report. Lond. 1864", p.53, n. 15. 1 2 6 ) 1. e. V. Report, p.XXII, n. 137. 357 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts land giebt es 16 Registrations-Distrikte, wo im jährlichen Durchschnitt auf 1 0 0 0 0 0 lebende Kinder unter einem Jahr nur 9085 Todesfälle (in einem Distrikt nur 7047) kommen, in 24 Distrikten über 10 000, aber unter 1 1 0 0 0 , in 39 Distrikten über 1 1 0 0 0 , aber unter 12 000, in 48 Distrikten über 12 000, aber unter 13 000, in 22 Distrikten über 20 000, in 25 Distrik- 5 ten über 2 1 0 0 0 , in 17 über 22 000, in 11 über 23 000, in Hoo, Wolverhamp- ton, Ashton-under-Lyne und Preston über 24 000, in Nottingham, Stock- port und Bradford über 2 5 0 0 0 , in Wisbeach 2 6 0 0 1 und in Manchester 26 1 2 5 1 2 7 ) . Wie eine officielle ärztliche Untersuchung im Jahre 1861 nach- wies, sind, von Lokalumständen abgesehn, die hohen Sterblichkeitsraten 10 vorzugsweise der außerhäuslichen Beschäftigung der Mütter geschuldet und der daher entspringenden Vernachlässigung und Mißhandlung der Kinder, u. a. unpassender Nahrung, Mangel an Nahrung, Fütterung mit Opiaten u.s.w., dazu die unnatürliche Entfremdung der Mütter gegen ihre Kinder, im Gefolge davon absichtliche Aushungerung und Vergiftung 1 2 8). 15 In solchen Agrikulturdistrikten, „wo ein Minimum weiblicher Beschäfti- gung existirt, ist dagegen die Sterblichkeitsrate am niedrigsten" 1 2 9). Die Untersuchungskommission von 1861 ergab jedoch das unerwartete Resul- tat, daß 113631 in einigen an der Nordsee gelegnen rein ackerbauenden Di- strikten die Sterblichkeitsrate von Kindern unter einem Jahr fast die der 20 verrufensten Fabrikdistrikte erreicht. Dr. Julian Hunter wurde daher beauf- tragt, dieß Phänomen an Ort und Stelle zu erforschen. Sein Bericht ist dem „VI. Report on Public Health" einverleibt 1 3 0). Man hatte bisher vermuthet, Malaria und andre, niedrig gelegnen und sumpfigen Landstrichen eigen- thümliche Krankheiten decimirten die Kinder. Die Untersuchung ergab das 25 grade Gegentheil, nämlich, „daß dieselbe Ursache, welche die Malaria ver- trieb, nämlich die Verwandlung des Bodens aus Morast im Winter und dürftiger Weide im Sommer in fruchtbares Kornland, die außerordentliche Todesrate der Säuglinge s c h u f " 1 3 1 ) . Die 70 ärztlichen Praktiker, die Dr. Hunter in jenen Distrikten verhörte, waren „wunderbar einstimmig" über 30 diesen Punkt. Mit der Revolution der Bodenkultur wurde nämlich das in- dustrielle System eingeführt. „Verheirathete Weiber, die in Banden mit Mädchen und Jungen zusammen arbeiten, werden dem Pächter von einem 1 2 7 ) ,,Sixth Report on Public Health. Lond. 1864", p. 34. 128) «it (the inquiry of 1861) .... showed, moreover, that while, with the described circum- 35 stances, infants perish under the neglect and mismanagement which their mothers' occupa- tions imply, the mothers become to a grievous extent denaturalized towards their offspring - commonly not troubling themselves much at the death, and even sometimes ... taking direct measures to ensure it." (1. c.) 1 2 9 ) I.e. p.454. 1 3°) I.e. p. 454-462. „Report by Dr. Henry Julian Hunter on the excessive mortality of infants in some rural districts of England." m) I.e. p.35 u. p.455, 456. 40 358 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 5 Manne, welcher der ,Gangmeister' heißt und die Banden im Ganzen mie- thet, für eine bestimmte Summe zur Verfügung gestellt. Diese Banden wandern oft viele Meilen von ihren Dörfern weg, man trifft sie Morgens und Abends auf den Landstraßen, die Weiber bekleidet mit kurzen Unter- rocken und entsprechenden Röcken und Stiefeln und manchmal Hosen, sehr kräftig und gesund von Aussehn, aber verdorben durch gewohnheits- mäßige Liederlichkeit und rücksichtslos gegen die unheilvollen Folgen, welche ihre Vorliebe für diese thätige und unabhängige Lebensart auf ihre Sprößlinge wälzt, die zu Haus verkümmern" 1 3 2). Alle Phänomene der Fa- 10 brikdistrikte reproduciren sich hier, in noch höherm Grad versteckter Kin- dermord und Behandlung der Kinder mit Opiaten 1 3 3). „Meine Kenntniß der von ihr erzeugten Uebel", sagt Dr. Simon, der ärztliche Beamte des englischen Privy Council und Redakteur en chef der Berichte über „Public Health", „muß den tiefen Abscheu entschuldigen, ||364| womit ich jede 15 umfassende industrielle Beschäftigung erwachsner Weiber betrachte" 1 3 4). „Es wird", ruft Fabrikinspektor R. Baker in einem offîciellen Bericht aus, „es wird in der That ein Glück für die Manufakturdistrikte Englands sein, wenn jeder verheiratheten Frau, die Familie hat, verboten wird, in irgend einer Fabrik zu arbeiten" 1 3 5). 20 Die aus der kapitalistischen Exploitation der Weiber- und Kinderarbeit entspringende moralische Verkümmrung ist von F. Engels in seiner „Lage der arbeitenden Klasse Englands" und von andren Schriftstellern so er- schöpfend dargestellt worden, daß ich hier nur daran erinnere. Die intellek- tuelle Verödung aber, künstlich producirt durch die Verwandlung unreifer 25 Menschen in bloße Maschinen zur Fabrikation von Mehrwerth, und sehr zu unterscheiden von jener naturwüchsigen Unwissenheit, welche den Geist in Brache legt ohne Verderb seiner Entwicklungsfähigkeit, seiner na- türlichen Fruchtbarkeit selbst, zwang endlich sogar das englische Parla- ment in allen dem Fabrikgesetz unterworfnen Industrien, den Elementar- 30 Unterricht zur gesetzlichen Bedingung für den „produktiven" Verbrauch von Kindern unter 14 Jahren zu machen. Der Geist der kapitalistischen Produktion leuchtete hell aus der liederlichen Redaktion der sog. Erzie- hungsklauseln der Fabrikakte, aus dem Mangel administrativer Maschine- 35 1 3 2 ) I.e. p.456. 1 3 3 ) Wie in den englischen Fabrikdistrikten, so dehnt sich auch in den Agrikulturdistrikten der Opiumkonsum unter den erwachsnen Arbeitern und Arbeiterinnen täglich aus. "To push the sale of opiate ... is the great aim of some enterprising wholesale merchants. By druggists it is considered the leading article." (I.e. p.459.) Säuglinge, die Opiate empfingen, „verrumpel- ten in kleine alte Männchen oder verschrumpften zu kleinen Affen". (I.e. p.460.) Man sieht, 40 wie Indien und China sich an England rächen. 1 3 4 ) 1. c. p. 37. 1 3 5 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 59. Dieser Fabrikinspektor war früher Arzt. 359 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 rie, wodurch dieser Zwangsunterricht großenteils wieder illusorisch wird, aus der Fabrikantenopposition selbst gegen dieß Unterrichtsgesetz und aus ihren praktischen Kniffen und Schlichen zu seiner Umgehung. „Die Ge- setzgebung allein ist zu tadeln, weil sie ein Truggesetz (delusive law) erlas- sen hat, das unter dem Schein, für die Erziehung der Kinder zu sorgen, keine einzige Bestimmung enthält, wodurch dieser vorgeschützte Zweck gesichert werden kann. Es bestimmt nichts, außer daß die Kinder für eine bestimmte Stundenzahl (3 Stunden) per Tag innerhalb der vier Wände eines Platzes, Schule benamst, eingeschlossen werden sollen, und daß der Anwender des Kindes hierüber wöchentlich ein Certifikat von einer Person 10 erhalten muß, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin mit ihrem Na- men unterzeichnet" 1 3 6). Vor dem Erlaß des amendirten Fabrikakts von 1844 waren Schulbesuchscertifikate nicht selten, die von Schul||365|mei- ster oder Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre selbst nicht schreiben konnten. „Beim Besuch, den ich einer solchen Certi- 15 fïkate ausstellenden Schule abstattete, war ich so betroffen von der Unwis- senheit des Schulmeisters, daß ich zu ihm sagte: ,Bitte, mein Herr, können Sie lesen?' Seine Antwort war: ,Ih jeh, Ebbes (summat).' Zu seiner Recht- fertigung fügte er hinzu: ,Jedenfalls stehe ich vor meinen Schülern/ Wäh- rend der Vorbereitung des Akts von 1844 denuncirten die Fabrikinspekto- 20 ren den schmählichen Zustand der Plätze, Schulen benamst, deren Certifikate sie als zu Gesetz vollgültig zulassen mußten. Alles was sie durchsetzten, war, daß seit 1844 die Zahlen im Schulcertifikat in der Handschrift des Schulmeisters ausgefüllt, ditto sein Vor- und Zuname von ihm selbst unterschrieben sein müssen" 1 3 7). Sir John Kincaid, Fabrikin- 25 spektor für Schottland, erzählt von ähnlichen amtlichen Erfahrungen. „Die erste Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann Killin gehalten. Auf meine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabiren, machte sie gleich einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C begann, aber sich sofort korrigirend sagte, ihr Name fange mit K an. Bei Ansicht ihrer Unterschrift 30 in den Schulcertifikatbüchern bemerkte ich jedoch, daß sie ihn verschie- denartig buchstabirte, während die Handschrift keinen Zweifel über ihre Lehrunfähigkeit ließ. Auch gab sie selbst zu, sie könne das Register nicht führen . . . I n einer zweiten Schule fand ich das Schulzimmer 15 Fuß lang und 10 Fuß breit und zählte in diesem Raum 75 Kinder, die etwas Unver- 35 ständliches herquiekten" 1 3 8). „Es sind jedoch nicht nur solche Jammerhöh- len, worin die Kinder Schulcertifikate, aber keinen Unterricht erhalten, denn in vielen Schulen, wo der Lehrer kompetent ist, scheitern seine B e - 1 3 6 ) Leonard Horner in „Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1857", p. 17. 1 3 7 ) id. in „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855", p. 18, 19. 1 3 8 ) Sir John Kincaid in „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1858", p. 31, 32. 40 360 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie mühungen fast ganz an dem sinnverwirrenden Knäuel von Kindern aller Alter, aufwärts von Dreijährigen. Sein Auskommen, elend im besten Fall, hängt ganz von der Zahl der Pence ab, empfangen von der größten Anzahl Kinder, die es möglich ist in ein Zimmer zu stopfen. Dazu kommt spärli- 5 che Schulmöblirung, Mangel an Büchern und andrem Lehrmaterial, und die niederschlagende Wirkung einer benauten und ekelhaften Luft auf die armen Kinder selbst. Ich war in vielen solchen Schulen, wo ich ganze Rei- hen Kinder sah, die absolut nichts thaten; und dieß wird als Schulbesuch bescheinigt, und solche ||366| Kinder figuriren in der officiellen Statistik 10 als erzogen (educated)" 1 3 9). In Schottland suchen die Fabrikanten dem Schulbesuch unterworfne Kinder möglichst auszuschließen. „Dieß genügt, um die große Mißgunst der Fabrikanten gegen die Erziehungsklauseln zu beweisen" 1 4 ° ) . Grotesk-entsetzlich erscheint dieß in den Kattun- u. s.w. Druckereien, die durch ein eignes Fabrikgesetz geregelt sind. Nach den Be- 15 Stimmungen des Gesetzes „muß jedes Kind, bevor es in einer solchen Druckerei beschäftigt wird, Schule besucht haben für mindestens 30 Tage und nicht weniger als 150 Stunden während der 6 Monate, die dem ersten Tag seiner Beschäftigung unmittelbar vorhergehn. Während der Fortdauer seiner Beschäftigung in der Druckerei muß es Schule besuchen ebenfalls für eine Periode von 30 Tagen und 150 Stunden während jeder Wechselpe- riode von 6 Monaten ... Der Schulbesuch muß zwischen 8 Uhr Morgens und 6 Uhr Nachmittags stattfinden. Kein Besuch von weniger als 2l/2 oder mehr als 5 Stunden an demselben Tag soll als Theil der 150 Stunden ge- zählt werden. Unter gewöhnlichen Umständen besuchen die Kinder die 25 Schule Vormittags und Nachmittags für 30 Tage, 5 Stunden per Tag, und nach Ablauf der 30 Tage, wenn die statutenmäßige Gesammtsumme von 150 Stunden erreicht ist, wenn sie, in ihrer eignen Sprache zu reden, ihr Buch abgemacht haben, kehren sie zur Druckerei zurück, wo sie wieder 6 Monate bleiben, bis ein andrer Abschlagstermin des Schulbesuchs fällig 30 wird, und dann bleiben sie wieder in der Schule, bis das Buch wieder abge- macht ist. ... Sehr viele Jungen, welche die Schule während der vorschrifts- mäßigen 150 Stunden besuchen, sind bei ihrer Rückkehr aus dem sechs- monatlichen Aufenthalt in der Druckerei grade so weit wie im Anfang ... Sie haben natürlich alles wieder verloren, was sie durch den früheren 35 Schulbesuch gewonnen hatten. In andren Kattundruckereien wird der Schulbesuch ganz und gar abhängig gemacht von den Geschäftsbedürfnis- sen der Fabrik. Die erforderliche Stundenzahl wird vollgemacht während jeder sechsmonatlichen Periode durch Abschlagszahlungen von 3 bis 5 Stunden auf einmal, die vielleicht über 6 Monate zerstreut sind. Z . B . an 20 40 1 3 9 ) Leonard Horner in „Reports etc. for 30th Apr. 1857", p. 17, 18. 1 4 0 ) Sir J. Kincaid, Rep. Insp. Fact. 31st Oct. 1856, p. 66. 361 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts einem Tage wird die Schule besucht von 8 bis 11 Uhr Morgens, an einem andren Tage von 1 bis 4 Uhr Nachmittags, und nachdem das Kind dann wieder für eine Reihe Tage weggeblieben, kommt es plötzlich wieder von 3 bis 6 Uhr Nachmittags; dann erscheint es viel||367|leicht für 3 oder 4 Tage hintereinander, oder für eine Woche, verschwindet dann wieder für 3 Wo- chen oder einen ganzen Monat und kehrt zurück an einigen Abfallstagen für einige Sparstunden, wenn seine Anwender seiner zufällig nicht bedür- fen; und so wird das Kind so zu sagen hin und her gepufft (buffeted) von der Schule in die Fabrik, von der Fabrik in die Schule, bis die Summe der 150 Stunden abgezählt i s t " 1 4 1 ) . Durch den überwiegenden Zusatz von Kin- 1Q dem und Weibern zum kombinirten Arbeitspersonal bricht die Maschine- rie endlich den Widerstand, den der männliche Arbeiter in der Manufaktur der Despotie des Kapitals noch entgegensetzte 1 4 2). 5 b) Verlängrung des Arbeitstags. Wenn die Maschinerie das gewaltigste Mittel ist, die Produktivität der Ar- 15 beit zu steigern, d. h. die zur Produktion einer Waare nöthige Arbeitszeit zu verkürzen, wird sie als Träger des Kapitals zunächst in den unmittelbar von ihr ergriffnen Industrien zum gewaltigsten Mittel, den Arbeitstag über jede naturgemäße Schranke hinaus zu verlängern. Sie schafft einerseits neue Bedingungen, welche das Kapital befähigen, dieser seiner beständi- 20 gen Tendenz die Zügel frei schießen zu lassen, andrerseits neue Motive zur Wetzung seines Heißhungers nach fremder Arbeit. Zunächst verselbständigt sich in der Maschinerie die Bewegung und Werkthätigkeit des Arbeitsmittels gegenüber dem Arbeiter. Es wird an und 1 4 1 ) A. Redgrave in „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1857", p. 41-43. In den englischen 25 Industriezweigen, wo der eigentliche Fabrikakt (nicht der zuletzt im Text angeführte Print. Work's Act) seit längerer Zeit herrscht, sind die Hindernisse gegen die Erziehungsklauseln in den letzten Jahren einigermaßen überwältigt worden. In den nicht dem Fabrikgesetz unter- worfenen Industrien herrschen noch sehr die Ansichten des Glasfabrikanten J. Geddes, der den Untersuchungskommissär White dahin belehrt: „So viel ich sehn kann, ist das größre 30 Quantum Erziehung, welches ein Theil der Arbeiterklasse seit den letzten Jahren genoß, vom Uebel. Es ist gefährlich, indem es sie zu unabhängig macht." (,,Children's Empi. Commission. IV. Report. London 1865", p. 253.) 1 4 2 ) „Herr E., ein Fabrikant, unterrichtete mich, daß er ausschließlich Weiber bei seinen me- chanischen Webstühlen beschäftigt; er gebe verheiratheten Weibern den Vorzug, besonders solchen mit Familie zu Hause, die von ihnen für den Unterhalt abhängt; sie sind viel auf- merksamer und gelehriger als unverheirathete und zur äußersten Anstrengung ihrer Kräfte ge- zwungen, um die nothwendigen Lebensmittel beizuschaffen. So werden die Tugenden, die ei- genthümlichen Tugenden des weiblichen Charakters, zu seinem Schaden verkehrt, - so wird alles Sittliche und Zarte ihrer Natur zum Mittel ihrer Sklaverei und ihres Leidens gemacht." 40 („Ten Hours' Factory Bill. The Speech of Lord Ashley, 15th March. Lond. 1844", p. 20.) 35 362 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie für sich ein industrielles Perpetuum mobile, das ununterbrochen fortpro- duciren würde, stieße es nicht auf gewisse ||368| Naturschranken in seinen menschlichen Gehülfen: ihre Körperschwäche und ihren Eigenwillen. Als Kapital, und als solches besitzt der Automat im Kapitalisten Bewußtsein 5 und Willen, ist es daher mit dem Trieb begeistet, die widerstrebende, aber elastische menschliche Naturschranke auf den Minimalwiderstand einzu- zwängen 1 4 3). Dieser ist ohnehin vermindert durch die scheinbare Leichtig- keit der Arbeit an der Maschine und das füg- und biegsamere Weiber- und Kinderelement 1 4 4). 10 15 Die Produktivität der Maschinerie steht, wie wir sahen, in umgekehrtem Verhältniß zur Größe des von ihr auf das Machwerk übertragnen Werthbe- standtheils. Je länger die Periode, worin sie funktionirt, desto größer die Produktenmasse, worüber sich der von ihr zugesetzte Werth vertheilt, und desto kleiner der Werththeil, den sie der einzelnen Waare zufügt. Die ak- tive Lebensperiode der Maschinerie ist aber offenbar bestimmt durch die Länge des Arbeitstags oder die Dauer des täglichen Arbeitsprocesses, mul- tiplicirt mit der Anzahl Tage, worin er sich wiederholt. Der Maschinenverschleiß entspricht keineswegs exakt mathematisch ihrer Benutzungszeit. Und selbst dieß vorausgesetzt, umfaßt eine Ma- schine, die während ll/2 Jahren täglich 16 Stunden dient, eine ebenso große Produktionsperiode und setzt dem Gesammtprodukt nicht mehr Werth zu als dieselbe Maschine, die während 15 Jahren nur 8 Stunden täglich dient. Im erstren Fall aber wäre der Maschinenwerth doppelt so rasch reproducirt als im ||369| letztren und der Kapitalist hätte vermittelst derselben in I1Z1 Jahren so viel Mehrarbeit eingeschluckt als sonst in 15. 20 25 Der materielle Verschleiß der Maschine ist doppelt. Der eine entspringt aus ihrem Gebrauch, wie Geldstücke durch Cirkulation verschleißen, der 1 4 3 ) "Since the general introduction of expensive machinery, human nature has been forced far beyond its average strength." (Robert Owen: ,,Observations on the effects of the manufac- 30 turing system. 2nd ed. London 1817" [p. 16.]) 1 4 4 ) Die Engländer, die gern die erste empirische Erscheinungsform einer Sache als ihren Grund betrachten, geben oft den großen herodischen Kinderraub, den das Kapital in den An- fängen des Fabriksystems an den Armen- und Waisenhäusern verübte und wodurch es sich ein ganz willenloses Menschenmaterial einverleibte, als Grund der langen Arbeitszeit in den 35 Fabriken an. So z.B. Fielden, selbst englischer Fabrikant: "It is evident that the long hours of work were brought about by the circumstance of so great a number of destitute children being supplied from different parts of the country, that the masters were independent of the hands, and that, having once established the custom by means of the miserable materials they had procured in this way, they could impose it on their neighbours with the greater facility." 40 (J. Fielden: ,,The Curse of the Factory System. Lond. 1836", p. 11.) Mit Bezug auf Weiberar- beit sagt Fabrikinspektor Saunders im Fabrikbericht von 1843: „Unter den Arbeiterinnen giebt es Frauen, die hinter einander für viele Wochen, mit Ausfall nur weniger Tage, von 6 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts beschäftigt werden, mit weniger als 2 Stunden für Mahlzei- ten, so daß ihnen für 5 Tage in der Woche von den 24 Tagesstunden nur 6 bleiben, um von 45 und nach Haus zu gehn und im Bett auszuruhn." 363 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts andre aus ihrem Nichtgebrauch, wie ein unthätig Schwert in der Scheide verrostet. Es ist dieß ihr Verzehr durch die Elemente. Der Verschleiß erster Art steht mehr oder minder in direktem Verhältniß, der letztre zu gewis- sem Grad in umgekehrtem Verhältniß zu ihrem Gebrauch 1 4 5). 5 Neben dem materiellen unterliegt die Maschine aber auch einem so zu sagen moralischen Verschleiß. Sie verliert Tauschwerth im Maße, worin entweder Maschinen derselben Konstruktion wohlfeiler reproducirt werden können oder beßre Maschinen konkurrirend neben sie treten 1 4 6). In beiden Fällen ist ihr Werth, so jung und lebenskräftig sie sonst noch sein mag, nicht mehr bestimmt durch die thatsächlich in ihr selbst vergegenständ- 10 lichte, sondern durch die zu ihrer eignen Reproduktion oder zur Repro- duktion der beßren Maschine nothwendige Arbeitszeit. Sie ist daher mehr oder minder entwerthet. Je kürzer die Periode, worin ihr Gesammtwerth re- producirt wird, desto geringer die Gefahr des moralischen Verschleißes, und je länger der Arbeitstag, um so kürzer jene Periode. Bei der ersten Ein- 15 führung der Maschinerie in irgend einen Produktionszweig folgen Schlag auf Schlag neue Methoden zu ihrer wohlfeilem Reproduktion 1 4 7), und Ver- beßrungen, die nicht nur einzelne Theile oder Apparate, sondern ihre ganze Konstruktion ergreifen. In ihrer ersten Lebensperiode wirkt daher dieß besondre Motiv zur Verlängrung des Arbeitstags am akutesten 1 4 8). | 20 13701 Unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebnem Ar- beitstag erheischt Exploitation verdoppelter Arbeiteranzahl ebensowohl Verdopplung des in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegten Theils des konstanten Kapitals als des in Rohmaterial, Hülfsstoffen u. s. w. ausgeleg- ten. Mit verlängertem Arbeitstag dehnt sich die Stufenleiter der Produk- 25 tion, während der in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegte Kapital- t e i l unverändert b l e i b t 1 4 9 ) . Nicht nur der Mehrwerth wächst daher, 1 4 5 ) "Occasion .... injury to the delicate moving parts of metallic mechanism by inaction." Urei.c. p.28. 1 4 6 ) Der schon früher erwähnte „Manchester Spinner" (Times, 26. Nov. 1862) zählt unter den 30 Kosten der Maschinerie auf: "It (nämlich die ,,allowance for deterioration of machinery") is also intended to cover the loss which is constantly arising from the superseding of machines before they are worn out by others of a new and better construction." 1 4 7 ) „Man schätzt im Großen, daß eine einzige Maschine nach einem neuen Modell zu kon- struiren fünfmal so viel kostet, als die Rekonstruktion derselben Maschine nach demselben 35 Modell." (Babbage 1. c. p. 349.) 1 4 8 ) „Seit einigen Jahren sind so bedeutende und zahlreiche Verbesserungen in der Tüllfabri- kation gemacht worden, daß eine gut erhaltne Maschine zum ursprünglichen Kostenpreis von 1200 Pfd. St. einige Jahre später zu 60 Pfd. St. verkauft wurde .... Die Verbeßrungen folgten sich mit solcher Geschwindigkeit, daß Maschinen unvollendet in der Hand ihrer Bauer blie- 40 ben, weil sie durch glücklichere Erfindungen bereits veraltet waren." In dieser Sturm- und Drangperiode dehnten daher die Tüllfabrikanten bald die ursprüngliche Arbeitszeit von 8 Stunden mit doppelter Mannschaft auf 24 Stunden aus. (I.e. p.233.) 1 4 9 ) "It is self-evident, that, amid the ebbings and flowings of the market, and the alternate ex- pansions and contractions of demand, occasions will constantly recur, in which the manufac- 45 364 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie 5 sondern die zur Ausbeutung desselben nothwendigen Auslagen nehmen ab. Zwar findet dieß auch sonst mehr oder minder bei aller Verlängrung des Arbeitstags statt, fällt aber hier entscheidender ins Gewicht, weil der in Arbeitsmittel verwandelte Kapitaltheil überhaupt mehr ins Gewicht f ä l l t 1 5 0 ) . Die Entwicklung des Maschinenbetriebs bindet nämlich einen stets wachsenden Bestandtheil des Kapitals in eine Form, worin es einer- seits fortwährend verwerthbar ist, andrerseits Gebrauchswerth und Tausch- werth verliert, sobald sein Kontakt mit der lebendigen Arbeit unterbrochen wird. „Wenn", belehrte Herr Ashworth, ein englischer Baumwollmagnat, 10 den Professor Nassau W. Senior, „wenn ein Ackersmann seinen Spaten nie- derlegt, macht er für diese Periode ein Kapital von 18 d. nutzlos. Wenn einer von unsren Leuten (d. h. den Fabrikarbeitern) die Fabrik verläßt, macht er ein Kapital nutzlos, das 100 000 Pfd. St. gekostet h a t " 1 5 1 ) . Man denke nur! Ein Kapital, das 100 000 Pfd. St. gekostet hat, auch nur für 15 einen Augenblick „nutzlos" zu machen! Es ist in der That himmelschrei- end, daß einer unsrer Leute überhaupt jemals die Fabrik verläßt! Der wachsende Umfang der Maschinerie macht, wie der von Ashworth belehrte Senior ||371| einsieht, eine stets wachsende Verlängrung des Arbeitstags „wünschenswerth" 1 5 2). 20 Die Maschine producirt relativen Mehrwerth, nicht nur indem sie die Arbeitskraft direkt entwerthet und dieselbe indirekt durch Verwohlfeile- rung der in ihre Reproduktion eingehenden Waaren verwohlfeilert, son- dern auch, indem sie bei ihrer ersten sporadischen Einführung die vom Maschinenbesitzer verwandte Arbeit in potenzirte Arbeit verwandelt, den 25 gesellschaftlichen Werth des Maschinenprodukts über seinen individuellen Werth erhöht und den Kapitalisten so befähigt, mit geringrem Werththeil turer may employ additional floating capital without employing additional fixed capital ... if additional quantities of raw material can be worked up without incurring an additional ex- pence for buildings and machinery." (R.Torrens: „On Wages and Combination. Lond. 1834", 30 p. 64.) 1 5 0 ) Der im Text erwähnte Umstand ist nur der Vollständigkeit wegen erwähnt, da ich erst im Dritten Buch die Profitrate, d. h. das Verhältniß des Mehrwerths zum vorgeschoßnen Ge- sammtkapital, behandle. 1 5 1 ) "When a labourer", said Mr. Ashworth, "lays down his spade, he renders useless, for that 35 period, a capital worth 18 d. When one of our people leaves the mill, he renders useless a capi- tal that has cost 100 000 pounds." (Senior: „Letters on the Factory Act. Lond. 1837", p. 14.) 1 5 2 ) "The great proportion of fixed to circulating capital ... makes long hours of work desir- able." Mit dem wachsenden Umfang der Maschinerie u. s. w. ,,the motives to long hours of work will become greater, as the only means by which a large proportion of fixed capital can 40 be made profitable". (1. c. p. 11, 14.) „Es giebt verschiedne Auslagen bei einer Fabrik, welche konstant bleiben, ob die Fabrik mehr oder weniger Zeit arbeite, z.B. Rente für die Baulichkei- ten, lokale und allgemeine Steuern, Feuerversicherung, Arbeitslohn für verschiedne perma- nente Arbeiter, Verschlechtrung der Maschinerie nebst verschiednen andern Lasten, deren Proportion zum Profit im selben Verhältniß abnimmt, wie der Umfang der Produktion zu- 45 nimmt." („Reports of the Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 19.) 365 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts des Tagesprodukts den Tageswerth der Arbeitskraft zu ersetzen. Während dieser Uebergangsperiode, worin der Maschinenbetrieb eine Art Monopol bleibt, sind daher die Gewinne außerordentlich, und der Kapitalist sucht diese „erste Zeit der jungen Liebe" gründlichst auszubeuten durch mög- lichste Verlängrung des Arbeitstags. Die Größe des Gewinns wetzt den Heißhunger nach mehr Gewinn. 5 10 Mit der Verallgemeinerung der Maschinerie im selben Produktionszweig sinkt der gesellschaftliche Werth des Maschinenprodukts auf seinen indivi- duellen Werth und macht sich das Gesetz geltend, daß der Mehrwerth nicht aus den Arbeitskräften entspringt, welche der Kapitalist durch die Maschine ersetzt hat, sondern umgekehrt aus den Arbeitskräften, welche er an ihr beschäftigt. Der Mehrwerth entspringt nur aus dem variablen Theil des Kapitals, und wir sahen, daß die Masse des Mehrwerths durch zwei Faktoren bestimmt ist, die Rate des Mehrwerths und die Anzahl der gleich- zeitig beschäftigten Arbeiter. Bei gegebner Länge des Arbeitstags wird die 15 Rate des Mehrwerths bestimmt durch das Verhältniß, worin der Arbeitstag in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit zerfällt. Die Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter hängt ihrerseits ab von dem Verhältniß des varia- blen Kapitaltheils zum konstanten. Es ist nun klar, daß der Maschinenbe- trieb, wie er immer durch Steigrung der Produktivkraft der Arbeit die Mehrarbeit auf ||372| Kosten der nothwendigen Arbeit ausdehne, dieß Re- sultat nur hervorbringt, indem er die Anzahl der von einem gegebnen Ka- pital beschäftigten Arbeiter vermindert. Er verwandelt einen Theil des Ka- pitals, der früher variabel war, d.h. sich in lebendige Arbeitskraft umsetzte, in Maschinerie, also in konstantes Kapital, das keinen Mehrwerth produ- 25 cirt. Es ist unmöglich, z.B. aus zwei Arbeitern so viel Mehrwerth auszu- pressen als aus 24. Wenn jeder der 24 Arbeiter auf 12 Stunden nur eine Stunde Mehrarbeit liefert, liefern sie zusammen 24 Stunden Mehrarbeit, während die Gesammtarbeit der zwei Arbeiter nur 24 Stunden beträgt. Es liegt also in der Anwendung der Maschinerie zur Produktion von Mehr- 30 werth ein immanenter Widerspruch, indem sie von den beiden Faktoren des Mehrwerths, den ein Kapital von gegebner Größe liefert, den einen Faktor, die Rate des Mehrwerths, nur dadurch vergrößert, daß sie den and- ren Faktor, die Arbeiterzahl, verkleinert. Dieser immanente Widerspruch tritt hervor, sobald mit der Verallgemeinerung der Maschinerie in einem 35 Industriezweig der Werth der maschinenmäßig producirten Waare zum re- gelnden gesellschaftlichen Werth aller Waaren derselben Art wird, und es ist dieser Widerspruch, der wiederum das Kapital, ohne daß es sich dessen bewußt wäre 1 5 3), zur gewaltsamsten Verlängrung des Arbeitstags treibt, um 20 153) Warum dieser immanente Widerspruch dem einzelnen Kapitalisten und daher auch der 40 in seinen Anschauungen befangnen politischen Oekonomie nicht zum Bewußtsein kommt, wird man aus den ersten Abschnitten des Dritten Buchs ersehn. 366 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie die Abnahme in der verhältnißmäßigen Anzahl der exploitirten Arbeiter durch Zunahme nicht nur der relativen, sondern auch der absoluten Mehr- arbeit zu kompensiren. Wenn also die kapitalistische Anwendung der Maschinerie einerseits 5 neue mächtige Motive zur maßlosen Verlängrung des Arbeitstags schafft und die Arbeitsweise selbst wie den Charakter des gesellschaftlichen Ar- beitskörpers in einer Art umwälzt, die den Widerstand gegen diese Ten- denz bricht, producirt sie andrerseits, teils durch Einstellung dem Kapital früher unzugänglicher Schichten der Arbeiterklasse, theils durch Freiset- 10 zung der von der Maschine verdrängten Arbeiter, eine überflüssige Arbei- terpopulation 1 5 4), die sich das Gesetz vom Kapital diktiren lassen muß. Da- her das merkwürdige Phänomen in der Geschichte der modernen Industrie, daß die Maschine alle sittlichen und natürlichen Schranken des ||373| Arbeitstags über den Haufen wirft. Daher das ökonomische Para- 15 doxon, daß das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit in das unfehlbarste Mittel umschlägt, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Fa- milie in disponible Arbeitszeit für die Verwerthung des Kapitals zu ver- wandeln. „Wenn", träumte Aristoteles, der größte Denker des Alterthums, „wenn jedes Werkzeug auf Geheiß, oder auch vorausahnend, das ihm zu- 20 kommende Werk verrichten könnte, wie des Dädalus Kunstwerke sich von selbst bewegten, oder die Dreifüße des Hephästos aus eignem Antrieb an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten, so bedürfte es weder für den Werkmeister der Gehülfen, noch für die Herrn der Sklaven" 1 5 5). Und Antipatros, ein griechischer Dichter aus der Zeit des 25 Cicero, begrüßte die Erfindung der Wassermühle zum Mahlen des Getrei- des, diese Elementarform aller produktiven Maschinerie, als Befreierin der Sklavinnen und Herstellerin des goldnen Zeitalters! 1 5 6) „Die Heiden, ja die 1 5 4 ) Es ist eins der großen Verdienste Ricardo's, die Maschinerie nicht nur als Produktions- mittel von Waaren, sondern auch von „redundant population" begriffen zu haben. 1 5 5 ) F.Biese: „Die Philosophie des Aristoteles". Zweiter Band. Berlin 1842, p.408. 1 5 6 ) Ich gebe hier die Stolbergsche Uebersetzung des Gedichts, weil es ganz so wie die frühe- ren Citate über Theilung der Arbeit den Gegensatz der antiken Anschauung zur modernen charakterisirt. „Schonet der mahlenden Hand, ο Müllerinnen, und schlafet Sanft! es verkünde der Hahn euch den Morgen umsonst! Däo hat die Arbeit der Mädchen den Nymphen befohlen, Und itzt hüpfen sie leicht über die Räder dahin, Daß die erschütterten Achsen mit ihren Speichen sich wälzen, Und im Kreise die Last drehen des wälzenden Steins. Laßt uns leben das Leben der Väter, und laßt uns der Gaben Arbeitslos uns freun, welche die Göttin uns schenkt." 30 35 40 („Gedichte aus dem Griechischen übersetzt von Christian Graf zu Stolberg. Hamburg 1782". [S.312.]) 367 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Heiden!" Sie begriffen, wie der gescheidte Bastiat entdeckt hat, und schon vor ihm der noch klügre MacCulloch, nichts von politischer Oekonomie und Christenthum. Sie begriffen u. a. nicht, daß die Maschine das probate- ste Mittel zur Verlängerung des Arbeitstags ist. Sie entschuldigten etwa die Sklaverei des Einen als Mittel zur vollen menschlichen Entwicklung des Andren. Aber Sklaverei der Massen predigen, um einige rohe oder halbge- bildete Parvenüs zu „eminent spinners", „extensive sausage makers" und ,,influential shoe black dealers" zu machen, dazu fehlte ihnen das speci- fisch christliche Organ. c) Intensifikation der Arbeit. Die maßlose Verlängrung des Arbeitstags, welche die Maschinerie in der Hand des Kapitals producirt, führt, wie wir sahen, später ||374| eine Reak- tion der in ihrer Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft herbei und damit einen gesetzlich beschränkten Normal-Arbeitstag. Auf Grundlage des letzt- ren entwickelt sich ein Phänomen, das uns schon früher begegnete, zu ent- scheidender Wichtigkeit - nämlich die Intensifikation der Arbeit. Bei der Analyse des absoluten Mehrwerths handelte es sich zunächst um die exten- sive Größe der Arbeit, während der Grad ihrer Intensität als gegeben vor- ausgesetzt war. Wir haben jetzt den Umschlag der extensiven Größe in in- tensive oder Gradgröße zu betrachten. 5 10 15 20 25 Es ist selbstverständlich, daß mit dem Fortschritt des Maschinenwesens und der gehäuften Erfahrung einer eignen Klasse von Maschinenarbeitern die Geschwindigkeit und damit die Intensität der Arbeit naturwüchsig zu- nehmen. So geht in England während eines halben Jahrhunderts die Ver- längrung des Arbeitstags Hand in Hand mit der wachsenden Intensität der Fabrikarbeit. Indeß begreift man, daß bei einer Arbeit, wo es sich nicht um vorübergehende Paroxysmen handelt, sondern um Tag aus, Tag ein wieder- holte, regelmäßige Gleichförmigkeit, ein Knotenpunkt eintreten muß, wo Ausdehnung des Arbeitstags und Intensität der Arbeit einander ausschlie- ßen, so daß die Verlängrung des Arbeitstags nur mit schwächrem Intensi- 30 tätsgrad der Arbeit und umgekehrt ein erhöhter Intensitätsgrad nur mit Verkürzung des Arbeitstags verträglich bleibt. Sobald die allmählig an- schwellende Empörung der Arbeiterklasse den Staat zwang, die Arbeitszeit gewaltsam zu verkürzen und zunächst der eigentlichen Fabrik einen Nor- mal-Arbeitstag zu diktiren, von diesem Augenblick also, wo gesteigerte 35 Produktion von Mehrwerth durch Verlängrung des Arbeitstags ein für alle- mal abgeschnitten war, warf sich das Kapital mit aller Macht und vollem Bewußtsein auf die Produktion von relativem Mehrwerth durch beschleu- 368 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie nigte Entwicklung des Maschinensystems. Gleichzeitig tritt eine Aende- rung in dem Charakter des relativen Mehrwerths ein. Im Allgemeinen be- steht die Produktionsmethode des relativen Mehrwerths darin, durch gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befähigen, mit dersel- 5 ben Arbeitsausgabe in derselben Zeit mehr zu produciren. Dieselbe Ar- beitszeit setzt nach wie vor dem Gesammtprodukt denselben Werth zu, ob- gleich dieser unveränderte Tauschwerth sich jetzt in mehr Gebrauchswer- then darstellt und daher der Werth der einzelnen Waare sinkt. Anders jedoch, sobald die gewaltsame Verkürzung des Arbeitstags mit dem unge- 10 heuren Anstoß, den sie der Entwicklung der Produktivkraft und der Oeko- nomisirung der Produktionsbedingungen ||375| gibt, zugleich vergrößerte Arbeitsausgabe in derselben Zeit, erhöhte Anspannung der Arbeitskraft, dichtere Ausfüllung der Poren der Arbeitszeit, d. h. Kondensation der Ar- beit dem Arbeiter zu einem Grad aufzwingt, der nur innerhalb des verkürz- ten Arbeitstags erreichbar ist. Diese Zusammenpressung einer größren Masse Arbeit in eine gegebne Zeitperiode zählt jetzt als was sie ist, als größres Arbeitsquantum. Neben das Maß der Arbeitszeit als „ausgedehnter Größe" tritt jetzt das Maß ihres Verdichtungsgrads 1 5 7). Die intensivere Stunde des zehnstündigen Arbeitstags enthält jetzt so viel oder mehr Ar- 20 beit, d.h. verausgabte Arbeitskraft, als die porösere Stunde des zwölfstündi- gen Arbeitstags. Ihr Produkt hat daher so viel oder mehr Werth als das der poröseren I]Z5 Stunden. Abgesehn von der Erhöhung des relativen Mehr- werths durch die gesteigerte Produktivkraft der Arbeit, liefern jetzt z. B. 3¾ Stunden Mehrarbeit auf 6% Stunden nothwendiger Arbeit dem Kapita- listen dieselbe Werthmasse wie vorher 4 Stunden Mehrarbeit auf 8 Stun- den nothwendiger Arbeit. 15 25 Es fragt sich nun, wie wird die Arbeit intensificirt? Die erste Wirkung des verkürzten Arbeitstags beruht auf dem selbstver- ständlichen Gesetz, daß die Wirkungsfähigkeit der Arbeitskraft im umge- 30 kehrten Verhältniß zu ihrer Wirkungszeit steht. Es wird daher, innerhalb gewisser Grenzen, am Grad der Kraftäußerung gewonnen, was an ihrer Dauer verloren geht. Daß der Arbeiter aber auch wirklich mehr Arbeits- kraft flüssig macht, dafür sorgt das Kapital durch die Methode der Zah- lung 1 5 8). In Manufakturen, der Töpferei z. B . , wo die Maschinerie keine 35 oder unbedeutende Rolle spielt, hat die Einführung des Fabrikgesetzes schlagend bewiesen, daß bloße Verkürzung des Arbeitstags die Regelmä- 1 5 7 ) Es finden natürlich überhaupt Unterschiede in der Intensität der Arbeiten verschiedner Produktionszweige statt. Diese kompensiren sich, wie schon A. Smith gezeigt hat, zum Theil durch jeder Arbeitsart eigne Nebenumstände. Einwirkung auf die Arbeitszeit als Werthmaß 40 findet aber auch hier nur statt, soweit intensive und extensive Größe sich als entgegengesetzte und einander ausschließende Ausdrücke desselben Arbeitsquantums darstellen. 1 5 8 ) Namentlich durch den Stücklohn, eine Form, die im sechsten Abschnitt entwickelt wird. 3 6 9 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 10 ßigkeit, Gleichförmigkeit, Ordnung, Kontinuität und Energie der Arbeit wundervoll erhöht 1 5 9). Diese Wirkung schien jedoch zweifelhaft in der eigentlichen Fabrik, weil die Abhängigkeit des Arbeiters von der kontinuir- lichen und gleichförmigen Bewegung der Maschine hier längst die streng- ste Disciplin geschaffen hatte. ||376| Als daher 1844 die Herabsetzung des Arbeitstags unter 12 Stunden verhandelt ward, erklärten die Fabrikanten fast einstimmig, „ihre Aufseher paßten in den verschiednen Arbeitsräumen auf, daß die Hände keine Zeit verlören", „der Grad der Wachsamkeit und Aufmerksamkeit auf Seiten der Arbeiter (,,the extent of vigilance and at- tention on the part of the workmen") sei kaum steigrungsfähig", und alle andren Umstände, wie Gang der Maschinerie u.s.w. als gleichbleibend vor- ausgesetzt, „sei es daher Unsinn, in wohlgeführten Fabriken von der gestei- gerten Aufmerksamkeit u. s.w. der Arbeiter irgend ein erkleckliches Resul- tat zu erwarten" 1 6 0). Diese Behauptung ward durch Experimente widerlegt. Herr R. Gardner ließ in seinen zwei großen Fabriken zu Preston vom 15 20. April 1844 an statt 12 nur noch 11 Stunden per Tag arbeiten. Nach un- gefähr Jahresfrist ergab sich das Resultat, daß „dasselbe Quantum Produkt zu denselben Kosten erhalten ward, und sämmtliche Arbeiter in 11 Stun- den eben so viel Arbeitslohn verdienten, wie früher in 1 2 " 1 6 1 ) . Ich über- gehe hier die Experimente in den Spinn- und Kardirräumen, weil sie mit 20 Zunahme in der Geschwindigkeit der Maschinerie (um 2 %) verbunden wa- ren. In dem Webedepartement dagegen, wo zudem sehr verschiedne Sorten leichter, figurenhaltiger Phantasieartikel gewebt wurden, fand durchaus keine Aenderung in den objektiven Produktionsbedingungen statt. Das Re- sultat war: „Vom 6. Januar bis 20. April 1844, mit zwölfstündigem Arbeits- 25 tag, wöchentlicher Durchschnittslohn jedes Arbeiters 10 sh. 1% d., vom 20. April bis 29. Juni 1844, mit elfstündigem Arbeitstag, wöchentlicher Durchschnittslohn 10 sh. 3¾ d." 1 6 2) . Es wurde hier in 11 Stunden mehr pro- ducirt als früher in 12, ausschließlich in Folge größrer gleichmäßiger Aus- dauer der Arbeiter und Oekonomie ihrer Zeit. Während sie denselben 30 Lohn empfingen und 1 Stunde freie Zeit gewannen, erhielt der Kapitalist dieselbe Produktenmasse und sparte Verausgabung von Kohle, Gas u. s. w. für eine Stunde. Aehnliche Experimente wurden mit gleichem Erfolg in den Fabriken der Herren Horrocks und Jacson ausgeführt 1 6 3). | 1 5 9 ) Sieh „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1865". 1 6°) „Reports of Insp. of Fact, for 1844 and the quarter ending 30th April 1845", p. 20, 21. 1 6 1 ) 1. c. p. 19. Da der Stücklohn derselbe blieb, hing die Höhe des Wochenlohns vom Quan- tum des Produkts ab. 1 6 2 ) I.e. p.20. 1 6 3 ) I.e. p.21. Das moralische Element spielte bedeutende Rolle in den oben erwähnten Expe- 40 rimenten. "We", erklärten die Arbeiter dem Fabrikinspektor, "we work with more spirit, we have the reward ever before us of getting away sooner at night, and one active and cheerful 35 370 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie |377| Sobald die Verkürzung des Arbeitstags, welche zunächst die sub- jektive Bedingung der Kondensation der Arbeit schafft, nämlich die Fähig- keit des Arbeiters, mehr Kraft in gegebner Zeit flüssig zu machen, zwangs- in der Hand des Kapitals zum gesetzlich wird, wird die Maschine 5 objektiven und systematisch angewandten Mittel, mehr Arbeit in derselben Zeit zu erpressen. Es geschieht dieß in doppelter Weise: durch erhöhte Ge- schwindigkeit der Maschinen und erweiterten Umfang der von demselben Arbeiter zu überwachenden Maschinerie oder seines Arbeitsfeldes. Verbes- serte Konstruktion der Maschinerie ist theils nothwendig zur Ausübung 10 des größren Drucks auf den Arbeiter, theils begleitet sie von selbst die In- tensifikation der Arbeit, weil die Schranke des Arbeitstags den Kapitalisten zu strengstem Haushalt der Produktionskosten zwingt. Die Verbesserung der Dampfmaschine erhöht die Anzahl ihrer Kolbenschläge in einer Mi- nute und erlaubt zugleich, durch größere Kraftersparung einen umfang- reichren Mechanismus mit demselben Motor zu treiben, bei gleichbleiben- dem oder fallendem Kohlenverzehr. Die Verbesserung des Transmissionsmechanismus vermindert die Reibung und, was die moderne Maschinerie so augenfällig vor der ältren auszeichnet, reducirt Durchmes- ser und Gewicht der großen und kleinen Wellenbäume auf ein stets fallen- 20 des Minimum. Die Verbesserungen der Arbeitsmaschinerie endlich ver- mindern bei erhöhter Geschwindigkeit und ausgedehnterer Wirkung ihren Umfang, wie beim modernen Dampfwebstuhl, oder vergrößern mit dem Rumpf Umfang und Zahl der von ihr geführten Werkzeuge, wie bei der Spinnmaschine, oder vermehren die Beweglichkeit dieser Werkzeuge 25 durch unscheinbare Detailveränderungen, wie derartig bei der selfacting mule in der Mitte der fünfziger Jahre die Geschwindigkeit der Spindeln um Y5 gesteigert wurde. selbst 15 30 35 Die Verkürzung des Arbeitstags auf 12 Stunden datirt in England von 1832. Schon 1836 erklärte ein englischer Fabrikant: „Verglichen mit früher ist die Arbeit, die in den Fabriken zu verrichten, sehr gewachsen, in Folge der größren Aufmerksamkeit und Thätigkeit, welche die bedeutend ver- mehrte Geschwindigkeit der Maschinerie vom Arbeiter erheischt" 1 6 4). Im Jahr 1844 machte ||378| Lord Ashley, jetzt Graf Shaftesbury, folgende do- kumentarisch belegte Aufstellungen im Hause der Gemeinen: „Die Arbeit der in den Fabrikprocessen Beschäftigten ist jetzt dreimal so groß, als bei der Einführung solcher Operationen. Die Maschinerie hat zweifelsohne ein Werk verrichtet, welches die Sehnen und Muskeln von Millionen Menschen ersetzt, aber sie hat auch erstaunlich (prodigiously) spirit pervades the whole mill, from the youngest piecer to the oldest hand, and we can greatly 40 help each other." (1. c.) 1 6 4 ) John Fielden 1. c. p. 32. 371 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 die Arbeit der durch ihre furchtbare Bewegung beherrschten Menschen vermehrt .... Die Arbeit, einem Paar Mules während 12 Stunden auf- und abzufolgen, zum Spinnen von Garn No. 40, schloß im Jahre 1815 das Durchlaufen einer Distanz von 8 Meilen ein. Im Jahre 1832 betrug die im Gefolge eines Mulepaars, zum Spinnen derselben Nummer, während 12 Stunden zu durchreisende Distanz 20 Meilen und oft mehr. Im Jahre 1825 hatte der Spinner während 12 Stunden 820 Auszüge an jeder Mule zu machen, was eine Gesammtsumme von 1640 für 12 Stunden ergab. Im Jahre 1832 hatte der Spinner während seines zwölfstündigen Arbeitstags an jeder Mule 2200 Auszüge zu machen, zusammen 4400, im Jahre 1844 an 10 jeder Mule 2400, zusammen 4800; und in einigen Fällen ist die erheischte Arbeitsmasse (amount of labour) noch größer .... Ich habe hier ein andres Dokument von 1842 in der Hand, worin nachgewiesen wird, daß die Arbeit progressiv zunimmt, nicht nur, weil eine größre Entfernung zu durchreisen ist, sondern weil die Quantität der producirten Waaren sich vermehrt, wäh- rend die Händezahl proportionell abnimmt; und ferner, weil nun oft schlechtere Baumwolle gesponnen wird, die mehr Arbeit erfordert .... Im Kardirraum hat auch große Zunahme der Arbeit stattgefunden. Eine Per- son thut jetzt die Arbeit, die früher zwischen zwei vertheilt war. In der We- berei, worin eine große Anzahl Personen, meist weiblichen Geschlechts be- 20 schäftigt ist, ist die Arbeit während der letzten Jahre um volle 10% gewachsen, in Folge der vermehrten Geschwindigkeit der Maschinerie. Im Jahre 1838 war die Zahl der hanks, die wöchentlich gesponnen wurde, 18 000, im Jahre 1843 belief sie sich auf 2 1 0 0 0 . Im Jahr 1819 war die Zahl der picks beim Dampfwebestuhl 60 per Minute, im Jahre 1842 betrug sie 25 140, was einen großen Zuwachs von Arbeit anzeigt" 1 6 5). 15 Angesichts dieser merkwürdigen Intensität, welche die Arbeit unter der Herrschaft des Zwölfstundengesetzes bereits 1844 erreicht ||379| hatte, schien damals die Erklärung der englischen Fabrikanten berechtigt, jeder weitere Fortschritt in dieser Richtung sei unmöglich, daher jede weitere 30 Abnahme der Arbeitszeit identisch mit Abnahme der Produktion. Die scheinbare Richtigkeit ihres Raisonnements wird am besten bewiesen durch folgende gleichzeitige Aeußerung ihres rastlosen Censors, des Fa- brikinspektors Leonard Horner: „Da die producirte Quantität hauptsächlich geregelt wird durch die Ge- 35 schwindigkeit der Maschinerie, muß es das Interesse des Fabrikanten sein, sie mit dem äußersten Geschwindigkeitsgrad zu treiben, der mit folgenden Bedingungen vereinbar ist: Bewahrung der Maschinerie vor zu raschem Verderb, Erhaltung der Qualität des fabricirten Artikels, und Fähigkeit des 1 6 5 ) Lord Ashley 1. c. p. 6-9 passim. 40 372 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Arbeiters, der Bewegung zu folgen ohne größre Anstrengung, als er konti- nuirlich leisten kann. Es ereignet sich oft, daß der Fabrikant in seiner Hast die Bewegung zu sehr beschleunigt. Brüche und schlechtes Machwerk wie- gen dann die Geschwindigkeit mehr als auf, und er ist gezwungen, den 5 Gang der Maschinerie zu mäßigen. Da ein aktiver und einsichtsvoller Fa- brikant das erreichbare Maximum ausfmdet, schloß ich, daß es unmöglich ist, in 11 Stunden so viel zu produciren als in 12. Ich nahm außerdem an, daß der per Stücklohn bezahlte Arbeiter sich aufs äußerste anstrengt, so- weit er denselben Arbeitsgrad kontinuirlich aushalten k a n n " 1 6 6 ) . Horner schloß daher, trotz der Experimente von Gardner u. s.w., daß eine weitre Herabsetzung des Arbeitstages unter 12 Stunden die Quantität des Pro- dukts vermindern müsse 1 6 7). Er selbst citirt 10 Jahre später sein Bedenken von 1845 zum Beweis, wie wenig er damals noch die Elasticität der Ma- schinerie und der menschlichen Arbeitskraft begriff, die beide gleichmäßig 15 durch die zwangsweise Verkürzung des Arbeitstags aufs Höchste gespannt 10 werden. Kommen wir nun zur Periode nach 1847, seit Einführung des Zehnstun- dengesetzes in die englischen Baumwoll-, WoIl-, Seiden- und Flachsfabri- ken. 20 „Die Geschwindigkeit der Spindeln ist auf Throstles um 500, auf Mules um 1000 Drehungen in einer Minute gewachsen, d.h. die Geschwindigkeit der Throstlespindel, die 1839 4500 Drehungen in einer Minute zählte, be- trägt nun (1862) 5000, und die der Mulespindel, die 5000 zählte, beträgt jetzt 6000 in der Minute; dieß beläuft sich im ersten Fall auf Y10 und im 25 zweiten auf Y 6 ||380| zusätzlicher Geschwindigkeit" 1 6 8). Jas. Nasmyth, der berühmte Civilingenieur von Patricroft, bei Manchester, setzte 1852 in einem Brief an Leonard Horner die von 1 8 4 8 - 1 8 5 2 gemachten Verbesse- rungen in der Dampfmaschine auseinander. Nachdem er bemerkt, daß die Dampfpferdekraft, in der officiellen Fabrikstatistik fortwährend geschätzt 30 nach ihrer Wirkung im Jahr 1 8 2 8 1 6 9 ) , nur noch nominell ist und nur als In- dex der wirklichen Kraft dienen kann, sagt er u. a.: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß Dampfmaschinerie von demselben Gewicht, oft dieselben identischen Maschinen, an denen nur die modernen Verbeßrungen ange- 35 1 6 6 ) „Reports of Insp. of Fact, to 30th April, 1845", p. 20. 1 6 7 ) I.e. p.22. 1 6 8 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 62. 1 6 9 ) Dieß hat sich geändert mit dem ,,Parliamentary Return" von 1862. Hier tritt die wirkliche Dampfpferdekraft der modernen Dampfmaschinen und Wasserräder an die Stelle der nomi- nellen (s. Note 109 a, S.405). Auch sind die Dublirspindeln nicht mehr zusammengeworfen 40 mit den eigentlichen Spinnspindeln (wie in den ,,Returns" von 1839, 1850 und 1856); ferner ist für die Wollfabriken die Zahl der „gigs" hinzugefügt, Scheidung eingeführt zwischen Jute- und Hanffabriken einerseits, Flachsfabriken andrerseits, endlich zum ersten Mal die Strumpf- wirkerei in den Bericht aufgenommen. 373 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 früher getrieben, bracht sind, im Durchschnitt 50 % mehr Werk als früher verrichten, und daß in vielen Fällen dieselben identischen Dampfmaschinen, die in den Tagen der beschränkten Geschwindigkeit von 220 Fuß per Minute 50 Pfer- dekraft lieferten, heute, mit vermindertem Kohlenkonsum, über 100 lie- fern. ... Die moderne Dampfmaschine von derselben nominellen Pferde- in Folge der kraft wird mit größrer Gewalt als Verbeßrungen in ihrer Konstruktion, vermindertem Umfang und Bau der Dampfkessel u.s.w. ... Obgleich daher dieselbe Händezahl wie früher im Verhältniß zur nominellen Pferdekraft beschäftigt wird, werden weniger Hände verwandt im Verhältniß zur Arbeitsmaschinerie" 1 7 0). Im Jahre 1850 10 verwandten die Fabriken des vereinigten Königreichs 134217 nominelle Pferdekraft zur Bewegung von 25 6 3 8 7 1 6 Spindeln und 301445 Webstüh- len. Im Jahr 1856 betrug die Zahl der Spindeln und Webstühle respektive 33 503 580 und 3 6 9 2 0 5 . Wäre die erheischte Pferdekraft dieselbe geblieben wie 1850, so waren 1856: 175 000 Pferdekraft nöthig. Sie betrug aber nach 15 dem officiellen Ausweis nur 1 6 1 4 3 5 , also über 10 000 Pferdekraft weniger, als wenn man nach der Basis von 1850 re c hne t 1 7 1). „Die durch den letzten Return von 1856 (officielle Statistik) festgestellten Thatsachen sind, daß das Fabriksystem ||381| reißend rasch um sich greift, die Zahl der Hände im Verhältniß zur Maschinerie abgenommen hat, die Dampfmaschine 20 durch Oekonomie der Kraft und andre Methoden ein größres Maschinen- gewicht treibt, und ein vermehrtes Quantum Machwerk erzielt wird in Folge verbesserter Arbeitsmaschinen, veränderter Methoden der Fabrika- tion, erhöhter Geschwindigkeit der Maschinerie und vieler andrer Ursa- chen" 1 7 2 ) . „Die großen in Maschinen jeder Art eingeführten Verbeßrungen 25 haben deren Produktivkraft sehr gesteigert. Ohne allen Zweifel gab die Ver- kürzung des Arbeitstags .... den Stachel zu diesen Verbeßrungen. Letztre und die intensivre Anstrengung des Arbeiters bewirkten, daß wenigstens eben so viel Machwerk in dem (um zwei Stunden oder Y6) verkürzten Ar- beitstag als früher während des längren geliefert wird" 1 7 3). 30 Wie die Bereicherung der Fabrikanten mit der intensivren Ausbeutung der Arbeitskraft zunahm, beweist schon der eine Umstand, daß das durch- schnittliche Wachsthum der englischen Baumwollen- u.s.w. -Fabriken von 1838 bis 1850 32, von 1850 bis 1856 dagegen 86 jährlich betrug. So groß in den 8 Jahren 1848 bis 1856, unter der Herrschaft des zehn- 35 stündigen Arbeitstags, der Fortschritt der englischen Industrie, wurde er wieder weit überflügelt in der folgenden sechsjährigen Periode von 1856 1 7 0 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1856", p. 14, 20. 1 7 1 ) I.e. p. 14, 15. 1 7 2 ) I.e. p.20. 1 7 3 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1858", p. 10. Vgl. „Reports etc. for 30th April 1860", p.30 sqq. 40 374 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie bis 1862. In der Seidenfabrik z.B. 1856: Spindeln 1093 799, 1862: 1 3 8 8 544; 1856: Webstühle 9260 und 1862: 10 709. Dagegen 1856: Arbei- teranzahl 5 6 1 3 7 und 1862: 52 429. Dieß ergiebt Zunahme der Spindelzahl 26,9 % und der Webstühle 15,6 % mit gleichzeitiger Abnahme der Arbeiter- 5 anzahl um 7%. Im Jahre 1850 wurden in der Worsted-Fabrik angewandt 875 830 Spindeln, 1856: 1 3 2 4 549 (Zunahme von 51,2%) und 1862: 1 2 8 9 1 7 2 (Abnahme von 2,7 % ) . Zählt man aber die Dublirspindeln ab, die in der Aufzählung für das Jahr 1856, aber nicht für 1862 figuriren, so blieb die Anzahl der Spindeln seit 1856 ziemlich stationär. Dagegen ward seit 10 1850 in vielen Fällen die Geschwindigkeit der Spindeln und Webstühle verdoppelt. Die Zahl der Dampfwebstühle in der Worsted-Fabrik 1850: 32 617, 1856: 38 956 und 1862: 43 048. Es waren dabei beschäftigt 1850: 7 9 7 3 7 Personen, 1856: 87 794 und 1862: 86 063, aber davon Kinder unter 14 Jahren 1850: 9956, 1856: 11228 und ||382| 1862: 13 178. Trotz sehr ver- 15 mehrter Anzahl der Webstühle, 1862 verglichen mit 1856, nahm also die Gesammtzahl der beschäftigten Arbeiter ab, die der exploitirten Kinder z u 1 7 4 ) . 20 25 Am 27. April 1863 erklärte das Parlamentsmitglied Ferrand im Unter- hause: „Arbeiterdelegirte von 16 Distrikten von Lancashire und Cheshire, in deren Auftrag ich spreche, haben mir mitgetheilt, daß die Arbeit in den Fabriken in Folge der Verbeßrung der Maschinerie beständig wachse. Statt daß früher eine Person mit Gehülfen zwei Webstühle bediente, bedient sie jetzt drei ohne Gehülfen und es ist gar nichts Ungewöhnliches, daß eine Person ihrer vier bedient u.s.w. Zwölf Stunden Arbeit, wie aus den mitge- theilten Thatsachen hervorgeht, werden jetzt in weniger als 10 Arbeitsstun- den gepreßt. Es ist daher selbstverständlich, in welchem ungeheuren Um- fang die Mühen der Fabrikarbeiter sich seit den letzten Jahren vermehrt h a b e n " 1 7 5 ) . Obgleich daher die Fabrikinspektoren die günstigen Resultate der Fa- 30 brikgesetze von 1844 und 1850 unermüdlich und mit vollem Recht lobprei- sen, gestehn sie doch, daß die Verkürzung des Arbeitstags bereits eine die Gesundheit der Arbeiter, also die Arbeitskraft selbst zerstörende Intensität der Arbeit hervorgerufen habe. „In den meisten Baumwoll-, Worsted- und 35 1 7 4 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 100, 103, 129 u. 130. 1 7 5 ) Mit dem modernen Dampfwebstuhl fabricirt ein Weber jetzt in 60 Stunden per Woche auf 2 Stühlen 26 Stück einer gewissen Art von bestimmter Länge und Breite, wovon er auf dem alten Dampfwebstuhl nur 4 fabriciren konnte. Die Webkosten eines solchen Stücks wa- ren schon Anfang der 1850er Jahre von 2 sh. 9 d. auf 5½ d. gefallen. Zusatz zur 2. Ausgabe. „Vor 30 Jahren (1841) verlangte man von einem Baumwollgarnspin- 40 ner mit 3 Gehülfen nur die Ueberwachung eines Mulepaars mit 300-324 Spindeln. Mit 5 Ge- hülfen hat er jetzt (Ende 1871) Mules zu überwachen, deren Spindelzahl 2200 beträgt, und producirt mindestens sieben mal mehr Garn als 1841." (Alexander Redgrave, Fabrikinspektor in „Journal of the Soc. of Arts, Jan. 5. 1872".) 375 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Seidenfabriken scheint der erschöpfende Zustand von Aufregung, nöthig für die Arbeit an der Maschinerie, deren Bewegung in den letzten Jahren so außerordentlich beschleunigt worden ist, eine der Ursachen des Ueber- schusses der Sterblichkeit an Lungenkrankheiten, den Dr. Greenhow in seinem jüngsten bewundernswerthen Bericht nachgewiesen h a t " 1 7 6 ) . Es un- terliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß die Tendenz des Kapitals, sobald ihm Verlängrung des Arbeitstags ein für allemal durch das Gesetz abge- schnitten ist, sich durch systematische Steigrung des Intensitätsgrads der Arbeit gütlich ||383| zu thun und jede Verbeßrung der Maschinerie in ein Mittel zu größrer Aussaugung der Arbeitskraft zu verkehren, bald wieder zu einem Wendepunkt treiben muß, wo abermalige Abnahme der Arbeits- stunden unvermeidlich wird 1 7 7). Andrerseits überflügelt der Sturmmarsch der englischen Industrie von 1848 bis zur Gegenwart, d.h. während der Pe- riode des zehnstündigen Arbeitstags, noch weit mehr die Zeit von 1833 bis 1847, d.h. die Periode des zwölfstündigen Arbeitstags, als letztre das halbe Jahrhundert seit Einführung des Fabriksystems, d.h. die Periode des unbe- schränkten Arbeitstags 1 7 8). | |384| 4. Die Fabrik. Wir betrachteten im Beginn dieses Kapitels den Leib der Fabrik, die Glied- rung des Maschinensystems. Wir sahen dann, wie die Maschinerie das menschliche Exploitationsmaterial des Kapitals vermehrt durch Aneig- 1 7 6 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1861", p. 25, 26. 1 7 7 ) Die Achtstundenagitation hat jetzt (1867) in Lancashire unter den Fabrikarbeitern be- gonnen. 1 7 8 ) Folgende wenige Zahlen zeigen den Fortschritt der eigentlichen ,,Factories" im U. Kingd. seit 1848: Export. Quantität. 1848. Export. Quantität. 1851. Export. Quantität. 1860. Export. Quantität. 1865. Baumwollfabrik. Baumwollgarn Nähgarn Baumwollgewebe Pfd. Pfd. y. 135 8 3 1 1 6 2 1 0 9 1 3 7 3 930 Pfd. Pfd. y. 143 9 6 6 1 0 6 4 3 9 2 1 7 6 1 5 4 3 1 6 1 7 8 9 Pfd. Pfd. y. 197 343 655 6 2 9 7 554 2 7 7 6 2 1 8 427 103 7 5 1 4 5 5 Pfd. 4 6 4 8 611 Pfd. y. 2 015 237 851 Flachs- und Hanffabrik. Garn Gewebe Seidenfabrik. Kettengarn, Zwist, Garn Gewebe Pfd. y. 1 1 7 2 2 1 8 2 88 9 0 1 5 1 9 Pfd. 194 815 y- Wollfabrik. Wollen- u. Worsted-Garn Pfd. Gewebe y. Pfd. y- Pfd. Pfd. Pfd. y- 18 8 4 1 3 2 6 1 2 9 1 0 6 7 5 3 Pfd. y. 3 1 2 1 0 6 1 2 143 9 9 6 7 7 3 462 513 1 1 8 1 4 5 5 Pfd. Pfd. 897 402 1 3 0 7 2 9 3 14 670 880 1 5 1 2 3 1 1 5 3 Pfd. y. 27 533 968 190 3 7 1 5 3 7 Pfd. y- Pfd. y. Pfd. y- 3 6 7 7 7 334 247 012 329 812 589 2 869 837 3 1 6 6 9 2 6 7 278 837 418 376 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie nung der Weiber- und Kinderarbeit, wie sie die ganze Lebenszeit des Ar- beiters konfiscirt durch maßlose Ausdehnung des Arbeitstags, und wie ihr Fortschritt, der ein ungeheuer wachsendes Produkt in stets kürzrer Zeit zu liefern erlaubt, endlich als systematisches Mittel dient, in jedem Zeitmo- 5 ment mehr Arbeit flüssig zu machen oder die Arbeitskraft stets intensiver auszubeuten. Wir wenden uns nun zum Fabrikganzen, und zwar in seiner ausgebildetsten Gestalt. Dr. Ure, der Pindar der automatischen Fabrik, beschreibt sie einerseits als „Kooperation verschiedner Klassen von Arbeitern, erwachsnen und 10 nicht erwachsnen, die mit Gewandtheit und Fleiß ein System produktiver Maschinerie überwachen, das ununterbrochen durch eine Centraikraft (den ersten Motor) in Thätigkeit gesetzt wird", andrerseits als „einen unge- heuren Automaten, zusammengesetzt aus zahllosen mechanischen und selbstbewußten Organen, die im Einverständniß und ohne Unterbrechung 15 wirken, um einen und denselben Gegenstand zu produciren, so daß alle diese Organe einer Bewegungskraft untergeordnet sind, die sich von selbst bewegt". Diese beiden Ausdrücke sind keineswegs identisch. In dem einen erscheint der kombinirte Gesammtarbeiter oder gesellschaftliche Arbeits- körper als übergreifendes Subjekt und der mechanische Automat als Ob- jekt; in dem andren ist der Automat selbst das Subjekt und die Arbeiter 20 Export. Werth. 1848. Pfd. St. 5 927 831 16 753 369 493 419 2 802 789 77 789 25 Baumwollfabrik. Baumwollgarn Baumwollgewebe Flachs- und Hanffabrik. Garn 30 Gewebe Seidenfabrik. Kettengarn, Zwist, Garn Gewebe Wollfabrik. 35 Wollen- u. Worsted-Garn Gewebe 776 975 5 733 828 Export. Werth. 1851. Pfd. St. 6 6 3 4 0 2 6 23 454 810 9 5 1 4 2 6 4 1 0 7 396 196 380 1 1 3 0 398 1 4 8 4 5 4 4 8 3 7 7 1 8 3 Export. Werth. 1860. Pfd. St. 9 870 875 42 1 4 1 5 0 5 1 8 0 1 2 7 2 4 804 803 8 2 6 1 0 7 1 5 8 7 303 Export. Werth. 1865. Pfd. St. 10 3 5 1 0 4 9 46 903 796 2 505 497 9 1 5 5 358 768 0 6 4 1 4 0 9 2 2 1 3 843 450 1 2 1 5 6 998 5 4 2 4 0 4 7 2 0 1 0 2 2 5 9 (Sieh die Blaubücher: „Statistical Abstract for the U. Kingd." Nr. 8 und Nr. 13. Lond. 1861 und 1866.) In Lancashire vermehrten sich die Fabriken zwischen 1839 und 1850 nur um 4 %, zwischen 40 1850 und 1856 um 19 %, zwischen 1856 und 1862 um 33 %, während in beiden elfjährigen Pe- rioden die Zahl der beschäftigten Personen absolut zunahm, relativ fiel. Cf. Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862, p.63. In Lancashire herrscht die Baumwollfabrik vor. Welchen pro- portionellen Raum sie aber in der Fabrikation von Garn und Gewebe überhaupt einnimmt, sieht man daraus, daß auf sie allein von allen derartigen Fabriken in England, Wales, Schott- land und Irland 45,2 % fallen, von allen Spindeln 83,3 %, von allen Dampfwebstühlen 81,4 %, von aller sie bewegenden Dampfpferdekraft 72,6 % und von der Gesammtzahl der beschäftig- ten Personen 58,2 %. (1. c. p. 62, 63.) 45 377 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts sind nur als bewußte Organe seinen bewußtlosen Organen beigeordnet und mit denselben der centralen Bewegungskraft untergeordnet. Der erstere Ausdruck gilt von ||385| jeder möglichen Anwendung der Maschinerie im Großen, der andre charakterisirt ihre kapitalistische Anwendung und daher das moderne Fabriksystem. Ure liebt es daher auch, die Centraimaschine, von der die Bewegung ausgeht, nicht nur als Automat, sondern als Auto- krat darzustellen: „In diesen großen Werkstätten versammelt die wohlthä- tige Macht des Dampfes ihre Myriaden von Unterthanen um s i c h " 1 7 9 ) . 5 Mit dem Arbeitswerkzeug geht auch die Virtuosität in seiner Führung vom Arbeiter auf die Maschine über. Die Leistungsfähigkeit des Werk- 10 zeugs ist emaiicipirt von den persönlichen Schranken menschlicher Ar- beitskraft. Damit ist die technische Grundlage aufgehoben, worauf die Theilung der Arbeit in der Manufaktur beruht. An die Stelle der sie cha- rakterisirenden Hierarchie der specialisirten Arbeiter tritt daher in der au- tomatischen Fabrik die Tendenz der Gleichmachung oder Nivellirung der 15 Arbeiten, welche die Gehülfen der Maschinerie zu verrichten haben 1 8 0), an die Stelle der künstlich erzeugten Unterschiede der Theilarbeiter treten vorwiegend die natürlichen Unterschiede des Alters und Geschlechts. Soweit in der automatischen Fabrik die Theilung der Arbeit wiederer- scheint, ist sie zunächst Vertheilung von Arbeitern unter die specialisirten 20 Maschinen, und von Arbeitermassen, die jedoch keine gegliederten Grup- pen bilden, unter die verschiednen Departements der Fabrik, wo sie an ne- ben einander gereihten gleichartigen Werkzeugmaschinen arbeiten, also nur einfache Kooperation unter ihnen stattfindet. Die gegliederte Gruppe der Manufaktur ist ersetzt durch den Zusammenhang des Hauptarbeiters mit wenigen Gehülfen. Die wesentliche Scheidung ist die von Arbeitern, die wirklich an den Werkzeugmaschinen beschäftigt sind (es kommen hiezu einige Arbeiter zur Bewachung, resp. Füttrung der Bewegungsma- schine) und von bloßen Handlangern (fast ausschließlich Kinder) dieser Maschinenarbeiter. Zu den Handlangern zählen mehr oder minder alle „Feeders" (die den Maschinen bloß Arbeitsstoff darreichen). Neben diese Hauptklassen tritt ein numerisch unbedeutendes Personal, das mit der Kontrole der gesammten Maschinerie und ihrer beständigen Reparatur be- schäftigt ist, wie Ingenieure, Mechaniker, Schreiner u.s.w. Es ist eine hö- here, theils wissenschaftlich gebildete, theils handwerksmäßige Arbeiter-1 35 |386|klasse, außerhalb des Kreises der Fabrikarbeiter und ihnen nur aggregirt 1 8 1). Diese Theilung der Arbeit ist rein technisch. 30 25 1 7 9 ) Ure I.e. p. 18. 1 8 0 ) 1. c. p. 20. Vgl. Karl Marx, Misere etc. p. 140, 141. 1 8 1 ) Es ist charakteristisch für die Absicht des statistischen Betrugs, die auch sonst noch im 40 Detail nachweisbar wäre, wenn die englische Fabrikgesetzgebung die zuletzt im Text erwähn- 378 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie Alle Arbeit an der Maschine erfordert frühzeitige Anlernung des Arbei- ters, damit er seine eigne Bewegung der gleichförmig kontinuirlichen B e - wegung eines Automaten anpassen lerne. Soweit die Gesammtmaschinerie selbst ein System mannigfacher, gleichzeitig wirkender und kombinirter 5 Maschinen bildet, erfordert auch die auf ihr beruhende Kooperation eine Vertheilung verschiedenartiger Arbeitergruppen unter die verschiedenarti- gen Maschinen. Aber der Maschinenbetrieb hebt die Nothwendigkeit auf, diese Vertheilung manufakturmäßig zu befestigen durch fortwährende An- eignung derselben Arbeiter an dieselbe F u n k t i o n 1 8 2 ) . Da die Gesammtbe- 10 wegung der Fabrik nicht vom Arbeiter ausgeht, sondern von der Maschine, kann fortwährender Personenwechsel stattfinden ohne Unterbrechung des Arbeitsprocesses. Den schlagendsten Beweis hierzu liefert das während der englischen Fabrikantenrevolte von 1 8 4 8 - 5 0 ins Werk gesetzte Relaissy- stem. Die Geschwindigkeit endlich, womit die Arbeit an der Maschine im 15 jugendlichen Alter erlernt wird, beseitigt ebenso die Nothwendigkeit, eine besondre Klasse Arbeiter ausschließlich zu Maschinenarbeitern heranzu- z i e h n 1 8 3 ) . Die Dienste der bloßen Handlanger aber sind in der ||387| Fabrik theils durch Maschinen ersetzbar 1 8 4), theils erlauben sie wegen ihrer völli- 30 25 20 ten Arbeiter ausdrücklich als Nicht-Fabrikarbeiter von ihrem Wirkungskreis ausschließt, and- rerseits die vom Parlament veröffentlichten ,,Returns" ebenso ausdrücklich nicht nur Inge- nieure, Mechaniker u. s. w., sondern auch Fabrikdirigenten, Commis, Ausläufer, Lageraufseher, Verpacker u. s. w., kurz alle Leute, mit Ausschluß des Fabrikeigenthümers selbst, in die Kategorie der Fabrikarbeiter einschließen. 1 8 2 ) Ure giebt dieß zu. Er sagt, daß die Arbeiter „im Nothfalle" nach dem Willen des Dirigen- ten von einer Maschine zur andren versetzt werden können, und ruft triumphirend aus: „Der- gleichen Wechsel steht im offnen Widerspruch mit der alten Routine, die die Arbeit theilt und dem einen Arbeiter die Aufgabe zuweist, den Kopf einer Stecknadel zu façonniren, dem andren ihre Spitze zu schleifen." Er hätte sich vielmehr fragen sollen, warum diese „alte Rou- tine" in der automatischen Fabrik nur im „Nothfall" verlassen wird? 1 8 3 ) Wenn Noth an Mann ist, wie z.B. während des amerikanischen Bürgerkriegs, wird der Fa- brikarbeiter ausnahmsweise vom Bourgeois zu den gröbsten Arbeiten, wie Straßenbau u.s.w., verwandt. Die englischen ,,ateliers nationaux" des Jahres 1862 u. folg. für die beschäftigungs- losen Baumwollarb eiter unterschieden sich dadurch von den französischen von 1848, daß in diesen der Arbeiter auf Kosten des Staats unproduktive Arbeiten, in jenen zum Vortheil des 35 Bourgeois produktive städtische Arbeiten und zwar wohlfeiler als die regelmäßigen Arbeiter, mit denen er so in Konkurrenz geworfen ward, zu verrichten hatte. "The physical appearance of the cotton operatives is unquestionably improved. This I attribute ... as to the men, to out- door labour on public works." (Es handelt sich hier von den Preston-Fabrikarbeitern, die am „Preston Moor" beschäftigt wurden.) („Rep. of Insp. of Fact. Oct. 1863", p. 59.) 1 8 4 ) Beispiel: Die verschiednen mechanischen Apparate, die zum Ersatz von Kinderarbeit seit dem Gesetz von 1844 in der Wollfabrik eingeführt wurden. Sobald die Kinder der Herren Fa- brikanten selbst „ihre Schule" als Handlanger der Fabrik durchzumachen haben, wird dieß fast noch unangebaute Gebiet der Mechanik bald einen merkwürdigen Aufschwung nehmen. „Die self-acting mules sind vielleicht eine so gefährliche Maschinerie als irgend eine andere. 45 Die meisten Unglücksfälle begegnen kleinen Kindern und zwar in Folge ihres Kriechens un- ter die Mules, um den Boden zu fegen, während die Mules in Bewegung sind. Verschiedne, minders' (Arbeiter an der Mule) wurden (von den Fabrikinspektoren) gerichtlich verfolgt und zu Geldstrafen verurtheilt wegen dieses Vergehns, aber ohne irgend welchen allgemeinen Vor- 40 379 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts gen Einfachheit raschen und beständigen Wechsel der mit dieser Plackerei belasteten Personen. 5 Obgleich nun die Maschinerie das alte System der Theilung der Arbeit technisch über den Haufen wirft, schleppt es sich zunächst als Tradition der Manufaktur gewohnheitsmäßig in der Fabrik fort, um dann systema- tisch vom Kapital als Exploitationsmittel der Arbeitskraft in noch ekelhaft- rer Form reproducirt und befestigt zu werden. Aus der lebenslangen Spe- cialität, ein Theilwerkzeug zu führen, wird die lebenslange Specialität, einer Theilmaschine zu dienen. Die Maschinerie wird mißbraucht, um den Arbeiter selbst von Kindesbeinen in den Theil einer Theilmaschine zu ver- 10 wandeln 1 8 5)- Nicht nur werden so die zu seiner eignen Reproduktion nöthi- gen Kosten bedeutend vermindert, sondern zugleich seine hülflose Abhän- gigkeit vom Fabrikganzen, also vom Kapitalisten, vollendet. Hier wie überall muß man unterscheiden zwischen der größren Produktivität, die der Entwicklung des gesellschaftlichen Produktionsprocesses, und der 15 größren Produktivität, die seiner kapitalistischen Ausbeutung geschuldet ist. In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in der Fabrik dient er der Maschine. Dort geht von ihm die Bewegung des Arbeitsmittels aus, dessen Bewegung er hier zu folgen hat. In der Manufak- 20 tur bilden die Arbeiter Glieder eines lebendigen Mechanismus. In der Fa- brik existirt ein todter ||388| Mechanismus unabhängig von ihnen, und sie werden ihm als lebendige Anhängsel einverleibt. „Der trübselige Schlen- drian einer endlosen Arbeitsqual, worin derselbe mechanische Proceß im- mer wieder durchgemacht wird, gleicht der Arbeit des Sisyphus; die Last 25 der Arbeit, gleich dem Felsen, fällt immer wieder auf den abgematteten Ar- beiter zurück" 1 8 6). Während die Maschinenarbeit das Nervensystem aufs äußerste angreift, unterdrückt sie das vielseitige Spiel der Muskeln und konfiscirt alle freie körperliche und geistige Thätigkeit 1 8 7). Selbst die Er- leichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine 30 theil. Wenn Maschinenmacher nur einen Selbstfeger erfinden wollten, durch dessen Ge- brauch die Nothwendigkeit für diese kleinen Kinder, unter die Maschinerie zu kriechen, weg- fiele, so wäre das ein glücklicher Beitrag zu unsren Protektionsmaßregeln." („Reports of Insp. of Factories for 31st October 1866", p. 63.) 1 8 5 ) Man würdige daher den fabelhaften Einfall Proudhon's, der die Maschinerie nicht als 35 Synthese von Arbeitsmitteln, sondern als Synthese von Theilarbeiten für die Arbeiter selbst - „konstruirt". 1 8 6 ) F.Engels, Lage etc., p.217. Selbst ein ganz ordinärer, optimistischer Freihändler, Herr Molinari, bemerkt: «Un homme s'use plus vite en surveillant quinze heures par jour l'évolu- tion uniforme d'un mécanisme, qu'en exerçant dans le même espace de temps, sa force physi- 40 que. Ce travail de surveillance, qui servirait peut-être d'utile gymnastique à l'intelligence, s'il n'était pas trop prolongé, détruit à la longue, par son excès, et l'intelligence et le corps même.» (G. de Molinari: ,,Études Economiques". Paris 1846.) 1 8 7 ) F.Engels I.e. p.216. 380 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 10 15 nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt. Aller kapitalistischen Produktion, soweit sie nicht nur Arbeitsproceß, son- dern zugleich Verwerthungsproceß des Kapitals, ist es gemeinsam, daß nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbe- 5 dingung den Arbeiter anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhält diese Verkehrung technisch handgreifliche Wirklichkeit. Durch seine Verwand- lung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitspro- cesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als todte Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der gei- stigen Potenzen des Produktionsprocesses von der Handarbeit und die Ver- wandlung derselben in Mächte des Kapitals über die Arbeit vollendet sich, wie bereits früher angedeutet, in der auf Grundlage der Maschinerie aufge- bauten großen Industrie. Das Detailgeschick des individuellen, entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor der Wis- senschaft, den ungeheuren Naturkräften und der gesellschaftlichen Mas- senarbeit, die im Maschinensystem verkörpert sind und mit ihm die Macht des „Meisters" (master) bilden. Dieser Meister, in dessen Hirn die Maschi- nerie und sein Monopol an derselben unzertrennlich verwachsen sind, ruft daher in Kollisionsfällen den „Händen" verächtlich zu: „Die Fabrikarbei- ter sollten in heilsamer Erinnrung halten, daß ihre Arbeit in der That eine sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist; daß keine leichter aneigenbar und in Anbetracht ihrer Qualität besser belohnt ist, daß keine durch kurze Unterweisung des mindest ||389| Erfahrnen in so kurzer Zeit und in sol- chem Ueberfluß zugeführt werden kann. Des Meisters Maschinerie spielt in der That eine viel wichtigere Rolle in dem Geschäfte der Produktion als die Arbeit und das Geschick des Arbeiters, die eine Erziehung von 6 Mo- naten lehren und jeder Bauernknecht lernen k a n n " 1 8 8 ) . 20 25 Die technische Unterordnung des Arbeiters unter den gleichförmigen Gang des Arbeitsmittels und die eigenthümliche Zusammensetzung des 30 Arbeitskörpers aus Individuen beider Geschlechter und verschiedenster Al- tersstufen schaffen eine kasernenmäßige Disciplin, die sich zum vollstän- digen Fabrikregime ausbildet und die schon früher erwähnte Arbeit der Oberaufsicht, also zugleich die Theilung der Arbeiter in Handarbeiter und 35 1 8 8 ) "The factory operatives should keep in wholesome remembrance the fact that theirs is really a low species of skilled labour; and that there is none which is more easily acquired or of its quality more amply remunerated, or which, by a short training of the least expert can be more quickly as well as abundantly acquired .... The master's machinery really plays a far more important part in the business of production than the labour and the skill of the opera- tive, which six months' education can teach, and a common labourer can learn." (,,The Master 40 Spinners' and Manufacturers' Defence Fund. Report of the Committee. Manchester 1854", p. 17,19.) Man wird später sehn, daß der „Master" aus einem andern Loch pfeift, sobald er mit Verlust seiner „lebendigen" Automaten bedroht ist. 381 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 Arbeitsaufseher, in gemeine Industriesoldaten und Industrieunteroff icier e, völlig entwickelt. „Die Hauptschwierigkeit in der automatischen Fabrik be- stand in der nothwendigen Disciplin, um die Menschen auf ihre unregel- mäßigen Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen und sie zu identificiren mit der unveränderlichen Regelmäßigkeit des großen Auto- maten. Aber einen den Bedürfnissen und der Geschwindigkeit des automa- tischen Systems entsprechenden Disciplinarkodex zu erfinden und mit Er- folg auszuführen, war ein Unternehmen des Herkules würdig, das ist das edle Werk Arkwright's! Selbst heut zu Tage, wo das System in seiner gan- zen Vollendung organisirt ist, ist es fast unmöglich, unter den Arbeitern, 10 die das Alter der Mannbarkeit zurückgelegt haben, nützliche Gehülfen für das automatische System zu finden" 1 8 9). Der Fabrikkodex, worin das Kapi- tal seine Autokratie über seine Arbeiter, ohne die sonst vom Bürgerthum so beliebte Theilung der Gewalten und das noch beliebtere Repräsentativ- system, privatgesetzlich und eigenherrlich formulirt, ist nur die kapitalisti- 15 sehe Karikatur der ||390| gesellschaftlichen Reglung des Arbeitsprocesses, welche nöthig wird mit der Kooperation auf großer Stufenleiter und der Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel, namentlich der Maschinerie. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Strafbuch des Aufse- hers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen und Lohnabzüge, 20 und der gesetzgeberische Scharfsinn der Fabrik-Lykurge macht ihnen die Verletzung ihrer Gesetze wo möglich noch einbringlicher als deren Befol- gung 1 9 0). I 1 8 9 ) Ure I.e. p. 15. Wer Arkwright's Lebensgeschichte kennt, wird das Wort „edel" diesem ge- nialen Barbier nie an den Kopf werfen. Von allen großen Erfindern des 18. Jahrhunderts war 25 er unstreitig der größte Dieb fremder Erfindungen und der gemeinste Kerl. 1 9°) „Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt hält, kommt nirgends deut- licher ans Tageslicht, als im Fabriksystem. Hier hört alle Freiheit rechtlich und faktisch auf. Der Arbeiter muß Morgens um halb 6 in der Fabrik sein; kommt er ein paar Minuten zu spät, so wird er gestraft, kommt er 10 Minuten zu spät, so wird er gar nicht hereingelassen, bis das 30 Frühstück vorüber ist, und verliert einen Vierteltag am Lohn. Er muß auf Kommando essen, trinken und schlafen ... Die despotische Glocke ruft ihn vom Bette, ruft ihn vom Frühstück und Mittagstisch. Und wie geht es nun gar erst in der Fabrik? Hier ist der Fabrikant absoluter Gesetzgeber. Er erläßt Fabrikregulationen, wie er Lust hat; er ändert und macht Zusätze zu seinem Kodex, wie es ihm beliebt; und wenn er das tollste Zeug hineinsetzt, so sagen doch 35 die Gerichte zum Arbeiter: Da ihr unter diesen Kontrakt euch freiwillig begeben habt, jetzt müßt ihr ihn auch befolgen ... Diese Arbeiter sind dazu verdammt, vom neunten Jahr bis zu ihrem Tode unter der geistigen und körperlichen Fuchtel zu leben." (F.Engels I.e. p.217 sqq.) Was „die Gerichte sagen", will ich an zwei Beispielen erläutern. Der eine Fall spielt in Shef- * field, Ende 1866. Dort hatte sich ein Arbeiter für 2 Jahre in eine Metallfabrik verdingt. In 40 Folge eines Zwistes mit dem Fabrikanten verließ er die Fabrik und erklärte, unter keinen Um- ständen mehr für ihn arbeiten zu wollen. Wurde wegen Kontraktbruchs verklagt, zu zwei Mo- naten Gefängniß verurtheilt. (Bricht der Fabrikant den Kontrakt, so kann er nur civiliter ver- klagt werden und riskirt nur eine Geldbuße.) Nach Absitzen der zwei Monate stellt derselbe Fabrikant ihm Ladung zu, dem alten Kontrakt gemäß in die Fabrik zurückzukehren. Arbeiter 45 erklärt, Nein. Den Kontraktsbruch habe er bereits abgebüßt. Fabrikant verklagt von neuem, 382 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie |391| Wir deuten nur hin auf die materiellen Bedingungen, unter denen die Fabrikarbeit verrichtet wird. Alle Sinnesorgane werden gleichmäßig verletzt durch die künstlich gesteigerte Temperatur, die mit Abfällen des Rohmaterials geschwängerte Atmosphäre, den betäubenden Lärm u. s. w., 5 abgesehn von der Lebensgefahr unter dicht gehäufter Maschinerie, die mit der Regelmäßigkeit der Jahreszeiten ihre industriellen Schlachtbülletins producirt 1 9 0 a). Die Oekonomisirung der gesellschaftlichen Produktionsmit- 10 Gericht verurtheilt von neuem, obgleich Einer der Richter, Mr. Shee, dieß öffentlich als juri- stische Ungeheuerlichkeit denuncirt, wonach ein Mann sein ganzes Leben durch periodisch für dasselbe identische Vergehn, resp. Verbrechen, wieder und wieder bestraft werden könne. Dieses Urtheil wurde gefällt nicht von den ,,Great Unpaid", provinzialen Dogberries, sondern zu London, von einem der höchsten Gerichtshöfe. (Zur 4. Aufl. - Dieß ist jetzt abgeschafft. Einige wenige Fälle ausgenommen - z.B. bei öffentlichen Gaswerken - ist jetzt in England der Arbeiter beim Kontraktbruch dem Beschäftiger gleichgestellt und kann nur civilrechtlich 15 belangt werden. - D.H.) - Der zweite Fall spielt in Wiltshire, Ende November 1863. Unge- fähr 30 Dampfstuhlweberinnen, in der Beschäftigung eines gewissen Harrup, Tuchfabrikant von Bower's Mill, Westbury Leigh, machten einen strike, weil dieser selbe Harrup die ange- nehme Gewohnheit hatte, ihnen für Verspätung am Morgen Lohnabzug zu machen, und zwar 6 d. für 2 Minuten, 1 sh. für 3 Minuten und 1 sh. 6 d. für 10 Minuten. Dieß macht bei 9 sh. per 20 Stunde 4 Pfd. Std. 10 sh. per Tag, während ihr Durchschnittslohn im Jahr nie über 10 bis 12 sh. wöchentlich steigt. Harrup hat ebenfalls einen Jungen bestellt, um die Fabrikstunde zu blasen, was er selber machmal vor 6 Uhr Morgens thut, und wenn die Hände nicht grade da sind, sobald er aufhört, werden die Thore geschlossen und die draußen in Geldbuße ge- nommen; und da keine Uhr im Gebäude, sind die unglücklichen Hände in der Gewalt des 25 von Harrup inspirirten jugendlichen Zeitwächters. Die im ,,strike" begriffnen Hände, Fami- lienmütter und Mädchen, erklärten, sie wollten wieder ans Werk gehn, wenn der Zeitwächter durch eine Uhr ersetzt und ein rationellrer Straftarif eingeführt würde. Harrup citirte 19 Weiber und Mädchen vor die Magistrate wegen Kontraktsbruch. Sie wurden verurtheilt zu je 6 d. Strafe und 2 sh. 6 d. Kosten, unter lauter Entrüstung des Auditoriums. Harrup wurde 30 vom Gericht weg von einer zischenden Volksmasse begleitet. - Eine Lieblingsoperation der Fabrikanten ist, die Arbeiter durch Lohnabzüge für die Fehler des ihnen gelieferten Materials zu züchtigen. Diese Methode rief 1866 allgemeinen strike in den englischen Töpferdistrikten hervor. Die Berichte der „Ch. Employm. Commiss." (1863-1866) geben Fälle, wo der Arbei- ter, statt Lohn zu erhalten, durch seine Arbeit, und vermittelst des Strafreglements, noch 35 obendrein Schuldner seines erlauchten „Master" wird. Erbauliche Züge über den Lohnab- zugs-Scharfsinn der Fabrikautokraten lieferte auch die jüngste Baumwollkrise. „Ich hatte selbst", sagt Fabrikinspektor R. Baker, „vor kurzem gerichtliche Verfolgung wider einen Baumwollfabrikanten einzuleiten, weil er in diesen schweren und qualvollen Zeitläuften 10 d. von einigen der von ihm beschäftigten jungen' (mehr als dreizehnjährigen) Arbeiter abzog für 40 das ärztliche Alterscertifikat, das ihm nur 6 d. kostet, und wofür das Gesetz nur einen Abzug von 3 d., das Herkommen gar keinen erlaubt ... Ein andrer Fabrikant, um denselben Zweck ohne Konflikt mit dem Gesetz zu erreichen, belastet jedes der armen Kinder, die für ihn ar- beiten, mit einem Shilling als Sportel für Erlernung der Kunst und des Mysteriums, zu spin- nen, sobald das ärztliche Zeugniß sie reif für diese Beschäftigung erklärt. Es existiren also Un- terströmungen, die man kennen muß, um solche außerordentliche Phänomene, wie strikes zu Zeiten wie die gegenwärtige (es handelt sich um einen strike in der Fabrik zu Darwen, Juni 1863, unter den Maschinenwebern) zu begreifen." „Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1863", p. 50, 51. (Die Fabrikberichte gehn immer weiter als ihr officielles Datum.) 1 9 0 a ) „Die Gesetze zum Schutz gegen gefährliche Maschinerie haben wohlthätig gewirkt. 50 Aber ... es existiren jetzt neue Quellen von Unglücksfällen, die vor 20 Jahren nicht existirt haben, namentlich die vermehrte Geschwindigkeit der Maschinerie. Räder, Walzen, Spindeln 45 383 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts tel, erst im Fabriksystem treibhausmäßig gereift, wird in der Hand des Ka- pitals ||392| zugleich zum systematischen Raub an den Lebensbedingungen des Arbeiters während der Arbeit, an Raum, Luft, Licht, und an persönli- chen Schutzmitteln wider lebensgefährliche oder gesundheitswidrige Um- stände des Produktionsprocesses, von Vorrichtungen zur Bequemlichkeit des Arbeiters gar nicht zu sprechen 1 9 1). Nennt Fourier mit Unrecht die Fa- briken „gemilderte Bagnos" 1 9 2)? 5 und Webstühle werden jetzt mit vermehrter und stets noch wachsender Gewalt getrieben; die Finger müssen rascher und sichrer den gebrochnen Faden anpacken, denn wenn mit Zaudern oder Unvorsicht angelegt, sind sie geopfert ... Eine große Anzahl Unglücksfälle wird verur- 10 sacht durch den Eifer der Arbeiter, ihr Werk rasch auszuführen. Man muß sich erinnern, daß es für die Fabrikanten von der höchsten Wichtigkeit ist, ihre Maschinerie ununterbrochen in Bewegung zu halten, d. h. Garn und Geweb zu produciren. Jeder Stillstand von einer Minute ist nicht nur ein Verlust an Triebkraft, sondern an Produktion. Die Arbeiter werden daher durch Arbeitsaufseher, interessirt in der Quantität des Machwerks, dazu gehetzt, die Maschi- 15 nerie in Bewegung zu halten; und es ist dieß nicht minder wichtig für Arbeiter, die nach Ge- wicht oder Stück gezahlt werden. Obgleich es daher in den meisten Fabriken formell verboten ist, Maschinerie während ihrer Bewegung zu reinigen, ist diese Praxis allgemein. Diese Ursa- che allein hat während der letzten 6 Monate 906 Unglücksfälle producirt... Obgleich das Rei- nigungsgeschäft Tag aus Tag ein vorgeht, ist der Sonnabend jedoch meist für gründliches Rei- 20 nigen der Maschinerie festgesetzt und das geschieht großentheils während der Bewegung der Maschinerie Es ist eine unbezahlte Operation, und die Arbeiter suchen daher so rasch als möglich damit fertig zu werden. Daher ist die Anzahl der Unglücksfälle Freitags und ganz besonders Samstags viel größer als an den übrigen Wochentagen. Freitags beträgt der Ueber- schuß über die Durchschnittszahl der ersten 4 Wochentage ungefähr 12 %, Sonnabends der 25 Ueberschuß von Unglücksfällen über den Durchschnitt der vorhergehenden 5 Tage 25 %; zieht man aber in Rechnung, daß der Fabriktag Samstags nur 1% Stunden, an den übrigen Wochen- tagen 10½ Stunden zählt - so steigt der Ueberschuß um mehr als 65 %." („Reports of Insp. of Factories for etc. 31st October 1866. London 1867", p. 9, 15, 16, 17.) 1 9 1 ) Im ersten Abschnitt des Dritten Buchs werde ich berichten über einen jüngster Zeit ange- 30 hörigen Feldzug der englischen Fabrikanten gegen die Klauseln des Fabrikakts zum Schutz der Gliedmaßen der „Hände" vor lebensgefährlicher Maschinerie. Hier genüge ein Citat aus einem officiellen Bericht des Fabrikinspektors Leonard Horner: „Ich habe Fabrikanten mit unentschuldbarer Frivolität von einigen der Unglücksfälle sprechen hören, z. B. der Verlust eines Fingers sei eine Kleinigkeit. Das Leben und die Aussichten eines Arbeiters hängen so 35 sehr von seinen Fingern ab, daß ein solcher Verlust ein äußerst ernstes Ereigniß für ihn ist. Wenn ich solch gedankenlos Geschwätz höre, stelle ich die Frage: Unterstellt, Sie brauchen einen zusätzlichen Arbeiter, und ihrer zwei meldeten sich, beide in jeder andren Hinsicht gleich tüchtig, aber der Eine ohne Daumen oder Vorfinger, welchen würden sie wählen? Sie zögerten nie einen Augenblick, für den Vollfmgrigen zu entscheiden.... Diese Herrn Fabri- 40 kanten haben falsche Vorurtheile gegen das, was sie pseudo-philanthropische Gesetzgebung nennen." („Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855".) Diese Herrn sind „gescheidte Leut'" und schwärmen nicht umsonst für die Sklavenhalter-Rebellion! 1 9 2 ) In den Fabriken, die am längsten dem Fabrikakt mit seiner Zwangsbeschränkung der Ar- beitszeit und seinen sonstigen Regulationen unterworfen, sind manche frühre Mißstände ver- 45 schwunden. Die Verbesserung der Maschinerie selbst erheischt auf einem gewissen Punkt eine „verbesserte Konstruktion der Fabrikgebäude", die den Arbeitern zu gut kommt, (cf. „Reports etc. for 31st Oct. 1863", p. 109.) 384 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine. Der Kampf zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter beginnt mit dem Kapi- talverhältniß selbst. Er tobt fort während der ganzen ||393| Manufakturpe- r i o d e 1 9 3 ) . Aber erst seit der Einführung der Maschinerie bekämpft der Ar- 5 beiter das Arbeitsmittel selbst, die materielle Existenzweise des Kapitals. Er revoltirt gegen diese bestimmte Form des Produktionsmittels als die ma- terielle Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise. Ziemlich ganz Europa erlebte während des 17. Jahrhunderts Arbeiterre- volten gegen die s.g. Bandmühle (auch Schnurmühle oder Mühlenstuhl ge- 10 nannt), eine Maschine zum Weben von Bändern und B o r t e n 1 9 4 ) . Ende des ersten Dritttheils des 17. Jahrhunderts erlag eine Windsägemühle, von einem Holländer in der Nähe Londons angelegt, vor Pöbelexcessen. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts überwanden durch Wasser getriebne Sägema- schinen in ||394| England nur mühsam den parlamentarisch unterstützten 15 Volkswiderstand. Als Everet 1758 die erste vom Wasser getriebne Maschine zum Wollscheeren erbaut hatte, wurde sie von 100 000 außer Arbeit gesetz- 1 9 3 ) Sieh u.a.: John Houghton: ,,Husbandry and Trade improved. Lond. 1727." „The Advan- tages of the East India Trade 1720", John Bellers I.e. "The masters and the men are unhappily in a perpetual war with each other. The invariable object of the former is to get their work 20 done as cheap as possibly; and they do not fail to employ every artifice to this purpose, whilst the latter are equally attentive to every occasion of distressing their masters into a compliance with higher demands." „An Inquiry into the causes of the Present High Price of Provisions". 1767, p. 61, 62. (Verf. Rev. Nathaniel Forster, ganz auf Seite der Arbeiter.) 1 9 4 ) Die Bandmühle ward in Deutschland erfunden. Der italienische Abbé Lancellotti in 25 einer Schrift, die 1636 zu Venedig erschien, erzählt: „Anton Müller aus Danzig habe vor un- gefähr 50 Jahren (L. schrieb 1629) eine sehr künstliche Maschine in Danzig gesehn, die 4 - 6 Gewebe auf einmal verfertigte; weil der Stadtrath aber besorgt habe, diese Erfindung möchte eine Masse Arbeiter zu Bettlern machen, so habe er die Erfindung unterdrückt und den Erfinder heimlich ersticken oder ersäufen lassen." In Leyden wurde dieselbe Maschine 30 zuerst 1621 angewandt. Die Erneuten der Bortenwirker zwangen den Magistrat erst zu ihrem Verbot; durch verschiedne Verordnungen von 1623, 1639 u.s.w. von Seiten der Generalstaa- ten sollte ihr Gebrauch beschränkt werden; endlich erlaubt, unter gewissen Bedingungen, durch Verordnung vom 5.December 1661. „In hac urbe", sagt Boxhorn („Inst. Pol. 1663") von der Einführung der Bandmühle in Leyden, „ante hos viginti circiter annos instrumentum qui- 35 dam invenerunt textorium, quo solus quis plus panni et facilius conficere poterat, quam plu- res aequali tempore. Hine turbae ortae et querulae textorum, tandemque usus hujus instru- menti a magistratu prohibitus est." Dieselbe Maschine ward 1676 in Köln verboten, während ihre Einführung in England gleichzeitige Arbeiterunruhen hervorrief. Durch kaiserliches Edikt vom 19. Februar 1685 wurde ihr Gebrauch in ganz Deutschland untersagt. In Hamburg 40 wurde sie öffentlich auf Befehl des Magistrats verbrannt. Karl VI. erneuerte 9. Februar 1719 das Edikt von 1685 und Chursachsen erlaubte ihren öffentlichen Gebrauch erst 1765. Diese Maschine, die so viel Lärm in der Welt gemacht hat, war in der That Vorläufer der Spinn- und Webmaschinen, also der industriellen Revolution des 18. Jahrhunderts. Sie befähigte einen in der Weberei ganz unerfahrnen Jungen, durch bloßes Ab- und Zustoßen einer Treibstange den 45 ganzen Stuhl mit allen seinen Schützen in Bewegung zu setzen, und lieferte, in ihrer verbes- serten Form, 4 0 - 5 0 Stück auf einmal. 385 Vierter Abschnitt.- Die Produktion des relativen Mehrwerts ten Menschen in Brand gesteckt. Gegen die scribbling mills und Kardirma- schinen Arkwright's petitionirten 50 000 Arbeiter, die bisher vom Wollkrat- zen gelebt, beim Parlament. Die massenhafte Zerstörung von Maschinen in den englischen Manufakturdistrikten während der ersten 15 Jahre des 19. Jahrhunderts, namentlich in Folge der Ausbeutung des Dampfweb- Stuhls bot, unter dem Namen der Ludditenbewegung, der Antijakobiner- Regierung eines Sidmouth, Castlereagh u.s.w. den Vorwand zu reaktionär- sten Gewaltschritten. Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und da- her seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen ge- 10 sellschaftliche Exploitationsform übertragen l e r n t 1 9 5 ) . 5 15 Die Kämpfe um den Arbeitslohn innerhalb der Manufaktur setzen die Manufaktur voraus und sind keineswegs gegen ihre Existenz gerichtet. So- weit die Bildung der Manufakturen bekämpft wird, geschieht es von den Zunftmeistern und privilegirten Städten, nicht von den Lohnarbeitern. Bei Schriftstellern der Manufakturperiode wird die Theilung der Arbeit daher vorherrschend als Mittel aufgefaßt, virtuell Arbeiter zu ersetzen, aber nicht wirklich Arbeiter zu verdrängen. Dieser Unterschied ist selbstverständlich. Sagt man z. B . , es würden 100 Millionen Menschen in England erheischt sein, um mit dem alten Spinnrad die Baumwolle zu verspinnen, die jetzt 20 von 500 000 mit der Maschine versponnen wird, so heißt das natürlich nicht, daß die Maschine den Platz dieser Millionen, die nie existirt haben, einnahm. Es heißt nur, daß viele Millionen Arbeiter erheischt wären, um die Spinnmaschinerie zu ersetzen. Sagt man dagegen, daß der Dampfweb- stuhl in England 800 000 Weber auf das Pflaster warf, so spricht man nicht 25 von existirender Maschinerie, die durch eine bestimmte Arbeiterzahl er- setzt werden müßte, sondern von einer existirenden Arbeiterzahl, die fak- tisch durch Maschinerie ersetzt oder verdrängt worden ist. Während der Manufakturperiode blieb der handwerksmäßige Betrieb, wenn auch zerlegt, die Grundlage. Die neuen Kolonialmärkte konnten durch die relativ 30 schwache ||395| Anzahl der vom Mittelalter überlieferten städtischen Ar- beiter nicht befriedigt werden, und die eigentlichen Manufakturen öffne- ten zugleich dem mit Auflösung der Feudalität von Grund und Boden ver- trat also an der jagten Landvolke neue Produktionsgebiete. Damals Theilung der Arbeit und der Kooperation in den Werkstätten mehr die po- 35 sitive Seite hervor, daß sie beschäftigte Arbeiter produktiver m a c h e n 1 9 6 ) . 1 9 5 ) In altmodischen Manufakturen wiederholt sich noch heut zuweilen die rohe Form der Arbeiterempörungen gegen die Maschinerie. So z.B. im Feilenschleifen zu Sheffield 1865. 1 9 6 ) Sir James Steuart faßt auch die Wirkung der Maschinerie noch ganz in diesem Sinn. «Je considère donc les machines comme des moyens d'augmenter (virtuellement) le nombre des 40 gens industrieux qu'on n'est pas obligé de nourrir ... En quoi l'effet d'une machine diffère-t-il 386 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 5 Kooperation und Kombination der Arbeitsmittel in den Händen Weniger rufen, auf die Agrikultur angewandt, zwar große, plötzliche und gewaltsa- me Revolutionen der Produktionsweise und daher der Leb ensb e dingung en und Beschäftigungsmittel der Landbevölkerung hervor, in vielen Ländern lang vor der Periode der großen Industrie. Aber dieser Kampf spielt ur- sprünglich mehr zwischen großen und kleinen Landeigenthümern als zwi- schen Kapital und Lohnarbeit; andrerseits, soweit Arbeiter durch Arbeits- mittel, Schafe, Pferde u. s. w. verdrängt werden, bilden unmittelbare Gewaltakte hier in erster Instanz die Voraussetzung der industriellen Re- 10 volution. Erst werden die Arbeiter vom Grund und Boden verjagt, und dann kommen die Schafe. Der Landdiebstahl auf großer Stufenleiter, wie in England, schafft der großen Agrikultur erst ihr Anwendungsfeld 1 9 6 a). In ihren Anfängen hat diese Umwälzung der Agrikultur daher mehr den Schein einer politischen Revolution. 15 Als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum Konkurrenten des Ar- beiters selbst 1 9 7). Die Selbstverwerthung des Kapitals durch die Maschine steht im direkten Verhältniß zur Arbeiter||396|zahl, deren Existenzbedin- gungen sie vernichtet. Das ganze System der kapitalistischen Produktion beruht darauf, daß der Arbeiter seine Arbeitskraft als Waare verkauft. Die 20 Theilung der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz partikulari- sirten Geschick, ein Theilwerkzeug zu führen. Sobald die Führung des Werkzeugs der Maschine anheimfällt, erlischt mit dem Gebrauchswerth der Tauschwerth der Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuflich, wie au- ßer Kurs gesetztes Papiergeld. Der Theil der Arbeiterklasse, den die Ma- 25 schinerie so in überflüssige, d. h. nicht länger zur Selbstverwerthung des Kapitals unmittelbar nothwendige Bevölkerung verwandelt, geht einerseits unter in dem ungleichen Kampf des alten handwerksmäßigen und manu- fakturmäßigen Betriebs wider den maschinenmäßigen, überfluthet andrer- seits alle leichter zugänglichen Industriezweige, überfüllt den Arbeitsmarkt 30 und senkt daher den Preis der Arbeitskraft unter ihren Werth. Ein großer Trost für die pauperisirten Arbeiter soll sein, daß ihre Leiden theils nur de celui de nouveaux habitants?» (Fzs. Uebers. t.I, 1.1, ch.XIX.) Viel naiver Petty, der sagt, daß sie die „Polygamie" ersetze. Dieser Gesichtspunkt paßt höchstens für einige Theile der Ver. Staaten. Dagegen: "Machinery can seldom be used with success to abridge the labour of an individual; more time would be lost in its construction than could be saved by its applica- tion. It is only really useful when it acts on great masses, when a single machine can assist the work of thousands. It is accordingly in the most populous countries, where there are most idle men, that it is most abundant ... It is not called into use by a scarcity of men, but by the facil- ity with which they can be brought to work in masses." (Piercy Ravenstone: ,,Thoughts on the 35 40 Funding System and its Effects. Lond. 1824", p. 45.) 1 9 6 a ) (Zur 4. Aufl. - Dieß gilt auch für Deutschland. Wo bei uns große Agrikultur besteht, also namentlich im Osten, ist sie erst möglich geworden durch das, seit dem 16. Jahrhundert, na- mentlich aber seit 1648, eingerissene „Bauernlegen". - D. H.) 1 9 7 ) "Machinery and labour are in constant competition." (Ricardo I.e. p.479.) 387 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 „zeitlich" („a temporary inconvenience"), theils daß die Maschinerie sich nur allmählig eines ganzen Produktionsfelds bemächtigt, wodurch Umfang und Intensität ihrer vernichtenden Wirkung gebrochen werde. Der eine Trost schlägt den andren. Wo die Maschine allmählig ein Produktionsfeld ergreift, producirt sie chronisches Elend in der mit ihr konkurrirenden Ar- beiterschichte. Wo der Uebergang rasch, wirkt sie massenhaft und akut. Die Weltgeschichte bietet kein entsetzlicheres Schauspiel als den allmähli- gen, über Decennien verschleppten, endlich 1838 besiegelten Untergang der englischen Handbaumwollweber. Viele von ihnen starben am Hunger- tod, viele vegetirten lange mit ihren Familien auf 2%d. täglich 1 9 8). Akut 10 dagegen wirkte die ||397| englische Baumwollmaschinerie auf Ostindien, dessen Generalgouverneur 1 8 3 4 - 3 5 konstatirte: „Das Elend findet kaum eine Parallele in der Geschichte des Handels. Die Knochen der Baumwoll- weber bleichen die Ebenen von Indien." Allerdings, sofern diese Weber das Zeitliche segneten, bereitete ihnen die Maschine nur „zeitliche Miß- 15 stände". Uebrigens ist die „zeitliche" Wirkung der Maschinerie permanent, indem sie beständig neue Produktionsgebiete ergreift. Die verselbständigte und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise über- haupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter gibt, entwickelt sich also mit der Maschinerie zum vollständigen 20 Gegensatz 1 9 9). Daher mit ihr zum erstenmal die brutale Revolte des Arbei- ters gegen das Arbeitsmittel. 1 9 8 ) Die Konkurrenz zwischen Handgeweb und Maschinengeweb wurde in England vor der Einführung des Armengesetzes von 1834 dadurch verlängert, daß man die tief unter das Mini- mum gefallenen Löhne durch Pfarreiunterstützung ergänzte. "The Rev. Mr. Turner was in 25 1827 rector of Wilms to we, in Cheshire, a manufacturing district. The questions of the Com- mittee of Emigration, and Mr. Turner's answers show how the competition of human labour is maintained against machinery. Question: 'Has not the use of the power-loom superseded the use of the hand-loom?' Answer: 'Undoubtedly; it would have superseded them much more than it has done, if the handloom weavers were not enabled to submit to a reduction of 30 wages.' Question: 'But in submitting he has accepted wages which are insufficient to support him, and looks to parochial contribution as the remainder of his support?' Answer: 'Yes, and in fact the competition between the hand-loom and the power-loom is maintained out of the poor-rates.' Thus degrading pauperism or expatriation, is the benefit which the industrious re- ceive from the introduction of machinery, to be reduced from the respectable and in some de- 35 gree independent mechanic, to the cringing wretch who lives on the debasing bread of charity. This they call a temporary inconvenience." („A Prize Essay on the comparative merits of Competition and Cooperation. Lond. 1834", p. 29.) 1 9 9 ) "The same cause which may increase the revenue of the country (d. h., wie Ricardo an derselben Stelle erläutert, the revenues of landlords and capitalists, deren Wealth, ökono- 40 misch betrachtet, überhaupt = Wealth of the Nation) may at the same time render the popu- lation redundant and deteriorate the condition of the labourer." (Ricardo I.e. p. 469.) „Der be- ständige Zweck und die Tendenz jeder Vervollkommnung des Mechanismus ist in der That, sich der Arbeit des Menschen ganz zu entschlagen oder ihren Preis zu vermindern durch Sub- stitution von Weiber- und Kinderarbeit für die der erwachsnen männlichen Arbeiter, oder ro- 45 her Arbeiter für geschickte." (Ure.) 388 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie eiserner zu vollenden" 2 0 0). für menschliche Apparate Das Arbeitsmittel erschlägt den Arbeiter. Dieser direkte Gegensatz er- scheint allerdings am handgreiflichsten, so oft neu eingeführte Maschine- rie konkurrirt mit überliefertem Handwerks- oder Manufakturbetrieb. Aber innerhalb der großen Industrie selbst wirkt fortwährende Verbeßrung der 5 Maschinerie und Entwicklung des automatischen Systems analog. „Der be- ständige Zweck verbesserter Maschinerie ist, die Handarbeit zu vermin- dern oder einen Ring in der Produktionskette der Fabrik durch Substitu- tion „Die Anwendung von Dampf- und Wasserkraft auf Maschinerie, die bisher mit 10 der Hand bewegt wurde, ist das Ereigniß jedes Tages ... Die kleineren Ver- beßrungen in der Maschinerie, welche Oekonomie der Bewegungskraft, Verbeßrung des Machwerks, vermehrte Produktion in derselben Zeit oder Verdrängung eines Kindes, eines Frauenzimmers oder eines Mannes be- zwecken, sind konstant, und obgleich scheinbar nicht von großem Ge- 15 wicht, haben sie dennoch ||398| wichtige Resultate" 2 0 1). „Ueberau, wo eine Operation viel Geschick und eine sichre Hand verlangt, entzieht man sie so schnell als möglich den Armen des zu geschickten und oft zu Unregel- mäßigkeiten aller Art geneigten Arbeiters, um einen besondren Mechanis- mus damit zu betrauen, der so gut geregelt ist, daß ein Kind ihn überwa- 20 chen k a n n " 2 0 2 ) . „Im automatischen System wird das Talent des Arbeiters progressiv verdrängt" 2 0 3). „Die Verbeßrung der Maschinerie erfordert nicht nur Vermindrung in der Anzahl der beschäftigten erwachsnen Arbeiter zur Erzielung eines bestimmten Resultats, sondern sie substituirt eine Klasse von Individuen einer andren Klasse, eine minder geschickte einer ge- schickteren, Kinder den Erwachsnen, Frauen den Männern. Alle diese Wechsel verursachen beständige Fluktuationen in der Rate des Arbeits- l o h n s " 2 0 4 ) . „Die Maschinerie wirft unaufhörlich Erwachsne aus der Fabrik heraus" 2 0 5). Die außerordentliche Elasticität des Maschinenwesens in 2 0 0 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1858", p. 43. 2 0 1 ) „Reports etc. 31st Oct. 1856", p. 15. 2 0 2 ) Ure I.e. p. 19. „Der große Vortheil der im Ziegelbacken angewandten Maschinerie besteht darin, den Anwender ganz und gar von geschickten Arbeitern unabhängig zu machen." („Ch. Empi. Comm. V.Report. Lond. 1866", p. 130, n.46.) 25 30 Zusatz z. 2. A. Herr A. Sturrock, Superintendent des Maschinendepartements der ,,Great 35 Northern Railway" sagt aus mit Bezug auf Maschinenbau (Lokomotiven u. s.w.): „Kostspielige (expensive) englische Arbeiter werden jeden Tag weniger gebraucht. Die Produktion wird ver- mehrt durch die Anwendung verbesserter Instrumente, und diese Instrumente werden ihrerseits bedient von einer niedrigen Sorte Arbeit (a low class of labour) ... Früher producirte geschickte Arbeit nothwendiger Weise alle Theile der Dampfmaschine. Dieselben Theile wer- den jetzt producirt durch Arbeit mit weniger Geschick, aber guten Instrumenten ... Unter In- strumenten verstehe ich die beim Maschinenbau angewandten Maschinen." („Royal Commis- sion on Railways. Minutes of Evidence, n. 17 862 und 17 863. London 1867".) 2 0 3 ) Ure I.e. p.20. 2 0 4 ) I.e. p.321. 2 0 5 ) I.e. p.23. 40 45 389 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 in einem über ]/ 2 des Arbeiterpersonals beseitigt, während die 15 Folge gehäufter praktischer Erfahrung, des schon vorhandnen Umfangs mechanischer Mittel und des beständigen Fortschritts der Technik zeigte uns sein Sturmmarsch unter dem Druck eines verkürzten Arbeitstags. Aber wer hätte 1860, im Zenithjahr der englischen Baumwollindustrie, die ga- loppirenden Verbesserungen der Maschinerie und die entsprechende De- placirung von Handarbeit geahnt, welche die drei folgenden Jahre unter dem Stachel des amerikanischen Bürgerkriegs hervorriefen? Von den offi- ciellen Anführungen der englischen Fabrikinspektoren über diesen Punkt genügen hier ein paar Beispiele. Ein Manchester Fabrikant erklärt: „Statt 75 Kardir|1399|maschinen brauchen wir jetzt nur 12, welche dieselbe Quan- 10 tität von ebenso guter, wenn nicht beßrer Qualität liefern ... Die Ersparung an Arbeitslohn beträgt 10 Pfd. St. wöchentlich, die an Baumwollabfall 10 %." In einer Manchester Feinspinnerei wurde „vermittelst beschleunigter Bewegung und Einführung verschiedner self-acting Processe in einem De- partement Kämmmaschine an der Stelle der zweiten Kardirmaschine die Zahl der früher im Kardirraum beschäftigten Hände sehr vermindert hat". Eine and- re Spinnfabrik schätzt ihre allgemeine Ersparung von „Händen" auf 10 % Die Herren Gilmore, Spinner zu Manchester, erklären: „In unsrem blowing Departement schätzten wir die in Folge neuer Maschinerie gemachte Er- 20 sparung an Händen und Arbeitslohn auf ein volles Drittel . . . i n dem jack frame und drawing frame room ungefähr % weniger in Auslage und Hän- den; im Spinnraum ungefähr % weniger in Auslage. Aber das ist nicht alles; wenn unser Garn jetzt zum Weber geht, ist es so sehr verbessert durch die Anwendung der neuen Maschinerie, daß sie mehr und besseres Gewebe als 25 mit dem alten Maschinengarn produciren" 2 0 6). Fabrikinspektor A. Red- grave bemerkt hierzu: „Die Verminderung der Arbeiter bei gesteigerter Produktion schreitet rasch vorwärts; in den Wollfabriken begann kürzlich eine neue Reduktion der Hände, und sie dauert fort; vor wenigen Tagen sagte mir ein Schulmeister, der bei Rochdale wohnt, die große Abnahme in 30 den Mädchenschulen sei nicht nur dem Druck der Krise geschuldet, son- dern auch den Aenderungen in der Maschinerie der Wollfabrik, in Folge deren eine Durchschnittsreduktion von 70 Halbzeitlern stattgefunden" 2 0 7). 2 0 6 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1863", p. 108 sqq. 2 0 7 ) I.e. p. 109. Die rasche Verbesserung der Maschinerie während der Baumwollkrise erlaubte 35 den englischen Fabrikanten gleich nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs im Umsehen den Weltmarkt wieder zu überfüllen. Die Gewebe wurden schon während der letz- ten 6 Monate von 1866 fast unverkäuflich. Damit fing die Konsignation der Waaren nach China und Indien an, was den ,,glut" natürlich noch intensiver machte. Anfang 1867 nahmen die Fabrikanten zu ihrem gewöhnlichen Ausfluchtsmittel Zuflucht, Herabsetzung des Ar- 40 beitslohns um 5 %. Die Arbeiter widersetzten sich und erklärten, theoretisch ganz richtig, das 390 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Das Gesammtresultat der dem amerikanischen Bürgerkrieg geschulde- ten mechanischen Verbesserungen in der englischen Baumwollindustrie zeigt folgende Tabelle: | |400| Zahl der Fabriken. 1856 2046 152 12 2210 1861 2715 163 9 2887 England und Wales Schottland Irland Vereinigtes Königreich Anzahl der Dampfwebstühle. England und Wales Schottland Irland Vereinigtes Königreich 1856 275 590 21624 1633 298 847 1861 368 125 30110 1757 399 992 1868 2405 131 13 2549 1868 344 719 31864 2 746 379 329 Anzahl der Spindeln. England und Wales Schottland Irland Vereinigtes Königreich 25 818 576 2 041129 150 512 28010217 28 352125 1915 398 119 944 30 387 467 30 478 228 1397 546 124240 32 000014 Anzahl der beschäftigten Personen. England und Wales Schottland Irland Vereinigtes Königreich 341170 34 698 3 345 379213 407 598 41237 2 734 451569 357 052 39 809 4203 401064 Von 1861 bis 1868 verschwanden also 338 Baumwollfabriken; d.h. pro- duktivere und großartigere Maschinerie koncentrirte sich in den Händen einer geringem Zahl von Kapitalisten. Die Zahl der Dampfwebstühle nahm ab um 20 663; aber ihr Produkt hatte sich gleichzeitig vermehrt, sodaß ein 30 verbesserter Webstuhl jetzt mehr leistete als ein alter. Endlich die Spindel- zahl wuchs um 1 6 1 2 547, während die Zahl der beschäftigten Arbeiter um 50 505 abnahm. Das „zeitweilige" Elend, womit die Baumwollkrise die Ar- beiter erdrückte, wurde also gesteigert und befestigt durch raschen und an- haltenden Fortschritt der Maschinerie. 35 Die Maschinerie wirkt jedoch nicht nur als übermächtiger Konkurrent, stets auf dem Sprung, den Lohnarbeiter „überflüssig" zu machen. Als ihm feindliche Potenz wird sie laut und tendenziell vom Kapital proklamirt einzige Heilmittel sei, kurze Zeit, 4 Tage per Woche, zu arbeiten. Nach längerem Sträuben mußten die selbst ernannten Industriekapitäne sich hierzu entschließen, an einigen Stellen 40 mit, an andren ohne Lohnherabsetzung um 5%. 391 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts und gehandhabt. Sie wird das machtvollste Kriegsmittel zur Niederschla- gung der periodischen Arbeiteraufstände, strikes u.s.w. wider die Autokra- tie des Kapitals 2 0 8). ||401| Nach Gaskell war gleich die Dampfmaschine ein Antagonist der „Menschenkraft", der den Kapitalisten befähigte, die stei- genden Ansprüche der Arbeiter niederzuschmettern, die das beginnende Fabriksystem zur Krise zu treiben drohten 2 0 9). Man könnte eine ganze Ge- schichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloß als Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiter erneuten ins Leben traten. Wir erinnern vor allem an die selfacting mule, weil sie eine neue Epoche des automatischen Sy- stems eröffnet 2 1 0). 5 10 In seiner Aussage vor der Trades' Unions Commission berichtet Nas- myth, der Erfinder des Dampfhammers, wie folgt über die Verbeßrungen der Maschinerie, die er einführte in Folge des großen und langen Strikes der Maschinenarbeiter 1851: „Der bezeichnende Zug unsrer modernen me- chanischen Verbeßrungen ist die Einführung selbstthätiger Werkzeugma- 15 schinen. Was jetzt ein mechanischer Arbeiter zu thun hat, und was jeder Junge thun kann, ist nicht, selbst zu arbeiten, sondern die schöne Arbeit der Maschine zu überwachen. Die ganze von ihrer Geschicklichkeit aus- schließlich abhängende Klasse von Arbeitern ist jetzt beseitigt. Früher be- schäftigte ich vier Jungen auf einen Mechaniker. Dank diesen neuen me- 20 chanischen Kombinationen habe ich die Zahl der erwachsenen Männer von 1500 auf 750 reducirt. Die Folge war eine bedeutende Vermehrung meines Profits." Ure sagt von einer Maschine zum Farbendruck in den Kattundrucke- reien: „Endlich suchten sich die Kapitalisten von dieser unerträglichen 25 Sklaverei (nämlich den ihnen lästigen Kontraktsbedingungen der Arbeiter) zu befreien, indem sie die Hülfsquellen der Wissenschaft anriefen, und bald waren sie reintegrirt in ihre legitimen Rechte, die des Kopfes über die andern Körpertheile." Er sagt von einer Erfindung zum Kettenschlichten, deren unmittelbarer Anlaß ein strike: „Die Horde der Unzufriednen, die 30 sich hinter den alten Linien der Theilung der Arbeit unbesiegbar ver- schanzt wähnte, sah sich so in die Flanke genommen und ihre Vertheidi- gungsmittel vernichtet durch die moderne mechanische ||402| Taktik. Sie mußten sich auf Gnade und Ungnade ergeben." Er sagt von der Erfindung 2 0 8 ) „Das Verhältniß zwischen Meistern und Händen in den Flint- und Flaschenglas-Bläse- reien ist ein chronischer strike." Daher der Aufschwung der Manufaktur des gepreßten Glases, wo die Hauptoperationen durch Maschinerie ausgeführt werden. Eine Firma bei Newcastle, die früher jährlich 350000 Pfund geblasnes Flintglas producirte, producirt jetzt statt dessen 3 000 500 Pfund gepreßtes Glas. („Ch. Empi. Comm. IV.Rep. 1865", p. 262, 263.) 2 0 9 ) Gaskell: „The Manufacturing Population of England. Lond. 1833", p.34, 35. 2 1 0 ) Einige sehr bedeutende Anwendungen von Maschinen zum Maschinenbau erfand Herr Fairbairn in Folge von strikes in seiner eignen Maschinenfabrik. 35 40 392 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie der selfacting mule: „Sie war berufen, die Ordnung unter den industriellen Klassen wieder herzustellen ... Diese Erfindung bestätigt die von uns be- reits entwickelte Doktrin, daß das Kapital, indem es die Wissenschaft in seinen Dienst preßt, stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit 5 zwingt" 2 1 1). Obgleich Ure's Schrift 1835 erschien, also zur Zeit eines relativ noch schwach entwickelten Fabriksystems, bleibt sie der klassische Aus- druck des Fabrikgeists, nicht nur wegen ihres offenherzigen Cynismus, sondern auch wegen der Naivetät, womit er die gedankenlosen Widersprü- che des Kapitalhirns ausplaudert. Nachdem er z . B . die „Doktrin" entwik- 10 kelt, daß das Kapital mit Hülfe der von ihm in Sold genommenen Wissen- schaft „stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit zwingt", entrüstet er sich darüber, „daß man von gewisser Seite die mechanisch- physische Wissenschaft anklagt, sich dem Despotismus reicher Kapitali- sten zu leihen und zum Unterdrückungsmittel der armen Klassen herzuge- 15 ben." Nachdem er weit und breit gepredigt, wie vortheilhaft rasche Entwicklung der Maschinerie den Arbeitern, warnt er sie, daß sie durch ihre Widersetzlichkeit, Strikes u.s.w., die Entwicklung der Maschinerie be- schleunigen. „Derartige gewaltsame Revolten", sagt er, „zeigen die menschliche Kurzsichtigkeit in ihrem verächtlichsten Charakter, dem Cha- rakter eines Menschen, der sich zu seinem eignen Henker macht." Wenige Seiten vorher heißt es umgekehrt: „Ohne die heftigen Kollisionen und Un- terbrechungen, verursacht durch die irrigen Ansichten der Arbeiter, hätte sich das Fabriksystem noch viel rascher entwickelt und viel nützlicher für alle interessirten Parteien." Dann ruft er wieder aus: „Zum Glück für die 25 Bevölkerung der Fabrikbezirke Großbritanniens finden die Verbeßrungen in der Mechanik nur allmählig statt." „Mit Unrecht", sagt er, „klagt man die Maschinen an, daß sie den Arbeitslohn der Erwachsnen vermindern, indem sie einen Theil derselben verdrängen, wodurch ihre Anzahl das Be- dürfniß nach Arbeit übersteigt. Aber sie vermehren die Nachfrage nach 30 Kinderarbeit und erhöhen damit deren Lohnrate." Derselbe Trostspender vertheidigt andrerseits die Niedrigkeit der Kinderlöhne damit, daß „sie die Eltern abhalten, ihre Kinder zu früh in die Fabriken zu schicken". Sein ganzes Buch ist eine Apologie des unbeschränkten Arbeitstags und es erin- nert seine liberale Seele an die dunkelsten ||403| Zeiten des Mittelalters, 35 wenn die Gesetzgebung verbietet, Kinder von 13 Jahren mehr als 12 Stun- den per Tag abzurackern. Dieß hält ihn nicht ab, die Fabrikarbeiter zu einem Dankgebet an die Vorsehung aufzufordern, die ihnen durch die Ma- schinerie „die Muße verschafft habe, über ihre unsterblichen Interessen nachzudenken" 2 1 2). 20 40 2 1 1 ) Ure I.e. p.367-70. 2 1 2 ) Ure I.e. p.368, 7, 370, 280, 321, 322, 281, 475. 393 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts 6. Die Kompensationstheorie bezüglich der durch Maschinerie verdrängten Arbeiter. Eine ganze Reihe bürgerlicher Oekonomen, wie James Mill, MacCulloch, Torrens, Senior, J. St.Mill u.s.w., behauptet, daß alle Maschinerie, die Ar- beiter verdrängt, stets gleichzeitig und nothwendig ein adäquates Kapital zur Beschäftigung derselben identischen Arbeiter freisetzt 2 1 3). 5 Man unterstelle, ein Kapitalist wende 100 Arbeiter an z . B . in einer Ta- petenmanufaktur, den Mann zu 30 Pfd. St. jährlich. Das von ihm jährlich ausgelegte variable Kapital beträgt also 3000 Pfd. St. Er entlasse 50 Arbei- ter und beschäftige die übrigbleibenden 50 mit einer Maschinerie, die ihm 10 1500 Pfd. St. kostet. Der Vereinfachung halber wird von Baulichkeiten, Kohlen u.s.w. abgesehn. Man nimmt ferner an, das jährlich verzehrte Roh- material koste nach wie vor 3000 Pfd. S t . 2 1 4 ) . Ist durch diese Metamorpho- se irgend ein Kapital „freigesetzt"? In der alten Betriebsweise bestand die ausgelegte Gesammtsumme von 6000 Pfd. St. halb aus konstantem und 15 halb aus variablem Kapital. Sie besteht jetzt aus 4500 Pfd. St. (3000 Pfd. St. für Rohmaterial und 1500 Pfd. St. für Maschinerie) konstantem und 1500 Pfd. St. variablem Kapital. Statt der Hälfte bildet der variable oder in lebendige Arbeitskraft umgesetzte Kapitaltheil nur noch % des Gesammt- kapitals. Statt der Freisetzung findet hier Bindung von Kapital in einer 20 Form statt, worin es aufhört sich gegen Arbeitskraft auszutauschen, d. h. Verwandlung von variablem in konstantes Kapital. Das Kapital von 6000 Pfd. St. kann, unter sonst gleichbleibenden Umständen, jetzt niemals mehr als 50 Arbeiter beschäftigen. Mit jeder Verbeßrung der Maschinerie beschäftigt ||404| es weniger. Kostete die neu eingeführte Maschinerie we- 25 niger als die Summe der von ihr verdrängten Arbeitskraft und Arbeits Werk- zeuge, also z . B . statt 1500 nur 1000 Pfd. St., so würde ein variables Kapital von 1000 Pfd. St. in konstantes verwandelt oder gebunden, während ein Kapital von 500 Pfd. St. freigesetzt würde. Letzteres, denselben Jahreslohn unterstellt, bildet einen Beschäftigungsfonds für ungefähr 16 Arbeiter, 30 während 50 entlassen sind, ja für viel weniger als 16 Arbeiter, da die 500 Pfd. St. zu ihrer Verwandlung in Kapital wieder zum Theil in konstan- tes Kapital verwandelt werden müssen, also auch nur zum Theil in Arbeits- kraft umgesetzt werden können. Indeß, gesetzt auch, die Anfertigung der neuen Maschinerie beschäftige 35 2 1 3 ) Ricardo theilte ursprünglich diese Ansicht, widerrief sie aber später ausdrücklich mit sei- ner charakteristischen wissenschaftlichen Unbefangenheit und Wahrheitsliebe. Sieh 1. c. ch. XXXI. „On Machinery". 2 1 4 ) Nb., ich gebe die Illustration ganz in der Weise der obengenannten Oekonomen. 394 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie eine größre Anzahl Mechaniker; soll das eine Kompensation sein für die aufs Pflaster geworfnen Tapetenmacher? Im besten Fall beschäftigt ihre Anfertigung weniger Arbeiter, als ihre Anwendung verdrängt. Die Summe von 1500 Pfd. St., die nur den Arbeitslohn der entlaßnen Tapetenmacher 5 darstellte, stellt jetzt, in der Gestalt von Maschinerie, dar: 1) den Werth der zu ihrer Herstellung erforderlichen Produktionsmittel, 2) den Arbeitslohn der sie anfertigenden Mechaniker, 3) den ihrem „Meister" zufallenden Mehrwerth. Ferner: einmal fertig, braucht die Maschine nicht erneuert zu werden bis nach ihrem Tod. Um also die zusätzliche Anzahl Mechaniker 10 dauernd zu beschäftigen, muß ein Tapetenfabrikant nach dem andern Ar- beiter durch Maschinen verdrängen. In der That meinen jene Apologeten auch nicht diese Art Freisetzung von Kapital. Sie meinen die Lebensmittel der freigesetzten Arbeiter. Es kann nicht geläugnet werden, daß im obigen Fall z.B. die Maschinerie 15 nicht nur 50 Arbeiter freisetzt und dadurch „disponibel" macht, sondern zugleich ihren Zusammenhang mit Lebensmitteln zum Werth von 1500 Pfd. St. aufhebt und so diese Lebensmittel „freisetzt". Die einfache und keineswegs neue Thatsache, daß die Maschinerie den Arbeiter von Le- bensmitteln freisetzt, lautet also ökonomisch, daß die Maschinerie Lebens- 20 mittel für den Arbeiter freisetzt oder in Kapital zu seiner Anwendung ver- wandelt. Man sieht, es kommt alles auf die Ausdrucksweise an. Nominibus mollire licet mala. Nach dieser Theorie waren die Lebensmittel zum Werth von 1500 Pfd. St. ein durch die Arbeit der fünfzig entlaßnen Tapetenarbeiter verwertetes 25 Kapital. Dieß Kapital verliert folglich seine Beschäftigung, sobald die fünf- zig Feiertag bekommen, und hat ||405| nicht Ruh noch Rast, bis es eine neue „Anlage" gefunden, worin besagte fünfzig es wieder produktiv konsu- miren können. Früher oder später müssen also Kapital und Arbeiter sich wieder zusammenfinden, und dann ist die Kompensation da. Die Leiden 30 der durch die Maschinerie verdrängten Arbeiter sind also ebenso vergäng- lich wie die Reichthümer dieser Welt. 35 Die Lebensmittel zum Betrag von 1500 Pfd. St. standen den entlaßnen Arbeitern niemals als Kapital gegenüber. Was ihnen als Kapital gegenüber- stand, waren die jetzt in Maschinerie verwandelten 1500 Pfd. St. Näher be- trachtet repräsentirten diese 1500 Pfd. St. nur einen Theil der vermittelst der entlaßnen 50 Arbeiter jährlich producirten Tapeten, die sie in Geld- form statt in natura von ihrem Anwender zum Lohn erhielten. Mit den in 1500 Pfd. St. verwandelten Tapeten kauften sie Lebensmittel zu demselben Betrag. Diese existirten für sie daher nicht als Kapital, sondern als Waaren, 40 und sie selbst existirten für diese Waaren nicht als Lohnarbeiter, sondern als Käufer. Der Umstand, daß die Maschinerie sie von Kaufmitteln „frei- 395 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts gesetzt" hat, verwandelt sie aus Käufern in Nicht-Käufer. Daher vermin- derte Nachfrage für jene Waaren. Voilà tout. Wird diese verminderte Nach- frage nicht durch vermehrte Nachfrage von andrer Seite kompensirt, so sinkt der Marktpreis der Waaren. Dauert dieß länger und in größrem Um- fange, so erfolgt ein Deplacement der in der Produktion jener Waaren be- schäftigten Arbeiter. Ein Theil des Kapitals, das früher nothwendige Le- bensmittel producirte, wird in andrer Form reproducirt. Während des Falls der Marktpreise und des Deplacements von Kapital werden auch die in der Produktion der nothwendigen Lebensmittel beschäftigten Arbeiter von einem Theil ihres Lohns „freigesetzt". Statt also zu beweisen, daß die Ma- 10 schinerie durch die Freisetzung der Arbeiter von Lebensmitteln letztere gleichzeitig in Kapital zur Anwendung der erstren verwandelt, beweist der Herr Apologet mit dem probaten Gesetz von Nachfrage und Zufuhr umge- kehrt, daß die Maschinerie nicht nur in dem Produktionszweig, worin sie eingeführt, sondern auch in den Produktionszweigen, worin sie nicht ein- geführt wird, Arbeiter aufs Pflaster wirft. 15 5 20 Die wirklichen, vom ökonomischen Optimismus travestirten Thatsachen sind diese: Die von der Maschinerie verdrängten Arbeiter werden aus der Werkstatt hinaus auf den Arbeitsmarkt geworfen und vermehren dort die Zahl der schon für kapitalistische Ausbeutung disponiblen Arbeitskräfte. Im siebenten Abschnitt wird ||406| sich zeigen, daß diese Wirkung der Ma- schinerie, die uns hier als eine Kompensation für die Arbeiterklasse darge- stellt wird, den Arbeiter im Gegentheil als furchtbarste Geißel trifft. Hier nur dieß: Die aus einem Industriezweig hinausgeworfnen Arbeiter können allerdings in irgend einem andern Beschäftigung suchen. Finden sie sol- 25 che, und knüpft sich damit das Band zwischen ihnen und den mit ihnen freigesetzten Lebensmitteln wieder, so geschieht dieß vermittelst eines neuen, zuschüssigen Kapitals, das nach Anlage drängt, keineswegs aber vermittelst des schon früher funktionirenden und jetzt in Maschinerie ver- wandelten Kapitals. Und selbst dann, wie geringe Aussicht haben sie! Ver- 30 krüppelt durch die Theilung der Arbeit, sind diese armen Teufel außerhalb ihres alten Arbeitskreises so wenig werth, daß sie nur in wenigen niedrigen und daher beständig überfüllten und unterbezahlten Arbeitszweigen Zu- gang finden 2 1 5). Ferner attrahirt jeder Industriezweig jährlich einen neuen Menschenstrom, der ihm sein Kontingent zum regelmäßigen Ersatz und 35 2 1 5 ) Ein Ricardianer bemerkt hierüber gegen die Fadaisen J . B . Say's: „Bei entwickelter Thei- lung der Arbeit ist das Geschick der Arbeiter nur in dem besondren Zweig anwendbar, worin sie angelernt wurden; sie selbst sind eine Art von Maschinen. Es hilft daher absolut nichts, pa- pageimäßig zu plappern, daß die Dinge eine Tendenz haben, ihr Niveau zu finden. Wir müs- sen um uns schauen und sehn, daß sie für lange Zeit ihr Niveau nicht finden können; daß 40 wenn sie es finden, das Niveau niedriger steht als beim Anfang des Processes." („An Inquiry into those Principles respecting the Nature of Demand etc. Lond. 1821", p. 72.) 3 9 6 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie Wachsthum liefert. Sobald die Maschinerie einen Theil der bisher in einem bestimmten Industriezweig beschäftigten Arbeiter freisetzt, wird auch die Ersatzmannschaft neu vertheilt und in andern Arbeitszweigen ab- sorbirt, während die ursprünglichen Opfer in der Uebergangszeit großen- theils verkommen und verkümmern. 5 15 Es ist eine unzweifelhafte Thatsache, daß die Maschinerie an sich nicht verantwortlich ist für die „Freisetzung" der Arbeiter von Lebensmitteln. Sie verwohlfeilert und vermehrt das Produkt in dem Zweig, den sie ergreift, und läßt die in andren Industriezweigen producirte Lebensmittel-Masse 10 zunächst unverändert. Nach wie vor ihrer Einführung besitzt die Gesell- schaft also gleichviel oder mehr Lebensmittel für die deplacirten Arbeiter, ganz abgesehn von dem enormen Theil des jährlichen Produkts, der von Nichtarb eitern vergeudet wird. Und dieß ist die Pointe der ökonomisti- schen Apologetik! Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschine- rie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existiren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, ||407| sondern aus ihrer kapita- listischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Ar- beitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag ver- längert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft unterjocht, an sich den Reichthum des Producenten vermehrt, kapitalistisch ange- wandt ihn verpaupert u.s.w., erklärt der bürgerliche Oekonom einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, daß alle jene hand- 25 greiflichen Widersprüche bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch in der Theorie gar nicht vorhanden sind. Er spart sich so alles weitre Kopfzerbrechen und bürdet seinem Gegner obendrein die Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der Maschinerie zu bekämpfen, sondern die Maschinerie selbst. 20 30 Keineswegs läugnet der bürgerliche Oekonom, daß dabei auch zeitwei- lige Unannehmlichkeiten herauskommen; aber wo gäbe es eine Medaille ohne Kehrseite! Eine andre als die kapitalistische Ausnutzung der Maschi- nerie ist für ihn unmöglich. Ausbeutung des Arbeiters durch die Maschine ist ihm also identisch mit Ausbeutung der Maschine durch den Arbeiter. 35 Wer also enthüllt, wie es um die kapitalistische Anwendung der Maschine- rie in Wirklichkeit bestellt ist, der will ihre Anwendung überhaupt nicht, der ist ein Gegner des sozialen Fortschritts! 2 1 6) Ganz das Raisonnement 2 1 6 ) Ein Virtuose in diesem anmaßlichen Cretinismus ist u.a. MacCulloch. „Wenn es vortheil- haft ist", sagt er z.B. mit der affektirten Naivetät eines Kindes von 8 Jahren, „das Geschick 40 des Arbeiters mehr und mehr zu entwickeln, so daß er fähig wird, ein stets wachsendes Waa- renquantum mit demselben oder geringerem Arbeitsquantum zu produciren, so muß es auch 397 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts des berühmten Gurgelschneiders Bill Sykes: „Meine Herren Geschwornen, diesen Handlungsreisenden ist allerdings die Gurgel abgeschnitten wor- den. Diese Thatsache aber ist nicht meine Schuld, sie ist die Schuld des Messers. Sollen wir wegen solcher zeitweiligen Unannehmlichkeiten den Gebrauch des Messers abschaffen? Bedenken Sie ja! Wo wäre Ackerbau und Handwerk ohne Messer? Ist es nicht ebenso heilbringend in der Chir- urgie wie gelehrt in der Anatomie? Dazu williger Gehülfe bei fröhlichem Mahl? Schaffen Sie das Messer ab - Sie schleudern uns zurück in die tief- ste B a r b a r e i " 2 1 6 a ) . | 5 |408| Obwohl die Maschinerie nothwendig Arbeiter verdrängt in den Ar- 10 beitszweigen, wo sie eingeführt wird, so kann sie dennoch eine Zunahme von Beschäftigung in andern Arbeitszweigen hervorrufen. Diese Wirkung hat aber nichts gemein mit der sogenannten Kompensationstheorie. Da j e - des Maschinenprodukt, z.B. eine Elle Maschinengeweb, wohlfeiler ist als das von ihm verdrängte gleichartige Handprodukt, folgt als absolutes Ge- 15 setz: Bleibt das Gesammtquantum des maschinenmäßig producirten Arti- kels gleich dem Gesammtquantum des von ihm ersetzten handwerks- oder manufakturmäßig producirten Artikels, so vermindert sich die Gesammt- summe der angewandten Arbeit. Die etwa zur Produktion der Arbeitsmittel selbst, der Maschinerie, Kohle u. s. w., erheischte Arbeitszunahme muß 20 kleiner sein als die durch Anwendung der Maschinerie bewirkte Arbeitsab- nahme. Das Maschinenprodukt wäre sonst eben so theuer oder theurer als das Handprodukt. Statt aber gleich zu bleiben, wächst thatsächlich die Ge- sammtmasse des von einer verminderten Arbeiteranzahl producirten Ma- schinenartikels weit über die Gesammtmasse des verdrängten Handwerks- 25 artikels. Gesetzt 400 000 Ellen Maschinengeweb würden von weniger Arbeitern producirt als 100 000 Ellen Handgeweb. In dem vervierfachten Produkt steckt viermal mehr Rohmaterial. Die Produktion des Rohmate- rials muß also vervierfacht werden. Was aber die verzehrten Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Kohlen, Maschinen u. s. w. betrifft, so ändert sich die 30 Grenze, innerhalb deren die zu ihrer Produktion erheischte zusätzliche Ar- beit wachsen kann, mit der Differenz zwischen der Masse des Maschinen- produkts und der Masse des von derselben Arbeiterzahl herstellbaren Handprodukts. Mit der Ausdehnung des Maschinenbetriebs in einem Industriezweig 35 steigert sich also zunächst die Produktion in den andren Zweigen, die ihm vortheilhaft sein, daß er sich solcher Maschinerie zu seinem Beistande bediene, wie sie ihn am wirksamsten in der Erreichung dieses Resultats unterstützt." (MacCulloch: „Princ. of Pol. Econ. Lond. 1830", p. 166.) 2 1 6 a ) „Der Erfinder der Spinnmaschine hat Indien ruinirt, was uns indeß wenig rührt." 40 A.Thiers, „De la Propriété". Herr Thiers verwechselt hier die Spinnmaschine mit dem mecha- nischen Webstuhl, „was uns indeß wenig rührt". 398 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 5 seine Produktionsmittel liefern. Wie weit dadurch die beschäftigte Arbei- termasse wächst, hängt, Länge des Arbeitstags und Intensität der Arbeit ge- geben, von der Zusammensetzung der verwandten Kapitale ab, d. h. vom Verhältniß ihrer konstanten und variablen Bestandtheile. Dieß Verhältniß seinerseits variirt sehr mit dem Umfang, worin die Maschinerie jene Ge- werbe selbst schon ergriffen hat oder ergreift. Die Anzahl zu Kohlen- und Metallbergwerken verurtheilter Menschen schwoll ungeheuer mit dem Fortschritt des englischen Maschinenwesens, obgleich ihr An||409|wachs in den letzten Decennien durch Gebrauch neuer Maschinerie für den Berg- 10 bau verlangsamt wird 2 1 7). Eine neue Arbeiter art springt mit der Maschine ins Leben, ihr Producent. Wir wissen bereits, daß der Maschinenbetrieb sich dieses Produktionszweigs selbst auf stets massenhafterer Stufenleiter bemächtigt 2 1 8). Was ferner das Rohmaterial betrifft 2 1 9), so unterliegt es z.B. keinem Zweifel, daß der Sturmmarsch der Baumwollspinnerei den 15 Baumwollbau der Vereinigten Staaten und mit ihm nicht nur den afrikani- schen Sklavenhandel treibhausmäßig förderte, sondern zugleich die Neger- zucht zum Hauptgeschäft der sogenannten Grenz-Sklavenstaaten machte. Als 1790 der erste Sklavencensus in den Vereinigten Staaten aufgenom- men ward, betrug ihre Zahl 697 000, dagegen 1861 ungefähr vier Millionen. 20 Andrerseits ist es nicht minder gewiß, daß das Aufblühen der mechani- schen Wollfabrik mit der progressiven Verwandlung von Ackerland in Schafweide die massenhafte Verjagung und „Ueberzähligmachung" der Landarbeiter hervorrief. Irland macht noch in diesem Augenblick den Pro- ceß durch, seine seit 1845 beinahe um die Hälfte verminderte Bevölkerung 25 noch weiter auf das dem Bedürfniß seiner Landlords und der englischen Herrn Wollfabrikanten exakt entsprechende Maß herabzudrücken. Ergreift die Maschinerie Vor- oder Zwischenstufen, welche ein Arbeits- gegenstand bis zu seiner letzten Form zu durchlaufen hat, so vermehrt sich mit dem Arbeitsmaterial die Arbeitsnachfrage in den noch handwerks- 30 oder manufakturmäßig betriebnen Gewerken, worin das Maschinenfabri- 2 1 7 ) Nach dem Census von 1861 (Vol. IL Lond. 1863) betrug die Zahl der in den Kohlenberg- werken von England und Wales beschäftigten Arbeiter 246 613, wovon 73 546 unter und 173 067 über 20 Jahre. Zur ersten Rubrik gehören 835 fünf- bis zehnjährige, 30 701 zehn- bis fünfzehnjährige, 42 010 fünfzehn- bis neunzehnjährige. Die Zahl der in Eisen-, Kupfer-, Blei-, 35 Zinn- und allen andren Metallminen Beschäftigten: 319222. 2 1 8 ) In England und Wales 1861 in der Produktion von Maschinerie beschäftigt: 60 807 Per- sonen, eingezählt die Fabrikanten sammt ihren Kommis u.s.w., ditto alle Agenten und Han- delsleute in diesem Fach. Ausgeschlossen dagegen die Producenten kleinerer Maschinen, wie Nähmaschinen, u.s.w., ebenso die Producenten der Werkzeuge für die Arbeitsmaschinen, wie 40 Spindeln u.s.w. Zahl sämmtlicher Civilingenieure betrug 3329. 2 1 9 ) Da Eisen einer der wichtigsten Rohstoffe, so sei hier bemerkt, daß 1861 in England und Wales 125 771 Eisengießer, wovon 123 430 männlich, 2341 weiblich. Von den erstem 30 810 unter und 92 620 über 20 Jahre. 399 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts kat eingeht. Die Maschinenspinnerei z.B. lieferte das Garn so wohlfeil und so reichlich, daß die Handweber zunächst, ohne vermehrte Auslage, volle Zeit arbeiten konnten. ||410| So stieg ihr Einkommen 2 2 0). Daher Men- schenzufluß in die Baumwollweberei, bis schließlich die von Jenny, Throstle und Mule in England z.B. ins Leben gerufnen 8 0 0 0 0 0 Baumwoll- weber wieder vom Dampfwebstuhl erschlagen wurden. So wächst mit dem Ueberfluß der maschinenmäßig producirten Kleidungsstoffe die Zahl der Schneider, Kleidermacherinnen, Näherinnen u.s.w., bis die Nähmaschine erscheint. 5 Entsprechend der steigenden Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten, Ar- 10 beitsinstrumenten u.s.w., die der Maschinenbetrieb mit relativ geringer Ar- beiterzahl liefert, sondert sich die Bearbeitung dieser Rohstoffe und Halb- fabrikate in zahllose Unterarten, wächst also die Mannigfaltigkeit der gesellschaftlichen Produktionszweige. Der Maschinenbetrieb treibt die ge- sellschaftliche Theilung der Arbeit ungleich weiter als die Manufaktur, 15 weil er die Produktivkraft der von ihm ergriffnen Gewerbe in zugleich höh- rem Grad vermehrt. Das nächste Resultat der Maschinerie ist, den Mehrwerth und zugleich die Produktenmasse, worin er sich darstellt, also mit der Substanz, wovon die Kapitalistenklasse sammt Anhang zehrt, diese Gesellschaftsschichten 20 selbst zu vergrößern. Ihr wachsender Reichthum und die relativ beständig fallende Anzahl der zur Produktion der ersten Lebensmittel erheischten Arbeiter erzeugen mit neuem Luxusbedürfniß zugleich neue Mittel seiner Befriedigung. Ein größrer Theil des gesellschaftlichen Produkts verwandelt sich in Surplusprodukt und ein größrer Theil des Surplusprodukts wird in 25 verfeinerten und vermannigfachten Formen reproducirt und verzehrt. In andren Worten: Die Luxusproduktion wächst 2 2 1). Die Verfeinerung und Vermannigfachung der Produkte entspringt ebenso aus den neuen welt- marktlichen Beziehungen, welche die große Industrie schafft. Es werden nicht nur mehr ausländische Genußmittel gegen das heimische Produkt 30 ausgetauscht, sondern es geht auch eine größre Masse fremder Rohstoffe, Ingredienzien, Halbfabrikate u.s.w. als Produktionsmittel in die heimische Industrie ein. Mit diesen weltmarktlichen Beziehungen steigt die Arbeits-1 2 2 0 ) „Eine Familie von 4 erwachsnen Personen (Baumwollwebern) mit zwei Kindern als win- ders gewann Ende des letzten und Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts 4 Pfd. St. per 35 Woche bei lOstündiger Tagesarbeit; war die Arbeit sehr dringend, so konnten sie mehr verdie- nen ... Früher hatten sie immer gelitten von mangelnder Garnzufuhr." (Gaskell. 1. c. p. 24, 26.) 2 2 1 ) F.Engels in „Lage u. s.w." weist den jämmerlichen Zustand eines großen Theils grade dieser Luxusarbeiter nach. Massenhafte neue Belege hierzu in den Berichten der ,,Child. 40 Empi. Comm." 400 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie |411 !nachfrage in der Transportindustrie und spaltet sich letztere in zahl- reiche neue Unterarten 2 2 2). 10 Die Vermehrung von Produktions- und Lebensmitteln bei relativ abneh- mender Arbeiterzahl treibt zur Ausdehnung der Arbeit in Industriezwei- 5 gen, deren Produkte, wie Kanäle, Waarendocks, Tunnels, Brücken u. s. w. nur in fernrer Zukunft Früchte tragen. Es bilden sich, entweder direkt auf der Grundlage der Maschinerie, oder doch der ihr entsprechenden allge- meinen industriellen Umwälzung, ganz neue Produktionszweige und daher neue Arbeitsfelder. Ihr Raumantheil an der Gesammtproduktion ist jedoch selbst in den meist entwickelten Ländern keineswegs bedeutend. Die An- zahl der von ihnen beschäftigten Arbeiter steigt im direkten Verhältniß, worin die Nothwendigkeit rohster Handarbeit reproducirt wird. Als Haupt- industrien dieser Art kann man gegenwärtig Gaswerke, Télégraphie, Photo- graphie, Dampfschifffahrt und Eisenbahnwesen betrachten. Der Census 15 von 1861 (für England und Wales) ergibt in der Gasindustrie (Gaswerke, Produktion der mechanischen Apparate, Agenten der Gaskompagnien u . s . w . ) 15 211 Personen, Télégraphie 2399, Photographie 2366, Dampf- schiffdienst 3570 und Eisenbahnen 70 599, worunter ungefähr 28 000 mehr oder minder permanent beschäftigte „ungeschickte" Erdarbeiter nebst dem ganzen administrativen und kommerciellen Personal. Also Gesammtzahl der Individuen in diesen fünf neuen Industrien 9 4 1 4 5 . 20 25 Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphä- ren der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv ge- steigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphä- ren, einen stets größren Theil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden und so namentlich die alten Haussklaven unter dem Namen der „dienen- den Klasse", wie Bediente, Mägde, Lakaien u.s.w., stets massenhafter zu reproduciren. Nach dem Census von 1861 zählte die Gesammtbevölkerung von England und Wales 20 066 224 Personen, wovon 9 7 7 0 2 5 9 männlich 30 und 10 289 965 weiblich. Zieht man hiervon äb, was zu alt oder zu jung zur Arbeit, alle „unproduktiven" Weiber, jungen Personen und Kinder, dann die „ideologischen" Stände, wie Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär u.s.w., ferner alle, deren ausschließliches Geschäft der Verzehr fremder Ar- beit in der Form von Grundrente, Zins u.s.w., endlich Paupers, Vagabun- den, Verbrecher u.s.w., so bleiben in rauher Zahl 8 Millionen beiderlei | |412| Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, mit Einschluß sämmtlicher irgendwie in der Produktion, dem Handel, der Finanz u. s. w. funktionirenden Kapitalisten. Von diesen 8 Millionen kommen auf: 35 l) 1861 in England und Wales 94 665 in der Handelsmarine beschäftigte Seeleute. 401 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Ackerbauarbeiter (mit Einschluß der Hirten und bei Pächtern wohnenden Ackersknechte und Mägde) Alle in Baumwoll-, WoIl-, Worsted-, Flachs-, Hanf-, Seide-, Jutefabriken und in der mecha- nischen Strumpfwirkerei und Spitzenfabrika- tion Beschäftigten 1098 261 Personen. 642 6 0 7 2 2 3 ) Alle in Kohlen- und Metallbergwerken Be- schäftigten 565 835 sämmtlichen Metallwerken In (Hochöfen, Walzwerke u. s. w.) und Metallmanufakturen aller Art Beschäftigte Dienende Klasse 396 9 9 8 2 2 4 ) 1208 6 4 8 2 2 5 ) 5 10 Rechnen wir die in allen textilen Fabriken Beschäftigten zusammen mit dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir 1 2 0 8 442; 15 rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Metallwerke und Ma- nufakturen, so die Gesammtzahl 1 0 3 9 605, beidemal kleiner als die Zahl der modernen Haussklaven. Welch erhebendes Resultat der kapitalistisch exploitirten Maschinerie! 7. Repulsion und Attraktion von Arbeitern mit Entwicklung des Maschinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie. 20 Alle zurechnungsfähigen Repräsentanten der politischen Oekonomie ge- ben zu, daß neue Einführung der Maschinerie pestartig wirkt auf die Ar- beiter in den überlieferten Handwerken und Manufakturen, womit sie zu- 25 nächst konkurrirt. Fast alle beächzen die Sklaverei des Fabrikarbeiters. Und was ist der große Trumpf, ||413| den alle ausspielen? Daß die Maschi- nerie, nach den Schrecken ihrer Einführungs- und Entwicklungsperiode, die Arbeitssklaven in letzter Instanz vermehrt, statt sie schließlich zu ver- 2 2 3 ) Davon nur 177 596 männlichen Geschlechts über 13 Jahre. 2 2 4 ) Davon weiblichen Geschlechts 30 501. 2 2 5 ) Davon männlichen Geschlechts: 137 447. Ausgeschlossen von den 1208 648 alles Per- sonal, das nicht in Privathäusern dient. Zusatz zur 2. Ausg. Von 1861 bis 1870 hat sich die Zahl männlicher Diener beinahe verdop- pelt. Sie war angewachsen auf 267 671. Im Jahr 1847 gab es 2694 Wildhüter (für die aristokra- tischen Wildgehege), 1869 dagegen 4921. - Die jungen, beim Londoner kleinen Spießbürger dienenden Mädchen heißen in der Volkssprache ,,little slaveys", kleine Sklaven. 30 35 402 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie mindern! Ja, die politische Oekonomie jubelt sich aus in dem abscheuli- chen Theorem, abscheulich für jeden „Philanthropen", der an die ewige Naturnothwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise glaubt, daß selbst die bereits auf Maschinenbetrieb begründete Fabrik, nach bestimm- ter Periode des Wachsthums, nach kürzrer oder längrer „Uebergangszeit", mehr Arbeiter abplackt, als sie ursprünglich aufs Pflaster warf 2 2 6)! 5 Zwar zeigte sich schon an einigen Beispielen, z . B . den englischen Wor- sted- und Seidenfabriken, daß auf einem gewissen Entwicklungsgrad außerordentliche Ausdehnung von Fabrikzweigen mit nicht nur relativer, 10 sondern absoluter Abnahme der angewandten Arbeiteranzahl verbunden sein kann. Im Jahr 1860, als ein Specialcensus aller Fabriken des Vereinig- ten Königreichs auf Befehl des Parlaments aufgenommen ward, zählte die dem Fabrikinspektor R. Baker zugewiesne Abtheilung der Fabrikdistrikte von Lancashire, Cheshire und Yorkshire 652 Fabriken; von diesen enthiel- 15 ten 570: Dampfwebstühle 85 622, Spindeln (mit Ausschluß der Dublirspin- deln) 6 8 1 9 1 4 6 , Pferdekraft in Dampfmaschinen 27 439, in Wasserrädern 1390, beschäftigte Personen 9 4 1 1 9 . Im Jahr 1865 dagegen enthielten die- selben Fabriken: Webstühle 95 163, Spindeln 7 025 031, Pferdekraft in Dampfmaschinen 28 925, in Wasserrädern 1445, beschäftigte Personen 20 88 913. Von 1860 bis 1865 betrug ||414| also die Zunahme dieser Fabriken an Dampfwebstühlen 11 %, an Spindeln 3 %, an Dampfpferdekraft 5 %, wäh- rend gleichzeitig die Zahl der beschäftigten Personen um 5,5 % ab- n a h m 2 2 7 ) . Zwischen 1856 und 1862 fand beträchtliches Wachsthum der englischen Wollfabrikation statt, während die Zahl der angewandten Arbei- 25 2 2 6 ) Ganilh betrachtet dagegen als Schluß-Resultat des Maschinenbetriebs absolut vermin- derte Anzahl der Arbeitssklaven, auf deren Kosten dann eine vermehrte Anzahl der ,,gens honnêtes" zehrt und ihre bekannte ,,perfectibilité perfectible" entwickelt. So wenig er die Bewegung der Produktion versteht, fühlt er wenigstens, daß die Maschinerie eine sehr fatale Institution, wenn ihre Einführung beschäftigte Arbeiter in Paupers verwandelt, während ihre 30 Entwicklung mehr Arbeitssklaven in's Leben ruft, als sie erschlagen hat. Den Cretinismus seines eignen Standpunkts kann man nur in seinen eignen Worten ausdrücken: «Les classes condamnées à produire et à consommer diminuent, et les classes qui dirigent le travail, qui soulagent, consolent et éclairent toute la population, se multiplient . . . e t s'approprient tous les bienfaits qui résultent de la diminution des frais du travail, de l'abondance des produc- tions et du bon marché des consommations. Dans cette direction, l'espèce humaine s'élève aux plus hautes conceptions du génie, pénètre dans les profondeurs mystérieuses de la reli- gion, établit les principes salutaires de la morale (die darin besteht de ,,s'approprier tous les bienfaits etc."), les lois tutélaires de la liberté (der liberté pour ,,les classes condamnées à pro- duire"?) et du pouvoir, de l'obéissance et de la justice, du devoir et de l'humanité.» Dieß Kau- 40 derwelsch in: „Des Systèmes d'Économie Politique etc. Par M. Ch. Ganilh". 2ème éd. Paris 35 1821, 1.1, p. 224. cf. ib. p. 212. 2 2 7 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 58 sq. Gleichzeitig war aber auch schon die materielle Grundlage für Beschäftigung einer wachsenden Arbeiterzahl gegeben in 110 neuen Fabriken mit 11625 Dampfwebstühlen, 628 576 Spindeln, 2695 Dampf- und Wasser-Pferde- 45 kraft. (1. c.) 403 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts ter beinahe stationär blieb. „Dieß zeigt, in wie großem Maße neu einge- führte Maschinerie die Arbeit vorhergehender Perioden verdrängt hatte" 2 2 8). In empirisch gegebnen Fällen ist die Zunahme der beschäftigten Fabrikarbeiter oft nur scheinbar, d.h. nicht der Ausdehnung der bereits auf Maschinenbetrieb beruhenden Fabrik geschuldet, sondern der allmähligen Annexation von Nebenzweigen. Z. B. „die Zunahme der mechanischen Webstühle und der durch sie beschäftigten Fabrikarbeiter von 1 8 3 8 - 1 8 5 6 war in der (britischen) Baumwollfabrik einfach der Ausdehnung dieses Ge- schäftszweigs geschuldet; in den andren Fabriken dagegen der Neuanwen- dung von Dampfkraft auf den Teppich-, Band-, Leinenwebstuhl u.s.w., die vorher durch menschliche Muskelkraft getrieben wurden" 2 2 9). Die Zu- nahme dieser Fabrikarbeiter war also nur der Ausdruck einer Abnahme in der Gesammtzahl der beschäftigten Arbeiter. Es wird hier endlich ganz da- von abgesehn, daß überall, mit Ausnahme der Metallfabriken, jugendliche Arbeiter (unter 18 Jahren), Weiber und Kinder das weit vorwiegende Ele- ment des Fabrikpersonals bilden. Man begreift jedoch, trotz der vom Maschinenbetrieb faktisch verdräng- ten und virtuell ersetzten Arbeitermasse, wie mit seinem eignen Wachs- thum, ausgedrückt in vermehrter Anzahl von Fabriken derselben Art oder den erweiterten Dimensionen vorhandner Fabriken, die Fabrikarbeiter schließlich zahlreicher sein können als die von ihnen verdrängten Manu- fakturarbeiter oder Handwerker. Das wöchentlich angewandte Kapital von 500 Pfd. St. bestehe ||415| z.B. in der alten Betriebsweise aus 2/ 5 konstantem und % variablem Bestandtheil, d. h. 200 Pfd. St. seien in Produktionsmit- teln ausgelegt, 300 Pfd. St. in Arbeitskraft, sage 1 Pfd. St. per Arbeiter. Mit dem Maschinenbetrieb verwandelt sich die Zusammensetzung des Ge- sammtkapitals. Es zerfällt jetzt z . B . in % konstanten und l/ 5 variablen B e - standtheil, oder es werden nur noch 100 Pfd. St. in Arbeitskraft ausgelegt. Zwei Drittel der früher beschäftigten Arbeiter werden also entlassen. Dehnt sich dieser Fabrikbetrieb aus und wächst bei sonst gleichbleibenden Pro- duktionsbedingungen das angewandte Gesammtkapital von 500 auf 1500, so werden jetzt 300 Arbeiter beschäftigt, so viele wie vor der industriellen Revolution. Wächst das angewandte Kapital weiter auf 2000, so werden 2 2 8 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 79. Zusatz zur 2. Ausg. Ende December 1871 sagte Fabrikinspektor A. Redgrave in einem Vor- trag, gehalten zu Bradford, in der „New Mechanics' lustitution": „Was mich seit einiger Zeit frappirt hat, war die veränderte Erscheinung der Wollfabriken. Früher waren sie mit Weibern und Kindern gefüllt, jetzt scheint die Maschinerie alles Werk zu thun. Auf Anfrage gab mir ein Fabrikant folgenden Aufschluß: Unter dem alten System beschäftigte ich 63 Personen; nach Einführung verbesserter Maschinerie reducirte ich meine Hände auf 33, und jüngst, in Folge neuer großer Veränderungen war ich im Stande, sie von 33 auf 13 zu reduciren." 2 2 9 ) „Reports etc. for 31st Oct. 1856", p. 16. 404 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie 400 Arbeiter beschäftigt, also % mehr als mit der alten Betriebsweise. Abso- lut ist die angewandte Arbeiterzahl um 100 gestiegen, relativ, d.h. im Ver- hältniß zum vorgeschoßnen Gesammtkapital, ist sie um 800 gefallen, denn das Kapital von 2000 Pfd. St. hätte in der alten Betriebsweise 1200 statt 5 400 Arbeiter beschäftigt. Relative Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl verträgt sich also mit ihrer absoluten Zunahme. Es wurde oben angenom- men, daß mit dem Wachsthum des Gesammtkapitals seine Zusammenset- zung konstant bleibt, weil die Produktionsbedingungen. Man weiß aber be- reits, daß mit jedem Fortschritt des Maschinenwesens der konstante, aus 10 Maschinerie, Rohmaterial u.s.w. bestehende Kapitaltheil wächst, während der variable, in Arbeitskraft ausgelegte fällt, und man weiß zugleich, daß in keiner andren Betriebsweise die Verbeßrung so konstant, daher die Zusam- mensetzung des Gesammtkapitals so variabel ist. Dieser beständige Wech- sel ist aber ebenso beständig unterbrochen durch Ruhepunkte und bloß 15 quantitative Ausdehnung auf gegebner technischer Grundlage. Damit wächst die Anzahl der beschäftigten Arbeiter. So betrug die Anzahl aller Arbeiter in den Baumwoll-, WoIl-, Worsted-, Flachs- und Seidenfabriken des Vereinigten Königreichs 1835 nur 354 684, während 1861 allein die Zahl der Dampfweber (beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Al- tersstufen vom 8. Jahr an) 230 564 betrug. Allerdings erscheint dieß Wachs- thum minder groß, wenn man erwägt, daß die britischen Handbaumwoll- weber mit den von ihnen selbst beschäftigten Familien 1838 noch 800 000 zählten 2 3 0), ganz abgesehn von den in Asien und auf dem europäischen Kontinent verdrängten. | 20 25 |416| In den wenigen Bemerkungen, die über diesen Punkt noch zu ma- chen, berühren wir zum Theil rein thatsächlich Verhältnisse, wozu unsre theoretische Darstellung selbst noch nicht geführt hat. 30 So lange sich der Maschinenbetrieb in einem Industriezweig auf Kosten des überlieferten Handwerks oder der Manufaktur ausdehnt, sind seine Er- folge so sicher, wie etwa der Erfolg einer mit dem Zündnadelgewehr be- waffneten Armee gegen eine Armee von Bogenschützen wäre. Diese erste Periode, worin die Maschine erst ihren Wirkungskreis erobert, ist entschei- dend wichtig wegen der außerordentlichen Profite, die sie produciren hilft. Diese bilden nicht nur an und für sich eine Quelle beschleunigter Akku- 35 mulation, sondern ziehen großen Theil des beständig neugebildeten und nach neuer Anlage drängenden gesellschaftlichen Zusatzkapitals in die be- 2 3°) „Die Leiden der Handweber (von Baumwolle und mit Baumwolle gemischten Stoffen) waren Gegenstand der Untersuchung durch eine königl. Kommission, aber obgeich ihr Elend anerkannt und bejammert wurde, überließ man die Verbeßrung (!) ihrer Lage dem Zufall und 40 dem Wechsel der Zeit, und man darf hoffen, daß diese Leiden jetzt (20 Jahre später!) beinahe (nearly) erloschen sind, wozu die jetzige große Ausdehung der Dampfwebstühle aller Wahr- scheinlichkeit nach beigetragen hat." (Rep. Insp. Fact. 31st Oct. 1856, p. 15.) 405 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 günstigte Produktionssphäre. Die besondren Vortheile der ersten Sturm- und Drangperiode wiederholen sich beständig in den Produktionszweigen, worin die Maschinerie neu eingeführt wird. Sobald aber das Fabrikwesen eine gewisse Breite des Daseins und bestimmten Reifegrad gewonnen hat, sobald namentlich seine eigne technische Grundlage, die Maschinerie, selbst wieder durch Maschinen producirt wird, sobald Kohlen- und Eisen- gewinnung, wie die Verarbeitung der Metalle und das Transportwesen re- volutionirt, überhaupt die der großen Industrie entsprechenden allgemei- nen Produktionsbedingungen hergestellt sind, erwirbt diese Betriebsweise eine Elasticität, eine plötzliche sprungweise Ausdehnungsfähigkeit, die nur 10 an dem Rohmaterial und dem Absatzmarkt Schranken findet. Die Maschi- nerie bewirkt einerseits direkte Vermehrung des Rohmaterials, wie z .B. der cotton gin die Baumwollproduktion vermehrte 2 3 1). Andrerseits sind Wohl- feilheit des Maschinenprodukts und das umgewälzte Transport- und Kom- munikationswesen Waffen zur Erobrung fremder Märkte, Durch den Ruin 15 ihres handwerksmäßigen Produkts verwandelt der Maschinenbetrieb sie zwangsweise in Produktionsfelder seines Rohmaterials. So wurde Ostin- dien zur Produktion von Baumwolle, Wolle, Hanf, ||417| Jute, Indigo u.s.w. für Großbritannien gezwungen 2 3 2). Die beständige „Ueberzähligmachung" der Arbeiter in den Ländern der großen Industrie befördert treibhausmä- 20 ßige Auswandrung und Kolonisation fremder Länder, die sich in Pflanz- stätten für das Rohmaterial des Mutterlands verwandeln, wie Australien z . B . in eine Pflanzstätte von W o l l e 2 3 3 ) . Es wird eine neue, den Hauptsitzen des Maschinenbetriebs entsprechende internationale Theilung der Arbeit geschaffen, die einen Theil des Erdballs in vorzugsweis agrikoles Produk- 25 tionsfeld für den andren als vorzugsweis industrielles Produktionsfeld um- wandelt. Diese Revolution hängt zusammen mit Umwälzungen in der Agrikultur, die hier noch nicht weiter zu erörtern s i n d 2 3 4 ) . 2 3 1 ) Andre Methoden, wodurch die Maschinerie auf die Produktion des Rohmaterials ein- wirkt, werden im Dritten Buch erwähnt. 2 3 2 ) Baumwollausfuhr von Ostindien nach Großbritannien. 1846 Pfd. 34 540143. 1860 Pfd. 204141 168. 1865 Pfd. 445 947 600. x 0 Wollausfuhr von Ostindien nach Großbritannien. 1846 Pfd. 4 570 581. 1860 Pfd. 20214173. 1865 Pfd. 17105 617. 2 3 3 ) Wollausfuhr vom Kap der guten Hoffnung nach Großbritannien. 35 1846 Pfd. 2 958 457. 1800 Pfd. 16 574 345. 1865 Pfd. 29220623. Wollausfuhr von Australien nach Großbritannien. 1846 Pfd. 21789346.1860 Pfd. 59166 616.1865 Pfd. 109734261. 2 3 4 ) Die ökonomische Entwicklung der Vereinigten Staaten ist selbst ein Produkt der europä- ischen, näher englischen großen Industrie. In ihrer jetzigen Gestalt (1866) müssen sie stets, 40 noch als Kolonialland von Europa betrachtet werden. (Zur 4. Aufl. - Seitdem haben sie sich 406 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Auf Antrieb des Herrn Gladstone verordnete das Haus der Gemeinen am 18. Februar 1867 eine Statistik über sämmtliche von 1 8 3 1 - 1 8 6 6 in das Vereinigte Königreich eingeführte und ausgeführte Kornfrucht, Getreide und Mehl aller Art. Ich gebe nachstehend das zusammenfassende Resultat. 5 Das Mehl ist auf Quarters Korn reducirt. (S.. Tabelle auf Seite 419.) Die ungeheure, stoßweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und seine Abhängigkeit vom Weltmarkt erzeugen nothwendig fîeber||418|hafte Pro- duktion und darauf folgende Ueberfüllung der Märkte, mit deren Kontrak- tion Lähmung eintritt. Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine 10 Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperität, Ueberpro- duktion, Krise und Stagnation. Die Unsicherheit und Unstetigkeit, denen der Maschinenbetrieb die Beschäftigung und damit die Lebenslage des Ar- beiters unterwirft, werden normal mit diesem Periodenwechsel des indu- striellen Cyklus. Die Zeiten der Prosperität abgerechnet, rast zwischen den 15 Kapitalisten heftigster Kampf um ihren individuellen Raumantheil am Markt. Dieser Antheil steht in direktem Verhältniß zur Wohlfeilheit des Produkts. Außer der hierdurch erzeugten Rivalität im Gebrauch verbesser- ter, Arbeitskraft ersetzender Maschinerie und neuer Produktionsmethoden tritt jedesmal ein Punkt ein, wo Verwohlfeilerung der Waare durch gewalt- samen Druck des Arbeitslohnes unter den Werth der Arbeitskraft erstrebt wird 2 3 5). 20 zum zweiten Industrieland der Welt entwickelt, ohne darum ihren Kolonialcharakter ganz eingebüßt zu haben. - D. H.) Baumwollausfuhr der Vereinigten Staaten nach Großbritannien in Pfd. 25 1846 401949 393. 1859 961707 264. 765 630 544. 1852 1860 1 115 890 608. Ausfuhr von Korn u.s.w. aus den Vereinigten Staaten nach Großbritannien (1850 und 1862). Weizen cwts. Gerste cwts. Hafer cwts. Roggen cwts. Weizenmehl cwts. Buchweizen cwts. Mais cwts. Bere oder Bigg (bes. Gerstenart) cwts. Erbsen cwts. Bohnen cwts. Gesammteinfuhr cwts. 1850 1850 1850 1850 1850 1850 1850 1850 1850 1850 1850 16202 312. 3 669 653. 3174 801. 388 749. 3 819 440. 1054. 5 473161. 2 039. 811620. 1822 972. 35 365 801. 1862 1862 1862 1862 1862 1862 1862 1862 1862 1862 1862 41033 503. 6 624 800. 4426 994. 7108. 7207113. 19571. 11694 818. 7 675. 1024722. 2 037137. 74 083 441. 2 3 5 ) In einem Aufruf der von den Schuhfabrikanten zu Leicester durch einen „lock out" aufs 40 Pflaster geworfnen Arbeiter an die „Trade Societies of England", Juli 1866, heißt es u. a.: „Seit etwa 10 Jahren wurde die Schuhmacherei in Leicester umgewälzt durch Einführung des Nie- tens statt des Nähens. Gute Löhne konnten damals verdient werden. Bald dehnte sich dieß neue Geschäft sehr aus. Große Konkurrenz zeigte sich unter den verschiednen Firmen, wel- che den geschmackvollsten Artikel liefern könne. Kurz nachher jedoch entsprang eine 407 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Wachsthum in der Anzahl der Fabrikarbeiter ist also bedingt durch pro- portionell viel raschres Wachsthum des in den Fabriken angelegten Ge- sammtkapitals. Dieser Proceß vollzieht sich aber nur innerhalb der Ebb- und Fluthperioden des industriellen Cyklus. | [Hier folgt die Tabelle S. 409.] |420| Er wird zudem stets unterbrochen durch den technischen Fort- schritt, der Arbeiter bald virtuell ersetzt, bald faktisch verdrängt. Dieser qualitative Wechsel im Maschinenbetrieb entfernt beständig Arbeiter aus der Fabrik oder verschließt ihr Thor dem neuen Rekrutenstrom, während die bloß quantitative Ausdehnung der Fabriken neben den Herausgeworf- nen frische Kontingente verschlingt. Die Arbeiter werden so fortwährend 10 repellirt und attrahirt, hin- und hergeschleudert, und dieß bei beständigem Wechsel in Geschlecht, Alter und Geschick der Angeworbnen. 5 Die Schicksale des Fabrikarbeiters werden am besten veranschaulicht durch raschen Ueberblick der Schicksale der englischen Baumwollindu- strie. 15 Von 1770 bis 1815 Baumwollindustrie gedrückt oder stagnant 5 Jahre. Während dieser ersten 45jährigen Periode besaßen die englischen Fabri- kanten das Monopol der Maschinerie und des Weltmarkts. 1815 bis 1821 gedrückt, 1822 und 1823 prosperirend, 1824 Aufhebung der Koalitionsge- setze, allgemeine große Ausdehnung der Fabriken, 1825 Krise; 1826 großes 20 Elend und Aufstände unter den Baumwollarbeitern; 1827 leise Beßrung, 1828 großer Anwachs von Dampfwebstühlen und Ausfuhr; 1829 übergip- felt die Ausfuhr, besonders nach Indien, alle frühren Jahre; 1830 überfüllte Märkte, großer Nothstand, 1831 bis 1833 fortdauernder Druck; der Handel nach Ostasien (Indien und China) wird dem Monopol der ostindischen 25 Kompagnie entzogen. 1834 großes Wachsthum von Fabriken und Maschi- schlechtre Art Konkurrenz, nämlich die, einander im Markt zu unterverkaufen (undersell). Die schädlichen Folgen offenbarten sich bald in Lohnherabsetzung, und so reißend schnell war der Fall im Preise der Arbeit, daß viele Firmen jetzt nur noch die Hälfte des ursprüngli- chen Lohns zahlen. Und dennoch, obgleich die Löhne tiefer und tiefer sinken, scheinen die 30 Profite mit jeder Aendrung des Arbeitstarifs zu wachsen." - Selbst ungünstige Perioden der Industrie werden von den Fabrikanten benutzt, um durch übertriebne Lohnherabsetzung, d.h. direkten Diebstahl an den nothwendigsten Lebensmitteln des Arbeiters, außerordentliche Profite zu machen. Ein Beispiel. Es handelt sich um die Krise in der Seidenweberei zu Coven- try: „Aus Nachweisen, die ich sowohl von Fabrikanten als Arbeitern erhielt, folgt zweifeis- 35 ohne, daß die Löhne in einem größren Umfang verkürzt wurden, als die Konkurrenz ausländi- scher Producenten oder andre Umstände ernöthigten. Die Majorität der Weber arbeitet zu einer Lohnherabsetzung von 30 bis 40 %. Ein Stück Band, wofür der Weber fünf Jahre früher 6 oder 7 sh. erhielt, bringt ihm jetzt nur 3 sh. 3 d. oder 3 sh. 6 d. ein; andre Arbeit, früher zu 4 sh. und 4 sh. 3 d. bezahlt, erhält jetzt nur 2 sh. oder 2 sh. 3 d. Die Lohnherabsetzung ist grö- 40 ßer als zum Stachel der Nachfrage erheischt ist. In der That, bei vielen Arten von Band war die Lohnherabsetzung nicht einmal begleitet von irgend einer Herabsetzung im Preise des Ar- tikels." (Bericht des Kommissärs F. D. Longe in „Ch. Empi. Comm. V. Rep. 1866", p. 114, η. I.) 408 . 6 6 8 1 r h a J d n u n e d o i r e P e g i r h ä j f n ü F | 9 1 4 | Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 6 6 8 1 5 6 8 1 - 1 6 8 1 0 6 8 1 - 6 5 8 1 5 5 8 1 - 1 5 8 1 0 5 8 1 - 6 4 8 1 5 4 8 1 - 1 4 8 1 0 4 8 1 - 6 3 8 1 5 3 8 1 - 1 3 8 1 0 4 3 7 5 4 6 1 1 7 8 9 0 0 5 1 2 1 6 3 1 9 0 1 7 3 2 5 4 3 8 2 5 5 6 7 7 8 5 6 8 3 4 8 2 9 2 7 9 8 3 2 3 7 3 6 9 0 1 . s r Q t r o p m I . t t i n h c s h c r u D r e h c i l r h ä J 8 1 2 6 1 2 4 5 7 2 0 3 0 5 1 1 4 3 1 9 4 7 0 3 1 6 4 5 5 1 6 5 0 9 3 1 0 7 7 1 5 2 3 6 2 5 2 2 . s r Q t r o p x E . t t i n h c s h c r u d s e r h a J 5 2 2 1 1 4 2 6 1 7 1 1 7 0 7 4 1 2 6 4 2 7 5 0 1 6 4 7 7 3 0 8 1 9 0 1 2 6 8 9 0 8 4 0 7 2 9 5 9 7 3 1 2 0 1 1 1 7 8 . e r h a j s t t i n h c s t r o p m I n o v ß u h c s r e b e U - h c r u D r e d t r o p x E r e b ü - s t t i n h c s h c r u D e h c i l r h ä J . n o i t a l u p o P 0 1 4 0 4 5 3 9 9 2 0 6 7 1 8 3 9 2 4 4 5 1 9 3 8 2 3 2 9 2 7 5 7 2 8 9 5 7 9 7 7 2 9 5 5 2 6 2 7 2 7 0 5 9 2 9 5 2 7 0 1 1 2 6 4 2 . e d o i r e P r e d e j n i l h a z | 3 4 5 , 0 1 0 5 , 0 2 7 3 , 0 1 9 2 , 0 0 1 3 , 0 9 9 0 , 0 2 8 0 , 0 6 3 0 , 0 . n o i t k u d o r P e h c s i m i e h e i d - i e h T r e h c i e l g i e b , m u u d - e k l ö v e B e i d r e t n u g n u l r e b ü ß u h c s r e b e U m i , g n u r - r h ä j , . s r Q n i . c t e n r o K n o v m u t n a u q s t t i n h c s h c r u D - i v i d n I r e p t r h e z r e v h e i l 5 1 409 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 nerie, Mangel an Händen. Das neue Armengesetz befördert die Wandrung der Landarbeiter in die Fabrikdistrikte. Fegung der ländlichen Grafschaf- ten von Kindern. Weißer Sklavenhandel. 1835 große Prosperität. Gleich- zeitige Todthungrung der Baumwollhandweber. 1836 große Prosperität. 1837 und 1838 gedrückter Zustand und Krise. 1839 Wiederaufleben. 1840 große Depression, Aufstände, Einschreiten des Militärs. 1841 und 1842 furchtbares Leiden der Fabrikarbeiter. 1842 schließen die Fabrikanten die Hände von den Fabriken aus, um den Widerruf der Korngesetze zu erzwin- gen. Die Arbeiter strömen zu vielen Tausenden nach Yorkshire, vom Mili- tär zurückgetrieben, ihre Führer vor Gericht zu Lancaster gestellt. 1843 10 großes Elend. 1844 Wiederaufleben. 1845 große Prosperität. 1846 erst fort- dauernder Aufschwung, dann Symptome der Reaktion. Widerruf der Korn- gesetze. 1847 Krise. Allgemeine Herabsetzung der Löhne um 10 und mehr Procent zur Feier des „big l o a f . 1848 fortdauernder Druck. Manchester unter militärischem Schutz. ||421| 1849 Wiederaufleben. 1850 Prosperität. 15 1851 fallende Waarenpreise, niedrige Löhne, häufige Strikes. 1852 begin- nende Verbeßrung, Fortdauer der Strikes, Fabrikanten dröhn mit Import fremder Arbeiter. 1853 steigende Ausfuhr. Achtmonatlicher Strike und großes Elend zu Preston. 1854 Prosperität, Ueberfüllung der Märkte. 1855 Berichte von Bankerotten strömen ein aus den Vereinigten Staaten, Ka- 20 nada, ostasiatischen Märkten. 1856 große Prosperität. 1857 Krise. 1858 Verbeßrung. 1859 große Prosperität, Zunahme der Fabriken. 1860 Zenith der englischen Baumwollindustrie. Indische, australische und andre Märkte so überführt, daß sie noch 1863 kaum den ganzen Quark absorbirt haben. Französischer Handelsvertrag. Enormes Wachsthum von Fabriken 25 und Maschinerie. 1861 Aufschwung dauert Zeitlang fort, Reaktion, ameri- kanischer Bürgerkrieg, Baumwollnoth. 1862 bis 63 vollständiger Zusam- menbruch. Die Geschichte der Baumwollnoth ist zu charakteristisch, um nicht einen Augenblick dabei zu verweilen. Aus den Andeutungen der Zustände 30 des Weltmarkts 1860 bis 1861 ersieht man, daß die Baumwollnoth den Fa- brikanten gelegen kam und zum Theil vortheilhaft war, eine Thatsache, an- erkannt in Berichten der Manchester Handelskammer, im Parlament pro- klamirt von Palmerston und Derby, durch die Ereignisse bestätigt 2 3 6). Allerdings gab es 1861 unter den 2887 Baumwollfabriken des Vereinigten 35 Königreichs viel kleine. Nach dem Bericht des Fabrikinspektors A. Red- grave, dessen Verwaltungsbezirk von jenen 2887 Fabriken 2109 ein- schließt, wendeten von letztren 392 oder 19% nur unter 10 Dampf-Pferde- kraft an, 345 oder 16 % über 10 und unter 20, 1372 dagegen 20 und mehr 2 3 6 ) Vgl. „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p. 30. 40 410 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 15 Pferdekraft 2 3 7). Die Mehrzahl der kleinen Fabriken waren Webereien, wäh- rend der Prosperitätsperiode seit 1858 errichtet, meist durch Spekulanten, wovon der eine das Garn, der andre die Maschinerie, der dritte die Bau- lichkeit lieferte, unter dem Betrieb ehemaliger overlookers oder andrer un- 5 bemittelter Leute. Diese kleinen Fabrikanten gingen meist unter. Dasselbe Schicksal hätte ihnen die durch das Baumwollpech verhinderte Handels- krise bereitet. Obgleich sie % der Fabrikantenzahl bildeten, absorbirten ihre Fabriken einen ungleich geringeren Theil des in der Baumwollindu- strie angelegten Kapitals. Was den Umfang der Lähmung betrifft, so stan- 10 den nach den authentischen Schätzungen im Oktober 1862 60,3 % der Spindeln und 5 8 % der Webstühle ||422| still. Dieß bezieht sich auf den ganzen Industriezweig und war natürlich sehr modifient in den einzelnen Distrikten. Nur sehr wenige Fabriken arbeiteten volle Zeit (60 Stunden per Woche), die übrigen mit Unterbrechungen. Selbst für die wenigen Arbei- ter, die volle Zeit und zu dem gewohnten Stücklohn beschäftigt, schmä- lerte sich nothwendig der Wochenlohn in Folge der Ersetzung beßrer Baumwolle durch schlechtre, der Sea Island durch ägyptische (in Feinspin- nereien), amerikanischer und ägyptischer durch Surat (ostindisch), und reiner Baumwolle durch Mischungen von Baumwollabfall mit Surat. Die 20 kürzre Fiber der Suratbaumwolle, ihre schmutzige Beschaffenheit, die größre Brüchigkeit der Fäden, der Ersatz des Mehls durch alle Art schwerer Ingredienzien beim Schlichten des Kettengarns u. s. w. verminderten die Geschwindigkeit der Maschinerie oder die Zahl der Webstühle, die ein Weber überwachen konnte, vermehrten die Arbeit mit den Irrthümern der 25 Maschine und beschränkten mit der Produktenmasse den Stücklohn. Beim Gebrauch von Surat und mit voller Beschäftigung belief sich der Verlust des Arbeiters auf 20, 30 und mehr Procent. Die Mehrzahl der Fabrikanten setzte aber auch die Rate des Stücklohns um 5, ll/2 und 10 Procent herab. Man begreift daher die Lage der nur 3, 3¾, 4 Tage wöchentlich oder nur 30 6 Stunden per Tag Beschäftigten. Nachdem schon eine relative Verbeßrung eingetreten war, 1863, für Weber, Spinner u. s.w. Wochenlöhne von 3 sh. 4 d., 3 sh. 10 d., 4 sh. 6 d., 5 sh. 1 d. u. s.w. 2 3 8 ) . Selbst unter diesen qualvol- len Zuständen stand der Erfindungsgeist des Fabrikanten in Lohnabzügen nicht still. Diese wurden zum Theil verhängt als Strafe für die seiner schlechten Baumwolle, unpassenden Maschinerie u.s.w. geschuldeten Feh- ler des Machwerks. Wo der Fabrikant aber Eigenthümer der cottages der Arbeiter, vergütete er sich selbst für Hausrente durch Abzüge vom nomi- nellen Arbeitslohn. Fabrikinspektor Redgrave erzählt von self-acting min- ders (sie überwachen ein Paar selfacting mules), die „am Ende vierzehntä- 35 40 2 3 7 ) I.e. p.18, 19. 2 3 8 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1863", p. 41-45, 51, 52. 411 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 giger voller Arbeit 8 sh. 11 d. verdienten und von dieser Summe wurde die Hausrente abgezogen, wovon der Fabrikant jedoch die Hälfte als Geschenk zurückgab, so daß die minders volle 6 sh. 11 d. nach Hause trugen. Der Wochenlohn der Weber rangirte von 2 sh. 6 d. aufwärts während der Schlußzeit von 1 8 6 2 " 2 3 9 ) . Selbst dann wurde die Hausmiethe von den | |423| Löhnen häufig abgezogen, wenn die Hände nur kurze Zeit arbeite- t e n 2 4 0 ) . Kein Wunder, daß in einigen Theilen Lancashire's eine Art Hun- gerpest ausbrach! Charakteristischer als alles dieß aber war es, wie die Revolutionirung des Produktionsprocesses auf Kosten des Arbeiters vor sich ging. Es waren förmliche expérimenta in corpore vili, wie die der Ana- 10 tomen an Fröschen. „Obgleich ich", sagt Fabrikinspektor Redgrave, „die wirklichen Einnahmen der Arbeiter in vielen Fabriken gegeben habe, muß man nicht schließen, daß sie denselben Betrag Woche für Woche beziehn. Die Arbeiter erliegen den größten Schwankungen wegen des beständigen Experimentirens (,,experimentalizing") der Fabrikanten ... ihre Einkünfte 15 steigen und fallen mit der Qualität des Baumwollgemischs; bald nähern sie sich um 15 % ihren frühren Einnahmen, und die nächste oder zweitfol- gende Woche fallen sie um 50 bis 60 % " 2 4 1 ) . Diese Experimente wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der Arbeiter gemacht. Mit allen ihren fünf Sinnen hatten sie zu büßen. „Die im Oeffnen der Baumwolle 20 Beschäftigten unterrichten mich, daß der unerträgliche Gestank sie übel macht ... Den in den Misch-, Scribbling- und Kardirräumen Angewandten irritirt der freigesetzte Staub und Schmutz alle Kopföffnungen, erregt Hu- sten und Schwierigkeit des Athmens ... Wegen der Kürze der Fiber wird dem Garn beim Schlichten eine große Menge Stoff zugesetzt und zwar 25 allerlei Substitute statt des früher gebrauchten Mehls. Daher Uebelkeit und Dyspepsie der Weber. Bronchitis herrscht vor wegen des Staubs, ebenso Halsentzündung, ferner eine Hautkrankheit in Folge der Irritation der Haut durch den im Surat enthaltnen Schmutz." Andrerseits waren die Substitute des Mehls ein Fortunatussäckel für die Herrn Fabrikanten 30 durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten „15 Pfund Rohmate- rial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen" 2 4 2). In dem Bericht der Fabrikinspek- toren vom 30. April 1864 liest man: „Die Industrie verwerthet diese Hülfs- quelle jetzt in wahrhaft unanständigem Maß. Ich weiß von guter Autorität, daß achtpfündiges Geweb von 5¾ Pfund Baumwolle und 2% Pfund 35 Schlichte gemacht wird. Ein andres 5 1/pfündiges Geweb enthielt zwei Pfund Schlichte. Dieß waren ordinäre Shirtings für den Export. In andren 2 3 9 ) „Reports etc. 31st Oct. 1863", p. 41, 42. 2 4 0 ) 1. c. p. 57. 2 4 1 ) L c p. 50, 51. 2 4 2 ) I.e. p.62, 63. 412 40 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie Arten wurden manchmal 50 % Schlichte zugesetzt, so daß Fabrikanten sich rühmen können und sich auch ||424| wirklich rühmen, daß sie reich werden durch den Verkauf von Geweben für weniger Geld, als das nominell in ihnen enthaltne Garn kostet" 2 4 3). Die Arbeiter aber hatten nicht nur unter 5 den Experimenten der Fabrikanten in den Fabriken, und der Municipalitä- ten außerhalb der Fabriken, nicht nur von Lohnherabsetzung und Arbeits- losigkeit, von Mangel und Almosen, von den Lobreden der Lords und Un- terhäusler zu leiden. „Unglückliche Frauenzimmer, beschäftigungslos in Folge der Baumwollnoth, wurden Auswürflinge der Gesellschaft und blie- 10 ben es ... Die Zahl junger Prostituirten hat mehr zugenommen als seit den letzten 25 J a h r e n " 2 4 4 ) . Man findet also in den ersten 45 Jahren der britischen Baumwollindu- strie, von 1 7 7 0 - 1 8 1 5 , nur 5 Jahre der Krise und Stagnation, aber dieß war ihres Weltmonopols. Die zweite 48jährige Periode von die Periode 15 1 8 1 5 - 1 8 6 3 zählt nur 20 Jahre des Wiederauflebens und der Prosperität auf 28 Jahre des Drucks und der Stagnation. Von 1 8 1 5 - 1 8 3 0 beginnt die Kon- kurrenz mit dem kontinentalen Europa und den Vereinigten Staaten. Seit 1833 wird Ausdehnung der asiatischen Märkte erzwungen durch „Zerstö- rung der Menschenrace". Seit Widerruf der Korngesetze, von 1 8 4 6 - 1 8 6 3 , 20 auf acht Jahre mittlerer Lebendigkeit und Prosperität 9 Jahre Druck und Stagnation. Die Lage der erwachsnen männlichen Baumwoll-Arbeiter, selbst während der Prosperitätszeit, zu beurtheilen aus der beigefügten N o t e 2 4 5 ) . I 25 2 4 3 ) „Reports etc. 30th April 1864", p.27. 2 4 4 ) Aus Brief des Chief Constable Harris von Bolton in „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 61. 2 4 5 ) In einem Aufruf der Baumwollarb eiter, Frühling 1863, zur Bildung einer Emigrationsge- sellschaft heißt es u. a.: „Daß eine große Emigration von Fabrikarbeitern jetzt absolut noth- wendig ist, werden nur wenige leugnen. Daß aber ein beständiger Emigrationsstrom zu allen 30 Zeiten erheischt und es ohne denselben unmöglich ist, unsre Stellung unter gewöhnlichen Umständen zu behaupten, zeigen folgende Thatsachen: Im Jahr 1814 betrug der officielle Werth (der nur Index der Quantität) der exportirten Baumwollgüter 17665378 Pfd. St., ihr wirklicher Marktwerth 20 070 824 Pfd. St. im Jahr 1858 betrug der officielle Werth der expor- tirten Baumwollgüter 182221681 Pfd. St., ihr wirklicher Marktwerth nur 43001322 Pfd. St., so daß die Verzehnfachung der Quantität wenig mehr als Verdopplung des Aequivalents be- wirkte. Dieß für das Land überhaupt und die Fabrikarbeiter im Besondren so unheilvolle Re- sultat ward durch verschiedne zusammenwirkende Ursachen hervorgebracht. Eine der hervor- stechendsten für diesen ist der beständige Ueberfluß von Arbeit, unentbehrlich Geschäftszweig, der, unter Strafe der Vernichtung, beständiger Expansion des Markts bedarf. 40 Unsre Baumwollfabriken können stillgesetzt werden durch die periodische Stagnation des Handels, welche, unter gegenwärtiger Einrichtung, so unvermeidlich ist, wie der Tod selbst. Aber deswegen steht der menschliche Erfindungsgeist nicht still. Obgleich, niedrig angeschla- gen, 6 Millionen dieß Land während der letzten 25 Jahre verlassen haben, befindet sich den- noch in Folge fortwährender Verdrängung der Arbeit, um das Produkt zu verwohlfeilern, ein 45 großer Procentsatz der erwachsnen Männer selbst in den Zeiten höchster Prosperität außer Stand, Beschäftigung irgend einer Art auf irgend welche Bedingungen in den Fabriken zu fin- 35 413 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts |425| 8. Revolutionirung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit durch die große Industrie. a) Aufhebung der auf Handwerk und Theilung der Arbeit beruhenden Kooperation. 5 Man hat gesehn, wie die Maschinerie die auf dem Handwerk beruhende Kooperation und die auf Theilung der handwerksmäßigen Arbeit beru- hende Manufaktur aufhebt. Ein Beispiel der ersten Art ist die Mähma- schine, sie ersetzt die Kooperation von Mähern. Ein schlagendes Beispiel der zweiten Art ist die Maschine zur Fabrikation von Nähnadeln. Nach Adam Smith verfertigten zu seiner Zeit 10 Männer durch Theilung der Ar- 10 beit täglich über 48 000 Nähnadeln. Eine einzige Maschine liefert dagegen 145 000 in einem Arbeitstag von 11 Stunden. Eine Frau oder ein Mädchen überwacht im Durchschnitt 4 solche Maschinen und producirt daher mit der Maschinerie täglich an 600 000, in der Woche über 3 000 000 Nähna- deln 2 4 6). Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle der Koopera- 15 tion oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur Grundlage hand- werksmäßigen Betriebs werden. Indeß bildet diese auf Maschinerie beruhende Reproduktion des H andwerkb e trieb s nur den Uebergang zum Fabrikbetrieb, der in der Regel jedesmal eintritt, sobald mechanische Triebkraft, Dampf oder Wasser, die menschlichen Muskeln in der Bewe- 20 gung der Maschine ersetzt. Sporadisch und ebenfalls nur vorübergehend kann kleiner Betrieb sich verbinden mit mechanischer Triebkraft durch Miethe des Dampfs, wie in einigen Manufakturen Birmingham's, durch Gebrauch kleiner kalorischer Maschinen, wie in gewissen Zweigen der We- berei u.s.w. 2 4 7). In der Seidenweberei zu Coventry entwickelte sich natur- 25 wüchsig das Experiment der ||426| „Cottage-Fabriken". In der Mitte von Cottage-Reihen, quadratmäßig gebaut, wurde ein s.g. Engine House errich- tet für die Dampfmaschine und diese durch Schäfte mit den Webstühlen in den cottages verbunden. In allen Fällen war der Dampf gemiethet, z . B . zu 2/4 sh. per Webstuhl. Diese Dampfrente war wöchentlich zahlbar, die 30 Webstühle mochten laufen oder nicht. Jede cottage enthielt 2 - 6 Weh- den." („Reports of Insp. of Fact. 30th April 1863", p. 51, 52.) Man wird in einem spätem Kapi- tel sehn, wie die Herrn Fabrikanten während der Baumwollkatastrophe die Emigration der Fa- brikarbeiter auf alle Art, selbst von Staatswegen, zu verhindern suchten. 2 4 6 ) „Ch. Empi. Comm. III. Report, 1864", p. 108, n. 447. 2 4 7 ) In den Vereinigten Staaten ist derartige Reproduktion des Handwerks auf Grundlage der Maschinerie häufig. Die Koncentration, bei dem unvermeidlichen Uebergang in den Fabrik- betrieb, wird eben deswegen, im Vergleich zu Europa und selbst zu England, dort mit Sieben- meilenstiefeln marschiren. 35 414 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Stühle, den Arbeitern gehörig, oder auf Kredit gekauft, oder gemiethet. Der Kampf zwischen der Cottage-Fabrik und der eigentlichen Fabrik währte über 12 Jahre. Er hat geendet mit dem gänzlichen Ruin der 300 cottage factories 2 4 8). Wo die Natur des Processes nicht von vorn herein Produktion 5 auf großer Stufenleiter bedang, durchliefen in der Regel die in den letzten Decennien neu aufkommenden Industrien, wie z . B . Briefcouvert-, Stahlfe- dermachen u.s.w., erst den Handwerksbetrieb und dann den Manufaktur- betrieb als kurzlebige Uebergangsphasen zum Fabrikbetrieb. Diese Meta- morphose bleibt dort am schwierigsten, wo die manufakturmäßige 10 Produktion des Machwerks keine Stufenfolge von Entwicklungsprocessen, sondern eine Vielheit disparater Processe einschließt. Dieß bildete z . B . ein großes Hinderniß der Stahlfederfabrik. Jedoch wurde schon vor ungefähr anderthalb Decennien ein Automat erfunden, der 6 disparate Processe auf einen Schlag verrichtet. Das Handwerk lieferte die ersten 12 Dutzend 15 Stahlfedern 1820 zu 7 Pfd. St. 4 sh., die Manufaktur lieferte sie 1830 zu 8 sh., und die Fabrik liefert sie heute dem Großhandel zu 2 bis 6 d. 2 4 9). b) Rückwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Hausarbeit. Mit der Entwicklung des Fabrikwesen und der sie begleitenden Umwäl- zung der Agrikultur dehnt sich nicht nur die Produktionsleiter in allen 20 andren Industriezweigen aus, sondern verändert sich auch ihr Charakter. Das Princip des Maschinenbetriebs, den Produktionsproceß in seine kon- stituirenden Phasen zu analysiren und die so gegebnen Probleme durch Anwendung der Mechanik, Chemie u. s.w., kurz der Naturwissenschaften zu lösen, wird überall bestimmend. Maschinerie drängt sich daher bald für 25 diesen, ||427| bald für jenen Theilproceß in die Manufakturen. Die feste !Crystallisation ihrer Gliederung, der alten Theilung der Arbeit entstam- mend, löst sich damit auf und macht fortwährendem Wechsel Platz. Abge- sehn hiervon wird die Zusammensetzung des Gesammtarbeiters oder des kombinirten Arbeitspersonals von Grund aus umgewälzt. Im Gegensatz 30 zur Manufakturperiode gründet sich der Plan der Arbeits theilung jetzt auf Anwendung der Weib er arbeit, der Arbeit von Kindern aller Altersstufen, ungeschickter Arbeiter, wo es immer thubar, kurz der ,,cheap labour", wohlfeilen Arbeit, wie der Engländer sie charakteristisch nennt. Dieß gilt 35 2 4 8 ) Vgl. „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 64. 2 4 9 ) Herr Gillott errichtete zu Birmingham die erste Stahlfedermanufaktur auf großer Stufen- leiter. Sie lieferte schon 1851 über 180 Millionen Federn und verzehrte jährlich 120 Tonnen Stahlblech. Birmingham, das diese Industrie im Vereinigten Königreich monopolisirt, produ- cirt jetzt jährlich Milliarden von Stahlfedern. Die Zahl der beschäftigten Personen betrug nach dem Census von 1861: 1428, darunter 1268 Arbeiterinnen, vom 5. Jahr an einrollirt. 415 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts nicht nur für alle auf großer Stufenleiter kombinirte Produktion, ob sie Maschinerie anwende oder nicht, sondern auch für die s.g. Hausindustrie, ob ausgeübt in den Privatwohnungen der Arbeiter oder in kleinen Werk- stätten. Diese s. g. moderne Hausindustrie hat mit der altmodischen, die unabhängiges städtisches Handwerk, selbständige Bauernwirthschaft und vor allem ein Haus der Arbeiterfamilie voraussetzt, nichts gemein als den Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das auswärtige Departement der /Fabrik, der Manufaktur oder des Waarenmagazins. Neben den Fabrikarbeitern, Manufakturarbeitern und Handwerkern, die es in großen Massen räumlich koncentrirt und direkt kommandirt, bewegt das Kapital durch unsichtbare 10 Fäden eine andre Armee in den großen Städten und über das flache Land zerstreuter Hausarbeiter. Beispiel: die Hemdenfabrik der Herren Tillie zu Londonderry, Irland, die 1000 Fabrikarbeiter und 9000 auf dem Land zer- streute Hausarbeiter beschäftigt 2 5 0). 5 Die Exploitation wohlfeiler und unreifer Arbeitskräfte wird in der mo- 15 dernen Manufaktur schamloser als in der eigentlichen Fabrik, weil die hier existirende technische Grundlage, Ersatz der Muskelkraft durch Maschi- nen und Leichtigkeit der Arbeit, dort großentheils wegfällt, zugleich der weibliche oder noch unreife Körper den Einflüssen giftiger Substanzen u.s.w. aufs gewissenloseste preisgegeben wird. Sie wird in der s.g. Hausar- 20 beit schamloser als in der Manufaktur, weil die Widerstandsfähigkeit der Arbeiter mit ihrer Zersplitterung abnimmt, eine ganze Reihe räuberischer Parasiten sich zwischen den eigentlichen Arbeitgeber und den Arbeiter drängt, die Hausarbeit überall mit Maschinen- oder wenigstens Manufak- turbetrieb in demselben Produktionszweig kämpft, die Armuth dem Arbei- 25 ter die nöthigsten Arbeitsbedingungen, Raum, ||428| Licht, Ventilation u.s.w. raubt, die Unregelmäßigkeit der Beschäftigung wächst, und endlich in diesen letzten Zufluchtsstätten der durch die große Industrie und Agri- kultur „überzählig" Gemachten die Arbeiterkonkurrenz nothwendig ihr Maximum erreicht. Die durch den Maschinenbetrieb erst systematisch 30 ausgebildete Oekonomisirung der Produktionsmittel, von vorn herein zu- gleich rücksichtsloseste Verschwendung der Arbeitskraft und Raub an den normalen Voraussetzungen der Arbeitsfunktion, kehrt jetzt diese ihre ant- agonistische und menschenmörderische Seite um so mehr heraus, je weni- ger in einem Industriezweig die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit 35 und die technische Grundlage kombinirter Arbeitsprocesse entwickelt sind. 2 5°) „Ch. Empi. Comm. II. Rep. 1864", p.LXVIII, η. 415. 416 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie c) Die moderne Manufaktur. 15 Ich will nun an einigen Beispielen die oben aufgestellten Sätze erläutern. Der Leser kennt in der That schon massenhafte Belege aus dem Abschnitt über den Arbeitstag. Die Metallmanufakturen in Birmingham und Umge- 5 gend wenden großentheils für sehr schwere Arbeit 30 000 Kinder und junge Personen nebst 10 000 Weibern an. Man findet sie hier in den gesundheits- widrigen Gelbgießereien, Knopffabriken, Glasur-, Galvanisirungs- und Lackirarbeiten 2 5 1). Die Arbeitsexcesse für Erwachsne und Unerwachsne ha- ben verschiednen Londoner Zeitungs- und Buchdruckereien den rühmli- 10 chen Namen: „Das Schlachthaus" gesichert 2 5 1 a ) . Dieselben Excesse, deren Schlachtopfer hier namentlich Weiber, Mädchen und Kinder, in der Buch- binderei. Schwere Arbeit für Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in S alz werken, Lichter- und andren chemischen Manufakturen; mörderi- scher Verbrauch von Jungen in Seidenwebereien, die nicht mechanisch be- trieben werden, zum Drehen der Webstühle 2 5 2). Eine der infamsten, schmutzigsten und schlecht bezahltesten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt werden, ist das Sortiren der Lumpen. Man weiß, daß Großbritannien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. 20 Sie strömen dahin von Japan, den entferntesten Staaten Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre Hauptzufuhrquellen aber sind ||429| Deutsch- land, Frankreich, Rußland, Italien, Aegypten, Türkei, Belgien und Hol- land. Sie dienen zur Düngung, Fabrikation von Flocken (für Bettzeug), Shoddy (Kunstwolle), und als Rohmaterial des Papiers. Die weiblichen 25 Lumpensortirer dienen als Medien, um Pocken und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu kolportiren 2 5 3). Als klassi- sches Beispiel für Ueberarbeit, schwere und unpassende Arbeit, und daher folgende Brutalisirung der von Kindesbeinen an konsumirten Arbeiter kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion, die Ziegel- oder Back- steinmacherei gelten, wozu in England die neuerfundene Maschine nur noch sporadisch angewandt wird (1866). Zwischen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, und, wo Trock- nung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends gilt für „reducirt", 35 „mäßig". Kinder beiderlei Geschlechts werden vom 6. und selbst vom 30 2 5 1 ) Und nun gar Kinder im Feilenschleifen zu Sheffield! 2 5 1 a ) ) „Ch. Empi. Comm. V. Rep. 1866", p. 3, η. 24, p. 6, η. 55, 56, p. 7, η. 59, 60. 2 5 2 ) i.e. p. 114,115, n.6(cid:5)7. Der Kommissär bemerkt richtig, daß wenn sonst die Maschine den Menschen, hier der Junge verbatim die Maschine ersetzt. 2 5 3 ) Sieh Bericht über den Lumpenhandel und zahlreiche Belege: „Public Health. VIII. Re- port. Lond. 1866". Appendix, p. 196-208. 40 417 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten dieselbe Stundenzahl, oft mehr als die Er- wachsnen. Die Arbeit ist hart, und die Sommerhitze steigert noch die Er- schöpfung. In einer Ziegelei zu Moxley z.B. machte ein 24jähriges Mäd- chen 2000 Ziegel täglich, unterstützt von zwei unerwachsnen Mädchen als Gehülfen, welche den Lehm trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täglich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegel- grube von einer Tiefe von 30 Fuß herauf und über eine Entfernung von 210 Fuß. „Es ist unmöglich für ein Kind durch das Fegfeuer einer Ziegelei zu passiren ohne große moralische Degradation Die nichtswürdige Sprache, die sie vom zartesten Alter an zu hören bekommen, die unfläthi- 10 gen, unanständigen und schamlosen Gewohnheiten, unter denen sie un- wissend und verwildert aufwachsen, machen sie für die spätre Lebenszeit gesetzlos, verworfen, liederlich Eine furchtbare Quelle der Demorali- sation ist die Art der Wohnlichkeit. Jeder moulder (Former) (der eigentlich geschickte Arbeiter und Chef einer Arbeitergruppe) liefert seiner Bande 15 von 7 Personen Logis und Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner Familie gehörig oder nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in der Hütte. Diese besteht gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3 Zimmern, alle auf dem Erdgeschoß, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so er- schöpft durch die große Transpiration während des Tags, daß weder Ge- 20 sundheitsregeln, Reinlichkeit noch Anstand | |430| werden. Viele dieser Hütten sind wahre Modelle von Unordnung, Schmutz und Staub .... Das größte Uebel des Systems, welches junge Mäd- chen zu dieser Art Arbeit verwendet, besteht darin, daß es sie in der Regel von Kindheit an für ihr ganzes spätres Leben an das verworfenste Gesindel 25 festkettet. Sie werden rohe, bösmäulige Buben (,,rough, foul-mouthed boys"), bevor die Natur sie gelehrt hat, daß sie Weiber sind. Gekleidet in wenige schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblößt, Haar und Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Sittsamkeit und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit liegen 30 sie auf den Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die in einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagewerk endlich vollbracht, so ziehn sie beßre Kleider an und begleiten die Männer in Bierkneipen." Daß die größte Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser ganzen Klasse herrscht, ist nur naturgemäß. „Das Schlimmste ist, daß die Ziegelmacher 35 an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der Bessern zum Ka- plan von Southallfîelds, ebensowohl versuchen den Teufel zu erheben und zu bessern als einen Ziegler, mein Herr!" ("You might as well try to raise and improve the devil as a brickie, Sir!") 2 5 4) irgendwie beobachtet 2 5 4 ) ,,Child. Empi. Comm. V. Report 1866", XVI-XVIII, n. 86-97 und p. 130-133, n. 3 9 - 7 1 . Vgl. auch ib. III. Rep. 1864, p. 48, 56. 4 0 418 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Ueber die kapitalistische Oekonomisirung der Arbeitsbedingungen in der modernen Manufaktur (worunter hier alle Werkstätten auf großer Stu- fenleiter, außer eigentlichen Fabriken, zu verstehn) findet man officielles und reichlichstes Material in dem IV. (1861) und VI. (1863) „Public 5 Health Report". Die Beschreibung der workshops (Arbeitslokale), nament- lich der Londoner Drucker und Schneider überbietet die ekelhaftesten Phantasien unsrer Romanschreiber. Die Wirkung auf den Gesundheitszu- stand der Arbeiter ist selbstverständlich. Dr. Simon, der oberste ärztliche Beamte des Privy Council und officielle Herausgeber der „Public Health 10 Reports", sagt u.a.: „In meinem vierten Bericht (1861) zeigte ich, wie es für die Arbeiter praktisch unmöglich ist darauf zu bestehen, was ihr erstes Ge- sundheitsrecht ist, das Recht, daß zu welchem Werk immer ihr Anwender sie versammelt, die Arbeit, so weit es von ihm abhängt, von allen vermeid- baren gesundheitswidrigen Umständen befreit sein soll. Ich wies nach, daß 15 während die Arbeiter praktisch unfähig sind, sich selbst diese Gesundheits- justiz zu verschaffen, sie keinen wirksamen Beistand von den bestallten Administratoren der Gesundheitspolizei erlangen können .... ||431| Das Leben von Myriaden von Arbeitern und Arbeiterinnen wird jetzt nutzlos gefoltert und verkürzt durch das endlose physische Leiden, welches ihre 20 bloße Beschäftigung erzeugt" 2 5 5). Zur Illustration des Einflusses der Ar- beitslokale auf den Gesundheitszustand giebt Dr. Simon folgende Sterb- lichkeitsliste: 25 30 35 40 Personenzahl aller Altersstufen in den resp. Industrien an- gewandt. Industrien ver- glichen in Bezug auf Gesundheit. Sterblichkeitsrate auf 100 000 Männer in den resp. Industrien zu den angegebenen Altersstufen. 958 265 22 301 Männer Ί 12 377 Weiber J 13 803 Agrikult. in Eng- land und Wales Lond. Schneider Lond. Drucker 25. bis 35. J. 743 958 894 35. bis 45. J. 805 1262 1747 45. bis 55, 1145 2093 2367 2 5 6) 2 5 5 ) „Public Health". VI.Rep. Lond. 1864, p.29, 31. 2 5 6 ) I.e. p.30. Dr.Simon bemerkt, daß die Sterblichkeit der Londoner Schneider und Drucker vom 25.-35. Jahr in der That viel größer ist, weil ihre Londoner Anwender eine große Zahl junger Leute bis zum 30. Jahr hinauf vom Land als „Lehrlinge" und ,,improvers" (die sich in ihrem Handwerk ausbilden wollen) erhalten. Diese figuriren im Census als Londoner, sie schwellen die Kopfzahl, worauf die Londoner Sterblichkeitsrate berechnet wird, ohne verhält- nißmäßig zur Zahl der Londoner Todesfälle beizutragen. Großer Theil von ihnen kehrt näm- lich und ganz besonders in schweren Krankheitsfällen, zum Land zurück. (1. c.) 419 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts d) Die moderne Hausarbeit. Ich wende mich jetzt zur sog. Hausarbeit. Um sich eine Vorstellung von dieser auf dem Hintergrund der großen Industrie aufgebauten Exploita- tionssphäre des Kapitals und ihren Ungeheuerlichkeiten zu machen, be- trachte man z.B. die scheinbar ganz idyllische, in einigen abgelegnen Dör- fern Englands betriebne Nägelmacherei 2 5 7). Hier genügen einige Beispiele aus den noch gar nicht maschinenmäßig betriebnen oder mit Maschinen- und Manufakturbetrieb konkurrirenden Zweigen der Spitzenfabrik und Strohflechterei. 5 Von den 150 000 Personen, die in der englischen Spitzenproduktion be- 10 schäftigt, fallen ungefähr 10 000 unter die Botmäßigkeit des Fabrikakts von 1861. Die ungeheure Mehrzahl der übrig bleibenden 1 4 0 0 0 0 sind Weiber, junge Personen und Kinder beiderlei Geschlechts, obgleich das männliche Geschlecht nur schwach vertreten ist. Der Gesundheitszustand dieses „wohlfeilen" ||432| Exploitationsmaterials ergibt sich aus folgender Aufstel- 15 lung des Dr. Truman, Arzt beim General Dispensary von Nottingham. Von je 686 Patienten, Spitzenmacherinnen, meist zwischen dem 17. und 24. Jahr, waren schwindsüchtig: 1852 1 auf 45, 1853 1 » 28, 1854 1 » 17, 1855 1 auf 18, 1856 1 » 15, 1857 1 » 13, 1858 1 auf 15, 9, 1859 1 » 8, 1860 1 » 8.: 1861 1 » 20 Dieser Fortschritt in der Rate der Schwindsucht muß dem optimistisch- sten Fortschrittler und lügenfauchendsten deutschen Freihandelshausir- burschen genügen. 25 Der Fabrikakt von 1861 regelt das eigentliche Machen der Spitzen, so- weit es durch Maschinerie geschieht, und dieß ist die Regel in England. Die Zweige, die wir hier kurz berücksichtigen, und zwar nicht, soweit die Arbeiter in Manufakturen, Waarenhäusern u.s.w. koncentrirt, sondern nur sofern sie sog. Hausarbeiter sind, zerfallen 1) in das finishing (letztes Zu- 30 rechtmachen der maschinenmäßig fabricirten Spitzen, eine Kategorie, die wieder zahlreiche Unterabtheilungen einschließt), 2) Spitzenklöppeln. Das Lace finishing wird als Hausarbeit betrieben entweder in sog. „Mis- tresses Houses" oder von Weibern, einzeln oder mit ihren Kindern, in ihren Privatwohnungen. Die Weiber, welche die „Mistresses Houses" hai- 35 2 5 7 ) Es handelt sich hier um gehämmerte Nägel im Unterschied von den maschinenmäßig fa- bricirten geschnittenen Nägeln. Siehe ,,Child. Empi. Comm. III. Report", p. XI, p. XIX, η. 125(cid:5)130, p. 52, η. 11, p. 113, 114, η. 487, p. 137, η. 674. 2 5 8 ) ,,Child. Empi. Comm. II. Report", p. XXII, η. 166. 420 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie ten, sind selbst arm. Das Arbeitslokal bildet Theil ihrer Privatwohnung. Sie erhalten Aufträge von Fabrikanten, Besitzern von Waarenmagazinen u. s.w. und wenden Weiber, Mädchen und junge Kinder an, je nach dem Umfang ihrer Zimmer und der fluktuirenden Nachfrage des Geschäfts. Die 5 Zahl der beschäftigten Arbeiterinnen wechselt von 20 zu 40 in einigen, von 10 zu 20 in andren dieser Lokale. Das durchschnittliche Minimalalter, wo- rin Kinder beginnen, ist 6 Jahre, manche jedoch unter 5 Jahren. Die ge- wöhnliche Arbeitszeit währt von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, mit ll/2 Stunden für Mahlzeiten, die unregelmäßig und oft in den stinkigen Ar- io beitslöchern selbst genommen werden. Bei gutem Geschäft währt die Ar- beit oft von 8 Uhr (manchmal 6 Uhr) Morgens bis 10, 11 oder 12 Uhr Nachts. In englischen Kasernen beträgt der vorschriftsmäßige Raum für j e - den Soldaten 5 0 0 - 6 0 0 Kubikfuß, in den Militärlazarethen 1200. In jenen Arbeitslöchern kommen 6 7 - 1 0 0 Kubikfuß auf jede Person. Gleichzeitig 15 verzehrt Gaslicht den Sauerstoff der Luft. Um die Spitzen rein zu halten, müssen die Kinder oft die Schuhe aus||433|ziehn, auch im Winter, ob- gleich das Estrich aus Pflaster oder Ziegeln besteht. „Es ist nichts Unge- wöhnliches in Nottingham, 15 bis 20 Kinder in einem kleinen Zimmer von vielleicht nicht mehr als 12 Fuß im Quadrat zusammengepökelt zu finden, 20 während 15 Stunden aus 24 beschäftigt an einer Arbeit, an sich selbst er- schöpfend durch Ueberdruß und Monotonie, zudem unter allen nur mögli- chen gesundheitszerstörenden Umständen ausgeübt ... Selbst die jüngsten Kinder arbeiten mit einer gespannten Aufmerksamkeit und Geschwindig- keit, die erstaunlich sind, fast niemals ihren Fingern Ruhe oder langsamre 25 Bewegung gönnend. Richtet man Fragen an sie, so erheben sie das Auge nicht von der Arbeit, aus Furcht, einen Moment zu verlieren." Der „lange Stock" dient den ,,mistresses" als Anregungsmittel im Verhältniß, worin die Arbeitszeit verlängert wird. „Die Kinder ermüden allmählig und wer- den so rastlos wie Vögel gegen das Ende ihrer langen Gebundenheit an 30 eine Beschäftigung, eintönig, für die Augen angreifend, erschöpfend durch die Einförmigkeit der Körperhaltung. Es ist wahres Sklavenwerk." ("Their work is like slavery") 2 5 9). Wo Frauen mit ihren eignen Kindern zu Hause, d. h. im modernen Sinn, in einem gemietheten Zimmer, häufig in einer Dachstube arbeiten, sind die Zustände wo möglich noch schlimmer. Diese 35 Art Arbeit wird 80 Meilen im Umkreis von Nottingham ausgegeben: Wenn das in den Waarenhäusern beschäftigte Kind sie 9 oder 10 Uhr Abends ver- läßt, gibt man ihm oft noch ein Bündel mit auf den Weg, um es zu Haus fertig zu machen. Der kapitalistische Pharisäer, vertreten durch einen sei- ner Lohnknechte, thut das natürlich mit der salbungsvollen Phrase: „das 40 2 5 9 ) ,,Child. Empi. Comm. II. Report 1864", p. XVIII, XIX, XX, XXI. 421 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts sei für Mutter", weiß aber sehr wohl, daß das arme Kind aufsitzen und hel- fen m u ß 2 6 0 ) . 5 10 Die Industrie des Spitzenklöppelns wird hauptsächlich in zwei engli- schen Agrikulturdistrikten betrieben, dem Honiton Spitzendistrikt, 20 bis 30 Meilen längs der Südküste von Devonshire, mit Einschluß weniger Plätze von Nord-Devon, und einem andren Distrikt, der großen Theil der Grafschaften von Buckingham Bedford, Northampton und die benachbar- ten Theile von Oxfordshire und Huntingdonshire umfaßt. Die cottages der Ackerbautaglöhner bilden durchschnittlich die Arbeitslokale. Manche Ma- nufakturherrn wenden über 3000 dieser Hausarbeiter an, hauptsächlich | |434| Kinder und junge Personen, ausschließlich weiblichen Geschlechts. Die beim Lace finishing beschriebnen Zustände wiederholen sich. Nur tre- ten an die Stelle der ,,mistresses houses" die sog. „lace schools" (Spitzen- schulen), gehalten von armen Weibern in ihren Hütten. Vom 5. Jahr an, manchmal jünger, bis zum 12. oder 15. arbeiten die Kinder in diesen S chu- 15 len, während des ersten Jahres die Jüngsten von 4 bis 8 Stunden, später von 6 Uhr Morgens bis 8 und 10 Uhr Abends. „Die Zimmer sind im allge- meinen gewöhnliche Wohnstuben kleiner cottages, der Kamin zugestopft zur Abwehr von Luftzug, die Insassen manchmal auch im Winter nur von ihrer eignen animalischen Wärme geheizt. In andren Fällen sind diese s.g. Schulzimmer kleinen Vorrathskammern ähnliche Räume, ohne Feuerplatz .... Die Ueberfüllung dieser Löcher und die dadurch bewirkte Luftverpe- stung sind oft extrem. Dazu kommt die schädliche Wirkung von Gerinnen, Abtritten, verwesenden Stoffen und andrem Unrath, gewöhnlich in den Zu- gängen zu kleinren cottages." Mit Bezug auf den Raum: „In einer Spitzen- 25 schule 18 Mädchen und Meisterin, 33 Kubikfuß für jede Person; in einer andren, wo unerträglicher Gestank, 18 Personen, per Kopf 24½ Kubikfuß. Man findet in dieser Industrie Kinder von 2 und 2% Jahren verwandt" 2 6 1). Wo das Spitzenklöppeln in den ländlichen Grafschaften von Bucking- ham und Bedford aufhört, beginnt die Strohflechterei. Sie erstreckt sich 30 über großen Theil von Hertfordshire und die westlichen und nördlichen Theile von Essex. Es waren 1861 beschäftigt im Strohflechten und Stroh- hutmachen 48 043 Personen, 3815 davon männlichen Geschlechts aller Al- tersstufen, die andren weiblichen Geschlechts, und zwar 14 913 unter 20 Jahren, davon an 6000 Kinder. An die Stelle der Spitzenschulen treten 35 hier die ,,straw plait schools" (Strohflechtschulen). Die Kinder beginnen hier den Unterricht im Strohflechten gewöhnlich vom 4., manchmal zwi- schen dem 3. und 4. Jahr. Erziehung erhalten sie natürlich keine. Die Kin- der selbst nennen die Elementarschulen „natural schools" (natürliche 20 2 6°) 1. c. p.XXI, XXII. 2 6 1 ) I.e. p.XXIX, XXX. 422 40 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Schulen) im Unterschied zu diesen Blutaussaugungsanstalten, worin sie einfach an der Arbeit gehalten werden, um das von ihren halbverhungerten Müttern vorgeschriebne Machwerk, meist 30 Yards per Tag, zu verfertigen. Diese Mütter lassen sie dann oft noch zu Haus bis 10, 11, 12 Uhr Nachts arbeiten. Das Stroh schneidet ihnen Finger und Mund, durch den sie es | |435| beständig anfeuchten. Nach der von Dr.Ballard resümirten Gesammt- ansicht der medicinischen Beamten Londons bilden 300 Kubikfuß den Mi- nimalraum für jede Person in einem Schlaf- oder Arbeitszimmer. In den Strohflechtschulen ist der Raum aber noch spärlicher zugemessen als in den Spitzenschulen, „12%, 17, 18½ und unter 22 Kubikfuß für jede Per- son". Die kleinren dieser Zahlen, sagt Kommissär White, „repräsentiren weniger Raum als die Hälfte von dem, den ein Kind einnehmen würde, wenn verpackt in eine Schachtel von 3 Fuß nach allen Dimensionen". Dieß der Lebensgenuß der Kinder bis zum 12. oder 14. Jahr. Die elenden, ver- kommenen Eltern sinnen nur darauf, aus den Kindern so viel als möglich herauszuschlagen. Aufgewachsen fragen die Kinder natürlich keinen Deut nach den Eltern und verlassen sie. „Es ist kein Wunder, daß Unwissenheit und Laster überströmen in einer so aufgezüchteten Bevölkerung ... Ihre Moral steht auf der niedrigsten Stufe .... Eine große Anzahl der Weiber hat illegitime Kinder und manche in so unreifem Alter, daß selbst die Ver- trauten der Kriminalstatistik darüber erstarren" 2 6 2). Und das Heimathsland dieser Musterfamilien ist, so sagt der sicher im Christenthum kompetente Graf Montalembert, Europa's christliches Musterland! Der Arbeitslohn, in den eben behandelten Industriezweigen überhaupt jämmerlich (der ausnahmsweise Maximallohn der Kinder in den Stroh- flechtschulen 3 sh.), wird noch tief unter seinen Nominalbetrag herabge- drückt durch das namentlich in den Spitzendistrikten allgemein vorherr- schende Trucksystem 2 6 3). e) Uebergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur großen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch Anwendung der Fabrikgesetze auf jene Betriebsweisen. Die Verwohlfeilerung der Arbeitskraft durch bloßen Mißbrauch weiblicher und unreifer Arbeitskräfte, bloßen Raub aller normalen Arbeits- und Le- bensbedingungen, und bloße Brutalität der Ueber- und Nachtarbeit, stößt zuletzt auf gewisse nicht weiter überschreitbare Naturschranken, und mit 2 6 2 ) 1. c. p. XXXIX, XL, XLL 2 6 3 ) ,,Child. Empi. Comm. I. Rep. 1863", p. 185. 423 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts ihr auch die auf diesen Grundlagen beruhende Verwohlfeilerung der Waa- ren und kapitalistische Exploitation überhaupt. Sobald dieser Punkt end- lich erreicht ist, und es dauert lange, schlägt die Stunde für Ein||436|füh- rung der Maschinerie und die nun rasche Verwandlung der zersplitterten Hausarbeit (oder auch Manufaktur) in Fabrikbetrieb. 5 10 Das kolossalste Beispiel dieser Bewegung liefert die Produktion von ,,Wearing Apparel" (zum Anzug gehörige Artikel). Nach der Klassifikation der ,,Child. Empi. Comm." umfaßt diese Industrie Strohhut- und Damen- hutmacher, Kappenmacher, Schneider, milliners und dressmakers 2 6 4), Hemdenmacher und Näherinnen, Korsetten-, Handschuh-, Schuhmacher, nebst vielen kleineren Zweigen, wie Fabrikation von Halsbinden, Halskra- gen u. s. w. Das in England und Wales in diesen Industrien beschäftigte weibliche Personal betrug 1861: 5 8 6 2 9 8 , wovon mindestens 115 242 unter 20, 16 560 unter 15 Jahren. Zahl dieser Arbeiterinnen im Vereinigten Kö- nigreich (1861): 7 5 0 3 3 4 . Die Zahl der gleichzeitig in Hut-, Schuh-, Hand- 15 Schuhmacherei und Schneiderei beschäftigten männlichen Arbeiter in England und Wales: 437 969, wovon 14 964 unter 15 Jahren, 8 9 2 8 5 fünf- zehn- bis zwanzigjährig, 333 117 über 20 Jahren. Es fehlen in dieser An- gabe viele hierher gehörige kleinere Zweige. Nehmen wir aber die Zahlen, wie sie stehn, so ergibt sich für England und Wales allein, nach dem Cen- 20 sus von 1861, eine Summe von 1 0 2 4 2 6 7 Personen, also ungefähr so viel wie Ackerbau und Viehzucht absorbiren. Man fängt an zu verstehn, wozu die Maschinerie so ungeheure Produktenmassen hervorzaubern und so un- geheure Arbeitermassen „freisetzen" hilft. Die Produktion des ,,Wearing Apparel" wird betrieben durch Manufak- 25 turen, welche in ihrem Innern nur die Theilung der Arbeit reproducirten, deren membra disjecta sie fertig vorfanden; durch kleinere Handwerksmei- ster, die aber nicht wie früher für individuelle Konsumenten, sondern für Manufakturen und Waarenmagazine arbeiten, so daß oft ganze Städte und Landstriche solche Zweige, wie Schusterei u. s. w. als Specialität ausüben; 30 endlich im größten Umfang durch s.g. Hausarbeiter, welche das auswärtige Departement der Manufakturen, Waarenmagazine und selbst der kleineren Meister bilden 2 6 5). Die Massen des Arbeitsstoffs, Rohstoffs, Halbfabrikate u.s.w. liefert die große Industrie, die Masse des wohlfeilen Menschenmate- rials (taillable à merci et miséricorde) besteht aus den durch die große In- 35 dustrie und Agrikultur „Frei||437|gesetzten". Die Manufakturen dieser 2 6 4 ) Millinery bezieht sich eigentlich nur auf den Kopfputz, doch auch Damenmäntel und Mantillen, während Dressmakers mit unsren Putzmacherinnen identisch sind. 2 6 5 ) Die englische millinery und das dressmaking werden meist in den Baulichkeiten der An- wender, theils durch dort wohnhafte und engagirte Arbeiterinnen, theils durch auswärts woh- nende Taglöhnerinnen betrieben. 40 424 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie Sphäre verdankten ihren Ursprung hauptsächlich dem Bedürfniß des Kapi- talisten, eine jeder Bewegung der Nachfrage entsprechende schlagfertige Armee unter der Hand zu haben 2 6 6). Diese Manufakturen ließen jedoch ne- ben sich den zerstreuten handwerksmäßigen und Hausbetrieb als breite 5 Grundlage fortbestehn. Die große Produktion von Mehrwerth in diesen Ar- beitszweigen, zugleich mit der progressiven Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nöthigen Arbeitslohns, verbunden mit dem Maximum men- schenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die Wohlfeilheit des in Waare 10 verwandelten Menschenschweißes und Menschenbluts, welche den Absatz- markt beständig erweiterte und täglich erweitert, für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische Gewohnheit und Ge- schmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt ein. Die Grundlage der alten Methode, bloß brutale Ausbeutung des Arbeitermaterials, mehr 15 oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitstheilung, ge- nügte dem wachsenden Markt und der noch rascher wachsenden Konkur- renz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämmtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schuste- rei, Näherei, Hutmacherei u. s. w. gleichmäßig ergreift, ist - die Nähma- schine. 20 Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefähr die aller Ma- schinerie, welche in der Periode der großen Industrie neue Geschäfts- zweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn der 25 Maschinenarbeiter steigt verhältnißmäßig zu dem der Hausarbeiter, wovon viele zu „den Aermsten der Armen" (,,the poorest of the poor") gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen die Maschine kon- kurrirt, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind ausschließlich Mädchen und junge Frauen. Mit Hülfe der mechanischen Kraft vernichten sie das 30 Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Handarbeiter. Das gräuliche Wachs- thum des Hungertods (death from starvation) in London während des letz- ten Decenniums läuft parallel ||438| mit der Ausdehnung der Maschinen- 35 näherei 2 6 7). Die neuen Arbeiterinnen an der Nähmaschine, welche von 2 6 6 ) Kommissär White besuchte eine Manufaktur für Militärkleider, die 1000 bis 1200 Perso- nen, fast alle weiblichen Geschlechts, beschäftigte, eine Schuhmanufaktur mit 1300 Perso- nen, wovon beinahe die Hälfte Kinder und junge Personen u. s. w. (,,Child. Empi. Comm. II. Rep.", p.XLVII, n.319.) 2 6 7 ) Ein Beispiel. Am 26. Februar 1864 enthält der wöchentliche Sterblichkeitsbericht des Re- gistrar General 5 Fälle von Hungertod. Am selben Tag berichtet die Times einen neuen Fall von Hungertod. Sechs Opfer des Hungertods in einer Woche! 40 425 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts ihnen mit Hand und Fuß oder mit der Hand allein, sitzend und stehend, je nach Schwere, Größe und Specialität der Maschine, bewegt wird, verausga- ben große Arbeitskraft. Ihre Beschäftigung wird gesundheitswidrig durch die Dauer des Processes, obgleich er meist kürzer als im alten System. Ueberau, wo die Nähmaschine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen u.s.w., ohnehin enge und überfüllte Werkstätten heimsucht, vermehrt sie die gesundheitswidrigen Einflüsse. „Die Wirkung", sagt Kommissär Lord, „beim Eintritt in niedrig gestochne Arbeitslokale, wo 30 bis 40 Maschinen- arbeiter zusammenwirken, ist unerträglich ... Die Hitze, theilweis den Gas- öfen zur Wärmung der Bügeleisen geschuldet, ist schrecklich .... Wenn 10 selbst in solchen Lokalen s.g. mäßige Arbeitsstunden, d.h. von 8 Uhr Mor- gens bis 6 Uhr Abends, vorherrschen, fallen dennoch jeden Tag 3 oder 4 Personen regelmäßig in Ohnmacht" 2 6 8 ) . 5 Die Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise, dieß nothwendige Produkt der Umwandlung des Produktionsmittels, vollzieht sich in einem 15 bunten Wirrwar von Uebergangsformen. Sie wechseln mit dem Umfang, worin, und der Zeitlänge, während welcher die Nähmaschine den einen oder andren Industriezweig bereits ergriffen hat; mit der vorgefundnen Lage der Arbeiter, dem Uebergewicht des Manufaktur-, Handwerks- oder Hausbetriebs, dem Miethpreis der Arbeitslokale 2 6 9) u. s. w. In der Putzma- 20 cherei z.B., wo die Arbeit meist schon organisirt war, hauptsächlich durch einfache Kooperation, bildet die Nähmaschine zunächst nur einen neuen Faktor des Manufakturbetriebs. In der Schneiderei, Hemdenmacherei, Schusterei u.s.w. durchkreuzen sich alle Formen. Hier eigentlicher Fabrik- betrieb. Dort erhalten Zwischenanwender das Rohmaterial vom Kapitali- 25 sten en chef und gruppiren in „Kammern" oder „Dachstuben" 10 bis 50 und noch mehr Lohn||439|arbeiter um Nähmaschinen. Endlich wie bei aller Maschinerie, die kein gegliedertes System bildet, und im Zwergformat anwendbar ist, benutzen Handwerker oder Hausarbeiter, mit eigner Fami- lie oder Zuziehung weniger fremder Arbeiter, auch ihnen selbst gehörige 30 Nähmaschinen 2 7 0). Thatsächlich überwiegt jetzt in England das System, daß der Kapitalist eine größre Maschinenanzahl in seinen Baulichkeiten koncentrirt und dann das Maschinenprodukt zur weiteren Verarbeitung unter die Armee der Hausarbeiter vertheilt 2 7 1). Die Buntheit der Ueber- 2 6 8 ) ,,Child. Empi. Comm." II. Rep. 1864, p.LXVII, n. 406-9, p. 84, n. 124, p.LXXIII, n. 441, 35 p. 68, n. 6, p. 84, n. 126, p. 78, n. 85, p. 76, n. 69, p. LXXII, n. 438. 2 6 9 ) "The rental of premises required for work rooms seems the element which ultimately de- termines the point, and consequently it is in the metropolis, that the old system of giving work out to small employers and families has been longest retained, and earliest returned to." (I.e. p. 83, n. 123.) Der Schlußsatz bezieht sich ausschließlich auf Schusterei. 2 7 0 ) In der Handschuhmacherei u. s.w., wo die Lage der Arbeiter von der der Paupers kaum unterscheidbar, kömmt dieß nicht vor. 2 7 1 ) I.e. p.83, n.122. 40 426 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie gangsformen versteckt jedoch nicht die Tendenz zur Verwandlung in eigent- lichen Fabrikbetrieb. Diese Tendenz wird genährt durch den Charakter der Nähmaschine selbst, deren mannigfaltige Anwendbarkeit zur Vereinigung früher getrennter Geschäftszweige in derselben Baulichkeit und unter dem 5 Kommando desselben Kapitals drängt; durch den Umstand, daß vorläufi- ges Nadelwerk und einige andre Operationen am geeignetsten am Sitz der Maschine verrichtet werden; endlich durch die unvermeidliche Expropria- tion der Handwerker und Hausarbeiter, die mit eignen Maschinen produci- ren. Dieß Fatum hat sie zum Theil schon jetzt erreicht. Die stets wachs- 10 ende Masse des in Nähmaschinen angelegten Kapitals 2 7 2) spornt die Produktion und erzeugt Marktstockungen, welche das Signal zum Verkauf der Nähmaschinen durch die Hausarbeiter läuten. Die Ueberproduktion von solchen Maschinen selbst zwingt ihre absatzbedürftigen Producenten, sie auf wöchentliche Miethe zu verleihn, und schafft damit eine für die 15 kleinen Maschineneigner tödtliche Konkurrenz 2 7 3). Stets noch fortdau- ernde Konstruktionswechsel und Verwohlfeilerung der Maschinen depre- ciiren eben so beständig ihre alten Exemplare und lassen sie nur noch mas- in der Hand großer Kapitalisten, senhaft, zu Spottpreisen gekauft, profitlich anwenden. Endlich gibt die Substitution der Dampfmaschine für 20 den Menschen, hier wie in allen ähnlichen Umwälzungsprocessen, den Ausschlag. Die Anwendung der Dampfkraft stößt im Anfang auf rein tech- nische Hindernisse, wie Schütteln der Maschinen, Schwierigkeit in der Be- herrschung ihrer Geschwindigkeit, raschen Verderb der leichtern Maschi- nen u. s. w., lauter Hindernisse, welche die Erfahrung bald ||440| über- 25 winden l e h r t 2 7 4 ) . Wenn einerseits die Koncentration vieler Arbeitsmaschi- in größren Manufakturen zur Anwendung der Dampfkraft treibt, nen beschleunigt andrerseits die Konkurrenz des Dampfes mit Menschenmus- keln Koncentration von Arbeitern und Arbeitsmaschinen in großen Fabri- ken. So erlebt England gegenwärtig in der kolossalen Produktionssphäre 30 des ,,Wearing Apparel", wie in den meisten übrigen Gewerken, die Umwäl- zung der Manufaktur, des Handwerks und der Hausarbeit in Fabrikbetrieb, nachdem alle jene Formen, unter dem Einfluß der großen Industrie gänz- lich verändert, zersetzt, entstellt, bereits längst alle Ungeheuerlichkeiten des Fabriksystems ohne seine positiven Entwicklungsmomente reproducirt 35 und selbst übertrieben hatten 2 7 5). 2 7 2 ) In der für den Großverkauf producirenden Stiefel- und Schuhmacherei von Leicester al- lein waren 1864 bereits 800 Nähmaschinen im Gebrauch. 2 7 3 ) 1. c. p. 84, n. 124. 2 7 4 ) So im Armee-Kleidungsdepot zu Pimlico, London, in der Hemdenfabrik von Tillie und 40 Henderson zu Londonderry, in der Kleiderfabrik der Firma Tait zu Limerick, die an 1200 „Hände" vernutzt. 2 7 5 ) ,,Tendency to factory system". (I.e. p.LXVII.) "The whole employment is at this time in a 427 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Diese naturwüchsig vorgehende industrielle Revolution wird künstlich beschleunigt durch die Ausdehnung der Fabrikgesetze auf alle Industrie- zweige, worin Weiber, junge Personen und Kinder arbeiten. Die zwangsmä- ßige Regulation des Arbeitstags nach Länge, Pausen, Anfangs- und End- punkt, das System der Ablösung für Kinder, der Ausschluß aller Kinder unter einem gewissen Alter u.s.w. ernöthigen einerseits vermehrte Maschi- nerie 2 7 6) und Ersatz von Muskeln durch Dampf als Triebkraft 2 7 7). Andrer- seits, um im Raum zu gewinnen, was in der Zeit verloren geht, findet Streckung der gemeinschaftlich vernutzten Produktionsmittel statt, der Oefen, Baulichkeiten u.s.w., also in einem Wort größre Koncentration der 10 Produktionsmittel und entsprechende größre Konglomeration von Arbei- tern. Der leidenschaftlich wiederholte Haupteinwand ||441| jeder mit dem Fabrikgesetz bedrohten Manufaktur ist in der That die Nothwendigkeit größrer Kapitalauslage, um das Geschäft in seinem alten Umfang fortzu- führen. Was aber die Zwischenformen zwischen Manufaktur und Hausar- 15 beit und letztre selbst betrifft, so versinkt ihr Boden mit der Schranke des Arbeitstags und der Kinderarbeit. Schrankenlose Ausbeutung wohlfeiler Arbeitskräfte bildet die einzige Grundlage ihrer Konkurrenzfähigkeit. 5 Wesentliche Bedingung des Fabrikbetriebs, namentlich sobald er der Regulation des Arbeitstags unterliegt, ist normale Sicherheit des Resultats, 20 d. h. Produktion eines bestimmten Quantums Waare oder eines bezweck- ten Nutzeffekts in gegebnem Zeitraum. Die gesetzlichen Pausen des regu- lirten Arbeitstags unterstellen ferner plötzlichen und periodischen Still- stand der Arbeit ohne Schaden für das im Produktionsproceß befindliche Machwerk. Diese Sicherheit des Resultats und Unterbrechungsfähigkeit 25 der Arbeit sind natürlich in rein mechanischen Gewerken leichter erzielbar als dort, wo chemische und physikalische Processe eine Rolle spielen, wie z . B . in Töpferei, Bleicherei, Färberei, Bäckerei, den meisten Metallmanu- fakturen. Mit dem Schlendrian des unbeschränkten Arbeitstags, der Nacht- arbeit und freier Menschenverwüstung, gilt jedes naturwüchsige Hinderniß 30 state of transition, and is undergoing the same change as that effected in the lace trade, weav- ing etc." (1. c. n. 405.) „A complete Revolution". (1. c. p. XLVI, n. 318.) Zur Zeit der ,,Child. Empi. Comm." von 1840 war die Strumpfwirkerei noch Handarbeit. Seit 1846 wurde verschie- denartige Maschinerie eingeführt, jetzt durch Dampf getrieben. Die Gesammtzahl der in der englischen Strumpfwirkerei beschäftigten Personen beiderlei Geschlechts und aller Altersstu- 35 fen vom 3. Jahr an betrug 1862 ungefähr 120 000 Personen. Davon, nach Parliamentary Return vom 11. Februar, 1862 doch nur 4063 unter der Botmäßigkeit des Fabrikakts. 2 7 6 ) So z.B. in der Töpferei berichtet die Firma Cochran von der ,,Britain Pottery, Glasgow": "To keep up our quantity, we have gone extensively into machines wrought by unskilled la- bour, and every day convinces us that we can produce a greater quantity than by the old 40 method." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 13.) „Die Wirkung des Fabrikakts ist, zu weitrer Einführung von Maschinerie zu treiben." (1. c. p. 13, 14.) 2 7 7 ) So nach Einführung des Fabrikakts in die Töpferei große Zunahme der power jiggers statt der handmoved jiggers. 428 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie 5 10 bald für eine ewige „Naturschranke" der Produktion. Kein Gift vertilgt Un- geziefer sichrer als das Fabrikgesetz solche „Naturschranken". Niemand schrie lauter über „Unmöglichkeiten" als die Herren von der Töpferei. 1864 wurde ihnen das Fabrikgesetz oktroyirt und alle Unmöglichkeiten wa- ren schon 16 Monate später verschwunden. Die durch das Fabrikgesetz hervorgerufne „verbesserte Methode, Töpferbrei (slip) durch Druck statt durch Verdunstung zu machen, die neue Konstruktion der Oefen zum Trocknen der ungebrannten Waare u.s.w. sind Ereignisse von großer Wich- tigkeit in der Kunst der Töpferei und bezeichnen einen Fortschritt der- selben, wie ihn das letzte Jahrhundert nicht aufweisen kann ... Die Tempe- ratur der Oefen ist beträchtlich vermindert, bei beträchtlicher Abnahme im Kohlenkonsum und raschrer Wirkung auf die W a a r e " 2 7 8 ) . Trotz aller Pro- phezeiung stieg nicht der Kostenpreis des Erdenguts, wohl aber die Pro- duktenmasse, so daß die Ausfuhr der 12 Monate von December 1864 bis 15 December 1865 einen Werthüberschuß von 138 628 Pfd. St. über den Durchschnitt der drei vorigen Jahre ergab. In der Fabrikation von Zünd- hölzern galt es als Naturgesetz, daß Jungen, selbst während der Herunter- würgung ihres Mittags||442|mahls, die Hölzer in eine warme Phosphorkom- position tunkten, deren giftiger Dampf ihnen in das Gesicht stieg. Mit der 20 Nothwendigkeit, Zeit zu Ökonomisiren, erzwang der Fabrikakt (1864) eine ,,dipping machine" (Eintauchungsmaschine), deren Dämpfe den Arbeiter nicht erreichen können 2 7 9). So wird jetzt in den noch nicht dem Fabrikge- setz unterworfnen Zweigen der Spitzenmanufaktur behauptet, die Mahlzei- ten könnten nicht regelmäßig sein, wegen der verschiednen Zeitlängen, die 25 verschiedne Spitzenmaterialien zur Trocknung brauchen, und die von 3 Minuten auf eine Stunde und mehr variiren. Hierauf antworten die Kom- missäre der ,,Children's Employment Comm.": „Die Umstände sind diesel- ben wie in der Tapetendruckerei. Einige der Hauptfabrikanten in diesem Zweig machten lebhaft geltend, die Natur der verwandten Materialien und 30 die Verschiedenartigkeit der Processe, die sie durchlaufen, erlaubten ohne großen Verlust keine plötzliche Stillsetzung der Arbeit für Mahlzeiten .... Durch die 6. Klausel der 6. Sektion des Factory Act's Extension Act (1864) ward ihnen eine achtzehnmonatliche Frist vom Erlassungsdatum des Akts an eingeräumt, nach deren Ablauf sie sich den durch den Fabrikakt speci- ficirten Erfrischungspausen fügen müßten" 2 8 0). Kaum hatte das Gesetz parlamentarische Sanktion erhalten, als die Herrn Fabrikanten auch ent- 35 2 7 8 ) „Rep. Insp. Fact. 31st. Oct. 1865", p. 96 und 127. 2 7 9 ) Die Einführung dieser und andrer Maschinerie in die Zündholzfabrik hat in einem Depar- tement derselben 230 junge Personen durch 32 Jungen und Mädchen von 14 bis 17 Jahren er- 40 setzt. Diese Ersparung von Arbeitern wurde 1865 weiter geführt durch Anwendung der Dampfkraft. 2 8 0 ) ,,Child. Empi. Comm. II. Rep. 1864", p. IX, η. 50. 429 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts deckten: „Die Mißstände, die wir von der Einführung des Fabrikgesetzes erwarteten, sind nicht eingetreten. Wir finden nicht, daß die Produktion irgendwie gelähmt ist. In der That, wir produciren mehr in derselben Z e i t " 2 8 1 ) . Man sieht, das englische Parlament, dem sicher Niemand Genia- lität vorwerfen wird, ist durch Erfahrung zur Einsicht gelangt, daß ein Zwangsgesetz alle s. g. Naturhindernisse der Produktion gegen Beschrän- kung und Reglung des Arbeitstags einfach wegdiktiren kann. Bei Einfüh- rung des Fabrikakts in einem Industriezweig wird daher ein Termin von 6 bis 18 Monaten gestellt, innerhalb dessen es Sache des Fabrikanten ist, die technischen Hindernisse wegzuräumen. Mirabeau's: «Impossible? Ne me 10 dites jamais ce bête de mot!» gilt namentlich für die moderne Technologie. Wenn aber das Fabrikgesetz so die zur Verwandlung des Manufakturbe- triebs in Fabrikbetrieb nothwendigen materiellen Elemente treibhausmä- ßig reift, beschleunigt es zugleich ||443| durch die Nothwendigkeit vergrö- ßerter Kapitalauslage den Untergang der kleineren Meister und die 15 Koncentration des Kapitals 2 8 2). 5 in einem Tages- oder Wochenabschnitt durch 20 Abgesehn von den rein technischen und technisch beseitbaren Hinder- nissen stößt die Regulation des Arbeitstags auf unregelmäßige Gewohnhei- ten der Arbeiter selbst, namentlich wo Stücklohn vorherrscht und Ver- bummlung der Zeit nachträgliche Ueberarbeit oder Nachtarbeit gutgemacht werden kann, eine Methode, die den erwachsnen Arbeiter brutalisirt, seine unreifen und weib- lichen Genossen ruinirt 2 8 3). Obgleich diese Regellosigkeit in Verausgabung der Arbeitskraft eine naturwüchsige rohe Reaktion gegen die Langweile monotoner Arbeitsplackerei ist, entspringt sie jedoch in ungleich höherem 25 Grad aus der Anarchie der Produktion selbst, die ihrerseits wieder ungezü- gelte Exploitation der Arbeitskraft durch das Kapital voraussetzt. Neben die allgemeinen periodischen Wechselfälle des industriellen Cyklus und die besondren Marktschwankungen in jedem Produktionszweig, treten na- mentlich die s. g. Saison, beruhe sie nun auf Periodicität der Schifffahrt 30 2 8 1 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 22. 2 8 2 ) „Die nöthigen Verbesserungen .... können in vielen alten Manufakturen nicht eingeführt werden, ohne Kapitalauslage über die Mittel vieler gegenwärtiger Besitzer ... Eine vorüberge- hende Desorganisation begleitet nothwendig die Einführung der Fabrikakte. Der Umfang die- ser Desorganisation steht in direktem Verhältniß zur Größe der zu heilenden Mißstände." (1. c. p. 96, 97.) 2 8 3 ) In den Hochöfen z.B. ,,work towards the end of the week is generally much increased in duration, in consequence of the habit of the men of idling on Monday and occasionally dur- ing a part or the whole of Tuesday also". (,,Child. Empi. Comm. III. Rep." p. VI.) "The little masters generally have very irregular hours. They lose 2 or 3 days, and then work all night to 40 make it up ... They always employ their own children if they have any." (1. c. p. VII.) "The want of regularity in coming to work, encouraged by the possibility and practice of making up for this by working longer hours." (I.e. p.XVIII.) "Enormous loss of time in Birmingham .... idling part of the time, slaving the rest." (1. c. p. XL) 35 430 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie günstiger Jahreszeiten oder auf der Mode, und die Plötzlichkeit großer und in kürzester Frist auszuführender Ordres. Die Gewohnheit der letztern dehnt sich mit Eisenbahnen und Télégraphie aus. „Die Ausdehnung des Eisenbahnsystems", sagt z.B. ein Londoner Fabrikant, „durch das ganze Land hat die Gewohnheit kurzer Ordres sehr gefördert, Käufer kommen jetzt von Glasgow, Manchester und Edinburgh einmal in 14 Tagen oder für den Engroskauf zu den City-Waarenhäusern, denen wir die Waaren liefern. Sie geben Ordres, die unmittelbar ausgeführt werden müssen, statt vom La- ger zu kaufen, wie es Gewohnheit war. In frühren Jahren waren wir stets fä- hig, während der schlaffen Zeit für die Nachfrage der nächsten Saison vor- auszu|14441arbeiten, aber jetzt kann Niemand vorhersagen, was dann in Nachfrage sein wird" 2 8 4). In den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfnen Fabriken und Manu- fakturen herrscht periodisch die furchtbarste Ueberarbeit während der s.g. Saison, stoßweis in Folge plötzlicher Ordres. Im auswärtigen Departement der Fabrik, der Manufaktur und des Waarenmagazins, in der Sphäre der Hausarbeit, ohnehin durchaus unregelmäßig, für ihr Rohmaterial und ihre Ordres ganz abhängig von den Launen des Kapitalisten, den hier keine Rücksicht auf Verwerthung von Baulichkeiten, Maschinen u. s. w. bindet und der hier nichts riskirt als die Haut der Arbeiter selbst, wird so systema- tisch eine stets disponible, industrielle Reservearmee großgezüchtet, deci- mirt während eines Theils des Jahrs durch unmenschlichsten Arbeits- zwang, während des andren Theils verlumpt durch Arbeitsmangel. „Die Anwender", sagt die ,,Child. Empi. Comm.", „exploitiren die gewohnheits- mäßige Unregelmäßigkeit der Hausarbeit, um sie in Zeiten, wo Extrawerk nöthig, bis 11, 12, 2 Uhr Nachts, in der That, wie die stehende Phrase lau- tet, auf alle Stunden hinaufzuforciren", und dieß in Lokalen, „wo der Ge- stank hinreicht, euch niederzuschmettern (the stench is enough to knock you down). Ihr geht vielleicht bis an die Thür und öffnet sie, aber schau- dert zurück von weitrem Vorgehn" 2 8 5). „Es sind komische Käuze, unsre Anwender", sagt einer der verhörten Zeugen, ein Schuster, „sie glauben, es thue einem Jungen keinen Harm, wenn er während eines halben Jahrs todtgerackert und während der andren Hälfte fast gezwungen wird, herum- zuludern" 2 8 6). Wie die technischen Hindernisse, so wurden und werden diese sog. „Ge- schäftsgewohnheiten" (,,usages which have grown with the growth of trade") von interessirten Kapitalisten als „Naturschranken" der Produktion 2 8 4 ) ,,Child. Empi. Comm. IV. Rep.", p. XXXII. "The extension of the railway system is said to have contributed greatly to this custom of giving sudden orders, and the consequent hurry, neglect of mealtimes, and late hours of the workpeople." (I.e. p. XXXI.) 2 8 5 ) ,,Child. Empi. Comm. IV. Rep." p. XXXV, n.235 und 237. 2 8 6 ) I.e. p. 127, n.56. 431 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts behauptet, ein Lieblingsschrei dieß der Baumwolllords zur Zeit als das F a - brikgesetz sie zuerst bedrohte. Obgleich ihre Industrie mehr als jede andre auf dem Weltmarkt und daher der Schifffahrt beruht, strafte die Erfahrung sie Lügen. Seitdem wird jedes angebliche „Geschäftshinderniß" von den englischen Fabrikinspektoren als hohle Flause b e h a n d e l t 2 8 7 ) . Die | 5 |445| gründlich gewissenhaften Untersuchungen der ,,Child. Empi. Comm." beweisen in der That, daß in einigen Industrien die bereits angewandte Ar- beitsmasse nur gleichmäßiger über das ganze Jahr vertheilt würde durch die Regulation des Arbeitstags 2 8 8), daß letztre der erste rationelle Zügel für die menschenmörderischen, inhaltlosen und an sich dem System der gro- 10 ßen Industrie unangemeßnen Flatterlaunen der M o d e 2 8 9 ) , daß die Entwick- lung der oceanischen Schifffahrt und der Kommunikationsmittel über- haupt den eigentlich technischen Grund der Saison-Arbeit aufgehoben h a t 2 9 0 ) , daß alle andren angeblich unkontrollirbaren Umstände wegge- räumt werden durch weitere Baulichkeiten, zusätzliche Maschinerie, ver- 15 mehrte Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter 2 9 1) und von selbst folgenden Rückschlag auf das System des Großhandels 2 9 2). Jedoch versteht 2 8 7 ) "With respect to the loss of trade by the non-completion of shipping orders in time, I re- member that this was the pet argument of the factory masters in 1832 und 1833. Nothing that can be advanced now on this subject could have the force that it had then, before steam had 20 halved all distances and established new regulations for transit. It quite failed at that time of proof when put to the test, and again it will certainly fail should it have to be tried." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1862", p. 54, 55.) 2 8 8 ) ,,Child. Empi. Comm. III. Rep.", p.XVIII, n.118. 2 8 9 ) John Bellers bemerkt schon 1699: "The uncertainty of fashions does increase necessitious 25 Poor. It has two great mischiefs in it: 1st) The journeymen are miserable in winter for want of work, the mercers and masterweavers not daring to lay out their stocks to keep the journey- men imployed before the spring comes and they know what the fashion will then be; 2dly) In the spring the journeymen are not sufficient, but the master-weavers must draw in many pren- tices, that they many supply the trade of the kingdom in a quarter or half a year, which robs 30 the plow of hands, drains the country of labourers, and in a great part stocks the city with beg- gars, and starves some in winter that are ashamed to beg." („Essays about the Poor, Manufac- tures etc.", p. 9.) 2 9 0 ) ,,Child. Empi. Comm. V. Rep.", p. 171, n. 34. 2 9 1 ) So heißt es ζ. Β. in den Zeugenaussagen von Bradforder Exporthändlern: „Unter diesen 35 Umständen ist es klar, daß Jungen nicht länger als von 8 Uhr Morgens bis 7 oder 1% Uhr Abends in den Waarenhäusern beschäftigt zu werden brauchen. Es ist nur eine Frage von Ex- tra-Auslage und Extra-Händen. (Die Jungen brauchten nicht so spät in die Nacht hinein zu arbeiten, wären einige Anwender nicht so profithungrig; eine Extramaschine kostet nur 16 oder 18 Pfd. St.) ... Alle Schwierigkeiten entspringen aus ungenügenden Vorrichtungen und 40 Raummangel." (1. c. p. 171. n. 35, 36 u. 38.) 2 9 2 ) 1. c. Ein Londoner Fabrikant, der übrigens die zwangsweise Regulation des Arbeitstags als Schutzmittel der Arbeiter gegen die Fabrikanten und der Fabrikanten selbst gegen den Groß- handel betrachtet, sagt aus: „Der Druck in unsrem Geschäft ist verursacht durch die Verschif- fer, die z. R Waare mit einem Segelschiff verschicken wollen, um für eine bestimmte Saison 45 an Ort und Stelle zu sein und zugleich die Frachtdifferenz zwischen Segelschiff und Dampf- schiff einzustecken, oder von zwei Dampfschiffen das frühere wählen, um vor ihren Konkur- renten auf dem auswärtigen Markt zu erscheinen." (1. c. p. 81, n. 32.) 432 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie sich das Kapital, wie es wiederholt durch den Mund ||446| seiner Repräsen- tanten erklärt, zu solcher Umwälzung „nur unter dem Druck eines allge- meinen Parlamentsakts 2 9 3)", der den Arbeitstag zwangsgesetzlich regulirt. 5 9. Fabrikgesetzgebung. Ihre Verallgemeinerung (Gesundheits- und Erziehungsklauseln.) in England. Die Fabrikgesetzgebung, diese erste bewußte und planmäßige Rückwir- kung der Gesellschaft auf die naturwüchsige Gestalt ihres Produktionspro- cesses, ist, wie man gesehn, eben so sehr ein nothwendiges Produkt der gro- ßen Industrie, als Baumwollgarn, Selfactors und der elektrische Telegraph. 10 Bevor wir zu ihrer Verallgemeinerung in England Übergehn, sind noch ei- nige nicht auf die Stundenzahl des Arbeitstags bezügliche Klauseln des englischen Fabrikakts kurz zu erwähnen. 15 Abgesehn von ihrer Redaktion, welche dem Kapitalisten ihre Umgehung erleichtert, sind die Gesundheitsklauseln äußerst mager, in der That be- schränkt auf Vorschriften für Weißen der Wände und einige sonstige Rein- lichkeitsmaßregeln, Ventilation und Schutz gegen gefährliche Maschine- rie. Wir kommen im Dritten Buch auf den fanatischen Kampf der Fabrikanten gegen die Klausel zurück, die ihnen eine geringe Ausgabe zum Schutz der Gliedmaßen ihrer „Hände" aufoktroyirt. Hier bewährt sich 20 wieder glänzend das Freihandelsdogma, daß in einer Gesellschaft antago- nistischer Interessen Jeder das Gemeinwohl durch Verfolgung seines Ei- gennutzes fördert. Ein Beispiel genügt. Man weiß, daß sich während der letztverfloßnen zwanzigjährigen Periode die Flachsindustrie und mit ihr die scutching mills (Fabriken zum Schlagen und Brechen des Flachses) in 25 Irland sehr vermehrt haben. Es gab dort 1864 an 1800 dieser mills. Peri- odisch im Herbst und Winter werden hauptsächlich junge Personen und Weiber, die Söhne, Töchter und Frauen der benachbarten kleinen Pächter, lauter mit Maschinerie ganz unbekannte Leute, von der Feldarbeit wegge- holt, um die Walzwerke der scutching mills mit Flachs zu füttern. Die Un- fälle sind nach Umfang und Intensität gänzlich beispiellos in der Ge- schichte der Maschinerie. Eine einzige scutching mill zu Kildinan (bei Cork) zählte von 1852 bis 1856 sechs Todesfälle und 60 schwere Ver- stümmlungen, welchen allen durch die einfachsten Anstalten, zum Preis von wenigen Schillingen, vorge||447|beugt werden konnte. Dr. W. White, 35 der certifying surgeon der Fabriken zu Downpatrick, erklärt in einem offi- ciellen Bericht vom 16. December 1865: „Die Unfälle in scutching mills 30 2 9 3 ) "This could be obviated", sagt ein Fabrikant, "at the expense of an enlargement of the works under the pressure of a General Act of Parliament." (1. c. p.X, n. 38.) 433 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 sind furchtbarster Art. In vielen Fällen wird ein Viertheil des Körpers vom Rumpfe gerissen. Tod oder eine Zukunft elenden Unvermögens und Lei- dens sind gewöhnliche Folgen der Wunden. Die Zunahme der Fabriken in diesem Lande wird natürlich diese schauderhaften Resultate ausdehnen. Ich bin überzeugt, daß durch geeignete Staatsüberwachung der scutching mills große Opfer von Leib und Leben zu vermeiden sind" 2 9 4). Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisiren als die Noth- wendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen? „Der Fa- brikakt von 1864 hat in den Töpfereien über 200 Werkstätten geweißt und 10 gereinigt, nach zwanzigjähriger oder gänzlicher Enthaltung von jeder sol- chen Operation (dieß ist die „Abstinenz" des Kapitals!), in Plätzen, wo 27 878 Arbeiter beschäftigt sind und bisher, während übermäßiger Tages-, oft Nachtarbeit, eine mephitische Atmosphäre einathmeten, welche eine sonst vergleichungsweis harmlose Beschäftigung mit Krankheit und Tod 15 schwängerte. Der Akt hat die Ventilationsmittel sehr vermehrt" 2 9 5). Zu- gleich zeigt dieser Zweig des Fabrikakts schlagend, wie die kapitalistische Produktionsweise ihrem Wesen nach über einen gewissen Punkt hinaus jede rationelle Verbeßrung ausschließt. Es ward wiederholt bemerkt, daß die englischen Aerzte aus einem Munde 500 Kubikfuß Luftraum per Per- 20 son für kaum genügendes Minimum bei fortgesetzter Arbeit erklären. Nun wohl! Wenn der Fabrikakt indirekt durch alle seine Zwangsmaßregeln die Verwandlung kleinerer Werkstätten in Fabriken beschleunigt, daher indi- rekt in das Eigenthumsrecht der kleineren Kapitalisten eingreift und den großen das Monopol sichert, so würde die gesetzliche Aufherrschung des 25 nöthigen Luftraums für jeden Arbeiter in der Werkstätte Tausende von kleinen Kapitalisten mit einem Schlag direkt expropriiren! Sie würde die Wurzel der kapitalistischen Produktionsweise angreifen, d.h. die Selbstver- werthung des Kapitals, ob groß oder klein, durch „freien" Ankauf und Kon- sum der Arbeitskraft. Vor diesen 500 Kubikfuß Luft geht daher der Fabrik- 30 gesetzgebung der Athem aus. Die Gesundheitsbehörden, die industriellen Untersuchungskommissionen, die Fabrikinspektoren wiederholen wieder und ||448| wieder die Nothwendigkeit der 500 Kubikfuß und die Unmög- lichkeit, sie dem Kapital aufzuoktroyiren. Sie erklären so in der That Schwindsucht und andre Lungenkrankheiten der Arbeit für eine Lebensbe- 35 dingung des Kapitals 2 9 6). 2 9 4 ) I.e. p.XV, n. 72 sqq. 2 9 5 ) „Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 127. 2 9 6 ) Man hat erfahrungsmäßig gefunden, daß ungefähr 25 Kubikzoll Luft bei jeder Athmung mittlerer Intensität von einem gesunden Durchschnittsindividuum konsumirt werden, und ungefähr 20 Athmungen per Minute vorgehn. Der Luftkonsum eines Individuums in 24 Stun- den ergäbe danach ungefähr 720000 Kubikzoll oder 416 Kubikfuß. Man weiß aber, daß die 40 434 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Armselig wie die Erziehungsklauseln des Fabrikakts im Ganzen erschei- nen, proklamirten sie den Elementarunterricht als Zwangsbedingung der A r b e i t 2 9 7 ) . Ihr Erfolg bewies zuerst die Möglichkeit der Verbindung von Unterricht und Gymnastik 2 9 8) mit Handarbeit, also auch von Handarbeit 5 mit Unterricht und Gymnastik. Die Fabrikinspektoren entdeckten bald aus den Zeugenverhören der Schulmeister, daß die Fabrikkinder, obgleich sie nur halb so viel Unterricht genießen als die regelmäßigen Tagesschüler, eben so viel und oft mehr lernen. „Die Sache ist einfach. Diejenigen, die sich nur einen halben Tag in der Schule aufhalten, sind stets frisch und 10 fast immer fähig und willig, Unterricht zu empfangen. Das System halber Arbeit und halber Schule macht jede der beiden Beschäftigungen zur Aus- ruhung und Erholung von der andren und folglich viel angemeßner für das Kind als die ununterbrochne Fortdauer einer von beiden. Ein Junge, der von Morgens früh in der Schule sitzt, und nun gar bei heißem Wetter, kann 15 unmöglich mit einem andren wetteifern, der munter und aufgeweckt von seiner Arbeit k o m m t " 2 9 9 ) . Weitere Belege findet man in Senior's Rede auf dem sociologischen Kongreß zu Edin||449|burgh 1863. Er zeigt hier auch u. a. noch, wie der einseitige, unproduktive und verlängerte Schultag der Kinder der höhern und mittlem Klassen die Arbeit der Lehrer nutzlos ver- 20 mehrt, „während er Zeit, Gesundheit und Energie der Kinder nicht nur fruchtlos, sondern absolut schädlich verwüstet" 3 0 0). Aus dem Fabriksystem, einmal eingeathmete Luft nicht mehr zu demselben Proceß dienen kann, bevor sie in der gro- ßen Werkstätte der Natur gereinigt wird. Nach den Experimenten von Valentin und Brunner scheint ein gesunder Mann ungefähr 1300 Kubikzoll Kohlensäure per Stunde auszuathmen; 25 dieß ergäbe ungefähr 8 Unzen solider Kohle, von der Lunge in 24 Stunden abgeworfen. „Jeder 30 Mann sollte wenigstens 800 Kubikfuß haben." (Huxley.) 2 9 7 ) Nach dem englischen Fabrikakt können die Eltern Kinder unter 14 Jahren nicht in die „kontrolirten" Fabriken schicken, ohne ihnen zugleich Elementarunterricht ertheilen zu las- sen. Der Fabrikant ist verantwortlich für die Befolgung des Gesetzes. "Factory education is compulsory, and it is a condition of labour." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p . l l l . ) 2 9 8 ) Ueber die vorteilhaftesten Erfolge der Verbindung von Gymnastik (für Jungen auch mi- litärischer Exercitien) mit Zwangsunterricht der Fabrikkinder und Armenschüler sieh die Rede von N.W. Senior im 7. jährlichen Kongreß der „National Association for the Promotion 35 of Social Science" in „Report of Proceedings etc. Lond. 1863", p. 63, 64, ebenso den Bericht der Fabrikinspektoren für 31. Oct. 1865, p. 118, 119, 120, 126 sqq. 2 " ) „Reports of Insp. of Fact." I.e. p. 118, 119. Ein naiver Seidenfabrikant erklärt den Unter- suchungskommissären der ,,Child. Empi. Comm.": „Ich bin durchaus überzeugt, daß das wahre Geheimniß der Produktion tüchtiger Arbeiter gefunden ist in der Vereinigung der Ar- beit mit Unterricht von der Periode der Kindheit an. Natürlich muß die Arbeit weder zu an- strengend, noch widerlich und ungesund sein. Ich wünschte, meine eignen Kinder hätten Ar- beit und Spiel zur Abwechslung von der Schule." (,,Child. Empi. Comm." V. Rep., p. 82, η. 36.) 30°) Senior I.e. p. 66. Wie die große Industrie auf einem gewissen Höhegrad durch die Umwäl- zung der materiellen Produktionsweise und der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse auch die Köpfe umwälzt, zeigt schlagend ein Vergleich zwischen der Rede des N.W. Senior von 1863 und seiner Philippika gegen das Fabrikgesetz von 1833, oder ein Vergleich der An- 40 45 435 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts wie man im Detail bei Robert Owen verfolgen kann, entsproß der Keim der Erziehung der Zukunft, welche für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine Methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, son- dern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Men- sehen. 5 Industrie jene Arbeitstheilung noch 10 Man hat gesehn, daß die große Industrie die manufakturmäßige Thei- lung der Arbeit mit ihrer lebenslänglichen Annexion eines ganzen Men- schen an eine Detailoperation technisch aufhebt, während zugleich die ka- pitalistische Form der großen monströser reproducirt, in der eigentlichen Fabrik durch Verwandlung des Arbeiters in den selbstbewußten Zubehör einer Theilmaschine, überall sonst theils durch sporadischen Gebrauch der Maschinen und der Maschi- nenarbeit 3 0 1), theils durch ||450| Einführung von Weiber-, Kinder- und un- geschickter Arbeit als neuer Grundlage der Arbeitstheilung. Der Wider- 15 spruch zwischen der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit und dem Wesen der großen Industrie macht sich gewaltsam geltend. Er erscheint u. a. in der furchtbaren Thatsache, daß ein großer Theil der in den moder- nen Fabriken und Manufakturen beschäftigten Kinder, vom zartesten Alter festgeschmiedet an die einfachsten Manipulationen, Jahre lang exploitirt 20 wird, ohne Erlernung irgend einer Arbeit, die sie später auch nur in dersel- ben Manufaktur oder Fabrik brauchbar machte. In den englischen Buch- druckereien z.B. fand früher ein dem System der alten Manufaktur und des Handwerks entsprechender Uebergang der Lehrlinge von leichtren zu inhaltsvollren Arbeiten statt. Sie machten einen Lerngang durch, bis sie 25 fertige Drucker waren. Lesen und schreiben zu können war für alle ein Handwerkserforderniß. Alles das änderte sich mit der Druckmaschine. Sie sichten des erwähnten Kongresses mit der Thatsache, daß es in gewissen ländlichen Theilen Englands armen Eltern immer noch bei Strafe des Hungertods verboten ist, ihre Kinder zu er- ziehen. So z.B. berichtet Herr Snell als gewöhnliche Praxis in Somersetshire, daß wenn eine 30 arme Person Pfarreihülfe anspricht, sie gezwungen wird, ihre Kinder aus der Schule zu neh- men. So erzählt Herr Wollaston, Pfarrer zu Feltham, von Fällen, wo alle Unterstützung gewis- sen Familien versagt wurde, „weil sie ihre Jungen zur Schule schickten"! 3 0 1 ) Wo handwerksmäßige Maschinen, durch Menschenkraft getrieben, direkt oder indirekt mit entwickelter und daher mechanische Triebkraft voraussetzender Maschinerie konkurri- ren, geht eine große Umwandlung vor mit Bezug auf den Arbeiter, der die Maschine treibt. Ursprünglich ersetzte die Dampfmaschine diesen Arbeiter, jetzt soll er die Dampfmaschine ersetzen. Die Spannung und Verausgabung seiner Arbeitskraft wird daher monströs, und nun gar für Unerwachsne, die zu dieser Tortur verurtheilt sind! So fand der Kommissär Longe in Coventry und Umgebung Jungen von 10 bis 15 Jahren zum Drehn der Bandstühle verwandt, abgesehn von jüngeren Kindern, die Stühle von kleinerer Dimension zu .drehn hatten. „Es ist außerordentlich mühsame Arbeit. The boy is a mere substitute for steam power." (,,Child. Empi. Comm. V. Rep. 1866", p. 114, n.6.) Ueber die mörderischen Folgen „dieses Systems der Sklaverei", wie der officielle Bericht es nennt, 1. c. sq. 35 40 436 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 5 10 15 verwendet zwei Sorten von Arbeitern, einen erwachsnen Arbeiter, den Ma- schinenaufseher, und Maschinenjungen, meist von 1 1 - 1 7 Jahren, deren Geschäft ausschließlich darin besteht, einen Bogen Papier der Maschine zu unterbreiten oder ihr den gedruckten Bogen zu entziehen. Sie verrich- ten, in London namentlich, diese Plackerei 14, 15, 16 Stunden ununterbro- chen während einiger Tage in der Woche und oft 36 Stunden nach einan- der mit nur zwei Stunden Rast für Mahlzeit und S c h l a f 3 0 2 ) ! Ein großer Theil von ihnen kann nicht lesen, und sie sind in der Regel ganz verwil- derte, abnorme Geschöpfe. „Um sie zu ihrem Werk zu befähigen, ist keine intellektuelle Ziehung irgend einer Art nöthig; sie haben wenig Gelegen- heit für Geschick und noch weniger für Urtheil; ihr Lohn, obgleich gewis- sermaßen hoch für Jungen, wächst nicht verhältnißmäßig, wie sie selbst heranwachsen, und die große Mehrzahl hat keine Aussicht auf den einträg- licheren und verantwortlicheren Posten des Maschinenaufsehers, weil auf jede Maschine nur ein Aufseher und oft 4 Jungen k o m m e n " 3 0 3 ) . Sobald sie zu alt für ihre kindische Arbeit werden, also wenigstens im 17. Jahr, entläßt man sie aus der Druckerei. Sie werden Rekruten des Verbrechens. Einige Versuche, ihnen anderswo Beschäftigung zu verschaffen, scheiterten an ihrer Unwissenheit, Roheit, körperlichen und geistigen Verkommenheit. | |451| Was von der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit im Innern der Werkstatt, gilt von der Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. So lange Handwerk und Manufaktur die allgemeine Grundlage der gesell- schaftlichen Produktion bilden, ist die Subsumtion des Producenten unter einen ausschließlichen Produktionszweig, die Zerreißung der ursprüngli- 25 chen Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungen 3 0 4), ein nothwendiges Ent- wicklungsmoment. Auf jener Grundlage findet jeder besondre Produk- tionszweig empirisch die ihm entsprechende technische Gestalt, vervoll- kommnet sie langsam und krystallisirt sie rasch, sobald ein gewisser Reifegrad erlangt ist. Was hier und da Wechsel hervorruft, ist außer neuem 30 Arbeitsstoff, den der Handel liefert, die allmählige Aenderung des Arbeits- instruments. Die erfahrungsmäßig entsprechende Form einmal gewonnen, verknöchert auch es, wie sein oft jahrtausendlanger Uebergang aus der Hand einer Generation in die der andren beweist. Es ist charakteristisch, 20 35 40 3 0 2 ) L c p.3, n.24. 3 0 3 ) L c p.7, n.59, 60. 3 0 4 ) „In einigen Theilen von Hochschottland ... erschienen viele Schafhirten und cotters mit Frau und Kind, nach dem Statistical Account, in Schuhen, die sie selbst gemacht aus Leder, das sie selbst gegerbt, in Kleidern, die keine Hand außer ihrer eignen angetastet, deren Mate- rial sie selbst von den Schafen geschoren oder wofür sie den Flachs selbst gebaut hatten. In die Zubereitung der Kleider ging kaum irgend ein gekaufter Artikel ein, mit Ausnahme von Pfrieme, Nadel, Fingerhut und sehr wenigen Theilen des im Weben angewandten Eisenwerks. Die Farben wurden von den Weibern selbst von Bäumen, Gesträuchen und Kräutern gewon- nen u.s.w." (Dugald Stewart, „Works, ed. Hamilton, vol.VIII." p.327-28.) 437 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 daß bis ins 18. Jahrhundert hinein die besondren Gewerke mysteries (mys- tères) 3 0 5 ) hießen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Ein- geweihte eindringen konnte. Die große Industrie zerriß den Schleier, der den Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsproceß ver- steckte und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegen einander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Räthseln machte. Ihr Princip, jeden Produktionsproceß, an und für sich und zu- nächst ohne alle Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine konstitui- renden Elemente aufzulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die buntscheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und 10 verknöcherten Gestalten des gesellschaftlichen Produktionsprocesses lö- sten sich auf in bewußt planmäßige ||452| und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch besonderte Anwendungen der Naturwissenschaft. Die Technologie entdeckte ebenso die wenigen großen Grundformen der Bewegung, worin alles produktive Thun des menschlichen Körpers, trotz 15 aller Mannigfaltigkeit der angewandten Instrumente, nothwendig vorgeht, ganz so wie die Mechanik durch die größte Komplikation der Maschinerie sich über die beständige Wiederholung der einfachen mechanischen Po- tenzen nicht täuschen läßt. Die moderne Industrie betrachtet und behan- delt die vorhandne Form eines Produktionsprocesses nie als definitiv. Ihre 20 technische Basis ist daher revolutionär, während die aller früheren Produk- tionsweisen wesentlich konservativ war 3 0 6). Durch Maschinerie, chemische Processe und andre Methoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die gesell- schaftlichen Kombinationen des Arbeitsprocesses um. Sie revolutionirt da- 25 mit ebenso beständig die Theilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und schleudert unaufhörlich Kapitalmassen und Arbeitermassen aus 3 0 5 ) In dem berühmten ,,Livre des métiers" des Etienne Boileau wird unter andrem vorge- schrieben, daß ein Geselle bei seiner Aufnahme unter die Meister einen Eid leiste, „seine Brüder brüderlich zu lieben, sie zu stützen, jeder in seinem métier, nicht freiwillig die Ge- 30 werksgeheimnisse zu verrathen, und sogar im Interesse der Gesammtheit nicht zur Empfeh- lung seiner eignen Waare den Käufer auf die Fehler des Machwerks von Andren aufmerksam zu machen." 3 0 6 ) „Die Bourgeoisie kann nicht existiren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Pro- duktionsverhältnisse, also sämmtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu révolu- 35 tioniren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Exi- stenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnen die Bourgeoisepoche vor allen früheren aus. Alle fe- sten, eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und 40 Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellungen, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchter- nen Augen anzusehn." (F. Engels und Karl Marx: „Manifest der Kommunistischen Partei. Lond. 1848", p.5.) 45 438 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 10 geudung der Arbeitskräfte und den Verheerungen gesellschaftlicher einem Produktionszweig in den andern. Die Natur der großen Industrie be- dingt daher Wechsel der Arbeit, Fluß der Funktion, allseitige Beweglich- keit des Arbeiters. Andrerseits reproducirt sie in ihrer kapitalistischen Form die alte Theilung der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitäten. 5 Man hat gesehn, wie dieser absolute Widerspruch alle Ruhe, Festigkeit, Si- cherheit der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit dem Arbeitsmittel beständig das Lebensmittel aus der Hand zu schlagen 3 0 7) und mit seiner Theilfunktion ihn selbst überflüssig zu machen droht; wie dieser Wider- spruch im ununterbrochnen Opferfest der Arbeiterklasse, maßlosester Ver- | |453| Anarchie sich austobt. Dieß ist die negative Seite. Wenn aber der Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das über- all auf Hindernisse stößt 3 0 8), macht die große Industrie durch ihre Kata- 15 Strophen selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbei- ten und daher möglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner normalen Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wech- selnde Exploitationsbedürfniß des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponi- blen Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Theilindividuum, den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total ent- wickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche Funktionen 25 einander ablösende Bethätigungsweisen sind. Ein auf Grundlage der gro- ßen Industrie naturwüchsig entwickeltes Moment dieses Umwälzungspro- cesses sind polytechnische und agronomische Schulen, ein andres sind die ,,écoles d'enseignement professionnel", worin die Kinder der Arbeiter eini- gen Unterricht in der Technologie und praktischen Handhabe der ver- schiednen Produktionsinstrumente erhalten. Wenn die Fabrikgesetzge- bung als erste, dem Kapital nothdürftig abgerungene Koncession nur Elementarunterricht mit fabrikmäßiger Arbeit verbindet, unterliegt es kei- 20 30 307) « Y o u t a k e m y l i f e When you do take the means whereby I live." (Shakespeare.) 35 3 0 8 ) Ein französischer Arbeiter, schreibt bei seiner Rückkehr von San-Francisco: „Ich hätte nie geglaubt, daß ich fähig wäre, alle die Gewerbe auszuüben, die ich in Kalifornien betrieben habe. Ich war fest überzeugt, daß ich außer zur Buchdruckerei zu nichts gut sei.... Einmal in der Mitte dieser Welt von Abenteurern, welche ihr Handwerk leichter wechseln als ihr Hemde, meiner Treu! Ich that wie die andren. Da das Geschäft der Minenarbeit sich nicht 40 einträglich genug auswies, verließ ich es und zog in die Stadt, wo ich der Reihe nach Typo- graph, Dachdecker, Bleigießer u. s. w. wurde. In Folge dieser Erfahrung, zu allen Arbeiten tauglich zu sein, fühle ich mich weniger als Molluske und mehr als Mensch." (A. Corbon: „De l'enseignement professione!". 2ème éd. p. 50.) 439 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts nem Zweifel, daß die unvermeidliche Eroberung der politischen Gewalt durch die Arbeiterklasse auch dem technologischen Unterricht, theoretisch und praktisch, seinen Platz in den Arbeiterschulen erobern wird. Es unter- liegt eben so wenig einem Zweifel, daß die kapitalistische Form der Pro- duktion und die ihr entsprechenden ökonomischen Arbeiterverhältnisse im diametralsten Widerspruch stehn mit solchen Umwälzungsfermenten und ihrem Ziel, der Aufhebung der alten Theilung der Arbeit. ||454| Die Entwicklung der Widersprüche einer geschichtlichen Produktionsform ist jedoch der einzig geschichtliche Weg ihrer Auflösung und Neugestaltung. „Ne sutor ultra crepidam"!, dieß nec plus ultra handwerksmäßiger Weis- 10 heit, wurde zur furchtbaren Narrheit von dem Moment, wo der Uhrmacher Watt die Dampfmaschine, der Barbier Arkwright den Kettenstuhl, der Ju- welierarbeiter Fulton das Dampfschiff erfunden hatte 3 0 9). 5 Soweit die Fabrikgesetzgebung die Arbeit in Fabriken, Manufakturen u.s.w. regulirt, erscheint dieß zunächst nur als Einmischung in die Exploi- 15 tationsrechte des Kapitals. Jede Regulation der sog. Hausarbeit 3 1 0) stellt sich dagegen sofort als direkter Eingriff in die patria potestas dar, d. h. mo- dern interpretirt, in die elterliche Autorität, ein Schritt, wovor das zartfüh- lende englische Parlament lang zurückzubeben affektirte. Die Gewalt der Thatsachen zwang jedoch, endlich anzuerkennen, daß die große Industrie 20 mit der ökonomischen Grundlage des alten Familienwesens und der ihr entsprechenden Familienarbeit auch die alten Familienverhältnisse selbst auflöst. Das Recht der Kinder mußte proklamirt werden. „Unglücklicher Weise", heißt es im Schlußbericht der ,,Child. Empi. Comm." von 1866, „leuchtet aus der Gesammtheit der Zeugenaussagen hervor, daß die Kinder 25 beiderlei Geschlechts gegen Niemand so sehr des Schutzes bedürfen als ge- gen ihre Eltern." Das System der maßlosen Exploitation der Kinderarbeit überhaupt und der Hausarbeit im Besondern wird dadurch „erhalten, daß die Eltern über ihre jungen und zarten Sprößlinge eine willkürliche und 3 0 9 ) John Bellers, ein wahres Phänomen in der Geschichte der politischen Oekonomie, begriff 30 schon Ende des 17. Jahrhunderts mit vollster Klarheit die nothwendige Aufhebung der jetzi- gen Erziehung und Arbeitseintheilung, welche Hypertrophie und Atrophie auf beiden Extre- men der Gesellschaft, wenn auch in entgegengesetzter Richtung, erzeugen. Er sagt u. a. schön: "An idle learning being little better than the Learning of Idleness ... Bodily Labour, it's a pri- mitive institution of God .... Labour being as proper for the bodies health, as eating is for its 35 living; for what pains a man saves by Ease, he will find in Disease ... Labour adds oyl to the lamp of life when thinking inflames it ... A childish silly employ (dieß ahnungsvoll gegen die Basedows und ihre modernen Nachstümper), leaves the children's minds silly." (,,Proposals for raising a Colledge of Industry of all useful Trades and Husbandry. Lond. 1696", p. 12, 14, 16, 18.) 3 1°) Diese geht übrigens großentheils auch in kleineren Werkstätten vor, wie wir gesehn bei der Spitzenmanufaktur und Strohflechterei, und wie namentlich auch an den Metallmanufak- turen in Sheffield, Birmingham u. s. w. ausführlicher gezeigt werden könnte. 40 440 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie heillose Gewalt ohne Zügel oder Kontrole ausüben ... Eltern dürfen nicht die absolute Macht besitzen, ihre Kinder zu reinen Maschinen zu machen, um so und ||455| so viel wöchentlichen Lohn herauszuschlagen ... Kinder und junge Personen haben ein Recht auf den Schutz der Legislatur wider 5 den Mißbrauch der elterlichen Gewalt, der ihre physische Kraft vorzeitig bricht und sie degradirt auf der Staffel moralischer und intellektueller We- s e n " 3 1 1 ) . Es ist jedoch nicht der Mißbrauch der elterlichen Gewalt, der die direkte oder indirekte Exploitation unreifer Arbeitskräfte durch das Kapi- tal schuf, sondern es ist umgekehrt die kapitalistische Exploitationsweise, 10 welche die elterliche Gewalt, durch Aufhebung der ihr entsprechenden ökonomischen Grundlage, zu einem Mißbrauch gemacht hat. So furchtbar und ekelhaft nun die Auflösung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Perso- lo nen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisirten Pro- duktionsprocessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuweist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Ver- hältnisses beider Geschlechter. Es ist natürlich ebenso albern, die christ- lich germanische Form der Familie für absolut zu halten als die altrömi- sehe Form, oder die altgriechische, oder die orientalische, die übrigens untereinander eine geschichtliche Entwicklungsreihe bilden. Ebenso leuchtet ein, daß die Zusammensetzung des kombinirten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstu- fen, obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen, kapitalistischen Form, wo der 25 Arbeiter für den Produktionsproceß, nicht der Produktionsproceß für den Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entspre- chenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung um- schlagen m u ß 3 1 2 ) . 20 Die Notwendigkeit, das Fabrikgesetz aus einem Ausnahmegesetz für 30 Spinnereien und Webereien, diese ersten Gebilde des Maschinenbetriebs, in ein Gesetz aller gesellschaftlichen Produktion zu verallgemeinern, ent- springt, wie man sah, aus dem geschichtlichen Entwicklungsgang der gro- ßen Industrie, auf deren Hintergrund die überlieferte Gestalt von Manu- die faktur, Handwerk und Hausarbeit gänzlich umgewälzt wird, 35 Manufaktur beständig in die Fabrik, das Handwerk beständig in die Ma- nufaktur umschlägt, und endlich die Sphären des Handwerks und der Hausarbeit sich in relativ ||456| wunderbar kurzer Zeit zu Jammerhöhlen 3 n ) „Child. Empi. Comm. V. Rep.", p. XXV, η. 162 und II. Rep., p. XXXVIII, η. 285, 289, p. XXV, XXVI, η. 191. 3 1 2 ) "Factory labour may be as pure and as excellent as domestic labour, and perhaps more so." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1865", p. 129.) 40 441 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 gestalten, wo die tollsten Ungeheuerlichkeiten der kapitalistischen Exploi- tation ihr freies Spiel treiben. Es sind zwei Umstände, welche zuletzt den Ausschlag geben, erstens die stets neu wiederholte Erfahrung, daß das Ka- pital, sobald es der Staatskontrole nur auf einzelnen Punkten der gesell- schaftlichen Peripherie anheimfällt, sich um so maßloser auf den andern Punkten entschädigt 3 1 3), zweitens der Schrei der Kapitalisten selbst nach Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, d. h. gleichen Schranken der Ar- beitsexploitation 3 1 4). Hören wir hierüber zwei Herzensstöße. Die Herrn W.Cooksley (Nagel-, Ketten- u.s.w. Fabrikanten zu Bristol) führten die Fa- brikregulation freiwillig in ihrem Geschäft ein. „Da das alte, unregelmä- 10 ßige System in den benachbarten Werken fortdauert, sind sie der Unbill ausgesetzt, ihre Arbeitsjungen zur Fortsetzung der Arbeit anderswo nach 6 Uhr Abends verlockt (enticed) zu sehn. ,Dieß', sagen sie natürlich, ,ist eine Ungerechtigkeit gegen uns und ein Verlust, da es einen Theil der Kraft der Jungen erschöpft, deren voller Vortheil uns gebührt'" 3 1 5). Herr 15 J. Simpson (Paper-Box Bag maker, London) erklärt den Kommissären der ,,Children Empi. Comm.": „Er wolle jede Petition für Einführung der Fa- brikakte unterzeichnen. Wie es sei, fühle er sich stets rastlos des Nachts („he always felt restless at night"), nach Schluß seiner Werkstatt, bei dem Gedanken, daß andre länger arbeiten ließen und ihm Aufträge vor der 20 Nase wegschnappten" 3 1 6). „Es wäre ein Unrecht", sagt die ,,Child. Empi. Comm." zusammenfassend, „gegen die größren Arbeitsanwender ihre Fa- briken der Regulation zu unterwerfen, während in ihrem eignen Geschäfts- zweig der Kleinbetrieb keiner gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit unterliegt. Zur Ungerechtigkeit ungleicher Konkurrenzbedingungen in B e - 25 zug auf die Arbeitsstunden bei Ausnahme kleinerer Werkstätten käme noch der andre Nachtheil für die größren Fabrikanten hinzu, daß ihre Zu- fuhr von jugendlicher und weiblicher Arbeit abgelenkt würde nach den vom Gesetz verschonten Werkstätten. Endlich gäbe dieß Anstoß zur Ver- mehrung der kleineren Werkstätten, die fast ausnahmslos die mindest gün- 30 stigen für Gesundheit, Komfort, Erziehung und allgemeine Verbesserung des Volks sind" 3 1 7). I |457| In ihrem Schlußbericht schlägt die ,,Children's Employment Com- mission" vor, über 1 4 0 0 000 Kinder, junge Personen und Weiber, wovon ungefähr die Hälfte vom Kleinbetrieb und der Hausarbeit exploitirt wird, 35 3 1 3 ) L c p.27, 32. 3 1 4 ) Massenhafte Belege dazu in den „Rep. of Insp. of Fact." 3 1 5 ) „Child. Empi. Comm. V. Rep.", p. Χ, η. 35. 3 1 6 ) L c p. IX, η. 28. 3 1 7 ) 1. c. p. XXV, η. 165(cid:5)167. Vgl. über die Vorzüge des Großbetriebes verglichen mit dem 40 Zwergbetrieb. „Child. Empi. Comm. III. Rep.", p. 13, n. 144, p. 25, n. 121, p. 26, n. 125, p. 27, n. 140 u.s.w. 442 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie 5 10 dem Fabrikakt zu unterwerfen 3 1 8). „Sollte", sagt sie, „das Parlament unsren Vorschlag in seinem ganzen Umfang annehmen, so ist es zweifellos, daß solche Gesetzgebung den wohlthätigsten Einfluß ausüben würde, nicht nur auf die Jungen und Schwachen, mit denen sie sich zunächst beschäftigt, sondern auf die noch größre Masse von erwachsnen Arbeitern, die direkt (Weiber) und indirekt (Männer) unter ihren Wirkungskreis fallen. Sie würde ihnen regelmäßige und ermäßigte Arbeitsstunden aufzwingen; sie würde den Vorrath physischer Kraft, wovon ihr eignes Wohlergehen und das des Landes so sehr abhängt, haushalten und häufen; sie würde die auf- sprossende Generation vor der Ueberanstrengung in frühem Alter schüt- zen, welche ihre Konstitution untergräbt und zu vorzeitigem Verfall führt; sie würde schließlich, wenigstens bis zum 13. Jahr, die Gelegenheit des Ele- mentarunterrichts bieten und damit der unglaublichen Unwissenheit ein Ende machen, die so treu in den Kommissionsberichten geschildert ist und 15 nur mit qualvollster Empfindung und dem tiefen Gefühl nationaler Er- niedrigung betrachtet werden k a n n " 3 1 9 ) . Das Toryministerium kündigte in der Thronrede vom 5.Februar 1867 an, daß es die Vorschläge 3 1 9 a) der indu- striellen Untersuchungskomi |458|mission in „Bills" formulirt habe. Dazu hatte es eines neuen zwanzigjährigen Experimentum in corpore vili be- 20 dürft. Bereits im Jahre 1840 war eine parlamentarische Kommission zur Untersuchung über Kinderarbeit ernannt worden. Ihr Bericht von 1842 ent- rollte nach den Worten N.W. Senior's „das furchtbarste Gemälde von Hab- sucht, Selbstsucht und Grausamkeit der Kapitalisten und Eltern, von Elend, Degradation und Zerstörung der Kinder und jungen Personen, das jemals das Auge der Welt schlug .... Man wähnt vielleicht, der Bericht be- schreibe die Greuel eines vergangnen Zeitalters. Leider aber liegen Be- 25 3 1 8 ) Die zu maßregelnden Industriezweige sind: Spitzenmanufaktur, Strumpfwirkerei, Stroh- flechten, Manufaktur von Wearing Apparel mit ihren zahlreichen Arten, künstliche Blumen- macherei, Schuh-, Hut- und Handschuhmacherei, Schneiderei, alle Metallfabriken, von den 30 Hochöfen bis zu den Nadelfabriken u.s.w., Papierfabrik, Glasmanufaktur, Tabaksmanufaktur, India-Rubber Werke, Litzenfabrikation (für die Weberei), Handteppich-Weberei, Regen- schirm- und Parasolmanufaktur, Fabrikation von Spindeln und Spulen, Buchdruckerei, Buch- binderei, Schreibmaterialienhandel (Stationery, dazu gehörig Verfertigung von Papierschach- teln, Karten, Papierfärben u. s. w.), Seilerei, Manufaktur von Gagatschmuck, Ziegeleien, 35 Hand-Seidenmanufaktur, Coventry-Weberei, Salz-, Talglicht- und Cementirwerke, Zuckerraf- finerie, Zwiebackmachen, verschiedne Holz- und andre vermischte Arbeiten. 3 1 9 ) I.e. p.XXV, n.169. 3 1 9 a ) Der Factory Acts Extension Act ging durch 12. August 1867. Er regulirt alle Metallgieße- reien, -Schmieden und -Manufakturen, mit Einschluß der Maschinenfabriken, ferner Glas-, 40 Papier-, Guttapercha-, Kautschuk-, Tabakmanufakturen, Buchdruckereien, Buchbindereien, endlich sämmtliche Werkstätten, worin mehr als 50 Personen beschäftigt sind. - Der Hours of Labour Regulation Act, passirt 17. August 1867, regulirt die kleinern Werkstätten und die sog. Hausarbeit. Ich komme auf diese Gesetze, auf den neuen Mining Act von 1872 etc. im II. Band zu- 45 rück. 443 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts richte vor, daß diese Greuel fortdauern, so intensiv wie j e . Eine vor zwei Jahren von Hardwicke veröffentlichte Broschüre erklärt, die 1842 gerügten Mißbräuche stehen heutzutage (1863) in voller Blüte .... Dieser Bericht (von 1842) lag unbeachtet zwanzig Jahre lang, während deren man jenen Kindern, herangewachsen ohne die geringste Ahnung weder von dem was wir Moral nennen, noch von Schulbildung, Religion oder natürlicher Fa- milienliebe - diesen Kindern erlaubte man, die Eltern der jetzigen Gene- ration zu werden" 3 2 0). Inzwischen hatte die gesellschaftliche Lage sich geändert. Das Parla- ment wagte nicht, die Forderungen der Kommission von 1863 ebenso zu- rückzuweisen wie seinerzeit die von 1842. Daher wurden schon 1864, als die Kommission erst einen Theil ihrer Berichte veröffentlicht hatte, die Er- denwaaren-Industrie (einschließlich der Töpferei), die Fabrikation von Ta- peten, Zündhölzern, Patronen und Zündhütchen, sowie das Sammtscheren unter die für Textilindustrie gültigen Gesetze gestellt. In der Thronrede vom 5. Februar 1867 kündigte das damalige Torycabinet weitere Bills an, gegründet auf die Schlußvorschläge der Kommission, die inzwischen 1866 ihr Werk vollendet hatte. Am 15. August 1867 erhielt der Factory Acts Extension Act, und am 2 1 . August der Workshops' Regulation Act, die königliche Bestätigung; der erstre Akt regelt die großen, der letztre die kleinen Geschäftszweige. Der Factory Acts Extension Act regulirt die Hochöfen, Eisen- und Kup- ferwerke, Gießereien, Maschinenfabriken, Metallwerkstätten, Fabriken für Guttapercha, Papier, Glas, Tabak, ferner Druckereien und Buchbindereien und überhaupt alle industriellen Werkstätten dieser Art, worin 50 oder mehr Personen gleichzeitig während mindestens 100 Tagen im Jahr be- schäftigt werden. | |459| Um eine Vorstellung zu geben von der Ausdehnung des von die- sem Gesetz umfaßten Gebiets, folgen hier einige der darin festgestellten Definitionen: »Handwerk soll (in diesem Gesetz) bedeuten: irgend welche Handarbeit, geschäftsmäßig oder zum Erwerb betrieben bei, oder gelegentlich, der Ver- fertigung, Veränderung, Verzierung, Reparatur oder Fertigstellung zum Verkauf irgend eines Artikels, oder eines Theils davon." »Werkstatt soll bedeuten: irgend welche Stube oder Oertlichkeit, einge- deckt oder unter freiem Himmel, worin ein ,Handwerk' betrieben wird von irgend einem Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer, und worüber derjenige, der solches Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer be- schäftigt, das Recht des Zutritts und der Kontrole hat." 3 2 0 ) Senior, Social Science Congress, p. 55 sqq. 444 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie „Beschäftigt soll bedeuten: thätig in einem ,Handwerk', ob gegen Lohn oder nicht, unter einem Meister oder einem der Eltern, wie unten näher bestimmt." „Eltern soll bedeuten: Vater, Mutter, Vormund, oder andre Person, die 5 die Vormundschaft oder Kontrole über irgend ein ... Kind oder einen ju- gendlichen Arbeiter hat." Klausel 7, die Strafklausel für Beschäftigung von Kindern, jugendlichen Arbeitern und Frauenzimmern entgegen den Bestimmungen dieses Geset- zes, setzt Geldstrafen fest, nicht nur für den Inhaber der Werkstatt, ob 10 einer der Eltern oder nicht, sondern auch für „die Eltern oder andre Perso- nen, die das Kind, den jugendlichen Arbeiter oder das Frauenzimmer un- ter Obhut haben, oder direkten Vortheil aus dessen Arbeit ziehen". Der Factory Acts Extension Act, der die großen Etablissements trifft, steht zurück gegen den Fabrikakt durch eine Menge elender Ausnahmsbe- 15 Stimmungen und feiger Kompromisse mit den Kapitalisten. Der Workshops' Regulation Act, erbärmlich in allen seinen Einzelhei- ten, blieb ein todter Buchstabe in der Hand der mit seiner Ausführung be- auftragten städtischen und Lokalbehörden. Als das Parlament ihnen 1871 diese Vollmacht entzog, um sie den Fabrikinspektoren zu übertragen, de- ren Aufsichtsbezirk es so mit einem Schlage um mehr als 100 000 Werk- stätten und allein 300 Ziegeleien vergrößerte, wurde ihr Personal sorgsam- lichst um nur acht Assistenten vermehrt, wo es doch schon bisher viel zu schwach besetzt war 3 2 1). | 20 |460| Was also in dieser englischen Gesetzgebung von 1867 auffällt, ist 25 einerseits die dem Parlament der herrschenden Klassen aufgezwungne Nothwendigkeit, so außerordentliche und ausgedehnte Maßregeln gegen die Uebergriffe der kapitalistischen Exploitation im Princip anzunehmen; andrerseits die Halbheit, der Widerwille und die mala fides, womit es diese Maßregeln dann wirklich ins Leben rief. 30 Die Untersuchungskommission von 1862 schlug ebenfalls eine neue Re- gulirung der Bergwerksindustrie vor, einer Industrie, die sich von allen an- dern dadurch unterscheidet, daß bei ihr die Interessen von Grundbesitzern und industriellen Kapitalisten Hand in Hand gehn. Der Gegensatz dieser beiden Interessen hatte die Fabrikgesetzgebung begünstigt; die Abwesen- 35 heit dieses Gegensatzes reicht hin, die Verschleppung und Chikanen bei der Bergwerksgesetzgebung zu erklären. Die Untersuchungskommission von 1840 hatte so schauderhafte und 3 2 1 ) Das Personal der Fabrikinspektion bestand aus 2 Inspektoren, 2 Hülfsinspektoren und 41 Subinspektoren. Acht fernere Subinspektoren wurden 1871 ernannt. Die Gesammtkosten der Vollstreckung der Fabrikgesetze in England, Schottland und Irland beliefen sich 1871-72 auf nur £25 347, einschließlich der Gerichtskosten bei Processen gegen Uebertretungen. 40 445 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts empörende Enthüllungen gemacht, und einen solchen Skandal vor ganz Europa hervorgerufen, daß das Parlament sein Gewissen salviren mußte durch den Mining Act von 1842, worin es sich darauf beschränkte, die Ar- beit unter Tag von Weibern und von Kindern unter 10 Jahren zu verbieten. Dann kam 1860 der Mines' Inspection Act, wonach Bergwerke von spe- ciell dazu ernannten öffentlichen Beamten inspicirt werden, und Knaben zwischen 10 und 12 Jahren nicht beschäftigt werden sollen, außer wenn sie im Besitz eines Schulzeugnisses sind oder eine gewisse Anzahl Stunden die Schule besuchen. Dieser Akt blieb durchaus ein todter Buchstabe in Folge der lächerlich geringen Anzahl der ernannten Inspektoren, der Win- zigkeit ihrer Befugnisse, und andrer Ursachen, die sich im Verlauf näher ergeben werden. Eins der neusten Blaubücher über Bergwerke ist der „Report from the Select Committee on Mines, together with ... Evidence, 23. July 1866". Er ist das Werk eines Ausschusses von Unterhausmitgliedern, bevollmächtigt Zeugen vorzuladen und zu verhören: ein dicker Folioband, worin der „Re- port" selbst nur fünf Zeilen umfaßt, des Inhalts: daß der Ausschuß nichts zu sagen weiß, und daß noch mehr Zeugen verhört werden müssen! Die Art der Zeugenexamination erinnert an die cross examinations vor den englischen Gerichten, wo der Advokat durch unver||461|schämte, sinnver- wirrende Kreuz- und Querfragen den Zeugen aus der Fassung zu bringen und ihm die Worte im Mund zu verdrehn sucht. Die Advokaten hier sind die parlamentarischen Examinatoren selbst, darunter Minen-Eigner und Exploiteurs; die Zeugen Minenarbeiter, meist in Kohlenb erg werken. Die ganze Farce ist zu charakteristisch für den Geist des Kapitals, um hier nicht einige Auszüge zu geben. Zur leichteren Uebersicht gebe ich die R e - sultate der Untersuchung u. s. w. in Rubriken. Ich erinnre, daß Frage und obligate Antwort in den englischen Blue Books numerirt sind, und daß die Zeugen, deren Aussagen hier citirt werden, Arbeiter in Kohlenbergwerken. 1) Beschäftigung der Jungen vom 10. Jahr an in den Minen. Die Arbeit nebst obligatem Gang von und zu den Bergwerken dauert in der Regel 14 bis 15 Stunden, ausnahmsweise länger, von 3, 4, 5 Uhr Morgens bis 4 und 5 Uhr Abends, (n. 6, 452, 83.) Die erwachsnen Arbeiter arbeiten in zwei Gängen, oder 8 Stunden, aber kein solcher Wechsel für die Jungen, um die Kosten zu sparen, (n. 80, 203, 204.) Die jungen Kinder hauptsächlich ver- wandt zum Oeffnen und Schließen der Zugthüren in den verschiednen Ab- theilungen des Bergwerks, die altern zu schwerer Arbeit, Kohlentransport u.s.w. (n. 122, 739, 740, 1717.) Die langen Arbeitsstunden unter der Erde dauern bis zum 18. oder 22. Jahr, wann der Uebergang zur eigentlichen Mi- nenarbeit stattfindet, (n. 161.) Die Kinder und jungen Personen werden irgend einer früheren Periode. heutzutag härter abgeplackt als zu 446 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie 5 (n. 1 6 6 3 - 6 7 . ) Die Minenarbeiter verlangen fast einstimmig einen Parla- mentsakt zum Verbot der Minenarbeit bis zum 14. Jahr. Und nun fragt Mr. Bruce: „Hängt dieß Verlangen nicht von der größeren oder geringeren Armuth der Eltern ab?" - Und Mr. Bruce: „Wäre es nicht hart, wo der Va- ter todt, oder verstümmelt u. s. w., der Familie diese Ressource zu ent- ziehn? Und es muß doch eine allgemeine Regel herrschen. Wollt ihr in al- len Fällen die Beschäftigung der Kinder bis zum 14. Jahr unter der Erde verbieten?" Antwort: „In allen Fällen." (n. 1 0 7 - 1 1 0 . ) Vivian: „Wenn die Arbeit vor 14 Jahren in den Minen verboten, würden die Eltern die Kinder 10 nicht in Fabriken u.s.w. schicken? - In der Regel, nein." (n. 174.) Arbeiter: „Das Auf- und Zuschließen der Thüren sieht leicht aus. Es ist ein sehr qualvolles Geschäft. Vom beständigen Zug abgesehn, ist der Junge gefan- gen gesetzt, ganz so gut wie in einer dunklen Kerkerzelle." Bourgeois Vi- vian: „Kann der Junge nicht lesen während der ||462| Thürwacht, wenn er 15 ein Licht hat?" - Erstens müßte er sich die Kerzen kaufen. Aber außerdem würde es ihm nicht erlaubt werden. Er ist da, um auf sein Geschäft aufzu- passen, er hat eine Pflicht zu erfüllen. Ich habe nie einen Jungen in der Grube lesen sehn." (n. 1 3 9 - 6 0 . ) 2) Erziehung. Die Minenarbeiter verlangen Gesetz für Zwangsunterricht 20 der Kinder, wie in den Fabriken. Sie erklären die Klausel des Akts von 1860, wonach Erziehungscertifikat zur Verwendung der Jungen von 1 0 - 1 2 Jahren erfordert, für rein illusorisch. Das „peinliche" Verhörverfah- ren der kapitalistischen Instruktionsrichter wird hier wahrhaft drollig, (n. 115.) „Ist der Akt mehr nöthig gegen Anwender oder Eltern? - Gegen 25 Beide." (n. 116.) „Mehr gegen den einen als den andern? - Wie soll ich das beantworten?" (n. 137.) „Zeigen die Anwender irgend ein Verlangen, die Arbeitsstunden dem Schulunterricht anzupassen? - Niemals." (n. 211.) „Verbessern die Minenarbeiter hinterher ihre Erziehung? - Sie verschlech- tern sich im Allgemeinen; sie nehmen böse Gewohnheiten an; sie verlegen sich auf Trunk und Spiel und dergleichen und werden ganz und gar schiff- brüchig." (n.454.) „Warum nicht die Kinder in Abendschulen schicken? - In den meisten Kohlendistrikten existiren keine. Aber die Hauptsache ist, von der langen Ueberarbeit sind sie so erschöpft, daß ihnen die Augen vor Müdigkeit zufallen." „Also" schließt der Bourgeois, „Ihr seid gegen Erzie- 35 hung? - Bei Leibe nicht, aber u.s.w." ( n . 4 4 1 - 4 4 3 . ) „Sind die Minenbesit- zer u. s. w. nicht durch den Akt von 1860 gezwungen, Schulcertifikate zu verlangen, wenn sie Kinder zwischen 10 und 12 Jahren anwenden? - Durch das Gesetz, ja, aber die Anwender thun es nicht." (n. 444.) „Nach eurer Ansicht ist diese Gesetzklausel nicht allgemein ausgeführt? - Sie 40 wird gar nicht ausgeführt." (n. 717.) „Interessiren sich die Minenarbeiter sehr für die Erziehungsfrage? - Die große Mehrzahl." (n. 718.) „Sind sie 30 447 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts 5 ängstlich für Durchführung des Gesetzes? - Die große Mehrzahl." (n.720.) „Warum denn erzwingen sie seine Durchführung nicht? - Mancher Arbei- ter wünscht, Jungen ohne Schulcertifikat zu verweigern, aber er wird ein gezeichneter Mann (a marked man)." (n. 721.) „Gezeichnet durch wen? - Durch seinen Anwender." (n. 722.) „Ihr glaubt doch nicht etwa, daß die Anwender einen Mann wegen Gehorsams gegen das Gesetz verfolgen wür- den? - Ich glaube, sie würden es thun." (n. 723.) „Warum verweigern die Arbeiter nicht, solche Jungen anzuwenden? - Es ist nicht ihrer Wahl über- lassen." (n. 1634.) „Ihr verlangt Parla||463|mentsintervention? - Wenn irgend etwas Wirksames für die Erziehung der Kinder der Grubenarbeiter geschehen soll, so muß sie durch Parlamentsakt zwangsmäßig gemacht werden." (n. 1636.) „Soll das für die Kinder aller Arbeiter von Großbritan- nien gelten oder nur für Grubenarbeiter? - Ich bin hier, um im Namen der Grubenarbeiter zu sprechen." (n. 1638.) „Warum Grubenkinder von andren unterscheiden? - Weil sie eine Ausnahme von der Regel bilden." (n. 15 1639.) „In welcher Hinsicht? - In physischer." (n. 1640.) „Warum sollte Er- ziehung für sie werthvoller sein, als für Knaben von andern Klassen? - Ich sage nicht, daß sie werthvoller für sie ist, aber wegen ihrer Ueberarbeitung in den Minen haben sie weniger Chancen für Erziehung in Tags- und Sonntagsschulen." (n. 1644.) „Nicht wahr, es ist unmöglich, Fragen dieser 20 Art absolut zu behandeln?" (n. 1646.) „Sind genug Schulen in den Distrik- ten? - Nein." (n. 1647.) „Wenn der Staat verlangte, daß jedes Kind zur Schule geschickt, wo sollen denn die Schulen für alle die Kinder herkom- men? - Ich glaube, sobald es die Umstände gebieten, werden die Schulen von selbst entspringen." „Die große Mehrzahl nicht nur der Kinder, son- 25 dem der erwachsnen Minenarbeiter kann weder schreiben, noch lesen." (n.705, 726.) 10 3) Weiberarbeit. Arbeiterinnen werden zwar seit 1842 nicht mehr unter, wohl aber über der Erde zum Aufladen der Kohlen u.s.w., Schleppen der Kufen zu den Kanälen und Eisenbahnwagen, Sortiren der Kohlen u. s. w. 30 verbraucht. Ihre Anwendung hat sehr zugenommen in den letzten 3 - 4 Jah- ren, (n. 1727.) Es sind meist Weiber, Töchter und Wittwen von Grubenar- beitern, vom 12. bis zum 50. und 60. Jahre, (n. 647, 1779, 1781.) (n. 648.) „Was denken die Minenarbeiter von Beschäftigung von Weibern bei Berg- werken? - Sie verdammen sie allgemein." (n. 649.) „Warum? - Sie be- 35 trachten es erniedrigend für das Geschlecht ... Sie tragen eine Art von Mannskleidern. In vielen Fällen wird alle Scham unterdrückt. Manche Weiber rauchen. Die Arbeit ist so schmutzig, wie die in den Gruben selbst. Darunter sind viele verheirathete Frauen, die ihre häuslichen Pflichten nicht erfüllen können." (n. 6 5 1 - 6 5 4 , 701.) (n. 709.) „Können die Wittwen 40 ein so einträgliches Geschäft ( 8 - 1 0 sh. wöchentlich) anderswo finden? - 448 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Ich kann darüber nichts sagen." (n. 710.) „Und dennoch (Herz von Stein!) seid Ihr entschlossen, ihnen diesen Lebensunterhalt abzuschneiden? - Si- cher." (n. 1715, 1717.) „Woher diese Stimmung? - Wir, Minenarbeiter, ha- ben zu viel Respekt für das schöne Geschlecht, um es zur Kohlengrube ver- 5 dämmt zu sehn ... Diese Arbeit ist großentheils sehr schwer. ||464| Viele dieser Mädchen heben 10 Tonnen per Tag." (n. 1732.) „Glaubt Ihr, daß die in den Bergwerken beschäftigten Arbeiterinnen unmoralischer sind als die in den Fabriken beschäftigten? - Der Procentsatz der Schlechten ist größer als unter den Fabrikmädchen." (n. 1733.) „Aber Ihr seid auch mit dem 10 Stand der Moralität in den Fabriken nicht zufrieden? - Nein." (n. 1734.) „Wollt Ihr denn auch die Weiberarbeit in den Fabriken verbieten? - Nein, ich will nicht." (n. 1735.) „Warum nicht? - Sie ist für das weibliche Ge- schlecht ehrenvoller und passender." (n. 1736.) „Dennoch ist sie schädlich für ihre Moralität, meint Ihr? - Nein, lange nicht so sehr als die Arbeit an 15 der Grube. Ich spreche übrigens nicht nur aus moralischen, sondern auch aus physischen und socialen Gründen. Die sociale Degradation der Mäd- chen ist jammervoll und extrem. Wenn diese Mädchen Frauen der Minen- arbeiter werden, leiden die Männer tief unter dieser Degradation, und es treibt sie von Haus und zum Soff." (n. 1737.) „Aber gälte nicht dasselbe für 20 die bei Eisenwerken beschäftigten Weiber? - Ich kann nicht für andre Ge- schäftszweige sprechen." (n. 1740.) „Aber welcher Unterschied ist denn zwischen den bei Eisenwerken und Bergwerken beschäftigten Weibern? - Ich habe mich nicht mit dieser Frage beschäftigt." (n. 1741.) „Könnt Ihr einen Unterschied zwischen der einen oder der andern Klasse entdek- 25 ken? - Ich habe nichts darüber vergewissert, kenne aber durch Visite von Haus zu Haus den schmählichen Zustand der Dinge in unsrem Distrikt." (n. 1750.) „Hättet Ihr nicht große Lust, Weiberbeschäftigung überall abzu- schaffen, wo sie degradirend ist? - Ja .... die besten Gefühle der Kinder müssen von mütterlicher Zucht herkommen." (n. 1751.) „Aber das paßt ja 30 auch auf agrikole Beschäftigung der Weiber? - Die dauert nur zwei Sai- sons, bei uns arbeiten sie alle vier Saisons durch, manchmal Tag und Nacht, naß bis auf die Haut, ihre Konstitution geschwächt, ihre Gesund- heit gebrochen." (n. 1753.) „Ihr habt die Frage (nämlich der Weiberbe- schäftigung) nicht allgemein studirt? - Ich habe um mich her geschaut 35 und kann so viel sagen, daß ich nirgendwo etwas der weiblichen Beschäfti- gung an den Kohlengruben Paralleles gefunden habe." [n. 1793, 1794, 1808.] „Es ist Mannsarbeit und Arbeit für starke Männer." „Die beßre Klasse der Minenarbeiter, die sich zu heben und zu humanisiren sucht, statt irgend Stütze an ihren Weibern zu finden, wird durch sie herunterge- 40 zerrt." Nachdem die Bourgeois noch weiter in die Kreuz und Quere ge- fragt, kömmt endlich das Geheimniß ihres „Mitleidens" für Wittwen, arme 449 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts Familien u.s.w. ||465| heraus: „Der Kohleneigenthümer ernennt gewisse Gentlemen zur Oberaufsicht und deren Politik ist es, um Beifall zu ernten, alles auf den möglichst ökonomischen Fuß zu setzen und die beschäftigten Mädchen erhalten 1 bis 1 sh. 6 d. täglich, wo ein Mann 2 sh. 6 d. erhalten müßte." (n. 1816.) 5 4) Todtenschau-Juries, (η. 360.) „Mit Bezug auf die coroner's inquests in Euren Distrikten, sind die Arbeiter zufrieden mit dem Gerichtsverfahren, wenn Unfälle vorkommen? - Nein, sie sind es nicht." (n. 3 6 1 - 3 7 5 . ) „Warum nicht? - Namentlich weil man Leute zu Juries macht, die absolut nichts von Minen wissen. Arbeiter werden nie zugezogen, außer als Zeu- 10 gen. Im Ganzen nimmt man Krämer aus der Nachbarschaft, welche unter dem Einfluß der Minenbesitzer, ihrer Kunden, stehn und nicht einmal die technischen Ausdrücke der Zeugen verstehn. Wir verlangen, daß Minenar- beiter einen Theil der Jury bilden. Im Durchschnitt steht der U r t e i l s - spruch im Widerspruch zu den Zeugenaussagen." (n. 378.) „Sollen Juries 15 nicht unparteiisch sein? - J a . " (n. 379.) „Würden die Arbeiter es sein? - Ich sehe keine Motive, warum sie nicht unparteiisch sein sollten. Sie ha- ben Sachkenntniß." (n. 380.) „Aber würden sie nicht die Tendenz haben, im Interesse der Arbeiter ungerecht harte Urtheile zu fällen? - Nein, ich glaube nicht." 20 5) Falsches Maß und Gewicht u. s. w. Die Arbeiter verlangen wöchentli- che statt vierzehntägiger Zahlung, Maß nach Gewicht statt nach Kubik- raum der Kufen, Schutz gegen die Anwendung falschen Gewichts u. s. w. (n. 1071.) „Wenn die Kufen fraudulent vergrößert werden, so kann ein Mann ja die Mine verlassen nach 14tägiger Kündigung? - Aber, wenn er 25 zu einem andern Platz geht, findet er dasselbe." (n. 1072.) „Aber er kann den Platz doch verlassen, wo das Unrecht verübt wird? - Es ist allgemein herrschend." (n. 1073.) „Aber der Mann kann seinen jedesmaligen Platz nach 14tägiger Kündigung verlassen? - J a . " Streusand drauf! 6) Mineninspektion. Die Arbeiter leiden nicht nur von den Zufällen 30 durch explodirende Gase, (n.234 sqq.) „Wir haben uns ebenso sehr zu be- klagen über die schlechte Ventilation der Kohlengruben, so daß die Leute kaum darin athmen können; sie werden dadurch zu jeder Art Beschäfti- gung unfähig. So hat z.B. grade jetzt in dem Theil der Mine, wo ich ar- beite, die Pestluft viele Leute für Wochen aufs Krankenbett geworfen. Die 35 Hauptgänge sind meist luftig genug, aber grade nicht die Plätze, worin wir | |466| arbeiten. Sendet ein Mann Klage über Ventilation an den Inspektor, so wird er entlassen und ist ein ,gezeichneter' Mann, der auch sonstwo keine Beschäftigung findet. Der ,Mining Inspecting Act' von 1860 ist ein reiner Papierlappen. Der Inspektor, und ihre Zahl ist viel zu klein, macht 40 vielleicht in 7 Jahren einmal eine formelle Visite. Unser Inspektor ist ein 450 Dreizehntes Kapitel · Maschinerie und große Industrie ganz unfähiger, siebzigjähriger Mann, der mehr als 130 Kohlenb erg werken vorsteht. Neben mehr Inspektoren brauchen wir Sub Inspektoren." (n.280.) „Soll dann die Regierung solch eine Armee von Inspektoren halten, daß sie alles, was Ihr verlangt, ohne Information der Arbeiter selbst thun kön- nen? - Das ist unmöglich, aber sie sollen sich die Information in den Mi- nen selbst holen kommen." (n. 285.) „Glaubt Ihr nicht, daß die Wirkung sein würde, die Verantwortlichkeit (!) für die Ventilation u. s. w. von dem Minenbesitzer auf die Regierungsbeamten zu wälzen? - Keineswegs; es muß ihr Geschäft sein, die Befolgung der bereits bestehenden Gesetze zu erzwingen." (n. 294.) „Wenn Ihr von Subinspektoren sprecht, meint Ihr Leute mit weniger Gehalt und von niedrigerem Charakter als die gegenwär- tigen Inspektoren? - Ich wünsche sie keineswegs niedriger, wenn Ihr sie besser haben könnt." (n.295.) „Wollt Ihr mehr Inspektoren oder eine nied- rigere Klasse von Leuten als die Inspektoren? - Wir brauchen Leute, die sich in den Minen selbst umtummeln, Leute, die keine Angst für die eigne Haut haben." (n. 297.) „Wenn man Euren Wunsch nach Inspektoren von einer schlechtren Sorte erfüllte, würde ihr Mangel an Geschick nicht Ge- fahren erzeugen u.s.w.? - Nein; es ist Sache der Regierung, passende Sub- jekte anzustellen." Diese Art Examination wird endlich selbst dem Präsi- denten des Untersuchungskomité's zu toll. [n. 298, 299.] „Ihr wollt", fährt er dazwischen, „praktische Leute, die sich in den Minen selbst umsehn und an den Inspektor berichten, der dann seine höhere Wissenschaft ver- wenden kann." (n. 531.) „Würde die Ventilation aller dieser alten Werke nicht viel Kosten verursachen? - Ja, Unkosten möchten erwachsen, aber Menschenleben würden beschützt." (n. 581.) Ein Kohlenarbeiter protestirt gegen die 17. Sektion des Akts von 1860: „Gegenwärtig, wenn der Minenin- spektor irgend einen Theil der Mine in nicht bearbeitsfähigem Zustand fin- det, muß er es an den Minenbesitzer und den Minister des Innern berich- ten. Danach hat der Minenbesitzer 20 Tage Bedenkzeit; am Ende der 20 Tage kann er jede Veränderung verweigern. Thut er das aber, so hat er an den Minister des Innern zu schreiben und ihm 5 Bergwerksingenieure vorzu11467!schlagen, worunter der Minister die Schiedsrichter erwählen muß. Wir behaupten, daß in diesem Fall der Minenbesitzer virtuell seine eignen Richter ernennt." (n.586.) Der Bourgeoisexaminator, selbst Minen- besitzer: „Dieß ist ein rein spekulativer Einwand." (n. 588.) „Ihr habt also sehr geringe Ansicht von der Redlichkeit der Bergwerksingenieure? - Ich sage, es ist sehr unbillig und ungerecht." (n.589.) „Besitzen Bergwerksinge- nieure nicht eine Art von öffentlichem Charakter, der ihre Entscheidungen über die von Euch befürchtete Parteilichkeit erhebt? - Ich verweigre, Fra- gen über den persönlichen Charakter dieser Leute zu beantworten. Ich bin überzeugt, daß sie in vielen Fällen sehr parteiisch handeln und daß diese 451 Vierter Abschnitt · Die Produktion des relativen Mehrwerts Macht ihnen genommen werden sollte, wo Menschenleben auf dem Spiel stehn." Derselbe Bourgeois hat die Unverschämtheit, zu fragen: „Glaubt Ihr nicht, daß auch die Minenbesitzer Verluste bei den Explosionen ha- ben?" - Endlich (n. 1042): „Könnt Ihr Arbeiter Eure eignen Interessen nicht selbst wahrnehmen, ohne die Hülfe der Regierung anzurufen? - Nein." - Im Jahre 1865 gab es 3217 Kohlenb erg werke in Großbritannien und - 12 Inspektoren. Ein Minenbesitzer von Yorkshire (Times 26. Januar 1867) berechnet selbst, daß abgesehn von ihren rein bureaukratischen Ge- schäften, die ihre ganze Zeit absorbiren, jede Mine nur einmal in 10 Jah- ren besichtigt werden könnte. Kein Wunder, daß die Katastrophen in den 10 letzten Jahren (namentlich auch 1866 und 1867) progressiv in Anzahl und Umfang (manchmal mit einem Opfer von 2 0 0 - 3 0 0 Arbeitern) zugenom- men haben. Dieß sind die Schönheiten der „freien" kapitalistischen Pro- duktion! 5 Jedenfalls ist der Akt von 1872, so mangelhaft er ist, der erste, der die 15 Arbeitsstunden der in Bergwerken beschäftigten Kinder regelt, und die Ex- ploiteure und Grubenbesitzer in gewissem Maß für so genannte Unfälle verantwortlich macht. Die königliche Kommission von 1867 zur Untersuchung der Beschäfti- gung von Kindern, jugendlichen Personen und Weibern in der Agrikultur 20 hat einige sehr wichtige Berichte veröffentlicht. Es sind verschiedne Versu- che gemacht worden, die Principien der Fabrikgesetzgebung, in modificir- ter Form, auf die Agrikultur anzuwenden, aber bis jetzt schlugen sie alle total fehl. Worauf ich hier aber aufmerksam zu machen habe, ist das B e - stehn einer unwiderstehlichen Tendenz zur allgemeinen Anwendung die- 25 ser Principien. Wenn die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung als physisches und geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse unvermeidlich ||468| gewor- den ist, verallgemeinert und beschleunigt sie andrerseits, wie bereits ange- deutet, die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprocesse auf Zwergmaßstab in 30 kombinirte Arbeitsprocesse auf großer, gesellschaftlicher Stufenleiter, also die Koncentration des Kapitals und die Alleinherrschaft des Fabrikre- gime's. Sie zerstört alle alterthümlichen und Uebergangsformen, wohinter sich die Herrschaft des Kapitals noch theilweise versteckt, und ersetzt sie durch seine direkte, unverhüllte Herrschaft. Sie verallgemeinert damit 35 auch den direkten Kampf gegen diese Herrschaft. Während sie in den indi- viduellen Werkstätten Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, Ordnung und Oekonomie erzwingt, vermehrt sie durch den ungeheuren Sporn, den Schranke und Regel des Arbeitstags der Technik aufdrücken, die Anarchie und Katastrophen der kapitalistischen Produktion im Großen und Ganzen, die Intensität der Arbeit und die Konkurrenz der Maschinerie mit dem Ar- 40 452 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie beiter. Mit den Sphären des Kleinbetriebs und der Hausarbeit vernichtet sie die letzten Zufluchtsstätten der „Ueberzähligen" und damit das bishe- rige Sicherheitsventil des ganzen Gesellschaftsmechanismus. Mit den ma- teriellen Bedingungen und der gesellschaftlichen Kombination des Pro- 5 duktionsprocesses reift sie die Widersprüche und Antagonismen seiner kapitalistischen Form, daher gleichzeitig die Bildungselemente einer neuen und die Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft 3 2 2). | 15 20 3 2 2 ) Robert Owen, der Vater der Kooperativfabriken und -Boutiquen, der jedoch, wie früher bemerkt, die Illusionen seiner Nachtreter über die Tragweite dieser isolirten Umwandlungs- 10 elemente keineswegs theilte, ging nicht nur thatsächlich in seinen Versuchen vom Fabriksy- stem aus, sondern erklärte es auch theoretisch für den Ausgangspunkt der socialen Revolu- tion. Herr Vissering, Professor der politischen Oekonomie an der Universität zu Leiden, scheint so etwas zu ahnen, wenn er in seinem „Handboek van Praktische Staathuishoud- kunde. 1860-62", welches die Plattheiten der Vulgärökonomie in entsprechendster Form vor- trägt, für Handwerksbetrieb gegen große Industrie eifert. - (Zur 4. Aufl. - Der „neue juristi- sche Rattenkönig" (S. 295), den die englische Gesetzgebung vermittelst der einander widersprechenden Factory Acts, Factory Extension Act und Workshops' Act ins Leben geru- fen, wurde endlich unerträglich und so kam im Factory and Workshop Act, 1878, eine Kodifi- kation der ganzen betreffenden Gesetzgebung zu Stande. Eine ausführliche Kritik dieses jetzt gültigen Industriekodex Englands kann hier natürlich nicht gegeben werden. Daher mögen folgende Notizen genügen: Der Akt umfaßt 1) Textilfabriken. Hier bleibt so ziemlich alles beim Alten: erlaubte Arbeitszeit für Kinder über 10 Jahren: 5¾ Stunden täglich, oder aber 6 Stunden, und dann den Samstag frei; junge Personen und Frauen: 10 Stunden an fünf Ta- gen, höchstens 6¾ am Samstag. - 2) Nicht-Textilfabriken. Hier sind die Bestimmungen de- 25 nen von Nr. 1) mehr angenähert als früher, aber noch immer bestehn manche, den Kapitali- sten günstige Ausnahmen, die in manchen Fällen durch Specialerlaubniß des Ministers des Innern noch ausdehnbar sind. - 3) Workshops, definirt ungefähr wie im frühern Akt; soweit Kinder, jugendliche Arbeiter oder Frauen darin beschäftigt, sind Workshops den nicht-texti- len Fabriken so ziemlich gleichgestellt, doch wieder mit Erleichterungen im Einzelnen. - 30 4) Workshops, in denen keine Kinder oder jugendliche Arbeiter, sondern nur Personen bei- derlei Geschlechts über 18 Jahren beschäftigt werden; für diese Kategorie gelten noch weitre Erleichterungen. - 5) Domestic Workshops, wo nur Familienglieder in der Familienwohnung beschäftigt werden; noch elastischere Bestimmungen, und gleichzeitig die Beschränkung, daß der Inspektor ohne besondre ministerielle oder richterliche Erlaubniß nur solche Räume be- treten darf, die nicht zugleich als Wohnräume benutzt werden, und endlich die unbedingte Freigebung von Strohflechterei, Spitzenklöppelei und Handschuhmacherei innerhalb der Fa- milie. Bei allen Mängeln ist der Akt immer noch, neben dem schweizerischen Bundesfabrik- gesetz vom 23.März,1877, weitaus das beste Gesetz über den Gegenstand. Eine Vergleichung desselben mit dem erwähnten schweizerischen Bundesgesetz ist von besondrem Interesse, 40 weil sie die Vorzüge wie die Nachtheile der beiden gesetzgeberischen Methoden - der engli- schen, „historischen", von Fall zu Fall eingreifenden, und der kontinentalen, auf den Tradi- tionen der französischen Revolution aufgebauten, mehr generalisirenden Methode - sehr an- schaulich macht. Leider ist der englische Kodex in seiner Anwendung auf Workshops großentheils noch immer todter Buchstabe - wegen unzureichendem Inspektionspersonal. - 35 45 D.H.) 453 Vierter Abschnitt • Die Produktion des relativen Mehrwerts |469| 10. Große Industrie und Agrikultur. 5 Die Revolution, welche die große Industrie im Ackerbau und den socialen Verhältnissen seiner Produktionsagenten hervorruft, kann erst später dar- gestellt werden. Hier genügt kurze Andeutung einiger vorweggenommenen Resultate. Wenn der Gebrauch der Maschinerie im Ackerbau großentheils frei ist von den physischen Nachtheilen, die sie dem Fabrikarbeiter zu- fügt 3 2 3), wirkt sie hier noch intensiver und ohne Gegenstoß auf die „Ueber- zähligmachung" der Arbeiter, wie man später im Detail sehn wird. In den Grafschaften Cambridge und Suffolk z . B . hat sich das Areal des bebauten Landes seit den letzten zwanzig Jahren sehr ausgedehnt, während die 10 Landbevölkerung in derselben Periode nicht nur relativ, sondern absolut abnahm. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ersetzten Agrikul- tur-Maschinen einstweilen nur virtuell Arbeiter, d.h. sie erlauben dem Pro- ducenten Bebauung einer größren Fläche, verjagen aber nicht wirklich be- schäftigte Arbeiter. In England und Wales betrug 1861 die Zahl der in der 15 Fabrikation von Ackerbau-Maschinen betheiligten Personen 1034, wäh- rend die ||470| Zahl der an Dampf- und Arbeitsmaschinen beschäftigten Agrikulturarbeiter nur 1205 betrug. In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revo- lutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den 20 „Bauer", und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die socialen Umwäl- zungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationell- sten Betriebs tritt bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft. Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und 25 Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätz- lich ausgearbeiteten Gestalten. Mit dem stets wachsenden Uebergewicht 30 der städtischen Bevölkerung, die sie in großen Centren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewe- gungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d. h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von 3 2 3 ) Ausführliche Darstellung der im englischen Ackerbau angewandten Maschinerie findet man in: „Die landwirthschaftlichen Geräthe und Maschinen Englands von Dr. W. Hamm. 2. Aufl. 1856". In seiner Skizze über den Entwicklungsgang der englischen Agrikultur folgt Herr Hamm zu kritiklos dem Herrn Léonce de Lavergne. (Zur 4. Aufl. - Jetzt natürlich veral- tet. - D. H.) 35 454 Dreizehntes Kapitel • Maschinerie und große Industrie Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandtheile zum B o - den, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter 3 2 4). Aber sie zwingt zugleich durch die 5 Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandnen Umstände jenes Stoffwech- sels ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produk- tion und in einer der vollen menschlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen. In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapita- listische Umwandlung des Produktionsprocesses zugleich als Martyrologie 10 der Producenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitations- mittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombina- tion der Arbeitsprocesse als organisirte Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landar- beiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Wider||471 |standskraft, 15 während Koncentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Pro- duktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwü- stung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den 20 Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zu- gleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, de- 25 sto rascher dieser Zerstörungsproceß 3 2 5). Die kapitalistische Produktion 3 2 4 ) "You divide the people into two hostile camps of clownish boors and emasculated dwarfs. Good heavens! a nation divided into agricultural and commercial interests calling itself sane, nay styling itself enlightened and civilized, not only in spite of, but in consequence of this monstrous and unnatural division." (David Urquhart 1. c. p. 119.) Diese Stelle zeigt zugleich 30 die Stärke und die Schwäche einer Art von Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurthei- len, aber nicht zu begreifen weiß. 3 2 5 ) Vgl. Liebig: „Die Chemie in ihrer Anwendung und Agrikultur und Physiologie. 7. Auflage 1862", namentlich auch im Ersten Band die „Einleitung in die Naturgesetze des Feldbaus". Die Entwicklung der negativen Seite der modernen Agrikultur, vom naturwissenschaftlichen 35 Standpunkt, ist eins der unsterblichen Verdienste Liebig's. Auch seine historischen Aperçus über die Geschichte der Agrikultur, obgleich nicht ohne grobe Irrthümer, enthalten Licht- blicke. Zu bedauern bleibt, daß er aufs Grathewohl Aeußerungen wagt, wie folgende: „Durch eine weiter getriebne Pulverisirung und häufigeres Pflügen wird der Luftwechsel im Innern poröser Erdtheile befördert, und die Oberfläche der Erdtheile, auf welche die Luft einwirken soll, vergrößert und erneuert, aber es ist leicht verständlich, daß die Mehrbeträge des Feldes nicht proportionell der auf das Feld verwandten Arbeit sein können, sondern daß sie in einem weit kleineren Verhältniß steigen. Dieses Gesetz", fügt Liebig hinzu, „ist von J. St. Mill zuerst in seinen Princ. of Pol. Econ. v.l, p.217 in folgender Weise ausgesprochen: ,That the produce of land increases caeteris paribus in a diminishing ratio to the increase of the labourers, em- 45 ployed, (Herr Mill wiederholt sogar das Ricardo'sche Schulgesetz in falscher Formel, denn da 40 455 Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts entwickelt da||472|her nur die Technik und Kombination des gesellschaftli- chen Produktionsprocesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichthums untergräbt; die Erde und den Arbeiter. F Ü N F T E R A B S C H N I T T . Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerths. 5 V I E R Z E H N T E S K A P I T E L . Absoluter und relativer Mehrwerth. Der Arbeitsproceß wurde (sieh fünftes Kapitel) zunächst abstrakt betrach- tet, unabhängig von seinen geschichtlichen Formen, als Proceß zwischen 10 Mensch und Natur. Es hieß dort: „Betrachtet man den ganzen Arbeitspro- ceß vom Standpunkt seines Resultats, so erscheinen Beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, als Produktionsmittel, und die Arbeit selbst als produktive Arbeit." Und in Note 7 wurde ergänzt: „Diese Bestimmung pro- duktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen Arbeitsproces- 15 ses ergibt, reicht keineswegs hin für den kapitalistischen Produktionspro- ceß." Dieß ist hier weiter zu entwickeln. Soweit der Arbeitsproceß ein rein individueller, vereinigt derselbe Arbei- ter alle Funktionen, die sich später trennen. In der individuellen Aneig- nung von Naturgegenständen zu seinen Lebenszwecken kontrolirt er sich 20 ,,the decrease of the labourers employed", die Abnahme der angewandten Arbeiter, in Eng- land beständig Schritt hielt mit dem Fortschritt der Agrikultur, fände das für und in England erfundne Gesetz wenigstens in England keine Anwendung) is the universal law of agricultural industry', merkwürdig genug, da ihm dessen Grund unbekannt war." (Liebig 1. c. Bd. I, p. 143 u. Note.) Abgesehn von irriger Deutung des Wortes „Arbeit", worunter Liebig etwas andres 25 versteht, als die politische Oekonomie, ist es jedenfalls „merkwürdig genug", daß er Herrn J. St. Mill zum ersten Verkünder einer Theorie macht, die James Anderson zur Zeit A. Smith's zuerst veröffentlichte und in verschiedenen Schriften bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein wiederholte, die Malthus, überhaupt ein Meister des Plagiats (seine ganze Bevölke- rungstheorie ist ein schamloses Plagiat), sich 1815 annexirte, die West zur selben Zeit und 30 unabhängig von Anderson entwickelte, die Ricardo 1817 in Zusammenhang mit der allgemei- nen Werththeorie brachte und die von da an unter dem Namen Ricardo's die Runde der Welt gemacht hat, die 1820 von James Mill (dem Vater J. St. Mill's) vulgarisirt, und endlich u. a. auch von Herrn J. St. Mill als bereits Gemeinplatz gewordnes Schuldogma wiederholt wird. Es ist unläugbar, daß J. St. Mill seine jedenfalls „merkwürdige" Autorität fast nur ähnlichen qui 35 pro quo verdankt. 456 Vierzehntes Kapitel · Absoluter und relativer Mehrwert 5 selbst. Später wird er kontrolirt. Der einzelne Mensch kann nicht auf die Natur wirken ohne Bethätigung seiner eignen Muskeln unter Kontrole sei- nes eignen Hirns. Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsproceß Kopfarbeit und Handarbeit. Später scheiden sie sich bis zum feindlichen Gegensatz. Das Produkt verwandelt sich über- haupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Producenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesammtarbei- ters, d.h. eines kombinirten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handha- bung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehn. Mit dem kooperati- 10 ven Charakter des Arbeitsprocesses selbst erweitert sich daher nothwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Ar- beiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nöthig, selbst Hand anzulegen; ||473| es genügt, Organ des Gesammtarbeiters zu sein, irgend eine seiner Unterfunktionen zu vollziehn. Die obige ursprüngliche 15 Bestimmung der produktiven Arbeit, aus der Natur der materiellen Pro- duktion selbst abgeleitet, bleibt immer wahr für den Gesammtarbeiter, als Gesammtheit betrachtet. Aber sie gilt nicht mehr für jedes seiner Glieder, einzeln genommen. Andrerseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die ka- 20 pitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Waare, sie ist wesent- lich Produktion von Mehrwerth. Der Arbeiter producirt nicht für sich, son- dern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt producirt. Er muß Mehrwerth produciren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwerth für den Kapitalisten producirt oder zur Selbstverwerthung 25 des Kapitals dient. Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der ma- teriellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbei- ter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbei- tet zur Bereicherung des Unternehmers. Daß letztrer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem 30 Verhältniß. Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keines- wegs bloß ein Verhältniß zwischen Thätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein specifisch gesellschaft- liches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhältniß, welches den Ar- beiter zum unmittelbaren Verwerthungsmittel des Kapitals stempelt. Pro- 35 duktiver Arbeiter zu sein, ist daher kein Glück, sondern ein Pech. Im Vierten Buch dieser Schrift, welches die Geschichte der Theorie behandelt, wird man näher sehn, daß die klassische politische Oekonomie von jeher die Produktion von Mehrwerth zum entscheidenden Charakter des produk- tiven Arbeiters machte. Mit ihrer Auffassung von der Natur des Mehr- 40 werths wechselt daher ihre Definition des produktiven Arbeiters. So erklä- ren die Physiokraten, nur die Ackerbauarbeit sei produktiv, weil sie allein 457 Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts einen Mehrwerth liefre. Für die Physiokraten existirt Mehrwerth aber aus- schließlich in der Form der Grundrente. Die Verlängrung des Arbeitstags über den Punkt hinaus, wo der Arbeiter nur ein Aequivalent für den Werth seiner Arbeitskraft producirt hätte, und die Aneignung dieser Mehrarbeit durch das Kapital - das ist die Produk- tion des absoluten Mehrwerths. Sie bildet die allgemeine Grundlage des kapitalistischen Systems und den Ausgangspunkt der Produktion des rela- tiven Mehrwerths. Bei dieser ist der Arbeitstag von vornherein in zwei Stücke getheilt: ||474| nothwendige Arbeit und Mehrarbeit. Um die Mehr- arbeit zu verlängern, wird die nothwendige Arbeit verkürzt durch Metho- 10 den, vermittelst deren das Aequivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit producirt wird. Die Produktion des absoluten Mehrwerths dreht sich nur um die Länge des Arbeitstags; die Produktion des relativen Mehrwerths re- volutionirt durch und durch die technischen Processe der Arbeit und die gesellschaftlichen Gruppirungen. 15 5 Sie unterstellt also eine specifisch kapitalistische Produktionsweise, die mit ihren Methoden, Mitteln und Bedingungen selbst erst auf Grundlage der formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital naturwüchsig ent- steht und ausgebildet wird. An die Stelle der formellen tritt die reelle Sub- sumtion der Arbeit unter das Kapital. 20 Es genügt bloßer Hinweis auf Zwitterformen, worin die Mehrarbeit we- der durch direkten Zwang dem Producenten ausgepumpt wird, noch auch dessen formelle Unterordnung unter das Kapital eingetreten ist. Das Kapi- tal hat sich hier noch nicht unmittelbar des Arbeitsprocesses bemächtigt. Neben die selbständigen Producenten, die in überlieferter, urväterlicher 25 Betriebsweise handwerkern oder ackerbauen, tritt der Wucherer oder Kauf- mann, das Wucherkapital oder das Handelskapital, das sie parasitenmäßig aussaugt. Vorherrschaft dieser Exploitationsform in einer Gesellschaft schließt die kapitalistische Produktionsweise aus, zu der sie andrerseits, wie im spätren Mittelalter, den Uebergang bilden kann. Endlich, wie das 30 Beispiel der modernen Hausarbeit zeigt, werden gewisse Zwitterformen auf dem Hintergrund der großen Industrie stellenweis reproducirt, wenn auch mit gänzlich veränderter Physiognomie. Wenn zur Produktion des absoluten Mehrwerths die bloß formelle Sub- sumtion der Arbeit unter das Kapital genügt, z.B. daß Handwerker, die frü- 35 her für sich selbst oder auch als Gesellen eines Zunftmeisters arbeiteten, nun als Lohnarbeiter unter die direkte Kontrole des Kapitalisten treten, zeigte sich andrerseits, wie die Methoden zur Produktion des relativen Mehrwerths zugleich Methoden zur Produktion des absoluten Mehrwerths sind. Ja die maßlose Verlängrung des Arbeitstags stellte sich als eigenstes 40 Produkt der großen Industrie dar. Ueberhaupt hört die specifisch kapitali- 458 Vierzehntes Kapitel • Absoluter und relativer Mehrwert stische Produktionsweise auf, bloßes Mittel zur Produktion des relativen Mehrwerths zu sein, sobald sie sich eines ganzen Produktionszweigs und noch mehr, sobald sie sich aller entscheidenden Produktionszweige be- mächtigt hat. Sie wird jetzt allgemeine, gesellschaftlich herrschende Form 5 des Produktionsprocesses. Als besondre Methode zur Produktion des relati- ven ||475| Mehrwerths wirkt sie nur noch, erstens soweit sie dem Kapital bisher nur formell untergeordnete Industrien ergreift, also in ihrer Propa- ganda. Zweitens, soweit ihr bereits anheimgefallne Industrien fortwährend revolutionirt werden durch Wechsel der Produktionsmethoden. 10 Von gewissem Gesichtspunkt scheint der Unterschied zwischen absolu- tem und relativem Mehrwerth überhaupt illusorisch. Der relative Mehr- werth ist absolut, denn er bedingt absolute Verlängrung des Arbeitstags über die zur Existenz des Arbeiters selbst nothwendige Arbeitszeit. Der ab- solute Mehrwerth ist relativ, denn er bedingt eine Entwicklung der Arbeits- 15 Produktivität, welche erlaubt, die nothwendige Arbeitszeit auf einen Theil des Arbeitstags zu beschränken. Faßt man aber die Bewegung des Mehr- werths ins Auge, so verschwindet dieser Schein der Einerleiheit. Sobald die kapitalistische Produktionsweise einmal hergestellt und allgemeine Pro- duktionsweise geworden, macht sich der Unterschied zwischen absolutem 20 und relativem Mehrwerth fühlbar, sobald es gilt, die Rate des Mehrwerths überhaupt zu steigern. Vorausgesetzt, die Arbeitskraft werde zu ihrem Werth bezahlt, stehn wir dann vor dieser Alternative: die Produktivkraft der Arbeit und ihren Normalgrad von Intensität gegeben, ist die Rate des Mehrwerths nur erhöhbar durch absolute Verlängrung des Arbeitstags; 25 andrerseits, bei gegebner Grenze des Arbeitstags, ist die Rate des Mehr- werths nur erhöhbar durch relativen Größenwechsel seiner Bestandtheile, der nothwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, was einerseits, soll der Lohn nicht unter den Werth der Arbeitskraft sinken, Wechsel in der Produktivi- tät oder Intensität der Arbeit voraussetzt. 30 Braucht der Arbeiter alle seine Zeit, um die zur Erhaltung seiner selbst und seiner Race nöthigen Lebensmittel zu produciren, so bleibt ihm keine Zeit, um unentgeltlich für dritte Personen zu arbeiten. Ohne einen gewis- sen Produktivitätsgrad der Arbeit keine solche disponible Zeit für den Ar- beiter, ohne solche überschüssige Zeit keine Mehrarbeit und daher keine 35 Kapitalisten, aber auch keine Sklavenhalter, keine Feudalbarone, in einem Wort keine Großbesitzerklasse. 1) So kann von einer Naturbasis des Mehrwerths gesprochen werden, aber nur in dem ganz allgemeinen Sinn, daß kein absolutes Natur||476|hinder- 40 *) "The very existence of the master-capitalists as a distinct class is dependent on the produc- tiveness of industry." (Ramsay 1. c. p. 206.) "If each man's labour were but enough to produce his own food, there could be no property." (Ravenstone 1. c. p. 14.) 4 5 9 Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts 5 niß den einen abhält, die zu seiner eignen Existenz nöthige Arbeit von sich selbst ab- und einem andern aufzuwalzen, z.B. ebensowenig wie absolute Naturhindernisse die einen abhalten, das Fleisch der andern als Nahrung zu verwenden. l a) Es sind durchaus nicht, wie es hier und da geschehn, my- stische Vorstellungen mit dieser naturwüchsigen Produktivität der Arbeit zu verbinden. Nur sobald die Menschen sich aus ihren ersten Thierzustän- den herausgearbeitet, ihre Arbeit selbst also schon in gewissem Grad verge- sellschaftet ist, treten Verhältnisse ein, worin die Mehrarbeit des einen zur Existenzbedingung des andern wird. In den Kulturanfängen sind die er- worbnen Produktivkräfte der Arbeit gering, aber so sind die Bedürfnisse, die sich mit und an den Mitteln ihrer Befriedigung entwickeln. Ferner ist in jenen Anfängen die Proportion der Gesellschaftstheile, die von fremder Arbeit leben, verschwindend klein gegen die Masse der unmittelbaren Pro- ducenten. Mit dem Fortschritt der gesellschaftlichen Produktivkraft der Ar- beit wächst diese Proportion absolut und relativ 2). Das Kapitalverhältniß 15 entspringt übrigens auf einem ökonomischen Boden, der das Produkt eines langen Entwicklungsprocesses ist. Die vorhandne Produktivität der Arbeit, wovon es als Grundlage ausgeht, ist nicht Gabe der Natur, sondern einer Geschichte, die Tausende von Jahrhunderten umfaßt. 10 Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt der gesellschaftlichen 20 Produktion abgesehn, bleibt die Produktivität der Arbeit an Naturbedin- gungen gebunden. Sie sind alle rückführbar auf die Natur des Menschen selbst, wie Race u.s.w. und die ihn umgebende Natur. Die äußeren Natur- bedingungen zerfallen ökonomisch in zwei große Klassen, natürlichen Reichthum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit, fischreiche Gewäs- 25 ser u. s. w., und natürlichen Reichthum an Arbeitsmitteln, wie lebendige Wassergefälle, schiffbare Flüsse, Holz, Metalle, Kohle u. s. w. In den Kul- turanfängen gibt die erstere, auf höherer Entwicklungsstufe die zweite Art des natürlichen Reichthums den Ausschlag. Man vergleiche z . B . England mit Indien oder, in der antiken Welt, Athen und Korinth mit den Uferlän- 30 dem des schwarzen Meeres. Je geringer die Zahl der absolut zu befriedigenden Naturbedürf-| |477|nisse, und je größer die natürliche Bodenfruchtbarkeit und Gunst des Klimas, desto geringer die zur Erhaltung und Reproduktion des Producen- ten nothwendige Arbeitszeit. Desto größer kann also der Ueberschuß sei- 35 ner Arbeit für Andere über seine Arbeit für sich selbst sein. So bemerkt l a ) Nach einer kürzlich gemachten Berechnung, leben allein in den bereits erforschten Erdge- genden mindestens noch vier Millionen Kannibalen. 2) "Among the wild Indians in America, almost every thing is the labourer's, 99 parts of an hundred are to be put upon the account of Labour: In England, perhaps the labourer has not 40 2/ 3." (,,The Advantages of the East India Trade etc.", p. 72, 73.) 460 Vierzehntes Kapitel · Absoluter und relativer Mehrwert 5 schon Diodor über die alten Aegypter: „Es ist ganz unglaublich, wie wenig Mühe und Kosten die Erziehung ihrer Kinder ihnen verursacht. Sie ko- chen ihnen die nächste beste einfache Speise; auch geben sie ihnen von der Papierstaude den untern Theil zu essen, soweit man ihn im Feuer rö- sten kann, und die Wurzel und Stengel der Sumpfgewächse, theils roh, theils gesotten und gebraten. Die meisten Kinder gehn ohne Schuhe und unbekleidet, da die Luft so mild ist. Daher kostet ein Kind seinen Aeltern, bis es erwachsen ist, im Ganzen nicht über zwanzig Drachmen. Hieraus ist es hauptsächlich zu erklären, daß in Aegypten die Bevölkerung so zahl- reich ist und darum so viele große Werke angelegt werden konnten" 3). In- deß sind die großen Bauwerke des alten Aegyptens dem Umfang seiner Be- völkerung weniger geschuldet als der großen Proportion, worin sie disponibel war. Wie der individuelle Arbeiter um so mehr Mehrarbeit lie- fern kann, je geringer seine nothwendige Arbeitszeit, so, je geringer der zur 15 Produktion der nothwendigen Lebensmittel erheischte Theil der Arbeiter- 10 bevölkerung, desto größer ihr für andres Werk disponibler Theil. Die kapitalistische Produktion einmal vorausgesetzt, wird, unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebner Länge des Arbeitstags, die Größe der Mehrarbeit mit den Naturbedingungen der Arbeit, namentlich 20 auch der Bodenfruchtbarkeit, variiren. Es folgt aber keineswegs umgekehrt, daß der fruchtbarste Boden der geeignetste zum Wachsthum der kapitali- stischen Produktionsweise. Sie unterstellt Herrschaft des Menschen über die Natur. Eine zu verschwenderische Natur „hält ihn an ihrer Hand wie ein Kind am Gängelband". Sie macht seine eigne Entwicklung nicht zu 25 einer Naturnothwendigkeit 4). Nicht das tropische Klima mit seiner | |478| überwuchernden Vegetation, sondern die gemäßigte Zone ist das Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des Bo- dens, sondern seine Differenzirung, die Mannigfaltigkeit seiner natürli- chen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Theilung 30 der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der Naturum- stände, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner eignen Be- 3) Diodor 1. c. 1.1, c. 80 [, S. 126.] 4) "The first (natural wealth), as it is most noble and advantageous, so doth it make the people careless, proud, and given to all excesses; whereas the second enforceth vigilancy, literature, 35 arts and policy." (,,England's Treasure by Foreign Trade. Or the Balance of our Foreign Trade is the Rule of our Treasure. Written by Thomas Mun, of London, Merchant, and now pub- lished for the common good by his son John Mun. Lond. 1669", p. 181, 182.) "Nor can I con- ceive a greater curse upon a body of people, than to be thrown upon a spot of land, where the productions for subsistence and food were, in great measure, spontaneous, and the climate re- 40 quired or admitted little care for raiment and covering ... there may be an extreme on the other side. A soil incapable of produce by labour is quite as bad as a soil that produces plenti- fully without any labour." („An Inquiry into the Present High Price of Provisions. Lond. 1767", p. 10.) 461 Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts dürfnisse, Fähigkeiten, Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt. Die Noth- wendigkeit, eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontroliren, damit Haus zu halten, sie durch Werke von Menschenhand auf großem Maßstab erst an- zueignen oder zu zähmen, spielt die entscheidendste Rolle in der Ge- schichte der Industrie. So z . B . die Wasserreglung in Aegypten 5), Lombar- dei, Holland u. s.w. Oder in Indien, Persien u. s.w., wo die Ueberrieslung durch künstliche Kanäle dem Boden nicht nur das unentbehrliche Wasser, sondern mit dessen Geschlämme zugleich den Mineraldünger von den Bergen zuführt. Das Geheimniß der Industrieblüthe von Spanien und Sici- lien unter arabischer Herrschaft war die Kanalisation 6). 5 10 Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Möglichkeit, niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerths oder des Mehrprodukts. Die verschiednen Naturbedingungen der Arbeit bewirken, daß dieselbe Quantität Arbeit in verschiednen Ländern verschiedne Be- dürfnißmassen befriedigt 7), daß also, unter ||479| sonst analogen Umstän- 15 den, die nothwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf die Mehrarbeit wir- ken sie nur als Naturschranke, d.h. durch die Bestimmung des Punkts, wo die Arbeit für Andre beginnen kann. In demselben Maß, worin die Indu- strie vortritt, weicht diese Naturschranke zurück. Mitten in der westeuropä- ischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die Erlaubniß, für seine eigne Exi- 20 Stenz zu arbeiten, nur durch Mehrarbeit erkauft, wird sich leicht eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit eingeborne Qualität, ein 5) Die Nothwendigkeit, die Perioden der Nilbewegung zu berechnen, schuf die ägyptische Astronomie und mit ihr die Herrschaft der Priesterkaste als Leiterin der Agrikultur. «Le sols- tice est le moment de l'année où commence la crue du Nil, et celui que les Égyptiens ont dû 25 observer avec le plus d'attention. .. C'était cette année tropique qu'il leur importait de mar- quer pour se diriger dans leurs opérations agricoles. Ils durent donc chercher dans le ciel un signe apparent de son retour.» (Cuvier: „Discours sur les révolutions du globe éd. Hoefer. Pa- ris 1863", p. 141.) 6) Eine der materiellen Grundlagen der Staatsmacht über die zusammenhangslosen kleinen 30 Produktionsorganismen Indiens war Reglung der Wasserzufuhr. Die muhamedanischen Herr- scher Indiens verstanden dieß besser als ihre englischen Nachfolger. Wir erinnern nur an die Hungersnoth von 1866, die mehr als einer Million Hindus in dem Distrikt von Orissa, Präsi- dentschaft Bengalen, das Leben kostete. 7) "There are no two countries, which furnish an equal number of the necessaries of life in 35 equal plenty, and with the same quantity of labour. Men's wants increase or diminish with the severity or temperateness of the climate they live in; consequently the proportion of trade which the inhabitants of different countries are obliged to carry on through necessity, cannot be the same, nor is it practicable to ascertain the degree of variation farther than by the De- grees of Heat and Cold; from whence one may make this general conclusion, that the quantity 40 of labour required for a certain number of people is greatest in cold climates, and least in hot ones; for in the former, men not only want more clothes, but the earth more cultivating than in the latter." („An Essay on the Governing Causes of the Natural Rate of Interest. Lond. 1750", p. 59.) Der Verfasser dieser epochemachenden anonymen Schrift ist J. Massie. Hume nahm daraus seine Zinstheorie. 45 462 Vierzehntes Kapitel • Absoluter und relativer Mehrwert Surplusprodukt zu liefern 8). Man nehme aber z.B. den Einwohner der östli- chen Inseln des asiatischen Archipelagus, wo der Sago wild im Walde wächst. „Wenn die Einwohner, indem sie ein Loch in den Baum bohren, sich davon überzeugt haben, daß das Mark reif ist, so wird der Stamm um- 5 geschlagen und in mehrere Stücke getheilt, das Mark wird herausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht, es ist dann vollkommen brauchbares Sa- gomehl. Ein Baum giebt gemeiniglich 300 Pfund und kann 5 bis 600 Pfund geben. Man geht dort also in den Wald und schneidet sich sein Brod, wie man bei uns sein Brennholz schlägt" 9). Gesetzt, ein solcher ostasiatischer 10 Brodschneider brauche 12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse. Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar gibt, ist viel Mußezeit. Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für fremde Personen verausgabe, ist äußrer Zwang erheischt. Würde kapitali- 15 stische Produktion eingeführt, so müßte der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten, um sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche ar- beitet oder warum er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum seine nothwendige Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. In keinem Fall aber entspränge sein Mehrprodukt aus einer der menschli- chen Arbeit eingebornen, occulten Qualität. | 20 |480| Wie die geschichtlich entwickelten, gesellschaftlichen, so erschei- nen die naturbedingten Produktivkräfte der Arbeit als Produktivkräfte des Kapitals, dem sie einverleibt wird. - 30 25 Ricardo kümmert sich nie um den Ursprung des Mehrwerths. Er behan- delt ihn wie eine der kapitalistischen Produktionsweise, der in seinen Augen natürlichen Form der gesellschaftlichen Produktion, inhärente Sa- che. Wo er von der Produktivität der Arbeit spricht, da sucht er in ihr nicht die Ursache des Daseins von Mehrwerth, sondern nur die Ursache, die seine Größe bestimmt. Dagegen hat seine Schule die Produktivkraft der Arbeit laut proklamirt, als die Entstehungsursache des Profits (lies: Mehr- werths). Jedenfalls ein Fortschritt gegenüber den Merkantilisten, die ihrerseits den Überschuß des Preises der Produkte über ihre Produktions- kosten aus dem Austausch herleiten, aus ihrem Verkauf über ihren Werth. 35 Trotzdem hatte auch Ricardo's Schule das Problem bloß umgangen, nicht gelöst. In der That hatten diese bürgerlichen Oekonomen den richtigen In- stinkt, es sei sehr gefährlich, die brennende Frage nach dem Ursprung des Mehrwerths zu tief zu ergründen. Was aber sagen, wenn ein halbes Jahr- 40 8) «Tout travail doit (scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen zu gehören) laisser un excédant. » (Proudhon.) 9) F. Schouw: „Die Erde, die Pflanze und der Mensch". 2. Aufl. Leipzig 1854, p. 148. 463 Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts hundert nach Ricardo Herr John Stuart Mill würdevoll seine Ueberlegen- heit über die Merkantilisten konstatirt, indem er die faulen Ausflüchte der ersten Verflacher Ricardo's schlecht wiederholt? Mill sagt: „Die Ursache des Profits ist die, daß die Arbeit mehr produ- cirt, als für ihren Unterhalt erforderlich ist." Soweit, nichts als die alte Leier; aber Mill will auch Eignes hinzuthun: „Oder um die Form des Sat- zes zu variiren: der Grund, weshalb das Kapital einen Profit liefert, ist der, daß Nahrung, Kleider, Rohstoffe und Arbeitsmittel längere Zeit dauern als zu ihrer Produktion erforderlich ist." Mill verwechselt hier die Dauer der Arbeitszeit mit der Dauer ihrer Produkte. Nach dieser Ansicht würde ein 10 Bäcker, dessen Produkte nur einen Tag dauern, aus seinen Lohnarbeitern nie denselben Profit ziehen können wie ein Maschinenbauer, dessen Pro- dukte zwanzig Jahre und länger dauern. Allerdings, wenn die Vogelnester nicht längere Zeit vorhielten als zu ihrem Bau erforderlich, so würden die Vögel sich ohne Nester behelfen müssen. 15 5 Diese Grundwahrheit einmal festgestellt, stellt Mill seine Ueberlegen- heit über die Merkantilisten fest: „Wir sehn also, daß der Profit entsteht, nicht aus dem Zwischenfall der Austäusche, sondern aus der Produktiv- kraft der Arbeit; der Gesammtprofit eines Landes ||481| ist immer be- stimmt durch die Produktivkraft der Arbeit, gleichviel ob Austausch statt- 20 findet, oder nicht. Bestände keine Theilung der Beschäftigungen, so gäbe es weder Kauf noch Verkauf, aber immer noch Profit." Hier sind also Aus- tausch, Kauf und Verkauf, die allgemeinen Bedingungen der kapitalisti- schen Produktion, ein purer Zwischenfall, und es gibt immer noch Profit ohne Kauf und Verkauf der Arbeitskraft! 25 Weiter: „Producirt die Gesammtheit der Arbeiter eines Landes 20 % über ihre Lohnsumme, so werden die Profite 2 0 % sein, was auch immer der Stand der Waarenpreise". - Dieß ist einerseits eine äußerst gelungne Tau- tologie, denn wenn Arbeiter einen Mehrwerth von 20 % für ihre Kapitali- sten produciren, so werden sich die Profite zum Gesammtlohn der Arbeiter 30 verhalten wie 20:100. Andrerseits ist es absolut falsch, daß die Profite „20 % sein werden". Sie müssen immer kleiner sein, weil Profite berechnet wer- den auf die Totalsumme des vorgeschoßnen Kapitals. Der Kapitalist habe z . B . 500Pfd. Sterling vorgeschossen, davon 400Pfd. St. in Produktionsmit- teln, 100 Pfd. [St.] in Arbeitslohn. Die Rate des Mehrwerths sei, wie ange- 35 nommen, 2 0 % , so wird die Profitrate sein wie 20:500, d.h. 4% und nicht 20%. Folgt eine glänzende Probe, wie Mill die verschiednen geschichtlichen Formen der gesellschaftlichen Produktion behandelt: „Ich setze überall den gegenwärtigen Stand der Dinge voraus, der bis a u f wenige Ausnahmen 40 überall herrscht, d.h. daß der Kapitalist alle Vorschüsse macht, die Bezah- 464 Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert lung des Arbeiters einbegriffen." Seltsame optische Täuschung, überall einen Zustand zu sehn, der bis jetzt nur ausnahmsweise auf dem Erdball herrscht! Doch weiter. Mill ist gut genug zuzugeben, „es sei nicht eine ab- solute Nothwendigkeit, daß dem so sei". Im Gegentheil. „Der Arbeiter 5 könnte, selbst mit seinem ganzen Lohnbetrage, die Zahlung abwarten, bis die Arbeit vollständig fertig ist, wenn er die zu seiner Erhaltung in der Zwi- schenzeit nöthigen Mittel hätte. Aber in diesem Falle wäre er in gewissem Grade ein Kapitalist, der Kapital ins Geschäft legte, und einen Theil der zu seiner Fortführung nöthigen Fonds lieferte." Ebensogut könnte Mill sagen, 10 der Arbeiter, der sich selbst nicht nur die Lebensmittel, sondern auch die Arbeitsmittel vorschießt, sei in Wirklichkeit sein eigner Lohnarbeiter. Oder der amerikanische Bauer sei sein eigner Sklave, der nur für sich selbst statt für einen fremden Herrn frohndet. Nachdem uns Mill derart klärlich erwiesen, daß die kapitalistische Pro- 15 duktion, selbst wenn sie nicht existirte, dennoch immer ||482| existiren würde, ist er nun konsequent genug zu beweisen, daß sie selbst dann nicht existirt, wenn sie existirt: „Und selbst im vorigen Fall (wenn der Kapitalist dem Lohnarbeiter seine sämmtlichen Subsistenzmittel vorschießt) kann der Arbeiter unter demselben Gesichtspunkt betrachtet werden (d. h. als 20 ein Kapitalist). Denn indem er seine Arbeit unter dem Marktpreise (!) her- gibt, kann er angesehn werden als schösse er die Differenz (?) seinem Un- ternehmer vor u. s. w . " 9 a ) . In der thatsächlichen Wirklichkeit schießt der Arbeiter dem Kapitalisten seine Arbeit während einer Woche u. s. w. um- sonst vor, um am Ende der Woche u.s.w. ihren Marktpreis zu erhalten; das 25 macht ihn, nach Mill, zum Kapitalisten! In der platten Ebene erscheinen auch Erdhaufen als Hügel; man messe die Plattheit unsrer heutigen Bour- geoisie am Kaliber ihrer „großen Geister". F Ü N F Z E H N T E S K A P I T E L . 30 Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth. Der Werth der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Werth der gewohnheits- mäßig nothwendigen Lebensmittel des Durchschnittsarbeiters. Die Masse dieser Lebensmittel, obgleich ihre Form wechseln mag, ist in einer be- stimmten Epoche einer bestimmten Gesellschaft gegeben und daher als 35 konstante Größe zu behandeln. Was wechselt, ist der Werth dieser Masse. 9 a ) J. St. Mill, ,,Principles of Political Economy, Lond. 1868," p. 252-53, passim. - (Obige Stellen sind nach der französischen Ausgabe des „Kapital" übersetzt. - D. H.) 465 Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts Zwei andre Faktoren gehn in die Werthbestimmung der Arbeitskraft ein. Einerseits ihre Entwicklungskosten, die sich mit der Produktionsweise än- dern, andrerseits ihre Naturdifferenz, ob sie männlich oder weiblich, reif oder unreif. Der Verbrauch dieser differenten Arbeitskräfte, wieder bedingt durch die Produktionsweise, macht großen Unterschied in den Reproduk- tionskosten der Arbeiterfamilie und dem Werth des erwachsnen männli- chen Arbeiters. Beide Faktoren bleiben jedoch bei der folgenden Untersu- chung ausgeschlossen. 9 0) 5 Wir unterstellen, 1) daß die Waaren zu ihrem Werth verkauft werden, 2) daß der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich über ihren Werth steigt, 10 aber nie unter ihn sinkt. | |483| Dieß einmal unterstellt, fand sich, daß die relativen Größen von Preis der Arbeitskraft und von Mehrwerth durch drei Umstände bedingt sind: 1) die Länge des Arbeitstags oder die extensive Größe der Arbeit; 2) die normale Intensität der Arbeit, oder ihre intensive Größe, so daß ein be- 15 stimmtes Arbeitsquantum in bestimmter Zeit verausgabt wird; 3) endlich die Produktivkraft der Arbeit, so daß je nach dem Entwicklungsgrad der Produktionsbedingungen dasselbe Quantum Arbeit in derselben Zeit ein größeres oder kleineres Quantum Produkt liefert. Sehr verschiedne Kombi- nationen sind offenbar möglich, je nachdem einer der drei Faktoren kon- 20 stant und zwei variabel, oder zwei Faktoren konstant und einer variabel, oder endlich alle drei gleichzeitig variabel sind. Diese Kombinationen wer- den noch dadurch vermannigfacht, daß bei gleichzeitiger Variation ver- schiedner Faktoren die Größe und Richtung der Variation verschieden sein können. Im Folgenden sind nur die Hauptkombinationen dargestellt. 25 I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit konstant (gegeben), Produktivkraft der Arbeit variabel Unter dieser Voraussetzung sind Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth durch drei Gesetze bestimmt. Erstens: Der Arbeitstag von gegebner Größe stellt sich stets in demsel- 30 ben Werthprodukt dar, wie auch die Produktivität der Arbeit, mit ihr die Produktenmasse und daher der Preis der einzelnen Waare wechsle. Das Werthprodukt eines zwölfstündigen Arbeitstags ist 6 sh. z. B . , ob- gleich die Masse der producirten Gebrauchswerthe mit der Produktivkraft der Arbeit wechselt, der Werth von 6 sh. sich also über mehr oder weniger 35 Waaren vertheilt. 9 b ) Der S.281 behandelte Fall ist hier natürlich ebenfalls ausgeschlossen. (Note zur 3. Aufl. D.H.) 466 Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert Zweitens: Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth wechseln in umgekehr- ter Richtung zu einander. Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, ihre Zunahme oder Abnahme, wirkt in umgekehrter Richtung auf den Werth der Arbeitskraft, und in direkter auf den Mehrwerth. 5 Das Werthprodukt des zwölfstündigen Arbeitstags ist eine konstante Größe, z . B . 6sh. Diese konstante Größe ist gleich der Summe des Mehr- werths plus dem Werth der Arbeitskraft, den der Arbeiter durch ein Aequi- valent ersetzt. Es ist selbstverständlich, daß von zwei Theilen einer kon- stanten Größe keiner zunehmen kann, ohne daß der andre abnimmt. Der 10 Werth der Arbeitskraft ||484| kann nicht von 3 sh. auf 4 steigen, ohne daß der Mehrwerth von 3 sh. auf 2 fällt, und der Mehrwerth kann nicht von 3 auf 4 sh. steigen, ohne daß der Werth der Arbeitskraft von 3 sh. auf 2 fällt. Unter diesen Umständen also ist kein Wechsel in der absoluten Größe, sei es des Werths der Arbeitskraft, sei es des Mehrwerths, möglich ohne gleich- 15 zeitigen Wechsel ihrer relativen oder verhältnißmäßigen Größen. Es ist un- möglich, daß sie gleichzeitig fallen oder steigen. 20 Der Werth der Arbeitskraft kann ferner nicht fallen, also der Mehrwerth nicht steigen, ohne daß die Produktivkraft der Arbeit steigt, z.B. im obigen Fall kann der Werth der Arbeitskraft nicht Ton 3 auf 2 sh. sinken, ohne daß erhöhte Produktivkraft der Arbeit erlaubt, in 4 Stunden dieselbe Masse Le- bensmittel zu produciren, die vorher 6 Stunden zu ihrer Produktion er- heischten. Umgekehrt kann der Werth der Arbeitskraft nicht von 3 auf 4sh. steigen, ohne daß die Produktivkraft der Arbeit fällt, also 8 Stunden zur Produktion derselben Masse von Lebensmitteln erheischt sind, wozu frü- 25 her 6 Stunden genügten. Es folgt hieraus, daß die Zunahme in der Produk- tivität der Arbeit den Werth der Arbeitskraft senkt und damit den Mehr- werth steigert, während umgekehrt die Abnahme der Produktivität den Werth der Arbeitskraft steigert und den Mehrwerth senkt. Bei Formulirung dieses Gesetzes übersah Ricardo einen Umstand: Ob- 30 gleich der Wechsel in der Größe des Mehrwerths oder der Mehrarbeit einen umgekehrten Wechsel in der Größe des Werths der Arbeitskraft oder der nothwendigen Arbeit bedingt, folgt keineswegs, daß sie in derselben Proportion wechseln. Sie nehmen zu oder ab um dieselbe Größe. Das Ver- hältniß aber, worin jeder Theil des Werthprodukts oder des Arbeitstags zu- 35 oder abnimmt, hängt von der ursprünglichen Theilung ab, die vor dem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit stattfand. War der Werth der Ar- beitskraft 4sh. oder die nothwendige Arbeitszeit 8 Stunden, der Mehrwerth 2 sh. oder die Mehrarbeit 4 Stunden, und fällt, in Folge erhöhter Produktiv- kraft der Arbeit, der Werth der Arbeitskraft auf 3 sh. oder die nothwendige 40 Arbeit auf 6 Stunden, so steigt der Mehrwerth auf 3 sh. oder die Mehrarbeit auf 6 Stunden. Es ist dieselbe Größe von 2 Stunden oder lsh., die dort zu- 467 Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts gefügt, hier weggenommen wird. Aber der proportioneile Größenwechsel ist auf beiden Seiten verschieden. Während der Werth der Arbeitskraft von 4sh. auf 3, also um % oder 25 % sinkt, steigt der Mehrwerth von 2 sh. auf 3, also um % oder ||485| 50 %. Es folgt daher, daß die proportioned Zu- oder Abnahme des Mehrwerths, in Folge eines gegebnen Wechsels in der Pro- duktivkraft der Arbeit, um so größer, je kleiner, und um so kleiner, je grö- ßer ursprünglich der Theil des Arbeitstags war, der sich in Mehrwerth dar- stellt. 5 Drittens: Zu- oder Abnahme des Mehrwerths ist stets Folge und nie Grund der entsprechenden Ab- und Zunahme des Werths der Arbeits- 10 kraft 1 0). Da der Arbeitstag von konstanter Größe ist, sich in einer konstanten Werthgröße darstellt, jedem Größenwechsel des Mehrwerths ein umgekehr- ter Größenwechsel im Werth der Arbeitskraft entspricht und der Werth der Arbeitskraft nur wechseln kann mit einem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, folgt unter diesen Bedingungen offenbar, daß jeder Größen- wechsel des Mehrwerths aus einem umgekehrten Größenwechsel im Werth der Arbeitskraft entspringt. Wenn man daher gesehn, daß kein absoluter Größenwechsel im Werth der Arbeitskraft und des Mehrwerths möglich ist ohne einen Wechsel ihrer relativen Größen, so folgt jetzt, daß kein Wech- 20 sei ihrer relativen Werthgrößen möglich ist ohne einen Wechsel in der ab- soluten Werthgröße der Arbeitskraft. 15 Nach dem dritten Gesetz unterstellt der Größenwechsel des Mehrwerths eine durch Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit verursachte Werthbe- wegung der Arbeitskraft. Die Grenze jenes Wechsels ist durch die neue 25 Werthgrenze der Arbeitskraft gegeben. Es können aber, auch wenn die Umstände dem Gesetz zu wirken erlauben, Zwischenbewegungen stattfin- den. Fällt z.B. in Folge erhöhter Produktivkraft der Arbeit der Werth der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3, oder die nothwendige Arbeitszeit von 8 Stun- den auf 6, so könnte der Preis der Arbeitskraft nur auf 3 sh. 8 d., 3 sh. 6 d., 30 3 sh. 2 d. u. s. w. fallen, der Mehrwerth daher nur auf 3 sh. 4 d., 3 sh. 6 d., 3 sh. 10 d. u.s.w. steigen. Der Grad des Falls, dessen Maximalgrenze 3 sh., hängt von dem relativen ||486| Gewicht ab, das der Druck des Kapitals von 1 0 ) Zu diesem dritten Gesetz hat MacCulloch u.A. den abgeschmackten Zusatz gemacht, daß der Mehrwerth ohne Fall im Werth der Arbeitskraft steigen kann durch Abschaffung von Steuern, die der Kapitalist früher zu zahlen hatte. Die Abschaffung solcher Steuern ändert ab- solut nichts an dem Quantum Mehrwerth, das der industrielle Kapitalist in erster Hand dem Arbeiter auspumpt. Sie ändert nur die Proportion, worin er Mehrwerth in seine eigne Tasche steckt oder mit dritten Personen theilen muß. Sie ändert also nichts an dem Verhältniß zwi- schen Werth der Arbeitskraft und Mehrwerth. Die Ausnahme des MacCulloch beweist also nur sein Mißverständniß der Regel, ein Malheur, das ihm in der Vulgarisation Ricardo's eben so oft passirt als dem J. B. Say in der Vulgarisation A. Smith's. 35 40 468 Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert der einen Seite, der Widerstand der Arbeiter von der andern Seite in die Wagschale wirft. Der Werth der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Werth eines be- stimmten Quantums von Lebensmitteln. Was mit der Produktivkraft der 5 Arbeit wechselt, ist der Werth dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse. Die Masse selbst kann, bei steigender Produktivkraft der Arbeit, für Arbeiter und Kapitalist gleichzeitig und in demselben Verhältniß wachsen ohne irgend einen Größenwechsel zwischen Preis der Arbeitskraft und Mehr- werth. Ist der ursprüngliche Werth der Arbeitskraft 3 sh. und beträgt die 10 nothwendige Arbeitszeit 6 Stunden, ist der Mehrwerth ebenfalls 3 sh. oder beträgt die Mehrarbeit auch 6 Stunden, so würde eine Verdopplung in der Produktivkraft der Arbeit, bei gleichbleibender Theilung des Arbeitstags, Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth unverändert lassen. Nur stellte sich jeder derselben in doppelt so vielen, aber verhältnißmäßig verwohlfeilerten 15 Gebrauchswerthen dar. Obgleich der Preis der Arbeitskraft unverändert, wäre er über ihren Werth gestiegen. Fiele der Preis der Arbeitskraft, aber nicht bis zu der durch ihren neuen Werth gegebnen Minimalgrenze von I1Z2 sh., sondern auf 2 sh. 10 d., 2 sh. 6 d. u.s.w., so repräsentirte dieser fal- lende Preis immer noch eine wachsende Masse von Lebensmitteln. Der 20 Preis der Arbeitskraft könnte so bei steigender Produktivkraft der Arbeit beständig fallen mit gleichzeitigem, fortwährendem Wachsthum der Le- bensmittelmasse des Arbeiters. Relativ aber, d. h. verglichen mit dem Mehrwerth, sänke der Werth der Arbeitskraft beständig, und erweiterte sich also die Kluft zwischen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist 1 1). 25 30 Ricardo hat die oben aufgestellten drei Gesetze zuerst streng formulirt. Die Mängel seiner Darstellung sind, 1) daß er die besondern Bedingungen, innerhalb deren jene Gesetze gelten, für die sich von selbst verstehenden, allgemeinen und ausschließlichen Bedingungen der kapitalistischen Pro- duktion ansieht. Er kennt keinen Wechsel, weder in der Länge des Arbeits- tags noch in der Intensität der Arbeit, sodaß bei ihm die Produktivität der Arbeit ||487| von selbst zum einzigen variablen Faktor wird. - 2) aber, und dieß verfälscht seine Analyse in viel höherem Grad, hat er ebenso wenig wie die andern Oekonomen jemals den Mehrwerth als solchen untersucht, d. h. unabhängig von seinen besondern Formen, wie Profit, Grundrente 35 u. s. w. Er wirft daher die Gesetze über die Rate des Mehrwerths unmittel- bar zusammen mit den Gesetzen der Profitrate. Wie schon gesagt, ist die Profitrate das Verhältniß des Mehrwerths zum vorgeschossenen Gesammt- n) "When an alteration takes place in the productiveness of industry, and that either more or less is produced by a given quantity of labour and capital, the proportion of wages may obvi- 40 ously vary, whilst the quantity, which that proportion represents, remains the same, or the quantity may vary, whilst the proportion remains the same." (,,Outlines of Political Economy etc.", p. 67.) 469 Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts kapital, während die Mehrwerthsrate das Verhältniß ist des Mehrwerths zum bloß variablen Theil dieses Kapitals. Nimm an, ein Kapital von 500 Pfd. St. (C) theile sich in Rohstoffe, Arbeitsmittel etc. für zusammen 400 Pfd. St. (c) und in 100 Pfd. St. Arbeitslöhne (v); daß ferner der Mehr- 100 Pfd. St. m werth = 100 Pfd. St. (m). Dann ist die Mehrwerthsrate —= Λ A n „ « n, 5 ν 100 Pfd. St. = 100 %. Aber die Profitrate = H' = 20 %. Es leuchtet außer- C 500 Pia. St. dem ein, daß die Profitrate abhängen kann von Umständen, die keineswegs auf die Mehrwerthsrate einwirken. Ich werde später im Dritten Buch dieser Schrift beweisen, daß dieselbe Rate des Mehrwerths sich in den verschie- densten Profitraten, und verschiedne Raten des Mehrwerths, unter be- 10 stimmten Umständen, sich in derselben Profitrate ausdrücken können. IL Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivkraft der Arbeit, Intensität der Arbeit variabel. Wachsende Intensität der Arbeit unterstellt vermehrte Ausgabe von Arbeit in demselben Zeitraum. Der intensivere Arbeitstag verkörpert sich daher in 15 mehr Produkten als der minder intensive von gleicher Stundenzahl. Mit er- höhter Produktivkraft liefert zwar auch derselbe Arbeitstag mehr Produkte. Aber im letztern Fall sinkt der Werth des einzelnen Produkts, weil es weni- ger Arbeit als vorher kostet, im erstem Fall bleibt er unverändert, weil das Produkt nach wie vor gleich viel Arbeit kostet. Die Anzahl der Produkte 20 steigt hier ohne Fall ihres Preises. Mit ihrer Anzahl wächst ihre Preis- summe, während dort dieselbe Werthsumme sich nur in vergrößerter Pro- duktenmasse darstellt. Bei gleichbleibender Stundenzahl verkörpert sich also der intensivere Arbeitstag in höherem Werthprodukt, also, bei gleich- bleibendem Werth des Geldes, in mehr Geld. Sein Werthprodukt variirt 25 mit den Ab1148 81weichungen seiner Intensität von dem gesellschaftlichen Normalgrad. Derselbe Arbeitstag stellt sich also nicht wie vorher in einem konstanten, sondern in einem variablen Werthprodukt dar, der intensivere, zwölfstündige Arbeitstag z.B. in 7 sh., 8 sh. u. s. w. statt in 6 sh. wie der zwölfstündige Arbeitstag von gewöhnlicher Intensität. Es ist klar: Variirt 30 das Werthprodukt des Arbeitstags, etwa von 6 auf 8 sh., so können beide Theile dieses Werthprodukts, Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth, gleich- zeitig wachsen, sei es in gleichem oder ungleichem Grad. Preis der Arbeits- kraft und Mehrwerth können beide zur selben Zeit von 3 sh. auf 4 wachsen, wenn das Werthprodukt von 6 auf 8 [sh.] steigt. Preiserhöhung der Arbeits- 35 kraft schließt hier nicht nothwendig Steigerung ihres Preises über ihren 470 Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert Werth ein. Sie kann umgekehrt von einem Fall ihres Werths begleitet sein. Dieß findet stets statt, wenn die Preiserhöhung der Arbeitskraft ihren be- schleunigten Verschleiß nicht kompensirt. Man weiß, daß mit vorübergehenden Ausnahmen ein Wechsel in der 5 Produktivität der Arbeit nur dann einen Wechsel in der Werthgröße der Arbeitskraft und daher in der Größe des Mehrwerths bewirkt, wenn die Produkte der betroffenen Industriezweige in den gewohnheitsmäßigen Konsum des Arbeiters eingehn. Diese Schranke fällt hier fort. Ob die Größe der Arbeit extensiv oder intensiv wechsle, ihrem Größenwechsel 10 entspricht ein Wechsel in der Größe ihres Werthprodukts, unabhängig von der Natur des Artikels, worin sich dieser Werth darstellt. Steigerte sich die Intensität der Arbeit in allen Industriezweigen gleich- zeitig und gleichmäßig, so würde der neue höhere Intensitätsgrad zum ge- wöhnlichen gesellschaftlichen Normalgrad und hörte damit auf, als exten- 15 sive Größe zu zählen. Indeß blieben selbst dann die durchschnittlichen Intensitätsgrade der Arbeit bei verschiednen Nationen verschieden und modificirten daher die Anwendung des Werthgesetzes auf unterschiedne Nationalarbeitstage. Der intensivere Arbeitstag der einen Nation stellt sich in höherem Geldausdruck dar als der minder intensive der andren 1 2). | 20 |489| III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant, Arbeitstag variabel. Der Arbeitstag kann nach zwei Richtungen variiren. Er kann verkürzt oder verlängert werden. 1) Verkürzung des Arbeitstags unter den gegebenen Bedingungen, d. h. 25 gleichbleibender Produktivkraft und Intensität der Arbeit, läßt den Werth der Arbeitskraft und daher die nothwendige Arbeitszeit unverändert. Sie verkürzt die Mehrarbeit und den Mehrwerth. Mit der absoluten Größe des letztren fällt auch seine relative Größe, d.h. seine Größe im Verhältniß zur gleichbleibenden Werthgröße der Arbeitskraft. Nur durch Herabdrückung ihres Preises unter ihren Werth könnte der Kapitalist sich schadlos halten. Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkürzung des Arbeitstags unterstellen, daß das Phänomen sich unter den hier vorausgesetzten Um- ständen ereignet, während in der Wirklichkeit umgekehrt Wechsel in der 30 35 1 2 ) "All things being equal, the English manufacturer can turn out a considerably larger amount of work in a given time than a foreign manufacturer, so much as to counterbalance the difference of the working days, between 60 hours a week here and 72 or 80 elsewhere." („Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855", p. 65.) Größere gesetzliche Verkürzung des Ar- beitstags in den kontinentalen Fabriken wäre das unfehlbarste Mittel zur Verminderung die- ser Differenz zwischen der kontinentalen und der englischen Arbeitsstunde. 471 Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts Produktivität und Intensität der Arbeit entweder der Verkürzung des Ar- beitstags vorhergehn oder ihr unmittelbar nachfolgen 1 3). 2) Verlängerung des Arbeitstags: Die nothwendige Arbeitszeit sei 6 Stunden oder der Werth der Arbeitskraft 3 sh., ebenso Mehrarbeit 6 Stun- den und Mehrwerth 3 sh. Der Gesammtarbeitstag beträgt dann 12 Stunden und stellt sich in einem Werthprodukt von 6 sh. dar. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert und bleibt der Preis der Arbeitskraft unverändert, so wächst mit der absoluten die relative Größe des Mehrwerths. Obgleich die Werthgröße der Arbeitskraft absolut unverändert bleibt, fällt sie relativ. Unter den Bedingungen von I) konnte die relative Werthgröße der Arbeits- 10 kraft nicht wechseln ohne einen Wechsel ihrer absoluten Größe. Hier, im Gegentheil, ist der relative Größenwechsel im Werth der Arbeitskraft das Resultat eines absoluten Größenwechsels des Mehrwerths. 5 Da das Werthprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner eignen Verlängerung wächst, können Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth 15 gleichzeitig wachsen, sei es um gleiches oder ungleiches Inkrement. Dieß gleichzeitige Wachsthum ist also in zwei ||490| Fällen möglich, bei absolu- ter Verlängerung des Arbeitstags, und bei wachsender Intensität der Arbeit ohne solche Verlängerung. Mit verlängertem Arbeitstag kann der Preis der Arbeitskraft unter ihren 20 Werth fallen, obgleich er nominell unverändert bleibt oder selbst steigt. Der Tageswerth der Arbeitskraft ist nämlich, wie man sich erinnern wird, geschätzt auf ihre normale Durchschnittsdauer oder die normale Lebens- periode des Arbeiters, und auf entsprechenden, normalen, der Menschen- natur angemessenen Umsatz von Lebenssubstanz in Bewegung 1 4). Bis zu 25 einem gewissen Punkt kann der von Verlängerung des Arbeitstags untrenn- bare größere Verschleiß der Arbeitskraft durch größeren Ersatz kompensirt werden. Ueber diesen Punkt hinaus wächst der Verschleiß in geometrischer Progression und werden zugleich alle normalen Reproduktions- und Bethä- tigungsbedingungen der Arbeitskraft zerstört. Der Preis der Arbeitskraft 30 und ihr Exploitationsgrad hören auf mit einander kommensurable Größen zu sein. 1 3 ) "There are compensating circumstances ... which the working of the Ten Hours' Act has brought to light." („Reports of Insp. of Fact, for 1st December 1848", p. 7.) 1 4 ) "The amount of labour which a man had undergone in the course of 24 hours might be ap- 35 proximatively arrived at by an examination of the chymical changes which had taken place in his body, changed forms in matter indicating the anterior exercise of dynamic force." (Grove: „On the Correlation of Physical Forces", [p. 308, 309.]) 472 Fünfzehntes Kapitel • Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert IV. Gleichzeitige Variationen in Dauer, Produktivkraft und Intensität der Arbeit. Es ist hier offenbar eine große Anzahl Kombinationen möglich. Je zwei Faktoren können variiren und einer konstant bleiben, oder alle drei kön- 5 nen gleichzeitig variiren. Sie können in gleichem oder ungleichem Grad variiren, in derselben oder entgegengesetzter Richtung, ihre Variationen sich daher theilweis oder ganz aufheben. Indeß ist die Analyse aller mögli- chen Fälle nach den unter I) II) und III) gegebenen Aufschlüssen leicht. Man findet das Resultat jeder möglichen Kombination, indem man der 10 Reihe nach je einen Faktor als variabel und die andren zunächst als kon- stant behandelt. Wir nehmen hier daher nur noch kurze Notiz von zwei wichtigen Fällen. 1) Abnehmende Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger Verlänge- rung des Arbeitstags: 15 Wenn wir hier von abnehmender Produktivkraft der Arbeit sprechen, so handelt es sich von Arbeitszweigen, deren Produkte den Werth der Arbeits- kraft bestimmen, also z . B . von abnehmender Produktivkraft der Arbeit in Folge zunehmender Unfruchtbar||491|keit des Bodens und entsprechender Vertheurung der Bodenprodukte. Der Arbeitstag sei zwölfstündig, sein 20 Werthprodukt 6 sh., wovon die Hälfte den Werth der Arbeitskraft ersetze, die andre Hälfte Mehrwerth bilde. Der Arbeitstag zerfällt also in 6 Stunden nothwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit. In Folge der Vertheurung der Bodenprodukte steige der Werth der Arbeitskraft von 3 auf 4 sh., also die nothwendige Arbeitszeit von 6 auf 8 Stunden. Bleibt der Arbeitstag un- 25 verändert, so fällt die Mehrarbeit von 6 auf 4 Stunden, der Mehrwerth von 3 auf 2 sh. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert, also von 12 auf 14 Stunden, so bleibt die Mehrarbeit 6 Stunden, der Mehrwerth 3 sh., aber seine Größe fällt im Vergleich zum Werth der Arbeitskraft, gemessen durch die nothwendige Arbeit. Wird der Arbeitstag um 4 Stunden verlän- 30 gert, von 12 auf 16 Stunden, so bleiben die proportionellen Größen von Mehrwerth und Werth der Arbeitskraft, Mehrarbeit und nothwendiger Ar- beit unverändert, aber die absolute Größe des Mehrwerths wächst von 3 auf 4 sh., die der Mehrarbeit von 6 auf 8 Arbeitsstunden, also um % oder 33½ %. Bei abnehmender Produktivkraft der Arbeit und gleichzeitiger Ver- längerung des Arbeitstags kann also die absolute Größe des Mehrwerths unverändert bleiben, während seine proportioneile Größe fällt; seine pro- port i one d Größe kann unverändert bleiben, während seine absolute Grö- ße wächst, und, je nach dem Grad der Verlängerung, können beide wachsen. Im Zeiträume von 1799 bis 1815 führten die steigenden Preise der Le- 35 473 Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts bensmittel in England eine nominelle Lohnsteigerung herbei, obwohl die wirklichen, in Lebensmitteln ausgedrückten, Arbeitslöhne fielen. Hieraus schlössen West und Ricardo, daß die Verminderung der Produktivität der Ackerbauarbeit ein Fallen der Mehrwerthsrate verursacht hätte, und mach- ten diese nur in ihrer Phantasie gültige Annahme zum Ausgangspunkt 5 wichtiger Analysen über das relative Größenverhältniß von Arbeitslohn, Profit und Grundrente. Dank der gesteigerten Intensität der Arbeit und der erzwungenen Verlängerung der Arbeitszeit, war aber der Mehrwerth da- mals absolut und relativ gewachsen. Es war dieß die Periode, worin die maßlose Verlängerung des Arbeitstags sich das Bürgerrecht erwarb, 1 5) die 10 Periode, speciell charakterisirt ||492| durch beschleunigte Zunahme hier des Kapitals, dort des Pauperismus. 1 6) 2) Zunehmende Intensität und Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeiti- ger Verkürzung des Arbeitstags: Gesteigerte Produktivkraft der Arbeit und ihre wachsende Intensität wir- 15 ken nach einer Seite hin gleichförmig. Beide vermehren die in jedem Zeit- abschnitt erzielte Produktenmasse. Beide verkürzen also den Theil des Ar- beitstags, den der Arbeiter zur Produktion seiner Lebensmittel oder ihres Aequivalents braucht. Die absolute Minimalgrenze des Arbeitstags wird überhaupt gebildet durch diesen seinen nothwendigen, aber kontraktiblen 20 1 5 ) "Corn and Labour rarely march quite abreast; but there is an obvious limit, beyond which they cannot be separated. With regard to the unusual exertions made by the labouring classes in periods of dearness, which produce the fall of wages noticed in the evidence (nämlich vor den Parliamentary Committees of Inquiry 1814-15), they are most meritorious in the individ- uals, and certainly favour the growth of capital. But no man of humanity could wish to see 25 them constant and unremitted. They are most admirable as a temporary relief; but if they were constantly in action, effects of a similar kind would result from them, as from the popu- lation of a country being pushed to the very extreme limits of its food." (Malthus: ,,Inquiry into the Nature and Progress of Rent. Lond. 1815", p. 48, 49 Note.) Es macht Malthus alle Ehre, daß er den Ton legt auf die auch an andrer Stelle in seinem Pamphlet direkt besprochne 30 Verlängerung des Arbeitstags, während Ricardo und Andre, im Angesicht der schreiendsten Thatsachen, die konstante Größe des Arbeitstags allen ihren Untersuchungen zu Grund leg- ten. Aber die konservativen Interessen, deren Knecht Malthus war, hinderten ihn zu sehn, daß die maßlose Verlängerung des Arbeitstags, zugleich mit außerordentlicher Entwicklung der Maschinerie und der Exploitation der Weiber- und Kinderarbeit, einen großen Theil der 35 Arbeiterklasse „überzählig machen mußten, namentlich sobald die Kriegsnachfrage und das englische Monopol des Weltmarkts aufhörten. Es war natürlich weit bequemer und den Inter- essen der herrschenden Klassen, die Malthus acht pfaffisch idolatrisirt, viel entsprechender, diese „Uebervölkerung" aus den ewigen Gesetzen der Natur, als aus den nur historischen Na- turgesetzen der kapitalistischen Produktion zu erklären. 1 6 ) "A principal cause of the increase of capital, during the war, proceeded from the greater exertions, and perhaps the greater privations of the labouring classes, the most numerous in every society. More women and children were compelled, by necessitous circumstances, to en- ter upon laborious occupations; and former workmen were, from the same cause, obliged to devote a greater portion of their time to increase production." („Essays on Political Econ. in 45 which are illustrated the Principal Causes of the Present National Distress. London 1830", p. 248, 249.) 40 474 Sechzehntes Kapitel • Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts Bestandtheil. Schrumpfte darauf der ganze Arbeitstag zusammen, so ver- schwände die Mehrarbeit, was unter dem Regime des Kapitals unmöglich. Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt den Arbeits- tag auf die nothwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, 5 unter sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einer- seits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebens- ansprüche größer. Andrerseits würde ein Theil der jetzigen Mehrarbeit zur ||493| nothwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines ge- sellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nöthige Arbeit. 10 Je mehr die Produktivkraft der Arbeit wächst, um so mehr kann der Ar- beitstag verkürzt werden, und je mehr der Arbeitstag verkürzt wird, desto mehr kann die Intensität der Arbeit wachsen. Gesellschaftlich betrachtet wächst die Produktivität der Arbeit auch mit ihrer Oekonomie. Diese schließt nicht nur die Oekonomisirung der Produktionsmittel ein, sondern 15 die Vermeidung aller nutzlosen Arbeit. Während die kapitalistische Pro- duktionsweise in jedem individuellen Geschäft Oekonomie erzwingt, er- zeugt ihr anarchisches System der Konkurrenz die maßloseste Verschwen- dung der gesellschaftlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte, neben einer Unzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger 20 Funktionen. 25 Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion nothwendige Theil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftliche Bethätigung der Indivi- duen eroberte Zeittheil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit un- ter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft vertheilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschichte die Naturnothwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- und einer andren Schichte zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse 30 producirt durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit. S E C H S Z E H N T E S K A P I T E L . Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerths. Man hat gesehn, daß die Rate des Mehrwerths sich darstellt in den For- meln: I) 35 Mehrwerth / m \ _ Mehrwerth Mehrarbeit Variables Kapital \ ν / Werth der Arbeitskraft Nothwendige Arbeit 475 Fünfter Abschnitt · Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts Die zwei ersten Formeln stellen als Verhältniß von Werthen dar, was die dritte als Verhältniß der Zeiten, worin diese Werthe producirt werden. Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich streng. Man findet sie daher wohl der Sache nach, aber nicht ||494| bewußt ausgearbeitet in der klassischen politischen Oekonomie. Hier begegnen wir dagegen den fol- genden abgeleiteten Formeln: 5 II) Produktenwerth _ Mehrprodukt Mehrarbeit _ Mehrwerth Arbeitstag Proportion ist hier abwechselnd ausgedrückt in der Form der Arbeitszeiten, der Werthe, worin sie sich verkörpern, der Produkte, worin diese Werthe 10 existiren. Es wird natürlich unterstellt, daß unter Werth des Produkts nur das Werthprodukt des Arbeitstags zu verstehn, der konstante Theil des Pro- duktenwerths aber ausgeschlossen ist. Gesammtprodukt " dieselbe In allen diesen Formeln ist der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit oder die Rate des Mehrwerths falsch ausgedrückt. Der Arbeitstag sei 15 12 Stunden. Mit den andren Annahmen unsres früheren Beispiels stellt sich in diesem Fall der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit dar in den Proportionen: 6 Stunden Mehrarbeit _ Mehrwerth von 3 sh. _ ^ ^ 6 Stunden nothwendige Arbeit Variables Kapital von 3 sh. Nach den Formeln II) erhalten wir dagegen: 6 Stunden Mehrarbeit Mehrwerth von 3 sh. Arbeitstag von 12 Stunden Werthprodukt von 6 sh. = 50%. 20 Diese abgeleiteten Formeln drücken in der That die Proportion aus, wor- in der Arbeitstag oder sein Werthprodukt sich zwischen Kapitalist und Ar- beiter theilt. Gelten sie daher als unmittelbare Ausdrücke des Selbstver- werthungsgrades des Kapitals, so gilt das falsche Gesetz: die Mehrarbeit 25 oder der Mehrwerth kann nie 100 % erreichen 1 7). Da die Mehrarbeit stets 1 7 ) So z.B. in: „Dritter Brief an v. Kirchmann von Rodbertus. Widerlegung der Ricardo'schen Theorie von der Grundrente und Begründung einer neuen Rententheorie. Berlin 1851". Ich komme später auf diese Schrift zurück, die trotz ihrer falschen Theorie von der Grundrente das Wesen der kapitalistischen Produktion durchschaut. - (Zusatz zur 3. Aufl. - Man sieht 30 hier, wie wohlwollend Marx seine Vorgänger beurtheilte, sobald er bei ihnen einen wirklichen Fortschritt, einen richtigen neuen Gedanken fand. Inzwischen hat die Veröffentlichung der Rodbertus'schen Briefe an Rud. Meyer obige Anerkennung einigermaßen eingeschränkt. Da heißt es: „Man muß das Kapital nicht bloß vor der Arbeit, sondern auch vor sich selbst retten, und das geschieht in der That am besten, wenn man die Thätigkeit des Unternehmer-Kapitali- 35 sten als volks- und staatswirthschaftliche Funktionen auffaßt, die ihm durch das Kapitaleigen- thum delegirt sind, und seinen Gewinn als eine Gehaltsform, weil wir noch keine andre so- ciale Organisation kennen. Gehälter dürfen aber geregelt werden und auch ermäßigt, wenn sie dem Lohn zu viel nehmen. So ist auch der Einbruch von Marx in die Gesellschaft - so möchte ich sein Buch nennen - abzuwehren. ... Ueberhaupt ist das Marx'sche Buch nicht so- 40 wohl eine Untersuchung über das Kapital als eine Polemik gegen die heutige Kapitalform, die 476 Sechzehntes Kapitel · Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts nur einen aliquoten Theil ||495| des Arbeitstags oder der Mehrwerth stets nur einen aliquoten Theil des Werthprodukts bilden kann, ist die Mehrar- beit nothwendiger Weise stets kleiner als der Arbeitstag oder der Mehr- werth stets kleiner als das Werthprodukt. Um sich zu verhalten wie -y|jjj-, 5 müßten sie aber gleich sein. Damit die Mehrarbeit den ganzen Arbeitstag absorbire (es handelt sich hier um den Durchschnittstag der Arbeitswoche, des Arbeitsjahrs u. s. w.), müßte die nothwendige Arbeit auf Null sinken. Verschwindet aber die nothwendige Arbeit, so verschwindet auch die Mehrarbeit, da letztre nur eine Funktion der erstem. Die Proportion Mehrarbeit Λ Mehrwerth ,. ^ 100 Λ . Λ TT7 kann also niemals die Grenze (cid:2)τζττ errei(cid:5) 10 'j(cid:2)j(cid:2)—= λλτ Α 1(cid:5) Arbeitstag Werthprodukt ,1 100 chen und noch weniger auf Q X steigen. Wohl aber die Rate des Mehr- werths oder der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit. Nimm z.B. die Schätzung des Herrn L. de Lavergne, wonach der englische Ackerbauarbei- ter nur der Kapitalist (Pächter) dagegen % des Produkts 1 8) oder seines 15 Werths erhält, wie die Beute sich immer zwischen Kapitalist und Grundei- genthümer u. s. w. nachträglich weiter vertheile. Die Mehrarbeit des engli- schen Landarbeiters verhält sich danach zu seiner nothwendigen Arbeit = 3:1, ein Prozentsatz der Exploitation von 300%. Die Schulmethode, den Arbeitstag als konstante Größe zu behandeln, 20 wurde durch Anwendung der Formeln II) befestigt, weil man hier die Mehrarbeit stets mit einem Arbeitstag von gegebner Größe vergleicht. Ebenso, wenn die Theilung des Werthprodukts ausschließlich in's Auge ge- faßt wird. Der Arbeitstag, der sich bereits in einem Werthprodukt vergegen- ständlicht hat, ist stets ein Arbeitstag von gegebenen Grenzen. 25 30 Die Darstellung von Mehrwerth und Werth der Arbeitskraft als | |496| Bruchtheilen des Werthprodukts - eine Darstellungsweise, die übri- gens aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und deren Bedeutung sich später erschließen wird - versteckt den specifîschen Cha- rakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch des variablen Kapi- tals mit der lebendigen Arbeitskraft und den entsprechenden Ausschluß des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche Schein eines Äs- er mit dem Kapitalbegriff selbst verwechselt, woraus eben seine Irrthümer entstehn." („Briefe etc. von Dr.Rodbertus-Jagetzow, herausgg. von Dr.Rud.Meyer, Berlin 1881", I.Bd. p . l l l , 48. Brief von Rodbertus.) - In solchen ideologischen Gemeinplätzen versanden die in der That 35 kühnen Anläufe der R.'sehen „sozialen Briefe". D.H.) 1 8 ) Der Theil des Produkts, der nur das ausgelegte konstante Kapital ersetzt, ist bei dieser Rechnung selbstverständlich abgezogen. - Herr L. de Lavergne, blinder Bewunderer Eng- lands, gibt eher zu niedriges als zu hohes Verhältniß. 477 Fünfter Abschnitt • Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts sociationsverhältnisses, worin Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach dem Verhältniß seiner verschiednen Bildungsfaktoren theilen 1 9). Uebrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I rückverwandelbar. __ Λ Haben wir z. B. ^ Mehrarbeit von 6 Stunden . Arbeitstag von 12 Stunden A , _ Γ Γ (cid:16) Τ Γ : — ζ — , so ist die nothwendige Ar(cid:5) ,. , . beitszeit = Arbeitstag von zwölf Stunden minus Mehrarbeit von sechs „ Stunden, und so ergibt sich: rrr— Mehrarbeit von 6 Stunden τ—τ— Nothwendige Arbeit von 6 Stunden 100 TTr4.—ι— = TKTT 100 . Λ — Λ · Eine dritte Formel, die ich gelegentlich schon anticipirt habe, ist: III) Werth der Arbeitskraft Nothwendige Arbeit Mehrarbeit Mehrwerth Unbezahlte Arbeit Bezahlte Arbeit _ Das Mißverstandniß, wozu die Formel — — — — — — verleiten 10 , Unbezahlte Arbeit , . ^ ^ r , n Λ . n . . Bezahlte Arbeit könnte, als zahle der Kapitalist die Arbeit und nicht die Arbeitskraft, fällt « Λ „ , . ΛΛ n Unbezahlte Arbeit . nach der früher gegebenen Entwicklung fort. g e z a ^ e Arbeit 1 n u r populärer Ausdruck für M ^ r a i " D ^ h ; r Kapitalist zahlt den Werth, D e Nothw. Arbeit resp. davon abweichenden Preis der Arbeitskraft, und erhält im Austausch die Verfügung über die lebendige Arbeitskraft selbst. Seine Nutznießung 15 dieser Arbeitskraft zerfällt in zwei Perioden. Während der einen Periode producirt der Arbeiter nur einen Werth = Werth seiner Arbeitskraft, also nur ein Aequivalent. Für den vorgeschoßnen Preis der Arbeitskraft erhält so der Kapitalist ein Produkt vom selben Preis. Es ist, als ob er das Produkt fertig auf dem Markt gekauft hätte. ||497| In der Periode der Mehrarbeit da- 20 gegen bildet die Nutznießung der Arbeitskraft Werth für den Kapitalisten, ohne ihm einen Werthersatz zu kosten 2 0). Er hat diese Flüssigmachung der Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn kann die Mehrarbeit unbezahlte Ar- beit heißen. Das Kapital ist also nicht nur Kommando über Arbeit, wie A. Smith sagt. 25 Es ist wesentlich Kommando über unbezahlte Arbeit. Aller Mehrwerth, in welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente u.s.w. er sich später kry- 1 9 ) Da alle entwickelten Formen des kapitalistischen Produktionsprocesses Formen der Ko- operation sind, ist natürlich nichts leichter, als von ihrem specifisch antagonistischen Charak- ter zu abstrahiren und sie so in freie Associationsformen umzufabeln, wie in des Grafen A. de Laborde: „De l'Esprit de l'Association dans tous les intérêts de la Communauté. Paris 1818". Der Yankee H. Carey bringt dieß Kunststück mit demselben Erfolg gelegentlich selbst für die Verhältnisse des Sklavensystems fertig. 2 0 ) Obgleich die Physiokraten das Geheimniß des Mehrwerths nicht durchschauten, war ihnen doch so viel klar, daß er ,,une richesse indépendante et disponible, qu'il (der Besitzer 35 davon) n'a point achetée et qu'il vend." (Turgot: ,,Réflexions sur la Formation et la Distribu- tion des Richesses", p. 11.) 30 478 Siebzehntes Kapitel · Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn stallisire, ist seiner Substanz nach Materiatur unbezahlter Arbeitszeit. Das Geheimniß von der Selbstverwerthung des Kapitals löst sich auf in seine Verfügung über ein bestimmtes Quantum unbezahlter fremder Arbeit. S E C H S T E R A B S C H N I T T . Der Arbeitslohn. S I E B Z E H N T E S K A P I T E L . Verwandlung von Werth, resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn. Auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft erscheint der Lohn des 10 Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird. Man spricht hier vom Werth der Arbeit und nennt seinen Geldausdruck ihren nothwendigen oder natürli- chen Preis. Man spricht andrerseits von Marktpreisen der Arbeit, d.h. über oder unter ihrem nothwendigen Preis oscillirenden Preisen. 15 Aber was ist der Werth einer Waare? Gegenständliche Form der in ihrer Produktion verausgabten gesellschaftlichen Arbeit. Und wodurch messen wir die Größe ihres Werths? Durch die Größe der in ihr enthaltnen Arbeit. Wodurch wäre also der Werth z.B. eines zwölfstündigen Arbeitstags be- stimmt? Durch die in einem Arbeitstag von 12 Stunden enthaltnen 12 Ar- 20 beitsstunden, was eine abgeschmackte Tautologie i s t 2 1 ) . | |498| Um als Waare auf dem Markt verkauft zu werden, müßte die Arbeit jedenfalls existiren, bevor sie verkauft wird. Könnte der Arbeiter ihr aber 25 2 i ) «Mr. Ricardo, ingeniously enough, avoids a difficulty which, on a first view, threatens to encumber his doctrine, that value depends on the quantity of labour employed in production. If this principle is rigidly adhered to, it follows that the value of labour depends on the quan- tity of labour employed in producing it—which is evidently absurd. By a dexterous turn, therefore, Mr. Ricardo makes the value of labour depend on the quantity of labour required to produce wages; or, to give him the benefit of his own language, he maintains, that the value of labour is to be estimated by the quantity of labour required to produce wages; by which he 30 means the quantity of labour required to produce the money or commodities given to the la- bourer. This is similar to saying, that the value of cloth is estimated, not by the quantity of la- bour bestowed on its production, but by the quantity of labour bestowed on the production of the silver, for which the cloth is exchanged." („A Critical Dissertation on the Nature etc. of Value", p. 50, 51.) 479 Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn eine selbständige Existenz geben, so würde er Waare verkaufen und nicht Arbeit 2 2). 5 Von diesen Widersprüchen abgesehn, würde ein direkter Austausch von Geld, d.h. vergegenständlichter Arbeit, mit lebendiger Arbeit entweder das Werthgesetz aufheben, welches sich grade erst auf Grundlage der kapitali- stischen Produktion frei entwickelt, oder die kapitalistische Produktion selbst aufheben, welche grade auf der Lohnarbeit beruht. Der Arbeitstag von 12 Stunden stellt sich z.B. in einem Geldwerth von 6 sh. dar. Entweder werden Aequivalente ausgetauscht, und dann erhält der Arbeiter für zwölf- stündige Arbeit 6 sh. Der Preis seiner Arbeit wäre gleich dem Preis seines 10 Produkts. In diesem Fall producirte er keinen Mehrwerth für den Käufer seiner Arbeit, die 6 sh. verwandelten sich nicht in Kapital, die Grundlage der kapitalistischen Produktion verschwände, aber grade auf dieser Grund- lage verkauft er seine Arbeit und ist seine Arbeit Lohnarbeit. Oder er erhält für 12 Stunden Arbeit weniger als 6 sh., d.h. weniger als 12 Stunden Arbeit. 15 Zwölf Stunden Arbeit tauschen sich aus gegen 10, 6 u.s.w. Stunden Arbeit. Diese Gleichsetzung ungleicher Größen hebt nicht nur die Werthbestim- mung auf. Ein solcher sich selbst aufhebender Widerspruch kann über- haupt nicht als Gesetz auch nur ausgesprochen oder formulirt werden 2 3). | |499| Es nützt nichts, den Austausch von mehr gegen weniger Arbeit aus 20 dem Formunterschied herzuleiten, daß sie das einemal vergegenständlicht, das andremal lebendig i s t 2 4 ) . Dieß ist um so abgeschmackter, als der Werth einer Waare nicht durch das Quantum wirklich in ihr vergegenständlichter, sondern durch das Quantum der zu ihrer Produktion nothwendigen leben- digen Arbeit bestimmt wird. Eine Waare stelle 6 Arbeitsstunden dar. Wer- 25 den Erfindungen gemacht, wodurch sie in 3 Stunden producirt werden kann, so sinkt der Werth auch der bereits producirten Waare um die Hälfte. Sie stellt jetzt 3 statt früher 6 Stunden nothwendige gesellschaftli- 2 2 ) "If you call labour a commodity, it is not like a commodity which is first produced in or- der to exchange, and then brought to market where it must exchange with other commodities 30 according to the respective quantities of each which there may be at the market in the time; labour is created at the moment it is brought to market; nay, it is brought to market before it is created." (,,Observations on some verbal disputes etc.", p. 75, 76.) 2 3 ) "Treating Labour as a commodity, and Capital, the produce of labour, as another, then, if the values of those two commodities were regulated by equal quantities of labour, a given 35 amount of labour would .... exchange for that quantity of capital which had been produced by the same amount of labour; antecedent labour would .... exchange for the same amount as present labour. But the value of labour, in relation to other commodities ... is determined not by equal quantities of labour." (E.G.Wakefield in s. Edit, von A. Smith's ,,Wealth of Nations, Lond. 1835", v.l., p.230, 231 Note.) 2 4 ) «Il a fallu convenir (auch eine Ausgabe des ,,contrat social") que toutes les fois qu'il échangerait du travail fait contre du travail à faire, le dernier (le capitaliste) aurait une valeur supérieure au premier (le travailleur).» (Simonde (i. e. Sismondi): „De la Richesse Commer- ciale. Genève 1803", t.I, p. 37.) 40 480 Siebzehntes Kapitel • Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn che Arbeit dar. Es ist also das zu ihrer Produktion erheischte Quantum Ar- beit, nicht deren gegenständliche Form, wodurch ihre Werthgröße be- stimmt wird. 5 Was dem Geldbesitzer auf dem Waarenmarkt direkt gegenübertritt, ist in der That nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits auf- gehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden. Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Maß der Werthe, aber sie selbst hat keinen W e r t h 2 5 ) . 10 Im Ausdruck: „Werth der Arbeit" ist der Werthbegriff nicht nur völlig ausgelöscht sondern in sein Gegentheil verkehrt. Es ist ein imaginärer Aus- druck wie etwa Werth der Erde. Diese imaginären Ausdrücke entspringen jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie sind Kategorien für Er- scheinungsformen wesentlicher Verhältnisse. Daß in der Erscheinung die 15 Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften be- kannt, außer in der politischen Oekonomie 2 6). | |500| Die klassische politische Oekonomie entlehnte dem Alltagsleben ohne weitere Kritik die Kategorie „Preis der Arbeit", um sich dann hinter- her zu fragen, wie wird dieser Preis bestimmt? Sie erkannte bald, daß der 20 Wechsel im Verhältniß von Nachfrage und Angebot für den Preis der Ar- beit, wie für den jeder andren Waare, nichts erklärt außer seinem Wechsel, d.h. die Schwankung der Marktpreise unter oder über eine gewisse Größe. Decken sich Nachfrage und Angebot, so hört, unter sonst gleichbleibenden Umständen, die Preisoscillation auf. Aber dann hören auch Nachfrage und 25 Angebot auf, irgend etwas zu erklären. Der Preis der Arbeit, wenn Nach- frage und Angebot sich decken, ist ihr vom Verhältniß der Nachfrage und 2 5 ) "Labour, the exclusive Standard of value ... the creator of all wealth, no commodity." (Th.Hodgskin I.e. p. 186.) 2 6 ) Solche Ausdrücke dagegen für bloße licentia poetica zu erklären, zeigt nur die Ohnmacht 30 der Analyse. Gegen Proudhon's Phrase: «Le travail est dit valoir, non pas en tant que mar- chandise lui-même, mais en vue des valeurs qu'on suppose renfermées puissanciellement en lui. La valeur du travail est une expression figurée etc.» bemerke ich daher: «Dans le travail- marchandise, qui est d'une réalité effrayante, il ne voit qu'une ellipse grammaticale. Donc toute la société actuelle, fondée sur le travail marchandise, est désormais fondée sur une Ii- 35 cence poétique, sur une expression figurée. La société veut-elle < éliminer tous les inconvé- nients), qui la travaillent, eh bien! qu'elle élimine les termes malsonnants, qu'elle change de langage, et pour cela elle n'a qu'à s'adresser à l'Académie pour lui demander une nouvelle édition do son dictionnaire.» (K. Marx: ,,Misère de la Philosophie", p. 34, 35.) Noch bequemer ist es natürlich, sich unter Werth gar nichts zu denken. Man kann dann ohne Umstände alles 40 unter diese Kategorie subsumiren. So z. B. J. B. Say. Was ist ,,valeur"? Antwort: «C'est ce qu'une chose vaut», und was ist ,,prix"? Antwort: «La valeur d'une chose exprimée en mon- naie.» Und warum hat ,,le travail de la terre ... une valeur? Parce qu'on y met un prix". Also Werth ist, was ein Ding werth ist, und die Erde hat einen „Werth", weil man ihren Werth „in Geld ausdrückt". Dieß ist jedenfalls eine sehr einfache Methode, sich über das why und 45 wherefore der Dinge zu verständigen. 481 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn 5 Angebot unabhängig bestimmter, ihr natürlicher Preis, der so als der eigentlich zu analysirende Gegenstand gefunden ward. Oder man nahm eine längere Periode der Schwankungen des Marktpreises, z.B. ein Jahr, und fand dann, daß sich ihr Auf und Ab ausgleicht zu einer mittlem Durchschnittsgröße, einer konstanten Größe. Sie mußte natürlich anders bestimmt werden als die sich kompensirenden Abweichungen von ihr selbst. Dieser über die zufälligen Marktpreise der Arbeit übergreifende und sie regulirende Preis, der „nothwendige Preis" (Physiokraten) oder „natürli- che Preis" der Arbeit (Adam Smith) kann, wie bei andren Waaren, nur ihr in Geld ausgedrückter Werth sein. In dieser Art glaubte die politische 10 Oekonomie durch die zufälligen Preise der Arbeit zu ihrem Werth vorzu- dringen. Wie bei den andren Waaren wurde dieser Werth dann weiter durch die Produktionskosten bestimmt. Aber was sind die Pro||501|duk- tionskosten - des Arbeiters, d. h. die Kosten, um den Arbeiter selbst zu produciren oder zu reproduciren? Diese Frage schob sich der politischen 15 Oekonomie bewußtlos für die ursprüngliche unter, da sie mit den Produk- tionskosten der Arbeit als solcher sich im Kreise drehte und nicht vom Flecke kam. Was sie also Werth der Arbeit (value of labour) nennt, ist in der That der Werth der Arbeitskraft, die in der Persönlichkeit des Arbeiters existirt, und von ihrer Funktion, der Arbeit, ebenso verschieden ist, wie 20 eine Maschine von ihren Operationen. Beschäftigt mit dem Unterschied zwischen den Marktpreisen der Arbeit und ihrem sog. Werth, mit dem Ver- hältniß dieses Werths zur Profitrate, zu den vermittelst der Arbeit producir- ten Waarenwerthen u.s.w., entdeckte man niemals, daß der Gang der Ana- lyse nicht nur von den Marktpreisen der Arbeit zu ihrem vermeintlichen 25 Werth, sondern dahin geführt hatte, diesen Werth der Arbeit selbst wieder aufzulösen in den Werth der Arbeitskraft. Die Bewußtlosigkeit über dieß Resultat ihrer eignen Analyse, die kritiklose Annahme der Kategorien „Werth der Arbeit", „natürlicher Preis der Arbeit" u.s.w. als letzter adäqua- ter Ausdrücke des behandelten Werthverhältnisses, verwickelte, wie man 30 später sehn wird, die klassische politische Oekonomie in unauflösbare Wir- ren und Widersprüche, während sie der Vulgärökonomie eine sichere Ope- rationsbasis für ihre principiell nur dem Schein huldigende Flachheit bot. Sehn wir nun zunächst, wie Werth und Preise der Arbeitskraft sich in ihrer verwandelten Form als Arbeitslohn darstellen. 35 Man weiß, daß der Tageswerth der Arbeitskraft berechnet ist auf eine ge- wisse Lebensdauer des Arbeiters, welcher eine gewisse Länge des Arbeits- tags entspricht. Nimm an, der gewohnheitsmäßige Arbeitstag betrage 12 Stunden und der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., der Geldausdruck eines Werths, worin sich 6 Arbeitsstunden darstellen. Erhält der Arbeiter 40 3 sh., so erhält er den Werth seiner während 12 Stunden funktionirenden 482 Siebzehntes Kapitel • Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn Arbeitskraft. Wird nun dieser Tageswerth der Arbeitskraft als Werth der Tagesarbeit ausgedrückt, so ergibt sich die Formel: Die zwölfstündige Ar- beit hat einen Werth von 3 sh. Der Werth der Arbeitskraft bestimmt so den Werth der Arbeit oder, in Geld ausgedrückt, ihren nothwendigen Preis. 5 Weicht dagegen der Preis der Arbeitskraft von ihrem Werth ab, so ebenfalls der Preis der Arbeit von ihrem sog. Werth. Da der Werth der Arbeit nur ein irrationeller Ausdruck für ||502| den Werth der Arbeitskraft, ergibt sich von selbst, daß der Werth der Arbeit stets kleiner sein muß als ihr Werthprodukt, denn der Kapitalist läßt die 10 Arbeitskraft stets länger funktioniren als zur Reproduktion ihres eignen Werths nöthig ist. Im obigen Beispiel ist der Werth der während 12 Stun- den funktionirenden Arbeitskraft 3 sh., ein Werth, zu dessen Reproduktion sie 6 Stunden braucht. Ihr Werthprodukt ist dagegen 6 sh., weil sie in der That während 12 Stunden funktionirt, und ihr Werthprodukt nicht von ihrem eignen Werthe, sondern von der Zeitdauer ihrer Funktion abhängt. Man erhält so das auf den ersten Blick abgeschmackte Resultat, daß Ar- beit, die einen Werth von 6 sh. schafft, einen Werth von 3 sh. besitzt 2 7). 15 25 Man sieht ferner: der Werth von 3 sh., worin sich der bezahlte Theil des Arbeitstags, d. h. sechsstündige Arbeit darstellt, erscheint als Werth oder 20 Preis des Gesammtarbeitstags von 12 Stunden, welcher 6 unbezahlte Stun- den enthält. Die Form des Arbeitslohns löscht also jede Spur der Theilung des Arbeitstags in nothwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte und un- bezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei der Frohnarbeit unterscheiden sich räumlich und zeitlich, handgreiflich sinn- lieh, die Arbeit des Fröhners für sich selbst und seine Zwangsarbeit für den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Theil des Arbeits- tags, worin der Sklave nur den Werth seiner eignen Lebensmittel ersetzt, den er in der That also für sich selbst arbeitet, als Arbeit für seinen Mei- ster. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit 2 8). Bei der Lohnar- 30 beit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigenthumsverhältniß das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältniß das Umsonstarbeiten des Lohnarbei- ters. 35 2 7 ) Vgl. „Zur Kritik der politischen Oekonomie", p. 40, wo ich ankündige, daß bei Betrach- tung des Kapitals das Problem gelöst werden soll: „Wie führt Produktion auf Basis des durch bloße Arbeitszeit bestimmten Tauschwerths zum Resultat, daß der Tauschwerth der Arbeit kleiner ist als der Tauschwerth ihres Produkts?" 2 8 ) Der Morning Star, ein bis zur Albernheit naives Londoner Freihandelsorgan, betheuerte während des amerikanischen Bürgerkriegs wieder und wieder mit aller menschenmöglichen 40 moralischen Entrüstung, daß die Neger in den ,,Confederate States" ganz umsonst arbeiteten. Es hätte gefälligst die Tageskosten eines solchen Negers mit denen des freien Arbeiters im East End von London z.B. vergleichen sollen. 483 Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Werth und Preis der Arbeitskraft in die Form des ||503| Arbeitslohns oder in Werth und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältniß unsichtbar macht und grade sein Gegentheil zeigt, be- ruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle My- stificationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillu- sionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie. 5 Braucht die Weltgeschichte viele Zeit, um hinter das Geheimniß des Ar- beitslohns zu kommen, so ist dagegen nichts leichter zu verstehn als die Nothwendigkeit, die raisons d'être dieser Erscheinungsform. 10 Der Austausch zwischen Kapital und Arbeit stellt sich der Wahrneh- mung zunächst ganz in derselben Art dar wie der Kauf und Verkauf aller andren Waaren. Der Käufer gibt eine gewisse Geldsumme, der Verkäufer einen von Geld verschiednen Artikel. Das Rechtsbewußtsein erkennt hier höchstens einen stofflichen Unterschied, der sich ausdrückt in den recht- 15 lieh äquivalenten Formeln: Do ut des, do ut facias, facio ut des und facio ut facias. Ferner: da Tauschwerth und Gebrauchswerth an und für sich inkom- mensurable Größen sind, so scheint der Ausdruck: „Werth der Arbeit", „Preis der Arbeit", nicht irrationeller als der Ausdruck „Werth der Baum- 20 wolle", „Preis der Baumwolle". Es kommt hinzu, daß der Arbeiter gezahlt wird, nachdem er seine Arbeit geliefert hat. In seiner Funktion als Zah- lungsmittel realisirt das Geld aber nachträglich den Werth oder Preis des gelieferten Artikels, also im gegebnen Fall den Werth oder Preis der gelie- ferten Arbeit. Endlich ist der „Gebrauchswerth", den der Arbeiter dem Ka- 25 pitalisten liefert, in der That nicht seine Arbeitskraft, sondern ihre Funk- tion, eine bestimmte nützliche Arbeit, Schneiderarbeit, Schusterarbeit, Spinnarbeit u.s.w. Daß dieselbe Arbeit nach einer andren Seite hin allge- meines werthbildendes Element ist, eine Eigenschaft, wodurch sie sich von allen andren Waaren unterscheidet, fällt außerhalb des Bereichs des ge- 30 wohnlichen Bewußtseins. Stellen wir uns auf den Standpunkt des Arbeiters, der für zwölfstündige Arbeit z.B. das Werthprodukt sechsstündiger Arbeit erhält, sage 3 sh., so ist für ihn in der That seine zwölfstündige Arbeit das Kaufmittel der 3 sh. Der Werth seiner Arbeitskraft mag variiren mit dem Werth seiner gewohnheits- 35 mäßigen Lebensmittel von 3 auf 4 sh. oder von 3 auf 2 sh., oder bei gleich- bleibendem Werth seiner Arbeitskraft mag ihr Preis, in Folge wechselnden Verhältnisses von Nachfrage und Angebot, auf 4 sh. ||504| steigen oder auf 2 sh. fallen, er gibt stets 12 Arbeitsstunden. Jeder Wechsel in der Größe des Aequivalents, das er erhält, erscheint ihm daher nothwendig als Wechsel 40 im Werth oder Preis seiner 12 Arbeitsstunden. Dieser Umstand verleitete 484 Siebzehntes Kapitel • Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn umgekehrt Adam Smith, der den Arbeitstag als eine konstante Größe be- handelt 2 9), zur Behauptung, der Werth der Arbeit sei konstant, obgleich der Werth der Lebensmittel wechsle und derselbe Arbeitstag sich daher in mehr oder weniger Geld für den Arbeiter darstelle. 5 Nehmen wir andrerseits den Kapitalisten, so will er zwar möglichst viel Arbeit für möglichst wenig Geld erhalten. Praktisch interessirt ihn daher nur die Differenz zwischen dem Preis der Arbeitskraft und dem Werth den ihre Funktion schafft. Aber er sucht alle Waare möglichst wohlfeil zu kau- fen und erklärt sich überall seinen Profit aus der einfachen Prellerei, dem 10 Kauf unter und dem Verkauf über dem Werth. Er kommt daher nicht zur Einsicht, daß, wenn so ein Ding wie Werth der Arbeit wirklich existirte, und er diesen Werth wirklich zahlte, kein Kapital existiren, sein Geld sich nicht in Kapital verwandeln würde. 20 Zudem zeigt die wirkliche Bewegung des Arbeitslohns Phänomene, die 15 zu beweisen scheinen, daß nicht der Werth der Arbeitskraft bezahlt wird, sondern der Werth ihrer Funktion, der Arbeit selbst. Diese Phänomene können wir auf zwei große Klassen zurückführen. Erstens: Wechsel des Ar- beitslohns mit wechselnder Länge des Arbeitstags. Man könnte eben so wohl schließen, daß nicht der Werth der Maschine, sondern der ihrer Ope- ration bezahlt wird, weil es mehr kostet, eine Maschine für eine Woche als für einen Tag zu dingen. Zweitens: Der individuelle Unterschied in den Arbeitslöhnen verschiedner Arbeiter, welche dieselbe Funktion verrichten. Diesen individuellen Unterschied findet man, aber ohne Anlaß zu Illusio- nen, auch im System der Sklaverei, wo frank und frei, ohne Schnörkel, die 25 Arbeitskraft selbst verkauft wird. Nur fällt der Vortheil einer Arbeitskraft, die über dem Durchschnitt, oder der Nachtheil einer Arbeitskraft, die un- ter dem Durchschnitt steht, im Sklavensystem dem Sklaveneigner zu, im System der Lohnarbeit dem Arbeiter selbst, weil seine Arbeitskraft in dem einen Fall von ihm selbst, in dem andern von einer dritten Person verkauft 30 wird. I 35 15051 Uebrigens gilt von der Erscheinungsform, „Werth und Preis der Ar- beit" oder „Arbeitslohn", im Unterschied zum wesentlichen Verhältniß, welches erscheint, dem Werth und Preis der Arbeitskraft, dasselbe, was von allen Erscheinungsformen und ihrem verborgnen Hintergrund. Die erste- ren reproduciren sich unmittelbar, spontan, als gang und gäbe Denkformen, der andre muß durch die Wissenschaft erst entdeckt werden. Die klassische politische Oekonomie stößt annähernd auf den wahren Sachverhalt, ohne ihn jedoch bewußt zu formuliren. Sie kann das nicht, so lange sie in ihrer bürgerlichen Haut steckt. 40 2 9 ) A. Smith spielt nur zufällig auf die Variation des Arbeitstags an bei Gelegenheit des Stücklohns. 485 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn A C H T Z E H N T E S K A P I T E L . Der Zeitlohn. Der Arbeitslohn nimmt selbst wieder sehr mannigfaltige Formen an, ein Umstand, nicht erkennbar aus den ökonomischen Kompendien, die in ihrer brutalen Interessirtheit für den Stoff jeden Formunterschied vernach- lässigen. Eine Darstellung aller dieser Formen gehört jedoch in die spe- cielle Lehre von der Lohnarbeit, also nicht in dieses Werk. Dagegen sind die zwei herrschenden Grundformen hier kurz zu entwickeln. Der Verkauf der Arbeitskraft findet, wie man sich erinnert, stets für be- stimmte Zeitperioden statt. Die verwandelte Form, worin der Tageswerth, Wochenwerth u. s. w. der Arbeitskraft sich unmittelbar darstellt, ist daher die des „Zeitlohns", also Tageslohn u. s. w. 5 10 Es ist nun zunächst zu bemerken, daß die im fünfzehnten Kapitel darge- stellten Gesetze über den Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwerth sich durch einfache Formveränderung in Gesetze des Arbeits- 15 lohns verwandeln. Ebenso erscheint der Unterschied zwischen dem Tauschwerth der Arbeitskraft und der Masse der Lebensmittel, worin sich dieser Werth umsetzt, jetzt als Unterschied von nominellem und reellem Arbeitslohn. Es wäre nutzlos, in der Erscheinungsform zu wiederholen, was in der wesentlichen Form bereits entwickelt. Wir beschränken uns daher 20 auf wenige, den Zeitlohn charakterisirende Punkte. Die Geldsumme 3 0), die der Arbeiter für seine Tagesarbeit, Wochenarbeit u.s.w. erhält, bildet den Betrag seines nominellen ||506| oder dem Werth nach geschätzten Arbeitslohns. Es ist aber klar, daß je nach der Länge des Arbeitstags, also je nach der täglich von ihm gelieferten Quantität Arbeit, 25 derselbe Tageslohn, Wochenlohn u.s.w. einen sehr verschiednen Preis der Arbeit d. h. sehr verschiedne Geldsummen für dasselbe Quantum Arbeit darstellen kann 3 1). Man muß also bei dem Zeitlohn wieder unterscheiden zwischen Gesammtbetrag des Arbeitslohns, Taglohns, Wochenlohns u.s.w. und Preis der Arbeit. Wie nun diesen Preis finden, d. h. den Geldwerth 30 eines gegebnen Quantums Arbeit? Der durchschnittliche Preis der Arbeit ergibt sich, indem man den durchschnittlichen Tageswerth der Arbeitskraft durch die Stundenzahl des durchschnittlichen Arbeitstags dividirt. Ist z . B . 3 0 ) Der Geldwerth selbst wird hier immer als konstant vorausgesetzt. 3 1 ) "The price of labour is the sum paid for a given quantity of labour." (Sir Edward West: 35 ,,Price of Corn and Wages of Labour. Lond. 1826", p. 67.) West ist der Verfasser der in der Ge- schichte der politischen Oekonomie epochemachenden anonymen Schrift: „Essay on the Ap- plication of Capital to Land. By a Fellow of Univ. College of Oxford. Lond. 1815". 486 Achtzehntes Kapitel • Der Zeitlohn der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., das Werthprodukt von 6 Arbeitsstun- den, und ist der Arbeitstag zwölfstündig, so ist der Preis einer Arbeits- 3 sh. stunde = ' = 3 d. Der so gefundene Preis der Arbeitsstunde dient als Einheitsmaß für den Preis der Arbeit. 5 Es folgt daher, daß der Taglohn, Wochenlohn u. s. w. derselbe bleiben kann, obgleich der Preis der Arbeit fortwährend sinkt. War z . B . der ge- wohnheitsmäßige Arbeitstag 10 Stunden und der Tageswerth der Arbeits- kraft 3 sh., so betrug der Preis der Arbeitsstunde 3¾ d.; er sinkt auf 3 d., sobald der Arbeitstag zu 12 Stunden, und [auf] 2% d., sobald er zu 10 15 Stunden steigt. Tages- oder Wochenlohn bleiben trotzdem unverändert. Umgekehrt kann der Taglohn oder Wochenlohn steigen, obgleich der Preis der Arbeit konstant bleibt oder selbst sinkt. War z . B . der Arbeitstag zehn- stündig und ist der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., so der Preis einer Ar- beitsstunde 3¾ d. Arbeitet der Arbeiter in Folge zunehmender Beschäfti- 15 gung und bei gleichbleibendem Preise der Arbeit 12 Stunden, so steigt sein Tageslohn nun auf 3 sh. 1% d. ohne Variation im Preise der Arbeit. Das- selbe Resultat könnte herauskommen, wenn statt der extensiven Größe der Arbeit ihre intensive Größe zunähme 3 2). Steigen des nominellen Tages- | |507| oder Wochenlohns mag daher begleitet sein von gleichbleibendem 20 oder sinkendem Preis der Arbeit. Dasselbe gilt von der Einnahme der Ar- beiterfamilie, sobald das vom Familienhaupt gelieferte Arbeitsquantum durch die Arbeit der Familienglieder vermehrt wird. Es gibt also von der Schmälerung des nominellen Tages- oder Wochenlohns unabhängige Me- thoden zur Herabsetzung des Preises der Arbeit 3 3). 25 Als allgemeines Gesetz aber folgt: Ist die Quantität der Tages-, Wochen- arbeit u. s. w. gegeben, so hängt der Tages- oder Wochenlohn vom Preise 35 3 2 ) "The wages of labour depend upon the price of labour and the quantity of labour per- formed ... An increase in the wages of labour does not necessarily imply an enhancement of the price of labour. From fuller employment, and greater exertions, the wages of labour may 30 be considerably increased, while the price of labour may continue the same." (West I.e. p. 67, 68 u. 112.) Die Hauptfrage: wie wird der ,,price of labour" bestimmt? fertigt West übrigens mit banalen Redensarten ab. 3 3 ) Dieß fühlt der fanatischste Vertreter der industriellen Bourgeoisie des 18. Jahrhunderts, der oft von uns citirte Verfasser des „Essay on Trade and Commerce" richtig heraus, obgleich er die Sache konfus darstellt: "It is the quantity of labour and not the price of it (versteht dar- unter den nominellen Tages- oder Wochenlohn), that is determined by the price of provisions and other necessaries: reduce the price of necessaries very low, and of course you reduce the quantity of labour in proportion ... Master-manufacturers know, that there are various ways of raising and felling the price of labour, besides that of altering its nominal amount." (I.e. p. 48 40 u. 61.) In seinen ,,Three Lectures on the Rate of Wages. Lond. 1830", worin Ν. W. Senior West's Schrift benutzt, ohne sie anzuführen, sagt er u. a.: „The labourer is principally inter- ested in the amount of wages" (p. 15). Also der Arbeiter ist hauptsächlich interessirt in dem, was er erhält, dem nominellen Betrag des Lohns, nicht in dem, was er gibt, der Quantität der Arbeit! 487 Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn der Arbeit ab, der selbst variirt, entweder mit dem Werth der Arbeitskraft oder den Abweichungen ihres Preises von ihrem Werthe. Ist dagegen der Preis der Arbeit gegeben, so hängt der Tages- oder Wochenlohn von der Quantität der Tages- oder Wochenarbeit ab. 5 Die Maßeinheit des Zeitlohns, der Preis der Arbeitsstunde, ist der Quo- tient des Tageswerths der Arbeitskraft, dividirt durch die Stundenzahl des gewohnheitsmäßigen Arbeitstags. Gesetzt, letztrer betrage 12 Stunden, der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., das Werthprodukt von 6 Arbeitsstunden. Der Preis der Arbeitsstunde ist unter diesen Umständen 3 d., ihr Werthpro- dukt 6 d. Wird der Arbeiter nun weniger als 12 Stunden täglich (oder weni- 10 ger als 6 Tage in der Woche) beschäftigt, z . B . nur 6 oder 8 Stunden, so er- hält er, bei diesem Preise der Arbeit, nur 2 oder l%sh. Taglohn 3 4). Da er nach der Voraussetzung im Durchschnitt ||508| 6 Stunden täglich arbeiten muß, um nur einen dem Werth seiner Arbeitskraft entsprechenden Tag- lohn zu produciren, da er nach derselben Voraussetzung von jeder Stunde nur Y2 für sich selbst, Y2 aber für den Kapitalisten arbeitet, so ist es klar, daß er das Werthprodukt von 6 Stunden nicht herausschlagen kann, wenn er weniger als 12 Stunden beschäftigt wird. Sah man früher die zerstörenden Folgen der Ueberarbeit, so entdeckt man hier die Quellen der Leiden, die für den Arbeiter aus seiner Unterbeschäftigung entspringen. 15 20 Wird der Stundenlohn in der Weise fîxirt, daß der Kapitalist sich nicht zur Zahlung eines Tages- oder Wochenlohns verpflichtet, sondern nur zur Zahlung der Arbeitsstunden, während deren es ihm beliebt, den Arbeiter zu beschäftigen, so kann er ihn unter der Zeit beschäftigen, die der Schät- zung des Stundenlohns oder der Maßeinheit für den Preis der Arbeit ur- 25 sprünglich zu Grunde liegt. Da diese Maßeinheit bestimmt ist durch die _> Proportion — — ; — — Tageswerth der Arbeitskraft — > verliert sie naturlich al(cid:5) Λ. Λ —ζ A. : Λ Arbeitstag von gegebner Stundenzahl len Sinn, sobald der Arbeitstag aufhört, eine bestimmte Stundenzahl zu zählen. Der Zusammenhang zwischen der bezahlten und unbezahlten Ar- beit wird aufgehoben. Der Kapitalist kann jetzt ein bestimmtes Quantum 30 Mehrarbeit aus dem Arbeiter herausschlagen, ohne ihm die zu seiner Selbsterhaltung nothwendige Arbeitszeit einzuräumen. Er kann jede R e - gelmäßigkeit der Beschäftigung vernichten und ganz nach Bequemlichkeit, Willkür und augenblicklichem Interesse die ungeheuerste Ueberarbeit mit 3 4 ) Die Wirkung solcher anormalen Unterbeschäftigung ist durchaus verschieden von der 35 einer allgemeinen zwangsgesetzlichen Reduktion des Arbeitstags. Erstere hat mit der absolu- ten Länge des Arbeitstags nichts zu schaffen und kann ebensowohl bei 15stündigem als bei 6stündigem Arbeitstag eintreten. Der normale Preis der Arbeit ist im ersten Fall darauf be- rechnet, daß der Arbeiter 15 Stunden, im zweiten darauf, daß er 6 Stunden per Tag durch- schnittlich arbeitet. Die Wirkung bleibt daher dieselbe, wenn er in dem einen Fall nur 7½, in 40 dem andren nur 3 Stunden beschäftigt wird. 488 Achtzehntes Kapitel • Der Zeitlohn 5 10 relativer oder gänzlicher Arbeitslosigkeit abwechseln lassen. Er kann, unter dem Vorwand, den „normalen Preis der Arbeit" zu zahlen, den Arbeitstag, ohne irgend entsprechende Kompensation für den Arbeiter, anormal ver- längern. Daher der durchaus rationelle Aufstand (1860) der im Baufach be- schäftigten Londoner Arbeiter gegen den Versuch der Kapitalisten, diesen Stundenlohn aufzuherrschen. Die gesetzliche Beschränkung des Arbeits- tags macht solchem Unfug ein Ende, obgleich natürlich nicht der aus Kon- kurrenz der Maschinerie, Wechsel in der Qualität der angewandten Arbei- ter, partiellen und allgemeinen Krisen entspringenden Unterbeschäftigung. Bei wachsendem Tages- oder Wochenlohn kann der Preis der Arbeit no- minell konstant bleiben und dennoch unter sein normales ||509| Niveau sinken. Dieß findet jedesmal statt, sobald mit konstantem Preis der Arbeit, resp. der Arbeitsstunde, der Arbeitstag über seine gewohnheitsmäßige . Λ „ r ^ Tageswerth der Arbeitskraft Dauer verlängert wird. Wenn m dem Bruch ^ — — — Arbeitstag 15 der Nenner wächst, wächst der Zähler noch rascher. Der Werth der Arbeits- kraft, weil ihr Verschleiß, wächst mit der Dauer ihrer Funktion, und in ra- scherer Proportion als das Inkrement ihrer Funktionsdauer. In vielen Indu- striezweigen, wo Zeitlohn vorherrscht, ohne gesetzliche Schranken der Arbeitszeit, hat sich daher naturwüchsig die Gewohnheit herausgebildet, 20 daß der Arbeitstag nur bis zu einem gewissen Punkt, z.B. bis zum Ablauf der zehnten Stunde, als normal gilt („normal working day", ,,the day's work", ,,the regular hours of work"). Jenseits dieser Grenze bildet die Ar- beitszeit Ueberzeit (overtime) und wird, die Stunde als Maßeinheit genom- men, besser bezahlt (extra pay), obgleich oft in lächerlich kleiner Propor- t i o n 3 5 ) . Der normale Arbeitstag existirt hier als Bruchtheil des wirklichen Arbeitstags, und der letztere währt oft während des ganzen Jahres länger als der erstere 3 6). Das Wachsthum im Preis der Arbeit mit der Verlänge- rung des Arbeitstags über eine gewisse Normalgrenze gestaltet sich in ver- schiednen britischen Industriezweigen so, daß der niedrige Preis der Arbeit 30 während der sog. Normalzeit dem Arbeiter die besser bezahlte Ueberzeit aufzwingt, will er überhaupt einen genügenden Arbeitslohn herausschla- 25 3 5 ) „Die Rate der Zahlung für Ueberzeit. (in der Spitzenmanufaktur) ist so klein, ]/ 2 d. u. s. w. per Stunde, daß sie in peinlichem Kontrast steht zur massenhaften Unbill, die sie der Ge- sundheit und Lebenskraft der Arbeiter anthut ... Der so gewonnene kleine Ueberschuß muß 35 außerdem oft in Extra-Erfrischungsmitteln wieder verausgabt werden." (,,Child. Empi. Comm." IL Rep. p. XVI, η. 117.) 3 6 ) Z.B. in der Tapetendruckerei vor der neulichen Einführung des Fabrikakts. „Wir arbeite- ten ohne Pause für Mahlzeiten, so daß das Tageswerk von 10½ Stunden um halb 5 Uhr Nach- mittags beendet ist, und alles spätere ist Ueberzeit, die selten vor 6 Uhr Abends aufhört, so 40 daß wir in der That das ganze Jahr durch Ueberzeit arbeiten." (Mr. Smith's Evidence in ,,Child. Empi. Comm." I. Rep., p. 125.) 489 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn g e n 3 7 ) . Gesetzliche ||510| Beschränkung des Arbeitstags macht diesem Ver- gnügen ein E n d e 3 8 ) . Es ist allgemein bekannte Thatsache, daß, je länger der Arbeitstag in einem Industriezweig, um so niedriger der Arbeitslohn 3 9). Fabrikinspektor A. Redgrave illustrirt dieß durch eine vergleichende Uebersicht der zwan- 5 zigjährigen Periode von 1 8 3 9 - 1 8 5 9 , wonach der Arbeitslohn in den dem Zehnstundengesetz unterworfenen Fabriken stieg, während er fiel in den Fabriken, wo 14 bis 15 Stunden täglich gearbeitet wird 4 0). Zunächst folgt aus dem Gesetz: „Bei gegebnem Preis der Arbeit hängt der Tages- oder Wochenlohn von der Quantität der gelieferten Arbeit ab", 10 daß, je niedriger der Preis der Arbeit, desto größer das Arbeitsquantum sein muß oder desto länger der Arbeitstag, damit der Arbeiter auch nur einen kümmerlichen Durchschnittslohn sichre. Die Niedrigkeit des Ar- beitspreises wirkt hier als Sporn zur Verlängerung der Arbeitszeit 4 1). Umgekehrt aber producirt ihrerseits die Verlängerung der | |5 1 1 | Arbeits- 15 zeit einen Fall im Arbeitspreise und damit im Tages- oder Wochenlohn. 3 7 ) z.B. in den schottischen Bleichereien. „In einigen Theilen Schottlands wurde diese Indu- strie (vor Einführung des Fabrikakts 1862) nach dem System der Ueberzeit betrieben, d.h. 10 Stunden galten als normaler Arbeitstag. Dafür erhielt der Mann 1 sh. 2 d. Hierzu kam aber täglich eine Ueberzeit von 3 oder 4 Stunden, wofür 3 d. per Stunde gezahlt wurde. Folge die- 20 ses Systems: Ein Mann, der nur die Normalzeit arbeitete, konnte nur 8 sh. Wochenlohn ver- dienen. Ohne Ueberzeit reichte der Lohn nicht aus." („Reports of Insp. of Fact. 30th April 1863", p. 10.) Die „Extrazahlung für Ueberzeit ist eine Versuchung, der die Arbeiter nicht wi- derstehen können." („Rep. of Insp. of Fact. 30th April 1848", p. 5.) Die Buchbinderei in der City von London verwendet sehr viele junge Mädchen vom 14.-15. Jahr an, und zwar unter 25 dem Lehrlingskontrakt, der bestimmte Arbeitsstunden vorschreibt. Nichtsdestoweniger arbei- ten sie in der Schluß wo che jedes Monats bis 10, 11, 12 und 1 Uhr Nachts, zusammen mit den älteren Arbeitern, in sehr gemischter Gesellschaft. „Die Meister verlocken (tempt) sie durch Extralohn und Geld für ein gutes Nachtessen", das sie in benachbarten Kneipen zu sich neh- men. Die große Liederlichkeit, so unter diesen ,,young immortals" producirt („Child. Empi. 30 Comm." V.Rep., p. 44, η. 191), findet ihre Kompensation darin, daß von ihnen unter andrem auch viele Bibeln und Erbauungsbücher gebunden werden. 3 8 ) Sieh „Reports of Insp. of Fact. 30th April 1863", I.e. Mit ganz richtiger Kritik des Sachver- hältnisses erklärten die im Baufach beschäftigten Londoner Arbeiter während des großen strike und lock-out von 1860 den Stundenlohn nur annehmen zu wollen unter zwei Bedingun- 35 gen: 1) daß mit dem Preis der Arbeitsstunde ein Normalarbeitstag von resp. 9 und 10 Stunden festgesetzt werde und der Preis für die Stunde des zehnstündigen Arbeitstags größer sei als für die des neunstündigen; 2) daß jede Stunde über den Normaltag hinaus als Ueberzeit verhält- nißmäßig höher bezahlt werde. 3 9 ) "It is a very notable thing, too, that where long hours are the rule, small wages are also so." 40 („Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1863", p. 9.) "The work which obtains the scanty pittance of food is for the most part excessively prolonged." („Public Health, Sixth Rep. 1864", p. 15.) 4 0 ) „Reports of Insp. of Fact. 30th April 1860", p. 31, 32. 4 1 ) Die Hand-Nägelmacher in England haben ζ. Β. wegen des niedrigen Arbeitspreises 15 Stunden täglich zu arbeiten, um den kümmerlichsten Wochenlohn herauszuschlagen. „Es 45 sind viele, viele Stunden des Tags, und während aller der Zeit muß er hart schanzen, um 11 d. oder 1 sh. herauszuschlagen, und davon gehen 2% bis 3 d. ab für Verschleiß der Werkzeuge, Feuerung, Eisenabfall." („Child. Empi. Comm. III. Rep.", p. 136, n. 671.) Die Weiber verdie- nen bei derselben Arbeitszeit nur einen Wochenlohn von 5 sh. (1. c. p. 137, n. 674.) 490 Achtzehntes Kapitel · Der Zeitlohn Die Bestimmung des Arbeitspreises durch * Λ. Λ. A (cid:16) i 5 Λ„ i n Λ Λ n τη—j — ergibt, daß bloße Verlängerung des Tageswerth der Arbeitskraft — Ί Arbeitstag von gegebner Stundenzahl Arbeitstags den Arbeitspreis senkt, wenn keine Kompensation eintritt. Aber dieselben Umstände, welche den Kapitalisten befähigen, den Arbeits- tag auf die Dauer zu verlängern, befähigen ihn erst und zwingen ihn schließlich, den Arbeitspreis auch nominell zu senken, bis der Gesammt- preis der vermehrten Stundenzahl sinkt, also der Tages- oder Wochenlohn. Hinweis auf zwei Umstände genügt hier. Verrichtet ein Mann das Werk von I]Z2 oder 2 Männern, so wächst die Zufuhr der Arbeit, wenn auch die 10 Zufuhr der auf dem Markt befindlichen Arbeitskräfte konstant bleibt. Die so unter den Arbeitern erzeugte Konkurrenz befähigt den Kapitalisten, den Preis der Arbeit herabzudrücken, während der fallende Preis der Arbeit ihn umgekehrt befähigt, die Arbeitszeit noch weiter heraufzuschrauben 4 2). Bald jedoch wird diese Verfügung über anormale, d.h. das gesellschaftliche 15 Durchschnittsniveau überfließende Quanta unbezahlter Arbeit zum Kon- kurrenzmittel unter den Kapitalisten selbst. Ein Theil des Waarenpreises besteht aus dem Preis der Arbeit. Der nicht gezahlte Theil des Arbeitsprei- ses braucht nicht im Waarenpreis zu rechnen. Er kann dem Waarenkäufer geschenkt werden. Dieß ist der erste Schritt, wozu die Konkurrenz treibt. 20 Der zweite Schritt, wozu sie zwingt, ist, wenigstens einen Theil des durch die Verlängerung des Arbeitstags erzeugten anormalen Mehrwerths eben- falls aus dem Verkaufspreis der Waare auszuschließen. In dieser Weise bil- det sich erst sporadisch und fixirt sich nach und nach ein anormal niedri- ger Verkaufspreis der Waare, der von nun an zur konstanten Grundlage 25 kümmerlichen Arbeitslohns bei übermäßiger Arbeitszeit wird, wie er ur- sprünglich das Produkt dieser Umstände war. Wir deuten diese Bewegung bloß an, da die Analyse der Konkurrenz nicht hierhin gehört. Doch mag für einen Augenblick der Kapitalist selbst sprechen. „In Birmingham | |512| ist die Konkurrenz unter den Meistern so groß, daß mancher von uns 30 gezwungen ist, als Arbeitsanwender zu thun, was er sich schämen würde sonst zu thun; und dennoch wird nicht mehr Geld gemacht (and yet no more money is made), sondern das Publikum allein hat den Vortheil da- von" 4 3 ) . Man erinnert sich der zwei Sorten Londoner Bäcker, wovon die eine Brod zum vollen Preise (the „fullpriced" bakers), die andre es unter 4 2 ) Wenn ein Fabrikarbeiter z.B. verweigerte, die hergebrachte lange Stundenzahl zu arbei- ten, „he would very shortly be replaced by somebody who would work any length of time and thus be thrown out of employment". („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1848". Evidence p. 39, n. 58.) "If one man performs the work of two ... the rate of profits will generally be raised ...in consequence of the additional supply of labour having diminished its price." (Se- 35 40 nior 1. c. p. 15.) 4 3 ) ,,Child. Empi. Comm." III. Rep. Evidence p. 66, n.22. 491 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn seinem normalen Preise verkauft („the underpriced", „the undersellers"). Die „fullpriced" denunciren ihre Konkurrenten vor der parlamentarischen Untersuchungskommission: „Sie existiren nur, indem sie erstens das Publi- kum betrügen (durch Fälschung der Waare) und zweitens 18 Arbeitsstun- den aus ihren Leuten für den Lohn zwölfstündiger Arbeit herausschin- den .... Die unbezahlte Arbeit (the unpaid labour) der Arbeiter ist das Mittel, wodurch der Konkurrenzkampf geführt wird Die Konkurrenz unter den Bäckermeistern ist die Ursache der Schwierigkeit in Beseitigung der Nachtarbeit. Ein Unterverkäufer, der sein Brod unter dem mit dem Mehlpreis wechselnden Kostpreis verkauft, hält sich schadlos, indem er 10 mehr Arbeit aus seinen Leuten herausschlägt. Wenn ich nur 12 Stunden Arbeit aus meinen Leuten herausschlage, mein Nachbar dagegen 18 oder 20, muß er mich im Verkaufspreis schlagen. Könnten die Arbeiter auf Zah- lung für Ueberzeit bestehen, so wäre es mit diesem Manöver bald zu Ende .... Eine große Anzahl der von den Unterverkäufern Beschäftigten 15 sind Fremde, Jungen und Andre, die fast mit jedem Arbeitslohn, den sie kriegen können, vorlieb zu nehmen gezwungen sind" 4 4). 5 Diese Jeremiade ist auch deßwegen interessant, weil sie zeigt, wie nur der Schein der Produktionsverhältnisse sich im Kapitalistenhirn widerspie- gelt. Der Kapitalist weiß nicht, daß auch der normale Preis der Arbeit ein 20 bestimmtes Quantum unbezahlter Arbeit einschließt und eben diese unbe- zahlte Arbeit die normale Quelle seines Gewinns ist. Die Kategorie der Mehrarbeitszeit existirt überhaupt nicht für ihn, denn sie ist eingeschlos- sen im normalen Arbeitstag, den er im Taglohn zu zahlen glaubt. Wohl aber existirt für ihn die Ueberzeit, die Verlängerung des Arbeitstags über 25 die dem gewohnten Preis der Arbeit entsprechende ||513| Schranke. Sei- nem unterverkaufenden Konkurrenten gegenüber besteht er sogar auf Ex- trazahlung (extra pay) für diese Ueberzeit. Er weiß wieder nicht, daß diese Extrazahlung ebensowohl unbezahlte Arbeit einschließt, wie der Preis der gewöhnlichen Arbeitsstunde. Z . B . der Preis einer Stunde des zwölfstündi- 30 gen Arbeitstags ist 3 d., das Werthprodukt von l/ 2 Arbeitsstunde, während der Preis der überzeitigen Arbeitsstunde 4 d., das Werthprodukt von 2Z3 Ar- beitsstunde. Im ersten Fall eignet sich der Kapitalist von einer Arbeits- stunde die Hälfte, im andern l/ 3 ohne Zahlung an. 4 4 ) „Report etc. relative to the Grievances complained of by the journeymen bakers. Lond. 35 1862", p.LII und ib. Evidence, η. 479, 359, 27. Indeß lassen auch die fullpriced, wie früher er- wähnt, und wie ihr Wortführer Bennett selbst zugesteht, ihre Leute „Arbeit beginnen um 11 Uhr Abends oder früher und verlängern sie oft bis 7 Uhr des folgenden Abends". (1. c. P.22.) 492 Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn N E U N Z E H N T E S K A P I T E L . Der Stücklohn. Der Stücklohn ist nichts als verwandelte Form des Zeitlohns, wie der Zeit- lohn die verwandelte Form des Werthes oder Preises der Arbeitskraft. 5 Beim Stücklohn sieht es auf den ersten Blick aus, als ob der vom Arbei- ter verkaufte Gebrauchswerth nicht die Funktion seiner Arbeitskraft sei, le- bendige Arbeit, sondern bereits im Produkt vergegenständlichte Arbeit, und als ob der Preis dieser Arbeit nicht wie beim Zeitlohn durch die _ 1 Bruchzahl Tageswerth der Arbeitskraft . — sondern durch die Lei(cid:5) —— . , Λ, . ' Λ Λ Λ Arbeitstag von gegebner Stundenzahl 10 stungsfähigkeit des Producenten bestimmt werde 4 5). Zunächst müßte die Zuversicht, die an diesen Schein glaubt, bereits stark erschüttert werden durch die Thatsache, daß beide Formen des Ar- beitslohns zur selben Zeit in denselben Geschäftszweigen neben einander bestehn. z.B. „Die Setzer von London arbeiten in der Regel nach Stück- lohn, während Zeitlohn bei ihnen ||514| die Ausnahme bildet. Umgekehrt bei den Setzern in den Provinzen, wo der Zeitlohn die Regel und der Stücklohn die Ausnahme. Die Schiffszimmerleute im Hafen von London werden nach Stücklohn bezahlt, in allen andren englischen Häfen nach Zeitlohn" 4 6). In denselben Londoner Sattlerwerkstätten wird oft für die- selbe Arbeit den Franzosen Stücklohn und den Engländern Zeitlohn ge- zahlt. In den eigentlichen Fabriken, wo Stücklohn allgemein vorherrscht, entziehn sich einzelne Arbeitsfunktionen aus technischen Gründen dieser Messung und werden daher nach Zeitlohn gezahlt 4 7). An und für sich ist es 15 20 4 5 ) "The system of piece-work illustrates an epoch in the history of the working man; it is half- 25 way between the position of the mere day-labourer, depending upon the will of the capitalist, and the cooperative artizan, who in the not distant future promises to combine the artizan and the capitalist in his own person. Piece-workers are in fact their own masters, even whilst working upon the capital of the employer." (John Watts: „Trade Societies and Strikes, Ma- chinery and Cooperative Societies. Manchester 1865", p. 52, 53.) Ich citire dieß Schriftchen, 30 weil es eine wahre Gosse aller längst verfaulten, apologetischen Gemeinplätze. Derselbe Herr Watts machte früher in Owenismus und publicirte 1842 ein andres Schriftchen: ,,Facts and Fictions of Political Economy", worin er u. a. Property für Robbery erklärt. Es ist schon lange her. 4 6 ) T. J. Dunning: ,,Trade's Unions and Strikes. Lond. 1860", p. 22. 4 7 ) Wie das gleichzeitige Nebeneinander dieser zwei Formen des Arbeitslohns Fabrikanten- prellereien begünstigt: "A factory employs 400 people, the half of which work by the piece, and have a direct interest in working longer hours. The other 200 are paid by the day, work equally long with the others, and get no more money for their overtime ... The work of these 200 people for half an hour a day is equal to one person's work for 50 hours, or % of one per- 40 son's labour in a week, and is a positive gain to the employer." („Reports of Insp. of Fact. 31st 35 493 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn jedoch klar, daß die Formverschiedenheit in der Auszahlung des Arbeits- lohns an seinem Wesen nichts ändert, obgleich die eine Form der Entwick- lung der kapitalistischen Produktion günstiger sein mag als die andre. 5 Der gewöhnliche Arbeitstag betrage 12 Stunden, wovon 6 bezahlt, 6 un- bezahlt. Sein Werthprodukt sei 6 sh., das einer Arbeitsstunde daher 6 d. Es stelle sich erfahrungsmäßig heraus, daß ein Arbeiter, der mit dem Durch- schnittsgrad von Intensität und Geschick arbeitet, in der That also nur die gesellschaftlich nothwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Artikels ver- wendet, 24 Stücke, ob diskret, oder meßbare Theile eines kontinuirlichen Machwerks, in 12 Stunden liefert. So ist der Werth dieser 24 Stücke, nach 10 Abzug des in ihnen enthaltnen konstanten Kapitaltheils, 6 sh. und der Werth des einzelnen Stücks 3 d. Der Arbeiter erhält per Stück I]Z2 d. und verdient so in 12 Stunden 3 sh. Wie es beim Zeitlohn gleichgültig ist, ob man annimmt, daß der Arbeiter 6 Stunden für sich und 6 für den Kapitali- sten, oder von jeder Stunde die eine Hälfte für sich und die andre für den Kapitalisten arbeitet, so auch hier, ob man sagt, jedes einzelne Stück sei halb bezahlt und halb unbezahlt, oder der Preis von 12 ||515| Stücken er- setze nur den Werth der Arbeitskraft, während in den 12 andern sich der Mehrwerth verkörpere. 15 Die Form des Stücklohns ist ebenso irrationell als die des Zeitlohns. 20 Während z .B. zwei Stück Waare, nach Abzug des Werths der in ihnen auf- gezehrten Produktionsmittel, als Produkt einer Arbeitsstunde 6 d. werth sind, erhält der Arbeiter für sie einen Preis von 3 d. Der Stücklohn drückt unmittelbar in der That kein Werthverhältniß aus. Es handelt sich nicht darum, den Werth des Stücks durch die in ihm verkörperte Arbeitszeit zu 25 messen, sondern umgekehrt die vom Arbeiter verausgabte Arbeit durch die Zahl der von ihm producirten Stücke. Beim Zeitlohn mißt sich die Arbeit an ihrer unmittelbaren Zeitdauer, beim Stücklohn am Produktenquantum, worin Arbeit während bestimmter Zeitdauer verdichtet 4 8). Der Preis der Arbeitszeit selbst ist schließlich bestimmt durch die Gleichung: Werth der 30 Tagesarbeit = Tageswerth der Arbeitskraft. Der Stücklohn ist also nur eine modificirte Form des Zeitlohns. Betrachten wir nun etwas näher die charakteristischen E i g e n t ü m l i c h - keiten des Stücklohns. October 1860", p. 9.) "Overworking, to a very considerable extent, still prevails; and, in most 35 instances, with that security against detection and punishment which the law itself affords. I have in many former reports shown ... the injury to all the workpeople who are not employed on piece-work, but receive weekly wages." Leonard Horner in „Reports of Insp. of Fact. 30th April 1859", p. 8, 9. 4 8 ) «Le salaire peut se mesurer de deux manières: ou sur la durée du travail, ou sur son pro- 40 duit.» (,,Abrégé élémentaire des principes de l'Écon. Pol. Paris 1796", p. 32.) Verfasser dieser anonymen Schrift: G. Garnier. 494 Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn Die Qualität der Arbeit ist hier durch das Werk selbst kontrolirt, das die durchschnittliche Güte besitzen muß, soll der Stückpreis voll bezahlt wer- den. Der Stücklohn wird nach dieser Seite hin zu fruchtbarster Quelle von Lohnabzügen und kapitalistischer Prellerei. 5 Er bietet den Kapitalisten ein ganz bestimmtes Maß für die Intensität der Arbeit. Nur Arbeitszeit, die sich in einem vorher bestimmten und er- fahrungsmäßig festgesetzten Waarenquantum verkörpert, gilt als gesell- schaftlich nothwendige Arbeitszeit und wird als solche bezahlt. In den grö- ßeren Schneiderwerkstätten Londons heißt daher ein gewisses Stück 10 Arbeit, z.B. eine Weste u.s.w., Stunde, halbe Stunde u.s.w., die Stunde zu 6 d. Aus der Praxis ist bekannt, wie viel das Durchschnittsprodukt einer Stunde. Bei neuen Moden, Reparaturen u.s.w. entsteht Streit zwischen An- wender und Arbeiter, ob ein bestimmtes Arbeitsstück = einer Stunde u.s.w., bis auch hier die Erfahrung entscheidet. Aehnlich in den Londonlsr 15 Möbelschreinereien u.s.w. Besitzt der Arbeiter nicht die durchschnittliche Leistungsfähigkeit, kann er ||516| daher ein bestimmtes Minimum vom Tagwerk nicht liefern, so entläßt man i h n 4 9 ) . 25 Da Qualität und Intensität der Arbeit hier durch die Form des Arbeits- lohns selbst kontrolirt werden, macht sie großen Theil der Arbeitsaufsicht 20 überflüssig. Sie bildet daher sowohl die Grundlage der früher geschilderten modernen Hausarbeit als eines hierarchisch gegliederten Systems der Ex- ploitation und Unterdrückung. Das letztere besitzt zwei Grundformen. Der Stücklohn erleichtert einerseits das Zwischenschieben von Parasiten zwi- schen Kapitalist und Lohnarbeiter, Unterverpachtung der Arbeit (sublet- ting of labour). Der Gewinn der Zwischenpersonen fließt ausschließlich aus der Differenz zwischen dem Arbeitspreis, den der Kapitalist zahlt, und dem Theil dieses Preises, den sie dem Arbeiter wirklich zukommen las- s e n 5 0 ) . Dieß System heißt in England charakteristisch das ,,Sweating Sys- tem" (Ausschweißungssystem). Andrerseits erlaubt der Stücklohn dem Ka- 30 pitalisten mit dem Hauptarbeiter - in der Manufaktur mit dem Chef einer Gruppe, in den Minen mit dem Ausbrecher der Kohle u.s.w., in der Fabrik mit dem eigentlichen Maschinenarbeiter - einen Kontrakt für so viel per Stück zu schließen, zu einem Preis, wofür der Hauptarbeiter selbst die An- werbung und Zahlung seiner Hülfsarbeiter übernimmt. Die Exploitation 35 40 4 9 ) "So much weight of cotton is delivered to him (the spinner), and he has to return by a cer- tain time, in lieu of it, a given weight of twist or yarn, of a certain degree of fineness, and he is paid so much per pound for all that he so returns. If his work is defective in quality, the penal- ty falls on him; if less in quantity than the minimum fixed for a given time, he is dismissed and an abler operative procured." (Ure, I.e. p.316, 317.) 5 0 ) "It is when work passes through several hands, each of which is to take a share of profits, while only the last does the work, that the pay which reaches the workwoman is miserably dis- proportioned." (,,Child. Empi. Comm." II. Rep., p.LXX, n. 424.) 495 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn der Arbeiter durch das Kapital verwirklicht sich hier vermittelst der Exploi- tation des Arbeiters durch den Arbeiter 5 1). Den Stücklohn gegeben, ist es natürlich das persönliche Interesse des Arbeiters, seine Arbeitskraft möglichst intensiv anzuspannen, was dem Ka- pitalisten eine Erhöhung des Normalgrads der Intensität erleichtert 5 1 a ) - Es 5 ist ebenso das persönliche Inter||517|esse des Arbeiters, den Arbeitstag zu verlängern, weil damit sein Tages- oder Wochenlohn steigt 5 2). Es tritt da- mit die beim Zeitlohn bereits geschilderte Reaktion ein, abgesehn davon, daß die Verlängerung des Arbeitstags, selbst bei konstant bleibendem Stücklohn, an und für sich eine Senkung im Preise der Arbeit einschließt. 10 Beim Zeitlohn herrscht mit wenigen Ausnahmen gleicher Arbeitslohn für dieselben Funktionen, während beim Stücklohn der Preis der Arbeits- zeit zwar durch ein bestimmtes Produktenquantum gemessen ist, der Ta- ges- oder Wochenlohn dagegen wechselt mit der individuellen Verschie- denheit der Arbeiter, wovon der eine nur das Minimum des Produkts in 15 einer gegebnen Zeit liefert, der Andre den Durchschnitt, der Dritte mehr als den Durchschnitt. In Bezug auf die wirkliche Einnahme treten hier also große Differenzen ein je nach dem verschiednen Geschick, Kraft, Energie, Ausdauer u.s.w. der individuellen Arbeiter 5 3). Dieß ändert natürlich nichts 5 1 ) Selbst der apologetische Watts bemerkt: "It would be a great improvement to the system of 20 piece-work, if all the men employed on a job were partners in the contract, each according to his abilities, instead of one man being interested in overworking his fellows for his own ben- efit." (I.e. p.53.) Ueber die Gemeinheiten dieses Systems vgl. ,,Child. Empi. Comm." Rep.Ill, p.66, n.22, p. 11, n. 124, p.XI, n. 13, 53, 59 u.s.w. 51 a) Diesem naturwüchsigen Resultat wird oft künstlich unter die Arme gegriffen. Z. B. im 25 Engineering Trade von London gilt es als herkömmlicher trick, „daß der Kapitalist einen Mann von überlegner physischer Kraft und Fertigkeit zum Chef einer Arbeiteranzahl aus- wählt. Er zahlt ihm vierteljährlich oder in andren Terminen einen Zuschußlohn unter der Uebereinkunft, alles mögliche aufzubieten, um seine Mitarbeiter, die nur den gewöhnlichen Lohn erhalten, zur äußersten Nacheiferung anzustacheln ... Ohne weiteren Kommentar er- 30 klärt dieß die Kapitalistenklage über ,Lähmung der Thätigkeit oder überlegener Geschicklich- keit und Arbeitskraft (,,stinting the action, superior skill and working power") durch die Trade's Unions'". (Dunning I.e. p.22, 23) Da der Verfasser selbst Arbeiter und Sekretär einer Trade's Union, könnte dieß für Uebertreibung gelten. Aber man sehe z.B. die ,,highly respec- table" agronomische Cyclopädie von J. Ch. Morton, Art. ,,Labourer", wo diese Methode den 35 Pächtern als probat empfohlen wird. 5 2 ) "All those who are paid by piece-work ... profit by the transgression of the legal limits of work. This observation as to the willingness to work overtime, is especially applicable to the women employed as weavers and reelers." („Rep. of Insp. of Fact. 30th April 1858", p. 9.) „Dieß Stücklohnsystem, so vortheilhaft für den Kapitalisten ... strebt direkt, den jungen Top- 40 fer zu großer Ueberarbeit zu ermuntern, während der 4 oder 5 Jahre, worin er per Stück, aber zu niedrigem Preis, bezahlt wird. Es ist dieß eine der großen Ursachen, denen die physische Degeneration der Töpfer zuzuschreiben ist." (,,Child. Empi. Comm." I. Rep., p. XIII.) 5 3 ) "Where the work in any trade is paid for by the piece at so much per job ... wages may very materially differ in amount ... But in work by the day there is generally an uniform 45 rate ... recognized by both employer and employed as the standard of wages for the general run of workmen in the trade." (Dunning 1. c. p. 17.) 496 Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn an dem allgemeinen Verhältniß zwischen Kapital und Lohnarbeit. Erstens gleichen sich die individuellen Unterschiede für die Gesammtwerkstatt aus, so daß sie in einer bestimmten Arbeitszeit das Durchschnittsprodukt liefert und der gezahlte Gesammtlohn ||518| der Durchschnittslohn des Ge- 5 schäftszweigs sein wird. Zweitens bleibt die Proportion zwischen Arbeits- lohn und Mehrwerth unverändert, da dem individuellen Lohn des einzel- nen Arbeiters die von ihm individuell gelieferte Masse von Mehrwerth entspricht. Aber der größere Spielraum, den der Stücklohn der Individuali- tät bietet, strebt einerseits dahin, die Individualität und damit Freiheitsge- 10 fühl, Selbständigkeit und Selbstkontrole der Arbeiter zu entwickeln, and- rerseits ihre Konkurrenz unter und gegen einander. Er hat daher eine Tendenz, mit der Erhebung individueller Arbeitslöhne über das Durch- schnittsniveau dieß Niveau selbst zu senken. Wo aber bestimmter Stück- lohn sich seit lange traditionell befestigt hatte und seine Herabsetzung da- 15 her besondre Schwierigkeiten bot, flüchteten die Meister ausnahmsweis auch zu seiner gewaltsamen Verwandlung in Zeitlohn. Hiergegen z.B. 1860 großer Strike unter den Bandwebern von Coventry 5 4). Der Stücklohn ist endlich eine Hauptstütze des früher geschilderten Stundensystems 5 5). Aus der bisherigen Darstellung ergibt sich, daß der Stücklohn die der ka- 20 pitalistischen Produktionsweise entsprechendste Form des Arbeitslohns ist. Obgleich keineswegs neu, - er ilgurirt neben ||519| dem Zeitlohn offiziell u. a. in den französischen und englischen Arbeiterstatuten des vierzehnten 25 5 4 ) „Die Arbeit der Handwerksgesellen regelt sich nach dem Tag oder nach dem Stück (à la journée ou à la pièce) ... Die Meister wissen ungefähr, wie viel Werk die Arbeiter täglich in jedem métier verrichten können, und zahlen sie daher oft im Verhältniß zum Werk, das sie verrichten; so arbeiten diese Gesellen, so viel sie können, in ihrem eignen Interesse, ohne wei- tere Beaufsichtigung." (Cantillon: „Essai sur la Nature du Commerce en Général". Amst. Ed. 1756, p. 185 U.202. Die erste Ausgabe erschien 1755.) Cantillon, aus dem Quesnay, Sir James Steuart und A. Smith reichlich geschöpft haben, stellt hier also schon den Stücklohn als bloß 30 modifîcirte Form des Zeitlohns dar. Die französische Ausgabe Cantillon's kündigt sich auf dem Titel als Uebersetzung aus dem Englischen an, aber die englische Ausgabe: „The Analy- sis of Trade, Commerce etc. by Philip Cantillon, late of the City of London, Merchant", ist nicht nur späteren Datums (von 1759), sondern erweist sich durch ihren Inhalt als eine spä- tere Bearbeitung. So z.B. findet sich in der französischen Ausgabe Hume noch nicht erwähnt, 35 während umgekehrt in der englischen Petty kaum mehr figurirt. Die englische Ausgabe ist theoretisch unbedeutender, enthält aber allerlei specifisch auf englischen Handel, Bullion- handel u. s. w. Bezügliches, was im französischen Text fehlt. Die Worte im Titel der engli- schen Ausgabe, wonach die Schrift ,,Taken chiefly from the Manuscript of a very ingenious Gentleman deceased, and adapted etc.", scheinen daher mehr als bloße, damals sehr übliche, 40 Fiktion. 5 5 ) «Combien de fois n'avons-nous pas vu, dans certains ateliers, embaucher beaucoup plus d'ouvriers que ne le demandait le travail à mettre en main? Souvent, dans la prévision d'un travail aléatoire, quelquefois même imaginaire, on admet des ouvriers: comme on les paie aux pièces, on se dit qu'on ne court aucun risque, parce que toutes les pertes de temps seront à la charge des inoccupés.» (H. Gregoir: ,,Les Typographes devant le Tribunal Correctionnel de Bruxelles". Bruxelles 1865, p. 9.) 45 497 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn 5 Jahrhunderts - gewinnt er doch erst größren Spielraum während der eigentlichen Manufakturperiode. In der Sturm- und Drangperiode der gro- ßen Industrie, namentlich von 1797 bis 1815, dient er als Hebel zur Ver- längrung der Arbeitszeit und Herabsetzung des Arbeitslohns. Sehr wichti- ges Material für die Bewegung des Arbeitslohns während jener Periode findet man in den Blaubüchern: „Report and Evidence from the Select Committee on Petitions respecting the Corn Laws" (Parlamentssession 1 8 1 3 - 1 4 ) und: „Reports from the Lords' Committee, on the state of the Growth, Commerce, and Consumption of Grain, and all Laws relating thereto". (Session 1 8 1 4 - 1 5 . ) Man findet hier den dokumentarischen Nach- 10 weis für die fortwährende Senkung des Arbeitspreises seit dem Beginn des Antijakobinerkriegs. In der Weberei z.B. war der Stücklohn so gefallen, daß trotz des sehr verlängerten Arbeitstags der Taglohn jetzt niedriger stand als vorher. „Die reale Einnahme des Webers ist sehr viel weniger als früher: seine Superiorität über den gewöhnlichen Arbeiter, die erst sehr 15 groß war, ist fast ganz verschwunden. In der That, der Unterschied in den Löhnen geschickter und gewöhnlicher Arbeit ist jetzt viel unbedeutender als während irgend einer früheren Periode" 5 6). Wie wenig die mit dem Stücklohn gesteigerte Intensität und Ausdehnung der Arbeit dem ländli- chen Proletariat fruchteten, zeige folgende einer Parteischrift für Landlords 20 und Pächter entlehnte Stelle: „Bei weitem der größere Theil der Agrikultur- operationen wird durch Leute verrichtet, die für den Tag oder auf Stück- werk gedungen sind. Ihr Wochenlohn beträgt ungefähr 12 sh.; und obgleich man voraussetzen mag, daß ein Mann bei Stücklohn, unter dem größeren Arbeitssporn, 1 sh. oder vielleicht 2 sh. mehr verdient als beim Wochen- 25 lohn, so findet man dennoch, bei Schätzung seiner Gesammteinnahme, daß sein Verlust an Beschäftigung im Lauf des Jahrs diesen Zuschuß auf- Man wird ferner im Allgemeinen finden, daß die Löhne dieser wiegt Männer ein gewisses Verhältniß zum Preis der nothwendigen Lebensmittel haben, so daß ein Mann mit zwei Kindern fähig ist, seine Familie ohne 30 Zuflucht zur Pfarreiunterstützung zu erhalten" 5 7). Malthus bemerkte da- mals mit Bezug auf die vom Parlament ver115201öffentlicht en Thatsachen: „Ich gestehe, ich sehe mit Mißvergnügen die große Ausdehnung der Praxis des Stücklohns. Wirklich harte Arbeit während 12 oder 14 Stunden des Tags, für irgend längere Zeitperioden, ist zu viel für ein menschliches We- 35 s e n " 5 8 ) . In den dem Fabrikgesetz unterworfenen Werkstätten wird Stücklohn all- 5 6 ) ,,Remarks on the Commercial Policy of Great Britain. London 1815", p. 48. 5 7 ) ,,Considerations upon the Corn Bill ..." London 1815, p. 34. 5 8 ) Malthus, ,,Inquiry into the Nature etc. of Rent, London 1815". 40 498 Neunzehntes Kapitel • Der Stücklohn gemeine Regel, weil das Kapital dort den Arbeitstag nur noch intensiv aus- weiten k a n n 5 9 ) . 5 Mit der wechselnden Produktivität der Arbeit stellt dasselbe Produkten- quantum wechselnde Arbeitszeit dar. Also wechselt auch der Stücklohn, da er Preisausdruck einer bestimmten Arbeitszeit. In unserem obigen Beispiel wurden in 12 Stunden 24 Stück producirt, während das Werthprodukt der 12 Stunden 6 sh. war, der Tageswerth der Arbeitskraft 3 sh., der Preis der Arbeitsstunde 3 d. und der Lohn für ein Stück 1% d. In einem Stück war Y2 Arbeitsstunde eingesaugt. Liefert derselbe Arbeitstag nun etwa in Folge 10 verdoppelter Produktivität der Arbeit 48 Stück statt 24, und bleiben alle andern Umstände unverändert, so sinkt der Stücklohn von 1¾ d. a u f 3 / d., da jedes Stück jetzt nur noch Y4 statt Y2 Arbeitsstunde darstellt. 24 x V/2 d. = 3 sh. und ebenso 48 x % d. = 3 sh. In anderen Worten: Der Stücklohn wird in demselben Verhältniß heruntergesetzt, worin die Zahl der während 15 derselben Zeit producirten Stücke wächst 6 0), also die auf dasselbe Stück verwandte Arbeitszeit abnimmt. Dieser Wechsel des Stücklohns, soweit rein nominell, ruft beständige Kämpfe zwischen Kapitalist und Arbeiter hervor. Entweder, weil der Kapitalist den Vorwand benutzt, um wirklich den Preis der Arbeit herabzusetzen, oder weil die gesteigerte Produktivkraft 20 der Arbeit von gesteigerter ||521| Intensität derselben begleitet ist. Oder weil der Arbeiter den Schein des Stücklohns, als ob ihm sein Produkt ge- zahlt werde und nicht seine Arbeitskraft, ernst nimmt und sich daher ge- gen eine Lohnherabsetzung sträubt, welcher die Herabsetzung im Ver- kaufspreis der Waare nicht entspricht. „Die Arbeiter überwachen sorgfältig 25 den Preis des Rohmaterials und den Preis der fabricirten Güter und sind so fähig die Profite ihrer Meister genau zu veranschlagen" 6 1). Solchen An- spruch fertigt das Kapital mit Recht als groben Irrthum über die Natur der 30 5 9 ) „Die Arbeiter auf Stücklohn bilden wahrscheinlich % aller Arbeiter in den Fabriken." („Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1858", p. 9.) 6 0 ) "The productive power of his spinning machine is accurately measured, and the rate of pay for work done with it decreases with, though not as, the increase of its productive power." (Ure Lc p. 317.) Letztre apologetische Wendung hebt Ure selbst wieder auf. Er gibt zu, daß bei einer Verlängrung der Mule z.B. eine zusätzliche Arbeit aus der Verlängrung entspringt. Die Arbeit nimmt also nicht in dem Maße ab, worin ihre Produktivität wächst. Ferner: "By this increase the productive power of the machine will be augmented one-fifth. When this event happens, the spinner will not be paid at the same rate for work done as he was before, but as that rate will not be diminished in the ratio of one-fifth, the improvement will augment his money-earnings for any given number of hours' work" - aber, aber - "the foregoing state- ment requires a certain modification .... the spinner has to pay something additional for juve- 40 nile aid out of his additional sixpence, accompanied by displacing a portion of adults", (1. c. 35 p. 321) was keineswegs eine Tendenz zur Steigerung des Arbeitslohns hat. 6 1 ) H. Fawcett: „The Economic Position of the British Labourer". Cambridge and London 1865, p.178, 179. 499 Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn Lohnarbeit a b 6 2 ) . Es zetert über diese Anmaßung Steuern auf den Fort- schritt der Industrie zu legen und erklärt rundweg, daß die Produktivität der Arbeit den Arbeiter überhaupt nichts angeht 6 3). Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne. 5 Im fünfzehnten Kapitel beschäftigten uns die mannigfachen Kombinatio- nen, welche einen Wechsel in der absoluten oder relativen (d. h. mit dem Mehrwerth verglichenen) Werthgröße der Arbeitskraft hervorbringen kann, während andrerseits wieder das Quantum von Lebensmitteln, worin der Preis der Arbeitskraft realisirt wird, von dem Wechsel dieses Preises unab- 10 hängige 6 4) oder verschiedne Bewegungen durchlaufen konnte. Wie bereits bemerkt, verwandeln ||522| sich durch einfache Uebersetzung des Werths, resp. Preises der Arbeitskraft in die exoterische Form des Arbeitslohns alle jene Gesetze in Gesetze der Bewegung des Arbeitslohns. Was innerhalb dieser Bewegung als wechselnde Kombination, kann für verschiedne Län- 15 der als gleichzeitige Verschiedenheit nationaler Arbeitslöhne erscheinen. Beim Vergleich nationaler Arbeitslöhne sind also alle den Wechsel in der Werthgröße der Arbeitskraft bestimmende Momente zu erwägen, Preis und Umfang der natürlichen und historisch entwickelten ersten Lebensbedürf- nisse, Erziehungskosten des Arbeiters, Rolle der Weiber- und Kinderar- 20 beit, Produktivität der Arbeit, ihre extensive und intensive Größe. Selbst die oberflächlichste Vergleichung erheischt, zunächst den Durchschnitts- Taglohn für dieselben Gewerbe in verschiednen Ländern auf gleich große Arbeitstage zu reduciren. Nach solcher Ausgleichung der Taglöhne, muß 6 2 ) Im Londoner Standard vom 26. Oktober 1861 findet man Bericht über einen Proceß der 25 Firma John Bright et Co. vor den Rochdale Magistrates "to prosecute for intimidation the agents of the Carpet Weavers Trades Union. Bright's partners had introduced new machinery which would turn out 240 yards of carpet in the time and with the labour (!) previously re- quired to produce 160 yards. The workmen had no claim whatever to share in the profits made by the investment of their employer's capital in mechanical improvements. Accordingly, 30 Messrs. Bright proposed to lower the rate of pay from 1½ d. per yard to 1 d., leaving the earn- ings of the men exactly the same as before for the same labour. But there was a nominal re- duction, of which the operatives, it is asserted, had not fair warning before hand." 6 3 ) ,,Trades Unions in ihrer Sucht, den Arbeitslohn aufrecht zu halten, suchen an dem Profit verbesserter Maschinerie Theil zu nehmen! (Quelle horreur!) ... sie verlangen höheren Lohn, 35 weil die Arbeit verkürzt ist... in anderen Worten, sie streben eine Steuer auf industrielle Ver- besserungen zu legen." („On Combinations of Trades. New Edit. Lond. 1834", p. 42.) 6 4 ) "It is not accurate to say that wages (handelt sich hier von ihrem Preise) are increased, be- cause they purchase more of a cheaper article." (David Buchanan in seiner Ausgabe von A. Smith's, ,,Wealth etc." 1814, v. I, p. 417 Note.) 40 500 Zwanzigstes Kapitel • Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne der Zeitlohn wieder in Stücklohn übersetzt werden, da nur der letztere ein Gradmesser sowohl für die Produktivität als die intensive Größe der Ar- beit. In jedem Lande gilt eine gewisse mittlere Intensität der Arbeit, unter welcher die Arbeit bei Produktion einer Waare mehr als die gesellschaft- lich nothwendige Zeit verbraucht, und daher nicht als Arbeit von normaler Qualität zählt. Nur ein über den nationalen Durchschnitt sich erhebender Intensitätsgrad ändert, in einem gegebnen Lande, das Maß des Werths durch die bloße Dauer der Arbeitszeit. Anders auf dem Weltmarkt, dessen integrirende Theile die einzelnen Länder sind. Die mittlere Intensität der Arbeit wechselt von Land zu Land; sie ist hier größer, dort kleiner. Diese nationalen Durchschnitte bilden also eine Stufenleiter, deren Maßeinheit die Durchschnittseinheit der universellen Arbeit ist. Verglichen mit der weniger intensiven, producirt also die intensivere nationale Arbeit in glei- cher Zeit mehr Werth, der sich in mehr Geld ausdrückt. Noch mehr aber wird das Werthgesetz in seiner internationalen Anwen- dung dadurch modifient, daß auf dem Weltmarkt die produktivere natio- nale Arbeit ebenfalls als intensivere zählt, so oft die produktivere Nation nicht durch die Konkurrenz gezwungen wird, den Verkaufspreis ihrer Waare auf ihren Werth zu senken. Im Maß, wie in einem Lande die kapitalistische Produktion entwickelt ist, im selben Maß erheben sich dort auch die nationale Intensität und Pro- duktivität der Arbeit über das internationale ||523| N i v e a u 6 4 a ) . Die ver- schiedenen Waarenquanta derselben Art, die in verschiedenen Ländern in gleicher Arbeitszeit producirt werden, haben also ungleiche internationale Werthe, die sich in verschiedenen Preisen ausdrücken, d.h. in je nach den internationalen Werthen verschiednen Geldsummen. Der relative Werth des Geldes wird also kleiner sein bei der Nation mit entwickelterer kapita- listischer Produktionsweise als bei der mit wenig entwickelter. Folgt also, daß der nominelle Arbeitslohn, das Aequivalent der Arbeitskraft ausge- drückt in Geld, ebenfalls höher sein wird bei der ersten Nation als bei der zweiten; was keineswegs besagt, daß dieß auch für den wirklichen Lohn gilt, d. h. für die dem Arbeiter zur Verfügung gestellten Lebens- mittel. Aber auch abgesehn von dieser relativen Verschiedenheit des Geld- werths in verschiedenen Ländern, wird man häufig finden, daß der Tages-, Wochen-, etc. Lohn bei der ersteren Nation höher ist als bei der zweiten, während der relative Arbeitspreis, d.h. der Arbeitspreis im Verhältniß so- 6 4 a ) An andrer Stelle werden wir untersuchen, welche Umstände, in Beziehung auf die Pro- duktivität, dieß Gesetz für einzelne Produktionszweige modificiren können. 501 Sechster Abschnitt • Der Arbeitslohn wohl zum Mehrwerth wie zum Werth des Produkts bei der zweiten Nation höher steht als bei der ersteren 6 5). 5 J . W . Cowell, Mitglied der Fabrikkommission von 1833, kam nach sorg- fältiger Untersuchung der Spinnerei zum Ergebniß, daß „in England die Löhne der Sache nach niedriger für den Fabrikanten sind als auf dem Kon- tinent, obwohl sie für den Arbeiter höher sein mögen" (Ure, p. 314). Der englische Fabrikinspektor Alexander Redgrave weist im Fabrikbericht vom 31. Oktober 1866, ||524| durch vergleichende Statistik mit den Kontinental- staaten nach, daß trotz niedrigerem Lohn und viel längerer Arbeitszeit die kontinentale Arbeit, verhältnißmäßig zum Produkt, theurer ist als die eng- 10 lische. Ein englischer Direktor (manager) in einer Baumwollfabrik in Ol- denburg erklärt, daß dort die Arbeitszeit von 5.30 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends währt, Samstags eingeschlossen, und daß die dortigen Arbeiter, wenn unter englischen Arbeitsaufsehern, während dieser Zeit nicht ganz so viel Produkt liefern als Engländer in 10 Stunden, unter deutschen Arbeits- 15 aufsehern aber noch viel weniger. Der Lohn stehe viel tiefer als in England, in vielen Fällen um 50 %, aber die Zahl der Hände im Verhältniß zur Ma- schinerie sei viel größer, in verschiedenen Departements im Verhältniß von 5:3. Herr Redgrave gibt sehr genaue Details über die russischen Baum- wollfabriken. Die Data sind ihm geliefert durch einen dort noch kürzlich 20 beschäftigten englischen manager. Auf diesem russischen Boden, an allen Infamien so fruchtbar, stehn auch die alten Greuel aus der Kindheitspe- riode der englischen factories in vollster Blüthe. Die Dirigenten sind natür- lich Engländer, da der eingeborene russische Kapitalist nicht für das Fa- brikgeschäft Nachtarbeit und schmählichster Unterzahlung der Arbeiter, vegetirt das russische Fabrikat nur durch Prohibition des ausländischen. - Ich gebe schließlich noch eine vergleichende Uebersicht des Herrn Redgrave über die Durchs chnitt s - S ρ indelz ahi per Fabrik und per Spinner in verschiednen Ländern Europas. Herr Redgrave bemerkt selbst, daß er diese Zahlen vor 30 taugt. Trotz aller Ueberarbeit, fortlaufender Tag- und 25 6 5 ) James Anderson bemerkt in Polemik gegen A. Smith: "It deserves likewise to be remarked, that although the apparent price of labour is usually lower in poor countries, where the pro- duce of the soil, and grain in general, is cheap; yet it is in fact for the most part really higher than in other countries. For it is not the wages that is given to the labourer per day that consti- tutes the real price of labour, although it is its apparent price. The real price is that which a 35 certain quantity of work performed actually costs the employer; and considered in this light, labour is in almost all cases cheaper in rich countries than in those that are poorer, although the price of grain, and other provisions, is usually much lower in the last than in the first ... Labour estimated by the day, is much lower in Scotland than in England ... Labour by the piece is generally cheaper in England." (James Anderson: ,,Observations on the means of ex- 40 citing a spirit of National Industry etc. Edinb. 1777", p. 350, 351.) - Umgekehrt producirt ihrerseits die Niedrigkeit des Arbeitslohns Vertheurung der Arbeit. "Labour being dearer in Ireland than it is in England ... because the wages are so much lower." (N. 2074 in Royal Commission on Railways, Minutes. 1867.) 502 Zwanzigstes Kapitel • Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne einigen Jahren gesammelt hat, und daß seit der Zeit die Größe der Fabri- ken und die Spindelzahl per Arbeiter in England gewachsen seien. Er un- terstellt aber verhältnißmäßig gleich großen Fortschritt in den aufgezählten Kontinentalländern, so daß die Zahlenangaben ihren komparativen Werth behalten hätten. Durchschnittsanzahl von Spindeln per Fabrik. In England Durchschnittszahl von Spindeln auf je eine Fabrik 12 600 In der Schweiz 8 000 In Oestreich 7 000 In Sachsen 4 500 In Belgien 4000 In Frankreich 1500 In Preußen 15001 15251 Durchschnittsanzahl von Spindeln per Kopf. In Frankreich In Rußland In Preußen In Baiern In Oestreich In Belgien In Sachsen In den kleinern deutschen Staaten In der Schweiz In Großbritannien eine Person auf 14 Spindeln 28 » 37» 46 » 49 » 50 » 50 » 55 » 55 » 74 » 10 15 20 25 30 „Diese Vergleichung", sagt Herr Redgrave, „ist, außer andren Gründen, besonders auch deßwegen für Großbritannien ungünstig, weil dort eine sehr große Zahl Fabriken existirt, worin die Maschinenweberei mit der Spinnerei verbunden ist, während die Rechnung keinen Kopf für die Web- stuhle abzieht. Die auswärtigen Fabriken sind dagegen meist bloße Spinne- reien. Könnten wir genau Gleiches mit Gleichem vergleichen, so könnte ich viele Baumwollspinnereien in meinem Distrikt aufzählen, worin Mules mit 2200 Spindeln von einem einzigen Mann (minder) und zwei Handlan- gerinnen überwacht und täglich 220 Pfund Garn, 400 (englische) Meilen in 35 Länge, fabricirt werden." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1866", p. 3 1 - 3 7 passim.) Man weiß, daß in Osteuropa sowohl wie in Asien englische Compagnien Eisenbahnen in Bau übernommen haben und dabei neben einheimischen auch eine gewisse Zahl englischer Arbeiter verwenden. Durch praktische 40 Nothwendigkeit gezwungen, so den nationalen Unterschieden in der Inten- sität der Arbeit Rechnung zu tragen, hat ihnen das keinen Schaden ge- bracht. Ihre Erfahrung lehrt, daß wenn auch die Höhe des Lohnes mehr 503 Sechster Abschnitt · Der Arbeitslohn oder weniger der mittleren Arbeitsintensität entspricht, der relative Ar- beitspreis (im Verhältniß zum Produkt) sich im Allgemeinen im entgegen- gesetzten Sinn bewegt. 5 In „Versuch über die Rate des Arbeitslohns" 6 6), einer seiner frühsten ökonomischen Schriften, sucht H. Carey nachzuweisen, daß die verschied- nen nationalen Arbeitslöhne sich direkt verhalten ||526| wie die Produktivi- tätsgrade der nationalen Arbeitstage, um aus diesem internationalen Ver- hältniß den Schluß zu ziehen, daß der Arbeitslohn überhaupt steigt und fällt wie die Produktivität der Arbeit. Unsre ganze Analyse der Produktion des Mehrwerths beweist die Abgeschmacktheit dieser Schlußfolgerung, 10 hätte Carey selbst seine Prämisse bewiesen, statt seiner Gewohnheit gemäß unkritisch und oberflächlich zusammengerafftes statistisches Material kun- terbunt durcheinander zu würfeln. Das Beste ist, daß er nicht behauptet, die Sache verhalte sich wirklich so, wie sie sich der Theorie nach verhalten sollte. Die Staatseinmischung hat nämlich das naturgemäße ökonomische 15 Verhältniß verfälscht. Man muß daher die nationalen Arbeitslöhne so be- rechnen, als ob der Theil derselben, der dem Staat in der Form von Steu- ern zufällt, dem Arbeiter selbst zufiele. Sollte Herr Carey nicht weiter dar- über nachdenken, ob diese „Staatskosten" nicht auch „naturgemäße Früchte" der kapitalistischen Entwicklung sind? Das Raisonnement ist 20 ganz des Mannes würdig, der die kapitalistischen Produktionsverhältnisse erst für ewige Natur- und Vernunftsgesetze erklärte, deren frei harmoni- sches Spiel nur durch die Staatseinmischung gestört werde, um hinterher zu entdecken, daß Englands diabolischer Einfluß auf den Weltmarkt, ein Einfluß, der, wie es scheint, nicht den Naturgesetzen der kapitalistischen 25 Produktion entspringt, die Staatseinmischung nöthig macht, nämlich den Schutz jener Natur- und Vernunftsgesetze durch den Staat, alias das Pro- tektionssystem. Er entdeckte ferner, daß die Theoreme Ricardo's u. s. w., worin existirende gesellschaftliche Gegensätze und Widersprüche formulirt sind, nicht das ideale Produkt der wirklichen ökonomischen Bewegung, 30 sondern daß umgekehrt die wirklichen Gegensätze der kapitalistischen Produktion in England und anderswo das Resultat der Ricardo'schen u.s.w. Theorie sind! Er entdeckte schließlich, daß es in letzter Instanz der Handel ist, der die eingebornen Schönheiten und Harmonien der kapitali- stischen Produktionsweise vernichtet. Noch einen Schritt weiter, und er 35 entdeckt vielleicht, daß der einzige Mißstand an der kapitalistischen Pro- duktion das Kapital selbst ist. Nur ein Mann von so entsetzlicher Kritiklo- sigkeit und solcher Gelehrsamkeit de faux aloi verdiente, trotz seiner pro- 6 6 ) „Essay on the Rate of Wages: with an Examination of the Causes of the Differences in the Conditions of the Labouring Population throughout the World. Philadelphia 1835." 40 504 Zwanzigstes Kapitel • Nationale Verschiedenheit der Arbeitslöhne tektionistischen Ketzerei, die Geheimquelle der harmonischen Weisheit eines Bastiat und aller andern freihändlerischen Optimisten der Gegenwart zu werden. I |527| S I E B E N T E R ABSCHNITT. 5 Der Akkumulationsproceß des Kapitals. Die Verwandlung einer Geldsumme in Produktionsmittel und Arbeitskraft ist die erste Bewegung, die das Werthquantum durchmacht, das als Kapital fungiren soll. Sie geht vor auf dem Markt, in der Sphäre der Cirkulation. Die zweite Phase der Bewegung, der Produktionsproceß, ist abgeschlossen, sobald die Produktionsmittel verwandelt sind in Waare, deren Werth den Werth ihrer Bestandtheile übertrifft, also das ursprünglich vorgeschossene Kapital plus eines Mehrwerths enthält. Diese Waaren müssen alsdann wie- derum in die Sphäre der Cirkulation geworfen werden. Es gilt sie zu ver- kaufen, ihren Werth in Geld zu realisiren, dieß Geld aufs Neue in Kapi- tal zu verwandeln und so stets von Neuem. Dieser immer dieselben suc- cessiven Phasen durchmachende Kreislauf bildet die Cirkulation des Ka- pitals. 10 15 Die erste Bedingung der Akkumulation ist, daß der Kapitalist es fertig gebracht hat, seine Waaren zu verkaufen und den größten Theil des so er- 20 haltenen Geldes in Kapital rückzuverwandeln. Im Folgenden wird voraus- gesetzt, daß das Kapital seinen Cirkulationsproceß in normaler Weise durchläuft. Die nähere Analyse dieses Processes gehört ins Zweite Buch. 25 Der Kapitalist, der den Mehrwerth producirt, d.h. unbezahlte Arbeit un- mittelbar aus den Arbeitern auspumpt und in Waaren fixirt, ist zwar der er- ste Aneigner, aber keineswegs der letzte Eigenthümer dieses Mehrwerths. Er hat ihn hinterher zu theilen mit Kapitalisten, die andre Funktionen im Großen und Ganzen der gesellschaftlichen Produktion vollziehn, mit dem Grundeigenthümer u.s.w. Der Mehrwerth spaltet sich daher in verschiedne Theile. Seine Bruchstücke fallen verschiednen Kategorien von Personen zu 30 und erhalten verschiedne, gegen einander selbständige Formen, wie Profit, Zins, Handelsgewinn, Grundrente u. s. w. Diese verwandelten Formen des Mehrwerths können erst im Dritten Buch behandelt werden. Wir unterstellen hier also einerseits, daß der Kapitalist, der die Waare producirt, sie zu ihrem Werth verkauft, und verweilen nicht weiter bei sei- 35 ner Rückkehr zum Waarenmarkt, weder bei den neuen Formen, die dem Kapital anschießen in der Cirkulationssphäre, noch den darin eingehüllten 505 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals konkreten Bedingungen der ||528| Reproduktion. Andrerseits gilt uns der kapitalistische Producent als Eigenthümer des ganzen Mehrwerths oder, wenn man will, als Repräsentant aller seiner Theilnehmer an der Beute. Wir betrachten also zunächst die Akkumulation abstrakt, d. h. als bloßes Moment des unmittelbaren Produktionsprocesses. 5 So weit übrigens Akkumulation stattfindet, gelingt dem Kapitalisten der Verkauf der producirten Waare und die Rückverwandlung des aus ihr gelö- sten Geldes in Kapital. Ferner: Der Bruch des Mehrwerths in verschiedne Stücke ändert nichts an seiner Natur, noch an den nothwendigen Bedin- gungen, worin er zum Element der Akkumulation wird. Welche Proportion 10 des Mehrwerths der kapitalistische Producent immer für sich selbst fest- halte oder an Andre abtrete, er eignet ihn stets in erster Hand an. Was also bei unsrer Darstellung der Akkumulation unterstellt wird, ist bei ihrem wirklichen Vorgang unterstellt. Andrerseits verdunkeln die Zerspaltung des Mehrwerths und die vermittelnde Bewegung der Cirkulation die einfache 15 Grundform des Akkumulationsprocesses. Seine reine Analyse erheischt daher vorläufiges Wegsehn von allen Phänomenen, welche das innere Spiel seines Mechanismus verstecken. EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL. Einfache Reproduktion. 20 Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprocesses, er muß kontinuirlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Stadien durchlaufen. So wenig eine Gesellschaft aufhören kann zu konsumiren, so wenig kann sie aufhören zu produciren. In einem stetigen Zusammenhang und dem beständigen Fluß seiner Erneuerung betrachtet, ist jeder gesell- 25 schaftliche Produktionsproceß daher zugleich Reproduktionsproceß. Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der R e - produktion. Keine Gesellschaft kann fortwährend produciren, d. h. repro- duciren, ohne fortwährend einen Theil ihrer Produkte in Produktionsmittel oder Elemente der Neuproduktion rückzuverwandeln. Unter sonst gleich- 30 bleibenden Umständen kann sie ihren Reichthum nur auf derselben Stu- fenleiter reproduciren oder erhalten, indem sie die, während des Jahres z. B . , verbrauchten Produktionsmittel, d. h. Arbeitsmittel, Rohmateriale und Hülfsstoffe, in natura durch ein gleiches Quantum neuer Exemplare ersetzt, ||529| welches von der jährlichen Produktenmasse abgeschieden 35 und von neuem dem Produktionsproceß einverleibt wird. Ein bestimmtes Quantum des jährlichen Produkts gehört also der Produktion. Von Haus 506 Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion 5 aus für die produktive Konsumtion bestimmt, existirt es großenteils in Naturalformen, die von selbst die individuelle Konsumtion ausschließen. Hat die Produktion kapitalistische Form, so die Reproduktion. Wie in der kapitalistischen Produktionsweise der Arbeitsproceß nur als ein Mittel für den Verwerthungsproceß erscheint, so die Reproduktion nur als ein Mittel, den vorgeschoßnen Werth als Kapital zu reproduciren, d.h. als sich verwertenden Werth. Die ökonomische Charaktermaske des Kapitalisten hängt nur dadurch an einem Menschen fest, daß sein Geld fortwährend als Kapital funktionirt. Hat z.B. die vorgeschoßne Geldsumme von 100 Pfd. 10 St. sich dieses Jahr in Kapital verwandelt und einen Mehrwerth von 20 Pfd. St. producirt, so muß sie das nächste Jahr u.s.f. dieselbe Operation wieder- holen. Als periodisches Inkrement des Kapitalwerths, oder periodische Frucht des processirenden Kapitals, erhält der Mehrwerth die Form einer aus dem Kapital entspringenden Revenue 1). 15 Dient diese Revenue dem Kapitalisten nur als Konsumtionsfonds oder wird sie ebenso periodisch verzehrt wie gewonnen, so findet, unter sonst gleichbleibenden Umständen, einfache Reproduktion statt. Obgleich letz- tere nun bloße Wiederholung des Produktionsprocesses auf derselben Stu- fenleiter, drückt diese bloße Wiederholung oder Kontinuität dem Processe 20 gewisse neue Charaktere auf oder löst vielmehr die Scheincharaktere sei- nes nur vereinzelten Vorgangs auf. Der Produktionsproceß wird eingeleitet mit dem Kauf der Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit, und diese Einleitung erneuert sich beständig, so- bald der Verkaufstermin der Arbeit fällig und damit eine bestimmte Pro- 25 duktionsperiode, Woche, Monat u.s.w. abgelaufen ist. Gezahlt wird der Ar- beiter aber erst, nachdem seine ||530| Arbeitskraft gewirkt und sowohl ihren eignen Werth, als den Mehrwerth, in Waaren realisirt hat. Er hat also wie den Mehrwerth, den wir einstweilen nur als Konsumtionsfonds des Kapita- listen betrachten, so den Fonds seiner eignen Zahlung, das variable Kapi- tal, producirt, bevor es ihm in der Form des Arbeitslohnes zurückfließt, und er wird nur so lange beschäftigt, als er ihn beständig reproducirt. Da- her die im sechzehnten Kapitel unter „II" erwähnte Formel der Oekono- men, die das Salair als Antheil am Produkt selbst darstellt 2). Es ist ein 30 *) „Die Reichen, welche die Produkte der Arbeit Andrer verzehren, erhalten sie nur durch 35 Austauschakte (Waarenkäufe). Sie scheinen daher einer baldigen Erschöpfung ihrer Reserve- fonds ausgesetzt ... Aber in der gesellschaftlichen Ordnung hat der Reichthum die Kraft er- halten, sich durch fremde Arbeit zu reproduciren .... Der Reichthum, wie die Arbeit, und durch die Arbeit, liefert eine jährliche Frucht, welche jedes Jahr vernichtet werden kann, ohne daß der Reiche ärmer wird. Diese Frucht ist die Revenue, die aus dem Kapital entspringt." 40 (Sismondi: „Nouv. Princ. d'Écon. Pol." t.I, p. 81, 82.) 2) "Wages as well as profits are to be considered each of them as really a portion of the fin- ished product." (Ramsay 1. c. p. 142.) „Der Antheil an dem Produkt, der dem Arbeiter unter der Form des Salairs zukommt." (J. Mill: „Elements etc." Uebers. von Parisot, Paris 1823, P· 34.) 507 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Theil des vom Arbeiter selbst beständig reproducirten Produkts, das ihm in der Form des Arbeitslohns beständig zurückfließt. Der Kapitalist zahlt ihm den Waarenwerth allerdings in Geld. Dieß Geld ist aber nur die verwan- delte Form des Arbeitsprodukts. Während der Arbeiter einen Theil der Pro- duktionsmittel in Produkt verwandelt, rückverwandelt sich ein Theil seines früheren Produkts in Geld. Es ist seine Arbeit von voriger Woche oder vom letzten halben Jahre, womit seine Arbeit von heute oder vom nächsten hal- ben Jahr gezahlt wird. Die Illusion, welche die Geldform erzeugt, ver- schwindet sofort, sobald statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen Arbeiters Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse betrachtet werden. Die Ka- pitalistenklasse gibt der Arbeiterklasse beständig in Geldform Anweisun- gen auf einen Theil des von der letzteren producirten und von der erstren angeeigneten Produkts. Diese Anweisungen gibt der Arbeiter der Kapitali- stenklasse ebenso beständig zurück und entzieht ihr damit den ihm selbst zufallenden Theil seines eignen Produkts. Die Waarenform des Produkts und die Geldform der Waare verkleiden die Transaktion. Das variable Kapital ist also nur eine besondre historische Erscheinungs- form des Fonds von Lebensmitteln oder des Arbeitsfonds, den der Arbeiter zu seiner Selbsterhaltung und Reproduktion bedarf, und den er in allen Sy- stemen der gesellschaftlichen Produktion stets selbst produciren und repro- duciren muß. Der Arbeitsfonds fließt ihm nur beständig in Form von Zah- lungsmitteln seiner Arbeit zu, weil sein eignes Produkt sich beständig in der Form des Kapitals von ihm entfernt. Aber diese Erscheinungsform des Arbeitsfonds ändert nichts daran, daß dem Arbeiter seine eigne vergegen- ständlichte Arbeit vom Kapitalisten vorgeschossen wird 3). ||531| Nehmen wir einen Frohnbauer. Er arbeitet mit seinen eignen Produktionsmitteln auf seinem eignen Acker z.B. 3 Tage in der Woche. Die drei andren Wo- chentage verrichtet er Frohnarbeit auf dem herrschaftlichen Gut. Er repro- ducirt seinen eignen Arbeitsfonds beständig, und dieser erhält ihm gegen- über nie die Form von einem Dritten für seine Arbeit vorgeschoßner Zahlungsmittel. Im Ersatz erhält auch niemals seine unbezahlte Zwangsar- beit die Form freiwilliger und bezahlter Arbeit. Wenn morgen der Gutsherr den Acker, das Zugvieh, die Samen, kurz die Produktionsmittel des Frohn- bauern sich selbst aneignet, so hat dieser von nun an seine Arbeitskraft an den Frohnherrn zu verkaufen. Unter sonst gleichbleibenden Umständen wird er nach wie vor 6 Tage in der Woche arbeiten, 3 Tage für sich selbst, 3 für den Exfrohnherrn, der jetzt in einen Lohnherrn verwandelt ist. Er wird nach wie vor die Produktionsmittel als Produktionsmittel vernutzen und 3) "When capital is employed in advancing to the workman his wages, it adds nothing to the funds for the maintenance of labour." (Cazenove in Note zu seiner ed. von Malthus': ,,Defini- tions in Polit. Econ. London 1853", p. 22.) 508 Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion ihren Werth auf das Produkt übertragen. Nach wie vor wird ein bestimmter Theil des Produkts in die Reproduktion eingehn. Wie aber die Frohnarbeit die Form der Lohnarbeit, nimmt der vom Frohnbauer nach wie vor produ- c e t e und reproducirte Arbeitsfonds die Form eines ihm vom Frohnherrn vorgeschoßnen Kapitals an. Der bürgerliche Oekonom, dessen beschränk- tes Hirn die Erscheinungsform von dem, was darin erscheint, nicht trennen kann, schließt die Augen vor der Thatsache, daß selbst noch heutzutag der Arbeitsfonds nur ausnahmsweis auf dem Erdrund in der Form von Kapital auftritt 4). Allerdings verliert das variable Kapital nur den Sinn eines aus dem eignen Fonds des Kapitalisten vorgeschoßnen Werthes 4 a), sobald wir den kapitalistischen Produktionsproceß im beständigen Fluß seiner Erneue- rung betrachten. Aber er muß doch irgendwo und irgendwann anfangen. Von unsrem bisherigen Standpunkt ist es daher wahrscheinlich, daß der Kapitalist irgend einmal durch ||532| irgend eine, von unbezahlter fremder Arbeit unabhängige, ursprüngliche Akkumulation Geldbesitzer ward, und daher den Markt als Käufer von Arbeitskraft beschreiten konnte. Indeß be- wirkt die bloße Kontinuität des kapitalistischen Produktionsprocesses, oder die einfache Reproduktion, noch andre sonderbare Wechsel, die nicht nur den variablen Kapitaltheil ergreifen, sondern das Gesammtkapital. Beträgt der mit einem Kapital von 1000 Pfd. St. periodisch, z.B. jährlich, erzeugte Mehrwerth 200 Pfd. St. und wird dieser Mehrwerth jährlich ver- zehrt, so ist es klar, daß nach fünfjähriger Wiederholung desselben Proces- ses die Summe des verzehrten Mehrwerths = 5 x 200 ist oder gleich dem ursprünglich vorgeschoßnen Kapitalwerth von 1000 Pfd. St. Würde der jährliche Mehrwerth nur theilweis verzehrt, z . B . nur zur Hälfte, so ergäbe sich dasselbe Resultat nach zehnjähriger Wiederholung des Produktions- processes, denn 10 x 100 = 1000. Allgemein: Der vorgeschoßne Kapital- werth, dividirt durch den jährlich verzehrten Mehrwerth, ergibt die Jahres- anzahl oder die Anzahl von Reproduktionsperioden, nach deren Ablauf das ursprünglich vorgeschoßne Kapital vom Kapitalisten aufgezehrt und daher verschwunden ist. Die Vorstellung des Kapitalisten, daß er das Pro- dukt der fremden unbezahlten Arbeit, den Mehrwerth, verzehrt und den ursprünglichen Kapitalwerth erhält, kann absolut nichts an der Thatsache ändern. Nach Abfluß einer gewissen Jahreszahl ist der von ihm geeignete 4) „Die Subsistenzmittel der Arbeiter werden noch nicht auf einem Viertel der Erde den Ar- beitern durch Kapitalisten vorgeschossen." (Richard Jones: „Textbook of Lectures on the Polit. Economy of Nations". Hertford 1852, p. 36.) 4 a ) "Though the manufacturer (i.e. Manufakturarbeiter) has his wages advanced to him by his master, he in reality costs him no expense, the value of these wages being generally reserved, together with a profit, in the improved value of the subject upon which his labour is be- stowed." (A. Smith 1. c. Book II, ch. III, p. 355.) 509 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Kapitalwerth gleich der Summe des während derselben Jahreszahl ohne Aequivalent angeeigneten Mehrwerths, und die von ihm verzehrte Werth- summe gleich dem ursprünglichen Kapitalwerth. Allerdings behält er in der Hand ein Kapital, dessen Größe sich nicht verändert hat, wovon ein Theil, Gebäude, Maschinen u. s. w. bereits vorhanden war, als er sein Ge- schäft in Gang brachte. Aber hier handelt es sich vom Werth des Kapitals und nicht von seinen materiellen Bestandteilen. Wenn Jemand sein gan- zes Besitzthum aufzehrt dadurch, daß er Schulden aufnimmt, die dem Werth dieses Besitzthums gleichkommen, so repräsentirt eben das ganze Besitzthum nur die Gesammtsumme seiner Schulden. Und ebenso, wenn 10 der Kapitalist das Aequivalent seines vorgeschoßnen Kapitals aufgezehrt hat, repräsentirt der Werth dieses Kapitals nur noch die Gesammtsumme des von ihm unentgeltlich angeeigneten Mehrwerths. Kein Werthatom sei- nes alten Kapitals existirt fort. 5 Ganz abgesehn von aller Akkumulation verwandelt also die bloße Konti- 15 nuität des Produktionsprocesses, oder die einfache Re||533|produktion, nach kürzerer oder längerer Periode, jedes Kapital nothwendig in akkumu- lirtes Kapital oder kapitalisirten Mehrwerth. War es selbst bei seinem Ein- tritt in den Produktionsproceß persönlich erarbeitetes Eigenthum seines Anwenders, früher oder später wird es ohne Aequivalent angeeigneter 20 Werth oder Materiatur, ob in Geldform oder anders, unbezahlter fremder Arbeit. Wir sahen im vierten Kapitel: Um Geld in Kapital zu verwandeln, ge- nügte nicht das Vorhandensein von Werthproduktion und Waarencircula- tion. Es mußten erst, hier Besitzer von Werth oder Geld, dort Besitzer der 25 werthschaffenden Substanz; hier Besitzer von Produktions- und Lebens- mitteln, dort Besitzer von nichts als Arbeitskraft, einander als Käufer und Verkäufer gegenübertreten. Scheidung zwischen dem Arbeitsprodukt und der Arbeit selbst, zwischen den objektiven Arbeitsbedingungen und der subjektiven Arbeitskraft, war also die thatsächlich gegebne Grundlage, der 30 Ausgangspunkt des kapitalistischen Produktionsprocesses. Was aber Anfangs nur Ausgangspunkt war, wird vermittelst der bloßen Kontinuität des Processes, der einfachen Reproduktion, stets aufs Neue producirt und verewigt als eignes Resultat der kapitalistischen Produktion. Einerseits verwandelt der Produktionsproceß fortwährend den stofflichen 35 Reichthum in Kapital, in Verwerthungs- und Genußmittel für den Kapita- listen. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Proceß heraus, wie er in ihn eintrat - persönliche Quelle des Reichthums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichthum für sich zu verwirklichen. Da vor sei- nem Eintritt in den Proceß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet, dem 40 Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständ- 510 Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion 5 10 licht sie sich während des Processes beständig in fremdem Produkt. Da der Produktionsproceß zugleich der Konsumtionsproceß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Waare, sondern in Kapital, Werth, der die werthschöp- fende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmit- tel, die den Producenten anwenden 5). Der Arbeiter selbst producirt daher beständig den objektiven Reichthum als Kapital, ihm fremde, ihn beherr- schende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist producirt ebenso be- ständig die Arbeitskraft als ||534| subjektive, von ihren eignen Vergegen- ständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existirende Reichthumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter 6). Diese beständige Reproduktion oder Verewi- gung des Arbeiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produk- tion. 15 Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumirt er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Werth als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Dieß ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits ver- 20 wendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Le- bensmittel: dieß ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapita- listen; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen 25 außerhalb des Produktionsprocesses. Das Resultat der einen ist das Leben des Kapitalisten, das der andern ist das Leben des Arbeiters selbst. Bei Betrachtung des „Arbeitstags" u. s. w. zeigte sich gelegentlich, daß der Arbeiter oft gezwungen ist, seine individuelle Konsumtion zu einem bloßen Incident des Produktionsprocesses zu machen. In diesem Fall setzt 30 er sich Lebensmittel zu, um seine Arbeitskraft im Gang zu halten, wie der Dampfmaschine Kohle und Wasser, dem Rad OeI zugesetzt wird. Seine Konsumtionsmittel sind dann bloß Konsumtionsmittel eines Produktions- mittels, seine individuelle Konsumtion direkt produktive Konsumtion. 5) „Das ist eine besonders merkwürdige Eigenschaft der produktiven Konsumtion. Was pro- 35 duktiv konsumirt wird, ist Kapital und es wird Kapital durch die Konsumtion." (James Mill I.e. p.242.) J.Mill ist jedoch dieser „besonders merkwürdigen Eigenschaft" nicht auf die Spur gekommen. 6) "It is true indeed that the first introducing a manufacture emploies many poor, but they cease not to be so, and the continuance of it makes many." (,,Reasons for a limited Exporta- tion of Wool. Lond. 1677", p. 19.) "The farmer now absurdly asserts, that he keeps the poor. They are indeed kept in misery." (,,Reasons for the late Increase of the Poor Rates: or a com- parative view of the prices of labour and provisions. Lond. 1777", p. 31.) 40 511 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Dieß erscheint jedoch als ein dem kapitalistischen Produktionsproceß un- wesentlicher Mißbrauch 7). 5 Anders sieht die Sache aus, sobald wir nicht den einzelnen Kapitalisten und den einzelnen Arbeiter betrachten, sondern die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse, nicht den vereinzelten Produktionsproceß der Waare, sondern den kapitalistischen Produktionsproceß in seinem Fluß und in sei- nem gesellschaftlichen ||535| Umfang. - Wenn der Kapitalist einen Theil seines Kapitals in Arbeitskraft umsetzt, verwertet er damit sein Gesammt- kapital. Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Er profitirt nicht nur von dem, was er vom Arbeiter empfängt, sondern auch von dem, was er ihm 10 gibt. Das im Austausch gegen Arbeitskraft veräußerte Kapital wird in Le- bensmittel verwandelt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel, Nerven, Knochen, Hirn vorhandner Arbeiter zu reproduciren und neue Arbeiter zu zeugen. Innerhalb der Grenzen des absolut Nothwendigen ist daher die in- dividuelle Konsumtion der Arbeiterklasse Rückverwandlung der vom Kapi- 15 tal gegen Arbeitskraft veräußerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploi- tirbare Arbeitskraft. Sie ist Produktion und Reproduktion des dem Kapitalisten unentbehrlichsten Produktionsmittels, des Arbeiters selbst. Die individuelle Konsumtion des Arbeiters bleibt also ein Moment der Produktion und Reproduktion des Kapitals, ob sie innerhalb oder außer- 20 halb der Werkstatt, Fabrik u.s.w., innerhalb oder außerhalb des Arbeitspro- cesses vorgeht, ganz wie die Reinigung der Maschine, ob sie während des Arbeitsprocesses oder bestimmter Pausen desselben geschieht. Es thut nichts zur Sache, daß der Arbeiter seine individuelle Konsumtion sich selbst und nicht dem Kapitalisten zu lieb vollzieht. So bleibt der Konsum 25 des Lastviehs nicht minder ein notwendiges Moment des Produktionspro- cesses, weil das Vieh selbst genießt, was es frißt. Die beständige Erhaltung und Reproduktion der Arbeiterklasse bleibt beständige Bedingung für die Reproduktion des Kapitals. Der Kapitalist kann ihre Erfüllung getrost dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassen. Er sorgt 30 nur dafür, ihre individuelle Konsumtion möglichst auf das Nothwendige einzuschränken, und ist himmelweit entfernt von jener süd-amerikani- schen Roheit, die den Arbeiter zwingt, substantiellere statt weniger sub- stantieller Nahrungsmittel einzunehmen 8). 7) Rossi würde nicht so emphatisch diesen Punkt verdeklamiren, wäre er wirklich in das Ge- 35 heimniß der ,,productive consumption" eingedrungen. 8) „Die Arbeiter in den Bergwerken Südamerika^, deren tägliches Geschäft (das schwerste vielleicht in der Welt) darin besteht, eine Last Erz, im Gewicht von 180-200 Pfund, aus einer Tiefe von 450 Fuß auf ihren Schultern zu Tage zu fördern, leben nur noch von Brod und Boh- nen; sie würden das Brod allein zur Nahrung vorziehn, allein ihre Herrn, welche gefunden ha- 40 ben, daß sie mit Brod nicht so stark arbeiten können, behandeln sie wie Pferde, und zwingen sie die Bohnen zu essen; die Bohnen sind aber verhältnißmäßig an Knochenerde weit reicher als das Brod." (Liebig 1. c. 1. Theil, p. 194, Note.) 512 Einundzwanzigstes Kapitel • Einfache Reproduktion Daher betrachtet auch der Kapitalist und sein Ideolog, der politische Oe- konom, nur den Theil der individuellen Konsumtion des ||536| Arbeiters als produktiv, der zur Verewigung der Arbeiterklasse erheischt ist, also in der That verzehrt werden muß, damit das Kapital die Arbeitskraft verzehre; 5 was der Arbeiter außerdem zu seinem Vergnügen verzehren mag, ist unpro- duktive Konsumtion 9). Würde die Akkumulation des Kapitals eine Erhö- hung des Arbeitslohns und daher Vermehrung der Konsumtionsmittel des Arbeiters verursachen ohne Konsum von mehr Arbeitskraft durch das Ka- pital, so wäre das zuschüssige Kapital unproduktiv konsumirt 1 0). In der 10 That: die individuelle Konsumtion des Arbeiters ist für ihn selbst unpro- duktiv, denn sie reproducirt nur das bedürftige Individuum; sie ist produk- tiv für den Kapitalisten und den Staat, denn sie ist Produktion der den fremden Reichthum producirenden Kraft 1 1). Von gesellschaftlichem Standpunkt ist also die Arbeiterklasse, auch au- 15 ßerhalb des unmittelbaren Arbeitsprocesses, ebenso sehr Zubehör des Ka- pitals als das todte Arbeitsinstrument. Selbst ihre individuelle Konsumtion ist innerhalb gewisser Grenzen nur ein Moment des Reproduktionsproces- ses des Kapitals. Der Proceß aber sorgt dafür, daß diese selbstbewußten Produktionsinstrumente nicht weglaufen, indem er ihr Produkt beständig 20 von ihrem Pol zum Gegenpol des Kapitals entfernt. Die individuelle Kon- sumtion sorgt einerseits für ihre eigne Erhaltung und Reproduktion, and- rerseits durch Vernichtung der Lebensmittel für ihr beständiges Wiederer- scheinen auf dem Arbeitsmarkt. Der römische Sklave war durch Ketten, der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Fäden an seinen Eigenthümer ge- 25 bunden. Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den beständigen Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris des Kontrakts aufrecht erhalten. Früher machte das Kapital, wo es ihm nöthig schien, sein Eigenthums- recht auf den freien Arbeiter durch Zwangsgesetz geltend. So war z . B . die 30 Emigration der Maschinenarbeiter in England bis 1815 bei schwerer Strafe verboten. | |537| Die Reproduktion der Arbeiterklasse schließt zugleich die Ueber- lieferung und Häufung des Geschicks von einer Generation zur andren 35 9) James Mill 1. c. p. 238 sqq. 1 0 ) „Stiege der Preis der Arbeit so hoch, daß trotz des Zuwachses von Kapital nicht mehr Ar- beit angewandt werden könnte, so würde ich sagen, daß solcher Zuwachs von Kapital unpro- duktiv konsumirt wird". (Ricardo 1. c. p. 163.) n) „Die einzig produktive Konsumtion im eigentlichen Sinn ist die Konsumtion oder Zerstö- rung von Reichthum (er meint den Verbrauch der Produktionsmittel) durch Kapitalisten zum 40 Zwecke der Reproduktion ... Der Arbeiter .... ist ein produktiver Konsument für die Person, die ihn anwendet, und für den Staat, aber, genau gesprochen, nicht für sich selbst." (Malthus: ,,Definitions etc.", p. 30.) 513 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals e i n 1 2 ) . Wie sehr der Kapitalist das Dasein einer solchen geschickten Arbei- terklasse unter die ihm zugehörigen Produktionsbedingungen zählt, sie in der That als die reale Existenz seines variablen Kapitals betrachtet, zeigt sich, sobald eine Krise deren Verlust androht. In Folge des amerikanischen Bürgerkriegs und der ihn begleitenden Baumwollnoth wurde bekanntlich die Mehrzahl der Baumwollarbeiter in Lancashire u. s. w. aufs Pflaster ge- worfen. Aus dem Schoß der Arbeiterklasse selbst, wie andrer Gesellschafts- schichten, erhob sich der R u f nach Staatsunterstützung oder freiwilliger Nationalkollekte, um die Emigration der „Ueberflüssigen" in englische Ko- lonien oder die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Damals veröffent- 10 lichte die Times (24. März 1863) einen Brief von Edmund Potter, früher Präsident der Manchester Handelskammer. Sein Brief ward mit Recht im Unterhaus als „das Manifest der Fabrikanten" bezeichnet 1 3). Wir geben hier einige charakteristische Stellen, worin der Eigenthumstitel des Kapi- tals auf die Arbeitskraft unverblümt ausgesprochen wird. 15 5 20 „Den Baumwollarbeitern mag gesagt werden, daß ihre Zufuhr zu groß ist .... sie müsse vielleicht um ein Drittheil reducirt werden, und dann würde eine gesunde Nachfrage für die übrigen zwei Drittheile eintreten .... Die öffentliche Meinung dringt auf Emigration .... Der Meister (d. h. der Baumwollfabrikant) kann nicht willig seine Arbeitszufuhr entfernt sehn; er mag denken, daß das ebenso ungerecht als unrichtig ist .... Wenn die Emi- gration aus öffentlichen Fonds unterstützt wird, hat er ein Recht, Gehör zu verlangen und vielleicht zu protestiren." Selbiger Potter setzt dann weiter aus einander, wie nützlich die Baumwollindustrie, wie „sie unzweifelhaft die Bevölkerung aus Irland und den englischen Agrikulturdistrikten weg- 25 drainirt hat", wie ungeheuer ihr Umfang, wie sie im Jahr 1860 5/ 1 3 des gan- zen englischen Exporthandels lieferte, wie sie nach wenigen Jahren sich wieder ausdehnen werde durch Erweiterung des Markts, besonders Indiens, und durch Er||538|zwingung hinreichender „Baumwollzufuhr, zu 6 d. das Pfund". Er fährt dann fort: „Zeit - eins, zwei, drei Jahre vielleicht - wird 30 die nöthige Quantität produciren .... Ich möchte dann die Frage stellen, ist diese Industrie werth, sie festzuhalten, ist es der Mühe werth, die Maschi- nerie (nämlich die lebendigen Arbeitsmaschinen) in Ordnung zu halten, und ist es nicht die größte Narrheit, daran zu denken, sie aufzugeben! Ich glaube das. Ich will zugeben, daß die Arbeiter nicht Eigenthum sind ("I al- 35 low that the workers are not a property"), nicht das Eigenthum Lancashire's 1 2 ) „Das einzige Ding, wovon man sagen kann, daß es aufgespeichert und vorher präparirt ist, ist das Geschick des Arbeiters ... Die Akkumulation und Aufspeicherung geschickter Arbeit, diese wichtigste Operation wird, was die große Masse der Arbeiter betrifft, ohne irgend wel- ches Kapital vollbracht." (Hodgskin: „Labour Defended etc.", p. 12, 13.) 1 3 ) "That letter might be looked upon as the manifesto of the manufacturers." (Ferrand: Mo- tion über den cotton famine, Sitzung des Η. ο. C vom 27. April 1863.) 40 514 Einundzwanzigstes Kapitel · Einfache Reproduktion und der Meister; aber sie sind die Stärke beider; sie sind die geistige und geschulte Kraft, die in einer Generation nicht ersetzt werden kann; die an- dere Maschinerie dagegen, woran sie arbeiten (,,the mere machinery which they work"), könnte zum großen Theil mit Vortheil ersetzt und verbessert 5 werden in zwölf Monaten 1 4). Ermuntert oder erlaubt (!) die Emigration der Arbeitskraft, und was wird aus dem Kapitalisten? ("Encourage or allow the working power to emigrate, and what of the capitalist?" Dieser Herzensstoß erinnert an Hofmarschall Kalb.) ... Nehmt den Rahm der Arbeiter weg, und das fixe Kapital wird in hohem Grade entwerthet und das cirkulirende 10 Kapital wird sich nicht dem Kampf mit schmaler Zufuhr einer niedrigeren Sorte von Arbeit aussetzen .... Man sagt uns, die Arbeiter selbst wünschen die Emigration. Es ist sehr natürlich, daß sie das thun .... Reducirt, kom- primirt das Baumwollgeschäft durch Wegnahme seiner Arbeitskräfte (by taking away its working power), durch Verminderung ihrer Lohnverausga- 15 bung sage um % oder 5 Millionen, und was wird dann aus der nächsten Klasse über ihnen, den Kleinkrämern? Was aus den Grundrenten, was aus der Miethe der cottages? ... was aus dem kleinen Pächter, dem besseren Hausbesitzer und dem Grundeigenthümer? Und sagt nun, ob irgend ein | |539| Plan für alle Klassen des Landes selbstmörderischer sein kann als die- ser, die Nation zu schwächen durch den Export ihrer besten Fabrikarbeiter und die Entwerthung eines Theils ihres produktivsten Kapitals und Reich- thums?" „Ich rathe zu einer Anleihe von 5 bis 6 Millionen, über 2 oder 3 Jahre vertheilt, administrirt durch Specialkommissäre, beigeordnet den Armenverwaltungen in den Baumwolldistrikten, unter speciellen gesetzli- chen Regulationen, mit gewisser Zwangsarbeit, um die moralische Valuta .... Kann es irgend etwas der Almosenempfänger aufrecht zu erhalten Schlimmeres geben für Grundeigenthümer oder Meister (,,can anything be worse for landowners or masters") als ihre besten Arbeiter aufzugeben und die übrigbleibenden zu demoralisiren und zu verstimmen durch eine aus- 30 gedehnte entleerende Emigration und Entleerung von Werth und Kapital 25 20 in einer ganzen Provinz?" Potter, das auserwählte Organ der Baumwollfabrikanten, unterscheidet 1 4 ) Man erinnert sich, daß dasselbe Kapital aus einem andren Loch pfeift unter gewöhnlichen Umständen, wenn es gilt, den Arbeitslohn herabzusetzen. Dann erklären „die Meister" aus 35 einem Munde (sieh Vierter Abschnitt, Note 188, S. 389): „Fabrikarbeiter sollten in heilsamer Erinnerung halten, daß ihre Arbeit in der That eine sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist; daß keine leichter aneigenbar und in Anbetracht ihrer Qualität besser belohnt ist, daß keine durch kurze Unterweisung des mindest Erfahrnen in so kurzer Zeit und in solchem Ueberfluß zugeführt werden kann. Des Meisters Maschinerie (die, wie wir jetzt hören, in 12 Monaten 40 mit Vortheil und verbessert ersetzt werden kann) spielt in der That eine viel wichtigere Rolle in dem Geschäft der Produktion als die Arbeit und das Geschick des Arbeiters (die jetzt in 30 Jahren nicht ersetzbar sind), die eine Erziehung von 6 Monaten lehren und jeder Bauern- knecht lernen kann." 515 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals doppelte „Maschinerie", deren jede dem Kapitalisten gehört, und wovon die eine in seiner Fabrik steht, die andre des Nachts und Sonntags auswär- tig in cottages haust. Die eine ist todt, die andre lebendig. Die todte Ma- schinerie verschlechtert und entwerthet sich nicht nur jeden Tag, sondern von ihrer existirenden Masse veraltet ein großer Theil durch den steten 5 technischen Fortschritt beständig so sehr, daß sie vortheilhaft und in weni- gen Monaten durch neuere Maschinerie ersetzbar. Die lebendige Maschi- nerie verbessert sich umgekehrt, je länger sie währt, je mehr sie das Ge- schick von Generationen in sich aufhäuft. Die Times antwortete dem Fabrikmagnaten u.a.: 1 0 „Herr E. Potter ist so impressionirt von der außerordentlichen und abso- 15 luten Wichtigkeit der ßaumwollmeister, daß er, um diese Klasse zu erhal- ten und ihr Metier zu verewigen, eine halbe Million der Arbeiterklasse wi- der ihren Willen in ein großes moralisches Workhouse einsperren will. Ist diese Industrie werth, sie festzuhalten? fragt Herr Potter. Sicher, durch alle ehrbaren Mittel, antworten wir. Ist es der Mühe werth, die Maschinerie in Ordnung zu halten? fragt wieder Herr Potter. Hier stutzen wir. Unter der Maschinerie versteht Herr Potter die menschliche Maschinerie, denn er betheuert, daß er sie nicht als absolutes Eigenthum zu behandeln vorhat. Wir müssen gestehn, wir halten es nicht ,der Mühe werth' oder selbst für 20 möglich, die menschliche Maschinerie in Ordnung zu halten, d. h. sie ein- zusperren und einzuölen, bis man ihrer bedarf. Menschliche Maschinerie hat die Eigenschaft, während der Unthätigkeit zu verrosten, ihr mögt noch soviel dran ||540| ölen oder reiben. Zudem ist menschliche Maschinerie, wie der Augenschein uns eben lehrt, im Stand, von eignen Stücken den 25 Dampf anzulassen und zu platzen oder einen Veitstanz in unsren großen Städten zu tollen. Es mag, wie Herr Potter sagt, längere Zeit zur Reproduk- tion der Arbeiter erheischt sein, aber mit Maschinisten und Geld zur Hand werden wir stets betriebsame, harte, industrielle Männer finden, um daraus mehr Fabrikmeister zu fabriciren, als wir je verbrauchen können.... Herr 30 Potter plaudert von einer Wiederbelebung der Industrie in 1, 2, 3 Jahren und verlangt von uns, die Emigration der Arbeitskraft nicht zu ermuntern oder nicht zu erlauben! Er sagt, es sei natürlich, daß die Arbeiter zu emi- griren wünschen, aber er meint, daß die Nation diese halbe Million Arbei- ter mit den 700 000, die an ihnen hängen, ihrem Verlangen zum Trotz in 35 die Baumwolldistrikte einsperren und, eine nothwendige Konsequenz, ihr Mißvergnügen durch Gewalt niederschlagen und sie selbst durch Almosen fristen muß, alles das auf die Chance hin, daß die Baumwollmeister ihrer an einem beliebigen Tag wieder bedürfen mögen.... Die Zeit ist gekom- men, wo die große öffentliche Meinung dieser Eilande etwas thun muß, 40 um ,diese Arbeitskraft' vor denen zu retten, die sie behandeln wollen, wie 516 Einundzwanzigstes Kapitel · Einfache Reproduktion sie Kohle, Eisen und Baumwolle behandeln" (,,to save this ,working power4 from those who would deal with it as they deal with iron, coal and cot- t o n " . ) 1 5 ) Der Times-Artikel war nur ein jeu d'esprit. Die „große öffentliche Mei- 5 nung" war in der That der Meinung des Herrn Potter, daß die Fabrikarbei- ter Mobiliarzubehör der Fabriken. Ihre Emigration wurde verhindert 1 6). Man sperrte sie in das „moralische Workhouse" der Baumwolldistrikte, und sie bilden nach wie vor „die Stärke (the strength) der Baumwollmeister von Lancashire". 10 Der kapitalistische Produktionsproceß reproducirt also durch seinen eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und ||541| Arbeitsbe- dingungen. Er reproducirt und verewigt damit die Exploitationsbedingun- gen des Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Kapitalisten zu 15 ihrem Kauf, um sich zu bereichern 1 7). Es ist nicht mehr der Zufall, welcher Kapitalist und Arbeiter als Käufer und Verkäufer einander auf dem Waa- renmarkt gegenüberstellt. Es ist die Zwickmühle des Processes selbst, die den Einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Waarenmarkt zu- rückschleudert und sein eignes Produkt stets in das Kaufmittel des Andren 20 verwandelt. In der That gehört der Arbeiter dem Kapital, bevor er sich dem Kapitalisten verkauft. Seine ökonomische Hörigkeit 1 8) ist zugleich vermit- 1 5 ) Times, 24. March 1863. 1 6 ) Das Parlament votirte keinen Farthing für Emigration, sondern nur Gesetze, welche die Municipalitäten befähigten, die Arbeiter zwischen Leben und Sterben zu halten oder sie zu 25 exploitiren, ohne Zahlung von Normallöhnen. Als dagegen drei Jahre später die Rinderseuche ausbrach, durchbrach das Parlament wild sogar die parlamentarische Etiquette und votirte im Umsehn Millionen zur Schadloshaltung der Millionäre von Landlords, deren Pächter sich oh- nehin durch Steigerung der Fleischpreise schadlos hielten. Das bestiale Gebrüll der Grundei- genthümer bei Eröffnung des Parlaments von 1866 bewies, daß man nicht Hindu zu sein 30 braucht, um die Kuh Sabala anzubeten, noch Jupiter, um sich in einen Ochsen zu verwan- deln. 1 7 ) «L'ouvrier demandait de la subsistance pour vivre, le chef demandait du travail pour ga- gner.» (Sismondi I.e. p.91.) 1 8 ) Eine bäuerlich plumpe Form dieser Hörigkeit existirt in der Grafschaft Durham. Es ist 35 dieß eine der wenigen Grafschaften, worin die Verhältnisse dem Pächter nicht unbestrittnen Eigenthumstitel auf die Ackerbautaglöhner sichern. Die Bergwerkindustrie erlaubt letzteren eine Wahl. Der Pächter, im Gegensatz zur Regel, übernimmt hier daher nur Pacht von Lände- reien, worauf sich cottages für die Arbeiter befinden. Der Miethpreis der cottage bildet Theil des Arbeitslohns. Diese cottages heißen ,,hind's houses". Sie werden den Arbeitern unter ge- 40 wissen Feudalverpflichtungen vermiethet, unter einem Vertrag, der ,,bondage" (Hörigkeit) heißt und den Arbeiter z. B. bindet, für die Zeit, während deren er anderswo beschäftigt ist, seine Tochter u.s.w. zu stellen. Der Arbeiter selbst heißt bondsman, Höriger. Dieß Verhältniß zeigt auch die individuelle Konsumtion des Arbeiters als Konsumtion für das Kapital oder produktive Konsumtion - von einer ganz neuen Seite: „Es ist merkwürdig zu beobachten, wie selbst der Koth dieses bondsman zu den Sportein an seinen kalkulirenden Gebieter zählt .... Der Pächter erlaubt in der ganzen Nachbarschaft keinen Abtritt außer seinem eignen und dul- det in dieser Beziehung keinen Abschlag von seinen Suzerainrechten." („Public Health. VII. Rep. 1864", p. 188.) 45 517 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals telt und zugleich versteckt durch die periodische Erneurung seines Selbst- verkaufs, den Wechsel seiner individuellen Lohnherrn und die Oscillation im Marktpreise der Arbeit 1 9). Der kapitalistische Produktionsproceß, im Zusammenhang betrachtet, oder als Reproduktionsproceß, producirt also nicht nur Waare, nicht nur Mehrwerth, er producirt und reproducirt das Kapitalverhältniß selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der andren den Lohnarbeiter 2 0). | 5 |542| ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL. Verwandlung von Mehrwerth in Kapital. 1. Kapitalistischer Produktionsproceß auf erweiterter Stufenleiter. Umschlag der Eigenthumsgesetze der Waarenproduktion in Gesetze der kapitalistischen Aneignung. 10 Früher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwerth aus dem Kapital, jetzt wie das Kapital aus dem Mehrwerth entspringt. Anwendung von Mehr- werth als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwerth in Kapital heißt 15 Akkumulation des Kapitals 2 1). Betrachten wir diesen Vorgang zunächst vom Standpunkt des einzelnen Kapitalisten. Ein Spinner z . B . habe ein Kapital von 10 000 Pfd. St. vorge- schossen, wovon vier Fünftel in Baumwolle, Maschinen etc., das letzte Fünftel in Arbeitslohn. Er producire jährlich 240 000 Pfd. Garn zum Wert 20 von 12 000 Pfd. St. Bei einer Rate des Mehrwerths von 100 % steckt der Mehrwerth im Mehrprodukt oder Nettoprodukt von 40 000 Pfd. Garn, einem Sechstel des Bruttoprodukts, zum Werth von 2000 Pfd. Sterling, den der Verkauf realisiren wird. Eine Werthsumme von 2000 Pfd. St. ist eine Werthsumme von 2000 Pfd. St. Man riecht und sieht diesem Gelde nicht 25 1 9 ) Man erinnert sich, daß bei der Arbeit der Kinder u. s. w. selbst die Formalität des Selbst- verkaufs verschwindet. 2 0 ) „Das Kapital setzt die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus. Sie bedingen sich wechselseitig, sie bringen sich wechselseitig hervor. Ein Arbeiter in einer Baumwollfa- brik, producirt er nur Baumwollstoffe? Nein, er producirt Kapital. Er producirt Werthe, die von neuem dazu dienen, seine Arbeit zu kommandiren, und vermittelst derselben neue Werthe zu schaffen." (Karl Marx: „Lohnarbeit und Kapital" in N. Rh. Z. Nr. 266, 7. April 1849.) Die unter diesem Titel in der N. Rh. Z. veröffentlichten Artikel sind Bruchstücke der Vorlesungen, die ich über jenes Thema 1847 im deutschen Arbeiterverein zu Brüssel hielt und deren Druck durch die Februarrevolution unterbrochen wurde. 2 1 ) ,,Accumulation of Capital: the employment of a portion of revenue as capital." (Malthus: ,,Definitions etc." ed. Cazenove p. 11.) ,,Conversion of revenue into Capital". (Malthus: „Princ. of Pol. Econ. 2nd ed. Lond. 1836", p. 320.) 30 35 518 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital an, daß es Mehrwerth ist. Der Charakter eines Werths als Mehrwerth zeigt, wie er zu seinem Eigner kam, ändert aber nichts an der Natur des Werths oder des Geldes. Um die neu hinzugekommne Summe von 2000 Pfd. St. in Kapital zu 5 verwandeln, wird also der Spinner, alle andern Umstände gleichbleibend, vier Fünftel davon vorschießen im Ankauf von Baumwolle u. s.w. und ein Fünftel im Ankauf neuer Spinnarbeiter, die auf dem Markte die Lebens- mittel finden werden, deren Werth er ihnen vorgeschossen hat. Dann fun- girt das neue Kapital von ||543| 2000 Pfd. St. in der Spinnerei und bringt 10 seinerseits einen Mehrwerth von 400 Pfd. ein. Der Kapitalwerth war ursprünglich vorgeschossen in Geldform; der Mehrwerth dagegen existirt von vornherein als Werth eines bestimmten Theils des Bruttoprodukts. Wird dieses verkauft, in Geld verwandelt, so ge- winnt der Kapitalwerth seine ursprüngliche Form wieder, aber der Mehr- 15 werth verwandelt seine ursprüngliche Daseinsweise. Von diesem Augen- blick an sind jedoch Kapitalwerth und Mehrwerth beides Geldsummen, und ihre Wiederverwandlung in Kapital vollzieht sich auf ganz dieselbe Weise. Die eine wie die andre legt der Kapitalist an im Ankauf der Waa- ren, die ihn in Stand setzen, die Verfertigung seines Artikels von Neuem zu beginnen und zwar dießmal auf erweiterter Stufenleiter. Um aber diese Waaren zu kaufen, muß er sie auf dem Markte vorfinden. 20 25 Seine eignen Garne cirkuliren nur, weil er sein Jahresprodukt auf den Markt bringt, wie das alle andern Kapitalisten mit ihren Waaren ebenfalls thun. Aber ehe sie auf den Markt kamen, hatten sie sich schon befunden im jährlichen Produktionsfonds, d.h. der Gesammtmasse der Gegenstände aller Art, worin die Gesammtsumme der Einzelkapitale oder das gesell- schaftliche Gesammtkapital im Laufe des Jahres sich verwandelt, und wo- von jeder Einzelkapitalist nur einen aliquoten Theil in Händen hat. Die Vorgänge auf dem Markt bewerkstelligen nur den Umsatz der einzelnen 30 Bestandtheile der Jahresproduktion, schicken sie von einer Hand in die andre, aber sie können weder die Gesammt-Jahresproduktion vergrößern noch die Natur der producirten Gegenstände ändern. Welcher Gebrauch also von dem jährlichen Gesammtprodukt gemacht werden kann, das hängt ab von seiner eignen Zusammensetzung, keineswegs aber von der Cirkula- tion. 35 Zunächst muß die Jahresproduktion alle die Gegenstände (Gebrauchs- werthe) liefern, aus denen die im Lauf des Jahres verbrauchten sachlichen Bestandtheile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser bleibt das Netto- oder Mehrprodukt, worin der Mehrwerth steckt. Und woraus besteht 40 dieß Mehrprodukt? Vielleicht in Dingen, bestimmt zur Befriedigung der Bedürfnisse und Gelüste der Kapitalistenklasse, die also in ihren Konsum- 519 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals tionsfonds eingehn? Wäre das Alles, so würde der Mehrwerth verjubelt bis auf die Hefen, und es fände bloß einfache Reproduktion statt. Um zu akkumuliren, muß man einen Theil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln. Aber, ohne Wunder zu thun, kann man nur solche Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsproceß ||544| verwendbar sind, d.h. Pro- duktionsmittel, und des Ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich er- halten kann, d. h. Lebensmittel. Folglich muß ein Theil der jährlichen Mehrarbeit verwandt worden sein. zur Herstellung zusätzlicher Produk- tions- und Lebensmittel, im Ueberschuß über das Quantum, das zum Er- satz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der 10 Mehrwerth ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Werth er ist, bereits die sachlichen Bestandtheile eines neuen Kapi- tals enthält. 2 1 a) 5 Um nun diese Bestandtheile thatsächlich als Kapital fungiren zu lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die 15 Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter extensiv oder intensiv wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Dafür hat der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, indem er die Arbeiterklasse reproducirt als vom Arbeitslohn abhängige Klasse, deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu si- 20 ehern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese, ihm durch die Arbeiterklasse auf verschiednen Altersstufen jährlich gelieferten, zuschüssigen Arbeits- kräfte braucht das Kapital nur noch den in der Jahresproduktion schon enthaltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Ver- wandlung des Mehrwerths in Kapital ist fertig. Konkret betrachtet, löst sich 25 die Akkumulation auf in Reproduktion des Kapitals auf progressiver Stu- fenleiter. Der Kreislauf der einfachen Reproduktion verändert sich und verwandelt sich, nach Sismondi's Ausdruck, in eine Spirale 2 1 b). Kehren wir jetzt zu unserm Beispiel zurück. Es ist die alte Geschichte: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob u.s.w. Das ursprüngliche Kapi- 30 tal von 10 000 Pfd. St. bringt einen Mehrwerth von 2000 Pfd. St. der kapita- lisirt wird. Das neue Kapital von 2000 Pfd. St. bringt einen Mehrwerth von 400 Pfd. St.; dieser, wiederum kapitalisirt, also in ein zweites zusätzliches Kapital verwandelt, bringt einen neuen Mehrwerth von 80 Pfd. St., u.s.w. | 21 a) Es wird hier abstrahirt vom Ausfuhrhandel, vermittelst dessen eine Nation Luxusartikel 35 in Produktions- oder Lebensmittel umsetzen kann und umgekehrt. Um den Gegenstand der Untersuchung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumständen aufzufassen, müssen wir hier die gesammte Handelswelt als eine Nation ansehn und voraussetzen, daß die kapitali- stische Produktion sich überall festgesetzt und sich aller Industriezweige bemächtigt hat. 2 1 b ) Sismondi's Analyse der Akkumulation hat den großen Fehler, daß er sich zu sehr mit der 40 Phrase: „Umsetzung von Revenue in Kapital" begnügt, ohne die materiellen Bedingungen dieser Operation zu ergründen. 520 Zweiundzwanzigstes Kapitel · Verwandlung von Mehrwert in Kapital |545| Wir sehen hier ab von dem vom Kapitalisten verzehrten Theil des Mehrwerths. Ebensowenig interessirt es uns für den Augenblick, ob die Zu- satzkapitale zum ursprünglichen Kapital geschlagen, oder von ihm zu selb- ständiger Verwerthung getrennt werden; ob derselbe Kapitalist sie aus- 5 nutzt, der sie akkumulirt hat, oder ob er sie Andern überträgt. Nur dürfen wir nicht vergessen, daß neben den neugebildeten Kapitalen das ursprüng- liche Kapital fortfährt sich zu reproduciren und Mehrwerth zu produciren, und daß dasselbe gilt von jedem akkumulirten Kapital in Beziehung auf das von ihm erzeugte Zusatzkapital. 10 Das ursprüngliche Kapital bildete sich durch den Vorschuß von 10 000 Pfd. St. Woher hat sie ihr Besitzer? Durch seine eigne Arbeit und die seiner Vorfahren! antworten uns einstimmig die Wortführer der politi- schen Oekonomie 2 1 0) und ihre Annahme scheint in der That die einzige, die zu den Gesetzen der Waarenproduktion stimmt. 15 Ganz anders verhält es sich mit dem Zusatzkapital von 2000 Pfd. St. Sei- nen Entstehungsproceß kennen wir ganz genau. Es ist kapitalisirter Mehr- werth. Von Ursprung an enthält er nicht ein einziges Werthatom, das nicht aus unbezahlter fremder Arbeit herstammt. Die Produktionsmittel, denen die zuschüssige Arbeitskraft einverleibt wird, wie die Lebensmittel, von de- 20 nen diese sich erhält, sind nichts als integrirende Bestandtheile des Mehr- produkts, des der Arbeiterklasse jährlich durch die Kapitalistenklasse ent- rissenen Tributs. Wenn diese mit einem Theil des Tributs von jener zusätzliche Arbeitskraft kauft, selbst zum vollen Preise, sodaß Aequivalent sich austauscht gegen Aequivalent - es bleibt immer das alte Verfahren 25 des Eroberers, der den Besiegten Waaren abkauft mit ihrem eignen, ge- raubten Geld. Wenn das Zusatzkapital seinen eignen Producenten beschäftigt, so muß dieser erstens fortfahren, das ursprüngliche Kapital zu verwerthen und zu- dem den Ertrag seiner früheren Arbeit zurückkaufen mit mehr Arbeit, als 30 er gekostet hat. Als Transaktion zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse betrachtet, ändert es nichts an der Sache, wenn mit der un- bezahlten Arbeit der bisher beschäftigten Arbeiter zuschüssige Arbeiter be- schäftigt werden. Der Kapitalist verwandelt vielleicht auch das Zusatzkapi- tal in eine Maschine, die den Producenten des Zusatzkapitals ||546| aufs 35 Pflaster wirft und durch ein paar Kinder ersetzt. In allen Fällen hat die Ar- beiterklasse durch ihre dießjährige Mehrarbeit das Kapital geschaffen, das im nächsten Jahr zuschüssige Arbeit beschäftigen wird 2 2). Das ist es, was man nennt: Kapital durch Kapital erzeugen. 21 c) «Le travail primitif auquel son capital a dû sa naissance.» Sismondi 1. c. éd. Paris, 1.1. 40 p. 109. 2 2 ) „Die Arbeit schafft das Kapital, bevor das Kapital die Arbeit anwendet." ("Labour creates capital, before capital employs labour.") E. G. Wakefield, „England and America. London 1833", v. II, p. 110. 521 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Die Voraussetzung der Akkumulation des ersten Zusatzkapitals von 2000 Pfd. St. war eine vom Kapitalisten vorgeschoßne, ihm Kraft seiner „ursprünglichen Arbeit" gehörige Werthsumme von 1 0 0 0 0 Pfd. St. Die Voraussetzung des zweiten Zusatzkapitals von 400 Pfd. St. dagegen ist nichts andres als die vorhergegangne Akkumulation des ersten, der 2000 Pfd. St., dessen kapitalisirter Mehrwerth es ist. Eigenthum an ver- gangner unbezahlter Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung für gegenwärtige Aneignung lebendiger unbezahlter Arbeit in stets wachsen- dem Umfang. Jemehr der Kapitalist akkumulirt hat, destomehr kann er ak- kumuliren. 5 10 Insofern der Mehrwerth, woraus Zusatzkapital Nr. I besteht, das Resultat des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Theil des Originalkapitals war, ein Kauf, der den Gesetzen des Waarenaustausches entsprach, und, juri- stisch betrachtet, nichts voraussetzt als freie Verfügung auf Seiten des Ar- beiters über seine eignen Fähigkeiten, auf Seiten des Geld- oder Waaren- 15 besitzers über ihm gehörige Werthe; sofern Zusatzkapital Nr.II u.s.w. bloß Resultat von Zusatzkapital Nr.I, also Konsequenz jenes ersten Verhältnis- ses; sofern jede einzelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des Waaren- austausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft, der Ar- beiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem 20 wirklichen Werth, schlägt offenbar das auf Waarenproduktion und Waa- rencirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des Privatei- genthums durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein di- rektes Gegentheil um. Der Austausch von Aequivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so gedreht, daß nur zum Schein 25 ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Ka- pitaltheil selbst nur ein Theil des ohne Aequivalent angeeigneten fremden Arbeitsproduktes ist, und zweitens von seinem Producenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß. Das Verhältniß des Austausches zwischen Kapitalist ||547| und Arbeiter wird 30 also nur ein dem Cirkulationsproceß angehöriger Schein, bloße Form, die dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystificirt. Der beständige Kauf und Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, daß der Kapita- list einen Theil der bereits vergegenständlichten fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Aequivalent aneignet, stets wieder gegen größeres 35 Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das Eigenthumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens mußte diese Annahme gelten, da sich nur gleichberechtigte Waarenbesitzer gegenüber- stehn, das Mittel zur Aneignung fremder Waare aber nur die Veräußerung der eignen Waare, und letztere nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigenthum 40 erscheint jetzt, auf Seite des Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte 522 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters, als Unmöglichkeit, sich sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigenthum und Arbeit wird zur nothwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging 2 3). 5 10 So sehr die kapitalistische Aneignungsweise also den ursprünglichen Ge- setzen der Waarenproduktion ins Gesicht zu schlagen scheint, so ent- springt sie doch keineswegs aus der Verletzung, sondern im Gegentheil aus der Anwendung dieser Gesetze. Ein kurzer Rückblick auf die Reihenfolge der Bewegungsphasen, deren Schlußpunkt die kapitalistische Akkumula- tion ist, stelle dieß nochmals klar. Zuerst haben wir gesehn, daß die ursprüngliche Verwandlung einer Werthsumme in Kapital sich durchaus gemäß den Gesetzen des Austau- sches vollzog. Der eine Kontrahent verkauft seine Arbeitskraft, der andre kauft sie. Der erstre empfängt den Werth seiner Waare, deren Gebrauchs- 15 werth - die Arbeit - damit an den zweiten veräußert ist. Dieser verwandelt nunmehr, ihm bereits gehörende, Produktionsmittel mit Hülfe von ihm ebenfalls gehörender Arbeit in ein neues Produkt, das ihm ebenfalls von Rechtswegen gehört. Der Werth dieses Produkts schließt ein: erstens den Werth der ver- 20 brauchten Produktionsmittel. Die nützliche Arbeit kann diese Produk- tionsmittel nicht verbrauchen ohne ihren Werth auf das ||548| neue Pro- dukt zu übertragen; um aber verkäuflich zu sein, muß die Arbeitskraft im Stande sein, in dem Industriezweig, wo sie verwandt werden soll, nützliche Arbeit zu liefern. 25 Der Werth des neuen Produkts schließt ferner ein: das Aequivalent des Werths der Arbeitskraft und einen Mehrwerth. Und zwar deßhalb, weil die für einen bestimmten Zeitraum, Tag, Woche etc., verkaufte Arbeitskraft weniger Werth besitzt als ihr Gebrauch während dieser Zeit schafft. Der Arbeiter aber hat den Tauschwerth seiner Arbeitskraft bezahlt erhalten und 30 hat damit ihren Gebrauchswerth veräußert - wie das bei jedem Kauf und Verkauf der Fall. Daß diese besondre Waare Arbeitskraft den eigenthümlichen Ge- brauchswerth hat, Arbeit zu liefern, also Werth zu schaffen, das kann das allgemeine Gesetz der Waarenproduktion nicht berühren. Wenn also die in Arbeitslohn vorgeschoßne Werthsumme sich in Produkt nicht bloß ein- fach wieder vorfindet, sondern um einen Mehrwerth vermehrt vorfindet, so 35 2 3 ) Das Eigenthum des Kapitalisten an dem fremden Arbeitsprodukt „ist strenge Konsequenz des Gesetzes der Aneignung, dessen Fundamentalprincip umgekehrt der ausschließliche Ei- genthumstitel jedes Arbeiters am Produkt seiner eignen Arbeit war". (Cherbuliez: „Riehe ou 40 Pauvre. Paris 1841", p. 58, wo jedoch dieser dialektische Umschlag nicht richtig entwickelt wird.) 523 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals rührt dieß nicht her aus einer Uebervortheilung des Verkäufers, der ja den Werth seiner Waare erhalten, sondern nur aus dem Verbrauch dieser Waare durch den Käufer. Das Gesetz des Austausches bedingt Gleichheit nur für die Tausch- werthe der gegen einander weggegebenen Waaren. Es bedingt sogar von vornherein Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerthe, und hat absolut nichts zu schaffen mit ihrem Verbrauch, der erst nach geschloßnem und vollzog- nem Handel beginnt. Die ursprüngliche Verwandlung des Geldes in Kapital vollzieht sich also im genauesten Einklang mit den ökonomischen Gesetzen der Waarenpro- duktion und mit dem daraus sich ableitenden Eigenthumsrecht. Trotzdem aber hat sie zum Ergebniß: 1) daß das Produkt dem Kapitalisten gehört und nicht dem Arbeiter; 2) daß der Werth dieses Produkts, außer dem Werth des vorgeschoßnen Kapitals, einen Mehrwerth einschließt, der dem Arbeiter Arbeit, dem Kapi- talisten aber nichts gekostet hat, und der dennoch das rechtmäßige Eigen- thum des Kapitalisten wird; 3) daß der Arbeiter seine Arbeitskraft forterhalten hat und sie aufs neue verkaufen kann, wenn er einen Käufer findet. Die einfache Reproduktion ist nur die periodische Wiederholung dieser ersten Operation; jedesmal wird, stets von neuem, Geld in Kapital verwan- delt. Das Gesetz wird also nicht gebrochen, im Gegentheil es erhält nur Gelegenheit sich dauernd zu bethätigen. ||549| «Plusieurs échanges succes- sifs n'ont fait du dernier que le représentant du premier.» (Sismondi, 1. c. p. 70.) Und dennoch haben wir gesehn, daß die einfache Reproduktion hin- reicht, um dieser ersten Operation - soweit sie als isolirter Vorgang gefaßt war - einen total veränderten Charakter aufzuprägen. «Parmi ceux qui se partagent le revenue national, les uns (die Arbeiter) y acquièrent chaque année un nouveau droit par un nouveau travail, les autres (die Kapitali- sten) y ont acquis antérieurement un droit permanent par un travail primi- tif.» (Sismondi, I.e. p. 111.) Das Gebiet der Arbeit ist bekanntlich nicht das einzige, wo die Erstgeburt Wunder thut. Es verschlägt auch nichts, wenn die einfache Reproduktion ersetzt wird durch die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter, durch die Akkumula- tion. Bei jener vermöbelt der Kapitalist den gesammten Mehrwerth, bei dieser beweist er seine Bürgertugend durch Verzehrung nur eines Theils, und Verwandlung des Restes in Geld. Der Mehrwerth ist sein Eigenthum, er hat nie einem Andern gehört. Schießt er ihn zur Produktion vor, so macht er, ganz wie am Tag, wo er zu- erst den Markt beschritt, Vorschüsse aus seinem eignen Fonds. Daß dieser 524 Zweiundzwanzigstes Kapitel · Verwandlung von Mehrwert in Kapital Fonds dießmal aus der unbezahlten Arbeit seiner Arbeiter stammt, thut absolut nichts zur Sache. Wird Arbeiter B beschäftigt mit dem Mehrwerth, den Arbeiter A producirt hat, so hat erstens A diesen Mehrwerth geliefert, ohne daß man ihm den gerechten Preis seiner Waare um einen Heller ver- 5 kürzt hat, und zweitens geht dieß Geschäft dem B überhaupt nichts an. Was B verlangt und das Recht hat zu verlangen, ist, daß der Kapitalist ihm den Werth seiner Arbeitskraft zahle. «Tous deux gagnaient encore; l'ouvrier parce qu'on lui avançait les fruits de son travail (soll heißen: du travail gratuit d'autres ouvriers) avant qu'il fût fait (soll heißen: avant que le sien ait porté de fruit); le maître, parceque le travail de cet ouvrier valait plus que le salaire» (soll heißen: produisait plus de valeur que celle de son salaire). (Sismondi, 1. c. p. 135.) 10 15 Allerdings sieht die Sache ganz anders aus, wenn wir die kapitalistische Produktion im ununterbrochnen Fluß ihrer Erneuerung betrachten, und statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen Arbeiters, die Ge- sammtheit, die Kapitalistenklasse und ihr gegenüber die Arbeiterklasse ins Auge fassen. Damit aber würden wir einen Maßstab anlegen, der der Waa- renproduktion total fremd ist. In der Waarenproduktion stehn sich nur, von einander unab||550|hängig, 20 Verkäufer und Käufer gegenüber. Ihre gegenseitigen Beziehungen sind zu Ende mit dem Verfalltag des zwischen ihnen abgeschloßnen Vertrags. Wie- derholt sich das Geschäft, denn in Folge eines neuen Vertrags, der mit dem vorhergehenden nichts zu thun hat, und bei dem nur ein Zufall denselben Käufer mit demselben Verkäufer wieder zusammenbringt. 25 Soll also die Waarenproduktion oder ein ihr angehöriger Vorgang nach ihren eignen ökonomischen Gesetzen beurtheilt werden, so müssen wir j e - den Austauschakt für sich betrachten, außerhalb alles Zusammenhangs mit dem Austauschakt, der ihm vorherging, wie mit dem der ihm nach- folgt. Und da Käufe und Verkäufe nur zwischen einzelnen Individuen ab- 30 geschlossen werden, so ist es unzulässig, Beziehungen zwischen ganzen Gesellschaftsklassen darin zu suchen. Wie lang auch die Reihenfolge der periodischen Reproduktionen und vorhergegangnen Akkumulationen, die das heute funktionirende Kapital durchgemacht hat, es bewahrt immer seine ursprüngliche Jungfräulichkeit. 35 So lange bei jedem Austauschakt - einzeln genommen - die Gesetze des Austausches eingehalten werden, kann die Aneignungsweise eine totale Umwälzung erfahren ohne das, der Waarenproduktion gemäße, Eigen- thumsrecht irgendwie zu berühren. Dieses selbe Recht steht in Kraft, wie am Anfang, wo das Produkt dem Producenten gehört, und wo dieser, 40 Aequivalent gegen Aequivalent austauschend, sich nur durch eigne Arbeit bereichern kann, so auch in der kapitalistischen Periode, wo der gesell- 525 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals schaftliche Reichthum in stets steigendem Maß das Eigenthum derer wird, die in der Lage sind, sich stets aufs Neue die unbezahlte Arbeit Andrer an- zueignen. 5 Dieß Resultat wird unvermeidlich, sobald die Arbeitskraft durch den Ar- beiter selbst als Waare frei verkauft wird. Aber auch erst von da an verallge- meinert sich die Waarenproduktion und wird sie typische Produktions- form; erst von da an wird jedes Produkt von vornherein für den Verkauf producirt, und geht aller producirte Reichthum durch die Cirkulation hin- durch. Erst da, wo die Lohnarbeit ihre Basis, zwingt die Waarenproduktion sich der gesammten Gesellschaft auf; aber auch erst da entfaltet sie alle 10 ihre verborgnen Potenzen. Sagen, daß die Dazwischenkunft der Lohnarbeit die Waarenproduktion fälscht, heißt sagen, daß die Waarenproduktion, will sie unverfälscht bleiben, sich nicht entwickeln darf. Im selben Maß, wie sie nach ihren eignen immanenten Gesetzen sich zur kapitalistischen Pro- duktion fortbildet, in demselben ||551| Maß schlagen die Eigenthums- 15 gesetze der Waarenproduktion um in Gesetze der kapitalistischen Aneig- nung 2 4). Man sah, daß selbst bei einfacher Reproduktion alles vorgeschoßne Ka- pital, wie immer ursprünglich erworben, sich in akkumulirtes Kapital oder kapitalisirten Mehrwerth verwandelt. Aber im Strom der Produktion wird 20 überhaupt alles ursprünglich vorgeschoßne Kapital eine verschwindende Größe (magnitudo evanescens im mathematischen Sinn) verglichen mit dem direkt akkumulirten Kapital, d. h. dem in Kapital rückverwandelten Mehrwerth oder Mehrprodukt, ob nun funktionirend in der Hand, die ak- kumulirt hat, oder in fremder Hand. Die politische Oekonomie stellt das 25 Kapital daher überhaupt dar als „akkumulirten Reichthum" (verwandelten Mehrwerth oder Revenue) „der von neuem zur Produktion von Mehrwerth verwandt wird" 2 5), oder auch den Kapitalisten als „Besitzer des Mehrpro- dukts" 2 6 ) . Dieselbe Anschauungsweise besitzt nur andre Form in dem Aus- druck, daß alles vorhandne Kapital akkumulirter oder kapitalisirter Zins 30 sei, denn der Zins ist ein bloßes Bruchstück des Mehrwerths 2 7). 2 4 ) Man bewundere daher die Pfiffigkeit Proudhon's, der das kapitalistische Eigenthum ab- schaffen will, indem er ihm gegenüber - die ewigen Eigenthumsgesetze der Waarenproduk- tion geltend macht! 2 5 ) "Capital, viz: accumulated wealth employed with a view to profit." Malthus 1. c. "Capi- 35 tal ... consists of wealth saved from revenue, and used with a view to profit." (R.Jones: „Text- book etc., Hertford 1852", p. 16.) 2 6 ) "The possessors of surplusproduce or capital." (,,The Source and Remedy of the National Difficulties. A Letter to Lord John Russell. Lond. 1821", [p. 4.]) 2 7 ) "Capital, with compound interest on every portion of capital saved, is so all engrossing, 40 that all the wealth in the world from which income is derived, has long ago become the inter- est on capital." (London Economist, 19. July, 1851.) 526 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital 2. Irrige Auffassung der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter seitens der politischen Oekonomie. Bevor wir nun auf einige nähere Bestimmungen der Akkumulation oder 5 der Rückverwandlung von Mehrwerth in Kapital eingehn, ist eine von der klassischen Oekonomie ausgeheckte Zweideutigkeit zu beseitigen. So wenig die Waaren, die der Kapitalist mit einem Theil des Mehrwerths für seine eigne Konsumtion kauft, ihm als Produktions- und Verwer- thungsmittel dienen, so wenig ist die Arbeit, die er zur Befriedigung seiner 10 natürlichen und socialen Bedürfnisse kauft, produktive Arbeit. Statt durch den Kauf jener Waaren und Arbeit ||552| den Mehrwerth in Kapital zu ver- wandeln, verzehrt oder verausgabt er ihn umgekehrt als Revenue. Gegen- über der altadlichen Gesinnung, die, wie Hegel richtig sagt, „im Verzehren des Vorhandenen besteht" und namentlich auch im Luxus persönlicher 15 Dienste sich breit macht, war es für die bürgerliche Oekonomie entschei- dend wichtig, die Akkumulation des Kapitals als erste Bürgerpflicht zu ver- künden und unermüdlich zu predigen: man kann nicht akkumuliren, wenn man seine ganze Revenue aufißt, statt einen guten Theil davon zu veraus- gaben in Werbung zuschüssiger produktiver Arbeiter, die mehr einbringen, 20 als sie kosten. Andrerseits hatte sie gegen das Volksvorurtheil zu polemisi- ren, welches die kapitalistische Produktion mit der Schatzbildung verwech- selt 2 8) und daher wähnt, akkumulirter Reichthum sei Reichthum, welcher der Zerstörung in seiner vorhandnen Naturalform, also dem Verbrauch entzogen oder auch vor der Cirkulation gerettet werde. Verschluß des GeI- 25 des gegen die Cirkulation wäre grade das Gegentheil seiner Verwerthung als Kapital, und Waarenakkumulation im schatzbildnerischen Sinn reine Narrheit 2 8 a ) . Akkumulation von Waaren in großen Massen ist Resultat einer Cirkulationsstockung oder der Ueberproduktion 2 9). Allerdings läuft in der Volksvorstellung einerseits das Bild der im Konsumtionsfonds der 30 Reichen gehäuften, langsam sich verzehrenden Güter unter, andrerseits die Vorrathbildung, ein Phänomen, das allen Produktionsweisen angehört 2 8 ) "No political economist of the present day can by saving mean mere hoarding: and beyond this contracted and insufficient proceeding, no use of the term in reference to the national wealth can well be imagined, but that which must arise from a different application of what is saved, founded upon a real distinction between the different kinds of labour maintained by it." (Malthus I.e. p.38, 39.) 2 8 a ) So ist bei Balzac, der alle Schattirungen des Geizes so gründlich studirt hatte, der alte Wucherer Gobseck schon verkindischt als er anfangt sich einen Schatz aus aufgehäuften Waaren zu bilden. 2 9 ) "Accumulation of stocks ... non-exchange .... overproduction." (Th. Corbet I.e. p. 104.) 35 40 527 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals und wobei wir einen Augenblick in der Analyse des Cirkulationsprocesses verweilen werden. 5 Soweit also ist die klassische Oekonomie im Recht, wenn sie den Ver- zehr von Mehrprodukt durch produktive Arbeiter statt durch unproduktive als charakteristisches Moment des Akkumulationsprocesses betont. Aber hier beginnt auch ihr Irrthum. A. Smith hat es zur Mode gemacht, die Ak- kumulation bloß als Konsumtion des Mehrprodukts durch produktive Ar- beiter oder die Kapitalisirung des Mehrwerths als dessen bloßen Umsatz in Arbeits115531kraft darzustellen. Hören wir z.B. Ricardo: „Man muß ver- stehn, daß alle Produkte eines Landes konsumirt werden; aber es macht 10 den größten Unterschied, den man denken kann, ob sie konsumirt werden durch solche, die einen andren Werth reproduciren, oder durch solche, die ihn nicht reproduciren. Wenn wir sagen, daß Revenue erspart und zum Ka- pital geschlagen wird, so meinen wir, daß der Theil der Revenue, von dem es heißt, er sei zum Kapital geschlagen, durch produktive statt durch un- 15 produktive Arbeiter verzehrt wird. Es gibt keinen größern Irrthum als zu unterstellen, daß Kapital durch Nicht-Konsum vermehrt wird" 3 0). Es gibt keinen größern Irrthum als der dem A. Smith von Ricardo und allen späte- ren nachgeplauderte, daß „der Theil der Revenue, von dem es heißt, er sei zum Kapital geschlagen, von produktiven Arbeitern verzehrt wird". Nach 20 dieser Vorstellung würde aller Mehrwerth, der in Kapital verwandelt wird, zu variablem Kapital. Er theilt sich vielmehr, wie der ursprünglich vorge- schoßne Werth, in konstantes Kapital und variables Kapital, in Produk- tionsmittel und Arbeitskraft. Arbeitskraft ist die Form, worin das variable Kapital innerhalb des Produktionsprocesses existirt. In diesem Proceß wird 25 sie selbst vom Kapitalisten verzehrt. Sie verzehrt durch ihre Funktion - die Arbeit - Produktionsmittel. Zugleich verwandelt sich das im Ankauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel, die nicht von der „produk- tiven Arbeit", sondern vom „produktiven Arbeiter" verzehrt werden. A. Smith gelangt durch eine grundverkehrte Analyse zu dem abgeschmack- 30 ten Resultat, daß wenn auch jedes individuelle Kapital sich in konstanten und variablen Bestandtheil theilt, das gesellschaftliche Kapital sich in nur variables Kapital auflöst oder nur in Zahlung von Arbeitslohn verausgabt wird. z.B. ein Tuchfabrikant verwandle 2000 Pfd. St. in Kapital. Er legt einen Theil des Geldes im Ankauf von Webern aus, den andern Theil in 35 Wollengarn, Wollenmaschinerie u. s. w. Aber die Leute, von denen er das Garn und die Maschinerie kauft, zahlen wieder mit einem Theil davon Ar- beit u. s. w., bis die ganzen 2000 Pfd. St. in Zahlung von Arbeitslohn ver- ausgabt sind, oder das ganze durch die 2000 Pfd. St. repräsentirte Produkt durch produktive Arbeiter verzehrt ist. Man sieht: die ganze Wucht dieses 40 3 0 ) Ricardo 1. c. p. 163, Note. 528 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital Arguments liegt in dem Wort „u. s. w.", das uns von Pontius zu Pilatus schickt. In der That, Α. Smith bricht die Untersuchung grade da ab, wo ihre Schwierigkeit beginnt 3 1). | |554| Solange man nur den Fonds der Gesammt(cid:5)Jahresproduktion ins 5 Auge faßt, ist der jährliche Reproduktionsproceß leicht verständlich. Aber alle Bestandtheile der Jahresproduktion müssen auf den Waarenmarkt ge- bracht werden, und da beginnt die Schwierigkeit. Die Bewegungen der Ein- zelkapitale und persönlichen Revenuen kreuzen, vermengen, verlieren sich in einem allgemeinen Stellenwechsel, - der Cirkulation des gesellschaftli- 10 chen Reichthums - der den Blick verwirrt und der Untersuchung sehr ver- wickelte Aufgaben zu lösen gibt. Im dritten Abschnitt des zweiten Buches werde ich die Analyse des wirklichen Zusammenhanges geben. - Es ist das große Verdienst der Physiokraten, in ihrem Tableau économique zum er- sten Mal den Versuch gemacht zu haben, ein Bild der Jahresproduktion zu 15 geben in der Gestalt, in welcher sie aus der Cirkulation hervorgeht 3 2). Es versteht sich übrigens von selbst, daß die politische Oekonomie nicht verfehlt hat, im Interesse der Kapitalistenklasse A. Smith's Satz auszubeu- ten: daß der ganze in Kapital verwandelte Theil des Nettoprodukts von der Arbeiterklasse verzehrt wird. 20 3. Theilung des Mehrwerths in Kapital und Revenue. - Die A bstinenztheorie. Im vorigen Kapitel betrachteten wir den Mehrwerth, resp. das Mehrpro- dukt, nur als individuellen Konsumtionsfonds des Kapitalisten, in diesem Kapitel bisher nur als einen Akkumulationsfonds. Er ist aber weder nur das 25 3 1 ) Trotz seiner „Logik" kommt Herr J. St. Mill nirgendswo auch nur solcher fehlerhaften Analyse seiner Vorgänger auf die Sprünge, welche selbst innerhalb des bürgerlichen Hori- zonts, vom reinen Fachstandpunkt aus, nach Berichtigung schreit. Ueberau registrirt er mit schülermäßigem Dogmatismus die Gedankenwirren seiner Meister. Auch hier: "The capital itself in the long run becomes entirely wages, and when replaced by the sale of produce be- 30 comes wages again." 3 2 ) A. Smith hat in der Darstellung des Reproduktionsprocesses, daher auch der Akkumula- tion, nach mancher Seite hin nicht nur keine Fortschritte, sondern entschiedene Rückschritte gemacht im Vergleich zu seinen Vorgängern, namentlich den Physiokraten. Mit seiner im Text erwähnten Illusion hängt das ebenfalls von ihm der politischen Oekonomie vererbte, 35 wahrhaft fabelhafte Dogma zusammen, daß der Preis der Waaren aus Arbeitslohn, Profit (Zins) und Grundrente, also bloß aus Arbeitslohn und Mehrwerth zusammengesetzt ist. Von dieser Basis ausgehend, gesteht wenigstens Storch naiv: «Il est impossible de résoudre le prix nécessaire dans ses éléments les plus simples. » (Storch 1. c. Petersb. Edit. 1815, t. II, p. 141, Note.) Eine schöne ökonomische Wissenschaft, die es für unmöglich erklärt, den Preis der 40 Waaren in seine einfachsten Elemente aufzulösen! Das Nähere hierüber wird man erörtert finden im 3. Abschn. des zweiten und im 7. Abschn. des dritten Buchs. 529 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals eine, noch das andre, sondern ||555| beides zugleich. Ein Theil des Mehr- werths wird vom Kapitalisten als Revenue verzehrt 3 3), ein andrer Theil als Kapital angewandt oder akkumulirt. Bei gegebner Masse des Mehrwerths wird der eine dieser Theile um so größer sein, je kleiner der andre ist. Alle andern Umstände als gleichblei- bend genommen, bestimmt das Verhältniß, worin diese Theilung sich voll- zieht, die Größe der Akkumulation. Wer aber diese Theilung vornimmt, das ist der Eigenthümer des Mehrwerths, der Kapitalist. Sie ist also sein Willensakt. Von dem Theil des von ihm erhobnen Tributs, den er akkumu- lirt, sagt man, er spare ihn, weil er ihn nicht aufißt, d.h. weil er seine Funk- 10 tion als Kapitalist ausübt, nämlich die Funktion, sich zu bereichern. 5 15 Nur soweit der Kapitalist personificirtes Kapital ist, hat er einen histori- schen Werth und jenes historische Existenzrecht, das, wie der geistreiche Lichnowski sagt, keinen Datum nicht hat. Nur soweit steckt seine eigne transitorische Nothwendigkeit in der transitorischen Nothwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise. Aber soweit sind auch nicht Gebrauchs- werth und Genuß, sondern Tauschwerth und dessen Vermehrung sein trei- bendes Motiv. Als Fanatiker der Verwerthung des Werths zwingt er rück- sichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und zur 20 Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grund- princip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist. Nur als Per- sonifikation des Kapitals ist der Kapitalist respektabel. Als solche theilt er mit dem Schatzbildner den absoluten Bereicherungstrieb. Was aber bei 25 diesem als individuelle Manie erscheint, ist beim Kapitalisten Wirkung des gesellschaftlichen Mechanismus, worin er nur ein Triebrad ist. Außerdem macht die Entwicklung der kapitalistischen Produktion eine fortwährende Steigerung des in einem industriellen Unternehmen angelegten Kapitals zur Nothwendigkeit, und die Konkurrenz herrscht jedem individuellen Ka- 30 pitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise als äußere Zwangsgesetze auf. Sie ||556| zwingt ihn, sein Kapital fortwäh- rend auszudehnen, um es zu erhalten, und ausdehnen kann er es nur ver- mittelst progressiver Akkumulation. Soweit daher sein Thun und Lassen nur Funktion des in ihm mit Willen 35 und Bewußtsein begabten Kapitals, gilt ihm sein eigner Privatkonsum als 3 3 ) Der Leser wird bemerken, daß das Wort Revenue doppelt gebraucht wird, erstens um den Mehrwerth als periodisch aus dem Kapital entspringende Frucht, zweitens um den Theil die- ser Frucht zu bezeichnen, der vom Kapitalisten periodisch verzehrt oder zu seinem Konsum- tionsfonds geschlagen wird. Ich behalte diesen Doppelsinn bei, weil er mit dem Sprachge- 40 brauch der englischen und französischen Oekonomen harmonirt. 530 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital ein Raub an der Akkumulation seines Kapitals, wie in der italienischen Buchhaltung Privatausgaben auf der Debetseite des Kapitalisten gegen das Kapital figuriren. Die Akkumulation ist Eroberung der Welt des gesell- schaftlichen Reichthums. Sie dehnt mit der Masse des exploitirten Men- 5 schenmaterials zugleich die direkte und indirekte Herrschaft des Kapitali- sten aus 3 4). Aber die Erbsünde wirkt überall. Mit der Entwicklung der kapitalisti- schen Produktionsweise, der Akkumulation, und des Reich||557|thums, hört der Kapitalist auf, bloße Inkarnation des Kapitals zu sein. Er fühlt ein 10 „menschliches Rühren" für seinen eignen Adam und wird so gebildet, die Schwärmerei für Ascese als Vorurtheil des altmodischen Schatzbildners zu belächeln. Während der klassische Kapitalist den individuellen Konsum als Sünde gegen seine Funktion und „Enthaltung" von der Akkumulation brandmarkt, ist der modernisirte Kapitalist im Stande, die Akkumulation 15 als „Entsagung" seines Genußtriebs aufzufassen. „Zwei Seelen wohnen, ach! in seiner Brust, die eine will sich von der andren trennen!" In den historischen Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise - und jeder kapitalistische Parvenü macht dieß historische Stadium indivi- 30 3 4 ) In der altmodischen, wenn auch stets erneuten, Form des Kapitalisten, im Wucherer ver- 20 anschaulicht Luther sehr gut die Herrschsucht als Element des Bereicherungstriebs. „Die Hei- den haben können aus der Vernunfft rechnen, dass ein Wucherer, sey ein vierfaltiger Dieb und Mörder. Wir Christen aber halten sie in solchen ehren, das wir sie schier anbeten umb ihres Geldes willen ... Wer einem andern seine Narung aussauget, raubet und stilet, der thut eben so grossen Mord (so viel an jm ligt) als der einen Hungers sterbet und zu Grunde verter- 25 bet. Solches thut aber ein Wucherer, und sitzet die weil auf seinem Stuel sicher, so er billi- cher hangen solt am Galgen, und von soviel Raben gefressen werden, als er gülden gestolen hatte, wo anders so viel fleisches an jm were, das so viel Raben sich drein stücken und teilen kündten. Dieweil hanget man die kleinen Diebe ... Kleine Diebe ligen in Stöcken gefangen, grosse Diebe gehn in gold und seiden prangen ... Also ist auch kein grösser Menschenfeind auff Erden (nach dem Teuffei) denn ein Geitshals und Wucherer, denn er will über alle men- schen Gott sein. Türcken, Krieger, Tyrannen sind auch böse Menschen, doch müssen sie las- sen die Leute leben und bekennen, dass sie Böse und Feinde sind, Und können, ja müssen wol zu weilen sich über etliche erbarmen. Aber ein Wucherer und Geitzwanst, der wilt das alle Welt im müsste in Hunger und Durst, Trauer und Not verderben, so viel an jm ist, auff 35 das ers alles allein möcht haben, und jedermann von jm, als von einem Gott empfahen und ewiglich sein Leibeigener sein. Schauben, güldne Kette, Ringe tragen, das maul wischen, sich für einen theuren, frommen Mann lassen ansehen und rhümen ... Wucher ist ein gros und ungeheur monstrum, wie ein Beerwolff, der alles wüstet, mehr den kein Cacus, Gerion oder Antus. Und schmückt sich doch und wil fromm sein, das man nicht sehen sol, wo die Ochsen, 40 die er rücklings in sein Loch zieht, hinkommen. Aber Hercules sol der Ochsen und der Ge- fangenen Geschrey hören und den Cacum suchen auch in Klippen und Felsen, die Ochsen wider lösen, von dem Bösewicht. Denn Cacus heisst ein Bösewicht, der ein frommer Wuche- rer ist, stilet, raubet, frissi alles. Und wils doch nicht gethan haben, und sol ja nimand finden, weil die Ochsen rücklings in sein Loch gezogen, schein und fusstapffen geben, als seien sie 45 herausgelassen. Also wil der Wucherer auch die Welt effen, als nütze er und gebe der weit ochsen, so er sie doch zu sich allein reisst und frisst ... Und so man die Strassenräuber, Mör- der und Beuheder, redert und köpffet, wie viel mehr solt man alle Wucherer redern und edern ... verjagen, verfluchen und kÖpffen." (Martin Luther I.e.) 531 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals duell durch - herrschen Bereicherungstrieb und Geiz als absolute Leiden- schaften vor. Aber der Fortschritt der kapitalistischen Produktion schafft nicht nur eine Welt von Genüssen. Er öffnet mit der Spekulation und dem Kreditwesen tausend Quellen plötzlicher Bereicherung. Auf einer gewissen Entwickelungshöhe wird ein konventioneller Grad von Verschwendung, die zugleich Schaustellung des Reichthums und daher Kreditmittel ist, so- gar zu einer Geschäftsnothwendigkeit des „unglücklichen" Kapitalisten. Der Luxus geht in die Repräsentationskosten des Kapitals ein. Ohnehin bereichert sich der Kapitalist nicht, gleich dem Schatzbildner, im Verhält- niß seiner persönlichen Arbeit und seines persönlichen Nichtkonsums, sondern im Maß, worin er fremde Arbeitskraft aussaugt und dem Arbeiter Entsagung aller Lebensgenüsse aufzwingt. Obgleich daher die Verschwen- dung des Kapitalisten nie den bona fide Charakter der Verschwendung des flotten Feudalherrn besitzt, in ihrem Hintergrund vielmehr stets schmut- zigster Geiz und ängstlichste Berechnung lauern, wächst dennoch seine Verschwendung mit seiner Akkumulation, ohne daß die eine die andre zu beabbruchen braucht. Damit entwickelt sich gleichzeitig in der Hochbrust des Kapitalindividuums ein faustischer Konflikt zwischen Akkumulations- und Genußtrieb. 5 10 15 „Die Industrie von Manchester", heißt es in einer Schrift, die Dr. Aikin 20 25 1795 veröffentlichte, „kann in vier Perioden getheilt werden. In der ersten waren die Fabrikanten gezwungen, hart für ihren Lebensunterhalt zu arbei- ten." Sie bereicherten sich besonders durch Bestehlung der Eltern, die ihnen Jungen als apprentices (Lehrlinge) zuwiesen und dafür schwer ble- chen mußten, während die Lehrlinge ausgehungert wurden. Andrerseits waren die Durchschnittsprofite niedrig und die Akkumulation verlangte große Sparsamkeit. Sie lebten wie Schatzbildner und verzehrten bei wei- tem ||558| nicht einmal die Zinsen ihres Kapitals. „In der zweiten Periode hatten sie begonnen, kleine Vermögen zu erwerben, arbeiteten aber ebenso hart als zuvor", denn die unmittelbare Exploitation der Arbeit kostet Ar- 30 beit, wie jeder Sklaventreiber weiß, „und lebten nach wie vor in demselben frugalen Styl .... In der dritten Periode begann der Luxus, und das Ge- schäft wurde ausgedehnt durch Aussendung von Reitern (berittenen Com- mis Voyageurs) für Ordres in jeder Marktstadt des Königreichs. Es ist wahrscheinlich, daß wenige oder keine Kapitale von 3000 bis 4000 Pfd. St., 35 in der Industrie erworben, vor 1690 existirten. Um diese Zeit jedoch oder etwas später hatten die Industriellen schon Geld akkumulirt und begannen steinerne Häuser statt der von Holz und Mörtel aufzuführen .... Noch in den ersten Decennien des 18. Jahrhunderts setzte sich ein Manchester Fa- brikant, der eine Pint fremden Weins seinen Gästen vorsetzte, den Glossen 40 und dem Kopfschütteln aller seiner Nachbarn aus." Vor dem Aufkommen 532 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital der Maschinerie betrug der abendliche Konsum der Fabrikanten in den Kneipen, wo sie zusammenkamen, nie mehr als 6 d. für ein Glas Punsch und 1 d. für eine Rolle Tabak. Erst 1758, und dieß macht Epoche, sah man „eine im Geschäft wirklich engagirte Person mit eigner Equipage"! „Die 5 vierte Periode", das letzte Drittheil des 18. Jahrhunderts, „ist die von gro- ßem Luxus und Verschwendung, unterstützt durch die Ausdehnung des Geschäfts" 3-). Was würde der gute Dr. Aikin sagen, wenn er heutzutag in Manchester auferstände! Akkumulirt, Akkumulirt! Das ist Moses und die Propheten! „Die Indu- 10 strie liefert das Material, welches die Sparsamkeit akkumulirt" 3 6). Also spart, spart, d. h. rückverwandelt möglichst großen Theil des Mehrwerths oder Mehrprodukts in Kapital! Akkumulation um der Akkumulation, Pro- duktion um der Produktion willen, in dieser Formel sprach die klassische Oekonomie den historischen Beruf der Bourgeoisperiode aus. Sie täuschte 15 sich keinen Augenblick über die Geburtswehn des Reichthums 3 7), aber was nützt der Jammer über historische Nothwendigkeit? Wenn der klassi- schen ||559| Oekonomie der Proletarier nur als Maschine zur Produktion von Mehrwerth, gilt ihr aber auch der Kapitalist nur als Maschine zur Ver- wandlung dieses Mehrwerths in Mehrkapital. Sie nimmt seine historische 20 Funktion in bitterm Ernst. Um seinen Busen vor dem unheilvollen Kon- flikt zwischen Genußtrieb und Bereicherungstrieb zu feien, vertheidigte Malthus, im Anfang der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts, eine Thei- lung der Arbeit, welche dem wirklich in der Produktion begriffenen Kapita- listen das Geschäft der Akkumulation, den andren Theilnehmern am 25 Mehrwerth, der Landaristokratie, Staats-, Kirchenpfründnern u. s. w. das Geschäft der Verschwendung zuweist. Es ist von der höchsten Wichtigkeit, sagt er, „die Leidenschaft für Ausgabe und die Leidenschaft für Akkumula- tion („the passion for expenditure and the passion for accumulation") ge- trennt zu halten" 3 8). Die Herrn Kapitalisten, seit lange in Lebe- und WeIt- 30 manner verwandelt, schrieen auf. Was, rief einer ihrer Wortführer, ein Ricardianer, Herr Malthus predigt hohe Grundrenten, hohe Steuern u.s.w., um dem Industriellen einen fortwährenden Stachel durch unproduktive Konsumenten aufzudrücken! Allerdings Produktion, Produktion auf stets erweiterter Stufenleiter, lautet das Schiboleth, aber „Produktion wird durch 35 3 5 ) Dr. Aikin: ,,Description of the Country from 30 to 40 miles round Manchester. Lond. 1795", p. 181 sqq. 3 6 ) A. Smith 1. c. b.II, ch. III. 3 7 ) Selbst J . B . Say sagt: «Les épargnes des riches se font aux dépens des pauvres.» „Der römi- sche Proletarier lebte fast ganz auf Kosten der Gesellschaft... Man könnte fast sagen, daß die 40 moderne Gesellschaft auf Kosten der Proletarier lebt, von dem Theil, den sie auf Belohnung der Arbeit ihnen entzieht." (Sismondi: ,,Études etc." 1.1, p.24.) 3 8 ) Malthus 1. c. p. 325, 326. 533 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals einen solchen Proceß weit mehr gehemmt als gefördert. Auch ist es nicht ganz billig (nor is it quite fair), eine Anzahl Personen so im Müßiggang zu erhalten, nur um andre zu kneipen, aus deren Charakter man schließen darf (,,who are likely, from their characters"), daß, wenn ihr sie zu funktio- niren zwingen könnt, sie mit Erfolg funktioniren" 3 9). So unbillig er es fin- det, den industriellen Kapitalisten zur Akkumulation zu stacheln, indem man ihm das Fett von der Suppe wegschöpft, so nothwendig dünkt ihm, den Arbeiter möglichst auf den Minimallohn zu beschränken, „um ihn ar- beitsam zu erhalten". Auch verheimlicht er keinen Augenblick, daß Aneig- nung unbezahlter Arbeit das Geheimniß der Plusmacherei ist. „Vermehrte 10 Nachfrage von Seite der Arbeiter meint durchaus nichts als ihre Geneigt- heit, weniger von ihrem eignen Produkt für sich selbst zu nehmen und einen größren Theil davon ihren Anwendern zu überlassen; und wenn man sagt, daß dieß, durch Verminderung der Konsumtion (auf Seiten der Arbei- ter) glut (Marktüberfüllung, ||560| Ueberproduktion) erzeugt, so kann ich 15 nur antworten, daß glut synonym mit hohem Profit i s t " 4 0 ) . 5 Der gelehrte Zank, wie die dem Arbeiter ausgepumpte Beute förderlichst für die Akkumulation zu vertheilen sei zwischen industriellem Kapitalist und müßigem Grundeigenthümer u. s. w., verstummte vor der Julirevolu- tion. Kurz nachher läutete das städtische Proletariat die Sturmglocke zu 20 Lyon und ließ das Landproletariat den rothen Hahn in England fliegen. Dießseits des Kanals grassirte der Owenismus, jenseits St. Simonismus und Fourierismus. Die Stunde der Vulgärökonomie hatte geschlagen. Grade ein Jahr, bevor Nassau W. Senior zu Manchester ausfand, daß der Profit (incl. Zins) des Kapitals das Produkt der unbezahlten „letzten zwölften Ar- 25 beitsstunde" ist, hatte er der Welt eine andre Entdeckung angekündigt. „Ich", sagte er feierlich, „ich ersetze das Wort Kapital, als Produktionsin- strument betrachtet, durch das Wort Abstinenz (Enthaltung) " 4 1 ) . Ein un- ; 3 9 ) „An Inquiry into those principles respecting the Nature of Demand etc.", p. 67. 4 0 ) 1. c. p. 59. 4 1 ) Senior: ,,Principes fondamentaux de l'Écon. Pol." trad. Arrivabene. Paris 1836, p. 309. Dieß war den Anhängern der alten klassischen Schule doch etwas zu toll. „Herr Senior schiebt dem Ausdruck Arbeit und Kapital den Ausdruck Arbeit und Abstinenz unter ... Ab- stinenz ist eine bloße Negation. Es ist nicht die Abstinenz, sondern der Gebrauch des produk- tiv verwandten Kapitals, welcher die Quelle des Profits bildet." (John Cazenove 1. c. p. 130, 35 Note.) Herr John St. Mill excerpirt dagegen auf der einen Seite Ricardo's Profittheorie und annexirt auf der andren Senior's ,,remuneration of abstinence". So fremd ihm der Hegel'sche „Widerspruch", die Springquelle aller Dialektik, so heimisch ist er in platten Widersprü- chen. 30 Zusatz zur 2. Ausg. Der Vulgärökonom hat nie die einfache Reflexion angestellt, daß jede 40 menschliche Handlung als „Enthaltung" von ihrem Gegentheil aufgefaßt werden kann. Essen ist Enthaltung von Fasten, Gehn Enthaltung von Stehn, Arbeiten Enthaltung von Faullenzen, Faullenzen Enthaltung von Arbeiten etc. Die Herren thäten wohl, einmal nachzudenken über Spinoza's: Determinatio est negatio. 534 Zweiundzwanzigstes Kapitel · Verwandlung von Mehrwert in Kapital übertroffenes Muster dieß von den „Entdeckungen" der Vulgärökonomie ! Sie ersetzt eine ökonomische Kategorie durch eine sykophantische Phrase. Voilà tout. „Wenn der Wilde", docirt Senior, „Bogen fabricirt, so übt er eine Industrie aus, aber er prakticirt nicht die Abstinenz." Dieß erklärt uns, 5 wie und warum in früheren Gesellschaftszuständen „ohne die Abstinenz" des Kapitalisten Arbeitsmittel fabricirt wurden. „Je mehr die Gesellschaft fortschreitet, um so mehr Abstinenz erfordert s i e " 4 2 ) , nämlich von denen, welche die Industrie ausüben, sich die fremde Industrie und ihr Produkt anzueignen. Alle Bedingungen des Arbeitsprocesses verwandeln sich von 10 nun in ebenso viele Abstinenzpraktiken des Kapitalisten. Daß ||561| Korn nicht nur gegessen, sondern auch gesät wird, Abstinenz des Kapitalisten! Daß der Wein die Zeit erhält, auszugähren, Abstinenz des Kapitalisten! 4 3) Der Kapitalist beraubt seinen eignen Adam, wenn er die „Produktionsin- strumente dem Arbeiter leiht" (!), alias sie durch Einverleibung der Ar- 15 beitskraft als Kapital verwerthet, statt Dampfmaschinen, Baumwolle, Eisenbahnen, Dünger, Zugpferde u. s. f. aufzuessen oder, wie der Vulgär- ökonom sich das kindlich vorstellt, „ihren Werth" in Luxus und andren Konsumtionsmitteln zu verprassen 4 4). Wie die Kapitalistenklasse das an- stellen soll, ist ein von der Vulgärökonomie bisher hartnäckig bewahrtes 20 Geheimniß. Genug, die Welt lebt nur noch von der Selbstkasteiung dieses modernen Büßers des Wischnu, des Kapitalisten. Nicht nur die Akkumula- tion, die einfache „Erhaltung eines Kapitals erheischt beständige Kraftan- strengung, um der Versuchung zu widerstehn, es aufzuessen" 4 5). Die einfa- che Humanität gebeut also offenbar, den Kapitalisten von Martyrthum und 25 Versuchung zu erlösen, in derselben Weise, wie der georgische Sklavenhal- ter jüngst durch Abschaffung der Sklaverei von dem schmerzlichen Di- lemma erlöst ward, ob das dem Negersklaven ausgepeitschte Mehrprodukt ganz in Champagner zu verjubeln oder auch theilweis in mehr Neger und mehr Land rückzuverwandeln. 30 In den verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen findet 4 2 ) Senior 1. c. p.342, 343. 4 3 ) "No one ... will sow his wheat, f.i., and allow it to remain a twelvemonth in the ground, or leave his wine in a cellar for years, instead of consuming these things or their equivalent at once—unless he expects to acquire additional value etc." (Scrope: „Polit. Econ." edit, von 35 A.Potter, New-York 1841, p. 133.) 4 4 ) «La privation que s'impose le capitaliste, en prêtant (dieser Euphemismus gebraucht, um nach probater vulgärökonomischer Manier den vom industriellen Kapitalisten exploitirten Lohnarbeiter mit dem industriellen Kapitalisten selbst zu identificiren, welcher vom Geld verleihenden Kapitalisten pumpt!) ses instruments de production au travailleur au lieu d'en consacrer la valeur à son propre usage, en la transformant en objets d'utilité ou d'agrément. » (G. de Molinari 1. c. p. 36.) 4 5 ) «La conservation d'un capital exige .... un effort constant peur résister à la tentation de le consommer.» (Courcelle-Seneuil I.e. p.20.) 40 535 Siebenter Abschnitt • Der Akkumuiationsprozeß des Kapitals 5 nicht nur einfache Reproduktion statt, sondern, obgleich auf verschiednem Maßstab, Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter. Es wird progressiv mehr producirt und mehr konsumirt, also auch mehr Produkt in Produk- tionsmittel verwandelt. Dieser Proceß erscheint aber nicht als Akkumula- tion von Kapital und daher auch nicht als Funktion des Kapitalisten, so lange dem Arbeiter seine Produktionsmittel, daher auch sein Produkt und seine Lebensmittel, ||562| noch nicht in der Form von Kapital gegenüber- stehn 4 6). Der vor einigen Jahren verstorbene Richard Jones, Nachfolger von Malthus auf dem Lehrstuhl der politischen Oekonomie am ostindischen College zu Haileybury, erörtert dieß gut an zwei großen Thatsachen. Da 10 der zahlreichste Theil des indischen Volks selbstwirthschaftende Bauern, existirt ihr Produkt, ihre Arbeits- und Lebensmittel, auch nie „in der Form („in the shape") eines Fonds, der aus fremder Revenue erspart wird (,,saved from Revenue") und daher einen vorläufigen Proceß der Akkumulation („a previous process of accumulation") durchlaufen h a t " 4 7 ) . Andrerseits wer- 15 den die nicht-agrikolen Arbeiter in den Provinzen, wo die englische Herr- schaft das alte System am wenigsten aufgelöst hat, direkt von den Großen beschäftigt, denen eine Portion des ländlichen Mehrprodukts als Tribut oder Grundrente zufließt. Ein Theil dieses Produkts wird in Naturalform von den Großen verzehrt, ein andrer Theil für sie von den Arbeitern in Lu- 20 xus- und sonstige Konsumtionsmittel verwandelt, während der Rest den Lohn der Arbeiter bildet, die Eigenthümer ihrer Arbeitsinstrumente sind. Produktion und Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter gehn hier ihren Gang ohne alle Dazwischenkunft jenes wunderlichen Heiligen, jenes Rit- ters von der traurigen Gestalt, des „entsagenden" Kapitalisten. 25 4 6 ) "The particular classes of income which yield the most abundantly to the progress of na- tional capital, change at different stages of their progress, and are therefore entirely different in nations occupying different positions in that progress ... Profits ... unimportant source of accumulation, compared with wages and rents, in the earlier stages of society ... When a con- siderable advance in the powers of national industry has actually taken place, profits rise into 30 comparative importance as a source of accumulation." (Richard Jones: „Textbook etc.", p. 16, 20, 21.) 4 7 ) I.e. p.36 sq. (Zur 4.Aufl. - Muß ein Versehen sein, die Stelle ist nicht gefunden worden.- D.H.) 536 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital 4. Umstände, welche unabhängig von der proportionalen Theilung des Mehrwerths in Kapital und Revenue den Umfang der Akkumulation bestimmen: Exploitationsgrad der Arbeitskraft. - Produktivkraft der Arbeit. - Wachsende Differenz zwischen angewandtem und konsumirtem Kapital. - Größe des vorgeschoßnen Kapitals. Das Verhältniß, wonach der Mehrwerth sich in Kapital und Revenue spal- tet, als gegeben vorausgesetzt, richtet sich die Größe des akkumulirten Ka- pitals offenbar nach der absoluten Größe des ||563| Mehrwerths. Angenom- men, 80 % würden kapitalisirt und 20 % aufgegessen, so wird das akkumulirte Kapital 2400 Pfd. St. oder 1200 Pfd. St. betragen, je nachdem der Gesammt-Mehrwerth sich auf 3000 oder auf 1500 Pfd. St. belaufen hat. Demnach wirken bei Bestimmung der Größe der Akkumulation alle die Umstände mit, die die Masse des Mehrwerths bestimmen. Wir fassen sie hier nochmals zusammen, aber nur insofern sie mit Bezug auf die Akku- mulation neue Gesichtspunkte bieten. Man erinnert sich, daß die Rate des Mehrwerths in erster Instanz ab- hängt vom Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Die politische Oekonomie würdigt diese Rolle so sehr, daß sie gelegentlich die Beschleunigung der Akkumulation durch erhöhte Produktionskraft der Arbeit identificirt mit ihrer Beschleunigung durch erhöhte Exploitation des Arbeiters 4 8). In den Abschnitten über die Produktion des Mehrwerths ward beständig unter- stellt, daß der Arbeitslohn wenigstens gleich dem Werth der Arbeitskraft ist. Die gewaltsame Herabsetzung des Arbeitslohns unter diesen Werth spielt jedoch in der praktischen Bewegung eine zu wichtige Rolle, um uns nicht einen Augenblick dabei aufzuhalten. Sie verwandelt faktisch, inner- halb gewisser Grenzen, den nothwendigen Konsumtionsfonds des Arbei- ters in einen Akkumulationsfonds von Kapital. „Arbeitslöhne", sagt J. St. Mill, „haben keine Produktivkraft; sie sind der Preis einer Produktivkraft; Arbeitslöhne tragen nicht, neben der Arbeit 4 8 ) „Ricardo sagt: ,In verschiednen Stadien der Gesellschaft ist die Akkumulation des Kapi- tals oder der Mittel Arbeit anzuwenden (sc. zu exploitiren) mehr oder weniger rasch und muß in allen Fällen von den Produktivkräften der Arbeit abhängen. Die Produktivkräfte der Arbeit sind im Allgemeinen am größten, wo Ueberfluß von fruchtbarem Boden existirt.' Bedeuten in diesem Satz die Produktivkräfte der Arbeit die Kleinheit des aliquoten Theils jedes Produkts, der denen zufällt, deren Handarbeit es producirt, so ist der Satz tautologisch, weil der übrig bleibende Theil der Fonds ist, woraus, wenn es seinem Eigner beliebt (,,if the owner pleases"), Kapital akkumulirt werden kann. Aber dieß ist meistens nicht der Fall, wo das Land am fruchtbarsten ist." (,,Observations on certain verbal disputes etc." p. 74.) 537 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 selbst, zur Waarenproduktion bei, sowenig als der Preis der Maschinerie selbst. Könnte Arbeit ohne Kauf gehabt werden, so wären Arbeitslöhne überflüssig" 4 9). Wenn aber die Arbeiter von der Luft leben könnten, so wä- ren sie auch um keinen Preis zu kaufen. Ihr Nichtkosten ist also eine Grenze im mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets annä- herbar. Es ist die beständige Tendenz des Kapitals, sie auf diesen nihilisti- schen Standpunkt herabzudrücken. Ein oft von mir citirter ||564| Schrift- steller des 18. Jahrhunderts, der Verfasser des „Essay on Trade and Commerce", verräth nur das innerste Seelengeheimniß des englischen Ka- pitals, wenn er es für die historische Lebensaufgabe Englands erklärt, den 10 englischen Arbeitslohn auf das französische und holländische Niveau her- abzudrücken 5 0). Er sagt u. a. naiv: „Wenn aber unsre Armen (Kunstaus- druck für Arbeiter) luxuriös leben wollen ... muß ihre Arbeit natürlich theuer sein. ... Man betrachte nur die haarsträubende Masse von Ueber- flüssigkeiten (,,heap of superfluities"), die unsre Manufakturarbeiter ver- zehren, als da sind Branntwein, Gin, Thee, Zucker, fremde Früchte, starkes Bier, gedruckte Leinwand, Schnupf- und Rauchtabak e t c . " 5 1 ) . Er citirt die Schrift eines Fabrikanten von Northamtonshire, der mit himmelwärts schielendem Blick jammert: „Arbeit ist ein ganzes Drittheil wohlfeiler in Frankreich als in England: denn die französischen Armen arbeiten hart 20 und fahren hart an Nahrung und Kleidung und ihr Hauptkonsum sind Brod, Früchte, Kräuter, Wurzeln und getrockneter Fisch; denn sie essen sehr selten Fleisch, und wenn der Weizen theuer ist, sehr wenig B r o d " 5 2 ) . „Wozu", fährt der Essayist fort, „wozu noch kömmt, daß ihr Getränk aus Wasser besteht oder ähnlichen schwachen Likören, so daß sie in der That 25 erstaunlich wenig Geld ausgeben .... Ein derartiger Zustand der Dinge ist sicherlich schwer herbeizuführen, aber er ist nicht unerreichbar, wie seine Existenz sowohl in Frankreich als Holland schlagend beweist" 5 3). Zwei 15 30 4 9 ) J. St. Mill: „Essays on some unsettled Questions of Polit. Economy. Lond. 1844", p. 90, 91. 5 0 ) „An Essay on Trade and Commerce. Lond. 1770", p. 43, 44. Aehnlich brachte die Times vom December 1866 und Januar 1867 Herzensergießungen englischer Minenbesitzer, worin der glückliche Zustand der belgischen Minenarbeiter geschildert ward, die nicht mehr ver- langten und nicht mehr erhielten, als strikt nöthig, um für ihre.„masters" zu leben. Die belgi- schen Arbeiter dulden viel, aber als Musterarbeiter in der Times zu fîguriren! Anfang Februar 35 1867 antwortete der mit Pulver und Blei unterdrückte Strike der belgischen Minenarbeiter (bei Marchienne). 5 1 ) I.e. p.44, 46. 5 2 ) Der Fabrikant von Northamptonshire begeht eine im Herzensdrang entschuldbare pia fraus. Er vergleicht angeblich das Leben englischer und französischer Manufakturarbeiter, schildert aber, wie er später in seiner Verdadderung selbst gesteht, mit den eben citirten Wor- ten französische Agrikulturarbeiter! 5 3 ) 1. c. p. 70, 71. Note zur dritten Auflage. Heute sind wir, Dank der seitdem hergestellten Weltmarktskonkurrenz, ein gut Stück weiter. „Wenn China", erklärt das Parlamentsmitglied 40 538 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital Jahrzehnte ||565| später verfolgte ein amerikanischer Humbug, der baroni- sirte Yankee Benjamin Thompson (alias Graf Rumford), dieselbe Philan- thropielinie mit großem Wohlgefallen vor Gott und den Menschen. Seine „Essays" sind ein Kochbuch mit Recepten aller Art, um Surrogate an die 5 Stelle der theuren Normalspeisen des Arbeiters zu setzen. Ein besonders gelungnes Recept dieses wunderlichen „Philosophen" ist folgendes: „Fünf Pfund Gerste, fünf Pfund Mais, für 3 d. Häringe, 1 d. Salz, 1 d. Essig, 2 d. Pfeffer und Kräuter - Summa von 20¾ d. gibt eine Suppe für 64 Men- schen, ja mit den Durchschnittspreisen von Korn kann die Kost auf % d. 10 per Kopf (noch nicht 3 Pfennige) herabgedrückt werden" 5 4). Mit dem Fort- schritt der kapitalistischen Produktion hat die Waarenfälschung Thomp- son's Ideale überflüssig gemacht 5 5). 15 Ende des 18. und während der ersten Decennien des 19. Jahrhunderts er- zwangen die englischen Pächter und Landlords das absolute Minimalsa- lair, indem sie den Ackerbautaglöhnern weniger als das Minimum in der Form des Arbeitslohns, den Rest aber in der Form von Pfarreiunterstüt- zung auszahlten. Ein Beispiel der Possenreißerei, womit die englischen Dogberries in ihrer „legalen" Festsetzung des Lohntarifs verfuhren: „Als die Squires die Arbeitslöhne für Speenhamland 1795 festsetzten, hatten sie 20 zu Mittag gespeist, dachten aber offenbar, daß die Arbeiter nicht desglei- chen nöthig hätten .... Sie entschieden, der Wochenlohn solle 3 sh. per Mann sein, wenn der Laib Brod von 8 Pfund 11 Unzen auf ||566| 1 sh. stünde, und er solle regelmäßig wachsen, bis der Laib 1 sh. 5 d. koste. So- Stapleton seinen Wählern, „wenn China ein großes Industrieland wird, so sehe ich nicht ein, 25 wie die europäische Arbeiterbevölkerung den Kampf aushalten könnte, ohne auf das Niveau ihrer Konkurrenten herabzusteigen." (Times, 9. Sept. 1873.) - Nicht mehr kontinentale, nein, chinesische Löhne, das ist jetzt das ersehnte Ziel des englischen Kapitals. 5 4 ) Benjamin Thompson: „Essays, political, economical, and philosophical etc. 3 vol. Lond. 1796-1802", vol. I, p. 294. In seinem „The State of the Poor, or an History of the Labouring 30 Classes in England etc." empfiehlt Sir F.M. Eden die Rumford'sche Bettelsuppe bestens den Vorstehern von Workhouses und mahnt die englischen Arbeiter vorwurfsvoll, daß „es bei den Schotten viele Familien gibt, die, statt von Weizen, Roggen und Fleisch, Monate lang von Hafergrütze und Gerstenmehl, nur mit Salz und Wasser gemischt, leben und das obendrein noch sehr komfortabel" („and that very comfortably too"). (I.e. v.I, b.II, ch.II, p.503.) Aehnli- 35 che „Fingerzeige" im 19. Jahrhundert. „Die englischen Ackerbauarbeiter", heißt es z.B., „wol- len keine Mischungen niederer Kornarten essen. In Schottland, wo die Erziehung besser ist, ist dieß Vorurtheil wahrscheinlich unbekannt." (Charles H.Parry M.D.: „The Question of the Necessity of the existing Cornlaws considered. Lond. 1816", p. 68, 69.) Derselbe Parry klagt je- doch, daß der englische Arbeiter jetzt (1815) sehr heruntergekommen sei, verglichen mit 40 Eden's Zeit (1797). 5 5 ) Aus den Berichten der letzten parlamentarischen Untersuchungskommission über Fäl- schung von Lebensmitteln sieht man, daß selbst die Fälschung der Arzneistoffe in England nicht Ausnahme, sondern Regel bildet. Z.B. die Examination von 34 Proben von Opium, ge- kauft in eben so viel verschiednen Londoner Apotheken, ergab, daß 31 verfälscht waren mit 45 Mohnkapsel, Weizenmehl, Gummischleim, Thon, Sand u. s. w. Viele enthielten kein Atom Morphin. 539 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 bald er über diesen Preis stiege, sollte der Lohn proportioneil abnehmen, bis der Preis des Laibes 2 sh. erreicht hätte; und dann sollte die Nahrung des Mannes % weniger als vorher s e i n " 5 6 ) . Vor dem Untersuchungscomité des House of Lords, 1814, wird ein gewisser A. Bennett, großer Pächter, Magistrat, Armenhausverwalter und Lohnregulator, gefragt: „Wird irgend eine Proportion zwischen dem Werth der Tagesarbeit und der Pfarreiunter- stützung der Arbeiter beobachtet?" Antwort: „Ja. Das wöchentliche Ein- kommen jeder Familie wird über ihren Nominallohn hinaus voll gemacht bis zum Gallonlaib Brod (8 Pf. 11 Unzen) und 3 d. per K o p f . . . . Wir unter- stellen den Gallonlaib hinreichend für die Erhaltung jeder Person in der 10 Familie während der Woche; und die 3 d. sind für Kleider; und wenn es der Pfarrei beliebt, die Kleider selbst zu stellen, werden die 3 d. abgezogen. Diese Praxis herrscht nicht nur im ganzen Westen von Wiltshire, sondern, wie ich glaube, im ganzen L a n d " 5 7 ) . „So", ruft ein Bourgeoisschriftsteller jener Zeit, „haben die Pächter Jahre lang eine respektable Klasse ihrer 15 Landsleute degradirt, indem sie dieselben zwangen, zum Workhouse ihre Zuflucht zu nehmen ... Der Pächter hat seine eignen Gewinne vermehrt, indem er selbst die Akkumulation des unentbehrlichsten Konsumfonds auf Seite der Arbeiter verhinderte" 5 8). Welche Rolle heutzutag der direkte Raub am nothwendigen Konsumtionsfonds des Arbeiters in der Bildung 20 des Mehrwerths und daher des Akkumulationsfonds des Kapitals spielt, hat beispielsweis die sog. Hausarbeit (S. Kap. X V , 8, c.) gezeigt. Weitere Thatsachen im Verlauf dieses Abschnitts. Obschon in allen Industriezweigen der aus Arbeitsmitteln bestehende Theil des konstanten Kapitals genügen muß für eine gewisse, durch die 25 Größe der Anlage bestimmte Anzahl Arbeiter, so braucht er doch keines- wegs immer in demselben Verhältniß zu wachsen, wie die beschäftigte Ar- beitsmenge. In einer Fabrikanlage mögen hundert Arbeiter bei achtstündi- ger Arbeit 800 Arbeitsstunden liefern. Will der Kapitalist diese Summe um die Hälfte ||567| steigern, so kann er 50 neue Arbeiter anstellen; dann muß 30 er aber auch ein neues Kapital vorschießen, nicht nur für Löhne, sondern auch für Arbeitsmittel. Er kann aber auch die alten 100 Arbeiter 12 Stun- den arbeiten lassen statt 8, und dann genügen die schon vorhandnen Ar- beitsmittel, die sich dann bloß rascher verschleißen. So kann durch höhere Anspannung der Arbeitskraft erzeugte, zusätzliche Arbeit das Mehrpro- 35 5 6 ) G.L. Newnham (barrister at law): „A Review of the Evidence before the Committees of the two Houses of Parliament on the Cornlaws. Lond. 1815", p. 20, Note. 5 7 ) 1. c. p. 19, 20. 5 8 ) Ch. H. Parry 1. c. p. 77, 69. Die Herrn Landlords ihrerseits „indemnificirten" sich nicht nur für den Antijakobinerkrieg, den sie im Namen Englands führten, sondern bereicherten sich enorm. „Ihre Renten verdoppelten, verdreifachten, vervierfachten und, in Ausnahmsfällen, versechsfachten sich in 18 Jahren." (1. c. p. 100, 101.) 40 540 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital dukt und den Mehrwerth, die Substanz der Akkumulation, steigern ohne verhältnißmäßige Steigerung des konstanten Kapitaltheils. In der extraktiven Industrie, den Bergwerken z. B . , bilden die Rohstoffe keinen Bestandtheil des Kapitalvorschusses. Der Arbeitsgegenstand ist hier 5 nicht Produkt vorhergegangner Arbeit, sondern von der Natur gratis ge- schenkt. So Metallerz, Minerale, Steinkohlen, Steine etc. Hier besteht das konstante Kapital fast ausschließlich in Arbeitsmitteln, die ein vermehrtes Arbeitsquantum sehr gut vertragen können (Tag- und Nacht-Schicht von Arbeitern z . B . ) . Alle andern Umstände gleichgesetzt, wird aber Masse und 10 Werth des Produkts steigen in direktem Verhältniß der angewandten Ar- beit. Wie am ersten Tag der Produktion, gehn hier die ursprünglichen Pro- duktbildner, daher auch die Bildner der stofflichen Elemente des Kapitals, Mensch und Natur, zusammen. Dank der Elasticität der Arbeitskraft, hat sich das Gebiet der Akkumulation erweitert ohne vorherige Vergrößerung 15 des konstanten Kapitals. In der Agrikultur kann man das bebaute Land nicht ausdehnen ohne Vorschuß von zusätzlichem Samen und Dünger. Aber dieser Vorschuß ein- mal gemacht, übt selbst die rein mechanische Bearbeitung des Bodens eine wunderthätige Wirkung auf die Massenhaftigkeit des Produkts. Eine grö- 20 ßere Arbeitsmenge, geleistet von der bisherigen Anzahl Arbeiter, steigert so die Fruchtbarkeit, ohne neuen Vorschuß an Arbeitsmitteln zu erfordern. Es ist wieder direkte Wirkung des Menschen auf die Natur, welche zur un- mittelbaren Quelle gesteigerter Akkumulation wird, ohne Dazwischen- kunft eines neuen Kapitals. 25 Endlich in der eigentlichen Industrie setzt jede zusätzliche Ausgabe an Arbeit eine entsprechende Zusatzausgabe an Rohstoffen voraus, aber nicht nothwendig auch an Arbeitsmitteln. Und da die extraktive Industrie und Agrikultur der fabricirenden Industrie ihre eignen Rohstoffe und die ihrer Arbeitsmittel liefern, kommt dieser auch der Produktenzuschuß zugute, 30 den jene ohne zusätzlichen Kapitalzuschuß erzeugt haben. | |568| Allgemeines Resultat: Indem das Kapital sich die beiden Urbildner des Reichthums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine Expan- sionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudeh- nen jenseits der scheinbar durch seine eigne Größe gesteckten Grenzen, 35 gesteckt durch den Werth und die Masse der bereits producirten Produk- tionsmittel, in denen es sein Dasein hat. Ein andrer wichtiger Faktor in der Akkumulation des Kapitals ist der Produktivitätsgrad der gesellschaftlichen Arbeit. 40 Mit der Produktivkraft der Arbeit wächst die Produktenmasse, worin sich ein bestimmter Werth, also auch Mehrwerth von gegebner Größe dar- stellt. Bei gleichbleibender und selbst bei fallender Rate des Mehrwerths, 541 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 sofern sie nur langsamer fallt, als die Produktivkraft der Arbeit steigt, wächst die Masse des Mehrprodukts. Bei gleichbleibender Theilung dessel- ben in Revenue und Zusatzkapital kann daher die Konsumtion des Kapita- listen wachsen ohne Abnahme des Akkumulationsfonds. Die proportio- neile Größe des Akkumulationsfonds kann selbst auf Kosten des Konsumtionsfonds wachsen, während die Verwohlfeilerung der Waaren dem Kapitalisten eben so viele oder mehr Genußmittel als vorher zur Ver- fügung stellt. Aber mit der wachsenden Produktivität der Arbeit geht, wie man gesehn, die Verwohlfeilerung des Arbeiters, also wachsende Rate des Mehrwerths, Hand in Hand, selbst wenn der reelle Arbeitslohn steigt. Er 10 steigt nie verhältnißmäßig mit der Produktivität der Arbeit. Derselbe varia- ble Kapitalwerth setzt also mehr Arbeitskraft und daher mehr Arbeit in Bewegung. Derselbe konstante Kapitalwerth stellt sich in mehr Produk- tionsmitteln, d. h. mehr Arbeitsmitteln, Arbeitsmaterial und Hülfsstoffen dar, liefert also sowohl mehr Produktbildner als Werthbildner, oder Ar- 15 beitseinsauger. Bei gleichbleibendem und selbst abnehmendem Werth des Zusatzkapitals findet daher beschleunigte Akkumulation statt. Nicht nur erweitert sich die Stufenleiter der Reproduktion stofflich, sondern die Pro- duktion des Mehrwerths wächst schneller als der Werth des Zusatzkapitals. Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit reagirt auch auf das Ori- 20 ginalkapital oder das bereits im Produktionsproceß befindliche Kapital. Ein Theil des funktionirenden konstanten Kapitals besteht aus Arbeitsmit- teln, wie Maschinerie u.s.w., die nur in längeren Perioden konsumirt und daher reproducirt oder durch neue Exemplare derselben Art ersetzt wer- den. Aber jedes Jahr stirbt ein Theil dieser Arbeitsmittel ab, oder erreicht 25 das Endziel ||569| seiner produktiven Funktion. Er befindet sich daher j e - des Jahr im Stadium seiner periodischen Reproduktion oder seines Ersat- zes durch neue Exemplare derselben Art. Hat die Produktivkraft der Arbeit sich in der Geburtsstätte dieser Arbeitsmittel erweitert, und sie entwickelt sich fortwährend mit dem ununterbrochenen Fluß der Wissenschaft und 30 der Technik, so tritt wirkungsvollere und, ihren Leistungsumfang betrach- tet, wohlfeilere Maschine, Werkzeug, Apparat u. s. w. an die Stelle der al- ten. Das alte Kapital wird in einer produktiveren Form reproducirt, abge- sehn von der fortwährenden Detailveränderung an den vorhandnen Arbeitsmitteln. Der andre Theil des konstanten Kapitals, Rohmaterial und 35 Hülfsstoffe, wird fortwährend innerhalb des Jahrs, der der Agrikultur ent- stammende meist jährlich reproducirt. Jede Einführung beßrer Methoden u. s.w. wirkt hier also fast gleichzeitig auf Zuschußkapital und bereits in Funktion begriffnes Kapital. Jeder Fortschritt der Chemie vermaniiigfacht nicht nur die Zahl der nützlichen Stoffe und die Nutzanwendungen der 40 schon bekannten, und dehnt daher mit dem Wachsthum des Kapitals seine 542 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital Anlagesphären aus. Er lehrt zugleich die Exkremente des Produktions- und Konsumtionsprocesses in den Kreislauf des Reproduktionsprocesses zu- rückschleudern, schafft also ohne vorherige Kapitalauslage neuen Kapital- stoff. Gleich vermehrter Ausbeutung des Naturreichthums durch bloß hö- 5 here Spannung der Arbeitskraft, bilden Wissenschaft und Technik eine von der gegebnen Größe des funktionirenden Kapitals unabhängige Potenz sei- ner Expansion. Sie reagirt zugleich auf den in sein Erneuerungsstadium eingetretenen Theil des Originalkapitals. In seine neue Form einverleibt es gratis den hinter dem Rücken seiner alten Form vollzogenen gesellschaftli- chen Fortschritt. Allerdings ist diese Entwicklung der Produktivkraft zu- gleich begleitet von theilweiser Depreciation funktionirender Kapitale. So- weit diese Depreciation sich durch die Konkurrenz akut fühlbar macht, fällt die Hauptwucht auf den Arbeiter, in dessen gesteigerter Exploitation der Kapitalist Schadenersatz sucht. 10 15 20 Die Arbeit überträgt auf das Produkt den Werth der von ihr konsumirten Produktionsmittel. Andrerseits wächst Werth und Masse der durch ge- gebne Arbeitsmenge in Bewegung gesetzten Produktionsmittel im Verhält- niß wie die Arbeit produktiver wird. Setzt also auch dieselbe Arbeitsmenge ihren Produkten immer nur dieselbe Summe Neuwerth zu, so wächst doch der alte Kapitalwerth, den sie ihnen gleichzeitig überträgt, mit steigender Produktivität der Arbeit. | 25 30 |570| Ein englischer und ein chinesischer Spinner z.B. mögen dieselbe Stundenzahl mit derselben Intensität arbeiten, so werden beide in einer Woche gleiche Werthe erzeugen. Trotz dieser Gleichheit besteht ein unge- heurer Unterschied zwischen dem Werth des Wochenprodukts des Englän- ders, der mit einem gewaltigen Automaten arbeitet, und des Chinesen, der nur ein Spinnrad hat. In derselben Zeit, wo der Chinese ein Pfund Baum- wolle, verspinnt der Engländer mehrere Hundert Pfund. Eine um mehrere Hundert Mal größere Summe alter Werthe schwellt den Werth seines Pro- dukts an, in welchem sie in neuer nutzbarer Form erhalten werden und so von Neuem als Kapital funktioniren können. „1782", belehrt uns F.Engels, „lag die ganze Wollernte der vorhergehenden drei Jahre (in England) aus Mangel an Arbeitern noch unverarbeitet da und hätte liegen bleiben müs- sen, wenn nicht die neu erfundne Maschinerie zu Hülfe gekommen wäre 35 und sie versponnen hätte" 5 9). Die in der Form von Maschinerie vergegen- ständlichte Arbeit stampfte natürlich unmittelbar keinen Menschen aus dem Boden, aber sie erlaubte einer geringen Arbeiteranzahl durch Zusatz von relativ wenig lebendiger Arbeit nicht nur die Wolle produktiv zu kon- sumiren und ihr Neuwerth zuzusetzen, sondern in der Form von Garn 40 5 9 ) F. Engels: „Lage der arbeitenden Klasse in England", p, 20. 543 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals u.s.w. ihren alten Werth zu erhalten. Sie lieferte damit zugleich Mittel und Sporn zur erweiterten Reproduktion von Wolle. Es ist die Naturgabe der le- bendigen Arbeit, alten Werth zu erhalten, während sie Neuwerth schafft. Mit dem Wachsthum von Wirksamkeit, Umfang und Werth ihrer Produk- tionsmittel, also mit der die Entwicklung ihrer Produktivkraft begleitenden 5 Akkumulation erhält und verewigt die Arbeit daher in stets neuer Form einen stets schwellenden Kapitalwerth 6 0). 115711 Diese Naturkraft der Arbeit 15 6 0 ) Die klassische Oekonomie hat wegen mangelhafter Analyse des Arbeits- und Verwer- thungsprocesses dieß wichtige Moment der Reproduktion nie ordentlich begriffen, wie man z.B. bei Ricardo sehn kann. Er sagt z.B.: Welches immer der Wechsel der Produktivkraft, 10 „Eine Million Menschen producirt in den Fabriken stets denselben Werth." Dieß richtig, wenn Extension und Intensivgrad ihrer Arbeit gegeben. Es verhindert aber nicht, und Ricardo übersieht dieß in gewissen Schlußfolgerungen, daß eine Million Menschen sehr verschiedne Massen von Produktionsmitteln, bei verschiedner Produktivkraft ihrer Arbeit, in Produkt ver- wandelt, daher sehr verschiedne Werthmassen in ihrem Produkt erhält, die von ihr gelieferten Produktenwerthe also sehr verschieden sind. Ricardo hat, nebenbei bemerkt, an jenem Bei- spiel umsonst versucht, dem J . B . Say den Unterschied zwischen Gebrauchswerth (den er hier wealth nennt, stofflichen Reichthum) und Tauschwerth klar zu machen. Say antwortet: « Quant à la difficulté qu'élève Mr. Ricardo en disant que, par des procédés mieux entendus, un million de personnes peuvent produire deux fois, trois fois autant de richesses, sans pro- 20 duire plus de valeurs, cette difficulté n'est pas une lorsque l'on considère, ainsi qu'on le doit, la production comme un échange dans lequel on donne les services productifs de son travail, de sa terre, et de ses capitaux, pour obtenir des produits. C'est par le moyen de ces services productifs que nous acquérons tous les produits qui sont au monde. Or ... nous sommes d'autant plus riches, nos services productifs ont d'autant plus de valeur, qu'ils obtiennent 25 dans l'échange appelé production, une plus grande quantité de choses utiles.» (J.B. Say: ,,Let- tres à M.Malthus. Paris 1820", p. 168, 169.) Die ,,difficulté" - sie existirt für ihn, nicht für Ri- cardo - die Say erklären soll, ist die: Warum vermehrt sich nicht der Werth der Gebrauchs- werthe, wenn ihre Quantität in Folge gesteigerter Produktivkraft der Arbeit wächst? Antwort: Die Schwierigkeit wird dadurch gelöst, daß man den Gebrauchswerth gefälligst Tauschwerth 30 nennt. Tauschwerth ist ein Ding, das one way or another mit Austausch zusammenhängt. Man nenne also die Produktion einen „Austausch" von Arbeit und Produktionsmitteln gegen das Produkt, und es ist klar wie Wasser, daß man um so mehr Tauschwerth erhält, je mehr Ge- brauchswerth einem die Produktion liefert. In andren Worten: Je mehr Gebrauchswerthe, z.B. Strümpfe, ein Arbeitstag dem Strumpffabrikanten liefert, desto reicher ist er an Strümpfen. 35 Plötzlich fällt Say jedoch ein, daß „mit der größern Quantität" der Strümpfe ihr „Preis" (der natürlich nichts mit dem Tauschwerth zu thun hat) fällt, ,,parce que la concynencQ les (les producteurs) oblige à donner les produits pour ce qu'ils leur coûtent". Aber wo denn kommt der Profit her, wenn der Kapitalist die Waaren zu dem Preis verkauft, den sie ihm kosten? Doch never mind. Say erklärt, daß in Folge der gesteigerten Produktivität jeder im Ersatz für 40 dasselbe Aequivalent jetzt zwei statt früher ein paar Strümpfe u.s.w. erhält. Das Resultat, wo- bei er anlangt, ist grade der Satz Ricardos, den er widerlegen wollte. Nach dieser gewaltigen Denkanstrengung apostrophirt er Malthus triumphirend mit den Worten: «Telle est, mon- sieur, la doctrine bien liée sans laquelle il est impossible, je le déclare, d'expliquer les plus grandes difficultés de l'économie politique et notamment, comment il se peut qu'une nation 45 soit plus riche lorsque ses produits diminuent de valeur, quoique la richesse soit de la valeur. » (I.e. p. 170.) Ein englischer Oekonom bemerkt über ähnliche Kunststücke in Say's ,,Lettres": „Diese affektirten Manieren zu schwatzen (,,those affected ways of talking") bilden im Gan- zen das, was Herr Say seine Doktrin zu nennen beliebt und die er dem Malthus ans Herz legt zu Hertford zu lehren, wie das schon ,dans plusieurs parties de l'Eurqpe' geschehe. Er sagt: < Si 50 vous trouvez une physionomie de paradoxe â toutes ces propositions, voyez les choses qu'elles 544 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital erscheint als Selbsterhaltungskraft des Kapitals, dem sie einverleibt ist, ganz wie ihre gesellschaftlichen Produktivkräfte als seine Eigenschaften, und wie die beständige Aneignung der Mehrarbeit durch den Kapitalisten als beständige Selbstverwerthung des Kapitals. Alle Kräfte der Arbeit pro- 5 jektiren sich als Kräfte des Kapitals, wie alle Werthformen der Waare als Formen des Geldes. Mit dem Wachsthum des Kapitals wächst die Differenz zwischen ange- wandtem und konsumirtem Kapital. In andren Worten: Es ||572| wächst die Werth- und Stoffmasse der Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Maschinerie, 10 Drainirungsröhren, Arbeitsvieh, Apparate jeder Art, die während längerer oder kürzerer Periode, in beständig wiederholten Produktionsprocessen, ihrem ganzen Umfang nach funktioniren, oder zur Erzielung bestimmter Nutzeffekte dienen, während sie nur allmählig verschleißen, daher ihren Werth nur stückweis verlieren, also auch nur stückweis auf das Produkt 15 übertragen. Im Verhältniß, worin diese Arbeitsmittel als Produktbildner dienen, ohne dem Produkt Werth zuzusetzen, also ganz angewandt, aber nur theilweis konsumirt werden, leisten sie, wie früher erwähnt, denselben Gratisdienst wie Naturkräfte, Wasser, Dampf, Luft, Elektricität u.s.w. Die- ser Gratisdienst der vergangnen Arbeit, wenn ergriffen und beseelt von der lebendigen Arbeit, akkumulirt mit der wachsenden Stufenleiter der Akku- mulation. 20 Da die vergangne Arbeit sich stets in Kapital verkleidet, d. h. das Passi- vum der Arbeit von A, B, C u. s. w. in das Aktivum des Nichtarbeiters X, sind Bürger und politische Oekonomen voll des Lobes für die Verdienste 25 der vergangnen Arbeit, welche nach dem schottischen Genie MacCulloch sogar einen eignen Sold (Zins, Profit u. s. w.) beziehn m u ß 6 1 ) . Das stets wachsende Gewicht der im lebendigen Arbeitsproceß unter der Form von Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem Arbeiter selbst, dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfremde- ten Gestalt zugeschrieben, ihrer Kapitalgestalt. Die praktischen Agenten der kapitalistischen Produktion und ihre ideologischen Zungendrescher ' sind ebenso unfähig, das Produktionsmittel von der antagonistischen ge- sellschaftlichen Charaktermaske, die ihm heutzutag anklebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst von seinem Charakter als 30 35 Sklave. Bei gegebnem Exploitationsgrad der Arbeitskraft ist die Masse des expriment, et j'ose croire qu'elles vous paraîtront fort simples et fort raisonnables.) Zweifels- ohne, und zugleich werden sie in Folge desselben Processes alles andere, nur nicht original oder wichtig erscheinen." („An Inquiry into those Principles respecting the Nature of Demand etc.", p. 110.) 6 1 ) MacCulloch löste das Patent auf ,,wages of past labour", lange bevor Senior das Patent auf die ,,wages of abstinence". 40 545 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Mehrwerths bestimmt durch die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten Ar- beiter, und diese entspricht, obgleich in wechselndem Verhältniß, der Größe des Kapitals. Jemehr also das Kapital vermittelst successiver Akku- mulationen wächst, desto mehr wächst auch die Werthsumme, die sich in Konsumtionsfonds und Akkumulationsfonds spaltet. Der Kapitalist kann daher flotter leben und zugleich mehr „entsagen". Und schließlich spielen alle Springfedern der Produktion um so energischer, je mehr ihre | |573| Stufenleiter sich erweitert mit der Masse des vorgeschossenen Kapi- tals. 5. Der sogenannte Arbeitsfonds. 5 10 Es ergab sich im Verlauf dieser Untersuchung, daß das Kapital keine fixe Größe ist, sondern ein elastischer und mit der Theilung des Mehrwerths in Revenue und Zusatzkapital beständig fluktuirender Theil des gesellschaft- lichen Reichthums. Man sah ferner, daß selbst bei gegebner Größe des funktionirenden Kapitals, die ihm einverleibte Arbeitskraft, Wissenschaft 15 und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zuthat des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn sind) elastische Potenzen des- selben bilden, die ihm innerhalb gewisser Grenzen einen von seiner eignen Größe unabhängigen Spielraum gestatten. Es wurde dabei von allen Ver- hältnissen des Cirkulationsprocesses abgesehn, die sehr verschiedne Wir- 20 kungsgrade derselben Kapitalmasse verursachen. Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Produktion voraussetzen, also eine rein na- turwüchsige Gestalt des gesellschaftlichen Produktionsprocesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Produktionsmitteln und Arbeitskräften un- mittelbar und planmäßig bewirkbaren rationelleren Kombination. Die 25 klassische Oekonomie liebte es von jeher, das gesellschaftliche Kapital als eine fixe Größe von fixem Wirkungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurtheil ward erst zum Dogma befestigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, dieß nüchtern pedantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürger- verstandes des 19. Jahrhunderts 6 2). Bentham ist unter den Philosophen, was 30 Martin Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabricir- bar 6 3). Mit seinem Dogma werden die gewöhnlichsten Erschei||574|nungen 6 2 ) Vgl. u.a.: J.Bentham: „Theorie des Peines et des Récompenses, trad. Et. Dumont. 3eme éd." Paris 1826, t. II, 1. IV, ch. II. 6 3 ) Jeremias Bentham ist ein rein englisches Phänomen. Selbst unsern Philosophen Christian 35 Wolf nicht ausgenommen, hat zu keiner Zeit und in keinem Land der hausbackenste Ge- meinplatz sich jemals so selbstgefällig breit gemacht. Das Nützlichkeitsprincip war keine Er- findung Bentham's. Er reproducirte nur geistlos, was Helvetius und andere Franzosen des 18. Jahrhunderts geistreich gesagt hatten. Wenn man z.B. wissen will, was ist einem Hunde nützlich?, so muß man die Hundenatur ergründen. Diese Natur selbst ist nicht aus dem 40 546 Zweiundzwanzigstes Kapitel • Verwandlung von Mehrwert in Kapital 10 des Produktionsprocesses, wie z.B. dessen plötzliche Expansionen und Kontraktionen, ja sogar die Akkumulation, völlig unbegreifbar 6 4). Das Dogma wurde sowohl von Bentham selbst als von Malthus, James Mill, MacCulloch u. s. w. zu apologetischen Zwecken vernutzt, namentlich um 5 einen Theil des Kapitals, das variable oder in Arbeitskraft umsetzbare Ka- pital als eine fixe Größe darzustellen. Die stoffliche Existenz des variablen Kapitals, d.h. die Masse der Lebensmittel, die es für den Arbeiter repräsen- tirt, oder der sog. Arbeitsfonds, wurde in einen durch Naturketten abge- ringten und unüberschreitbaren Sondertheil des gesellschaftlichen Reich- thums verfabelt. Um den Theil des gesellschaftlichen Reichthums, der als konstantes Kapital oder, stofflich ausgedrückt, als Produktionsmittel funk- tioniren soll, in Bewegung zu setzen, ist eine bestimmte Masse lebendiger Arbeit erheischt. Diese ist technologisch gegeben. Aber weder ist die An- zahl der Arbeiter gegeben, erheischt um diese Arbeitsmasse flüssig zu ma- 15 chen, denn das wechselt mit dem Exploitationsgrad der individuellen Ar- beitskraft, noch der Preis dieser Arbeitskraft, sondern nur seine zudem sehr elastische Minimals ehr anke. Die Thatsachen, die dem Dogma zu Grund liegen, sind die. Einerseits hat der Arbeiter nicht mitzusprechen bei der Theilung des gesellschaftlichen Reichthums in Genußmittel der Nichtar- 20 beiter und in Produktionsmittel. Andrerseits kann er nur in günstigen | 15751 Ausnahmsfällen den sog. „Arbeitsfonds" auf Kosten der „Revenue" des Reichen erweitern 6 5). „Nützlichkeitsprincip" zu konstruiren. Auf den Menschen angewandt, wenn man alle menschliche That, Bewegung, Verhältnisse u.s.w. nach dem Nützlichkeitsprincip beurtheilen 25 will, handelt es sich erst um die menschliche Natur im Allgemeinen und dann um die in jeder Epoche historisch modificirte Menschennatur. Bentham macht kein Federlesens. Mit der naivsten Trockenheit unterstellt er den modernen Spießbürger, speciell den englischen Spieß- bürger, als den Normalmenschen. Was diesem Kauz von Normalmensch und seiner Welt nützlich, ist an und für sich nützlich. An diesem Maßstab beurteilt er dann Vergangenheit, 30 Gegenwart und Zukunft. Z.B. die christliche Religion ist „nützlich", weil sie dieselben Misse- thaten religiös verpönt, die der Strafcodex juristisch verdammt. Kunstkritik ist „schädlich", weil sie ehrbare Leute in ihrem Genuß an Martin Tupper stört u.s.w. Mit solchem Schund hat der brave Mann, dessen Devise: ,,nulla dies sine linea", Berge von Büchern gefüllt. Wenn ich die Courage meines Freundes H. Heine hätte, würde ich Herrn Jeremias ein Genie in der bür- 35 gerlichen Dummheit nennen. 40 6 4 ) „Politische Oekonomen sind zu geneigt, eine bestimmte Quantität von Kapital und eine bestimmte Anzahl Arbeiter als Produktionsinstrumente von gleichförmiger Kraft und als mit einer gewissen gleichförmigen Intensität wirkend zu behandeln. ... Diejenigen, die behaup- ten, daß Waaren die einzigen Agenten der Produktion sind, beweisen, daß die Produktion überhaupt nicht erweitert werden kann, denn zu einer solchen Erweiterung müßten Lebens- mittel, Rohmaterialien und Werkzeuge vorher vermehrt werden, was in der That darauf hin- aus kommt, daß kein Wachsthum der Produktion ohne ihr vorheriges Wachsthum stattfinden kann, oder, in andren Worten, daß jedes Wachsthum unmöglich ist." (S. Bailey: ,,Money and its Vicissitudes", p. 58 u. 70.) Bailey kritisirt das Dogma hauptsächlich vom Standpunkt des 45 Cirkulationsprocesses. 6 5 ) J. St. Mill sagt in seinen ,,Principles of Polit. Economy": „Das Produkt der Arbeit wird 547 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Zu welch abgeschmackter Tautologie es führt, die kapitalistische Schranke des Arbeitsfonds in seine gesellschaftliche Naturschranke umzu- dichten, zeige u. a. Professor Fawcett: „Das cirkulirende Kapital 6 6) eines Landes", sagt er, „ist sein Arbeitsfonds. Um daher den durchschnittlichen Geldlohn, den jeder Arbeiter erhält, zu berechnen, haben wir nur einfach dieß Kapital durch die Anzahl der Arbeiterbevölkerung zu dividiren" 6 7). D. h. also, erst rechnen wir die wirklich gezahlten individuellen Arbeits- löhne in eine Summe zusammen, dann behaupten wir, daß diese Addition die Werthsumme des von Gott und Natur oktroyirten „Arbeitsfonds" bil- det. Endlich dividiren wir die so erhaltne Summe durch die Kopfzahl der 10 Arbeiter, um hinwiederum zu entdecken, wie viel jedem Arbeiter individu- ell im Durchschnitt zufallen kann. Eine ungemein pfiffige Procedur dieß. Sie verhindert Herrn Fawcett nicht, im selben Athemzug zu sagen: „Der in England jährlich akkumulirte Gesammtreichthum wird in zwei Theile getheilt. Ein Theil wird in England zur Erhaltung unsrer eignen Industrie 15 verwandt. Ein andrer Theil wird in andre Länder exportirt ... Der in unsrer Industrie angewandte Theil bildet keine bedeutende Portion des jährlich in diesem Land akkumulirten Reichthums" 6 8). Der größere Theil des jährlich zuwachsenden Mehrprodukts, dem englischen Arbeiter ohne Aequivalent entwandt, wird also nicht in England, sondern in fremden Ländern verkapi- 20 talisirt. Aber mit ||576| dem so exportirten Zusatzkapital wird ja auch ein Theil des von Gott und Bentham erfundnen „Arbeitsfonds" exportirt 6 9). heutzutag vertheilt im umgekehrten Verhältniß zur Arbeit - der größte Theil an die, die nie- mals arbeiten, der nächst größte an die, deren Arbeit fast nur nominell ist, und so, auf abstei- gender Skala, schrumpft die Belohnung zusammen, im Maße wie die Arbeit härter und unan- 25 genehmer wird, bis die ermüdendste und erschöpfendste körperliche Arbeit nicht mit Sicherheit auch nur auf Gewinnung der Lebensbedürfnisse rechnen kann." Zur Vermeidung von Mißverständniß bemerke ich, daß, wenn Männer wie J. St. Mill u.s.w. wegen des Wider- spruchs ihrer altökonomischen Dogmen und ihrer modernen Tendenzen zu rügen sind, es durchaus unrecht wäre, sie mit dem Troß der vulgärökonomischen Apologeten zusammenzu- 30 werfen. 6 6 ) H. Fawcett, Prof. of Polit. Econ. at Cambridge: „The Economic Position of the British La- bourer. Lond. 1865", p. 120. 6 7 ) Ich erinnere hier den Leser, daß die Kategorien: variables und konstantes Kapital von mir zuerst gebraucht werden. Die politische Oekonomie seit A. Smith wirft die darin enthaltenen 35 Bestimmungen mit den aus dem Cirkulationsproceß entspringenden Formunterschieden von fixem und cirkulirendem Kapital kunterbunt zusammen. Das Nähere darüber im Zweiten Buch, zweiter Abschnitt. 6 8 ) Fawcett I.e. p.123, 122. 6 9 ) Man könnte sagen, daß nicht nur Kapital, sondern auch Arbeiter, in Form der Emigration, 40 jährlich aus England exportirt werden. Im Text ist jedoch gar nicht die Rede vom Peculium der Auswanderer, die zum großen Theil keine Arbeiter sind. Die Pächterssöhne liefern große Portion. Das jährlich zur Verzinsung ins Ausland versandte englische Zusatzkapital steht in ungleich größerem Verhältniß zur jährlichen Akkumulation als die jährliche Auswanderung zum jährlichen Zuwachs der Bevölkerung. 45 548 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation D R E I U N D Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. 5 1. Wachsende Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkumulation, bei gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals. Wir behandeln in diesem Kapital den Einfluß, den das Wachsthum des Kapitals auf das Geschick der Arbeiterklasse ausübt. Der wichtigste Faktor bei dieser Untersuchung ist die Zusammensetzung des Kapitals und die Veränderungen, die sie im Verlauf des Akkumulationsprocesses durch- 10 macht. Die Zusammensetzung des Kapitals ist in zweifachem Sinn zu fassen. Nach der Seite des Werths bestimmt sie sich durch das Verhältniß, worin es sich theilt in konstantes Kapital oder Werth der Produktionsmittel und variables Kapital oder Werth der Arbeitskraft, Gesammtsumme der Ar- 15 beitslöhne. Nach der Seite des Stoffs, wie er im Produktionsproceß fungirt, theilt sich jedes Kapital in Produktionsmittel und lebendige Arbeitskraft; diese Zusammensetzung bestimmt sich durch das Verhältniß zwischen der Masse der angewandten Produktionsmittel einerseits und der zu ihrer An- wendung erforderlichen Arbeitsmenge andrerseits. Ich nenne die erstere 20 die Werthzusammensetzung, die zweite die technische Zusammensetzung des Kapitals. Zwischen beiden besteht enge Wechselbeziehung. Um diese auszudrücken, nenne ich die Werthzusammensetzung des Kapitals, inso- fern sie durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und de- ren Aenderungen wiederspiegelt: die organische Zusammensetzung des 25 Kapitals. Wo von der Zusammensetzung des Kapitals kurzweg die Rede, ist stets seine organische Zusammensetzung zu verstehn. Die zahlreichen in einem bestimmten Produktionszweig ange||577|leg- ten Einzelkapitale haben unter sich mehr oder weniger verschiedne Zu- sammensetzung. Der Durchschnitt ihrer Einzelzusammensetzungen ergibt 30 uns die Zusammensetzung des Gesammtkapitals dieses Produktions- zweigs. Endlich ergibt uns der Gesammtdurchschnitt der Durchschnittszu- sammensetzungen sämmtlicher Produktionszweige die Zusammensetzung des gesellschaftlichen Kapitals eines Landes, und von dieser allein in letz- ter Instanz ist im Folgenden die Rede. 35 Wachsthum des Kapitals schließt Wachsthum seines variablen oder in Arbeitskraft umgesetzten Bestandtheils ein. Ein Theil des in Zusatzkapital verwandelten Mehrwerths muß stets rückverwandelt werden in variables 549 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Kapital oder zuschüssigen Arbeitsfonds. Unterstellen wir, daß, nebst sonst gleichbleibenden Umständen, die Zusammensetzung des Kapitals unver- ändert bleibt, d. h. eine bestimmte Masse Produktionsmittel oder konstan- tes Kapital stets dieselbe Masse Arbeitskraft erheischt, um in Bewegung ge- setzt zu werden, so wächst offenbar die Nachfrage nach Arbeit und der Subsistenzfonds der Arbeiter verhältnißmäßig mit dem Kapital und um so rascher, je rascher das Kapital wächst. Da das Kapital jährlich einen Mehr- werth producirt, wovon ein Theil jährlich zum Originalkapital geschlagen wird, da dieß Inkrement selbst jährlich wächst mit dem zunehmenden Um- fang des bereits in Funktion begriffenen Kapitals, und da endlich, unter 10 besondrem Sporn des Bereicherungstriebs, wie z.B. Oeffnung neuer Märkte, neuer Sphären der Kapitalanlage in Folge neu entwickelter gesell- schaftlicher Bedürfnisse u. s. w., die Stufenleiter der Akkumulation plötz- lich ausdehnbar ist durch bloß veränderte Theilung des Mehrwerths oder Mehrprodukts in Kapital und Revenue, können die Akkumulationsbedürf- 15 nisse des Kapitals das Wachsthum der Arbeitskraft oder der Arbeit er an- zahi, die Nachfrage nach Arbeitern ihre Zufuhr überflügeln, und daher die Arbeitslöhne steigen. Dieß muß sogar schließlich der Fall sein bei unverän- derter Fortdauer obiger Voraussetzung. Da in jedem Jahr mehr Arbeiter beschäftigt werden als im vorhergehenden, so muß früher oder später der 20 Punkt eintreten, wo die Bedürfnisse der Akkumulation anfangen über die gewöhnliche Zufuhr von Arbeit hinauszuwachsen, wo also Lohnsteigerung eintritt. Klage hierüber ertönt in England während des ganzen fünfzehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Die mehr oder min- der günstigen Umstände, worin sich die Lohnarbeiter erhalten und vermeh- 25 ren, ändern jedoch nichts am Grundcharakter der kapitalistischen Produk- tion. Wie die einfache ||578| Reproduktion fortwährend das Kapitalverhält- niß selbst reproducirt, Kapitalisten auf der einen Seite, Lohnarbeiter auf der andren, so reproducirt die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter oder die Akkumulation das Kapitalverhältniß auf erweiterter Stufenleiter, 30 mehr Kapitalisten oder größere Kapitalisten auf diesem Pol, mehr Lohnar- beiter auf jenem. Die Reproduktion der Arbeitskraft, die sich dem Kapital unaufhörlich als Verwerthungsmittel einverleiben muß, nicht von ihm los- kommen kann, und deren Hörigkeit zum Kapital nur versteckt wird durch den Wechsel der individuellen Kapitalisten, woran sie sich verkauft, bildet 35 in der That ein Moment der Reproduktion des Kapitals selbst. Akkumula- tion des Kapitals ist also Vermehrung des Proletariats 7 0). 7 0 ) Karl Marx I.e. - «A égalité d'oppression des masses, plus un pays a de prolétaires et plus il est riche.» (Colins: "L'Économie Politique, Source des Révolutions et des Utopies préten- dues Socialistes. Paris 1857", t. Ill, p. 331.) Unter „Proletarier" ist ökonomisch nichts zu ver- 40 550 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Die klassische Oekonomie begriff diesen Satz so wohl, daß A. Smith, Ri - cardo u.s.w., wie früher erwähnt, die Akkumulation sogar fälschlich identi- fieiren mit Konsum des ganzen kapitalisirten Theils des Mehrprodukts durch produktive Arbeiter, oder mit seiner Verwandlung in zuschüssige 5 Lohnarbeiter. Schon 1696 sagt John Bellers: „Wenn Jemand 100 000 Acres hätte und eben so viele Pfunde Geld und eben so viel Vieh, was wäre der reiche Mann ohne den Arbeiter außer selbst ein Arbeiter? Und wie die Ar- beiter Leute reich machen, so desto mehr Arbeiter, desto mehr Reiche ... Die Arbeit des Armen ist die Mine des R e i c h e n " 7 1 ) . So Bernard de Mande- 10 ville im Anfang des 18. Jahrhunderts: „Wo das Eigenthum hinreichend ge- schützt ist, wäre es leichter ohne Geld zu leben als ohne Arme, denn wer würde die Arbeit thun? ... Wie die Arbeiter vor Aushungerung zu bewah- ren sind, so sollten sie nichts erhalten, was der Ersparung werth ist. Wenn hier und da Einer aus der ||579| untersten Klasse durch ungewöhnlichen 15 Fleiß und Bauchkneipen sich über die Lage erhebt, worin er aufgewachsen war, so muß ihn keiner daran hindern: ja es ist unläugbar der weiseste Plan für jede Privatperson, für jede Privatfamilie in der Gesellschaft, frugal zu sein; aber es ist das Interesse aller reichen Nationen, daß der größte Theil der Armen nie unthätig sei und sie dennoch stets verausgaben, was sie ein- 20 nehmen ... Diejenigen, die ihr Leben durch ihre tägliche Arbeit gewinnen, haben nichts, was sie anstachelt dienstlich zu sein außer ihren Bedürfnis- sen, welche es Klugheit ist zu lindern, aber Narrheit wäre zu kuriren. Das einzige Ding, das den arbeitenden Mann fleißig machen kann, ist ein mä- ßiger Arbeitslohn. Ein zu geringer macht ihn je nach seinem Temperament 25 kleinmüthig oder verzweifelt, ein zu großer insolent und faul ... Aus dem bisher Entwickelten folgt, daß in einer freien Nation, wo Sklaven nicht er- laubt sind, der sicherste Reichthum aus einer Menge arbeitsamer Armen besteht. Außerdem daß sie die nie versagende Zufuhrquelle für Flotte und Armee, gäbe es ohne sie keinen Genuß und wäre das Produkt keines Lan- 30 des verwerthbar. Um die Gesellschaft (die natürlich aus den Nichtarbeitern besteht) glücklich und das Volk selbst in kümmerlichen Zuständen zufrie- 35 40 stehn als der Lohnarbeiter, der „Kapital" producirt und verwerthet und aufs Pflaster geworfen wird, sobald er für die Verwerthungsbedürfnisse des „Monsieur Capital", wie Pecqueur diese Person nennt, überflüssig ist. „Der kränkliche Proletarier des Urwalds" ist ein artiges Ro- scher'sches Phantom. Der Urwäldler ist Eigenthümer des Urwalds und behandelt den Urwald, ganz so ungenirt wie der Orang Utang, als sein Eigenthum. Er ist also nicht Proletarier. Dieß wäre nur der Fall, wenn der Urwald ihn, statt er den Urwald exploitirte. Was seinen Gesund- heitszustand betrifft, steht solcher wohl den Vergleich aus nicht nur mit dem des modernen Proletariers, sondern auch dem der syphilitischen und skrophulösen „Ehrbarkeit". Doch ver- steht Herr Wilhelm Roscher unter Urwald wahrscheinlich die stammverwandte Lüneburger Haide. 7 1 ) "As the Labourers make men rich, so the more Labourers, there will be the more rich men ... the Labour of the Poor being the Mines of the Rich." (John Béliers I.e. p.2.) 551 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 den zu machen, ist es nöthig, daß die große Majorität sowohl unwissend als arm bleibt. Kenntniß erweitert und vervielfacht unsere Wünsche, und je weniger ein Mann wünscht, desto leichter können seine Bedürfnisse befrie- digt werden" 7 2). Was Mandeville, ein ehrlicher Mann und heller Kopf, noch nicht begreift, ist, daß der Mechanismus des Akkumulationsprocesses selbst mit dem Kapital die Masse der „arbeitsamen Armen" vermehrt, d.h. der Lohnarbeiter, die ihre Arbeitskraft in wachsende Verwerthungskraft des wachsenden Kapitals verwandeln und eben dadurch ihr Abhängigkeits- verhältniß von ihrem eignen, im Kapitalisten personificirten Produkt ver- ewigen müssen. Mit Bezug auf dieß Abhängigkeitsverhältniß bemerkt Sir 10 F. M. Eden in seiner „Lage der Armen, oder Geschichte der arbeitenden Klasse Englands": „Unsere Zone erfordert Arbeit zur Befriedigung der Be- dürfnisse, und deßhalb muß wenigstens ein Theil der Gesellschaft uner- müdet ||580| arbeiten ... Einige, die nicht arbeiten, haben dennoch die Pro- dukte des Fleißes zu ihrer Verfügung. Das verdanken diese Eigenthümer 15 aber nur der Civilisation und Ordnung; sie sind reine Kreaturen der bür- gerlichen Institutionen 7 3). Denn diese haben es anerkannt, daß man die Früchte der Arbeit auch anders als durch Arbeit sich aneignen kann. Die Leute von unabhängigem Vermögen verdanken ihr Vermögen fast ganz der Arbeit Andrer, nicht ihrer eignen Fähigkeit, die durchaus nicht besser ist 20 als die der Andren; es ist nicht der Besitz von Land und Geld, sondern das Kommando über Arbeit (,,the command of labour"), das die Reichen von den Armen unterscheidet .... Was dem Armen zusagt, ist nicht eine ver- worfene oder servile Lage, sondern ein bequemes und liberales Abhängig- keitsverhältniß („a state of easy and liberal dependence"), und für die 25 Leute von Eigenthum hinreichender Einfluß und Autorität über die, die für sie arbeiten ... Ein solches Abhängigkeitsverhältniß ist, wie jeder Ken- ner der menschlichen Natur weiß, nothwendig für den Komfort der Arbei- ter selbst" 7 4). Sir F. M. Eden, beiläufig bemerkt, ist der einzige Schüler Adam Smith's, der während des achtzehnten Jahrhunderts etwas Bedeuten- 30 des geleistet h a t 7 5 ) . | 7 2 ) B. de Mandeville („The Fable of the Bees. 5th ed. Lond. 1728", Remarks, p.212, 213, 328.) „Mäßiges Leben und beständige Arbeit sind für den Armen derWeg zum materiellen Glücke (worunter er möglichst langen Arbeitstag und möglichst wenig Lebensmittel versteht) und zum Reichthum für den Staat (nämlich Grundeigenthümer, Kapitalisten und ihre politischen Würdeträger und Agenten)." („An Essay on Trade and Commerce. Lond. 1770", p. 54.) 7 3 ) Eden hätte fragen sollen, wessen Kreatur sind denn „die bürgerlichen Institutionen"? Vom Standpunkt der juristischen Illusion betrachtet er nicht das Gesetz als Produkt der materiel- len Produktionsverhältnisse, sondern umgekehrt die Produktionsverhältnisse als Produkt des Gesetzes. Linguet warf Montesquieu's illusorischen „Esprit des Lois" mit dem einen Wort 40 über den Haufen: «L'esprit des lois, c'est la propriété.» 7 4 ) Eden 1. c. v.I, 1.1, ch.I, p. 1, 2 und Preface p. XX. 7 5 ) Sollte der Leser an Malthus erinnern, dessen „Essay on Population" 1798 erschien, so er- 35 5 5 2 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation |581| Unter den bisher unterstellten, den Arbeitern günstigsten Akku- | mulationsbedingungen kleidet sich ihr Abhängigkeitsverhältniß vom |582| Kapital in erträgliche oder, wie Eden sagt, „bequeme und liberale" 20 innere ich, daß diese Schrift in ihrer ersten Form nichts als ein schülerhaft oberflächliches 5 und pfäffisch verdeklamirtes Plagiat aus De Foe, Sir James Steuart, Townsend, Franklin, Wal- lace u.s.w. ist und nicht einen einzigen selbstgedachten Satz enthält. Das große Aufsehn, das dieß Pamphlet erregte, entsprang lediglich Parteiinteressen. Die französische Revolution hatte im britischen Königreich leidenschaftliche Vertheidiger gefunden; das „Populationsprinzip", langsam im 18. Jahrhundert herausgearbeitet, dann mitten in einer großen socialen Krisis mit 10 Pauken und Trompeten verkündet als das unfehlbare Gegengift gegen die Lehren von Con- dorcet U.A., wurde jubelnd begrüßt von der englischen Oligarchie als der große Austilger aller Gelüste nach menschlicher Fortentwicklung. Malthus, über seinen Erfolg hocherstaunt, gab sich dann daran, oberflächlich kompilirtes Material in das alte Schema zu stopfen und neues, aber nicht von Malthus entdecktes, sondern nur annexirtes, zuzufügen. - Nebenbei bemerkt. 15 Obgleich Malthus Pfaffe der englischen Hochkirche, hatte er das Mönchsgelübde des Cölibats abgelegt. Dieß ist nämlich eine der Bedingungen der fellowship der protestantischen Universi- tät zu Cambridge. „Socios collegiorum maritos esse non permittimus, sed statim postquam quis uxorem duxerit, socius collegii desinai esse." („Reports of Cambridge University Com- mission", p. 172.) Dieser Umstand unterscheidet Malthus vortheilhaft von den andren prote- stantischen Pfaffen, die das katholische Gebot des Priestercölibats von sich selbst abgeschüt- telt und das „Seid fruchtbar und mehret euch" in solchem Maß als ihre specifisch biblische Mission vindicirt haben, daß sie überall in wahrhaft unanständigem Grad zur Vermehrung der Bevölkerung beitragen, während sie gleichzeitig den Arbeitern das „Populationsprincip" predigen. Es ist charakteristisch, daß der ökonomisch travestirte Sündenfall, der Adamsapfel, 25 der „urgent appetite", ,,the checks which tend to blunt the shafts of Cupid", wie Pfaff Townsend munter sagt, daß dieser kitzlige Punkt von den Herrn von der protestantischen Theologie oder vielmehr Kirche monopolisirt ward und wird. Mit Ausnahme des venetiani- schen Mönches Ortes, eines originellen und geistreichen Schriftstellers, sind die meisten Po- pulationslehrer protestantische Pfaffen. So Bruckner: „Theorie du Système animal, Leyde 30 1767", worin die ganze moderne Bevölkerungstheorie erschöpft ist und wozu der vorüberge- hende Zank zwischen Quesnay und seinem Schüler, Mirabeau père, über dasselbe Thema Ideen lieferte, dann Pfaffe Wallace, Pfaffe Townsend, Pfaffe Malthus und sein Schüler, der Erzpfaff Th. Chalmers, von kleineren pfäffischen Skribenten in this line gar nicht zu reden. Ursprünglich ward die politische Oekonomie betrieben von Philosophen, wie Hobbes, Locke, 35 Hume, Geschäfts- und Staatsleuten, wie Thomas Morus, Temple, Sully, de Witt, North, Law, Vanderlint, Cantillon, Franklin, und theoretisch namentlich, und mit dem größten Erfolg, von Medicinern wie Petty, Barbon, Mandeville, Quesnay. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts ent- schuldigt sich Rev. Mr. Tucker, ein bedeutender Oekonom für seine Zeit, daß er sich mit dem . Mammon beschäftigte. Später und zwar mit dem „Bevölkerungsprincip" schlug die Stunde 40 der protestantischen Pfaffen. Als ob er diese Geschäftsverpfuschung geahnt, sagt Petty, der die Population als Basis des Reichthums behandelt, und, gleich Adam Smith, abgesagter Pfaffen- feind: „Die Religion blüht am besten, wenn die Priester am meisten kasteit werden, wie das Recht am besten, wo die Advokaten verhungern." Er räth daher den protestantischen Pfaffen, wenn sie einmal dem Apostel Paulus nicht folgen und sich nicht durch das Cölibat „abtödten" 45 wollen, „doch ja nicht mehr Pfaffen zu hecken („not to breed more Churchmen") als die vor- handenen Pfründen (benefices) absorbiren können; d.h. wenn es nur 12 000 Pfründen in Eng- land und Wales gibt, ist es unweis 24 000 Pfaffen zu hecken (,,it will not be safe to breed 24 000 ministers"), denn die 12 000 Unversorgten werden stets einen Lebensunterhalt zu ge- winnen suchen, und wie könnten sie das leichter thun, als indem sie unter das Volk gehn und 50 es überreden, die 12 000 Pfründner vergifteten die Seelen, und hungerten selbige Seelen aus, und zeigten ihnen den Holzweg zum Himmel?" (Petty: „A Treatise on Taxes and Contribu- tions. Lond. 1667", p. 57.) Adam Smith's Stellung zum protestantischen Pfaffenthum seiner Zeit ist durch folgendes charakterisirt. In: „A Letter to A. Smith, L. L. D. On the Life, Death 553 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Formen. Statt intensiver zu werden mit dem Wachsthum des Kapitals, wird es nur extensiver, d. h. die Exploitations- und Herrschaftssphäre des Kapi- tals dehnt sich nur aus mit seiner eigenen Dimension und der Anzahl sei- ner Unterthanen. Von ihrem eignen anschwellenden und schwellend in Zusatzkapital verwandelten Mehrprodukt strömt ihnen ein größerer Theil 5 in der Form von Zahlungsmitteln zurück, so daß sie den Kreis ihrer Ge- nüsse erweitern, ihren Konsumtionsfonds von Kleidern, Möbeln u. s. w. besser ausstatten und kleine Reservefonds von Geld bilden können. So we- nig aber bessere Kleidung, Nahrung, Behandlung und ein größeres Pecu- lium das Abhängigkeitsverhältniß und die Exploitation des Sklaven aufhe- 10 ben, so wenig die des Lohnarbeiters. Steigender Preis der Arbeit in Folge der Akkumulation des Kapitals besagt in der That nur, daß der Umfang und die Wucht der goldnen Kette, die der Lohnarbeiter sich selbst bereits geschmiedet hat, ihre losere Spannung erlauben. In den Kontroversen über diesen Gegenstand hat man meist die Hauptsache übersehn, nämlich die 15 differentia specifica der kapitalistischen Produktion. Arbeitskraft wird hier gekauft, nicht um durch ihren Dienst oder ihr Produkt die persönlichen Bedürfnisse des Käufers zu befriedigen. Sein Zweck ist Verwerthung seines Kapitals, Produktion von Waaren, die mehr Arbeit enthalten, als er zahlt, also einen Werththeil enthalten, der ihm nichts kostet und dennoch durch 20 and Philosophy of his Friend David Hume. By One of the People called Christians. 4th ed. Oxford 1784", kanzelt Dr. Hörne, hochkirchlicher Bischof von Norwich, den A. Smith ab, weil er in einem öffentlichen Sendschreiben an Herrn Strahan, seinen „Freund David (sc. Hume) einbalsamire", weil er dem Publikum erzähle, wie „Hume auf seinem Sterbebett sich mit Lu- cian und Whist amüsirte", und sogar die Frechheit hatte zu schreiben: „Ich habe Hume stets, 25 sowohl während seines Lebens wie nach seinem Tode so nahe dem Ideal eines vollkommen weisen und tugendhaften Mannes betrachtet, als die Schwäche der menschlichen Natur er- laubt." Der Bischof ruft entrüstet: „Ist es recht von Ihnen, mein Herr, uns als vollkommen weise und tugendhaft den Charakter und Lebenswandel eines Menschen zu schildern, der von einer unheilbaren Antipathie besessen war wider alles, was Religion heißt, und der jeden Nerv 30 anspannte, um, so viel an ihm, selbst ihren Namen aus dem Gedächtniß der Menschen zu lö- schen?" (I.e. p.8.) „Aber laßt euch nicht entmuthigen, Liebhaber der Wahrheit, der Atheismus ist kurzlebig." (p. 17.) Adam Smith „hat die gräßliche Ruchlosigkeit (,,the atrocious wicked- ness") den Atheismus durch das Land zu propagandiren (nämlich durch seine ,,Theory of mo- ral sentiments") ... Wir kennen Eure Schliche, Herr Doktor! Ihr meint's gut, rechnet aber 35 dießmal ohne den Wirth. Ihr wollt uns durch das Beispiel von David Hume, Esq., weisma- chen, daß Atheismus der einzige Schnaps („cordial") für ein niedergeschlagnes Gemüth und das einzige Gegengift wider Todesfurcht ist ... Lacht nur über Babylon in Ruinen und be- glückwünscht nur den verhärteten Bösewicht Pharao!" (I.e. p.20, 21, 22.) Ein orthodoxer Kopf unter A. Smith's Kollegienbesuchern schreibt nach dessen Tod: ,,Smith's Freundschaft für 40 Hume verhinderte ihn ein Christ zu sein . . . E r glaubte Hume alles aufs Wort. Wenn Hume ihm gesagt, der Mond sei ein grüner Käs, er hätt's geglaubt. Er glaubte ihm daher auch, daß es keinen Gott und keine Wunder gebe ...In seinen politischen Principien streifte er an Repu- blikanismus." („The Bee". By James Anderson. 18 vis. Edinb. 1791-93, vol. 3 p. 166, 165.) Pfaff Th. Chalmers hat A. Smith in Verdacht, daß er aus reiner Malice die Kategorie der „un- 45 produktiven Arbeiter" eigens für die protestantischen Pfaffen erfand, trotz ihrer gesegneten Arbeit im Weinberg des Herrn. 554 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 den Waarenverkauf realisirt wird. ||583| Produktion von Mehrwerth oder Plusmacherei ist das absolute Gesetz dieser Pro duktions weis e. Nur soweit sie die Produktionsmittel als Kapital erhält, ihren eignen Werth als Kapital reproducirt und in unbezahlter Arbeit eine Quelle von Zuschußkapital lie- fert, ist die Arbeitskraft verkaufbar 7 6). Die Bedingungen ihres Verkaufs, ob mehr oder minder günstig für den Arbeiter, schließen also die Notwendig- keit ihres steten Wiederverkaufs und die stets erweiterte Reproduktion des Reichthums als Kapital ein. Der Arbeitslohn, wie man gesehn, bedingt sei- ner Natur nach, stets Lieferung eines bestimmten Quantums unbezahlter 10 Arbeit auf Seiten des Arbeiters. Ganz abgesehn vom Steigen des Arbeits- lohns mit sinkendem Preis der Arbeit u.s.w., besagt seine Zunahme im be- sten Fall nur quantitative Abnahme der unbezahlten Arbeit, die der Arbei- ter leisten muß. Diese Abnahme kann nie bis zum Punkt fortgehn, wo sie das System selbst bedrohen würde. Abgesehn von gewaltsamen Konflikten 15 über die Rate des Arbeitslohns, und Adam Smith hat bereits gezeigt, daß im Großen und Ganzen in solchem Konflikt der Meister stets Meister bleibt, unterstellt ein aus Akkumulation des Kapitals entspringendes Stei- gen des Arbeitspreises folgende Alternative. 25 Entweder fährt der Preis der Arbeit fort zu steigen, weil seine Erhöhung 20 den Fortschritt der Akkumulation nicht stört; es liegt darin nichts Wunder- bares, denn, sagt A. Smith, „selbst bei gesunknem Profit vermehren sich die Kapitale dennoch; sie wachsen selbst rascher als vorher .. Ein großes Kapi- tal wächst selbst bei kleinerem Profit im Allgemeinen rascher als ein klei- nes Kapital bei großem Profit". (l.c.I, p. 189.) In diesem Falle ist es augen- scheinlich, daß eine Verminderung der unbezahlten Arbeit die Ausdehnung der Kapitalherrschaft keineswegs beeinträchtigt. - Oder, das ist die andre Seite der Alternative, die Akkumulation erschlafft in Folge des steigenden Arbeitspreises, weil der Stachel des Gewinns abstumpft. Die Akkumulation nimmt ab. Aber mit ihrer Abnahme verschwindet die 30 Ursache ihrer Abnahme, nämlich die Disproportion zwischen Kapital und exploitabler Arbeitskraft. Der Mechanismus des kapitalistischen Produk- tionsprocesses beseitigt ||584| also selbst die Hindernisse, die er vorüberge- hend schafft. Der Arbeitspreis fällt wieder auf ein den Verwerthungsbedürf- nissen des Kapitals entsprechendes Niveau, ob dieses nun unter, über, oder 35 gleich mit dem Niveau, welches vor Eintritt des Lohnzuwachses als normal galt. Man sieht: Im ersten Fall ist es nicht die Abnahme im absoluten oder 7 6 ) Note zur 2. Ausgabe. „Die Grenze jedoch der Beschäftigung von industriellen wie von ländlichen Arbeitern ist dieselbe: nämlich die Möglichkeit für den Unternehmer einen Profit aus ihrem Arbeitsprodukt herauszuschlagen. Steigt die Rate des Arbeitslohns so hoch, daß der Gewinn des Meisters unter den Durchschnittsprofit fällt, so hört er auf sie zu beschäftigen oder beschäftigt sie nur unter der Bedingung, daß sie eine Herabsetzung des Arbeitslohns zu- lassen." (John Wade 1. c. p. 240.) 40 555 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals proportioneilen Wachsthum der Arbeitskraft oder Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital überschüssig, sondern umgekehrt die Zunahme des Ka- pitals, welche die exploitable Arbeitskraft unzureichend macht. Im zweiten Fall ist es nicht die Zunahme im absoluten oder proportioneilen Wachs- thum der Arbeitskraft oder der Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital unzureichend, sondern umgekehrt die Abnahme des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft, oder vielmehr ihren Preis, überschüssig macht. Es sind diese absoluten Bewegungen in der Akkumulation des Kapitals, wel- che sich als relative Bewegungen in der Masse der exploitablen Arbeits- kraft wiederspiegeln und daher der eignen Bewegung der letztren geschul- det scheinen. Um mathematischen Ausdruck anzuwenden: die Größe der Akkumulation ist die unabhängige Variable, die Lohngröße die abhängige, nicht umgekehrt. So drückt sich in der Krisenphase des industriellen Cy- klus der allgemeine Fall der Waarenpreise als Steigen des relativen Geld- werths, und in der Prosperitätsphase das allgemeine Steigen der Waaren- preise als Fall des relativen Geldwerths aus. Die sog. Currency-Schule schließt daraus, daß bei hohen Preisen zu viel, bei niedrigen zu wenig Geld cirkulirt. Ihre Ignoranz und völlige Verkennung der Thatsachen 7 7) finden würdige Parallele in den Oekonomen, welche jene Phänomene der Akku- mulation dahin deuten, daß das einemal zu wenig und das andremal zu viel Lohnarbeiter existiren. Das Gesetz der kapitalistischen Produktion, das dem angeblichen „na- türlichen Populationsgesetz" zu Grunde liegt, kommt einfach auf dieß her- aus: Das Verhältniß zwischen Kapital, Akkumulation und Lohnrate ist nichts als das Verhältniß zwischen der unbezahlten, in Kapital verwandel- ten Arbeit, und der zur Bewegung des Zusatzkapitals erforderlichen zu- schüssigen Arbeit. Es ist also keineswegs ein Verhältniß zweier von einan- der unabhängigen Größen, einerseits der Größe des Kapitals, andrerseits der Zahl der Arb eit erb e völkerung, es ist vielmehr in letzter Instanz nur das Verhältniß zwischen der unbezahlten und der bezahlten Arbeit der-| |585|selben Arbeiterbevölkerung. Wächst die Menge der von der Arbeiter- klasse gelieferten und von der Kapitalistenklasse akkumulirten, unbezahl- ten Arbeit rasch genug, um nur durch einen außergewöhnlichen Zuschuß bezahlter Arbeit sich in Kapital verwandeln zu können, so steigt der Lohn, und alles Andre gleichgesetzt, nimmt die unbezahlte Arbeit im Verhältniß ab. Sobald aber diese Abnahme den Punkt berührt, wo die das Kapital er- nährende Mehrarbeit nicht mehr in normaler Menge angeboten wird, so tritt eine Reaktion ein: ein geringerer Theil der Revenue wird kapitalisirt, die Akkumulation erlahmt und die steigende Lohnbewegung empfängt 5 10 15 20 25 30 35 7 7 ) Vgl. Karl Marx: „Zur Kritik der politischen Oekonomie", p. 165 sqq. 40 5 5 6 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 einen Gegenschlag. Die Erhöhung des Arbeitspreises bleibt also einge- bannt in Grenzen, die die Grundlagen des kapitalistischen Systems nicht nur unangetastet lassen, sondern auch seine Reproduktion auf wachsender Stufenleiter sichern. Das in ein Naturgesetz mystificirte Gesetz der kapita- listischen Akkumulation drückt also in der That nur aus, daß ihre Natur jede solche Abnahme im Exploitationsgrad der Arbeit oder jede solche Steigerung des Arbeitspreises ausschließt, welche die stetige Reproduktion des Kapitalverhältnisses und seine Reproduktion auf stets erweiterter Stu- fenleiter ernsthaft gefährden könnte. Es kann nicht anders sein in einer 10 Produktionsweise, worin der Arbeiter für die Verwerthungsbedürfnisse vor- handner Werthe, statt umgekehrt der gegenständliche Reichthum für die Entwicklungsbedürfnisse des Arbeiters da ist. Wie der Mensch in der Reli- gion vom Machwerk seines eignen Kopfes, so wird er in der kapitalisti- schen Produktion vom Machwerk seiner eignen Hand beherrscht 7 7 a). 15 20 2. Relative Abnahme des variablen Kapitalteils im Fortgang der Akkumulation und der sie begleitenden Koncentration. Nach den Oekonomen selbst ist es weder der vorhandne Umfang des ge- sellschaftlichen Reichthums, noch die Größe des bereits erworbnen Kapi- tals, die eine Lohnerhöhung herbeiführen, sondern lediglich das fortge- setzte Wachsen der Akkumulation und der Ge115 8 61schwindigkeitsgrad ihres Wachsthums (A. Smith, B u c h i , Kap, 8). Bisher haben wir nur eine be- sondre Phase dieses Processes betrachtet, diejenige, in der der Kapitalzu- wachs stattfindet bei gleichbleibender technischer Zusammensetzung des 25 Kapitals. Aber der Proceß schreitet über diese Phase hinaus. Die allgemeinen Grundlagen des kapitalistischen Systems einmal gege- ben, tritt im Verlauf der Akkumulation jedesmal ein Punkt ein, wo die Ent- wicklung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der mächtigste He- bel der Akkumulation wird. „Dieselbe Ursache", sagt A. Smith, „die die 30 Löhne erhöht, nämlich die Zunahme des Kapitals, treibt zur Steigerung 77 a) „Gehen wir aber nun auf unsere erste Untersuchung zurück, wo nachgewiesen ist... daß das Kapital selbst nur das Erzeugniß menschlicher Arbeit ist... so scheint es ganz unbegreif- lich, daß der Mensch unter die Herrschaft seines eigenen Produkts - das Kapital - gerathen und diesem untergeordnet werden könne; und da dieß in der Wirklichkeit doch unläugbar der 35 Fall ist, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf: wie hat der Arbeiter aus dem Beherrscher des Kapitals - als Schöpfer desselben - zum Sklaven des Kapitals werden können?" (Von Thünen: „Der isolirte Staat. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung. Rostock 1863", p. 5, 6.) Es ist das Verdienst Thünen's, gefragt zu haben. Seine Antwort ist einfach kindisch. 557 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals der produktiven Fähigkeiten der Arbeit und setzt eine kleinere Arbeits- menge in Stand, eine größere Menge von Produkten zu erzeugen." 5 Abgesehn von Naturbedingungen, wie Fruchtbarkeit des Bodens u.s.w., und vom Geschick unabhängiger und isolirt arbeitender Producenten, das sich jedoch mehr qualitativ in der Güte als quantitativ in der Masse des Machwerks bewährt, drückt sich der gesellschaftliche Produktivgrad der Arbeit aus im relativen Größenumfang der Produktionsmittel, welche ein Arbeiter, während gegebner Zeit, mit derselben Anspannung von Arbeits- kraft, in Produkt verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel, womit er funktionirt, wächst mit der Produktivität seiner Arbeit. Diese Produktions- 10 mittel spielen dabei eine doppelte Rolle. Das Wachsthum der einen ist Folge, das der andren Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. Z . B . mit der manufakturmäßigen Theilung der Arbeit und der Anwendung von Maschinerie wird in derselben Zeit mehr Rohmaterial verarbeitet, tritt also größere Masse von Rohmaterial und Hülfsstoffen in den Arbeitspro- 15 ceß ein. Das ist die Folge der wachsenden Produktivität der Arbeit. Andrer- seits ist die Masse der angewandten Maschinerie, Arbeitsviehs, minerali- schen Düngers, Drainirungsröhren u. s. w. Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. Ebenso die Masse der in Baulichkeiten, Riesen- öfen, Transportmitteln u.s.w. koncentrirten Produktionsmittel. Ob aber B e - 20 dingung oder Folge, der wachsende Größenumfang der Produktionsmittel im Vergleich zu der ihnen einverleibten Arbeitskraft drückt die wachsende Produktivität der Arbeit aus. Die Zunahme der letzteren erscheint also in der Abnahme der Arbeitsmasse verhältnißmäßig zu der von ihr bewegten Masse von Produktionsmitteln, oder in der Größenabnahme des subjekti- 25 ven Faktors des Arbeitsprocesses verglichen mit seinen objektiven Fak- toren. I |587| Diese Veränderung in der technischen Zusammensetzung des Ka- pitals, das Wachsthum in der Masse der Produktionsmittel, verglichen mit der Masse der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt sich wieder in seiner 30 Werthzusammensetzung, in der Zunahme des konstanten Bestandtheils des Kapitalwerths auf Kosten seines variablen Bestandtheils. Es werden z.B. von einem Kapital, procentweis berechnet, ursprünglich je 50 % in Pro- duktionsmitteln und je 50 % in Arbeitskraft ausgelegt, später, mit der Ent- wicklung des Produktivgrads der Arbeit, je 80 % in Produktionsmitteln und 35 je 2 0 % in Arbeitskraft u.s.w. Dieß Gesetz des steigenden Wachsthums des konstanten Kapitalteils im Verhältniß zum variablen wird auf jedem Schritt bestätigt (wie schon oben entwickelt) durch die vergleichende Ana- lyse der Waarenpreise, gleichviel ob wir verschiedne ökonomische Epo- chen bei einer einzigen Nation vergleichen oder verschiedne Nationen in 40 derselben Epoche. Die relative Größe des Preiselements, welches nur den 558 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Werth der verzehrten Produktionsmittel oder den konstanten Kapitaltheil vertritt, wird in direktem, die relative Größe des andern, die Arbeit bezah- lenden oder den variablen Kapitaltheil vertretenden Preiselements, wird im Allgemeinen in umgekehrtem Verhältniß stehn zum Fortschritt der Akku- 5 mulation. Die Abnahme des variablen K a p i t a l t e i l s gegenüber dem konstanten, oder die veränderte Zusammensetzung des Kapitalwerths, zeigt jedoch nur annähernd den Wechsel in der Zusammensetzung seiner stofflichen Be- standtheile an. Wenn z.B. heute der in der Spinnerei angelegte Kapital- 10 werth zu % konstant und % variabel ist, während er Anfang des 18. Jahrhun- derts Y2 konstant und Y2 variabel war, so ist dagegen die Masse von Rohstoff, Arbeitsmitteln u.s.w., die ein bestimmtes Quantum Spinnarbeit heute produktiv konsumirt, viel hundertmal größer als im Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, daß mit der wachsenden Pro- 15 duktivität der Arbeit nicht nur der Umfang der von ihr vernutzten Produk- tionsmittel steigt, sondern deren Werth, verglichen mit ihrem Umfang, sinkt. Ihr Werth steigt also absolut, aber nicht proportionell mit ihrem Um- fang. Das Wachsthum der Differenz zwischen konstantem und variablem Kapital ist daher viel kleiner als das der Differenz zwischen der Masse der 20 Produktionsmittel, worin das konstante, und der Masse Arbeitskraft, worin das variable Kapital umgesetzt wird. Die erstere Differenz nimmt zu mit der letzteren, aber in geringerem Grad. Uebrigens wenn der Fortschritt der Akkumulation die relative | |588| Größe des variablen K a pi t a l t e i l s vermindert, schließt er damit die 25 Steigerung ihrer absoluten Größe keineswegs aus. Gesetzt ein Kapitalwerth spalte sich anfangs in 50 % konstantes und 50 % variables Kapital, später in 80 % konstantes und 20 % variables. Ist inzwischen das ursprüngliche Kapi- tal, sage 6000Pfd. St. gewachsen auf 18 000Pfd. St., so ist sein variabler B e - s t a n d t e i l auch um Y 5 gewachsen. Er war 3000 Pfd. St., er beträgt jetzt 30 3600 Pfd. St. Wo aber früher ein Kapitalzuwachs von 20 % genügt hätte, die Nachfrage nach Arbeit um 2 0 % zu steigern, erfordert das jetzt Verdreifa- chung des ursprünglichen Kapitals. Im vierten Abschnitt wurde gezeigt, wie die Entwicklung der gesell- schaftlichen Produktivkraft der Arbeit Kooperation auf großer Stufenleiter 35 voraussetzt, wie nur unter dieser Voraussetzung Theilung und Kombina- tion der Arbeit organisirt, Produktionsmittel durch massenhafte Koncen- tration ökonomisirt, schon stofflich nur gemeinsam anwendbare Arbeits- mittel, z . B . System der Maschinerie u.s.w., ins Leben gerufen, ungeheure Naturkräfte in den Dienst der Produktion gepreßt und die Verwandlung 40 des Produktionsprocesses in technologische Anwendung der Wissenschaft vollzogen werden können. Auf Grundlage der Waarenproduktion, wo die 559 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Produktionsmittel Eigenthum von Privatpersonen sind, wo der Handarbei- ter daher entweder isolirt und selbständig Waaren producirt oder seine Ar- beitskraft als Waare verkauft, weil ihm die Mittel zum Selbstbetrieb fehlen, realisirt sich jene Voraussetzung nur durch das Wachsthum der individuel- len Kapitale, oder im Maße, worin die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmittel in das Privateigenthum von Kapitalisten verwandelt werden. Der Boden der Waarenproduktion kann die Produktion auf großer Stufen- leiter nur in kapitalistischer Form tragen. Eine gewisse Akkumulation von Kapital in den Händen individueller Waarenproducenten bildet daher die Voraussetzung der specifisch kapitalistischen Produktionsweise. Wir muß- 10 ten sie deshalb unterstellen bei dem Uebergang aus dem Handwerk in den kapitalistischen Betrieb. Sie mag die ursprüngliche Akkumulation heißen, weil sie statt historisches Resultat historische Grundlage der specifisch ka- pitalistischen Produktion ist. Wie sie selbst entspringt, brauchen wir hier noch nicht zu untersuchen. Genug, sie bildet den Ausgangspunkt. Aber 15 alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Ar- beit, die auf dieser Grundlage erwachsen, sind zugleich Methoden der ge- steigerten Produktion des Mehrwerths oder Mehrprodukts, welches seiner- seits das Bildungselement der ||589| Akkumulation. Sie sind also zugleich Methoden der Produktion von Kapital durch Kapital oder Methoden seiner 20 beschleunigten Akkumulation. Die kontinuirliche Rückverwandlung von Mehrwerth in Kapital stellt sich dar als wachsende Größe des in den Pro- duktionsproceß eingehenden Kapitals. Diese wird ihrerseits Grundlage einer erweiterten Stufenleiter der Produktion, der sie begleitenden Metho- den zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, und beschleunigter Pro- 25 duktion von Mehrwerth. Wenn also ein gewisser Grad der Kapitalakkumu- lation als Bedingung der specifisch kapitalistischen Produktionsweise erscheint, verursacht die letztere rückschlagend eine beschleunigte Akku- mulation des Kapitals. Mit der Akkumulation des Kapitals entwickelt sich daher die specifisch kapitalistische Produktionsweise und mit der speci- 30 fisch kapitalistischen Produktionsweise die Akkumulation des Kapitals. Diese beiden ökonomischen Faktoren erzeugen, nach dem zusammenge- setzten Verhältniß des Anstoßes, den sie sich gegenseitig ertheilen, den Wechsel in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, durch wel- chen der variable Bestandtheil immer kleiner und kleiner wird verglichen 35 mit dem konstanten. Jedes individuelle Kapital ist eine größere oder kleinere Koncentration von Produktionsmitteln mit entsprechendem Kommando über eine grö- ßere oder kleinere Arbeiterarmee. Jede Akkumulation wird das Mittel neuer Akkumulation. Sie erweitert mit der vermehrten Masse des als Kapi- 40 tal funktionirenden Reichthums seine Koncentration in den Händen indi- 5 6 0 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation vidueller Kapitalisten, daher die Grundlage der Produktion auf großer Stu- fenleiter und der specifisch kapitalistischen Produktionsmethoden. Das Wachsthum des gesellschaftlichen Kapitals vollzieht sich im Wachsthum vieler individuellen Kapitale. Alle andren Umstände als gleichbleibend 5 vorausgesetzt, wachsen die individuellen Kapitale, und mit ihnen die Kon- centration der Produktionsmittel, im Verhältniß, worin sie aliquote Theile des gesellschaftlichen Gesammtkapitals bilden. Zugleich reißen sich Able- ger von den Originalkapitalen los und funktioniren als neue selbständige Kapitale. Eine große Rolle spielt dabei unter anderm die Theilung des Ver- 10 mögens in Kapitalistenfamilien. Mit der Akkumulation des Kapitals wächst daher auch mehr oder minder die Anzahl der Kapitalisten. Zwei Punkte charakterisiren diese Art Koncentration, welche unmittelbar auf der Akkumulation beruht oder vielmehr mit ihr identisch ist. Erstens: Die wachsende Koncentration der gesellschaftlichen Produktionsmittel in den 15 Händen individueller Kapitalisten ist, unter ||590| sonst gleichbleibenden Umständen, beschränkt durch den Wachsthumsgrad des gesellschaftlichen Reichthums. Zweitens: Der in jeder besondren Produktionssphäre ansäs- sige Theil des gesellschaftlichen Kapitals ist vertheilt unter viele Kapitali- sten, welche einander als unabhängige und mit einander konkurrirende 20 Waarenproducenten gegenüberstehn. Die Akkumulation und die sie be- gleitende Koncentration sind also nicht nur auf viele Punkte zersplittert, sondern das Wachsthum der funktionirenden Kapitale ist durchkreuzt durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale. Stellt sich die Akkumulation daher einerseits dar als wachsende Koncentration der Pro- 25 duktionsmittel und des Kommando's über Arbeit, so andrerseits als Repul- sion vieler individueller Kapitale von einander. Dieser Zersplitterung des gesellschaftlichen Gesammtkapitals in viele individuelle Kapitale oder der Repulsion seiner Bruchtheile von einander wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist dieß nicht mehr einfache, mit der Ak- 30 kumulation identische Koncentration von Produktionsmitteln und Kom- mando über Arbeit. Es ist Koncentration bereits gebildeter Kapitale, Auf- hebung ihrer individuellen Selbständigkeit, Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleineren in weniger größere Kapi- tale. Dieser Proceß unterscheidet sich von dem ersten dadurch, daß er nur 35 veränderte Vertheilung der bereits vorhandnen und funktionirenden Kapi- tale voraussetzt, sein Spielraum also durch das absolute Wachsthum des gesellschaftlichen Reichthums oder die absoluten Grenzen der Akkumula- tion nicht beschränkt ist. Das Kapital schwillt hier in einer Hand zu großen Massen, weil es dort in vielen Händen verloren geht. Es ist die eigentliche 40 Centralisation im Unterschied zur Akkumulation und Koncentration. Die Gesetze dieser Centralisation der Kapitale oder der Attraktion von 561 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Kapital durch Kapital können hier nicht entwickelt werden. Kurze t a t - sächliche Andeutung genügt. Der Konkurrenzkampf wird durch Verwohl- feilerung der Waaren geführt. Die Wohlfeilheit der Waaren hängt, caeteris paribus, von der Produktivität der Arbeit, diese aber von der Stufenleiter der Produktion ab. Die größeren Kapitale schlagen daher die kleineren. Man erinnert sich ferner, daß mit der Entwicklung der kapitalistischen Pro- duktionsweise der Minimalumfang des individuellen Kapitals wächst, das erheischt ist, um ein Geschäft unter seinen normalen Bedingungen zu be- treiben. Die kleineren Kapitale drängen sich daher in Produktionssphären, deren sich die große Industrie nur ||591| noch sporadisch oder unvollkom- 10 men bemächtigt hat. Die Konkurrenz rast hier im direkten Verhältniß zur Anzahl und im umgekehrten Verhältniß zur Größe der rivalisirenden Kapi- tale. Sie endet stets mit Untergang vieler kleineren Kapitalisten, deren Ka- pitale theils in die Hand des Siegers Übergehn, theils untergehn. Abgesehn hiervon bildet sich mit der kapitalistischen Produktion eine ganz neue 15 Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen, als be- scheidne Beihülfe der Akkumulation, sich einschleicht, durch unsichtbare Fäden die über die Oberfläche der Gesellschaft in größern oder kleinern Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller oder associir- ter Kapitalisten zieht, aber bald eine neue und furchtbare Waffe im Kon- 20 kurrenzkampf wird, und sich schließlich in einen ungeheuren sozialen Me- chanismus zur Centralisation der Kapitale verwandelt. Im Maß wie die kapitalistische Produktion und Akkumulation, im sel- ben Maß entwickeln sich Konkurrenz und Kredit, die beiden mächtigsten Hebel der Centralisation. Daneben vermehrt der Fortschritt der Akkumula- 25 tion den centralisirbaren Stoff, d. h. die Einzelkapitale, während die Aus- weitung der kapitalistischen Produktion, hier das gesellschaftliche Bedürf- niß, dort die technischen Mittel jener gewaltigen industriellen Unterneh- mungen schafft, deren Durchführung an eine vorgängige Centralisation des Kapitals gebunden ist. Heutzutage ist also die gegenseitige Attraktionskraft 30 der Einzelkapitale und die Tendenz zur Centralisation stärker als je zuvor. Wenn aber auch die relative Ausdehnung und Energie der centralisirenden Bewegung in gewissem Grad bestimmt ist durch die schon erreichte Größe des kapitalistischen Reichthums und die Ueberlegenheit des ökonomi- schen Mechanismus, so hängt doch der Fortschritt der Centralisation kei- 35 neswegs ab von dem positiven Größenwachsthum des gesellschaftlichen Kapitals. Und dieß speciell unterscheidet die Centralisation von der Kon- centration, die nur ein andrer Ausdruck für die Reproduktion auf erweiter- ter Stufenleiter ist. Die Centralisation kann erfolgen durch bloße verän- derte Vertheilung schon bestehender Kapitale, durch einfache Verande- 40 rung der quantitativen Gruppirung der Bestandtheile des gesellschaftlichen 562 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Kapitals. Das Kapital kann hier zu gewaltigen Massen in einer Hand an- wachsen, weil es dort vielen einzelnen Händen entzogen wird. In einem ge- gebnen Geschäftszweig hätte die Centralisation ihre äußerste Grenze er- reicht, wenn alle darin angelegten Kapitale zu einem Einzelkapital 5 verschmolzen wären 7 7 b). ||592| In einer gegebnen Gesellschaft wäre diese Grenze erreicht erst in dem Augenblick, wo das gesammte gesellschaftliche Kapital vereinigt wäre in der Hand, sei es eines einzelnen Kapitalisten, sei es einer einzigen Kapitalistengesellschaft. 10 Die Centralisation ergänzt das Werk der Akkumulation, indem sie die industriellen Kapitalisten in Stand setzt die Stufenleiter ihrer Operationen auszudehnen. Sei dieß letztre Resultat nun Folge der Akkumulation oder der Centralisation; vollziehe sich die Centralisation auf dem gewaltsamen Weg der Annexion - wo gewisse Kapitale so überwiegende Gravitations- centren für andre werden, daß sie deren individuelle Kohäsion brechen 15 und dann die vereinzelten Bruchstücke an sich ziehn - oder geschehe die Verschmelzung einer Menge bereits gebildeter, resp. in der Bildung begriff- ner Kapitale vermittelst des glatteren Verfahrens der Bildung von Aktien- gesellschaften - die ökonomische Wirkung bleibt dieselbe. Die gewachsne Ausdehnung der industriellen Etablissements bildet überall den Ausgangs- 20 punkt für eine umfassendere Organisation der Gesammtarbeit Vieler, für eine breitre Entwicklung ihrer materiellen Triebkräfte, d. h. für die fort- schreitende Umwandlung vereinzelter und gewohnheitsmäßig betriebner Produktionsprocesse in gesellschaftlich combinirte und wissenschaftlich disponirte Produktionsprocesse. 25 Es ist aber klar, daß die Akkumulation, die allmählige Vermehrung des Kapitals durch die aus der Kreisform in die Spirale übergehende Repro- duktion ein gar langsames Verfahren ist, im Vergleich mit der Centralisa- tion, die nur die quantitative Gruppirung der integrirenden Theile des ge- sellschaftlichen Kapitals zu ändern braucht. Die Welt wäre noch ohne 30 Eisenbahnen, hätte sie solange warten müssen bis die Akkumulation ei- nige Einzelkapitale dahin gebracht hätte dem Bau einer Eisenbahn ge- wachsen zu sein. Die Centralisation dagegen hat dieß, vermittelst der Ak- tiengesellschaften, im Handumdrehn fertig gebracht. Und während die Centralisation so die Wirkungen der Akkumulation steigert und beschleu- 35 nigt, erweitert und beschleunigt sie gleichzeitig die Umwälzungen in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, die dessen konstanten Theil vermehren auf Kosten seines variablen Theils, und damit die relative Nachfrage nach Arbeit vermindern. 7 7 b ) (Zur 4. Aufl. - Die neuesten englischen und amerikanischen „Trusts" streben dieß Ziel 40 bereits an, indem sie versuchen wenigstens sämmtliche Großbetriebe eines Geschäftszweigs zu einer großen Aktiengesellschaft mit praktischem Monopol zu vereinigen. - D. H.) 5 6 3 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals | Die durch die Centralisation über Nacht zusammengeschweißten |593| Kapitalmassen reproduciren und vermehren sich wie die andren, nur rascher, und werden damit zu neuen mächtigen Hebeln der gesellschaftli- chen Akkumulation. Spricht man also vom Fortschritt der gesellschaftli- chen Akkumulation, so sind darin - heutzutage - die Wirkungen der Cen- tralisation stillschweigend einbegriffen. Die im Lauf der normalen Akkumulation gebildeten Zusatzkapitale (s. Kap. X X I I , 1) dienen vorzugsweise als Vehikel zur Exploitation neuer Er- findungen und Entdeckungen, überhaupt industrieller Vervollkommnun- gen. Aber auch das alte Kapital erreicht mit der Zeit den Moment seiner Erneuerung an Haupt und Gliedern, wo es sich häutet und ebenfalls wie- dergeboren wird in der vervollkommneten technischen Gestalt, worin eine geringere Masse Arbeit genügte, eine größere Masse Maschinerie und Roh- stoffe in Bewegung zu setzen. Die hieraus nothwendig folgende absolute Abnahme der Nachfrage nach Arbeit wird selbstredend um so größer, je mehr die diesen Erneuerungsproceß durchmachenden Kapitale bereits zu Massen angehäuft sind vermöge der centralisirenden Bewegung. Einerseits attrahirt also das im Fortgang der Akkumulation gebildete Zuschußkapital, verhältnißmäßig zu seiner Größe, weniger und weniger Arbeiter. Andrerseits repellirt das periodisch in neuer Zusammensetzung reproducirte alte Kapital mehr und mehr früher von ihm beschäftigte Ar- beiter. 3. Progressive Produktion einer relativen Uebervölkerung oder industriellen Reservearmee. Die Akkumulation des Kapitals, welche ursprünglich nur als seine quanti- 25 tative Erweiterung erschien, vollzieht sich, wie wir gesehn, in fortwähren- dem qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in beständiger Zu- nahme seines konstanten auf Kosten seines variablen B e s t a n d t e i l s 7 7 0 ) . Die specifisch kapitalistische Produktionsweise, die ihr entsprechende Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, der dadurch verursachte Wech- 30 sei in der organischen Zusammensetzung des Kapitals halten nicht nur Schritt mit dem Fortschritt der Akkumu11594|lation oder dem Wachsthum des gesellschaftlichen Reichthums. Sie schreiten ungleich schneller, weil 7 7 c ) Note zur 3. Auflage. - In Marx' Handexemplar steht hier die Randbemerkung: „Hier für Späteres zu bemerken: Ist die Erweiterung nur quantitativ, so verhalten sich bei größerem und kleinerem Kapital in demselben Geschäftszweig die Profite wie die Größen der vorgeschosse- nen Kapitale. Wirkt die quantitative Erweiterung qualitativ, so steigt zugleich die Rate des Profits für das größre Kapital." (D.H.) 35 564 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 15 % % die einfache Akkumulation oder die absolute Ausdehnung des Gesammt- kapitals von der Centralisation seiner individuellen Elemente, und die technische Umwälzung des Zusatzkapitals von technischer Umwälzung des Originalkapitals begleitet sind. Mit dem Fortgang der Akkumulation wan- 5 delt sich also das Verhältniß von konstantem zu variablem Kapitaltheil, wenn ursprünglich 1:1, in 2:1, 3:1, 4:1, 5:1, 7:1 u. s. w., so daß, wie das Kapi- tal wächst, statt % seines Gesammtwerths progressiv nur % u.s.w. in Arbeitskraft, dagegen % %, %, %, % u.s.w. in Produktionsmittel umgesetzt wird. Da die Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang 10 des Gesammtkapitals, sondern durch den seines variablen Bestandtheils bestimmt ist, fällt sie also progressiv mit dem Wachsthum des Gesammtka- pitals, statt, wie vorhin unterstellt, verhältnißmäßig mit ihm zu wachsen. Sie fällt relativ zur Größe des Gesammtkapitals und in beschleunigter Pro- gression mit dem Wachsthum dieser Größe. Mit dem Wachsthum des Ge- sammtkapitals wächst zwar auch sein variabler Bestandtheil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft, aber in beständig abnehmender Proportion. Die Zwischenpausen, worin die Akkumulation als bloße Erweiterung der Pro- duktion auf gegebner technischer Grundlage wirkt, verkürzen sich. Nicht nur wird eine in wachsender Progression beschleunigte Akkumulation des 20 Gesammtkapitals erheischt, um eine zusätzliche Arbeiterzahl von gegeb- ner Größe zu absorbiren oder selbst, wegen der beständigen Metamorphose des alten Kapitals, die bereits funktionirende zu beschäftigen. Ihrerseits schlägt diese wachsende Akkumulation und Centralisation selbst wieder um in eine Quelle neuer Wechsel der Zusammensetzung des Kapitals oder 25 abermalig beschleunigter Abnahme seines variablen Bestandtheils vergli- chen mit dem konstanten. Diese mit dem Wachsthum des Gesammtkapi- tals beschleunigte und rascher als sein eignes Wachsthum beschleunigte relative Abnahme seines variablen Bestandtheils scheint auf der andren Seite umgekehrt stets rascheres absolutes Wachsthum der Arbeiterbevölke- rung als das des variablen Kapitals oder ihrer Beschäftigungsmittel. Die ka- pitalistische Akkumulation producirt vielmehr, und zwar im Verhältniß zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d.h. für die mitt- leren Verwerthungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüs- sige oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung. 30 35 Das gesellschaftliche Gesammtkapital betrachtet, ruft die Be||595|we- gung seiner Akkumulation bald periodischen Wechsel hervor, bald verthei- len sich ihre Momente gleichzeitig über die verschiednen Produktions- sphären. In einigen Sphären findet Wechsel in der Zusammensetzung des Kapitals statt ohne Wachsthum seiner absoluten Größe, in Folge bloßer 40 Koncentration; in andren ist das absolute Wachsthum des Kapitals mit ab- soluter Abnahme seines variablen Bestandtheils oder der von ihm absorbir- 565 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 ten Arbeitskraft verbunden; in andren wächst das Kapital bald auf seiner gegebnen technischen Grundlage fort und attrahirt zuschüssige Arbeits- kraft im Verhältniß seines Wachsthums, bald tritt organischer Wechsel ein und kontrahirt sich sein variabler Bestandtheil; in allen Sphären ist das Wachsthum des variablen K a p i t a l t e i l s und daher der beschäftigten Arbei- ter ζ ahi stets verbunden mit heftigen Fluktuationen und vorübergehender Produktion von Uebervölkerung, ob diese nun die auffallendere Form von Repulsion bereits beschäftigter Arbeiter annimmt oder die mehr unschein- bare, aber nicht minder wirksame, erschwerter Absorption der zuschüssi- gen Arbeiterbevölkerung in ihre gewohnten Abzugskanäle 7 8). Mit der 10 Größe des bereits funktionirenden Gesellschaftskapitals und dem Grad sei- nes Wachsthums, mit der Ausdehnung der Produktionsleiter und der Masse der in Bewegung gesetzten Arbeiter, mit der Entwicklung der Pro- duktivkraft ihrer Arbeit, mit dem breiteren und volleren Strom aller Springquellen des Reichthums dehnt sich auch die Stufenleiter, worin grö- ßere Attraktion der Arbeiter durch das Kapital mit größerer Repulsion der- selben verbunden ist, nimmt die Raschheit ||596| der Wechsel in der orga- nischen Zusammensetzung des Kapitals und seiner technischen Form zu, und schwillt der Umkreis der Produktionssphären, die bald gleichzeitig, bald abwechselnd davon ergriffen werden. Mit der durch sie selbst produ- cirten Akkumulation des Kapitals producirt die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Ueberzähligma- chung 7 9). Es ist dieß ein der kapitalistischen Produktionsweise eigenthüm- 15 20 7 8 ) Der Census für England und Wales zeigt u. a.: Alle in der Agrikultur beschäftigten Personen (Eigenthümer, Pächter, Gärtner, Hirten 25 u.s.w. eingeschlossen): 1851: 2 011447, 1861: 1924110, Abnahme: 87 337. Worsted Manufak- tur: 1851: 102 714 Personen, 1861: 79242; Seidenfabrik: 1851: 111940, 1861: 101678; Kat- tundrucker: 1851: 12 098, 1861: 12 556, welche geringe Zunahme trotz des enorm ausgedehn- ten Geschäfts große proportionelle Abnahme in der Zahl der beschäftigten Arbeiter bedingt. Hutmacher: 1851: 15 957, 1861: 13 814; Strohhut- und Bonnetmacher: 1851: 20393, 1861: 30 18176; Malzer: 1851: 10 566, 1861: 10 677; Lichtgießer: 1851: 4949, 1861: 4686. Diese Ab- nahme ist u. a. der Zunahme der Gasbeleuchtung geschuldet. Kammmacher: 1851: 2038. 1861: 1478; Holzsäger: 1851: 30 552. 1861: 31647, geringe Zunahme in Folge des Auf- schwungs von Sägemaschinen; Nagelmacher: 1851: 26 940. 1861: 26130, Abnahme in Folge der Maschinenkonkurrenz; Arbeiter in Zinn- und Kupferbergwerken: 1851; 31360, 1861: 35 32 041. Dagegen: Baumwollspinnereien und Webereien: 1851: 371777, 1861: 456 646; Koh- lenbergwerke: 1851: 183 389, 1861: 246 613. „Die Zunahme von Arbeitern ist im Allgemeinen am größten seit 1851 in solchen Zweigen, worin die Maschinerie bisher noch nicht mit Erfolg angewandt worden." (,,Census of England and Wales for 1861", vol.111. Lond. 1863, p. 36.) 7 9 ) Das Gesetz der progressiven Abnahme der relativen Größe des variablen Kapitals, nebst 40 seinen Wirkungen auf die Lage der Lohnarbeiterklasse, ist von einigen ausgezeichneten Oe- konomen der klassischen Schule mehr geahnt als begriffen worden. Das größte Verdienst hier- in gebührt John Barton, obwohl er wie alle anderen, das konstante Kapital mit dem fixen, das variable mit dem cirkulirenden zusammenwirft. Er sagt: "The demand for labour depends on the increase of circulating and not of fixed capital. Were it true that the proportion between 45 these two sorts of capital is the same at all times, and in all circumstances, then, indeed, it fol- 566 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation liches Populationsgesetz, wie in der That jede besondre historische Produk- tionsweise ihre besondren, historisch gültigen Populationsgesetze hat. Ein abstraktes Populationsgesetz existirt nur für Pflanze und Thier, soweit der Mensch nicht geschichtlich eingreift. 5 Wenn aber eine Surplusarbeiterpopulation nothwendiges Produkt der Akkumulation oder der Entwicklung des Reichthums auf kapitalistischer Grundlage ist, wird diese Uebervölkerung umgekehrt zum Hebel der kapi- talistischen Akkumulation, ja zu einer Existenz11597|bedingung der kapita- listischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible industrielle Reser- 10 vearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eignen Kosten großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Ver- werthungsbedürfnisse das stets bereite exploitable Menschenmaterial, un- abhängig von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme. Mit der Akkumulation und der sie begleitenden Entwicklung der Produktiv- 15 kraft der Arbeit wächst die plötzliche Expansionskraft des Kapitals, nicht nur, weil die Elasticität des funktionirenden Kapitals wächst, und der abso- lute Reichthum, wovon das Kapital nur einen elastischen Theil bildet, nicht nur, weil der Kredit, unter jedem besondren Reiz, im Umsehn unge- wöhnlichen Theil dieses Reichthums der Produktion als Zusatzkapital zur 20 Verfügung stellt. Die technischen Bedingungen des Produktionsprocesses selbst, Maschinerie, Transportmittel u. s. w. ermöglichen, auf größter Stu- fenleiter, die rascheste Verwandlung von Mehrprodukt in zuschüssige Pro- duktionsmittel. Die mit dem Fortschritt der Akkumulation überschwel- lende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des gesellschaftlichen 25 Reichthums drängt sich mit Frenesie in alte Produktionszweige, deren lows that the number of labourers employed is in proportion to the wealth of the state. But such a proposition has not the semblance of probability. As arts are cultivated, and civiliza- tion is extended, fixed capital bears a larger and larger proportion to circulating capital. The amount of fixed capital employed in the production of a piece of British muslin is at least a 30 hundred, probably a thousand times greater than that employed in a similar piece of Indian muslin. And the proportion of circulating capital is a hundred or thousand times less ... the whole of the annual savings, added to the fixed capital, would have no effect in increasing the demand for labour." (John Barton: ,,Observations on the circumstances which influence the Condition of the Labouring Classes of Society". Lond. 1817, p. 16, 17.) "The same cause 35 which may increase the net revenue of the country may at the same time render the popula- tion redundant, and deteriorate the condition of the labourer." (Ricardo I.e. p.469.) Mit der Zunahme des Kapitals ,,the demand (for labour) will be in a diminishing ratio". (1. c. p. 480, Note.) "The amount of capital devoted to the maintenance of labour may vary, independently of any changes in the whole amount of capital... Great fluctuations in the amount of employ- 40 ment, and great suffering may become more frequent as capital itself becomes more plenti- ful." (Richard Jones: „An Introductory Lecture on Pol. Econ. Lond. 1833", p. 52.) "Demand (for labour) will rise ... not in proportion to the accumulation of the general capital ... Every augmentation, therefore to the national stock destined for reproduction, comes, in the prog- ress of society, to have less and less influence upon the condition of the labourer." (Ramsay 45 I.e. p.90, 91.) 567 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Markt sich plötzlich erweitert, oder in neu eröffnete, wie Eisenbahnen u.s.w., deren Bedürfniß aus der Entwicklung der alten entspringt. In allen solchen Fällen müssen große Menschenmassen plötzlich und ohne Ab- bruch der Produktionsleiter in andren Sphären auf die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Uebervölkerung liefert sie. Der charakteristische Lebenslauf der modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unterbrochnen zehnjährigen Cyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Produktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der beständigen Bildung, größern oder geringem Absorption und Wie- derbildung der industriellen Reservearmee oder Uebervölkerung. Ihrerseits rekrutiren die Wechselfälle des industriellen Cyklus die Uebervölkerung und werden zu einem ihrer energischsten Reproduktionsagentien. Dieser eigenthümliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in keinem frühern Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der Kind- heitsperiode der kapitalistischen Produktion unmöglich. Die Zusammen- setzung des Kapitals veränderte sich nur sehr allmählig. Seiner Akkumula- tion entsprach also im Ganzen verhältnißmäßiges Wachsthum der Arbeitsnachfrage. Langsam wie der Fortschritt seiner Akkumulation, ver- glichen mit der modernen Epoche, stieß er auf Naturschranken der exploi- tablen Arbeiter||598|bevölkerung, welche nur durch später zu erwähnende Gewaltmittel wegräumbar waren. Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Menschenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachsthum der Bevölkerung unabhängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch den einfachen Proceß, der einen Theil der Arbeiter beständig „frei- setzt", durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhältniß zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungs- form der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwand- lung eines Theils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbe- schäftigte Hände. Die Oberflächlichkeit der politischen Oekonomie zeigt sich u. a. darin, daß sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das bloße Symptom der Wechselperioden des industriellen Cyklus, zu deren Ursache macht. Ganz wie Himmelskörper, einmal in eine bestimmte B e - wegung geschleudert, dieselbe stets wiederholen, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal in jene Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist. Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen und die Wechselfälle des ganzen Processes, der seine eignen Bedingungen stets reproducirt, nehmen die Form der Periodicität an. Ist letztere einmal konsolidirt, so begreift selbst die politische Oekonomie die Produktion einer relativen, d.h. mit Bezug auf das mittlere Verwerthungsbedürfniß des 568 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Kapitals überschüssigen Bevölkerung, als Lebensbedingung der modernen Industrie. „Gesetzt", sagt H.Merivale, früher Professor der politischen Oekonomie zu Oxford, später Beamter des englischen Kolonialministeriums, „gesetzt, 5 bei Gelegenheit einer Krise raffe die Nation sich zu einer Kraftanstren- gung auf, um durch Emigration einige 100 000 überflüssige Arme los zu werden, was würde die Folge sein? Daß bei der ersten Wiederkehr der Ar- beitsnachfrage ein Mangel vorhanden wäre. Wie rasch immer die Repro- duktion von Menschen sein mag, sie braucht jedenfalls den Zwischenraum 10 einer Generation zum Ersatz erwachsner Arbeiter. Nun hängen die Profite unsrer Fabrikanten hauptsächlich von der Macht ab, den günstigen Mo- ment lebhafter Nachfrage zu exploitiren und sich so für die Periode der Er- lahmung schadlos zu halten. Diese Macht ist ihnen nur gesichert durch Kommando über Maschinerie und Handarbeit. Sie müssen disponible 15 Hände vorfinden; sie müssen fähig sein, die Aktivität ihrer Operationen, wenn nöthig, höher zu ||599| spannen oder abzuspannen, je nach dem Stand des Markts, oder sie können platterdings nicht in der Hetzjagd der Konkurrenz das Uebergewicht behaupten, auf das der Reichthum dieses Landes gegründet i s t " 8 0 ) . Selbst Malthus erkennt in der Uebervölkerung, 20 die er, nach seiner bornirten Weise, aus absolutem Ueberwuchs der Arbei- terbevölkerung, nicht aus ihrer relativen Ueberzähligmachung deutet, eine Nothwendigkeit der modernen Industrie. Er sagt: „Weise Gewohnheiten in Bezug auf die Ehe, wenn zu einer gewissen Höhe getrieben unter der Ar- beiterklasse eines Landes, das hauptsächlich von Manufaktur und Handel 25 abhängt, würden ihm schädlich sein ... Der Natur der Bevölkerung gemäß, kann ein Zuwachs von Arbeitern nicht zu Markt geliefert werden, in Folge besondrer Nachfrage, bis nach Verlauf von 16 oder 18 Jahren, und die Ver- wandlung von Revenue in Kapital durch Ersparung kann sehr viel rascher platzgreifen; ein Land ist stets dem ausgesetzt, daß sein Arbeitsfonds ra- 30 scher wächst als die Bevölkerung" 8 1). Nachdem die politische Oekonomie 8 0 ) H.Merivale: ,,Lectures on Colonization and Colonies". Lond. 1841 and 1842, v.I, p. 146. 8 1 ) "Prudential habits with regard to marriage carried to a considerable extent among the la- bouring class of a country mainly depending upon manufactures and commerce might injure it... From the nature of a population, an increase of labourers cannot be brought into market, in consequence of a particular demand, till after the lapse of 16 or 18 years, and the conver- sion of revenue into capital, by saving, may take place much more rapidly; a country is always liable to an increase in the quantity of the funds for the maintenance of labour faster than the increase of population." (Malthus: „Princ. of Pol. Econ.", p. 215, 319, 320.) In diesem Werk entdeckt Malthus endlich, vermittelst Sismondi's, die schöne Dreieinigkeit der kapitalisti- schen Produktion: Ueberproduktion - Ueberpopulation - Ueberkonsumtion, three very del- icate monsters, indeed! Vgl. F. Engels: „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie" 1. c. p. 107 sqq. 569 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals so die beständige Produktion einer relativen Uebervölkerung von Arbeitern für eine Notwendigkeit der kapitalistischen Akkumulation erklärt hat, legt sie, und zwar adäquat in der Figur einer alten Jungfer, dem ,,beau idéal" ihres Kapitalisten folgende Worte an die durch ihre eigne Schöpfung von Zusatzkapital aufs Pflaster geworfnen „Ueberzähligen" in den Mund: „Wir Fabrikanten thun für euch, was wir können, indem wir das Kapital vermehren, von dem ihr subsistiren müßt; und ihr müßt das Uebrige thun, indem ihr eure Zahl den Subsistenzmitteln anpaßt" 8 2). 5 Der kapitalistischen Produktion genügt keineswegs das Quantum dispo- nibler Arbeitskraft, welches der natürliche Zuwachs der Be||600|völkerung 10 liefert. Sie bedarf zu ihrem freien Spiel einer von dieser Naturschranke un- abhängigen industriellen Reservearmee. Bisher wurde unterstellt, daß der Zu- oder Abnahme des variablen Kapi- tals genau die Zu- oder Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl ent- spricht. 15 Bei gleichbleibender oder selbst verminderter Zahl der von ihm kom- mandirten Arbeiter wächst jedoch das variable Kapital, wenn der individu- elle Arbeiter mehr Arbeit liefert und daher sein Arbeitslohn wächst, ob- gleich der Arbeitspreis gleichbleibt, oder selbst sinkt, nur langsamer als die Arbeitsmasse steigt. Der Zuwachs des variablen Kapitals wird dann Index 20 von mehr Arbeit, aber nicht von mehr beschäftigten Arbeitern. Jeder Kapi- talist hat das absolute Interesse, ein bestimmtes Arbeitsquantum aus klei- nerer, statt eben so wohlfeil oder selbst wohlfeiler aus größerer Arbeiterzahl auszupressen. In dem letzten Fall wächst die Auslage von konstantem Ka- pital verhältnißmäßig zur Masse der in Fluß gesetzten Arbeit, im ersten 25 Fall viel langsamer. Je größer die Stufenleiter der Produktion, desto ent- scheidender dieß Motiv. Seine Wucht wächst mit der Akkumulation des Kapitals. Man hat gesehn, daß die Entwicklung der kapitalistischen Produktions- weise und Produktivkraft der Arbeit - zugleich Ursache und Wirkung der 30 Akkumulation - den Kapitalisten befähigt, mit derselben Auslage von va- riablem Kapital mehr Arbeit durch größere extensive oder intensive Ex- ploitation der individuellen Arbeitskräfte flüssig zu machen. Man hat fer- ner gesehn, daß er mit demselben Kapitalwerth mehr Arbeitskräfte kauft, indem er progressiv geschicktere Arbeiter durch ungeschicktere, reife 35 durch unreife, männliche durch weibliche, erwachsne Arbeitskraft durch jugendliche oder kindliche verdrängt. Einerseits macht also, im Fortgang der Akkumulation, größeres variables Kapital mehr Arbeit flüssig, ohne mehr Arbeiter zu werben, andrerseits 8 2 ) Harriet Martineau: „The Manchester Strike. 1832", p. 101. 40 570 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation macht variables Kapital von derselben Größe mehr Arbeit mit derselben Masse Arbeitskraft flüssig und endlich mehr niedere Arbeitskräfte durch Verdrängung höherer. Die Produktion einer relativen Uebervölkerung oder die Freisetzung von 5 Arbeitern geht daher noch rascher voran als die ohnehin mit dem Fort- schritt der Akkumulation beschleunigte technische Umwälzung des Pro- duktionsprocesses und die entsprechende proportionelle Abnahme des va- riablen K a p i t a l t e i l s gegen den konstanten. Wenn die Produktionsmittel, wie sie an Umfang und Wirkungskraft zunehmen, in geringerem Grad B e - 10 schäftigungsmittel der ||601| Arbeiter werden, wird dieß Verhältniß selbst wieder dadurch modificirt, daß im Maß wie die Produktivkraft der Arbeit wächst, das Kapital seine Zufuhr von Arbeit rascher steigert als seine Nachfrage nach Arbeitern. Die Ueberarbeit des beschäftigten Theils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der 15 vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Ueberarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Ka- pitals zwingt. Die Verdammung eines Theils der Arbeiterklasse zu er- zwungnem Müßiggang durch Ueberarbeit des andren Theils, und umge- kehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten 8 3) und 20 beschleunigt zugleich die Produktion der industriellen Reservearmee auf einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation entsprechen- den Maßstab. Wie wichtig dieß Moment in der Bildung der relativen Ue- 8 3 ) Selbst während der Baumwollnoth von 1863 findet man in einem Pamphlet der Baumwoll- spinner von Blackburn heftige Denunciation gegen die Ueberarbeit, die kraft des Fabrikgeset- 25 zes natürlich nur erwachsne männliche Arbeiter traf. "The adult operatives at this mill have been asked to work from 12 to 13 hours per day, while there are hundreds who are compelled to be idle who would willingly work partial time, in order to maintain their families and save their brethren from a premature grave through being overworked." „Wir", heißt es weiter, „möchten fragen, ob diese Praxis, Ueberzeit zu arbeiten, irgend wie erträgliche Verhältnisse 30 zwischen Meistern und ,Dienern' möglich macht? Die Opfer der Ueberarbeit fühlen die Un- bill eben so sehr als die dadurch zu erzwungnem Müßiggang Verdammten (condemned to forced idleness). In diesem Distrikt reicht das zu verrichtende Werk hin, um alle theilweis zu beschäftigen, würde die Arbeit billig vertheilt. Wir verlangen nur ein Recht, indem wir die Meister auffordern, allgemein nur kurze Zeit zu arbeiten, wenigstens so lange der jetzige 35 Stand der Dinge währt, statt einen Theil zu überarbeiten, während der andre durch Arbeits- mangel gezwungen wird, von der Wohlthätigkeit seine Existenz zu fristen." („Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1863", p. 8.) - Die Wirkung einer relativen Uebervölkerung auf die beschäf- tigten Arbeiter begreift der Verfasser des „Essay on Trade and Commerce" mit seinem ge- wohnten unfehlbaren Bourgeoisinstinkt. „Eine andre Ursache der Faullenzerei (idleness) in 40 diesem Königreich ist der Mangel einer hinreichenden Anzahl arbeitender Hände. So oft durch irgend eine ungewöhnliche Nachfrage für Fabrikate die Arbeitsmasse ungenügend wird, fühlen die Arbeiter ihre eigne Wichtigkeit und wollen sie ihren Meistern ebenfalls fühl- bar machen; es ist erstaunlich; aber so depravirt ist die Gesinnung dieser Kerle, daß in sol- chen Fällen Gruppen von Arbeitern sich kombinirt haben, um ihre Meister dadurch in Verle- 45 genheit zu setzen, daß sie einen ganzen Tag durch faullenzten." („Essay etc.", p.27, 28.) Die Kerle verlangten nämlich Lohnerhöhung. 571 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals bervölkerung, beweist z.B. England. Seine technischen Mittel zur „Erspa- rung" von Arbeit sind kolossal. Dennoch, würde morgen allgemein die Arbeit auf ein rationelles Maß beschränkt, und für die verschiednen Schichten der Arbeiterklasse wieder entsprechend nach Alter und Ge- schlecht abgestuft, so wäre die vorhandne ||602| Arbeiterbevölkerung abso- lut unzureichend zur Fortführung der nationalen Produktion auf ihrer jet- zigen Stufenleiter. Die große Mehrheit der jetzt „unproduktiven" Arbeiter müßte in „produktive" verwandelt werden. Im Großen und Ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeits- lohns ausschließlich regulirt durch die Expansion und Kontraktion der in- dustriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Cyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevölkerung, sondern durch das wechselnde Verhältniß, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der Uebervölkerung, durch den Grad, worin sie bald absorbirt, bald wieder frei- gesetzt wird. Für die moderne Industrie mit ihrem zehnjährigen Cyklus und seinen periodischen Phasen, die außerdem im Fortgang der Akkumu- lation durch stets rascher auf einander folgende unregelmäßige Oscillatio- nen durchkreuzt werden, wäre es in der That ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion und Kon- traktion des Kapitals, also nach seinen jedesmaligen Verwerthungsbedürf- nissen regelte, so daß der Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandirt, bald wieder übervoll, weil es sich kontrahirt, sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals von der absoluten Bewe- gung der Bevölkerungsmenge abhängig machte. Dieß jedoch ist das ökono- mische Dogma. Nach demselben steigt in Folge der Kapitalakkumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermeh- rung der Arb eit erb e völkerung und diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ zur Arbeiterzufuhr unzureichend gewor- den ist. Der Arbeitslohn sinkt, und nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird die Arbeiterbevölkerung nach und nach de- cimirt, so daß ihr gegenüber das Kapital wieder überschüssig wird, oder auch, wie Andre es erklären, der fallende Arbeitslohn und die entspre- chende erhöhte Exploitation des Arbeiters beschleunigt wieder die Akku- mulation, während gleichzeitig der niedere Lohn das Wachsthum der Ar- beiterklasse in Schach hält. So tritt wieder das Verhältniß ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Arbeitsnachfrage, der Lohn steigt u. s. w. Eine schöne Bewegungsmethode dieß für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor in Folge der Lohnerhöhung irgend ein positives Wachs- thum der wirklich arbeitsfähigen Bevölkerung eintreten könnte, wäre die 572 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Frist aber und abermal ||603| abgelaufen, worin der industrielle Feldzug ge- führt, die Schlacht geschlagen und entschieden sein muß. 10 Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen, eine praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhöhung in den englischen 5 Agrikulturdistrikten ein, z . B . in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7 auf 8 sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. u. s. w. Es war dieß Folge des übergewöhnlichen Abflusses der agrikolen Uebervölkerung, verursacht durch Kriegsnachfrage, massenhafte Ausdehnung der Eisenbahnbauten, Fabriken, Bergwerke etc. Je niedriger der Arbeitslohn, desto höher drückt sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben in Procentzahlen aus. Ist der Wochenlohn z.B. 20 sh. und steigt er auf 22, so um 10 %; ist er dage- gen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um 28% %, was sehr erklecklich klingt. J e - denfalls heulten die Pächter und schwatzte sogar der „London Economist" ganz ernsthaft von „a general and substantial advance" 8 4) mit Bezug auf 15 diese Hungerlöhne. Was thaten nun die Pächter? Warteten sie, bis die Landarbeiter sich in Folge dieser brillanten Zahlung so vermehrt hatten, daß ihr Lohn wieder fallen mußte, wie die Sache sich im dogmatisch öko- nomischen Hirn zuträgt? Sie führten mehr Maschinerie ein, und im Um- sehn waren die Arbeiter wieder „überzählig" in einem selbst den Pächtern 20 genügenden Verhältniß. Es war jetzt „mehr Kapital" in der Agrikultur an- gelegt als vorher und in einer produktiveren Form. Damit fiel die Nach- frage nach Arbeit nicht nur relativ, sondern absolut. Jene ökonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die allge- meine Bewegung des Arbeitslohns oder das Verhältniß zwischen Arbeiter- 25 klasse, d. h. Gesammtarbeitskraft und gesellschaftlichem Gesammtkapital regeln, mit den Gesetzen, welche die Arbeiterbevölkerung unter die be- sondren Produktionssphären vertheilen. Wenn z.B. in Folge günstiger Kon- junktur die Akkumulation in einer bestimmten Produktionssphäre beson- lebhaft, die Profite hier größer als die Durchschnittsprofite, ders 30 Zuschußkapital dahin drängt, so steigt natürlich Arbeitsnachfrage und Ar- beitslohn. Der höhere Arbeitslohn zieht einen größeren Theil der Arbeiter- bevölkerung in die begünstigte Sphäre, bis sie mit Arbeitskraft gesättigt ist, und der Lohn auf die Dauer wieder auf sein früheres Durchschnittsniveau oder unter dasselbe fällt, falls der Zudrang zu groß war. Dann hört nicht 35 nur die Einwanderung ||604| von Arbeitern in den fraglichen Geschäfts- zweig auf, sie macht sogar ihrer Auswanderung Platz. Hier glaubt der poli- tische Oekonom zu sehn, „wo und wie", mit Zunahme des Lohns eine ab- solute Zunahme von Arbeitern, und mit der absoluten Zunahme der Arbeiter eine Abnahme des Lohns, aber er sieht in der That nur die lokale 40 Oscillation des Arbeitsmarkts einer besondren Produktionssphäre, er sieht 8 4 ) Economist, Jan. 21, 1860. 573 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 nur Phänomene der Vertheilung der Arbeiterbevölkerung in die verschied- nen Anlagssphären des Kapitals, je nach seinen wechselnden Bedürfnissen. Die industrielle Reservearmee drückt während der Perioden der Stagna- tion und mittleren Prosperität auf die aktive Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche während der Periode der Ueberproduktion und des Paroxysmus im Zaum. Die relative Uebervölkerung ist also der Hintergrund, worauf das Gesetz der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt. Sie zwängt den Spielraum dieses Gesetzes in die der Exploitationsgier und Herrschsucht des Kapitals absolut zusagenden Schranken ein. Es ist hier der Ort auf eine der Großthaten der ökonomischen Apologetik zurückzukommen. Man er- 10 innert sich, daß wenn durch Einführung neuer oder Ausdehnung alter Ma- schinerie ein Stück variables Kapital in konstantes verwandelt wird, der ökonomische Apologet diese Operation, welche Kapital „bindet" und eben dadurch Arbeiter „freisetzt", umgekehrt so deutet, daß sie Kapital für den Arbeiter freisetzt. Erst jetzt kann man die Unverschämtheit des Apologeten 15 vollständig würdigen. Was freigesetzt wird, sind nicht nur die unmittelbar durch die Maschine verdrängten Arbeiter, sondern ebenso ihre Ersatz- mannschaft und das, bei gewohnter Ausdehnung des Geschäfts auf seiner alten Basis, regelmäßig absorbirte Zuschußkontingent. Sie sind jetzt alle „freigesetzt", und jedes neue funktionslustige Kapital kann über sie verfü- 20 gen. Ob es sie oder andre attrahirt, die Wirkung auf die allgemeine Arbeits- nachfrage wird Null sein, so lange dieß Kapital gerade hinreicht, um den Markt von ebensoviel Arbeitern zu befreien, als die Maschinen auf ihn geworfen. Beschäftigt es eine geringere Zahl, so wächst die Menge der Ueberzähligen; beschäftigt es eine größere, so wächst die allgemeine 25 Arbeitsnachfrage nur um den Ueberschuß der Beschäftigten über die „Frei- gesetzten". Der Aufschwung, den anlagesuchende Zusatzkapitale sonst der allgemeinen Arbeitsnachfrage gegeben hätten, ist also in jedem Fall inso- weit neutralisirt, wie die von der Maschine aufs Pflaster geworfnen Arbeiter reichen. D.h. also, der Mechanis||605|mus der kapitalistischen Produktion 30 sorgt dafür, daß der absolute Zuwachs von Kapital von keiner entsprechen- den Steigerung der allgemeinen Arbeitsnachfrage begleitet ist. Und dieß nennt der Apologet eine Kompensation für das Elend, die Leiden und den möglichen Untergang der deplacirten Arbeiter während der Uebergangspe- riode, welche sie in die industrielle Reservearmee bannt! Die Nachfrage 35 nach Arbeit ist nicht identisch mit Wachsthum des Kapitals, die Zufuhr der Arbeit nicht mit dem Wachsthum der Arbeiterklasse, so daß zwei von einander unabhängige Potenzen auf einander einwirkten. Les dés sont pi- pés. Das Kapital agirt auf beiden Seiten zugleich. Wenn seine Akkumula- tion einerseits die Nachfrage nach Arbeit vermehrt, vermehrt sie andrer- 40 seits die Zufuhr von Arbeitern durch deren „Freisetzung", während 574 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation zugleich der Druck der Unbeschäftigten die Beschäftigten zur Flüssigma- chung von mehr Arbeit zwingt, also in gewissem Grad die Arbeitszufuhr von der Zufuhr von Arbeitern unabhängig macht. Die Bewegung des Ge- setzes der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit auf dieser Basis vollendet die 5 Despotie des Kapitals. Sobald daher die Arbeiter hinter das Geheimniß kommen, wie es angeht, daß im selben Maß, wie sie mehr arbeiten, mehr fremden Reichthum produciren, und die Produktivkraft ihrer Arbeit wächst, sogar ihre Funktion als Verwerthungsmittel des Kapitals immer prekärer für sie wird; sobald sie entdecken, daß der Intensitätsgrad der 10 Konkurrenz unter ihnen selbst ganz und gar von dem Druck der relativen Uebervölkerung abhängt; sobald sie daher durch Trades' Unions u. s. w. eine planmäßige Zusammenwirkung zwischen den Beschäftigten und Un- beschäftigten zu organisiren suchen, um die ruinirenden Folgen jenes Na- turgesetzes der kapitalistischen Produktion auf ihre Klasse zu brechen oder 15 zu schwächen, zetert das Kapital und sein Sykophant, der politische Oeko- nom, über Verletzung des „ewigen" und so zu sagen „heiligen" Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr. Jeder Zusammenhalt zwischen den Beschäftig- ten und Unbeschäftigten stört nämlich das „reine" Spiel jenes Gesetzes. Sobald andrerseits, in den Kolonien z.B., widrige Umstände die Schöpfung 20 der industriellen Reservearmee und mit ihr die absolute Abhängigkeit der Arbeiterklasse von der Kapitalistenklasse verhindern, rebellirt das Kapital, sammt seinem gemeinplätzlichen Sancho Pansa, gegen das „heilige" Ge- setz der Nachfrage und Zufuhr und sucht ihm durch Zwangsmittel unter die Arme zu greifen. | 25 16061 4. Verschiedne Existenzformen der relativen Uebervölkerung. Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Die relative Uebervölkerung existirt in allen möglichen Schattirungen. J e - der Arbeiter gehört ihr an während der Zeit, wo er halb oder gar nicht be- schäftigt ist. Abgesehn von den großen, periodisch wiederkehrenden For- 30 men, welche der Phasenwechsel des industriellen Cyklus ihr aufprägt, so daß sie bald akut in den Krisen erscheint, bald chronisch in den Zeiten flauen Geschäfts, besitzt sie fortwährend drei Formen: flüssige, latente und stockende. 35 In den Centren der modernen Industrie - Fabriken, Manufakturen, Hüt- ten und Bergwerken u.s.w. - werden Arbeiter bald repellirt, bald in größe- rem Umfang wieder attrahirt, so daß im Großen und Ganzen die Zahl der Beschäftigten zunimmt, wenn auch in stets abnehmendem Verhältniß zur Produktionsleiter. Die Uebervölkerung existirt hier in fließender Form. 575 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Sowohl in den eigentlichen Fabriken wie in allen großen Werkstätten, wo Maschinerie als Faktor eingeht oder auch nur die moderne Theilung der Arbeit durchgeführt ist, braucht man massenhaft männliche Arbeiter bis zur Zurücklegung des Jugendalters. Dieser Termin einmal erreicht, bleibt nur eine sehr geringe Anzahl in denselben Geschäftszweigen ver- wendbar, während die Mehrzahl regelmäßig entlassen wird. Sie bildet ein Element der fließenden Uebervölkerung, das mit dem Umfang der Indu- strie wächst. Ein Theil davon wandert aus und reist in der That nur dem auswandernden Kapital nach. Eine der Folgen ist, daß die weibliche Bevöl- kerung rascher wächst als die männliche, teste England. Daß der natürliche Zuwachs der Arbeitermasse die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals nicht sättigt und sie dennoch zugleich überschreitet, ist ein Widerspruch seiner Bewegung selbst. Es braucht größere Massen Arbeiter im früheren Alter, geringere im männlichen. Der Widerspruch ist nicht schreiender als der andre, daß über Mangel an Händen geklagt wird zur selben Zeit, wo viele Tausende auf dem Pflaster liegen, weil die Theilung der Arbeit sie an einen bestimmten Geschäftszweig kettet 8 5). Der Konsum der Arbeitskraft durch das Kapital ist ||607| zudem so rasch, daß der Arbeiter von mittlerem Alter sich meist schon mehr oder minder überlebt hat. Er fällt in die Rei- hen der Ueberzähligen, oder wird von einer höheren auf eine niedrigere Staffel hinabgedrängt. Gerade bei den Arbeitern der großen Industrie sto- ßen wir auf die kürzeste Lebensdauer. „Dr. Leigh, der Gesundheitsbeamte von Manchester, hat festgestellt, daß in jener Stadt die mittlere Lebens- dauer der wohlhabenden Klasse 38, die der Arbeiterklasse nur 17 Jahre ist. In Liverpool beträgt sie 35 Jahre für die erstere, 15 für die zweite. Es folgt also, daß die privilegirte Klasse eine Anweisung aufs Leben hat (have a lease of life) mehr als doppelt so groß als die ihrer weniger begünstigten Mitbürger" 8 5 a). Unter diesen Umständen erheischt das absolute Wachs- thum dieser Fraktion des Proletariats eine Form, welche ihre Zahl schwellt, obgleich ihre Elemente sich schnell abnutzen. Also rasche Ablösung der Arbeitergenerationen. (Dasselbe Gesetz gilt nicht für die übrigen Klassen der Bevölkerung.) Dieß gesellschaftliche Bedürfniß wird befriedigt durch frühe Ehen, nothwendige Folge der Verhältnisse, worin die Arbeiter der großen Industrie leben, und durch die Prämie, welche die Exploitation der Arbeiterkinder auf ihre Produktion setzt. 8 5 ) Während im letzten Halbjahr von 1866 80-90 000 Arbeiter in London außer Arbeit gewor- fen wurden, heißt es im Fabrikbericht über dasselbe Halbjahr: "It does not appear absolutely true to say that demand will always produce supply just at the moment when it is needed. It has not done so with labour, for much machinery has been idle last year for want of hands." („Report of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1866", p. 81.) 8 5 a ) Eröffnungsrede der sanitären Konferenz, Birmingham 15. Jan. 1875, von J. Chamberlain, damals Mayor der Stadt, jetzt (1883) Handelsminister. 576 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 Sobald sich die kapitalistische Produktion der Agrikultur, oder im Grad, worin sie sich derselben bemächtigt hat, nimmt mit der Akkumulation des hier funktionirenden Kapitals die Nachfrage für die ländliche Arbeiterbe- völkerung absolut ab, ohne daß ihre Repulsion, wie in der nicht agrikolen Industrie, durch größere Attraktion ergänzt wäre. Ein Theil der Landbevöl- kerung befindet sich daher fortwährend auf dem Sprung, in städtisches oder Manufakturproletariat überzugehn, und in der Lauer auf dieser Ver- wandlung günstige Umstände. (Manufaktur hier im Sinn aller nichtagriko- len Industrie) 8 6). Diese Quelle der relativen Ueber||608|völkerung fließt 10 also beständig. Aber ihr beständiger Fluß nach den Städten setzt auf dem Lande selbst eine fortwährend latente Uebervölkerung voraus, deren Um- fang nur sichtbar wird, sobald sich die Abzugskanäle ausnahmsweise weit öffnen. Der Landarbeiter wird daher auf das Minimum des Salairs herabge- drückt und steht mit einem Fuß stets im Sumpf des Pauperismus. 15 Die dritte Kategorie der relativen Uebervölkerung, die stockende, bildet einen Theil der aktiven Arbeiterarmee, aber mit durchaus unregelmäßiger Beschäftigung. Sie bietet so dem Kapital einen unerschöpflichen Behälter disponibler Arbeitskraft. Ihre Lebenslage sinkt unter das durchschnittliche Normalniveau der arbeitenden Klasse und grade dieß macht sie zur breiten 20 Grundlage eigner Exploitationszweige des Kapitals. Maximum der Arbeits- zeit und Minimum des Salairs charakterisiren sie. Wir haben unter der Ru- brik der Hausarbeit ihre Hauptgestalt bereits kennen gelernt. Sie rekrutirt sich fortwährend aus den Ueberzähligen der großen Industrie und Agrikul- tur, und namentlich auch aus untergehenden Industriezweigen, wo der 25 Handwerksbetrieb dem M anufakturb e trieb, letztrer dem Maschinenbetrieb erliegt. Ihr Umfang dehnt sich, wie mit Umfang und Energie der Akkumu- lation die „Ueberzähligmachung" fortschreitet. Aber sie bildet zugleich ein sich selbst reproducirendes und verewigendes Element der Arbeiterklasse, das verhältnißmäßig größeren Antheil am Gesammtwachsthum derselben 30 nimmt als die übrigen Elemente. In der That steht nicht nur die Masse der Geburten und Todesfälle, sondern die absolute Größe der Familien in um- gekehrtem Verhältniß zur Höhe des Arbeitslohns, also zur Masse der Le- bensmittel, worüber die verschiednen Arbeiterkategorien verfügen. Dieß 8 6 ) „781 Städte" sind aufgezählt im Census von 1861 für England und Wales „mit 10 960 998 35 Einwohnern, während die Dörfer und Landkirchspiele nur 9105 226 zählen ... Im Jahr 1851 figurirten 580 Städte im Census, deren Bevölkerung ungefähr gleich der Bevölkerung der sie umgebenden Landdistrikte war. Während aber in den letzteren die Bevölkerung während der folgenden 10 Jahre nur um eine halbe Million wuchs, wuchs sie in den 580 Städten um 1554 067. Der Bevölkerungszuwachs in den Landkirchspielen ist 6,5 %, in den Städten 17,3 %. 40 Der Unterschied in der Rate des Wachsthums ist der Wanderung vom Land in die Stadt ge- schuldet. Drei Viertel des Gesammtwachsthums der Bevölkerung gehört den Städten." (,,Cen- sus etc.", v.III, p . l l , 12.) 577 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Gesetz der kapitalistischen Gesellschaft klänge unsinnig unter Wilden, oder selbst civilisirten Kolonisten. Es erinnert an die massenhafte Repro- duktion individuell schwacher und vielgehetzter Thierarten 8 7). 5 Der tiefste Niederschlag der relativen Uebervölkerung endlich ||609| be- haust die Sphäre des Pauperismus. Abgesehn von Vagabunden, Verbre- ehern, Prostituirten, kurz dem eigentlichen Lumpenproletariat, besteht diese Gesellschaftsschichte aus drei Kategorien. Erstens Arbeitsfähige. Man braucht die Statistik des englischen Pauperismus nur oberflächlich anzusehn, und man findet, daß seine Masse mit jeder Krise schwillt und mit jeder Wiederbelebung des Geschäfts abnimmt. Zweitens: Waisen- und 10 Pauperkinder. Sie sind Kandidaten der industriellen Reservearmee und werden in Zeiten großen Aufschwungs, wie 1860 z . B . , rasch und massen- haft in die aktive Arbeiterarmee einrollirt. Drittens: Verkommene, Ver- lumpte, Arbeitsunfähige. Es sind namentlich Individuen, die an ihrer durch die Theilung der Arbeit verursachten Unbeweglichkeit untergehn, 15 solche, die über das Normalalter eines Arbeiters hinausleben, endlich die Opfer der Industrie, deren Zahl mit gefährlicher Maschinerie, Bergwerks- bau, chemischen Fabriken etc. wächst, Verstümmelte, Verkrankte, Witt- wen etc. Der Pauperismus bildet das Invalidenhaus der aktiven Arbeiterar- mee und das todte Gewicht der industriellen Reservearmee. Seine 20 Produktion ist eingeschlossen in der Produktion der relativen Uebervölke- rung, seine Nothwendigkeit in ihrer Nothwendigkeit, mit ihr bildet er eine Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion und Entwicklung des Reichthums. Er gehört zu den faux frais der kapitalistischen Produktion, die das Kapital jedoch großentheils von sich selbst ab auf die Schultern der 25 Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse zu wälzen weiß. Je größer der gesellschaftliche Reichthum, das funktionirende Kapital, Umfang und Energie seines Wachsthums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die indu- strielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ur- 30 Sachen entwickelt, wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnißmä- ßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichthums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältniß zur akti- ven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidirte Uebervölkerung, 8 7 ) "Poverty seems favourable to generation." (A. Smith.) Dieß ist sogar eine besonders weise 35 Einrichtung Gottes nach dem galanten und geistreichen Abbé Galiani: «Iddio fa che gli uo- mini che esercitano mestieri di prima utilità nascono abbondantemente.» (Galiani I.e. p.78.) "Misery, up to the extreme point of famine and pestilence, instead of checking, tends to in- crease population." (S. Laing: „National Distress. 1844", p. 69.) Nachdem Laing dieß stati- stisch illustrirt, fährt er fort: „Befände sich alle Welt in bequemen Umständen, so wäre die 40 Welt bald entvölkert," ("If the people were all in easy circumstances, the world would soon be depopulated.") 578 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 10 deren Elend im umgekehrten Verhältniß zu ihrer Arbeitsqual steht. Je grö- ßer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle R e - servearmee, desto größer der officielle Pauperismus. Dieß ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen and- ren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände mo- difient, deren Analyse nicht hierher gehört. | |610| Man begreift die Narrheit der ökonomischen Weisheit, die den Ar- beitern predigt, ihre Zahl den Verwerthungsbedürfnissen des Kapitals an- zupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Akkumu- lation paßt diese Zahl beständig diesen Verwerthungsbedürfnissen an. Erstes Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Uebervöl- kerung oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das todte Gewicht des Pauperismus. 15 Das Gesetz, wonach eine immer wachsende Masse von Produktionsmit- teln, Dank dem Fortschritt in der Produktivität der gesellschaftlichen Ar- beit, mit einer progressiv abnehmenden Ausgabe von Menschenkraft in Be- wegung gesetzt werden kann - dieß Gesetz drückt sich auf kapitalistischer Grundlage, wo nicht der Arbeiter die Arbeitsmittel, sondern die Arbeits- 20 mittel den Arbeiter anwenden, darin aus, daß, je höher die Produktivkraft der Arbeit, desto größer der Druck der Arbeiter auf ihre Beschäftigungsmit- tel, desto prekärer also ihre Existenzbedingung: Verkauf der eignen Kraft zur Vermehrung des fremden Reichthums oder zur Selbstverwerthung des Kapitals. Rascheres Wachsthum der Produktionsmittel und der Produktivi- tat der Arbeit als der produktiven Bevölkerung drückt sich kapitalistisch also umgekehrt darin aus, daß die Arbeiterbevölkerung stets rascher wächst als das Verwerthungsbedürfniß des Kapitals. 25 30 Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen Mehrwerths: innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle Me- thoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Pro- duktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Pro- ducenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Theilmenschen, entwürdi- gen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner 35 Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitspro- cesses, im selben Maße, worin letzterem die Wissenschaft als selbständige Potenz einverleibt wird; sie verunstalten die Bedingungen, innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeitsprocesses der kleinlichst gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit, schleu- 40 dem sein Weib und Kind unter das Juggernautrad des Kapitals. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerths sind zugleich Methoden der Ak- 579 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals kumulation und jede Ausdehnung der Akkumulation wird umgekehrt Mit- tel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie | |611| Kapital akkumulirt, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die relative Uebervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmie- det den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reich- thum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Ar- 10 beitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisirung und moralischer Degra- dation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital producirt. 5 Dieser antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation 8 8) ist in verschiednen Formen von politischen Oekonomen ausgesprochen, 15 obgleich sie zum Theil zwar analoge, aber dennoch wesentlich verschie- dene Erscheinungen vorkapitalistischer Produktionsweisen damit zusam- menwerfen. Der venetianische Mönch Ortes, einer der großen ökonomischen Schrift- steller des 18. Jahrhunderts, faßt den Antagonismus der kapitalistischen 20 Produktion als allgemeines Naturgesetz des gesellschaftlichen Reichthums. „Das ökonomisch Gute und ökonomisch Böse halten sich in einer Nation stets das Gleichgewicht (il bene ed il male economico in una nazione sem- pre all' istessa misura), die Fülle der Güter für Einige ist immer gleich dem Mangel derselben für Andre (la copia dei beni in alcuni sempre eguale alla 25 mancanza di essi in altri). Großer Reichthum von Einigen ist stets beglei- tet von absoluter Beraubung des Nothwendigen bei viel mehr andren. Der Reichthum einer Nation entspricht ihrer Bevölkerung, und ihr Elend ent- spricht ihrem Reichthum. Die Arbeitsamkeit in Einigen erzwingt den Mü- ßiggang in Andren. Die Armen und Müßigen sind eine nothwendige 30 Frucht der Reichen und Thätigen" u.s.w. 8 9). In ganz grober Weise verherr- lichte ||612| ungefähr 10 Jahre nach Ortes der hochkirchliche protestanti- 8 8 ) «De jour en jour il devient donc plus clair que les rapports.de production dans lesquels se meut la bourgeoisie n'ont pas un caractère un, un caractère simple, mais un caractère de du- plicité; que dans les mêmes rapports dans lesquels se produit la richesse, la misère se produit 35 aussi; que dans les mêmes rapports dans lesquels il y a développement des forces productives, il y a une force productive de répression; que ces rapports ne produisent la richesse bour- geoise, c'est à dire la richesse de la classe bourgeoise, qu'en anéantissant continuellement la richesse des membres intégrants de cette classe et en produisant un prolétariat toujours crois- sant.» (Karl Marx: ,,Misère de la Philosophie", p. 116.) 8 9 ) G. Ortes: „Deila Economia Nazionale libri sei 1774", bei Custodi. Parte Moderna, t. XXI, p.6, 8, 9, 2 3 - 2 5 . Ortes sagt I.e. p.32: «In luogo di progettar sistemi inutili per la felicità de' popoli, mi limiterò a investigare la ragione della loro infelicità.» 40 580 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 sehe Pfaffe Townsend die Armuth als nothwendige Bedingung des Reich- thums. „Gesetzlicher Zwang zur Arbeit ist verbunden mit zu viel Mühe, Gewaltsamkeit und Geräusch, während der Hunger nicht nur ein friedli- cher, schweigsamer, unaufhörlicher Druck, sondern als natürlichstes Motiv zur Industrie und Arbeit die machtvollste Anstrengung hervorruft." Alles kommt also darauf an, den Hunger unter der Arbeiterklasse permanent zu machen, und dafür sorgt, nach Townsend, das Bevölkerungsprineip, das be- sonders unter den Armen thätig ist. „Es scheint ein Naturgesetz, daß die Armen zu einem gewissen Grad leichtsinnig (improvident) sind (nämlich 10 so leichtsinnig auf die Welt zu kommen ohne goldne Löffel im Mund), so daß stets welche da sind (that there always may be some) zur Erfüllung der servilsten, schmutzigsten und gemeinsten Funktionen des Gemeinwesens. Der Fonds von menschlichem Glück (the fund of human happiness) wird dadurch sehr vermehrt, die Delikateren (the more delicate) sind von der 15 Plackerei befreit und können höherem Beruf u.s.w. ungestört nachgehn. ... Das Armengesetz hat die Tendenz, die Harmonie und Schönheit, die Sym- metrie und Ordnung dieses Systems, welches Gott und die Natur in der Welt errichtet haben, zu zerstören" 9 0). Fand der venetianische Mönch in dem Schicksalsschluß, der das Elend verewigt, die Existenzberechtigung 20 der christlichen Wohlthätigkeit, des Cölibats, der Klöster und frommen Stiftungen, so findet im Gegentheil der protestantische Pfründner darin den Vorwand, die Gesetze zu verdammen, kraft deren der Arme ein Recht auf kärgliche öffentliche Unterstützung besaß. - „Der Fortschritt des ge- sellschaftlichen Reichthums", sagt Storch, „erzeugt jene nützliche | |613| Klasse der Gesellschaft ... welche die langweiligsten, gemeinsten und ekelhaftesten Beschäftigungen ausübt, in einem Wort alles, was das Leben unangenehmes und knechtendes hat, auf ihre Schultern nimmt und eben dadurch den andren Klassen die Zeit, die Heiterkeit des Geistes und die konventionelle (c'est bon!) Charakterwürde verschafft e t c . " 9 1 ) . Storch fragt sich, welches denn eigentlich der Vorzug dieser kapitalistischen Civilisa- 25 30 9 0 ) „A Dissertation on the Poor Laws. By a Wellwisher of Mankind, (The Rev. Mr. J. Town- send.) 1786", republished Lond. 1817, p. 15, 39, 41. Dieser „delikate" Pfaffe, dessen eben an- geführte Schrift, nebst seiner Reise durch Spanien, Malthus oft Seiten lang abschreibt, ent- lehnte den größten Theil seiner Doktrin aus Sir J.Steuart, den er jedoch verdreht. Z.B. wenn 35 Steuart sagt: „Hier, in der Sklaverei, existirte eine gewaltsame Methode die Menschheit ar- beitsam (für die Nichtarb eiter) zu machen ... Die Menschen wurden damals zur Arbeit (d. h. zur Gratisarbeit für Andere) gezwungen, weil sie Sklaven von andren waren; die Menschen sind jetzt zur Arbeit (d.h. zur Gratisarbeit für Nichtarbeiter) gezwungen, weil sie die Sklaven ihrer eignen Bedürfnisse sind", so schließt er deßwegen nicht, wie der fette Pfründner, daß - 40 die Lohnarbeiter stets am Hungertuch nagen sollen. Er will umgekehrt ihre Bedürfnisse ver- mehren und die wachsende Zahl ihrer Bedürfnisse zugleich zum Sporn ihrer Arbeit für „die Delikateren" machen. 9 1 ) Storch 1.c. t i l i , p.223. 581 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals tion mit ihrem Elend und ihrer Degradation der Massen vor der Barbarei? Er findet nur eine Antwort - die Sicherheit! - „Durch den Fortschritt der Industrie und Wissenschaft", sagt Sismondi, „kann jeder Arbeiter jeden Tag viel mehr produciren als er zu seinem Konsum braucht. Aber zu glei- cher Zeit, während seine Arbeit den Reichthum producirt, würde der Reichthum, wäre er berufen, ihn selbst zu konsumiren, ihn wenig geeignet zur Arbeit machen." Nach ihm „würden die Menschen (d.h. die Nichtar- beiter) wahrscheinlich auf alle Vervollkommnungen der Künste verzichten, wie auf alle Genüsse, die die Industrie uns verschafft, müßten sie diese durch anhaltende Arbeit, wie die des Arbeiters, erkaufen.... Die Anstren- 10 gungen sind heute geschieden von ihrer Belohnung; es ist nicht derselbe Mensch, der erst arbeitet und sich dann ausruht: im Gegentheil, eben weil der Eine arbeitet, muß der Andre sich ausruhn.... Die endlose Vervielfälti- gung der Produktivität der Arbeit kann also kein andres Resultat haben als die Zunahme des Luxus und der Genüsse der müßigen R e i c h e n " 9 2 ) . - Des- 15 tutt de Tracy endlich, der fischblütige Bourgeoisdoktrinär, spricht es brutal aus: „Die armen Nationen sind die, wo das Volk gut dran ist, und die rei- chen Nationen sind die, wo es gewöhnlich arm i s t " 9 3 ) . 5 5. Illustration des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation. 20 a) England von 1 8 4 6 - 1 8 6 6 . Keine Periode der modernen Gesellschaft ist so günstig für das Studium der kapitalistischen Akkumulation als die Periode der letztverflossenen 20 Jahre. Es ist, als ob sie den Fortunatussäckel gefunden hätte. Von allen Ländern aber bietet England wieder das klassische Beispiel, weil es den er- 25 sten Rang auf dem Welt||614|markt behauptet, die kapitalistische Produk- tionsweise hier allein völlig entwickelt ist, und endlich die Einführung des tausendjährigen Reichs des Freihandels seit 1846 der Vulgärökonomie den letzten Schlupfwinkel abgeschnitten hat. Der titanische Fortschritt der Pro- duktion, so daß die letzte Hälfte der zwanzigjährigen Periode die erste wie- 30 der weit überflügelt, ward bereits im vierten Abschnitt hinreichend ange- deutet. Obgleich das absolute Wachsthum der englischen Bevölkerung im letz- ten halben Jahrhundert sehr groß war, fiel das verhältnißmäßige Wachs- 9 2 ) Sismondi I.e. t.I, p.79, 80, 85. 9 3 ) Destutt de Tracy I.e. p.231: «Les nations pauvres, c'est là où le peuple est à son aise; et les nations riches, c'est là où il est ordinairement pauvre. » 35 582 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation thum oder die Rate des Zuwachses fortwährend, wie folgende dem officiel- len Census entlehnte Tabelle zeigt: Jährlicher procentmäßiger Zuwachs der Bevölkerung von England und Wales in Decimalzahlen. 1 8 1 1 -•1821 1 8 2 1 -•1831 1 8 3 1 -•1841 1 8 4 1 -•1851 1 8 5 1 -•1861 1,533 % 1,446 % 1,326% 1,216% 1,141 %. 10 Betrachten wir nun andrerseits das Wachsthum des Reichthums. Den si- chersten Anhaltspunkt bietet hier die Bewegung der der Einkommensteuer unterworfenen Profite, Grundrenten u.s.w. Der Zuwachs der steuerpflichti- gen Profite (Pächter und einige andre Rubriken nicht eingeschlossen) be- trug für Großbritannien von 1853 bis 1864 50,47 % (oder 4,58% im jährli- 15 chen Durchschnitt) 9 4), der der Bevölkerung während derselben Periode ungefähr 12 %. Die Zunahme der besteuerbaren Renten von Land (Häuser, Eisenbahnen, Minen, Fischereien u.s.w. eingeschlossen) betrug von 1853 bis 1864 38 %, oder 35/u% jährlich, woran folgende Rubriken den stärksten Antheil nahmen: 20 Ueberschuß des von 1864 über 1853. j ährlichen Einkommens Jahr, Zunahme per Von Häusern: 55 Steinbrüchen: 55 Minen: 55 55 55 55 Eisenhütten: Fischereien: Gaswerken: Eisenbahnen: 38,60% 84,76% 68,85% 39,92 % 57,37% 126,02 % 83,29% 3,50% 7,70% 6,26 % 3,63 % 5,21% 11,45% 7,57% 9 5) 30 35 |615| Vergleicht man je vier Jahre der Periode von 1 8 5 3 - 1 8 6 4 , so wächst der Zunahmegrad der Einkommen fortwährend. Er ist z . B . für die aus Pro- fit stammenden von 1 8 5 3 - 1 8 5 7 jährlich 1,73 %, 1 8 5 7 - 1 8 6 1 jährlich 2,74 %, und 9,30% jährlich für 1 8 6 1 - 1 8 6 4 . Die Gesammtsumme der der Einkom- mensteuer unterworfenen Einkommen des Vereinigten Königreichs betrug 1856: 307 068 898Pfd. St., 1859: 328 127416Pfd. St., 1862: 3 5 1 7 4 5 2 4 1 Pfd. 9 4 ) ,,Tenth Report of the Commissioners of H.M.'s Inland Revenue. Lond. 1866", p. 38. 9 5 ) ibidem. 583 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals S t , 1863: 359142 897 Pfd. S t , 1864: 362 462 279 Pfd. S t , 1865: 385 530 020Pfd. S t . 9 6 ) . 5 Die Akkumulation des Kapitals war zugleich von seiner Koncentration und Centralisation begleitet. Obgleich keine officielle Agrikulturstatistik für England (wohl aber für Irland) existirte, ward sie von 10 Grafschaften freiwillig geliefert. Sie ergab hier das Resultat, daß von 1851 bis 1861 die Pachten unter 100 Acres von 3 1 5 8 3 auf 26 567 vermindert, also 5016 mit größeren Pachten zusammengeschlagen waren 9 7). Von 1815 bis 1825 fiel kein Mobiliarvermögen über 1 Million Pfd. St. unter die Erbschaftssteuer, von 1825 bis 1855 dagegen 8, von 1855 bis Juni 1859, d.h. in 4½ Jahren, 10 4 9 8 ) . Die Centralisation wird man jedoch am besten ersehn aus einer kur- zen Analyse der Einkommensteuer für Rubrik D (Profite mit Ausschluß von Pächtern u. s.w.) in den Jahren 1864 und 1865. Ich bemerke vorher, daß Einkommen aus dieser Quelle bis zu 60 Pfd. St. hinab Income Tax zahlen. Diese steuerpflichtigen Einkommen betrugen in England, Wales 15 und Schottland 1864: 95 844222 Pfd. St. und 1865: 105 435 787 Pfd. S t . 9 9 ) , die Zahl der Besteuerten 1864: 308 416 Personen auf eine Gesammtbevöl- kerung von 23 8 9 1 0 0 9 , 1865: 332 431 Personen auf ||616| Gesammtbevöl- kerung von 2 4 1 2 7 003. Ueber die Vertheilung dieser Einkommen in beiden Jahren folgende Tabelle: Jahr, endend 5. April 1864. Jahr, endend 5. April 1865. 20 Einkommen von Profit Personen Einkommen von Profit Personen Gesammteinkommen: Pfd. St. 95 844222 308 416 Pfd. St. 57 028 290 22 334 Davon: 3 619 Pfd. St. 36415 225 Davon: 822 Pfd. St. 22 809 781 Davon: 91 Pfd. St. 8 744 762 Davon: Pfd. St. 105 435 787 Pfd. St. 64 554197 Pfd. St. 42 535 576 Pfd. St. 27555313 Pfd. St. 11077 238 332 431 24075 4021 973 107 25 Es wurden im Vereinigten Königreich 1855 producirt 6 1 4 5 3 079 Tonnen Kohlen zum Werth von 16113 267 Pfd. S t , 1864: 92 787 873 Tonnen zum Werth von 23 197 968 Pfd. S t , 1855: 3 218 154 Tonnen Roheisen zum 30 Werth von 8 045 385 Pfd. S t , 1864: 4 767 951 Tonnen zum Werth von 9 6 ) Diese Zahlen sind hinreichend für die Vergleichung, aber, absolut betrachtet, falsch, da vielleicht 100 Millionen Pfd. St. Einkommen jährlich, „verschwiegen" werden. Die Klage der Commissioners of Inland Revenue über systematischen Betrug, namentlich von kommerciel- ler und industrieller Seite, wiederholt sich in jedem ihrer Berichte. So heißt es z.B.: „Eine Ak- 35 tiengesellschaft gab ihre besteuerbaren Profite auf 6000 Pfd. St. an, der Taxator veranschlagte sie zu 88 000 Pfd. St., und für diese Summe ward schließlich die Steuer gezahlt. Eine andre Kompagnie gab 190000 Pfd.St. an, sie ward gezwungen zu gestehn, daß der wirkliche Betrag 250 000 Pfd.St." (ibid. p.42.) 9 7 ) Census etc. I.e. p.29. John Bright's Behauptung, daß 150 Grundherren die Hälfte des eng- 40 lischen und 12 die Hälfte des schottischen Bodens eignen, ist nicht widerlegt worden. 9 8 ) ,,Fourth Report etc. of Inland Revenue. Lond. 1860", p. 17. 9 9 ) Es sind dieß die Reineinkommen, also nach gewissen gesetzlich gültigen Abzügen. 584 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 1 1 9 1 9 877Pfd. St. 1854 betrug die Länge der im Vereinigten Königreich im Betrieb befindlichen Eisenbahnen 8054 Meilen, mit eingezahltem Kapital von 286 068 794 Pfd. St., 1864 die Meilenlänge 12 789 mit aufgezahltem Kapital von 425 719 613 Pfd. St. 1854 betrug Gesammtexport und Import 5 des Vereinigten Königreichs 268 2 1 0 1 4 5 Pfd. S t , 1865: 489 993 285. Fol- gende Tabelle zeigt die Bewegung des Exports: 10 1847 1849 1856 1860 1865 1866 58 842 377 Pfd. St. 63 5 9 6 0 2 5 - 115 826 948 » 135 842 817 " 165 862 402 » 188 917 536 " î o œ 20 Man begreift nach diesen wenigen Angaben den Triumphschrei des Ge- neralregistrators des brit. Volks: „Rasch wie die Bevölkerung anwuchs, hat 15 sie nicht Schritt gehalten mit dem Fortschritt der Industrie und des Reich- thums" 1 0 1 ) . Wenden wir uns jetzt zu den unmittelbaren Agenten dieser In- dustrie oder den Producenten dieses Reichthums, zur Arbeiterklasse. „Es ist einer der melancholischsten Charakterzüge im sozialen Zustand des Landes", sagt Gladstone, ||617| „daß mit einer Abnahme in der Konsum- tionsmacht des Volks und einer Zunahme in den Entbehrungen und dem Elend der arbeitenden Klasse, gleichzeitig eine beständige Akkumulation von Reichthum in den höhern Klassen und ein beständiger Anwachs von Kapital stattfinden" 1 0 2). So sprach dieser salbungsvolle Minister im Hause der Gemeinen am 13.Februar 1843. Am 16. April 1863, zwanzig Jahre spä- ter, in der Rede, worin er sein Budget vorlegt: „Von 1842 bis 1852 wuchs das besteuerbare Einkommen dieses Landes um 6% ... In den 8 Jahren von 1853 bis 1861 wuchs es, wenn wir von der Basis von 1853 ausgehn, um 2 0 % . Die Thatsache ist so erstaunlich, daß sie beinahe unglaublich ist ... Diese berauschende Vermehrung von Reichthum und Macht ... ist ganz 30 und gar auf die besitzenden Klassen beschränkt, aber ... aber, sie muß von 25 1 0°) In diesem Augenblick, März 1867, ist der indisch-chinesische Markt durch die Konsigna- tionen der britischen Baumwollfabrikanten schon wieder völlig überführt. Lohnherabsetzung um 5 % begann unter den Baumwollarbeitern 1866, 1867 in Folge ähnlicher Operation Strike von 20 000 Mann in Preston. (Es war dieß das Vorspiel der Krise, die gleich darauf herein- 35 brach. - D. H.) 1 0 1 ) Census etc. 1. c. p. 11. 1 0 2 ) Gladstone im Hause der Gemeinen, 13. Febr. 1843: "It is one of the most melancholy fea- tures in the social state of this country that we see, beyond the possibility of denial, that while there is at this moment, a decrease in the consuming powers of the people, an increase of the 40 pressure of privations and distress; there is at the same time a constant accumulation of wealth in the upper classes, an increase in the luxuriousness of their habits, and of their means of enjoyment." (Times, 14. Febr. 1843. - Hansard, 13. Febr.) 585 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals indirektem Vortheil für die Arbeiterbevölkerung sein, weil sie die Artikel der allgemeinen Konsumtion verwohlfeilert - während die Reichen rei- cher, sind die Armen jedenfalls weniger arm geworden. Daß die Extreme der Armuth sich vermindert haben, wage ich nicht zu sagen" 1 0 3). Welch lahmer Antiklimax! Wenn die Arbeiterklasse „arm" geblieben ist, nur „we- 5 niger arm" im Verhältniß, worin sie eine „berauschende Vermehrung von Reichthum und Macht" für die Klasse des Eigenthums producirte, so ist sie relativ gleich arm geblieben. Wenn die Extreme der Armuth sich nicht vermindert haben, haben sie sich vermehrt, weil die Extreme des Reich- thums. Was die Verwohlfeilerung der Lebensmittel betrifft, so zeigt die of- 10 fîcielle Statistik, z . B . die Angaben des London Orphan Asylum, eine Ver- theurung von 2 0 % für den Durchschnitt der drei Jahre von 1860 ||618| bis 1862, verglichen mit 1 8 5 1 - 1 8 5 3 . In den folgenden 3 Jahren 1 8 6 3 - 1 8 6 5 progressive Vertheurung von Fleisch, Butter, Milch, Zucker, Salz, Kohlen und einer Masse andrer nothwendiger Lebensmittel 1 0 4). Gladstone's fol- 15 gende Budgetrede, vom 7. April 1864, ist ein pindarischer Dithyrambus auf den Fortschritt der Plusmacherei und das durch „Armuth" gemäßigte Glück des Volks. Er spricht von Massen „am Rand des Pauperismus", von den Geschäftszweigen, „worin der Lohn nicht gestiegen", und faßt schließ- lich das Glück der Arbeiterklasse zusammen in den Worten: „das mensch- 20 liehe Leben ist in neun Fällen von zehn ein bloßer Kampf um die Exi- stenz" 1 0 5 ) . Professor Fawcett, nicht wie Gladstone durch officielle 1 0 3 ) "From 1842 to 1852 the taxable income of the country increased by 6per cent ... In the 8 years from 1853 to 1861, it had increased from the basis taken in 1853, 20per cent! The fact is so astonishing as to be almost incredible ... this intoxicating augmentation of wealth and power ... entirely confined to classes of property ... must be of indirect benefit to the labour- ing population, because it cheapens the commodities of general consumption—while the rich have been growing richer the poor have been growing less poor! at any rate, whether the ex- tremes of poverty are less, I do not presume to say." Gladstone im Η. ο. C. 16. April 1863. Morning Star, 17. April. 1 0 4 ) Sieh die officiellen Angaben in dem Blaubuch: ,,Miscellaneous Statistics of the Un. King- dom. Part VL Lond. 1866", p.260(cid:5)273 passim. Statt der Statistik der Waisenanstalten u.s.w. könnten auch die Deklamationen ministerieller Journale zur Bevorwortung der Aussteuer der Kinder des königlichen Hauses als Beleg dienen. Die Theurung der Lebensmittel wird nie dar- in vergessen. 1 0 5 ) "Think ofthose who are on the border of that region (pauperism)", "wages ... in others not increased ... human life is but, in nine cases out often, a struggle for existence." (Glad- stone, H.o.C. 7. April 1864.) Die Version bei Hansard lautet: "Again; and yet more at large, what is human life but, in the majority of cases, a struggle for existence." - Die fortlaufenden, schreienden Widersprüche in Gladstone's Budgetreden von 1863 und 1864 charakterisirt ein englischer Schriftsteller durch folgendes Citat aus Boileau: 30 35 40 «Voilà l'homme en effet. Il va du blanc au noir. Il condamne au matin ses sentiments du soir. Importun à tout autre, à soi même incommode, Il change à tous moments d'esprit comme de mode. » (,,The Theory of Exchanges etc. Lond. 1864", p. 135.) 586 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Rücksicht gebunden, erklärt rund heraus: „Ich läugne natürlich nicht, daß der Geldlohn mit dieser Vermehrung des Kapitals (in den letzten Decen- nien) gestiegen ist, aber dieser scheinbare Vortheil geht in großem Umfang wieder verloren, weil viele Lebensbedürfnisse beständig theurer werden (er 5 glaubt, wegen Werthfall der edlen Metalle) ... Die Reichen werden rasch reicher (the rich grow rapidly richer), während keine Zunahme im Komfort der arbeitenden Klassen wahrnehmbar i s t . . . Die Arbeiter werden fast Skla- ven der Krämer, deren Schuldner sie s i n d " 1 0 6 ) . 10 15 In den Abschnitten über den Arbeitstag und die Maschinerie enthüllten sich die Umstände, unter welchen die britische Arbeiterklasse eine „berau- schende Vermehrung von Reichthum und Macht" für die besitzenden Klassen schuf. Jedoch beschäftigte uns damals ||619| vorzugsweise der Ar- beiter während seiner gesellschaftlichen Funktion. Zur vollen Beleuchtung der Gesetze der Akkumulation ist auch seine Lage außerhalb der Werkstatt ins Auge zu fassen, sein Nahrungs- und Wohnungszustand. Die Grenze dieses Buchs gebietet uns hier vor Allem den schlechtest bezahlten Theil des industriellen Proletariats und der Ackerbauarbeiter zu berücksichtigen, d.h. die Majorität der Arbeiterklasse. 25 Vorher noch ein Wort über den officiellen Pauperismus oder den Theil 20 der Arbeiterklasse, der seine Existenzbedingung, Verkauf der Arbeitskraft, eingebüßt hat und von öffentlichen Almosen vegetirt. Die officielle Pau- perliste zählte in England 1 0 7) 1855: 851 369 Personen, 1856: 877 767, 1865: 9 7 1 4 3 3 . In Folge der Baumwollnoth schwoll sie in den Jahren 1863 und 1864 zu 1 0 7 9 382 und 1 0 1 4 978. Die Krise von 1866, die London am schwersten traf, schuf in diesem Sitz des Weltmarkts, einwohnerreicher als das Königreich Schottland, für 1866 einen Pauperzuwachs von 19,5 %, ver- glichen mit 1865, und von 24,4 %, verglichen mit 1864, einen noch größren Zuwachs für die ersten Monate von 1867, verglichen mit 1866. Bei Analyse der Pauperstatistik sind zwei Punkte hervorzuheben. Einerseits spiegelt die 30 Bewegung im Ab und Zu der Paupermasse die periodischen Wechselfälle des industriellen Cyklus wieder. Andrerseits trügt die officielle Statistik mehr und mehr über den wirklichen Umfang des Pauperismus im Grad, worin mit der Akkumulation des Kapitals der Klassenkampf und daher das Selbstgefühl der Arbeiter sich entwickeln. Z . B . die Barbarei in der Behand- lung der Paupers, worüber die englische Presse (Times, Pall Mall Gazette etc.) während der letzten zwei Jahre so laut schrie, ist alten Datums. F. En- 35 1 0 6 ) H.Fawcett I.e. p.67, 82. Was die wachsende Abhängigkeit der Arbeiter von dem Krämer betrifft, so ist sie Folge der zunehmenden Schwankungen und Unterbrechungen ihrer Be- schäftigung. 1 0 7 ) In England ist immer Wales eingeschlossen, in Großbritannien England, Wales und Schottland, im Vereinigten Königreich jene drei Länder und Irland. 40 587 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals gels konstatirt 1844 ganz dieselben Greuel und ganz dasselbe vorüberge- hende, scheinheilige zur „Sensationsliteratur" gehörige Gezeter. Aber die furchtbare Zunahme des Hungertods (,,deaths by starvation") in London, während des letzten Decenniums, beweist unbedingt den zunehmenden Abscheu der Arbeiter vor der Sklaverei des Workhouse, 1 0 8) dieser Strafan- stalt des Elends. | 5 |620| b) Die schlechtbezahlten Schichten der britischen industriellen Arbeiterklasse. Wenden wir uns jetzt zu den schlechtbezahlten Schichten der industriellen Arbeiterklasse. Während der Baumwollnoth, 1862, wurde Dr. Smith von 10 Privy Council mit einer Untersuchung über den Nahrungsstand der ver- kümmerten Baumwollarbeiter in Lancashire und Cheshire beauftragt. Langjährige frühere Beobachtung hatte ihn zum Resultat geführt, daß „um Hungerkrankheiten (starvation diseases) zu vermeiden", die tägliche Nah- rung eines Durchschnitts-Frauenzimmers mindestens 3900 Gran Kohlen- 15 stoff mit 180 Gran Stickstoff enthalten müsse, die tägliche Nahrung eines Durchschnitts-Mannes mindestens 4300 Gran Kohlenstoff mit 200 Gran Stickstoff, für die Frauenzimmer ungefähr so viel Nahrungsstoff als in zwei Pfund gutem Weizenbrod enthalten ist, für Männer l/ 9 mehr, für den Wo- chendurchschnitt von weiblichen und männlichen Erwachsnen mindestens 20 28 600 Gran Kohlenstoff und 1330 Gran Stickstoff. Seine Berechnung ward praktisch in überraschender Weise bestätigt durch ihre Uebereinstimmung mit der kümmerlichen Nahrungsmenge, worauf der Nothstand die Kon- sumtion der Baumwollarbeiter herabgedrückt hatte. Sie erhielten im De- cember 1862: 2 9 2 1 1 Gran Kohlenstoff und 1295 Gran Stickstoff wöchent- 25 lieh. Im Jahre 1863 verordnete der Privy Council eine Untersuchung über den Nothstand des schlechtestgenährten Theils der englischen Arbeiterklasse. Dr. Simon, der ärztliche Beamte des Privy Council, erkor zu dieser Arbeit den obenerwähnten Dr. Smith. Seine Untersuchung erstreckt sich auf die 30 Agrikulturarbeiter einerseits, andrerseits auf Seidenweber, Nähterinnen, Lederhandschuhmacher, Strumpfwirker, Handschuhweber und Schuster. Die letzteren Kategorien sind, mit Ausnahme der Strumpfwirker, aus- schließlich städtisch. Es wurde zur Regel der Untersuchung gemacht, die 1 0 8 ) Es wirft ein eignes Licht auf den seit A. Smith zurückgelegten Fortschritt, daß ihm das 35 Wort workhouse gelegentlich noch gleichwerthig mit manufactory. Z.B. Eingang seines Kapi- tels über Theilung der Arbeit: "those employed in every different branch of the work can often be collected into the same workhouse." 588 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation gesundesten und relativ bestgestellten Familien in jeder Kategorie auszu- wählen. Als allgemeines Resultat ergab sich, daß „nur in einer der untersuchten Klassen der städtischen Arbeiter die Zufuhr von Stickstoff das absolute 5 Minimalmaß, unter welchem Hungerkrankheiten eintreten, ein wenig überschritt, daß in zwei Klassen Mangel, und zwar in der einen sehr großer Mangel, an der Zufuhr von sowohl Stickstoff- wie kohlenstoffhaltiger Nah- rung stattfand, daß von den untersuchten Ackerbaufamilien mehr als ein Fünftheil weniger als die unentbehrliche Zufuhr von kohlenstoffhaltiger 10 Nahrung erhielt, mehr als % weniger als die unentbehrliche Zufuhr stick- stoffhaltiger ||621| Nahrung, und daß in drei Grafschaften (Berkshire, Ox- fordshire und Somersetshire) Mangel an dem Minimum der stickstoffhalti- gen Nahrung durchschnittlich herrschte" 1 0 9). Unter den Agrikulturarbei- tern waren die von England, dem reichsten Theile des Vereinigten 15 Königreichs, die schlechtest genährten 1 1 0). Die Unternahrung fiel unter den Landarbeitern überhaupt hauptsächlich auf Frau und Kinder, denn „der Mann muß essen, um sein Werk zu verrichten". Noch größerer Man- gel wüthete unter den untersuchten städtischen Arbeiterkategorien. „Sie sind so schlecht genährt, daß viele Fälle grausamer und gesundheitsruini- render Entbehrung („Entsagung" des Kapitalisten alles dieß! nämlich Ent- sagung auf Zahlung der zur bloßen Vegetation seiner Hände unentbehrli- chen Lebensmittel!) vorkommen müssen" 1 1 1). 20 Folgende Tabelle zeigt das Verhältniß des Nahrungsstandes der oben er- wähnten rein städtischen Arbeiterkategorien zu dem von Dr. Smith ange- 25 nommenen Minimalmaß und zum Nahrungsmaß der Baumwollarbeiter während der Zeit ihrer größten Noth: Beide Geschlechter. Wochendurchschnitt Wochendurchschnitt an Kohlenstoff. an Stickstoff. Fünf städtische Geschäftszweige 30 Arbeitslose Lancashire Fabrikarbeiter 28 876 Gran 29211 Gran 1192 Gran 1295 Gran Minimalquantum, vorgeschlagen für die Lancashire Arbeiter auf gleiche Zahl männlicher und weiblicher 28 600 Gran 1330 Gran 1 1 2) Eine Hälfte, 6 % 2 5 , der untersuchten industriellen Arbeiterkategorien er- 35 hielt absolut kein Bier, 28 % keine Milch. Der Wochendurchschnitt der flüssigen Nahrungsmittel in den Familien schwankte von 7 Unzen bei den Nähterinnen auf 24¾ Unzen bei Strumpfwirkern. Die Mehrzahl derer, die 1 0 9 ) „Public Health. Sixth Report etc. for 1863. Lond. 1864", p. 13. n o ) 1. c. p. 17. m ) I.e. p.13. 1 1 2 ) I.e. Appendix, p.232. 40 589 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals keine Milch erhielten, bestand aus den Nähterinnen von London. Die Quantität der wöchentlich konsumirten Brodstoffe wechselte von 1% Pfund bei den Nähterinnen zu 11¾ Pfund bei den Schustern und ergab einen To- taldurchschnitt von 9,9 Pfund wöchentlich auf den Erwachsnen. Zucker (Syrup etc.) wechselte von 4 Unzen wöchentlich für die Lederhandschuh- macher auf 11 Unzen für Strumpfwirker; der Totaldurchschnitt per Woche für alle Kategorien, per Erwachsnen, 8 Unzen. Gesammter Wochendurch- schnitt von Butter (Fett u. s.w.) ||622| 5 Unzen per Erwachsnen. Der Wo- chendurchschnitt von Fleisch (Speck u. s. w.) schwankte, per Erwachsnen, von 1% Unzen bei den Seidenwebern auf 18¾ Unzen bei den Lederhand- 10 Schuhmachern; Gesammtdurchschnitt für die verschiednen Kategorien 13.6 Unzen. Die wöchentliche Kost für Nahrung per Erwachsnen ergab fol- gende allgemeine Durchschnittszahlen: Seidenweber 2 sh. 2l/2 d., Nähterin- nen 2 sh. 7 d., Lederhandschuhmacher 2 sh. 9% d., Schuster 2 sh. 1% d., Strumpfwirker 2 sh. 6% d. Für die Seidenweber von Macclesfield betrug der 15 Wochendurchschnitt nur 1 sh. 8½ d. Die schlechtestgenährten Kategorien waren die Nähterinnen, die Seidenweber und die Lederhandschuhma- cher 1 1 3). 5 Dr. Simon sagt in seinem allgemeinen Gesundheitsbericht über diesen Nahrungszustand: „Daß die Fälle zahllos sind, worin Nahrungsmangel 20 Krankheiten erzeugt oder verschärft, wird Jeder bestätigen, der mit medici- nischer Armenpraxis oder mit den Patienten der Spitäler, seien sie Insas- sen oder außerhalb wohnend, vertraut ist ... Jedoch kommt hier vom sani- tären Standpunkt noch ein andrer, sehr entscheidender Umstand hinzu ... Man muß sich erinnern, daß Beraubung an Nahrungsmitteln nur sehr wi- 25 derstrebend ertragen wird, und daß in der Regel große Dürftigkeit der Diät nur im Gefolge andrer, vorhergegangner Entbehrungen nachhinkt. Lange bevor der Nahrungsmangel hygienisch ins Gewicht fällt, lange bevor der Physiolog daran denkt, die Grane Stickstoff und Kohlenstoff zu zählen, zwischen denen Leben und Hungertod schwebt, wird der Haushalt von al- 30 lem materiellen Komfort ganz und gar entblößt sein. Kleidung und Hei- zung werden noch dürftiger gewesen sein als die Speise. Kein hinreichen- der Schutz wider die Härte des Wetters; Abknappung des Wohnraums zu einem Grad, der Krankheiten erzeugt oder verschärft; kaum eine Spur von Hausgeräth oder Möbeln; die Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder 35 schwierig geworden sein. Werden noch aus Selbstachtung Versuche ge- macht, sie aufrecht zu erhalten, so repräsentirt jeder solcher Versuch zu- schüssige Hungerpein. Die Häuslichkeit wird dort sein, wo Obdach am wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren, wo die Gesundheitspolizei die ge- ringste Frucht trägt, das jämmerlichste Gerinne, wenigster Verkehr, der 40 1 1 3 ) I.e. p.232, 233. 590 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation meiste öffentliche Unrath, kümmerlichste oder schlechteste Wasserzufuhr, und, in Städten, größter Mangel an Licht und Luft. Dieß sind die Gesund- heitsgefahren, denen die Armuth unvermeidlich ausgesetzt ||623| ist, wenn diese Armuth Nahrungsmangel einschließt. Wenn die Summe dieser Ue- 5 bei von furchtbarer Größe für das Leben ist, so ist der bloße Nahrungsman- gel an sich selbst entsetzlich ... Dieß sind qualvolle Gedanken, namentlich wenn man sich erinnert, daß die Armuth, wovon es sich handelt, nicht die selbstverschuldete Armuth des Müßiggangs ist. Es ist die Armuth von Ar- beitern. Ja, mit Bezug auf die städtischen Arbeiter, ist die Arbeit, wodurch 10 der knappe Bissen Nahrung erkauft wird, meist über alles Maß verlängert. Und dennoch kann man nur in sehr bedingtem Sinn sagen, daß diese Ar- beit selbsterhaltend ist .... Auf sehr großem Maßstab kann der nominelle Selbsterhalt nur ein kürzerer oder längerer Umweg zum Pauperismus s e i n " 1 1 4 ) . 25 15 20 Der innere Zusammenhang zwischen Hungerpein der fleißigsten Arbei- terschichten und auf kapitalistischer Akkumulation begründetem, grobem oder raffinirtem Verschwendungskonsum der Reichen, enthüllt sich nur mit Kenntniß der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Wohnungszu- stand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, daß je massenhafter die Centra- lisation der Produktionsmittel, desto größer die entsprechende Anhäufung von Arbeitern auf demselben Raum, daß daher, je rascher die kapitalisti- sche Akkumulation, desto elender der Wohnungszustand der Arbeiter. Die den Fortschritt des Reichthums begleitende „Verbesserung" (improve- ments) der Städte durch Niederreißen schlecht gebauter Viertel, Errich- tung von Palästen für Banken, Waarenhäuser u.s.w., Streckung der Straßen für Geschäftsverkehr und Luxuskarossen, Einführung von Pferdebahnen u.s.w. verjagt augenscheinlich die Armen in stets schlechtere und dichter gefüllte Schlupfwinkel. Andrerseits weiß jeder, daß die Theuerkeit der Wohnungen im umgekehrten Verhältniß zu ihrer Güte steht und daß die 30 Minen des Elends von Häuserspekulanten mit mehr Profit und weniger Kosten ausgebeutet werden als jemals die Minen von Potosi. Der antagoni- stische Charakter der kapitalistischen Akkumulation und daher der kapita- listischen Eigenthumsverhältnisse überhaupt 1 1 5) wird hier so handgreifbar, daß selbst die officiellen englischen Berichte über diesen Gegenstand wim- 35 mein von heterodoxen Ausfällen auf das „Eigenthum und seine Rechte". Das ||624| Uebel hielt solchen Schritt mit der Entwicklung der Industrie, 1 1 4 ) I.e. p.14, 15. 1 1 5 ) „Nirgendwo sind so offen und so schamlos die Rechte der Person dem Recht des Eigen- thums geopfert worden, als in den Wohnungsverhältnissen der arbeitenden Klasse. Jede große 40 Stadt ist eine Stätte des Menschenopfers, ein Altar, worauf Tausende jährlich dem Moloch der Habsucht geschlachtet werden." (S. Laing 1. c. p. 150.) 5 9 1 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 der Akkumulation des Kapitals, dem Wachsthum und der „Verschöne- rung" der Städte, daß die bloße Furcht vor ansteckenden Krankheiten, wel- che auch der „Ehrbarkeit" nicht schonen, von 1847 bis 1864 nicht weniger als 10 gesundheitspolizeiliche Parlamentsakte ins Leben rief, und die er- schreckte Bürgerschaft in einigen Städten wie Liverpool, Glasgow u. s. w. durch ihre Municipalitäten eingriff. Denoch, ruft Dr. Simon in seinem B e - richt von 1865: „Allgemein zu sprechen, sind die Uebelstände in England unkontrolirt." Auf Befehl des Privy Council fand 1864 Untersuchung über die Wohnungsverhältnisse der Landarbeiter, 1865 über die der ärmeren Klassen in den Städten statt. Die meisterhaften Arbeiten des Dr. Julian 10 Hunter findet man im siebenten und achten Bericht über „Public Health". Auf die Landarbeiter komme ich später. Für den städtischen Wohnungszu- stand schicke ich eine allgemeine Bemerkung des Dr. Simon voraus: „Ob- gleich mein officieller Gesichtspunkt", sagt er, „ausschließlich ärztlich ist, erlaubt die gewöhnlichste Humanität nicht die andre Seite dieses Uebels 15 zu ignoriren. In seinem höheren Grad bedingt es fast nothwendig eine sol- che Verläugnung aller Delikatesse, so schmutzige Konfusion von Körpern und körperlichen Verrichtungen, solche Bloßstellung geschlechtlicher Nacktheit, die bestial, nicht menschlich sind. Diesen Einflüssen unterwor- fen zu sein ist eine Erniedrigung, die sich vertieft, je länger sie fortwirkt. 20 Für die Kinder, die unter diesem Fluch geboren sind, ist er Taufe in Infa- mie (baptism into infamy). Und über alles Maß hoffnungslos ist der Wunsch, daß unter solche Umstände gestellte Personen in andren Hinsich- ten nach jener Atmosphäre der Civilisation aufstreben sollten, deren We- sen in physischer und moralischer Reinheit besteht" 1 1 6). 25 Den ersten Rang in überfüllten oder auch für menschliche Behausung absolut unmöglichen Wohnlichkeiten nimmt London ein. „Zwei Punkte", sagt Dr. Hunter, „sind sicher; erstens gibt es ungefähr 20 große Kolonien in London, jede ungefähr 10 000 Personen stark, deren elende Lage alles über- steigt, was jemals anderswo in England gesehen worden ist, und sie ist fast 30 ganz das Resultat ihrer schlechten Hausakkommodation; zweitens, der überfüllte und verfallne Zustand der Häuser dieser Kolonien ist viel schlechter als 20 Jahre zuvor" 1 1 7). „Es ist nicht zu viel zu sagen, ||625| daß das Leben in vielen Theilen von London und Newcastle höllisch i s t " 1 1 8 ) . 1 1 6 ) „Public Health. Eighth Report. Lond. 1866", p. 14, Note. 1 1 7 ) 1. c. p. 89. Mit Bezug auf die Kinder in diesen Kolonien sagt Dr. Hunter: „Wir wissen nicht, wie Kinder vor diesem Zeitalter dichter Agglomeration der Armen aufgebracht worden, und er wäre ein kühner Prophet, der vorhersagen wollte, welches Betragen zu erwarten von Kindern, die unter Zuständen ohne Parallele in diesem Land jetzt ihre Erziehung für künftige Praxis als gefährliche Klassen durchmachen, indem sie die halbe Nacht aufsitzen mit Perso- nen jeden Alters, trunken, obscön und zanksüchtig." (1. c. p. 56.) 1 1 8 ) L c p.62. 35 40 592 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 10 Auch der besser gestellte Theil der Arbeiterklasse, zusammt Kleinkrä- mern und andren Elementen der kleinen Mittelklasse, fällt in London mehr und mehr unter den Fluch dieser nichtswürdigen Behausungsverhält- nisse, im Maße, wie die „Verbesserungen" und mit ihnen die Niederrei- 5 ßung alter Straßen und Häuser fortschreiten, wie Fabriken und Menschen- zustrom in der Metropole wachsen, endlich die Hausmiethen mit der städtischen Grundrente steigen. „Die Hausmiethen sind so übermäßig ge- worden, daß wenige Arbeiter mehr als ein Zimmer zahlen können" 1 1 9). Es giebt fast kein Londoner Hauseigenthum, das nicht mit einer Unzahl von ,,middlemen" belastet wäre. Der Preis des Bodens in London steht nämlich stets sehr hoch im Vergleich zu seinen jährlichen Einkünften, indem jeder Käufer darauf spekulirt, ihn früher oder später zu einem Jury Price (durch Geschworene festgesetzte Taxe bei Expropriationen) wieder loszuschlagen oder durch Nähe irgend eines großen Unternehmens außerordentliche 15 Wertherhöhung zu erschwindeln. Folge davon ist ein regelmäßiger Handel im Ankauf von Miethkontrakten, die ihrem Verfall nahen. „Von den Gen- tlemen in diesem Geschäft kann man erwarten, daß sie handeln, wie sie handeln, so viel wie möglich aus den Hausbewohnern herausschlagen und das Haus selbst in so elendem Zustand wie möglich ihren Nachfolgern 20 überlassen" 1 2 0). Die Miethen sind wöchentlich, und die Herren laufen kein Risico. In Folge der Eisenbahnbauten innerhalb der Stadt „sah man kürz- lich im Osten Londons eine Anzahl aus ihren alten Wohnungen verjagter Familien umherwandern eines Samstags Abends mit ihren wenigen weltli- chen Habseligkeiten auf dem Rücken, ohne irgend einen Haltplatz außer 25 dem Workhouse" m ) . Die Workhouses sind bereits überfüllt und die vom Parlament bereits bewilligten „Verbesserungen" sind erst im Beginn ihrer | |626| Ausführung. Werden die Arbeiter verjagt durch Zerstörung ihrer alten Häuser, so verlassen sie nicht ihr Kirchspiel, oder siedeln sich höchstens an seiner Grenze, im nächsten fest. „Sie suchen natürlich möglichst in der 30 Nähe ihrer Arbeitslokale zu hausen. Folge, daß an der Stelle von zwei Zim- mern, eins die Familie aufnehmen muß. Selbst zu erhöhter Miethe wird die Wohnlichkeit schlechter als die schlechte, woraus man sie verjagt. Die Hälfte der Arbeiter im Strand braucht bereits zwei Meilen Reise zum Ar- beitslokal." Dieser Strand, dessen Hauptstraße auf den Fremden einen im- 35 posanten Eindruck vom Reichthum Londons macht, kann als Beispiel der Londoner Menschenverpackung dienen. In einer Pfarrei desselben zählte der Gesundheitsbeamte 581 Personen auf den Acre, obgleich die Hälfte der Themse mit eingemessen war. Es versteht sich von selbst, daß jede ge- 40 1 1 9 ) „Report of the Officer of Health of St. Martin's in the Fields. 1865." 1 2 0 ) „Public Health. Eighth Report. Lond. 1866," p. 91. m ) I.e. p.88. 593 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals sundheitspolizeiliche Maßregel, die, wie das bisher in London der Fall, durch Niederschleifen untauglicher Häuser die Arbeiter aus einem Viertel verjagt, nur dazu dient, sie in ein andres desto dichter zusammen zu drän- gen. „Entweder", sagt Dr. Hunter, „muß die ganze Procedur als eine Abge- schmacktheit nothwendig zum Stillstand kommen, oder die öffentliche Sympathie (!) muß erwachen für das, was man jetzt ohne Uebertreibung eine nationale Pflicht nennen kann, nämlich Obdach für Leute zu ver- schaffen, welche aus Mangel an Kapital sich selbst keins verschaffen, wohl aber durch periodische Zahlung die Vermiether entschädigen können" 1 2 2). Man bewundre die kapitalistische Justiz! Der Grundeigenthümer, Hauseig- 10 ner, Geschäftsmann, wenn expropriirt durch ,,improvements", wie Eisen- bahnen, Neubau der Straßen u.s.w., erhält nicht nur volle Entschädigung. Er muß für seine erzwungne „Entsagung" von Gott und Rechts wegen noch obendrein durch einen erklecklichen Profit getröstet werden. Der Arbeiter wird mit Frau und Kind und Habe aufs Pflaster geworfen und - wenn er zu massenhaft nach Stadtvierteln drängt, wo die Municipalität auf Anstand hält, gesundheitspolizeilich verfolgt! 15 5 Außer London gab es Anfang des 19. Jahrhunderts keine einzige Stadt in England, die 100 000 Einwohner zählte. Nur fünf zählten mehr als 50 000. Jetzt existiren 28 Städte mit mehr als 5 0 0 0 0 Einwohnern. „Das Resultat 20 dieses Wechsels war nicht nur enormer Zuwachs der städtischen Bevölke- rung, sondern die alten dichtgepackten kleinen Städte sind nun Centra, die von allen ||627| Seiten umbaut sind, nirgendwo mit freiem Luftzutritt. Da sie für die Reichen nicht länger angenehm sind, werden sie von ihnen für die amüsanteren Vorstädte verlassen. Die Nachfolger dieser Reichen be- 25 ziehn die größeren Häuser, eine Familie, oft noch mit Untermiethern, für jedes Zimmer. So ward eine Bevölkerung gedrängt in Häuser, nicht für sie bestimmt, und wofür sie durchaus unpassend, mit einer Umgebung, die wahrhaft erniedrigend für die Erwachsnen und ruinirend für die Kinder i s t " 1 2 3 ) . Je rascher das Kapital in einer industriellen oder kommerciellen 30 Stadt akkumulirt, um so rascher der Zustrom des exploitablen Menschen- materials, um so elender die improvisirten Wohnlichkeiten der Arbeiter. Newcastle-upon-Tyne, als Centrum eines fortwährend ergiebigeren Koh- len- und Bergbaudistrikts, behauptet daher nach London die zweite Stelle in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als 34 000 Menschen hausen dort 35 in Einzelkammern. In Folge absoluter Gemeinschädlichkeit sind kürzlich in Newcastle und Gateshead Häuser in bedeutender Anzahl von Polizei wegen zerstört worden. Der Bau der neuen Häuser geht sehr langsam vor- an, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war daher 1865 überfüllter als je zu- 1 2 2 ) 1. c. p. 89. 1 2 3 ) I.e. p.56. 594 40 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation vor. Kaum eine einzelne Kammer war zu vermiethen. Dr. Embleton vom Newcastle Fieberhospital sagt: „Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des Typhus in der Ueberhäufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die 5 Arbeiter häufig leben, liegen in abgeschloßnen Winkelgassen und Höfen. Sie sind mit Bezug auf Licht, Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und Ungesundheit, eine Schmach für jedes civilisirte Land. Dort liegen Männer, Weiber und Kinder des Nachts zusammenge- hudelt. Was die Männer angeht, folgt die Nachtschicht der Tagesschicht in 10 ununterbrochnem Strom, so daß die Betten kaum Zeit zur Abkühlung fin- den. Die Häuser sind schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit Abtritten, unfläthig, unventilirt, pestilenzialisch" 1 2 4). Der Wochenpreis solcher Löcher steigt von 8 d. zu 3 sh. „Newcastle-upon-Tyne", sagt Dr. Hunter „bietet das Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Lands- leute, der durch die äußern Umstände von Behausung und Straße oft in eine beinah wilde Entartung versunken i s t " 1 2 5 ) . 15 20 In Folge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit ||628| mag der Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen wird er abscheulich. Oder die städtische Aedilität mag endlich sich aufge- rafft haben zur Beseitigung der ärgsten Mißstände. Morgen wandert ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen eng- lischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und Speicher oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis, worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartierung während des dreißigjäh- 25 rigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Municipalphilister eben mit Stadtreform beschäftigt. Zudem gab es daselbst 1861 noch 1751 unbe- wohnte Häuser. Aber nun das gute Geschäft, worüber der sanft liberale Herr Forster, der Negerfreund, jüngst so artig gekräht hat. Mit dem guten Geschäft natürlich Ueberfluthung durch die Wellen der stets wogenden 30 „Reservearmee" oder „relativen Uebervölkerung". Die scheußlichen Keller- wohnungen und Kammern, registrirt in der Liste (Note 1 2 6)), die Dr. Hunter 1 2 4 ) I.e. p.149. 1 2 5 ) 1. c. p. 50. 1 2 6 ) Liste des Agenten einer Arbeiter-Assekuranzgesellschaft zu Bradford. 35 40 Vulcanstreet. Nr. 122 Lumleystreet. Nr. 13 Bowerstreet. Nr. 41 Portlandstreet. Nr. 112 Hardystreet. Nr. 17 Northstreet. Nr. 18 ditto Nr. 17 Wymerstreet. Nr. 19 Jowettstreet. Nr. 56 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 16 Personen 11 Personen 11 Personen 10 Personen 10 Personen 16 Personen 13 Personen 8 Erwachsne 12 Personen 595 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulatiönsprozeß des Kapitals 5 vom Agenten einer Assekuranzgesellschaft erhielt, waren meist von gutbe- zahlten Arbeitern bewohnt. Sie erklärten, sie würden gern bessere Woh- nungen zahlen, wenn sie zu haben wären. Unterdeß ||629| verlumpen und verkranken sie mit Mann und Maus, während der sanftliberale Forster, M.P., Thränen vergießt über die Segnungen des Freihandels und die Pro- fite der eminenten Bradforder Köpfe, die in Worsted machen. Im Bericht vom 5. September 1865 erklärt Dr.Bell, einer der Armenärzte von Bradford, die furchtbare Sterblichkeit der Fieberkranken seines Bezirks aus ihren Wohnungsverhältnissen: „In einem Keller von 1500 Kubikfuß wohnen 10 Personen ... Die Vincentstraße, Green Air Place und the Leys bergen 10 223 Häuser mit 1450 Einwohnern, 435 Betten und 36 Abtritten ... Die Bet- ten, und darunter verstehe ich jede Rolle von schmutzigen Lumpen oder Handvoll von Hobelspänen, halten jedes im Durchschnitt 3,3 Personen, manches 5 und 6 Personen. Viele schlafen ohne Bett auf nacktem Boden in ihren Kleidern, junge Männer und Weiber, verheirathet und unverheira- 15 thet, alles kunterbunt durch einander. Ist es nöthig hinzuzufügen, daß diese Hausungen meist dunkle, feuchte, schmutzige Stinkhöhlen sind, ganz und gar unpassend für menschliche Wohnung? Es sind die Centra, wovon Krankheit und Tod ausgehn und ihre Opfer auch unter den Gutge- stellten (of good circumstances) packen, welche diesen Pestbeulen erlaubt 20 haben in unsrer Mitte zu eitern" 1 2 7). Bristol behauptet den dritten Rang nach London im Wohnungselend. „Hier, in einer der reichsten Städte Europa's, größter Ueberfluß an barster Armuth („blank poverty") und häuslichem E l e n d " 1 2 8 ) . Georgestreet. Nr. 150 Rifle-Court, Marygate. Nr. 11 Marshallstreet. Nr. 28 ditto Nr. 49 Georgestreet. Nr. 128 ditto Nr. 130 Edwardstreet. Nr. 4 Yorkstreet. Nr. 34 Salt Piestreet 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 3 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 1 Zimmer 2 Zimmer Regent Square. Acrestreet. Robert's Court. Nr. 33 Back Prattstreet, vernutzt als Kupferschmiedewerkstatt. Ebenezerstreet. Nr. 27 Keller. 1 Keller 1 Keller 1 Keller 1 Keller 1 Keller 3 Familien 11 Personen 10 Personen 3 Familien 18 Personen 16 Personen 17 Personen 2 Familien 26 Personen 8 Personen 7 Personen 7 Personen 7 Personen 6 Personen (1. c. p. 111). 25 30 35 40 1 2 7 ) I.e. p.114. 1 2 8 ) I.e. p.50. 596 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation c) Das Wandervolk. 10 importirt sie in die Orte, Wir wenden uns nun zu einer Volksschicht, deren Ursprung ländlich, de- ren Beschäftigung großentheils industriell ist. Sie bildet die leichte Infan- terie des Kapitals, die es je nach seinem Bedürfniß bald auf diesen Punkt 5 wirft, bald auf jenen. Wenn nicht auf dem Marsch, „kampirt" sie. Die Wan- derarbeit wird verbraucht für verschiedne Bau- und Drainirungsoperatio- nen, Backsteinmachen, Kalkbrennen, Eisenbahnbau u. s. w. Eine wan- in deren delnde Säule der Pestilenz Nachbarschaft sie ihr Lager aufschlägt, Pocken, Typhus, Cholera, Schar- lachfieber u.s.w. 1 2 9). In Unternehmen von bedeutender Kapitalauslage, wie Eisenbahnbau u. s. w., liefert meist der Unternehmer selbst seiner Armee Holzhütten oder dergl., improvisirte Dörfer ohne alle Gesundheitsvorkeh- rung, jenseits der Kontrole der Lokal|1630|behörden, sehr profitlich für den Herrn Kontraktor, der die Arbeiter doppelt ausbeutet, als Industriesoldaten 15 und als Miether. Je nachdem die Holzhütte 1, 2 oder 3 Löcher enthält, hat ihr Insasse, Erdarbeiter u. s.w., 2, 3, 4sh. wöchentlich zu zahlen 1 3 0). Ein Beispiel genüge. Im September 1864, berichtet Dr. Simon, ging dem Mini- ster des Innern, Sir George Grey, folgende Denunciation Seitens des Vor- stehers des Nuisance Removal Committee der Pfarrei von Sevenoaks zu: 20 „Pocken waren dieser Pfarrei ganz unbekannt bis etwa vor 12 Monaten. Kurz vor dieser Zeit wurden Arbeiten für eine Eisenbahn von Lewisham nach Tunbridge eröffnet. Außerdem daß die Hauptarbeiten in der unmit- telbaren Nachbarschaft dieser Stadt ausgeführt wurden, ward hier auch das Hauptdepot des ganzen Werks errichtet. Große Personenzahl daher hier 25 beschäftigt. Da es unmöglich war, sie alle in Cottages unterzubringen, ließ der Kontraktor, Herr Jay, längs der Linie der Bahn auf verschiednen Punk- ten Hütten aufschlagen zur Behausung der Arbeiter. Diese Hütten besaßen weder Ventilation noch Abzugsgerinne und waren außerdem nothwendig überfüllt, weil jeder Miether andre Logirer aufnehmen mußte, wie zahl- reich immer seine eigne Familie, und obgleich jede Hütte nur zweizimm- rig. Nach dem ärztlichen Bericht, den wir erhielten, war die Folge, daß diese armen Leute zur Nachtzeit alle Qualen der Erstickung zu erdulden hatten, zur Vermeidung der pestilenzialischen Dünste von dem schmutzi- gen stehenden Wasser und den Abtritten dicht unter den Fenstern. End- lieh wurden unsrem Comité Klagen eingehändigt von einem Arzte, der Ge- legenheit hatte diese Hütten zu besuchen. Er sprach über den Zustand dieser sog. Wohnlichkeiten in den bittersten Ausdrücken und befürchtete 30 35 1 2 9 ) „Public Health. Seventh Report. Lond. 1865", p. 18. 1 3°) 1. c. p. 165. 597 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals sehr ernsthafte Folgen, falls nicht einige Gesundheitsvorkehrungen getrof- fen würden. Ungefähr vor einem Jahr verpflichtete sich p. p. Jay ein Haus einzurichten, worin die von ihm beschäftigten Personen, beim Ausbruch ansteckender Krankheiten, sofort entfernt werden sollten. Er wiederholte dieß Versprechen Ende letzten Juli's, that aber nie den geringsten Schritt zur Ausführung, obgleich seit diesem Datum verschiedne Fälle von Pocken und in Folge davon zwei Todesfälle vorkamen. Am 9. September berichtete mir Arzt Kelson weitere Pockenfälle in denselben Hütten und beschrieb ihren Zustand als entsetzlich. Zu Ihrer (des Ministers) Information muß ich hinzufügen, daß unsere Pfarrei ein isolirtes Haus besitzt, das sog. Pest-| 10 |631|haus, wo die Pfarreigenossen, die von ansteckenden Krankheiten lei- den, verpflegt werden. Dieß Haus ist jetzt seit Monaten fortwährend mit Patienten überfüllt. In einer Familie starben fünf Kinder an Pocken und Fieber. Vom 1. April bis 1. September dieses Jahres kamen nicht weniger als 10 Todesfälle an Pocken vor, 4 in den besagten Hütten, den Pestquel- 15 len. Es ist unmöglich, die Zahl der Krankheitsfälle anzugeben, da die heimgesuchten Familien sie so geheim als möglich halten" 1 3 1). 5 Die Arbeiter in Kohlen- und anderen Bergwerken gehören zu den best- bezahlten Kategorien des britischen Proletariats. Zu welchem Preis sie ihren Lohn erkaufen, wurde an einer früheren Stelle gezeigt 1 3 2). Ich werfe 20 hier einen raschen Blick auf ihre Wohnlichkeitsverhältnisse. In der Regel errichtet der Exploiteur des Bergwerks, ob Eigenthümer oder Miether des- selben, eine Anzahl Cottages für seine Hände. Sie erhalten Cottages und Kohlen zur Feuerung „umsonst", d. h. letztre bilden einen in natura gelie- ferten Theil des Lohns. Die nicht in dieser Art Unterbringbaren erhalten 25 zum Ersatz 4 Pfd. St. per Jahr. Die Bergwerksdistrikte ziehn rasch eine große Bevölkerung an, zusammengesetzt aus der Minenbevölkerung selbst und den Handwerkern, Krämern u. s. w., die sich um sie gruppiren. Wie überall, wo die Bevölkerung dicht, ist die Bodenrente hier hoch. Der Berg- bauunternehmer sucht daher auf möglichst engem Bauplatz am Mund der Gruben so viel Cottages aufzuwerfen, als grade nöthig sind, um seine Hände und ihre Familien zusammenzupacken. Werden neue Gruben in der Nähe eröffnet oder alte wieder in Angriff genommen, so wächst das Ge- 30 1 3 1 ) 1. c. p. 18, Note. Der Armenpfleger der Chapel-en-le-Frith-Union berichtet an den Regi- strar General: „Zu Doveholes hat man eine Anzahl kleiner Aushöhlungen in einem großen 35 Hügel von Kalkasche gemacht. Diese Höhlen dienen den Erd- und andren am Eisenbahnbau beschäftigten Arbeitern zur Wohnung. Die Höhlen sind eng, feucht, ohne Abzug für Unrei- nigkeiten und ohne Abtritte. Sie entbehren aller Ventilationsmittel, mit Ausnahme eines Lochs durch die Wölbung, das zugleich als Schornstein dient. Die Pocken wüthen und haben schon verschiedne Todesfälle (unter den Troglodyten) verursacht." (1. c. Note 2.) 1 3 2 ) Die auf S.460 ff. gegebnen Einzelheiten beziehn sich namentlich auf Arbeiter in Kohlen- bergwerken. Ueber den noch schlechteren Zustand in den Metallminen vgl. den gewissenhaf- ten Bericht der Royal Commission von 1864. 40 598 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 15 dränge. Bei der Konstruktion der Cottages waltet nur ein Gesichtspunkt, „Entsagung" des Kapitalisten auf alle nicht absolut unvermeidliche Aus- gabe von Baarem. „Die Wohnungen der Gruben- und andrer Arbeiter, die mit den Bergwerken von Northumberland ||632| und Durham verknüpft sind", sagt D r . Julian Hunter, „sind vielleicht im Durchschnitt das Schlech- teste und Theuerste, was England auf großer Stufenleiter in dieser Art bie- tet, mit Ausnahme jedoch ähnlicher Distrikte in Monmouthshire. Die ex- treme Schlechtigkeit liegt in der hohen Menschenzahl, die ein Zimmer füllt, in der Enge des Bauplatzes, worauf eine große Häusermasse geworfen 10 wird, im Wassermangel und Abwesenheit von Abtritten, in der häufig an- gewandten Methode, ein Haus über ein andres zu stellen oder sie in flats (so daß die verschiednen Cottages vertikal über einander liegende Stock- werke bilden) zu vertheilen ... Der Unternehmer behandelt die ganze Ko- lonie, als ob sie nur kampire, nicht residire" 1 3 3). „In Ausführung meiner Instruktionen", sagt Dr. Stevens, „habe ich die meisten großen Bergwerks- dörfer der Durham Union besucht ... Mit sehr wenigen Ausnahmen gilt von allen, daß jedes Mittel zur Sicherung der Gesundheit der Einwohner vernachlässigt wird... Alle Grubenarbeiter sind an den Pächter (,,lessee") oder Eigenthümer des Bergwerks für 12 Monate gebunden („bound", Aus- 20 druck, der wie bondage aus der Zeit der Leibeigenschaft stammt). Wenn sie ihrer Unzufriedenheit Luft machen oder in irgend einer Art den Aufse- her (,,viewer") belästigen, so setzt er eine Marke oder ein Memorandum hinter ihre Namen im Aufsichtsbuch und entläßt sie bei der jährlichen Neu-Bindung . . . E s scheint mir, daß kein Theil des Trucksystems schlech- ter sein kann als das in diesen dichtbevölkerten Distrikten herrschende. Der Arbeiter ist gezwungen, als Theil seines Lohns ein mit pestilenziali- schen Einflüssen umgebnes Haus zu empfangen. Er kann sich nicht selbst helfen. Er ist in jeder Rücksicht ein Leibeigner (he is to all intents and pur- poses a serf). Es scheint fraglich, ob jemand sonst ihm helfen kann außer seinem Eigenthümer, und dieser Eigenthümer zieht vor allem sein Bilanz- konto zu Rath, und das Resultat ist ziemlich unfehlbar. Der Arbeiter erhält von dem Eigenthümer auch seine Zufuhr an Wasser. Es sei gut oder schlecht, es werde geliefert oder zurückgehalten, er muß dafür zahlen oder sich vielmehr einen Lohnabzug gefallen lassen" 1 3 4). 25 30 35 Im Konflikt mit der „öffentlichen Meinung" oder auch der Gesundheits- polizei genirt sich das Kapital durchaus nicht, die theils gefährlichen, theils entwürdigenden Bedingungen, worin es Funktion und Häuslichkeit des Arbeiters bannt, damit zu „rechtfertigen", das sei ||633| nöthig, um ihn profitlicher auszubeuten. So, wenn es entsagt auf Vorrichtungen zum 40 Schutz gegen gefährliche Maschinerie in der Fabrik, auf Ventilations- und 1 3 3 ) L c p.180, 182. 1 3 4 ) L c p.515, 517. 599 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Sicherheitsmittel in den Minen u.s.w. So hier mit der Behausung der Mi- nenarbeiter. „Als Entschuldigung", sagt Dr. Simon, der ärztliche Beamte des Privy Council, in seinem officiellen Bericht, „als Entschuldigung für die nichtswürdige Hauseinrichtung wird angeführt, daß Minen gewöhnlich pachtweise exploitirt werden, daß die Dauer des Pachtkontrakts (in Koh- lenwerken meist 21 Jahre) zu kurz ist, damit der Minenpächter es der Mühe werth halte, gute Hauseinrichtung für das Arbeitsvolk und die Ge- werbsleute u. s. w. zu liefern, welche die Unternehmung anzieht; hätte er selbst die Absicht, nach dieser Seite hin liberal zu verfahren, so würde sie vereitelt werden durch den Grundeigenthümer. Der habe nämlich die Ten- 10 denz, sofort exorbitante Zuschußrente zu verlangen für das Privilegium, ein anständiges und komfortables Dorf auf der Grundoberfläche zu errich- ten zur Behausung der Bearbeiter des unterirdischen Eigenthums. Dieser prohibitorische Preis, wenn nicht direkte Prohibition, schrecke ebenfalls andre ab, welche sonst wohl bauen möchten ... Ich will den Werth dieser 15 Entschuldigung nicht weiter untersuchen, auch nicht, auf wen denn in letzter Hand die zuschüssige Ausgabe für anständige Wohnlichkeit fallen würde, auf den Grundherrn, den Minenpächter, die Arbeiter oder das Pu- blikum ... Aber Angesichts solcher schmählichen Thatsachen, wie die bei- gefügten Berichte (des Dr.Hunter, Stevens u.s.w.) sie enthüllen, muß ein 20 Heilmittel angewandt werden ... Grundeigenthumstitel werden so benutzt, um ein großes öffentliches Unrecht zu begehn. In seiner Eigenschaft als Mineneigner ladet der Grundherr eine industrielle Kolonie zur Arbeit auf seiner Domaine ein, und macht dann, in seiner Eigenschaft als Eigen- thümer der Grundoberfläche, den von ihm versammelten Arbeitern un- 25 möglich, die zu ihrem Leben unentbehrliche, geeignete Wohnlichkeit zu finden. Der Minenpächter (der kapitalistische Exploiteur) hat kein Geldinteresse, dieser Theilung des Handels zu widerstehn, da er wohl weiß, daß wenn die letztern Ansprüche exorbitant sind, die Folgen nicht auf ihn fallen, daß die Arbeiter, auf die sie fallen, zu unerzogen sind, um ihre Ge- 30 sundheitsrechte zu kennen, und daß weder obscönste Wohnlichkeit noch faulstes Trinkwasser jemals Anlaß zu einem Strike liefern" 1 3 5). | |634| d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Theil der Arbeiterklasse. Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern übergehe, soll an einem 35 Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst auf den bestbezahlten Theil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man erinnert sich: 1 3 5 ) I.e. p.16. 600 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 das Jahr 1857 brachte eine der großen Krisen, womit der industrielle Cy- klus jedesmal abschließt. Der nächste Termin wurde 1866 fällig. Bereits diskontirt in den eigentlichen Fabrikdistrikten durch die Baumwollnoth, welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphäre zu den großen Cen- tralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise dießmal einen vorwiegend finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866 wurde signalisirt durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der Zusammensturz zahl- loser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem Fuß nachfolgte. Einer der großen Londoner Geschäftszweige, welche die Katastrophe traf, war der 10 eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses Geschäfts hatten während der Schwindelzeit nicht nur maßlos überproducirt, sondern zudem enorme Lieferungskontrakte übernommen, auf die Spekulation hin, daß die Kredit- quelle gleich reichlich fort fließen werde. Jetzt trat eine furchtbare Reak- tion ein, die auch in andren Londoner Industrien 1 3 6) bis zur Stunde, Ende 15 März 1867, fortdauert. Zur Charakteristik der Lage der Arbeiter folgende Stelle aus dem ausführlichen Bericht eines Korrespondenten des Morning Star, welcher Anfang 1867 die Hauptsitze des Leidens besuchte. „Im Osten von London, den Distrikten von Poplar, Millwall, Greenwich, Deptford, Limehouse und Canning Town befinden sich mindestens 15 000 Arbeiter sammt Familien in einem Zustand äußerster Noth, darunter über 3000 ge- schickte Mechaniker. Ihre Reservefonds sind erschöpft in Folge sechs- oder achtmonatiger Arbeitslosigkeit ... Ich hatte große ||635| Mühe, zum Thor des Workhouse (von Poplar) vorzudringen, denn es war belagert von einem ausgehungerten Haufen. Er wartete auf Brodbillets, aber die Zeit 25 zur Vertheilung war noch nicht gekommen. Der Hof bildet ein großes Qua- drat mit einem Pultdach, das rings um seine Mauern läuft. Dichte Schnee- haufen bedeckten die Pflastersteine in der Mitte des Hofes. Hier waren ge- wisse kleine Plätze mit Weidengeflecht abgeschlossen, gleich Schafhürden, worin die Männer bei besserem Wetter arbeiten. Am Tage meines Besuchs 30 waren die Hürden so verschneit, daß Niemand in ihnen sitzen konnte. Die Männer waren jedoch unter dem Schutz der Dachvorsprünge mit Macada- 20 35 1 3 6 ) „Massenhafte Verhungerung der Londoner Armen! ("Wholesale starvation of the London Poor!") ... Während der letzten Tage waren die Mauern Londons überklebt mit großen Plaka- ten, die folgende merkwürdige Anzeige bringen: „Fette Ochsen, verhungernde Menschen! Die fetten Ochsen haben ihre Glaspaläste verlassen, um die Reichen in ihren Luxusgemächern zu mästen, während die verhungernden Menschen in ihren Jammerhöhlen verderben und ster- ben." Die Plakate mit dieser unheilkündenden Inschrift werden beständig erneuert. Kaum ist eine Partie ausgemerzt und überklebt, wenn sofort eine neue Partie an demselben oder einem gleich öffentlichen Platz wiedererscheint ... Das erinnert an die omina, die das französische 40 Volk auf die Ereignisse von 1789 vorbereiteten ...In diesem Augenblick, während englische Arbeiter mit Weib und Kind an Kälte und Hunger sterben, werden Millionen von englischem Geld, dem Produkt englischer Arbeit, in russischen, spanischen, italienischen und andren fremden Anleihen angelegt." (,,Reynolds's Newspaper", 20. Jan. 1867.) 601 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 misirung von Pflastersteinen beschäftigt. Jeder hatte einen dicken Pflaster- stein zum Sitz und klopfte mit schwerem Hammer auf den frostbedeckten Granit, bis er 5 Bushel davon abgehauen hatte. Dann war sein Tagewerk verrichtet und erhielt er 3 d. (2 Silbergroschen, 6 Pfennige) und ein Billet für Brod. In einem andren Theil des Hofes stand ein rhachitisches kleines Holzhaus. Beim Oeffnen der Thür fanden wir es gefüllt mit Männern, Schulter an Schulter gedrängt, um einander warm zu halten. Sie zupften Schiffstau und stritten mit einander, wer von ihnen mit einem Minimum von Nahrung am längsten arbeiten könne, denn Ausdauer war der point d'honneur. In diesem einen Workhouse allein erhielten 7000 Unterstüt- 10 zung, darunter viele Hunderte, die 6 oder 8 Monate zuvor die höchsten Löhne geschickter Arbeit in diesem Land verdienten. Ihre Zahl wäre dop- pelt so groß gewesen, gäbe es nicht so viele, welche nach Erschöpfung ihrer ganzen Geldreserve dennoch vor Zuflucht zur Pfarrei zurückbeben, so lange sie noch irgend etwas zu versetzen haben ... Das Workhouse verlas- 15 send, machte ich einen Gang durch die Straßen von meist einstöckigen Häusern, die in Poplar so zahlreich. Mein Führer war Mitglied des Comité für die Arbeitslosen. Das erste Haus, worin wir eintraten, war das eines Eisenarbeiters, seit 27 Wochen außer Beschäftigung. Ich fand den Mann mit seiner ganzen Familie in einem Hinterzimmer sitzend. Das Zimmer 20 war noch nicht ganz von Möbeln entblößt, und es war Feuer darin. Dieß war nöthig, um die nackten Füße der jungen Kinder vor Frost zu schützen, denn es war ein grimmig kalter Tag. Auf einem Teller gegenüber dem Feuer lag ein Quantum Werg, welches Frau und Kinder zupften in Erstat- tung des Brods vom Workhouse. Der Mann arbeitete in einem der oben be- 25 schriebenen Höfe für ein Brodbillet und 3 d. per Tag. Er kam jetzt nach Haus zum Mittagessen, sehr hungrig, wie er uns mit ||636| einem bittern Lächeln sagte, und sein Mittagessen bestand aus einigen Brodschnitten mit Schmalz und einer Tasse milchlosen Thees ... Die nächste Thür, an der wir anklopften, wurde geöffent durch ein Frauenzimmer mittleren Al- 30 ters, die, ohne ein Wort zu sagen, uns in ein kleines Hinterzimmer führte, wo ihre ganze Familie saß, schweigend, die Augen auf ein rasch ersterben- des Feuer geheftet. Solche Verödung, solche Hoffnungslosigkeit hing um diese Leute und ihr kleines Zimmer, daß ich nicht wünsche, je eine ähnli- che Scene wieder zu sehn. ,Nichts haben sie verdient, mein Herr', sagte die 35 Frau, auf ihre Jungen zeigend, ,nichts für 26 Wochen, und all unser Geld ist hingegangen, alles Geld, das ich und der Vater in den beßren Zeiten zu- rücklegten, in dem Wahn, einen Rückhalt während schlechten Geschäfts zu sichern. Sehn sie es', schrie sie fast wild, indem sie ein Bankbuch her- vorholte mit allen seinen regelmäßigen Nachweisen über eingezahltes und 40 rückerhaltnes Geld, so daß wir sehn konnten, wie das kleine Vermögen be- 602 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation gönnen hatte mit dem ersten Deposit von 5 Shilling, wie es nach und nach zu 20 Pfd. St. aufwuchs und dann wieder zusammenschmolz, von Pfunden zu Shillingen, bis der letzte Eintrag das Buch so werthlos machte, wie ein leeres Stück Papier. Diese Familie erhielt ein nothdürftiges Mahl täglich 5 vom Workhouse ... Unsere folgende Visite war zur Frau eines Irländers, der an den Schiffswerften gearbeitet hatte. Wir fanden sie krank von Nah- rungsmangel, in ihren Kleidern auf eine Matratze gestreckt, knapp bedeckt mit einem Stück Teppich, denn alles Bettzeug war im Pfandhaus. Die elen- den Kinder warteten sie und sahen aus, als bedürften sie umgekehrt der 10 mütterlichen Pflege. Neunzehn Wochen erzwungnen Müßiggangs hatten sie so weit heruntergebracht, und während sie die Geschichte der bittern Vergangenheit erzählte, stöhnte sie, als ob alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren wäre ... Beim Austritt aus dem Hause rannte ein junger Mann auf uns zu und bat uns, in sein Haus zu gehn und zu sehn, ob irgend 15 etwas für ihn geschehen könne. Ein junges Weib, zwei hübsche Kinder, ein Kluster von Pfandzetteln und ein ganz kahles Zimmer war alles, was er zu zeigen hatte." Ueber die Nachwehen der Krise von 1866 folgender Auszug aus einer to- rystischen Zeitung. Man muß nicht vergessen, daß der Osttheil Londons, 20 um den es sich hier handelt, nicht nur Sitz der im Text des Kapitels er- wähnten eisernen Schiffsbauer, sondern auch einer stets unter dem Mini- mum bezahlten sog. „Hausarbeit" ist. „Ein entsetzliches Schauspiel ent- rollte sich gestern in einem ||637| Theil der Metropole. Obgleich die arbeitslosen Tausende des Ostendes mit schwarzen Trauerflaggen nicht in 25 Masse paradirten, war der Menschenstrom imposant genug. Erinnern wir uns, was diese Bevölkerung leidet. Sie stirbt vor Hunger. Das ist die einfa- che und furchtbare Thatsache. Es sind ihrer 40 000 . . . I n unsrer Gegen- wart, in einem Viertel dieser wundervollen Metropole, dicht neben der enormsten Akkumulation von Reichthum, welche die Welt je sah, dicht 30 dabei 40 000 hülflos verhungernd! Diese Tausende brechen jetzt ein in die andren Viertel; sie, in allen Zeiten halbverhungert, schreien uns ihr Weh ins Ohr, sie schreien es zum Himmel, sie erzählen uns von ihren elendge- schlagenen Wohnungen, daß es unmöglich für sie, Arbeit zu finden und nutzlos, zu betteln. Die lokalen Armensteuerpflichtigen sind durch die 35 Forderungen der Pfarreien selbst an den Rand des Pauperismus getrieben." (Standard. 5. April, 1867.) Da es Mode unter den englischen Kapitalisten ist, Belgien als das Para- dies des Arbeiters zu schildern, weil „die Freiheit der Arbeit" oder, was dasselbe ist, „die Freiheit des Kapitals", dort weder durch den Despotismus 40 der Trades' Unions noch durch Fabrikgesetze verkümmert sei, hier ein paar Worte über das „Glück" des belgischen Arbeiters. Sicher war niemand 603 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 tiefer eingeweiht in die Mysterien dieses Glücks als der verstorbene Herr Ducpétiaux, Generalinspektor der belgischen Gefängnisse und Wohlthätig- keitsanstalten, und Mitglied der Centraikommission für belgische Statistik. Nehmen wir sein Werk: „Budgets économiques des classes ouvrières en Belgique, Bruxelles 1855". Hier finden wir u. A. eine belgische Normalar- beiterfamilie, deren jährliche Ausgaben und Einnahmen nach sehr ge- nauen Daten berechnet, und deren Nahrungsverhältnisse dann mit denen des Soldaten, des Flottenmatrosen und des Gefangnen verglichen werden. Die Familie „besteht aus Vater, Mutter und vier Kindern". Von diesen sechs Personen „können vier das ganze Jahr durch nützlich beschäftigt 10 werden"; es wird vorausgesetzt, „daß es weder Kranke noch Arbeitsunfä- hige darunter gibt", noch „Ausgaben für religiöse, moralische und intellek- tuelle Zwecke, ausgenommen ein sehr Geringes für Kirchenstühle", noch „Beiträge zu Sparkassen oder Altersversorgungskassen", noch „Luxus- oder sonstige überflüssige Ausgaben". Doch sollen der Vater und der älteste 15 Sohn Tabak rauchen und Sonntags das Wirthshaus besuchen dürfen, wofür ihnen ganze 86 Centimen die Woche ausgesetzt sind. „Aus der Gesammt- zusammenstellung der den Arbeitern der ver||638|schiednen Geschäfts- zweige bewilligten Löhne folgt ... daß der höchste Durchschnitt des tägli- chen Lohns ist: 1 fr. 56 c. für Männer, 89 c. für Frauen, 56 c. für Knaben 20 und 55 c. für Mädchen. Hiernach berechnet, würden sich die Einkünfte der Familie allerhöchstens auf 1068 fr. jährlich belaufen . . . I n der als typisch angenommenen Haushaltung haben wir alle möglichen Einkünfte zusam- mengerechnet. Wenn wir aber der Mutter einen Arbeitslohn anrechnen, entziehen wir dadurch die Haushaltung ihrer Leitung; wer besorgt das 25 Haus, wer die kleinen Kinder? Wer soll kochen, waschen, flicken? Dieß Di- lemma tritt jeden Tag vor die Arbeiter." Der Budget der Familie ist demnach: Der Vater, Die Mutter Der Junge Das Mädchen 300 Arbeitstage zu fr. 1,56 " 0,89 » 0,56 » 0,55 fr. 468,- » 267,- » 168,- » 165,- fr. 1068,— Total Die Jahresausgabe der Familie und ihr Deficit würden ausmachen, falls der Arbeiter die Nahrung hätte: Des Flottenmatrosen Des Soldaten Des Gefangenen fr. 1828,— » 1473,— » 1112,— Deficit fr. 760,— » 405,—. » 44,—. » » 30 35 „Man sieht, daß wenig Arbeiterfamilien sich die Nahrung verschaffen können, nicht etwa des Matrosen oder des Soldaten, sondern selbst des Ge- 40 fangnen. Im Durchschnitt hat jeder Gefangne 1847/49 in Belgien 63 c. täg- 604 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation lieh gekostet, was gegen die täglichen Unterhaltungskosten des Arbeiters einen Unterschied von 13 c. ergibt. Die Verwaltungs- und Ueberwachungs- kosten gleichen sich aus dagegen, daß der Gefangne keine Miethe Wie aber geht es zu, daß eine große Zahl, wir könnten sagen die zahlt 5 große Mehrzahl der Arbeiter in noch sparsameren Verhältnissen lebt? Nur indem sie zu Nothbehelfen flüchtet, wovon der Arbeiter allein das Ge- heimniß hat; indem sie an der täglichen Ration abknappt; Roggenbrod statt Weizenbrod ißt; weniger oder gar kein Fleisch ißt; ebenso mit Butter und Gewürzen; indem sie die Familie in eine oder zwei Kammern packt, 10 wo Mädchen und Jungen zusammen schlafen, oft auf demselben Stroh- sack; indem sie an der Kleidung spart, der Wäsche, den Reinigungsmitteln; indem sie den Sonntagsvergnügungen entsagt, kurz sich zu den schmerz- lichsten Entbehrungen entschließt. Ein||639|mal bei dieser letzten Grenze angelangt, vermehrt der geringste Preisaufschlag der Lebensmittel, eine Ar- 15 beitsstockung, eine Krankheit das Elend des Arbeiters und ruinirt ihn voll- ständig. Die Schulden häufen sich, der Kredit wird versagt, die Kleider, die nothwendigsten Möbel wandern ins Pfandhaus, und schließlich bittet die Familie um Einschreibung in die Armenliste." 1 3 7) In der That folgt in die- sem „Paradiese der Kapitalisten" auf die geringste Aenderung im Preise 20 der nothwendigsten Lebensmittel eine Aenderung in der Zahl der Todes- fälle und Verbrechen! (Sieh Manifest der Maatschappij: „De Viamingen Vooruit! Brüssel 1860", p. 13,14.) Ganz Belgien zählt 9 3 0 0 0 0 Familien, da- von, nach officieller Statistik: 90 000 Reiche (Wähler) = 4 5 0 0 0 0 Personen; 390 000 Familien der kleinen Mittelklasse, in Stadt und Dorf, großer Theil fallend, = 1 9 5 0 000 Personen. Endlich 4 5 0 0 0 0 Arbeiterfamilien = 2 2 5 0 0 0 0 Personen, von welchen die Musterfa- milien das durch Ducpétiaux geschilderte Glück genießen. Unter den 450 000 Arbeiterfamilien über 2 0 0 0 0 0 auf der Armenliste! ins Proletariat 25 davon stets e) Das britische Ackerbauproletariat. 30 Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Produktion und Akku- mulation bewährt sich nirgendwo brutaler als in dem Fortschritt des engli- schen Landbaus (Viehzucht eingeschlossen) und dem Rückschritt des eng- lischen Landarbeiters. Bevor ich zu seiner gegenwärtigen Lage übergehe, ein rascher Rückblick. Die moderne Agrikultur datirt in England von der 35 Mitte des 18. Jahrhunderts, obgleich die Umwälzung der Grundeigen- thumsverhältnisse, wovon die veränderte Produktionsweise als Grundlage ausgeht, viel früheren Datums. 1 3 7 ) Ducpétiaux, I.e. p. 151, 154, 155, 156. 605 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Nehmen wir Arthur Young's, eines genauen Beobachters, obgleich ober- flächlichen Denkers, Angaben über den Landarbeiter von 1771, so spielt letztrer eine sehr elende Rolle, verglichen mit seinem Vorgänger Ende des 14. Jahrhunderts, „wo er in Fülle leben und Reichthum akkumuliren konnte" 1 3 8), gar nicht zu sprechen vom 15. Jahrhundert, „dem goldnen Zeitalter der eng||640|lischen Arbeiter in Stadt und Land". Wir brauchen jedoch nicht soweit zurückzugehn. In einer sehr gehaltreichen Schrift von 1777 liest man: „Der große Pächter hat sich beinahe erhoben zum Niveau des Gentleman, während der arme Landarbeiter fast zu Boden gedrückt i s t . . . Seine unglückliche Lage zeigt sich klar durch eine vergleichende Ue- 10 bersicht seiner Verhältnisse von heute und von 40 Jahr früher. ... Grundei- genthümer und Pächter wirken Hand in Hand zur Unterdrückung des Ar- beiters" 1 3 9). Es wird dann im Detail nachgewiesen, daß der reelle Arbeitslohn auf dem Lande von 1737 bis 1777 um beinahe 1X oder 25 % ge- fallen ist. „Die moderne Politik", sagt gleichzeitig Dr. Richard Price, „be- 15 günstigt die höheren Volksklassen; die Folge wird sein, daß früher oder später das ganze Königreich nur aus Gentlemen und Bettlern, aus Granden und Sklaven besteht" 1 4 0). Dennoch ist die Lage des englischen Landarbeiters von 1770 bis 1780, sowohl was seine Nahrungs- und Wohnlichkeitszustände, als sein Selbstge- 20 fühl, Belustigungen u.s.w. betrifft, ein später nie wieder erreichtes Ideal. In Pints Weizen ausgedrückt betrug sein Durchschnittslohn 1770 bis 1771 90 Pints, zu Eden's Zeit (1797) nur noch 65, 1808 aber 6 0 1 4 1 ) . Der Zustand der Landarbeiter Ende des Antijakobinerkriegs, während dessen Grundaristokraten, Pächter, Fabrikanten, Kaufleute, Banquiers, 25 Börsenritter, Armeelieferanten u. s. w. sich so außerordentlich bereichert, ward bereits früher angedeutet. Der nominelle Lohn stieg in Folge theils der Banknoten-Depreciation, theils einer hiervon unabhängigen Zunahme im Preis der ersten Lebensmittel. Die wirkliche Lohnbewegung ist aber auf 1 3 8 ) James E.Th. Rogers (Prof. of Polit. Econ. in the University of Oxford): „A History of Agri- 30 culture and Prices in England. Oxford 1866", v.I, p. 690. Dieß fleißig gearbeitete Werk umfaßt in den bisher erschienenen zwei ersten Bänden nur noch die Periode von 1259-1400. Der zweite Band enthält blos statistisches Material. Es ist die erste authentische ,,History of Prices", die wir für jene Zeit besitzen. 1 3 9 ) ,,Reasons for the late Increase of the Poor-Rates; or, a comparative view of the price of la- 35 bour and provisions. Lond. 1777", p. 5, 11. 1 4 0 ) Dr. Richard Price: ,,Observations on Reversionary Payments, 6. ed. By W. Morgan. Lond. 1803", v. II, p. 158. Price bemerkt p. 159: "The nominal price of day labour is at present no more than about four times, or at most five times higher than it was in the year 1514. But the price of corn is seven times, and of flesh-meat and raiment about fifteen times higher. So far, therefore, has the price of labour been even from advancing in proportion to the increase in the expences of living, that it does not appear that it bears now half the proportion to those ex- pences that it did bear." 1 4 1 ) Barton 1. c. p. 26. Für Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Eden 1. c. 40 606 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 sehr einfache Art zu konstatiren, ohne Zuflucht zu hier unzulässigen De- tails. Das Armengesetz und seine Administration waren 1795 und 1814 dieselben. Man erinnert sich, wie dieß Gesetz auf dem Land gehandhabt wurde: in der Gestalt von Almosen ergänzte ||641| die Pfarrei den Nominal- lohn bis zu der für bloße Vegetation des Arbeiters erheischten Nominal- summe. Das Verhältniß zwischen dem vom Pächter gezahlten Lohn und dem von der Pfarrei gutgemachten Lohndeficit zeigt uns zweierlei, erstens die Senkung des Arbeitslohns unter sein Minimum, zweitens den Grad, worin der Landarbeiter aus Lohnarbeiter und Pauper zusammengesetzt 10 war, oder den Grad, worin man ihn in einen Leibeignen seiner Pfarrei ver- wandelt hatte. Wir wählen eine Grafschaft, die das Durchschnittsverhältniß in allen andren Grafschaften repräsentirt. 1795 betrug der durchschnittli- che Wochenlohn in Northamptonshire 7 sh. 6 d., die jährliche Totalaus- gabe einer Familie von 6 Personen 36 Pfd. St. 12 sh. 5 d., ihre Totalein- 15 nähme 29 Pfd. St. 18 sh., das von der Pfarrei gut gemachte Deficit: 6 Pfd. St. 14 sh. 5 d. In derselben Grafschaft betrug 1814 der Wochenlohn 12 sh. 2 d., die jährliche Totalausgabe einer Familie von 5 Personen 54 Pfd. St. 18 sh. 4 d., ihre Totaleinnahme 36 Pfd. St. 2 sh., das von der Pfarrei gutge- machte Deficit: 18 Pfd. St. 6 sh. 4 d . 1 4 2 ) , 1795 betrug das Deficit weniger als 20 Y4 des Arbeitslohns, 1814 mehr als die Hälfte. Es versteht sich von selbst, daß unter diesen Umständen die geringen Komforts, die Eden noch in der Cottage des Landarbeiters fand, 1814 verschwunden waren 1 4 3). Unter allen Thieren, die der Pächter hält, blieb von nun an der Arbeiter, das instru- mentum vocale, das meist geplackte, schlechtest gefütterte und brutalst be- 25 handelte. 30 Derselbe Zustand der Dinge dauerte ruhig fort, bis „die Swing Aufstände 1830 uns (d.h. den herrschenden Klassen) beim Lichtflammen der Korn- schober enthüllten, daß Elend und dunkle aufrührerische Unzufriedenheit eben so wild unter der Oberfläche des agrikolen als des industriellen Eng- lands lodre" 1 4 4). Sadler taufte damals im Unterhaus die Landarbeiter „weiße Sklaven" („white slaves"), ein Bischof hallte das Epithet im Ober- haus wieder. Der bedeutendste politische Oekonom jener Periode, E.G.Wakefield, sagt: „Der Landarbeiter Südenglands ist kein Sklave, er ist kein freier Mann, er ist ein Pauper" 1 4 5). 35 Die Zeit unmittelbar vor der Aufhebung der Korngesetze warf neues Licht auf die Lage der Landarbeiter. Einerseits lag es im ||642| Interesse der bürgerlichen Agitatoren nachzuweisen, wie wenig jene Schutzgesetze 1 4 2 ) Parry 1. c. p. 80. 1 4 3 ) id. p.213. 1 4 4 ) S.Laing I.e. p.62. 1 4 5 ) „England and America. Lond. 1833", v.I, p.47. 40 607 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 den wirklichen Kornproducenten beschützten. Andrerseits schäumte die industrielle Bourgeoisie auf von Ingrimm über die Denunciation der Fa- brikzustände seitens der Grundaristokraten, über die affektirte Sympathie dieser grundverdorbnen, herzlosen und vornehmen Müßiggänger mit den Leiden des Fabrikarbeiters, und ihren „diplomatischen Eifer" für Fabrikge- setzgebung. Es ist ein altes englisches Sprichwort, daß wenn zwei Diebe sich in die Haare fallen, immer etwas Nützliches geschieht. Und in der That, der geräuschvolle, leidenschaftliche Zank zwischen den zwei Fraktio- nen der herrschenden Klasse über die Frage, welche von beiden den Arbei- ter am schamlosesten ausbeute, wurde rechts und links Geburtshelfer der 10 Wahrheit. Graf Shaftesbury, alias Lord Ashley, war Vorkämpfer im aristo- kratischen Antifabrikphilanthropiefeldzug. Er bildet daher 1844 bis 1845 ein Lieblingsthema in den Enthüllungen des Morning Chronicle über die Zustände der Agrikulturarbeiter. Jenes Blatt, damals das bedeutendste li- berale Organ, schickte in die Landdistrikte eigne Kommissäre, welche sich 15 keineswegs mit allgemeiner Schilderung und Statistik begnügten, sondern die Namen sowohl der untersuchten Arbeiterfamilien als ihrer Grundherrn veröffentlichten. Die folgende Liste gibt Löhne, gezahlt auf drei Dörfern, in der Nachbarschaft von Blanford, Wimbourne und Poole. Die Dörfer sind Eigenthum des Mr. G. Bankes und des Grafen von Shaftesbury. Man 20 wird bemerken, daß dieser Pabst der „low church", dieß Haupt der engli- schen Pietisten, ebenso wie p.p.Bankes von den Hundelöhnen der Arbeiter wieder einen bedeutenden Theil unter dem Vorwand von Hausrente ein- steckt. Erstes Dorf. e) Wochen- einnahme der Gesammt- fàmilie. 8sh. 8sh. 8sh. 8sh. 10 sh. 6 d. f) Wöchent- liche Haus- miethe. g) h) Gesammt- Wochen- wochenlohn lohn nach Abzug per Kopf, der Haus- miethe. 2 s h . 6sh. 1 sh. 6 d. 1 sh. 6 d. 6 sh. 6 d. 1 sh. 3½ d. l s h . l s h . 2 s h . 7sh. 7sh. 8 sh. 6 d. 5 sh. 8 d. 1 sh. 9 d. 1 sh. 9 d. 1 sh. 0 3/ 4 d. l s h . 1 ½ d . I 25 30 35 1 sh. 6 d. 2 sh. 7sh. 1 sh. 4 d. |643| Zweites Dorf. 1 sh. 6 d. 1 sh. 6 d. 10 sh. 7 s h . 7 s h . 7 s h . 7 s h . 1 sh. 6 d. 1 sh. 3% d. 1 sh. 3 / 2 d. 1 sh. 6% d. 1 sh. 6% d. 8 sh. 6 d. 1 sh. 0 3/ 4 d. 5 sh. 8½ d. 0 sh. 8½ d. 40 5 s h . 8%d. Osh. 7 d . 5 sh. 5½ d. Osh. 11 d. 5 s h . 5 1 ^ d . l s h . I d . a) Kinder. b) Zahl der c) Wöchent- licher Familien- Arbeits- glieder. lohn der Männer. d) Wöchent- licher- Kinder- lohn. 4 5 4 4 10 6 5 8sh. 8sh. 8sh. 8sh. 7sh. 7sh. 7sh. 7sh. 7sh. 7sh. 7sh. 608 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation [a) [b) Kinder.] Zahl [C) W ö c h e n t - W ö c h e n t - W o c h e n - [d) [e) [f) W ö c h e n t - [g) Gesammt- [h) W o c h e n - der licher Familien- Arbeits- licher- Kinder- einnähme liehe der Haus- wochenlohn nach Abzug lohn per 5 glieder.] lohn der lohn.] Gesammt- miethe.] der Haus- Kopf.] Männer.] familie.] miethe.] Drittes Dorf. 10 l s h . l s h . 6 5 2 4 3 0 7 s h . 7 s h . 5 s h . 2 s h . 2 s h . 6 d . 1 sh. 2Sh-I1Xd. 2 s h . 1 4 6 ) . 6 s h . 10 sh. 8 d. 4 s h . 7 s h . 11 sh. 6 d. Osh. 10 d. 5 sh. Die Abschaffung der Korngesetze gab dem englischen Landbau einen ungeheuren Ruck. Drainirung auf der größten Stufenleiter 1 4 7), neues Sy- stem der Stallfütterung und des Anbaus der künstlichen Futterkräuter, Einführung mechanischer Düngapparate, neue Behandlung der Thonerde, 15 gesteigerter Gebrauch mineralischer Düngmittel, Anwendung der Dampf- maschine und aller Art neuer Arbeitsmaschinerie u.s.w., intensivere Kul- tur überhaupt charakterisiren diese Epoche. Der Präsident der königlichen Gesellschaft für Agrikultur, Herr Pusey, behauptet, daß die (relativen) Wirthschaftskosten durch die neu eingeführte Maschinerie beinahe um die 20 Hälfte verringert worden sind. Andrerseits ward der positive Bodenertrag rasch erhöht. Größere Kapitalauslage per Acre, also auch beschleunigte Koncentration der Pachten, war Grundbedingung der neuen Methode 1 4 8). Zugleich dehnte sich das Areal der Bebauung von 1846 bis 1856 um 4 6 4 1 1 9 Acres aus, nicht zu sprechen von den großen Flächen der östlichen 25 Grafschaften, welche aus Kaninchengeheg und armer Viehweide in üppige Kornfelder umgezaubert wurden. Man weiß bereits, daß gleichzeitig die Gesammtzahl der in der Agrikultur betheiligten Personen abnahm. Was die eigentlichen Ackerbauer, beiderlei Geschlechts ||644| und aller Alters- stufen, betrifft, so sank ihre Zahl von 1 2 4 1 2 6 9 im Jahr 1851 auf 1163 227 im Jahr 1 8 6 1 1 4 9 ) . Wenn der englische Generalregistrator daher mit Recht bemerkt: „Der Zuwachs von Pächtern und Landarbeitern seit 1801 steht in gar keinem Verhältniß zum Zuwachs des agrikolen Produkts" 1 5 ° ) , so gilt 1 4 6 ) London Economist. 29. März 1845, p.290. 1 4 7 ) Die Grundaristokratie schoß sich selbst zu diesem Zweck Fonds, natürlich per Parlament, 35 aus der Staatskasse vor, zu sehr niedrigem Zins, welchen die Pächter ihr doppelt zu erstatten 30 haben. 1 4 8 ) Die Abnahme der mittleren Pächter ersieht man namentlich aus den Rubriken des Cen- sus: „Pächters Sohn, Enkel, Bruder, Neffe, Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte", kurz der vom Pächter beschäftigten Glieder seiner eignen Familie. Diese Rubriken zählten 1851: 40 216 851 Personen, 1861 nur 176 151. Von 1851 bis 1871 haben in England die Pachthöfe von unter 20 Acres sich um mehr als 900 verringert; die zwischen 50 und 75 Acres sind von 8253 auf 6370 gefallen; ähnlich bei allen andern Pachthöfen unter 100 Acres. Dagegen hat sich während derselben 20 Jahre die Zahl der großen Pachthöfe vermehrt; die von 300-500 Acres sind gestiegen von 7771 auf 8410, die von mehr als 500 Acres von 2755 auf 3914, die von 45 mehr als 1000 Acres, von 492 auf 582. 1 4 9 ) Die Zahl der Schafhirten wuchs von 12 517 auf 25 559. 1 5°) Census etc. I . e . p.36. 609 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals dieß Mißverhältniß noch viel mehr von der letzten Periode, wo positive Ab- nahme der ländlichen Arbeiterbevölkerung Hand in Hand ging mit Aus- dehnung des bebauten Areals, intensiverer Kultur, unerhörter Akkumula- tion des dem Böden einverleibten und des seiner Bearbeitung gewidmeten Kapitals, Steigerung des Bodenprodukts ohne Parallele in der Geschichte der englischen Agronomie, strotzenden Rentrollen der Grundeigenthümer und schwellendem Reichthum der kapitalistischen Pächter. Nimmt man dieß zusammen mit der ununterbrochnen raschen Erweiterung des städti- schen Absatzmarkts und der Herrschaft des Freihandels, so war der Land- arbeiter post tot discrimina rerum endlich in Verhältnisse gestellt, die ihn, secundum artem, glückstoll machen mußten. Professor Rogers gelangt dagegen zum Resultat, daß der englische Land- arbeiter heutigen Tags, gar nicht zu sprechen von seinem Vorgänger in der letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert, sondern nur verglichen mit seinem Vorgänger aus der Periode 1 7 7 0 - 1 7 8 0 , seine Lage außerordentlich verschlechtert hat, daß „er wieder ein Leibeigner geworden ist" und zwar schlecht gefütterter und behauster Leibeigner 1 5 1). Dr. Julian Hunter, in seinem epochemachenden Bericht über die Wohnlichkeit der Landarbeiter, sagt: „Die Existenzkosten des hind (der Zeit der Leibeigen- schaft angehöriger Name für den Landarbeiter) sind fixirt zu dem mög- lichst niedrigen Betrag, womit er leben kann ... sein Lohn und Obdach sind nicht berechnet auf den aus ihm herauszuschlagenden Profit. Er ist eine Null in den Berechnungen des Pächters 1 5 2) ... Seine Subsistenzmittel werden stets als eine fixe ||645| Quantität behandelt" 1 5 3). „Was irgend eine weitere Reduktion seines Einkommens angeht, so kann er sagen: nihil ha- beo, nihil euro. Er hat keine Furcht für die Zukunft, weil er über nichts verfügt außer dem, was zu seiner Existenz absolut unentbehrlich ist. Er hat den Gefrierpunkt erreicht, von dem die Berechnungen des Pächters als Da- tum ausgehn. Komme was wolle, er hat keinen Antheil an Glück oder Un- glück" 1 5 4). Im Jahre 1863 fand eine officielle Untersuchung über die Verpflegungs- und Beschäftigungszustände der zu Transportation und öffentlicher 1 5 1 ) Rogers 1. c. p. 693. "The peasant has again become a serf." 1. c. p. 10. Herr Rogers gehört zur liberalen Schule, ist persönlicher Freund von Cobden und Bright, also kein laudator tem- poris acti. 1 5 2 ) „Public Health. Seventh Report. Lond. 1865", p.242. "The cost of the hind is fixed at the lowest possible amount on which he can live ... the supplies of wages or shelter are not calcu- lated on the profit to be derived from him. He is a zero in farming calculations." Es ist daher nichts ungewöhnliches, daß entweder der Hausvermiether die Miethe für einen Arbeiter er- höht, sobald er hört, daß derselbe etwas mehr verdient, oder daß der Pächter den Lohn des Ar- beiters heruntersetzt, „weil dessen Frau Beschäftigung gefunden hat". (I.e.) 1 5 3 ) I.e. p.135. 1 5 4 ) I.e. p.134. 610 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Zwangsarbeit verurtheilten Verbrecher statt. Die Resultate sind in zwei dickleibigen Blaubüchern niedergelegt. „Eine sorgfältige Vergleichung", heißt es unter anderem, „zwischen der Diät der Verbrecher in den Gefäng- nissen von England und der der Paupers in Workhouses und der freien 5 Landarbeiter desselben Landes zeigt unstreitig, daß die erstem viel besser genährt sind als irgend eine der beiden andren K l a s s e n " 1 5 5 ) , während „die Arbeitsmasse, die von einem zu öffentlicher Zwangsarbeit Verurtheilten verlangt wird, ungefähr die Hälfte der vom gewöhnlichen Landarbeiter ver- richteten beträgt" 1 5 6). Einige wenige charakteristische Zeugenaussagen: 10 John Smith, Direktor des Gefängnisses zu Edinburg, verhört. Nr. 5056: „Die Diät in den englischen Gefängnissen ist viel besser als die der ge- wöhnlichen Landarbeiter." Nr. 5057: „Es ist Thatsache, daß die gewöhnli- chen Agrikulturarbeiter Schottlands sehr selten irgend welches Fleisch er- halten." Nr. 3047: „Kennen Sie irgend einen Grund für die Nothwendig- 15 keit, die Verbrecher viel besser (much better) zu nähren als gewöhnliche Landarbeiter? - Sicher nicht." Nr. 3048: „Halten Sie es für angemessen, weitere Experimente zu machen, um die Diät zu öffentlichen Zwangsarbei- ten verurtheilter Gefangenen der Diät freier Landarbeiter nahe zu brin- gen?" 1 5 7 ) . „Der Landarbeiter", heißt es, „könnte sagen: Ich arbeite hart und 20 habe nicht genug zu essen. Als ich im Gefängniß war, arbeitete ich nicht so hart und hatte Essen in Fülle, und darum ist es besser für mich im Gefäng- niß als im Freien zu s e i n " 1 5 8 ) . Aus den dem ersten Band des Berichts | |646| angehängten Tabellen ist eine vergleichende Uebersieht zusammen- gestellt. 25 Wöchentlicher Nahrungsbetrag.15**) Stickstoff- haltige Bestand- theile. Stickstoff- freie Bestand- theile. Mineralische Bestand- theile. Gesamn summe. Unzen. Unzen. Unzen. Unzen. Verbrecher im Gefängniß von Portland Matrose in der königl. Marine Soldat Kutschenmacher (Arbeiter) Setzer Landarbeiter 28,95 29,63 25,55 24,53 21,24 17,73 150,06 152,91 114,49 162,06 100,83 118,06 4,68 4,52 3,94 4,23 3,12 3,29 183,69 187,06 143,98 190,82 125,19 139,08 40 1 5 5 ) „Report of the Commissioners ... relating to Transportation and Penal Servitude. Lond. 1863", p. 42, n.50. 1 5 6 ) 1. c. p. 77. Memorandum by the Lord Chief Justice. 1 5 7 ) 1. c. v. II. Evidence. 1 5 8 ) 1. c. v. I. Appendix p. 280. 1 5 8 a ) 1. c. p. 274, 275. 611 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Das allgemeine Resultat der ärztlichen Untersuchungskommission von 1863 über den Nahrungszustand der schlechter genährten Volksklassen ist dem Leser bereits bekannt. Er erinnert sich, daß die Diät eines großen Theils der Landarbeiterfamilien unter dem Minimalmaß „zur Abwehr von Hungerkrankheiten" steht. Es ist dies namentlich der Fall in allen rein agrikolen Distrikten von Cornwall, Devon, Somerset, Wilts, Stafford, Ox- ford, Berks und Herts. „Die Nahrung, die der Landarbeiter erhält", sagt Dr. Simon, „ist größer, als das Durchschnittsquantum anzeigt, da er selbst einen viel größeren, für seine Arbeit unentbehrlichen, Theil der Lebens- mittel erhält als seine übrigen Familienglieder, in den ärmeren Distrikten 10 fast alles Fleisch oder Speck. Das Quantum Nahrung, das der Frau zufällt, und ebenso den Kindern in ihrer Periode raschen Wachsthums, ist in vie- len Fällen, und zwar in fast allen Grafschaften, mangelhaft, hauptsächlich an Stickstoff' 1 5 9). Die bei den Pächtern selbst wohnenden Knechte und Mägde werden reichlich genährt. Ihre Zahl fiel von 288 272 im Jahre 1851 15 auf 204 962 im Jahr 1861. „Die Arbeit der Weiber auf freiem Feld", sagt Dr. Smith, „von welchen sonstigen Nachtheilen auch immer begleitet, ist unter gegenwärtigen Umständen von großem Vortheil für die Familie, denn sie liefert derselben Mittel für Beschuhung, Kleidung, Zahlung der Hausrente, und befähigt sie so besser zu essen" 1 6 0). Eins der merkwürdig- 20 sten Resultate dieser Untersuchung ||647| war, daß der Landarbeiter in England bei weitem schlechter genährt ist als in den andren Theilen des Vereinigten Königreichs (,,is considerably the worst fed"), wie die Tabelle zeigt. Wöchentlicher Konsum von Kohlenstoff und Stickstoff durch den ländlichen Durchschn ittsarbeiter. England Wales Schottland Irland Kohlenstoff. Stickstoff. 40 673 Gran 48 354 Gran 48 980 Gran 43 366 Gran 1594 Gran 2 031 Gran 2 348 Gran 2 434 Gran 1 6 1) | 25 30 1 5 9 ) „Public Health. Sixth Report. 1863", p.238, 249, 261, 262. 1 6°) I.e. p.262. 1 6 1 ) 1. c. p. 17. Der englische Landarbeiter erhält nur X/A SO viel Milch und nur % so viel Brod- stoff als der irische. Den besseren Nahrungsstand der letzteren bemerkte schon A. Young, in 35 seiner „Tour through Ireland" Anfang dieses Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, daß der arme irische Pächter ungleich humaner ist als der reiche englische. Mit Bezug auf Wales gilt die Textangabe nicht für seinen Südwesten. „Alle dortigen Aerzte stimmen überein, daß die Zunahme der Sterblichkeitsrate durch Tuberkulose, Skropheln etc. an Intensität wächst mit der Verschlechterung des physischen Zustandes der Bevölkerung, und alle schreiben diese Verschlechterung der Armuth zu. Der tägliche Unterhalt des Landarbeiters wird dort auf 5 d. veranschlagt, in vielen Distrikten zahlt der Pächter (selbst elend) weniger. Ein Bissen gesalz- nes Fleisch, getrocknet zur Härte von Mahagoni und kaum werth des schwierigen Processes der Verdauung, oder Speck dient zur Würze einer großen Quantität von Brühe, von Mehl und Lauch, oder Haferbrei, und Tag nach Tag ist dieß das Mittagsmahl des Landarbeiters ... Der 45 40 612 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation |648| „Jede Seite von Dr.Hunters Bericht", sagt Dr. Simon in seinem offî- ciellen Gesundheitsbericht, „gibt Zeugniß von der unzureichenden Quan- tität und elenden Qualität der Wohnlichkeit unsres Landarbeiters. Und seit vielen Jahren hat sich sein Zustand progressiv in dieser Hinsicht ver- schlechtert. Es ist jetzt viel schwerer für ihn, Hausraum zu finden, und, wenn gefunden, ist er seinen Bedürfnissen viel weniger entsprechend, als vielleicht seit Jahrhunderten der Fall war. Besonders innerhalb der letzten 30 oder 20 Jahre ist das Uebel in raschem Wachsthum begriffen, und die Wohnlichkeitsverhältnisse des Landmanns sind jetzt im höchsten Grad kläglich. Außer soweit diejenigen, die seine Arbeit bereichert, es der Mühe werth halten, ihn mit einer Art von mitleidiger Nachsicht zu behandeln, ist er ganz hülflos in der Sache. Ob er Behausung findet auf dem Land, wel- ches er bebaut, ob sie menschlich oder schweinisch ist, ob mit kleinem Garten, der den Druck der Armuth so sehr erleichtert, alles das hängt nicht Fortschritt der Industrie hatte die Folge für ihn, in diesem harten und feuchten Klima, das so- lide hausgesponnene Tuch durch wohlfeile Baumwollzeuge zu verdrängen und stärkere Ge- tränke durch „nominellen" Thee ... Nach langstündiger Aussetzung an Wind und Regen, kehrt der Ackerbauer zurück zu seiner Cottage, um niederzusitzen bei einem Feuer von Torf oder Ballen, die aus Lehm und Kohlenabfall zusammengesetzt sind und Wolken von Kohlen- und Schwefelsäure ausqualmen. Die Wände der Hütte bestehn aus Lehm und Steinen, das Estrich aus der nackten Erde, welche da war vor Erbauung der Hütte, das Dach ist eine Masse losen und aufgedunsenen Strohs. Jeder Spalt ist verstopft zur Erhaltung der Wärme, und in einer Atmosphäre von diabolischem Gestank, einen Schlammboden unter sich, oft mit seinen einzigen Kleidern trocknend auf seinem Leibe, nimmt er sein Abendbrot mit Weib und Kin- dern. Geburtshelfer, gezwungen einen Theil der Nacht in diesen Hütten zuzubringen, haben beschrieben, wie ihre Füße im Schlamm des Fußbodens versanken, und wie sie gezwungen waren, leichte Arbeit!, ein Loch durch die Wand zu bohren, um sich eine kleine Privatrespira- tion zu verschaffen. Zahlreiche Zeugen von verschiednem Rang bezeugen, daß der unterge- nährte (underfed) Bauer diesen und andren gesundheitswidrigen Einflüssen jede Nacht ausge- setzt ist, und für das Resultat, ein geschwächtes und skrophulöses Volk, fehlt es wahrhaftig nicht an Beweisen ... Die Mittheilungen der Pfarreibeamten von Carmarthenshire und Cardi- ganshire zeigen schlagend denselben Zustand der Dinge. Es kommt hinzu eine noch größere Pest, das Umsichgreifen des Idiotismus. Nun noch die klimatischen Verhältnisse. Heftige Südwestwinde durchblasen das ganze Land während 8 bis 9 Monaten im Jahr, in ihrem Ge- folg Regen-Sturzbäche, die sich hauptsächlich auf die westlichen Abhänge der Hügel entla- den. Bäume sind selten, außer in gedeckten Plätzen; wo unbeschützt, werden sie aus aller Form zerblasen. Die Hütten kriechen unter irgend eine Bergterrasse, oft auch in eine Schlucht oder einen Steinbruch, nur die winzigsten Schafe und einheimisches Hornvieh kön- nen auf den Weiden leben ... Die jungen Leute wandern nach dem östlichen Minendistrikte von Glamorgan und Monmouth ... Carmarthenshire ist die Pflanzschule der Minenbevölke- rung und ihr Invalidenhaus ... Die Bevölkerung erhält ihre Zahl nur mühsam. So in Cardi- ganshire: 1851 Männlichen Geschlechts: 45 155 Weiblichen Geschlechts: 52 459 1861 44446 52 955 97 614 97 401." (Dr. Hunter's Report in: „Public Health. Seventh Report. 1864, Lond. 1865", p. 498-502 passim.) 613 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals von seiner Breitheit oder Fähigkeit zur Zahlung einer angemeßnen Miethe ab, sondern von dem Gebrauch, den Andre von ,dem Recht mit ihrem Ei- genthum zu thun, was sie wollen' zu machen belieben. Eine Pachtung mag noch so groß sein, es existirt kein Gesetz, daß auf ihr eine bestimmte An- zahl von Arbeiterwohnungen, und nun gar anständigen, stehen muß; eben- sowenig behält das Gesetz dem Arbeiter auch nur das kleinste Recht auf den Boden vor, für welchen seine Arbeit so nothwendig ist wie Regen und Sonnenschein ... Ein notorischer Umstand wirft noch ein schweres Ge- wicht in die Wagschale gegen ihn der Einfluß des Armengesetzes mit seinen Bestimmungen über Niederlassung und Belastung zur Armen- steuer 1 6 2). Unter seinem Einfluß hat jede Pfarrei ein Geldinteresse, | |649| die Zahl ihrer residirenden Landarbeiter auf ein Minimum zu be- schränken; denn unglücklicher Weise führt die Landarbeit, statt sichre und permanente Unabhängigkeit dem hartschanzenden Arbeiter und seiner Fa- milie zu verbürgen, meist nur auf längerem oder kürzerem Umweg zum Pauperismus, einem Pauperismus, der während des ganzen Wegs so nahe ist, daß jede Krankheit oder irgend ein vorübergehender Mangel an Be- schäftigung unmittelbar die Zuflucht zur Pfarreihülfe ernöthigt; und daher ist alle Ansässigkeit einer Ackerbaubevölkerung in einer Pfarrei augen- scheinlich ein Zuschuß zu ihrer Armensteuer ... Große Grundeigenthü- m e r 1 6 3 ) haben nur zu beschließen, daß keine Arbeiterwohnungen auf ihren Gütern stehn sollen, und sie befreien sich sofort von der Hälfte ihrer Ver- antwortlichkeit für die Armen. Wie weit die englische Konstitution und das Gesetz dieser Art unbedingtes Grundeigenthum beabsichtigten, wel- ches einen Landlord, der „mit seinem Eignen thut was er will", befähigt, die Bebauer des Bodens wie Fremde zu behandeln und sie von seinem Ter- ritorium zu verjagen, ist eine Frage, deren Diskussion nicht in meinen Be- reich fällt ... Diese Macht der Eviktion ist keine bloße Theorie. Sie wird praktisch auf der größten Stufenleiter geltend gemacht. Sie ist einer der Umstände, welche die Wohnlichkeitsverhältnisse des Landarbeiters beherr- schen ... Den Umfang des Uebels mag man aus dem letzten Census beur- theilen, wonach die Zerstörung von Häusern, trotz vermehrter lokaler Nachfrage für dieselben, während der letzten 10 Jahre, in 821 verschiednen Distrikten von England fortschritt, so daß, abgesehn von den Personen, die gezwungen wurden, Nichtresidirende (nämlich in dem Kirchspiel, worin sie arbeiten) zu werden, 1861 verglichen mit 1851 eine um 5¾% größere 1 6 2 ) 1865 ist dieß Gesetz etwas verbessert worden. Man wird bald durch Erfahrung lernen, daß dergleichen Pfuscherei nichts hilft. 1 6 3 ) Zum Verständniß des folgenden: Close Villages (geschlossne Dörfer) heißen die, deren Grundeigenthümer ein oder ein paar große Landlords; Open Villages (offne Dörfer) die, deren Boden vielen kleineren Eigenthümern gehört. Es sind die letzteren Orte, wo Bauspekulanten Cottages und Logirhäuser errichten können. 614 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 10 Bevölkerung in einen um 4¾ % kleineren Hausraum gedrängt wurde ... So- bald der Entvölkerungsproceß sein Ziel erreicht hat, ist das Resultat, sagt Dr. Hunter, ein Schaudorf (show-village), wo die Cottages auf wenige redu- cirt sind und wo niemand leben darf außer Schafhirten, Gärtnern und 5 Wildhütern, reguläre Bediente, welche die in ihrer Klasse gewohnheitsmä- ßige gute Behandlung von der gnädigen Herrschaft erhalten 1 6 4). Aber das | |650| Land bedarf der Bebauung, und man wird finden, daß die darauf be- schäftigten Arbeiter keine Haussassen des Grundeigenthümers sind, sondern von einem offnen Dorf herkommen, vielleicht 3 Meilen weit ent- fernt, wo eine zahlreiche kleine Hauseigenthümerschaft sie aufnahm, nach Zerstörung ihrer Cottages in den geschloßnen Dörfern. Wo die Dinge die- sem Resultat zustreben, bezeugen die Cottages meist durch ihr elendes Aussehn das Schicksal, zu dem sie verdammt sind. Man findet sie auf den verschiednen Stufen natürlichen Verfalls. So lange das Obdach zusammen- 15 hält, wird dem Arbeiter erlaubt, Rente dafür zu zahlen, und er ist oft sehr froh, dieß thun zu dürfen, selbst wenn er den Preis einer guten Wohnung zu zahlen hat. Aber keine Reparatur, keine Ausbesserung, außer die der pfenniglose Inhaber leisten kann. Wird es endlich zuletzt ganz unbewohn- bar, so ist es nur eine zerstörte Cottage mehr und so viel künftige Armen- 20 Steuer weniger. Während die großen Eigenthümer die Armensteuer so von sich abwälzen durch Entvölkerung des von ihnen kontrolirten Grund und Bodens, nimmt das nächste Landstädtchen oder offne Ortschaft die hin- ausgeworfnen Arbeiter auf; die nächste, sage ich, aber dieß „nächste" mag 3 oder 4 Meilen vom Pachthof sein, wo der Arbeiter sich täglich abzuplak- 25 ken hat. So wird seinem Tageswerk, als ob es gar nichts sei, die Nothwen- digkeit eines täglichen Marsches von 6 oder 8 Meilen zur Verdienung sei- nes täglichen Brodes hinzugefügt. Alle von seiner Frau und seinen Kindern verrichtete Landarbeit geht jetzt unter denselben erschwerenden Umständen vor. Und dieß ist nicht das ganze Uebel, welches ihm die Ent- fernung verursacht. In der offnen Ortschaft kaufen Bauspekulanten Boden- fetzen, welche sie so dicht wie möglich mit den wohlfeilsten aller mögli- chen Spelunken besäen. Und in diesen elenden Wohnlichkeiten, die sogar, wenn sie auf das offne Land münden, die ungeheuerlichsten Charakter- züge der schlechtesten Stadtwohnungen theilen, locken die Ackerbauarbei- 30 35 1 6 4 ) Ein solches Schaudorf sieht sehr nett aus, aber es ist so unreal, wie die Dörfer, welche Katharina II. auf der Reise nach der Krim sah. In der letzteren Zeit wird auch der Schafhirt häufig aus diesen show-villages verbannt. Z.B. bei Market Harborough ist eine Schäferei von ungefähr 500 Acres, die nur die Arbeit eines Mannes erheischt. Zur Verminderung der langen Märsche über diese weiten Flächen, die schönen Weiden von Leicester und Northampton, 40 pflegte der Hirt eine Cottage auf der Meierei zu erhalten. Jetzt gibt man ihm einen dreizehn- ten Schilling für Logis, das er weitab in dem offnen Dorf suchen muß. 615 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ter Englands 1 6 5) . . . Andrerseits ||651| muß man sich nur nicht einbilden, daß selbst der auf dem Grund und Boden, den er bebaut, behauste Arbeiter eine Wohnlichkeit findet, wie sie sein Leben produktiver Industrie ver- dient. Selbst auf den fürstlichsten Gütern ist seine Cottage oft von der allerjämmerlichsten Art. Es gibt Landlords, die einen Stall gut genug für 5 ihre Arbeiter und deren Familien glauben, und die es dennoch nicht ver- schmähn, aus ihrer Miethe so viel Baares als möglich herauszuschlagen 1 6 6). Es mag nur eine verfallende Hütte mit einer Schlafstube sein, ohne Feuer- herd, ohne Abtritt, ohne offenbare Fenster, ohne Wasserzufuhr außer dem Graben, ohne Garten, der Arbeiter ist hülflos gegen die Unbill. Und unsre 10 gesundheitspolizeilichen Gesetze (The Nuisances Removal Acts) sind ein todter Buchstabe. Ihre Ausführung ist ja grade den Eigenthümern anver- traut, welche solche Löcher vermiethen . . . Man muß sich ||652| durch aus- nahmsweise lichtvollere Scenen nicht blenden lassen über das erdrückende Uebergewicht der Thatsachen, die ein Schandfleck der englischen Civilisa- 15 tion sind. Schauderhaft muß in der That die Lage der Dinge sein, wenn, 1 6 5 ) „Die Häuser der Arbeiter (in den offnen Ortschaften, die natürlich stets überfüllt sind) sind gewöhnlich in Reihen gebaut, mit dem Rücken auf der äußersten Kante des Bodenfet- zens, den der Bauspekulant sein nennt. Sie sind daher ohne Zutritt von Licht und Luft, außer von der Frontseite." (Dr. Hunter's Report 1. c. p. 135.) Sehr oft ist der Bierwirth oder Krämer 20 des Dorfs zugleich Hausvermiether. In diesem Fall findet der Landarbeiter in ihm einen zwei- ten Herrn neben dem Pächter. Er muß zugleich sein Kunde sein. „Mit 10 sh. per Woche, mi- nus einer jährlichen Rente von 4 Pfd. St., ist er verpflichtet, sein modicum von Thee, Zucker, Mehl, Seife, Kerzen und Bier zu den vom Krämer beliebten Preisen zu kaufen." (1. c. p. 132.) Diese offnen Dorfschaften bilden in der That die „Strafkolonien" des englischen Ackerbau- 25 proletariats. Viele der Cottages sind reine Logirhäuser, wo alles vagabundirende Gesindel der Umgegend durchpassirt. Der Landmann und seine Familie, die oft wahrhaft wunderbar in den schmutzigsten Verhältnissen Tüchtigkeit und Reinheit des Charakters bewahrt hatten, gehn hier platterdings zum Teufel. Es ist natürlich Mode unter den vornehmen Shylocks über die Bauspekulanten und die kleinen Eigenthümer und die offnen Orte pharisäisch die Achsel 30 zu zucken. Sie wissen sehr wohl, daß ihre „geschloßnen Dörfer und Schaudörfer" die Geburts- stätten der „offnen Orte" sind und ohne dieselben nicht existiren könnten. „Ohne die kleinen Eigenthümer der offnen Orte müßte der größte Theil der Landarbeiter unter den Bäumen der Güter schlafen, worauf sie arbeiten." (I.e. p. 135.) Das System der „offnen" und „geschloßnen" Dörfer herrscht in allen Midlands und im ganzen Osten Englands. 1 6 6 ) „Der Hausvermiether (der Pächter oder Landlord) bereichert sich direkt oder indirekt durch die Arbeit eines Mannes, dem er 10 sh. per Woche zahlt, und zwackt dann wieder von diesem armen Teufel 4 oder 5 Pfd. St. jährliche Miethe für Häuser ab, die keine 20 Pfd. St. auf offnem Markt werth sind, aber auf ihrem künstlichen Preis erhalten werden durch die Macht des Eigenthümers zu sagen: ,Nimm mein Haus, oder pack' Dich und suche anderswo 40 ein Unterkommen, ohne Arbeitszeugniß von mir' ... Wünscht ein Mann sich zu verbessern und als Schienenleger zu einer Eisenbahn zu gehn oder einem Steinbruch, wieder ist dieselbe Macht bereit mit einem: ,Arbeite für mich zu diesem niedrigen Arbeitslohn, oder pack' Dich auf eine Woche Kündigung; nimm Dein Schwein mit Dir, wenn Du eins hast, und schau zu, was Du aus den Kartoffeln herausschlägst, die in Deinem Garten wachsen.' Steht jedoch das 45 Interesse nach der andren Seite, so zieht in solchen Fällen der Eigenthümer (resp. Pächter) manchmal eine erhöhte Hausmiethe vor als Strafe für die Desertion aus seinem Dienst." (Dr. Hunter 1. c. p. 132.) 35 616 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 trotz der augenfälligen Ungeheuerlichkeit der gegenwärtigen Behausung, kompetente Beobachter einstimmig zu dem Schlußresultat gelangen, daß selbst die allgemeine Nichtswürdigkeit der Wohnungen noch ein unend- lich minder drückendes Uebel ist als ihr bloß numerischer Mangel. Seit Jahren war die Ueberstopfung der Wohnungen der Landarbeiter ein Ge- genstand tiefen Kummers nicht nur für Personen, die auf Gesundheit, sondern für alle, die auf anständiges und moralisches Leben halten. Denn, wieder und wieder, in Ausdrücken so gleichförmig, daß sie stereotypic zu sein scheinen, denunciren die Berichterstatter über die Verbreitung epide- 10 mischer Krankheiten in den ländlichen Distrikten Hausüberfüllung als eine Ursache, die jeden Versuch, den Fortschritt einer einmal eingeführten Epidemie aufzuhalten, durchaus vereitelt. Und wieder und wieder ward nachgewiesen, daß den vielen gesunden Einflüssen des Landlebens zum Trotz die Agglomeration, welche das Umsichgreifen ansteckender Krank- 15 heiten so sehr beschleunigt, auch die Entstehung nicht ansteckender Krank- heiten fördert. Und die Personen, welche diesen Zustand denuncirt ha- ben, verschwiegen weitres Unheil nicht. Selbst wo ihr ursprüngliches Thema nur die Gesundheitspflege betraf, waren sie beinahe gezwungen, auf die andren Seiten des Gegenstandes einzugehn. Indem sie nachwiesen, 20 wie häufig es sich ereignet, daß erwachsne Personen beiderlei Geschlechts, verheirathet und unverheirathet, zusammengehudelt (huddled) werden in engen Schlafstuben, mußten ihre Berichte die Ueberzeugung hervorrufen, daß unter den beschriebenen Umständen Scham- und Anstandsgefühl aufs gröbste verletzt und alle Moralität fast nothwendig ruinirt wird 1 6 7). ... Z . B . im Appendix meines letzten Berichts erwähnt ||653| Dr. Ord, in seinem Be- richt über den Fieberausbruch zu Wing in Buckinghamshire, wie ein junger Mann von Wingrave mit Fieber dorthin kam. In den ersten Tagen seiner Krankheit schlief er mit 9 andren Personen in einem Gemach zu- sammen. In zwei Wochen wurden verschiedne Personen ergriffen, im Ver- lauf weniger Wochen verfielen 5 von den 9 Personen dem Fieber und eine starb! Gleichzeitig berichtete mir Dr. Harvey von St. George's Spital, der Wing während der Epidemiezeit in Angelegenheiten seiner Privatpraxis be- 25 30 35 1 6 7 ) „Jung verheirathete Paare sind kein erbauliches Studium für erwachsne Brüder und Schwestern in derselben Schlafstube; und obgleich Beispiele nicht registrirt werden dürfen, liegen hinreichende Data vor, um die Bemerkung zu rechtfertigen, daß großes Leid und oft der Tod das Loos der weiblichen Theilnehmer am Verbrechen der Blutschande ist." (Dr. Hun- ter 1. c. p. 137.) Ein ländlicher Polizeibeamter, der viele Jahre durch als Detektiv in den schlechtesten Vierteln von London funktionirt hatte, sagt von den Mädchen seines Dorfs aus: „Ihre grobe Immoralität im frühen Alter, ihre Frechheit und Schamlosigkeit habe ich niemals 40 während meines Polizeilebens in den schlechtesten Theilen von London erreicht gesehn ... Sie leben wie Schweine, große Jungen und Mädchen, Mütter und Väter, alles schläft zusam- men in derselben Stube." (,,Child. Empi. Comm. Sixth Report. Lond. 1867", Appendix, p. 77, n. 155.) 617 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals suchte, in demselben Sinne: „Ein junges, fieberkrankes Frauenzimmer schlief Nachts in derselben Stube mit Vater, Mutter, ihrem Bastardkind, zwei jungen Männern, ihren Brüdern, und ihren zwei Schwestern, jede mit einem Bastard, in allem 10 Personen. Wenige Wochen vorher schliefen 13 Kinder in demselben R ä u m e " 1 6 8 ) . Dr. Hunter untersuchte 5375 Landarbeiter-Cottages, nicht nur in den reinen Agrikulturdistrikten, sondern in allen Grafschaften Englands. Unter diesen 5375 hatten 2195 nur eine Schlafstube (oft zugleich Wohnstube), 2930 nur 2 und 250 mehr als 2. Ich will für ein Dutzend Grafschaften eine kurze Blüthenlese geben. 5 10 1) Bedfordshire. Wrestlingworth: Schlafzimmer ungefähr 12 Fuß lang und 10 breit, ob- gleich viele kleiner sind. Die kleine einstöckige Hütte wird oft durch Bret- ter in zwei Schlafstuben getheilt, oft ein Bett in einer Küche 5 Fuß 6 Zoll hoch. Miethe 3 Pfd. St. Die Miether haben ihre eignen Abtritte zu bauen, 15 der Hauseigenthümer liefert nur ein Loch. So oft einer einen Abtritt baut, wird letzterer von der ganzen Nachbarschaft benutzt. Ein Haus Namens Richardson von unerreichbarer Schöne. Seine Mörtelwände bauschten aus wie ein Damenkleid beim Knix. Ein Giebelende war konvex, das andre konkav, und auf dem letztren stand unglücklicher Weise ein Schornstein, 20 ein krummes Rohr von Lehm und Holz gleich einem Elephantenrüssel. Ein langer Stock diente als Stütze, um den Fall des Schornsteins zu ver- hindern, Thür und Fenster rautenförmig. Von 17 besuchten Häusern nur 4 mit mehr als 1 Schlafzimmer und diese 4 überstopft. Die einschläfrigen Cots bargen 3 Erwachsne mit 3 Kindern, ein verheirathetes Paar mit 25 6 Kindern u. s. w. Dunton: Hohe Hausrenten, von 4 bis 5 Pfd. St., Wochenlohn der Män- ner 10 sh. Sie hoffen durch Strohflechten der Familie ||654| die Miethe her- auszuschlagen. Je höher die Hausmiethe, desto größer die Zahl, die sich zusammenthun muß, um sie zu zahlen. Sechs Erwachsne, die mit 4 Kin- 30 dem in einer Schlafstube, zahlen dafür 3 Pfd. 10 sh. Das wohlfeilste Haus in Dunton, von der Außenseite 15 Fuß lang, 10 breit, vermiethet für 3 Pfd. St. Nur eins von den 14 untersuchten Häusern hatte zwei Schlafstuben. Et- was vor dem Dorf ein Haus, von den Insassen bekothet vor seinen Außen- wänden, die untern 9 Zoll der Thür verschwunden durch reinen Verfau- 35 lungsproceß, einige Ziegelsteine von innen sinnreich des Abends beim Zuschließen vorgeschoben und mit etwas Matte verhangen. Ein halbes Fenster, sammt Glas und Rahmen, war ganz den Weg alles Fleisches ge- gangen. Hier, ohne Möbel, hudelten 3 Erwachsne und 5 Kinder zusam- men. Dunton ist nicht schlimmer als der Rest der Biggleswade Union. 1 6 8 ) „Public Health. Seventh Report. 1864", p.9-14 passim. 40 618 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 2) Berkshire. Beenham: Juni 1864 lebte ein Mann, Frau, 4 Kinder in einem Cot (ein- stöckigen Cottage). Eine Tochter kam heim aus dem Dienst mit Scharlach- fieber. Sie starb. Ein Kind erkrankte und starb. Die Mutter und ein Kind litten am Typhus, als Dr. Hunter gerufen wurde. Der Vater und ein Kind schliefen auswärts, aber die Schwierigkeit, Isolirung zu sichern, zeigte sich hier, denn im vollgepropften Markt des elenden Dorfs lag das Leinen des fiebergeschlagnen Hauses, auf Wäsche wartend. - Die Miethe von H.'s Haus 1 sh. wöchentlich; das eine Schlafzimmer für ein Paar und 6 Kinder. 10 Ein Haus vermiethet zu 8 d. (wöchentlich), 14 Fuß 6 Zoll lang, 7 Fuß breit, Küche 6 Fuß hoch; das Schlafzimmer ohne Fenster, Feuerplatz, Thür, noch Oeffnung, außer nach dem Gang zu, kein Garten. Ein Mann lebte hier vor kurzem mit zwei erwachsnen Töchtern und einem aufwachsenden Sohn; Vater und Sohn schliefen auf dem Bett, die Mädchen auf dem Haus- 15 gang. Jede hatte ein Kind, so lange die Familie hier lebte, aber eine ging zum Workhouse für ihre Entbindung und kehrte dann heim. 3) Buckinghamshire. 30 Cottages - auf 1000 Acres Land - enthalten hier ungefähr 1 3 0 - 1 4 0 Personen. Die Pfarrei von Bradenham umfaßt 1000 Acres; sie 20 hatte 1851 36 Häuser und eine Bevölkerung von 84 Manns- und 54 Weibs- personen. Diese geschlechtliche Ungleichheit geheilt 1861, wo sie 98 männlichen und 87 weiblichen Geschlechts zählte, Zuwachs in 10 Jahren von 14 Männern und ||655| 33 Weibern. Unterdeß hatte die Häuserzahl um 1 abgenommen. 25 Winslow: Großer Theil davon neu gebaut in gutem Styl; Nachfrage nach Häusern scheint bedeutend, weil sehr armselige Cots vermiethet zu 1 sh. und 1 sh. 3 d. per Woche. Water Eaton: Hier haben die Eigenthümer im Angesicht wachsender Be- völkerung ungefähr 20 % der existirenden Häuser zerstört. Ein armer Ar- 30 beiter, der ungefähr 4 Meilen zu seinem Werk zu gehn hatte, antwortete auf die Frage, ob er kein Cot näher finden könnte: „Nein, sie werden sich verdammt hüten, einen Mann mit meiner großen Familie aufzuneh- men." Tinker's End, bei Winslow: Eine Schlafstube, worin 4 Erwachsne und 35 5 Kinder, 11 Fuß lang, 9 Fuß breit, 6 Fuß 5 Zoll hoch am höchsten Punkt; ein andres 11 Fuß 7 Zoll lang, 9 Fuß breit, 5 Fuß 10 Zoll hoch, beherbergte 6 Personen. Jede dieser Familien hatte weniger Raum als nöthig für einen Galeerensträfling. Kein Haus hatte mehr als ein Schlafzimmer, keins eine Hinterthür, Wasser sehr selten. Wochenmiethe von 1 sh. 4 d. zu 2 sh. In 16 40 untersuchten Häusern nur ein einziger Mann, der 10 sh. wöchentlich ver- diente. Das Luftreservoir, jeder Person in dem erwähnten Falle gegönnt, 619 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals entspricht dem, das ihr zu gut käme, wenn des Nachts eingeschlossen in eine Schachtel von 4 Fuß Kubik. Allerdings bieten die alten Hütten eine Masse naturwüchsiger Ventilation. 4) Cambridgeshire. Gamblingay gehört verschiednen Eigenthümern. Es enthält die lumpig- sten Cots, die man irgendwo finden kann. Viel Strohflechterei. Eine tödt- liche Mattheit, eine hoffnungslose Ergebung in Schmutz beherrscht Gam- blingay. Die Vernachlässigung in seinem Centrum wird zur Tortur an den Extremitäten, Nord und Süd, wo die Häuser stückweis abfaulen. Die abwe- senden Landlords lassen dem armen Nest flott zur Ader. Die Miethen sind 10 sehr hoch; 8 bis 9 Personen gepackt in ein einschläfriges Zimmer, in zwei Fällen 6 Erwachsne mit je 1 und 2 Kindern in einer kleinen Schlafstube. 5 5) Essex. In dieser Grafschaft gehn in vielen Pfarreien Abnahme von Personen und Cottages Hand in Hand. In nicht weniger als 22 Pfarreien hat jedoch 15 die Häuserzerstörung den Bevölkerungsanwachs nicht aufgehalten, oder nicht die Expulsion bewirkt, ||656| welche unter dem Namen: „Wanderung nach den Städten" überall vorgeht. In Fingringhoe, einer Pfarrei von 3443 Acres, standen 1851 145 Häuser, 1861 nur noch 110, aber das Volk wollte nicht fort und brachte es fertig, selbst unter dieser Behandlung zuzu- 20 nehmen. Zu Ramsden Crays bewohnten 1851 252 Personen 61 Häuser, aber 1861 waren 262 Personen in 49 Häuser gequetscht. In Basildon lebten 1851 auf 1827 Acres 157 Personen in 35 Häusern, am Ende des Decenni- ums 180 Personen in 27 Häusern. In den Pfarreien von Fingringhoe, South Fambridge, Widford, Basildon und Ramsden Crays lebten 1851 auf 25 8449 Acres 1392 Personen in 316 Häusern, 1861 auf demselben Areal 1473 Personen in 249 Häusern. 6) Herefordshire. Diese kleine Grafschaft hat mehr gelitten vom „Evictionsgeist" als ir- gend eine andre in England. Zu Madley gehören die überstopften Cottages, 30 meist mit 2 Schlafzimmern, großentheils den Pächtern. Sie vermiethen selbe leicht zu 3 oder 4 Pfd. St. per Jahr und zahlen Wochenlohn von 9 sh.! 7) Huntingdonshire. Hartford hatte 1851 87 Häuser, kurz nachher 19 Cottages zerstört in dieser kleinen Pfarrei von 1720 Acres; Einwohnerschaft 1831: 452 Per- 35 sonen, 1851: 382 und 1861: 341. Vierzehn einschläfrige Cots untersucht. In einem 1 verheirathetes Paar, 3 erwachsne Söhne, 1 erwachsnes Mädchen, 4 Kinder, zusammen 10; in einem andren 3 Erwachsne, 6 Kinder. Eine dieser Stuben, worin 8 Personen schliefen, war 12 Fuß 10 Zoll lang, 12 Fuß 2 Zoll breit, 6 Fuß 9 Zoll hoch; Durchschnittsmaß, ohne Abzug der Vor- 40 Sprünge, ergab ungefähr 130 Kubikfuß per Kopf. In den 14 Schlafstuben 620 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 34 Erwachsne und 33 Kinder. Diese Cottages selten mit Gärtchen versehn, aber viele der Insassen konnten kleine Fetzen Land, 10 oder 12 sh. per rood (Y4 Acre) pachten. Diese allotments sind entfernt von den abtrittslosen Häusern. Die Familie muß entweder zu ihrer Parcelle gehn, um ihre Exkre- 5 mente abzulagern, oder, wie es, mit Respekt zu melden hier geschieht, die Schublade eines Schranks damit füllen. Sobald sie voll, wird sie ausge- zogen und dort entleert, wo ihr Inhalt nöthig ist. In Japan geht der Cirkel- lauf der Lebensbedingungen reinlicher von statten. 10 8) Lincolnshire. Langtoft: Ein Mann wohnt hier in Wright's Haus mit seiner ||657| Frau, ihrer Mutter und 5 Kindern; das Haus hat Vorderküche, Spülkammer, Schlafzimmer über der Vorderküche; Vorderküche und Schlafstube 12 Fuß 2 Zoll lang, 9 Fuß 5 Zoll breit, die ganze Grundfläche 21 Fuß 3 Zoll lang, 9 Fuß 5 Zoll breit. Die Schlafstube ist ein Dachraum, die Wände laufen 15 zuckerhutig an der Decke zusammen, und ein Klappfenster öffnet sich in der Front. Warum wohnte er hier? Garten? Außerordentlich winzig. Miethe? Hoch, 1 sh. 3 d. per Woche. Nah seiner Arbeit? Nein, 6 Meilen entfernt, so daß er täglich 12 Meilen hin und her vermarschirt. Er wohnte da, weil es ein vermietbares Cot war, und weil er ein Cot für sich allein 20 haben wollte, irgendwo, zu irgend einem Preis, in irgend einem Zustand. Folgendes ist die Statistik von 12 Häusern in Langtoft mit 12 Schlafstuben, 38 Erwachsnen und 36 Kindern: 12 Häuser in Langtoft. Häuser. Schlaf- Er- . Kinder. Per- Häuser. Schlaf- Er- Kinder. Per- 25 stuben wachsne. sonen- zahl. stuben. wachsne. sonen- zahl. 30 9) Kent. Kennington, höchst traurig überfüllt 1859, als die Diptherie erschien 35 und der Kirchspielsarzt eine amtliche Untersuchung über die Lage der är- meren Volksklasse veranstaltete. Er fand, daß in dieser Ortschaft, wo viel Arbeit nöthig, verschiedne Cots zerstört und keine neuen erbaut worden waren. In einem Bezirk standen 4 Häuser, birdcages (Vogelkäfige) be- namst; jedes hatte 4 Zimmer mit den folgenden Dimensionen in Fuß und 40 Zoll: 621 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Küche Spülkammer Schlafzimmer Schlafzimmer 9 , 5 X 8 , 1 1 X 6 , 6 8,6 x 4,6 x 6,6 8 , 5 X 5 , 1 0 X 6 , 3 8,3 x 8,4 x 6,3 5 10) Northamptonshire. Brixworth, Pitsford und Floore: In diesen Dörfern lungern im Winter 2 0 - 3 0 Mann aus Arbeitsmangel auf den Straßen herum. ||658| Die Pächter bestellen nicht immer hinreichend das Korn- und Wurzelland, und der Landlord hat es passend gefunden, alle seine Pachten in 2 oder 3 zusam- menzuwerfen. Daher Mangel an Beschäftigung. Während von der einen 10 Seite des Grabens das Feld nach Arbeit schreit, werfen ihm die geprellten Arbeiter von der andren Seite sehnsüchtige Blicke zu. Fieberhaft überar- beitet im Sommer und halbverhungert im Winter, ist es kein Wunder, wenn sie in ihrem eignen Dialekt sagen, daß ,,the parson and gentlefolks seem them" 1 6 8 death frit a ) . to 15 at Zu Floore Beispiele von Paaren mit 4, 5, 6 Kindern in einer Schlafstube kleinster Ausgabe, ditto 3 Erwachsne mit 5 Kindern, ditto ein Paar mit Großvater und 6 scharlachkranken Kindern etc.; in 2 Häusern mit 2 Schlafstuben 2 Familien von je 8 und 9 Erwachsnen. 11) Wiltshire. Strattoni 31 Häuser besucht, 8 mit nur einer Schlafstube; Penhill in der- selben Pfarrei. Ein Cot vermiethet zu 1 sh. 3 d. wöchentlich an 4 Erwachsne und 4 Kinder, hatte außer guten Wänden nichts Gutes an sich, vom Estrich aus rauhgehaunen Steinen bis zum faulen Strohdach. 20 12) Worcestershire. Hauszerstörung hier nicht ganz so arg; doch von 1 8 5 1 - 1 8 6 1 vermehrte 25 sich das Personal per Haus von 4,2 zu 4,6 Individuen. Badsey: Viele Cots und Gärtchen hier. Einige Pächter erklären die Cots „a great nuisance here, because they bring the poor". (Die Cots großer Miß- stand, weil sie die Armen herbringen.) Auf die Aeußerung eines Gentie- 30 man: „Die Armen sind deßwegen um nichts besser dran; wenn man 500 Cots baut, gehn sie wie die Wecken ab, in der That je mehr man davon baut, desto mehr sind nöthig" - die Häuser bringen nach ihm die Einwoh- ner hervor, die naturgesetzlich auf „die Mittel der Behausung" drücken -, bemerkt Dr. Hunter: „Nun, diese Armen müssen irgend woher kommen, 35 und da keine besondre Attraktion, wie milde Gaben, in Badsey existirt, muß Repulsion von einem noch unbequemeren Platz existiren, der sie hierhin treibt. Könnte jeder ein Cot und ein Stückchen Land in der Nähe 1 6 8 a ) „Pfaff und Edelmann scheinen verschworen sie todt zu hetzen." 6 2 2 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation seines Arbeitsplatzes finden, so würde er solche sicher Badsey vorziehn, wo er für seine Handvoll Boden zweimal soviel zahlt als der Pächter für den seinen." | |659| Die beständige Emigration nach den Städten, die beständige „Ue- 5 berzähligmachung" auf dem Land durch Koncentration von Pachtungen, Verwandlung von Acker in Weide, Maschinerie u.s.w., und die beständige Eviktion der Landbevölkerung durch Zerstörung der Cottages gehn Hand in Hand. Je menschenleerer der Distrikt, desto größer seine „relative Ue- bervölkerung", desto größer ihr Druck auf die Beschäftigungsmittel, desto 10 größer der absolute Ueberschuß des Landvolks über seine Behausungsmit- tel, desto größer also in den Dörfern die lokale Ueberpopulation und die pestilenzialischste Menschenzusammenpackung. Die Verdichtung des Menschenknäuels in zerstreuten kleinen Dörfern und Marktflecken ent- spricht der gewaltsamen Menschenentleerung auf der Oberfläche des Lan- 15 des. Die ununterbrochne „Ueberzähligmachung" der Landarbeiter trotz ihrer abnehmenden Anzahl und mit der wachsenden Masse ihres Produkts, ist die Wiege ihres Pauperismus. Ihr eventueller Pauperismus ist ein Motiv ihrer Eviktion und die Hauptquelle ihrer Wohnlichkeitsmisère, welche die letzte Widerstandsfähigkeit bricht und sie zu reinen Sklaven der Grund- 20 herrn 1 6 9) und Pächter macht, so daß das Minimum des Arbeitslohns sich zum Naturgesetz für sie befestigt. Andrerseits ist das Land trotz seiner be- ständigen „relativen Uebervölkerung" zugleich untervölkert. Dies zeigt sich nicht nur lokal auf solchen Punkten, wo der Menschenabfluß nach den Städten, Minen, Eisenbahnbauten u. s. w. zu rasch vorgeht, es zeigt sich überall sowohl zur Erntezeit als im Frühling und Sommer während der zahlreichen Momente, wo die sehr sorgfältige und intensive englische Agrikultur Extrahände braucht. Es sind der Landarbeiter stets zu viel für die mittleren und stets zu wenig für die ausnahmsweisen oder temporären Bedürfnisse des Landbaus 1 7 0). Da||660|her findet man in den officiellen Do- 25 30 1 6 9 ) "The heaven-born employment of the hind gives dignity even to his position. He is not a slave, but a soldier of peace, and deserves his place in married man's quarters, to be provided by the landlord, who has claimed a power of enforced labour similar to that the country de- mands of a military soldier. He no more receives market-price for his work than does a sol- dier. Like the soldier he is caught young, ignorant, knowing only his own trade and his own lo- 35 cality. Early marriage and the operation of the various laws of settlement affect the one as enlistment and the Mutiny Act affect the other." (Dr. Hunter I.e. p. 132.) Manchmal erweicht sich irgend ein ausnahmsweis schwachherziger Landlord über die von ihm geschaffene Ein- öde. „Es ist ein melancholisch Ding allein in seinem Land zu sein", sagte der Graf von Lei- cester, als man ihm zum Fertigbau von Holkham gratulirte: „ich schaue um mich und sehe 40 kein Haus außer meinem eignen. Ich bin der Riese vom Riesenthurm und habe alle meine Nachbarn aufgegessen." 1 7°) Aehnliche Bewegung seit den letzten Decennien in Frankreich, im Maß wie sich dort die kapitalistische Produktion der Agrikultur bemächtigt und die „überzählige" Landbevölkerung nach den Städten treibt. Ebenso hier verschlechterte Wohnlichkeits- und sonstige Verhält- 6 2 3 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals kumenten die widerspruchsvolle Klage derselben Orte über gleichzeitigen Arbeitsmangel und Arbeitsüberfluß registrirt. Der temporäre oder lokale Arbeitsmangel bewirkt keine Erhöhung des Arbeitslohns, sondern Pressung von Weibern und Kindern in den Feldbau und Herabsteigen zu stets nied- rigeren Altersstufen. Sobald die Weiber- und Kinderausbeutung größeren Spielraum gewinnt, wird sie ihrerseits ein neues Mittel zur Ueberzähligma- chung des männlichen Landarbeiters und Niederhaltung seines Lohns. Im Osten Englands blüht eine schöne Frucht dieses cercle vicieux - das sog. Gangsystem (Gang- oder Bandensystem), worauf ich hier kurz zurück- k o m m e 1 7 1 ) . 5 10 Das Gangsystem haust fast ausschließlich in Lincolnshire, Huntingdon- shire, Cambridgeshire, Norfolk, Suffolk und Nottinghamshire, sporadisch in den benachbarten Grafschaften von Northampton, Bedford und Rut- land. Als Beispiel diene hier Lincolnshire. Ein großer Theil dieser Graf- schaft ist neu, früheres Moor oder auch, wie in andren der genannten östli- 15 chen Grafschaften, der See erst abgewonnenes Land. Die Dampfmaschine hat für die Entwässerung Wunder gewirkt. Früherer Morast und Sandbo- den trägt jetzt ein üppiges Kornmeer und die höchsten Grundrenten. Das- selbe gilt von dem künstlich gewonnenen Alluvialland, wie in der Insel von Axholme und den andren Pfarreien am Ufer des Trent. Im Maß wie die 20 neuen Pachten entstanden, wurden nicht nur keine neuen Cottages gebaut, sondern alte niedergerissen, die Arbeitszufuhr aber verschafft aus den mei- lenweit entfernten offnen Dörfern längs den Landstraßen, die an Hügelrük- ken vorbeischlängeln. Dort hatte die Bevölkerung früher allein Schutz vor | |661| den langanhaltenden Winterüberschwemmungen gefunden. Auf den 25 Pachten von 400 bis 1000 Acres ansässige Arbeiter (sie heißen hier ,,con- fined labourers") dienen ausschließlich zur permanenten schweren und mit Pferden verrichteten Landarbeit. Auf je 100 Acres (1 Acre = 40,49 Aren oder 1,584 preußische Morgen) kommt im Durchschnitt kaum eine Cottage. Ein Fenlandpächter z.B. sagt aus vor der Untersuchungskom- 30 nisse an der Quelle der „Ueberzähligen". Ueber das eigenthümliche „Proletariat foncier", wel- ches das Parcellensystem ausgebrütet hat, sieh u. a. die früher citirte Schrift von Colins und Karl Marx: Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg 1869, p.56 sqq. 1846 betrug die städtische Bevölkerung in Frankreich 24,42, die ländliche 75,58 %, 1861 die städtische 28,86, die ländliche 71,14%. In den letzten 5 Jahren ist die Abnahme der ländli- 35 chen Procenttheile der Bevölkerung noch größer. Schon 1846 sang Pierre Dupont in seinen ,,Ouvriers": «Mal vêtus, logés dans des trous, Sous les combles, dans les décombres, Nous vivons avec les hiboux Et les larrons, amis des ombres.» 40 m) Der sechste und schließliche Report der Child. Empi. Comm., publicirt Ende März 1867, behandelt nur das agrikole Gangsystem. 624 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation mission: „Meine Pachtung erstreckt sich über 320 Acres, alles Kornland. Sie hat keine Cottage. Ein Arbeiter wohnt jetzt bei mir. Ich habe vier Pfer- demänner in der Umgegend logirend. Das leichte Werk, wozu zahlreiche Hände nöthig, wird durch Gänge vollbracht" 1 7 2). Der Boden erheischt viel leichtes Feldwerk wie Ausjäten des Unkrauts, Behackung, gewisse Dünger- operationen, Auflesen der Steine u.s.w. Es wird verrichtet durch die Gänge oder organisirten Banden, deren Wohnsitz in den offnen Ortschaften. 5 Der Gang besteht aus 10 bis 40 oder 50 Personen, nämlich Weibern, jun- gen Personen beiderlei Geschlechts ( 1 3 - 1 8 Jahr), obgleich Jungen meist 10 mit dem 13. Jahr ausscheiden, endlich Kindern beiderlei Geschlechts ( 6 - 1 3 Jahr). An der Spitze steht der Gangmaster (Gangmeister), immer ein gewöhnlicher Landarbeiter, meist ein sog. schlechter Kerl, Liederjahn, un- stät, versoffen, aber mit einem gewissen Unternehmungsgeist und savoir faire. Er wirbt den Gang, der unter ihm arbeitet, nicht unter dem Pächter. 15 Mit letztrem akkordirt er meist auf Stückwerk, und sein Einkommen, das im Durchschnitt nicht sehr hoch über das eines gewöhnlichen Landarbei- ters steigt 1 7 3), hängt fast ganz ab vom Geschick, womit er in kürzester Zeit möglichst viel Arbeit aus seiner Bande flüssig zu machen weiß. Die Päch- ter haben entdeckt, daß Frauenzimmer nur unter männlicher Diktatur or- 20 dentlich arbeiten, daß aber Frauenzimmer und Kinder, wenn einmal im Zug, mit wahrem Ungestüm, was schon Fourier wußte, ihre Lebenskraft verausgaben, während der erwachsne männliche Arbeiter so heimtückisch ist damit, soviel er kann, hauszuhalten. Der Gangmeister zieht von einem Gut zum andren und beschäftigt so seine Bande 6 - 8 Monate im Jahr. 25 Seine Kundschaft ist daher viel einträglicher und sicherer für die Arbeiter- familien als die des einzelnen Pächters, welcher nur gelegentlich Kinder beschäftigt. ||662| Dieser Umstand befestigt seinen Einfluß in den offnen Ortschaften so sehr, daß Kinder meist nur durch seine Vermittlung dingbar sind. Individuelles Verpumpen der letztren, getrennt vom Gang, bildet sein 30 Nebengeschäft. Die „Schattenseiten" des Systems sind die Ueberarbeit der Kinder und jungen Personen, die ungeheuren Märsche, die sie täglich zu und von den 5, 6 und manchmal 7 Meilen entfernten Gütern zurücklegen, endlich die Demoralisation des „Gangs". Obgleich der Gangmeister, der in einigen 35 Gegenden „the driver" (Treiber) heißt, mit einem langen Stabe ausgerüstet ist, wendet er solchen jedoch nur selten an, und Klage über brutale B e - handlung ist Ausnahme. Er ist ein demokratischer Kaiser oder eine Art Rattenfänger von Hameln. Er bedarf also der Popularität unter seinen Un- 40 m) Child. Empi. Comm. VI. Report. Evidence, p. 37, η. 173. (cid:5) Fenland = Marschland. 1 7 3 ) Einzelne Gangmeister jedoch haben sich zu Pächtern von 500 Acres oder Besitzern gan- zer Häuserreihen heraufgearbeitet. 625 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals terthanen und fesselt sie an sich durch das unter seinen Auspicien blü- hende Zigeunerthum. Rohe Ungebundenheit, lustige Ausgelassenheit und obscönste Frechheit leihen dem Gang Flügel. Meist zahlt der Gangmeister in einer Kneipe aus und kehrt dann wohl wankend, rechts und links ge- stützt auf ein stämmiges Frauenmensch, an der Spitze des Zugs heim, die Kinder und jungen Personen hinterher tollend, Spott und Zotenlieder sin- gend. Auf dem Rückweg ist das, was Fourier „Phanerogamie" nennt, an der Tagesordnung. Die Schwängerung dreizehn- und vierzehnjähriger Mäd- chen durch ihre männlichen Altersgenossen ist häufig. Die offnen Dörfer, welche das Kontingent des Gangs stellen, werden Sodoms und Gomor- r h a s 1 7 4 ) und liefern doppelt so viel uneheliche Geburten als der Rest des Königreichs. Was in dieser Schule gezüchtete Mädchen als verheirathete Frauen in der Moralität leisten, ward schon früher angedeutet. Ihre Kinder, soweit Opium ihnen nicht den Garaus macht, sind geborne Rekruten des Gangs. Der Gang in seiner eben beschriebenen klassischen Form heißt öffentli- cher, gemeiner, oder Wandergang (public, common or tramping gang). Es giebt nämlich auch Privatgänge (private gangs). Sie sind zusammengesetzt wie der Gemeingang, zählen aber weniger Köpfe und arbeiten, statt unter dem Gangmeister, unter einem alten Bauernknecht, den der Pächter nicht besser zu verwenden weiß. Der Zigeunerhumor verschwindet hier, aber nach allen Zeugenaussagen verschlechtern sich Zahlung und Behandlung der Kinder. | 5 10 15 20 |663| Das Gangsystem, das sich seit den letzten Jahren beständig aus- dehnt 1 7 5), existirt offenbar nicht dem Gangmeister zu lieb. Es existirt zur 25 Bereicherung der großen Pächter 1 7 6), resp. Grundherrn 1 7 7). Für den Pächter giebt's keine sinnreichere Methode, sein Arbeiterpersonal tief unter dem normalen Niveau zu halten und dennoch für alles Extrawerk stets die Ex- trahand bereit zu haben, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Arbeit herauszuschlagen 1 7 8) und den erwachsnen männlichen Arbeiter „überzäh- 30 1 7 4 ) „Die Hälfte der Mädchen von Ludford ist ruinirt worden durch den Gang." I.e. Appendix, p. 6, n. 32. 1 7 5 ) „Das System hat sehr zugenommen in den letzten Jahren. In einigen Plätzen ist es erst seit kurzem eingeführt, in andren, wo es älter, werden mehr und jüngere Kinder in den Gang einrollirt." (1. c. p. 79, n. 174.) 1 7 6 ) „Kleine Pächter wenden die Gangarbeit nicht an." „Sie wird nicht angewandt auf armem Land, sondern auf Land, was 2 Pfd. St. bis 2 Pfd. St. 10 sh. Rente per Acre bringt." (I.e. p. 17 u. 14.) 1 7 7 ) Einem dieser Herrn schmecken seine Renten so gut, daß er der Untersuchungskommis- sion entrüstet erklärt, der ganze Schrei sei nur dem Namen des Systems geschuldet. Wenn 40 man es statt „Gang" dahingegen Jugendliche industriell-agrikol-kooperative Selbsterhal- tungsassociation" taufe, so wäre alles all right. 1 7 8 ) „Gangarbeit ist wohlfeiler als andre Arbeit, das ist die Ursache, warum sie angewandt 35 6 2 6 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation lig" zu machen. Nach der früheren Auseinandersetzung versteht man, wenn einerseits die größere oder geringere Beschäftigungslosigkeit des Landmanns zugestanden, andrerseits zugleich das Gangsystem wegen Mangels an männlicher Arbeit und ihrer Wanderung nach den Städten für 5 „nothwendig" erklärt wird 1 7 9). Das unkrautreine Feld und das Menschen- unkraut von Lincolnshire u. s. w. sind Pol und Gegenpol der kapitalisti- schen Produktion 1 8 0). | wird", sagt ein ehemaliger Gangmeister. (1. c. p. 17, n. 14.) „Das Gangsystem ist entschieden das wohlfeilste für den Pächter und eben so entschieden das verderblichste für die Kinder", 10 sagt ein Pächter. (1. c. p. 16, n. 3.) 15 1 7 9 ) „Zweifelsohne vieles jetzt von den Kindern in Gängen verrichtete Werk wurde früher von Männern und Weibern verrichtet. Wo Weiber und Kinder angewandt werden, sind jetzt mehr Männer arbeitslos (more men are out of work) als früher." (I.e. p. 43, n. 202.) Dagegen u.a.: „Die Arbeitsfrage (labour question) in vielen Agrikulturdistrikten, besonders den kornprodu- cirenden, wird so ernsthaft in Folge der Auswanderung und der Leichtigkeit, welche die Eisenbahnen zur Entfernung nach den großen Städten bieten, daß ich (das „Ich" ist das des Landagenten eines großen Herrn) die Kinderdienste für absolut unentbehrlich halte." (1. c. p. 80, n. 180.) The Labour Question (die Arbeitsfrage) bedeutet nämlich in den englischen Agrikulturdistrikten, im Unterschied von der übrigen civilisirten Welt, the landlords' and far- 20 mers' Question (Grundherren- und Pächterfrage): wie, trotz stets vermehrtem Abzug der Landleute, eine genügende „relative Uebervölkerung" auf dem Land und dadurch das „Mini- mum des Arbeitslohns" für den Landarbeiter zu verewigen sei? 180) D e r früher von mir citirte „Public Health Report ", worin bei Gelegenheit der Kinder- sterblichkeit vorübergehend vom Gangsystem gehandelt wird, blieb der Presse und daher dem 25 englischen Publikum unbekannt. Dagegen bot der letzte Bericht der „Child. Empi. Comm." willkommenes, ,,sensational" Preßfutter. Während die liberale Presse frug, wie doch die feinen Gentlemen und Ladies und Staatskirchpfründner, womit Lincolnshire schwärmt, ein solches System auf ihren Gütern, unter ihren Augen aufwachsen lassen konnten, Personagen, die eigne „Missionen zur. Sittenverbesserung der Südseewilden" nach den Antipoden entsenden, stellte die feinere Presse ausschließlich Betrachtungen an über die rohe Verdorbenheit der Landleute, die fähig sind, ihre Kinder in solche Sklaverei zu verkaufen! Unter den fluchwür- digen Umständen, worin „die Delikateren" den Landmann gebannt, wäre es erklärlich, wenn er seine eignen Kinder aufäße. Was wirklich wunderbar, ist die Charaktertüchtigkeit, die er großentheils bewahrt hat. Die officiellen Berichterstatter beweisen, daß die Eltern selbst in 35 den Gangdistrikten das Gangsystem verabscheuen. „Man findet reichlichen Beweis in den von uns gesammelten Zeugenaussagen, daß die Eltern in vielen Fällen dankbar sein würden für ein Zwangsgesetz, welches sie befähigen würde, den Versuchungen und dem Druck zu wi- derstehn, denen sie oft unterworfen sind. Bald treibt sie der Pfarreibeamte, bald der Anwender unter Androhung ihrer eignen Entlassung, die Kinder auf den Verdienst, statt in die Schule 40 zu schicken ... Alle verwüstete Zeit und Kraft, alles Leid, welches außerordentliche und nutz- lose Ermüdung für den Landmann und seine Familie producirt, jeder Fall, worin die Eltern den moralischen Ruin ihres Kindes auf die Ueberfüllung der Cottages oder die besudelnden Einflüsse des Gangsystems zurückleiten, stacheln in der Brust der arbeitenden Armen Ge- fühle auf, die man wohl verstehn wird, und die es unnöthig ist zu detailliren. Sie haben ein 45 Bewußtsein darüber, daß ihnen viel körperliche und geistige Qual angethan wird durch Um- stände, wofür sie in keiner Weise verantwortlich sind, welchen sie, wäre es in ihrer Macht ge- wesen, niemals ihre Zustimmung gegeben hätten, und wider welche anzukämpfen sie ohn- mächtig sind." (1. c. p. XX, n. 82 und XXIII, n. 96.) 30 627 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals |664| f) Irland. Zum Schluß dieses Abschnitts müssen wir noch einen Augenblick nach Ir- land wandern. Zunächst die Thatsachen, worauf es hier ankommt. 5 Irlands Bevölkerung war 1841 auf 8 222 664 Personen angewachsen, 1851 auf 6 623 985 zusammengeschmolzen, 1861 auf 5 850 3 0 9 , 1 8 6 6 auf 5 1^MiI- lion, ungefähr auf ihr Niveau von 1801. Die Abnahme begann mit dem Hungerjahr 1846, so daß Irland in weniger als 20 Jahren mehr als 5/ 1 6 seiner Volksmenge verlor 1 8 1). Seine Gesammtemigration von Mai 1851 bis Juli 1865 zählte 1 5 9 1 4 8 7 Personen, die Emigration während der letzten 5 Jahre 1 8 6 1 - 1 8 6 5 mehr als eine halbe Million. Die Zahl der bewohnten 10 Häuser verminderte sich von 1 8 5 1 - 1 8 6 1 um 52 990. Von 1 8 5 1 - 1 8 6 1 wuchs die Zahl der Pachthöfe von 1 5 - 3 0 Acres um 6 1 0 0 0 , die der Pacht- höfe über 30 Acres um 1 0 9 0 0 0 , während die Gesammtzahl aller Pachten um 1 2 0 0 0 0 abnahm, eine Ab||665|nahme, die also ausschließlich der Ver- nichtung von Pachten unter 15 Acres, alias ihrer Centralisation geschuldet 15 ist. Die Abnahme der Volksmenge war natürlich im Großen und Ganzen von einer Abnahme der Produktenmasse begleitet. Für unsren Zweck ge- nügt es, die 5 Jahre 1 8 6 1 - 1 8 6 5 zu betrachten, während deren über % Mil- lion emigrirte und die absolute Volkszahl um mehr als % Million sank. 20 (s.Tab.A.) Jahr. Pferde. Hornvieh. Tabelle A. Viehstand. Gesammt- zahl. 619811 614232 602 894 579 562 158 547 867 978 Abnahme. 22 5 579 11338 916 17 820 14291 1860 1861 1862 1863 1864 1865 Gesammt- zahl. 3 606 374 3 471688 3 254 890 3144231 3 262 294 3 493 414 Abnahme. Zunahme. 134686 216 798 110 659 118 063 231120 m) Bevölkerung von Irland: 1801: 5 319 867 Personen, 1811: 6 084 996, 1821: 6 869 544, 1831: 7 828 347, 1841: 8 222 664. 628 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Jahr. 1860 1861 1862 1863 1864 1865 Schafe. - • - — ^ ^ Schweine. -A- Abnahme. Zunahme. Gesammt- Abnahme. Zunahme. zahl. 99 918 147 928 13 970 58 737 321801 1271072 1102 042 1154 324 1067458 1058 480 1299 893 169030 86 866 8 978 52 282 241413 ^f-——— Gesammt- zahl. 3 542 080 3 556050 3 456132 3 308 204 3 366 941 3 688 742 Aus der vorhergehenden Tabelle ergiebt sich: Pferde. Hornvieh. Schafe. Schweine. Absolute Abnahme. 71944 Absolute Abnahme. 112 960 Absolute Zunahme. 146 662 Absolute Zunahme. 28 821 1 8 2) Wenden wir uns jetzt zum Ackerbau, der die Lebensmittel für | |666| Vieh und Mensch liefert. In der folgenden Tabelle ist Ab- oder Zu- nahme für jedes einzelne Jahr mit Bezug auf das unmittelbar vorherge- hende berechnet. Die Kornfrucht umfaßt Weizen, Hafer, Gerste, Roggen, Bohnen und Erbsen, die Grünfrucht Kartoffeln, Turnips, Mangold- und Runkelrübe, Kohl, gelbe Rüben, Parsnips, Wicke u. s. w. Tabelle B. Zu- oder Abnahme des zum Fruchtbau und als Wiese (resp. Weide) benutzten Bodenareals in Acres. Korn- frucht. Grünfrucht. Grasland und Klee. Flachs. Alles zu Ackerbau und Viehzucht dienende Land. Jahr. 1861 1862 1863 1864 1865 1861-1865 Zu- Ab- Ab- nahme, nähme, nähme, nähme, nähme. Acres Acres Acres Acres Acres Zu- r Ab- 15 701 36 974 72 734 74 19358 144 719 122 437 2317 72 428 041 108 013 450 47 969 6 785 47 25 421 623 7 724 486 68 970 82 834 Zu- Zu- Ab- Ab- nahme, nähme, nähme, nähme. Acres Acres 19271 2 055 63 922 87 761 81373 138 841 92 431 Acres Acres 10493 50159 28218 122 850 330 370 Im Jahr 1865 kamen unter der Rubrik „Grasland" 127 470 Acres hinzu, hauptsächlich weil das Areal unter der Rubrik „unbenutztes wüstes Land 1 8 2 ) Das Ergebniß würde sich ungünstiger stellen, wenn wir weiter zurückgingen. So Schafe 1865: 3 688 742, aber 1856: 3 694294, Schweine 1865: 1299 893, aber 1858: 1409 883. 629 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals und Bog (Torfmoor)" um 101543 Acres abnahm. Vergleichen wir 1865 mit 1864, so Abnahme in Kornfrucht 246 667 Qrs., wovon 48 999 Weizen, 166 605 Hafer, 29 892 Gerste u.s.w.; Abnahme an Kartoffeln, obgleich das Areal ihrer Bebauung 1865 wuchs, 446 398 Tonnen u.s.w. ( S . T a b . C ) Von der Bewegung der Bevölkerung und Bodenproduktion Irlands gehn wir über zur Bewegung in der Börse seiner Landlords, größeren Pächter und industriellen Kapitalisten. Sie spiegelt sich im Ab und Zu der Ein- kommensteuer. Zum Verständniß der folgenden Tabelle D sei bemerkt, daß Rubrik D (Profite mit Ausnahme der Pächterprofite) auch sog. „profes- sionelle" Profite einbegreift, d.h. die Einkommen von Advokaten, Aerzten 10 u.s.w., die nicht besonders aufgezählten Rubriken C und E aber die Ein- nahmen von Beamten, Offizieren, Staatssinekuristen, Staatsgläubigern u. s.w. I 5 [Hier folgt die Tabelle S. 6 3 1 . ] |668| Tabelle D. Der Einkommensteuer unterliegende Einkommen in Pfd. St. 1860. 1861. 1862. 1863. 1864. 1865. 12 893 829 13 003 554 13 398 938 13 494091 13 470 700 13 801616 2 765 387 2 773 644 2 937 899 2 938 923 2 930 874 2 946 072 4 891652 4836203 4 858 800 4 846 497 4 546147 4 850199 15 20 25 22 962 885 22 998 394 23 597 574 23 658 631 23 236 298 23 930 340 1 8 4) Rubrik A. Grundrente. Rubrik B. Pächterprof. Rubrik D. Industrielle etc. Profite. Sämmtliche Rubriken A bis E. Unter Rubrik D betrug die Zunahme des Einkommens im Jahresdurch- schnitt von 1 8 5 3 - 1 8 6 4 nur 0,93, während sie in derselben Periode in Groß- britannien 4,58 betrug. Die folgende Tabelle zeigt die Vertheilung der Pro- 30 fite (mit Ausschluß der Pächterprofite) für die Jahre 1864 und 1865: 1 8 4 ) Tenth Report of the Commissioners of Inland Revenue. Lond. 1866. 630 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation . q 1 7 1 1 . q 2 9 8 9 2 . q 4 8 6 5 9 8 9 3 1 4 6 3 8 1 . q 0 6 1 5 1 . q 0 8 6 2 1 6 , 1 8 , 4 1 4 , 6 1 C e r e B 9 , 1 4 , 0 1 5 , 8 C n e g g o R 7 1 0 2 3 7 . q 9 0 9 1 6 7 , 0 1 , 9 4 1 , 9 5 1 C e t s r e G 2 0 4 4 2 0 1 7 7 1 0 0 7 2 7 1 C e l l e b a T \ 1 6 6 \ . t k u d o r p t m m a s e G m e d d n u , e r c A r e p t k u d o r P m e d , s n e d o B n e t u a b e b s e d l a e r A m e d n i e m h a n b A r e d o (cid:2) u Z . 4 6 8 1 t i m n e h c i l g r e v 5 6 8 1 . e m h ä n , e m h ä n . 5 6 8 1 * (cid:5) b A (cid:5) u Z Λ . 5 6 8 1 . 4 6 8 1 e m h a n b A . 5 6 8 1 . 4 6 8 1 (cid:5) + 5 6 8 1 4 6 8 1 ' d n u * Λ ' . 5 6 8 1 e m h ä n * Λ ' 5 . t k u d o r p l a t o T e m h a n u Z . e r c A r e p t k u d o r P (cid:5) b A r e d o (cid:5) u Z . d n a L s e t u a b e b s e r c A t k u d o r P . 5 6 8 1 . q 9 9 9 8 4 3 8 7 6 2 8 . s r q 2 8 7 5 7 8 3 , 0 , 0 3 1 , 3 3 1 C n e z i e W 4 9 4 9 9 8 9 6 6 2 3 8 4 6 7 2 n e z i e W . q 5 0 6 6 6 1 7 2 7 9 5 6 7 . q 2 3 3 6 2 8 7 2 , 0 3 , 2 1 1 , 2 1 . C r e f a H 8 5 6 9 6 8 2 2 5 4 7 1 6 8 8 4 1 8 1 r e f a H 0 1 . T 8 9 3 6 4 4 . T 6 7 9 5 6 1 0 9 9 5 6 8 3 8 6 1 0 3 3 3 . T 8 8 3 2 1 3 4 5 , 0 » 9 5 6 7 6 4 3 4 , 0 6 , 3 9 , 9 1 , 4 3 , 0 1 n l e f f o t r a K n e n n o T - d l o g n a M . T s p i n r u T 3 4 1 3 2 1 2 4 3 3 5 5 3 7 3 3 6 3 5 6 2 0 6 2 6 6 0 1 4 2 7 9 3 0 1 n l e f f o t r a K . T 3 5 6 4 4 » 7 7 8 2 5 7 3 9 1 9 1 2 5 2 0 5 3 » 4 8 2 7 4 1 » 5 7 3 7 9 2 8 , 2 3 , 3 1 5 , 0 1 . T l e z r u w 1 , 1 4 , 0 1 3 , 9 . T l h o K 6 1 3 9 8 3 4 1 1 0 8 1 2 2 6 3 3 3 7 0 4 1 1 2 8 1 3 s e n o t S ( s h c a l F Γ 1 e t s r e G e r e B n e g g o R 5 1 (cid:5) d l o g n a M s p i n r u T l e z r u w l h o K 0 2 | . ) 3 8 1 . T 4 5 5 1 6 4 7 0 7 8 6 0 3 » 3 5 1 7 0 6 2 2 , 0 8 , 1 6 , 1 . n n o T u e H 4 2 9 8 6 3 9 4 8 7 6 1 9 6 5 9 0 6 1 . T 5 4 9 4 2 1 6 5 9 3 » 6 0 5 4 6 0 , 9 2 , 5 2 2 , 4 3 ) . 1 4 1 . v 0 6 2 0 5 3 3 4 1 5 2 3 9 6 1 0 3 s h c a l F u e H e r h a J e i d r ü f " n i l b u D , s t c a r t s b A l a r e n e G . d n a l e r I , s c i t s i t a t S l a r u t l u c i r g A , , : r e d l a i r e t a M m e d s u a t l l e t s e g n e m m a s u z d n i s s e t x e T s e d n e b a g n A e i D ) 3 8 1 - f o k i t s i t a t S e s e i d ß a d , ß i e w n a M . " 6 6 8 1 n i l b u D . c t e e c u d o r P e g a r e v A d e t a m i t s E e h t g n i w o h s s e l b a T . d n a l e r I . s c i t s i t a t S l a r u t l u c i r g A , , d n u , . q q s 0 6 8 1 5 2 . d r i w t g e l e g r o v h c i l r h ä j t n e m a l r a P m e d d n u t s i l l e i c i f n o v - 1 7 8 1 t i m n e h c i l g r e v - s n e d o B n e t u a b e b s e d l a e r A m i e m h a n b A e n i e 2 7 8 1 r h a J s a d r ü f t g i e z k i t s i t a t S e l l e i z i f f o e i D . g s u A . 2 r u z z t a s u Z s n e d o B n e t u a b e b s e d l a e r A m i " e m h a n b A „ ; . l g r e d . u l e z r u w d l o g n a M , s p i n r u T - , t h c u r f n ü r G n o v u a b n A m i t t a t s " e m h a n u Z „ d n a f s E . s e r c a 5 1 9 4 3 1 d n u s h c a l F r ü f s e r c a 7 6 6 4 3 , n l e f f o t r a K r ü f s e r c a 2 3 6 6 6 , n e g g o R d n u e t s r e G r ü f s e r c a 0 0 0 4 , r e f a H r ü f s e r c a 0 0 0 4 1 , n e z i e W r ü f s e r c a 0 0 0 6 1 n o v 2 7 8 1 r ü F . s e r c a 0 0 0 8 2 2 - 2 7 8 1 ; s e r c a 0 0 0 4 4 2 - 1 7 8 1 ; s e r c a 0 0 0 9 5 2 - 0 7 8 1 ; s e r c a 0 0 0 0 8 2 - 9 6 8 1 ; s e r c a 0 0 0 5 8 2 - 8 6 8 1 : r e t i e l n e f u t S e d n e m h e n - b a e d n e g l o f e r h a J 5 n e t z t e l e i d r ü f t g i e z n e d o B e h c i l d n i f e b r u t l u k n e z i e W r e t n u r e D . n e m a s b ü R d n u e k c i W , e e l K , n e s e i W n i r e g i n e w s e r c a 0 0 0 0 3 0 3 . n e n i e w h c S 0 0 0 6 3 2 n o v e m h a n b A e n i e d n u n e f a h c S 2 8 6 8 2 , h e i v n r o H 0 0 0 0 8 , n e d r e f P 0 0 6 2 n o v e m h a n u Z e n i e l h a Z r e d n u r n i r i w n e d n i f 631 Siebenter Abschnitt - Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Rubrik D. Einkommen aus Profiten (über 60Pfd. St.) in Irland. Tabelle E. Jährliche Gesammt- einnähme von: Jährliche Einkommen über 60 und unter 100 Pfd. St. Von der jährl. Gesammt- einnahme: Rest der jährl. Gesammt- einnahme von: Davon: 1864. Pfd. St. 1865. Pfd. St. 4 368 610 vertheilt unter 17 467 Pers. 4 669 979 vertheilt unter 18 081 P. 238 726 5 015 » 222 575 = 4703 » 10 1979066 » 11321» 2 028 571 = 12184 » 15 2150 818 » 1073 906 » 1076 912 » 430 535 » 646 377 » 262 819 » 1131» 1010 » 121» 95 » 26 » 3 » 2418833 » 1097 927 » 1320 906 » 584458 » 736448 » 274 528 » 1194 » 1044» 150 » 122 » 28 » 20 England, ein Land entwickelter kapitalistischer Produktion und Vorzugs- weis industriell, wäre verblutet an einem Volksaderlaß, ||669| gleich dem iri- 25 sehen. Aber Irland ist gegenwärtig nur ein durch einen breiten Wassergra- ben abgezäunter Agrikulturdistrikt Englands, dem es Korn, Wolle, Vieh, industrielle und militärische Rekruten liefert. Die Entvölkerung hat viel Land außer Bebauung geworfen, das Boden- produkt sehr vermindert 1 8 6), und, trotz des erweiterten Areals der Vieh- 30 zucht, in einigen ihrer Zweige absolute Abnahme erzeugt, in andren kaum nennenswerthen, durch beständige Rückschritte unterbrochnen Fort- schritt. Dennoch stiegen mit dem Fall der Volksmasse fortwährend Boden- renten und Pachtprofite, obgleich letztere nicht so konstant wie die erstren. Der Grund ist leicht verständlich. Einerseits verwandtelte sich mit der Zu- 35 sammenwerfung der Pachtungen und der Verwandlung von Ackerland in Viehweide ein größerer Theil des Gesammtprodukts in Mehrprodukt. Das Mehrprodukt wuchs, obgleich das Gesammtprodukt, wovon es einen 1 8 5 ) Das jährliche Gesammteinkommen unter Rubrik D weicht hier von der vorigen Tabelle ab, wegen gewisser gesetzlich zulässiger Abzüge. 1 8 6 ) Wenn das Produkt auch verhältnißmäßig pro Acre abnimmt, vergesse man nicht, daß England seit \ l/ 2 Jahrhunderten den Boden von Irland indirekt exportirt hat, ohne seinen Be- bauern auch nur die Mittel zum Ersatz der Bodenbestandtheile zu gönnen. 40 632 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Bruchtheil bildet, abnahm. Andrerseits stieg der Geldwerth dieses Mehr- produkts noch rascher als seine Masse, in Folge der seit den letzten 20 und ganz besonders seit den letzten 10 Jahren steigenden englischen Markt- preise für Fleisch, Wolle u. s. w. 5 10 Zersplitterte Produktionsmittel, die den Producenten selbst als Beschäf- tigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung fremder Arbeit zu verwerthen, sind eben so wenig Kapital als das von sei- nem eigenen Producenten verzehrte Produkt Waare ist. Wenn mit der Volksmasse auch die Masse der in der Agrikultur angewandten Produk- tionsmittel abnahm, so nahm die Masse des in ihr angewandten Kapitals zu, weil ein Theil früher zersplitterter Produktionsmittel in Kapital verwan- delt ward. 15 Das außerhalb der Agrikultur, in Industrie und Handel angelegte Ge- sammtkapital Irlands akkumulirte während der letzten zwei Decennien langsam und unter beständiger großer Fluktuation. Um so rascher entwik- kelte sich dagegen die Koncentration seiner individuellen Bestandtheile. Endlich, wie gering immerhin sein absolutes Wachsthum, relativ, im Ver- hältniß zur zusammengeschmolzenen Volkszahl, war es angeschwollen. 25 Hier entrollt sich also, unter unsren Augen, auf großer Stufenleiter, ein 20 Proceß, wie die orthodoxe Oekonomie ihn nicht schöner wünschen konnte zur Bewähr ihres Dogmas's, wonach das Elend aus absoluter Uebervölke- rung entspringt und das Gleichgewicht ||670| durch Entvölkerung wieder hergestellt wird. Es ist dies ein ganz anderes wichtiges Experiment als die von den Malthusianern so sehr verherrlichte Pest in der Mitte des vierzehn- ten Jahrhunderts. Nebenbei bemerkt. War es an sich schulmeisterlich naiv, den Produktions- und entsprechenden Bevölkerungsverhältnissen des 19. Jahrhunderts den Maßstab des 14. Jahrhunderts anzulegen, so übersah diese Naivetät noch obendrein, daß wenn jener Pest und der sie begleiten- den Decimation diesseits des Kanals, in England, Befreiung und Bereiche- rung des Landvolks, ihr jenseits, in Frankreich, größere Knechtung und er- höhtes Elend auf dem Fuß nachfolgten 1 8 6 a ) - 30 Die Hungersnoth erschlug 1846 in Irland über eine Menschenmillion, aber nur arme Teufel. Sie that dem Reichthum des Landes nicht den ge- ringsten Abbruch. Der nachfolgende zwanzigjährige und stets noch an- 35 schwellende Exodus decimirte nicht, wie etwa der dreißigjährige Krieg, mit den Menschen zugleich ihre Produktionsmittel. Das irische Genie erfand i 8 6 a ) j j a Irland a l s das gelobte Land des „Bevölkerungsprincipes" angesehn wird, erließ Th. Sadler, vor der Veröffentlichung seines Werks über Bevölkerung, sein berühmtes Buch: Ireland, its Evils and their Remedies, 2nd ed. London 1829, worin er durch Vergleichung der 40 Statistik der einzelnen Provinzen, und in jeder Provinz der einzelnen Grafschaften, nach- weist, daß das Elend dort herrscht nicht, wie Malthus will, im Verhältniß zur Bevölkerungs- zahl, sondern im umgekehrten Verhältniß zu ihr. 633 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals eine ganz neue Methode, ein armes Volk tausende von Meilen vom Schau- platz seines Elends wegzuhexen. Die in die Vereinigten Staaten übergesie- delten Auswanderer schicken jährlich Geldsummen nach Haus, Reisemit- tel für die Zurückgebliebenen. Jeder Trupp, der dieses Jahr auswandert, zieht nächstes Jahr einen andren Trupp nach. Statt Irland etwas zu kosten, bildet die Auswanderung so einen der einträglichsten Zweige seines Ex- portgeschäftes. Sie ist endlich ein systematischer Proceß, der nicht etwa vorübergehend ein Loch in die Volksmasse bohrt, sondern aus derselben jährlich mehr Menschen auspumpt, als der Nachwuchs ersetzt, so daß das absolute Bevölkerungsniveau von Jahr zu Jahr s i n k t 1 8 6 b ) . Welches waren die Folgen für die zurückbleibenden, von der Uebervöl- kerung befreiten Arbeiter Irlands? Daß die relative Uebervölkerung heute so groß ist wie vor 1846, daß der Arbeitslohn eben so niedrig steht und die Arbeitsplackerei zugenommen hat, daß die Misère auf dem Land wieder zu einer neuen Krise ||671| drängt. Die Ursachen sind einfach. Die Revolution in der Agrikultur hielt Schritt mit der Emigration. Die Produktion der rela- tiven Uebervölkerung hielt mehr als Schritt mit der absoluten Entvölke- rung. Ein Blick auf Tabelle B zeigt, wie die Verwandlung von Ackerbau in Viehweide in Irland noch akuter wirken muß als in England. Hier wächst mit der Viehzucht der Bau von Grünfrucht, dort nimmt er ab. Während große Massen früher bestellter Aecker brachgelegt oder in permanentes Grasland verwandelt werden, dient ein großer Theil des früher unbenutz- ten wüsten Landes und Torfmoors zur Ausdehnung der Viehzucht. Die kleineren und mittleren Pächter - ich rechne dazu alle, die nicht über 100 Acres bebauen - machen immer noch ungefähr s / 1 0 der Gesammtzahl a u s 1 8 6 c ) . Sie werden progressiv in ganz andrem Grad als zuvor von der Kon- kurrenz des kapitalistisch betriebenen Ackerbaus erdrückt und liefern da- her der Klasse der Lohnarbeiter beständig neue Rekruten. Die einzige große Industrie Irlands, die Leinenfabrikation, braucht verhältnißmäßig wenig erwachsne Männer und beschäftigt überhaupt, trotz ihrer Expansion seit der Vertheuerung der Baumwolle 1 8 6 1 - 6 6 , nur einen verhältnißmäßig unbedeutenden Theil der Bevölkerung. Gleich jeder andren großen Indu- strie producirt sie durch stete Schwankungen in ihrer eignen Sphäre be- ständig eine relative Uebervölkerung, selbst bei absolutem Wachsthum der von ihr absorbirten Menschenmasse. Die Misère des Landvolks bildet das Piédestal riesenhafter Hemdenfabriken etc., deren Arbeiterarmee zum zeit von 1851 bis 1874 beläuft sich die Gesammtzahl der Auswanderer auf i 8 6 b ) p u r 2 325 922. 1 8 6 c ) Note z. 2. Ausg. Nach einer Tabelle in Murphy's: ,,Ireland, Industrial, Political, and So- cial, 1870", bilden 94,6 % des Bodens Pachten bis zu 100 acres, und 5,4 % Pachten über 100 acres. 634 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation 5 größten Theil über das flache Land zerstreut ist. Wir finden hier das früher geschilderte System der Hausarbeit wieder, welches in Unterzahlung und Ueberarbeit seine methodischen Mittel der „Ueberzähligmachung" besitzt. Endlich, obschon die Entvölkerung nicht zerstörende Folgen hat, wie in einem Land entwickelter kapitalistischer Produktion, vollzieht sie sich nicht ohne beständigen Rückschlag auf den innern Markt. Die Lücke, wel- che die Auswanderung hier schafft, verengert nicht nur die lokale Arbeits- nachfrage, sondern auch die Einkünfte der Kleinkrämer, Handwerker, klei- nen Gewerbsleute überhaupt. Daher der Rückgang der Einkommen 10 zwischen 60 und 100 Pfd. St. in Tabelle E. Eine durchsichtige Darstellung der Lage der ländlichen Tagelöhner in Irland findet sich in den Berichten der irischen Armenver||672|waltungs- Inspektoren ( 1 8 7 0 ) 1 8 6 d ) . Beamte einer Regierung, die sich nur durch die Bayonnete und den bald offnen, bald verhüllten Belagerungszustand hält, 15 müssen sie alle die Rücksichten der Sprache beobachten, die ihre Kollegen in England verachten; trotzdem aber erlauben sie ihrer Regierung nicht, sich in Illusionen zu wiegen. Nach ihnen hat sich die, immer noch sehr niedrige Lohnrate auf dem Lande, in den lezten 20 Jahren doch um 5 0 - 6 0 % erhöht und steht jetzt im Durchschnitt auf 6 - 9 sh. die Woche. 20 Hinter dieser scheinbaren Erhöhung aber verbirgt sich ein wirkliches Fal- len des Lohns, denn sie gleicht nicht einmal den inzwischen erfolgten Preisaufschlag der nothwendigen Lebensmittel aus; Beweis folgender Aus- zug aus den amtlichen Rechnungen eines irischen Workhouse: 25 Jahr. Nahrung. Kleidung. Zusammen. Wochendurchschnitt der Unterhaltungskosten pr. Kopf. 29. Sept. 1848 bis 29. Sept. 1849 29. Sept. 1868 bis 29. Sept. 1869 1 sh. 3¼ d. 2 sh. 7½ d. 0 sh. 3 d. 0 sh. 6 d. 1 sh. 6% d. 3 sh. 1% d. Der Preis der nothwendigen Lebensmittel ist also beinah zweimal, und der der Kleidung genau zweimal so hoch als vor zwanzig Jahren. 30 Selbst abgesehen von diesem Miß verhältniß, ergäbe bloße Vergleichung der in Geld ausgedrückten Lohnrate noch lange kein richtiges Resultat. Vor der Hungersnoth wurde die große Masse der ländlichen Löhne in na- tura entrichtet, in Geld nur der kleinste Theil; heute ist Geldzahlung Re- gel. Schon daraus folgt daß, welches auch die Bewegung des wirklichen 35 Lohns, seine Geldrate steigen mußte. „Vor der Hungersnoth besaß der Ak- kerbautagelöhner ein Stückchen Land, worauf er Kartoffeln baute und Schweine und Geflügel zog ... Heutzutage muß er nicht nur alle seine Le- bensmittel kaufen, sondern es entgehn ihm auch die Einnahmen aus dem 186d) Reports from the Poor Law Inspectors on the wages of Agricultural Labourers in Ireland. 40 Dublin 1870. - Vgl. auch Agricultural Labourers (Ireland) Return etc. 8. March 1861. 635 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Verkauf von Schweinen, Geflügel und E i e r n " 1 8 7 ) . In der That flössen frü- her die Landarbeiter zusammen mit den kleinen Pächtern und bildeten meistens nur den Nachtrab der mittleren und großen Pachtungen, auf de- nen sie Beschäftigung fanden. Erst seit der Katastrophe von 1846 hatten sie angefangen einen Bruchtheil der Klasse reiner Lohnarbeiter zu bilden, einen ||673| besonderen Stand, der mit seinen Lohnherren nur noch durch Geldverhältnisse verknüpft ist. 5 Man weiß, was ihr Wohnungszustand von 1846 war. Seitdem hat er sich noch verschlimmert. Ein Theil der Landtaglöhner, der indeß von Tag zu Tag abnimmt, wohnt noch auf den Ländereien der Pächter in überfüllten 10 Hütten, deren Scheußlichkeiten das Schlimmste weit übertreffen, das uns die englischen Landdistrikte in dieser Art vorführten. Und das gilt allge- mein, mit Ausnahme einiger Striche von Ulster; im Süden in den Graf- schaften Cork, Limerick, Kilkenny etc.; im Osten in Wicklow, Wexford etc.; im Centrum in King's und Queen's County, Dublin etc.; im Norden in 15 Down, Antrim, Tyrone etc.; im Westen in Sligo, Roscommon, Mayo, Gal- way etc. „Es ist", ruft einer der Inspektoren aus, „es ist eine Schande für die Religion und die Civilisation dieses Landes" 1 8 7 a ) . Um den Taglöhnern die Wohnlichkeit ihrer Höhlen erträglicher zu machen, konfiscirt man sy- stematisch die seit undenklicher Zeit dazu gehörigen Stückchen Land. 20 „Das Bewußtsein dieser Art von Acht, in die sie von den Grundherrn und ihren Verwaltern gethan sind, hat bei den Landtaglöhnern entsprechende Gefühle des Gegensatzes und Hasses hervorgerufen gegen die, welche sie als eine rechtlose Race behandeln" 1 8 7 a). Der erste Akt der Ackerbaurevolution war, auf allergrößtem Maßstab 25 und wie nach einem von oben gegebenen Losungswort, die auf dem Ar- beitsfeld gelegenen Hütten wegzufegen. Viele Arbeiter wurden so gezwun- gen, in Dörfern und Städten Schutz zu suchen. Dort warf man sie wie Schund in Dachkammern, Löcher, Keller und in die Schlupfwinkel der schlechtesten Viertel. Tausende irischer Familien, die sich selbst nach dem 30 Zeugniß von, in nationalen Vorurtheilen befangnen, Engländern durch ihre seltne Anhänglichkeit an den heimischen Herd, durch ihre sorglose Heiterkeit und durch häusliche Sittenreinheit auszeichneten, fanden sich so plötzlich verpflanzt in die Treibhäuser des Lasters. Die Männer müssen jetzt Arbeit suchen bei benachbarten Pächtern und werden nur auf den Tag gemiethet, also in der prekärsten Lohnform; dabei „haben sie jetzt weite Wege zur Pachtung und zurück zu machen, oft naß wie die Ratten, und andren Unbilden ausgesetzt, die häufig Abschwächung, Krankheit und da- mit Mangel herbeiführen". 1 8 7 b) | 35 ] 7 ) I.e. p.29, 1. 1 8 7 a ) I.e. p.12. 1 8 7 b ) I.e. p.25. 40 636 Dreiundzwanzigstes Kapitel • Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation |674| „Die Städte hatten Jahr um Jahr aufzunehmen, was als Ueberschuß von Arbeitern in den Landdistrikten galt" 1 8 7 c ) , und dann wundert man sich noch, „daß in den Städten und Dörfern Ueberschuß, und auf dem Lande Mangel an Arbeitern herrscht!" 1 8 7 d). Die Wahrheit ist, daß dieser Mangel 5 nur fühlbar wird „zur Zeit dringlicher Ackerbauarbeiten, im Frühjahr und Herbst, während den Rest des Jahres viele Hände müßig bleiben" 1 8 7 6 ) ; daß „nach der Ernte, vom Oktober bis zum Frühling, es kaum Beschäftigung für sie g i e b t " 1 8 7 f ) , und daß sie auch während der beschäftigten Zeit „häufig ganze Tage verlieren und Arbeitsunterbrechungen aller Art ausgesetzt 10 s i n d " 1 8 7 g ) . Diese Folgen der agrikolen Revolution, d. h. der Verwandlung von Ak- kerland in Viehweide, der Anwendung von Maschinerie, der strengsten Ar- beitsersparung etc. - werden noch verschärft durch die Muster-Grundher- ren, solche die statt ihre Renten im Ausland zu verzehren, so gnädig sind in Irland auf ihren Domainen zu wohnen. Damit das Gesetz von Nach- frage und Angebot ganz ungekränkt bleibe, ziehen diese Herren J e t z t fast ihren ganzen Arbeitsbedarf aus ihren kleinen Pächtern, die so gezwungen sind für ihre Grundherrn zu schanzen für einen im Allgemeinen geringe- ren Lohn als der der gewöhnlichen Taglöhner, und das ohne alle Rücksicht auf die Unbequemlichkeiten und Verluste, die daraus entstehn, daß sie zur kritischen Zeit der Saat oder Ernte ihre eignen Felder vernachlässigen müssen". 1 8 7 h) 15 20 25 Die Unsicherheit und Unregelmäßigkeit der Beschäftigung, die häufige Wiederkehr und lange Dauer der Arbeitsstockungen, alle diese Symptome einer relativen Uebervölkerung figuriren also in den Berichten der Armen- verwaltungs-Inspectoren als ebensoviel Beschwerden des irischen Acker- bauproletariats. Man erinnert sich, daß wir beim englischen Landproleta- riat ähnlichen Erscheinungen begegnet sind. Aber der Unterschied ist, daß in England, einem industriellen Lande, die industrielle Reserve sich auf 30 dem Lande rekrutirt, während in Irland, einem Ackerbauland, die Acker- baureserve sich in den Städten, den Zufluchtsorten der vertriebenen Land- arbeiter, rekrutirt. Dort verwandeln sich die Ueberzähligen des Landbaus in Fabrikarbeiter; hier bleiben die in die Städte ||675| Gejagten, während sie gleichzeitig auf den städtischen Lohn drücken, Landarbeiter und wer- 35 den beständig aufs Land auf Arbeitsuche zurückgeschickt. Die amtlichen Berichterstatter fassen die materielle Lage der Ackerbau- 1 8 7 c ) L c p.27. 1 8 7 d ) p.26. 1 8 7 e ) p.l. 1 8 7 f ) p.32. 7 S ) p.25. 1 8 7 h ) p.30. 8 1 40 637 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals taglöhner zusammen, wie folgt: „Obwohl sie mit der äußersten Frugalität leben, reicht ihr Lohn doch kaum hin, ihnen und ihren Familien Nahrung und Wohnung zu bestreiten; für Kleidung bedürfen sie weiterer Einnah- men ... Die Atmosphäre ihrer Wohnungen, im Verein mit andern Entbeh- rungen, setzt diese Klasse in ganz besondrem Grade dem Typhus und der Schwindsucht a u s " 1 8 7 i ) . Hiernach ist es kein Wunder, daß, nach dem ein- stimmigen Zeugniß der Berichterstatter, ein finstres Mißvergnügen die Reihen dieser Klasse durchdringt, daß sie die Vergangenheit zurück- wünscht, die Gegenwart verabscheut, an der Zukunft verzweifelt, „sich den verwerflichen Einflüssen von Demagogen hingiebt" und nur die eine fixe Idee hat, nach Amerika auszuwandern. Das ist das Schlaraffenland, worin das große malthusische Allerweltsheilmittel, die Entvölkerung, das grüne Erin verwandelt hat! Welches Wohlleben die irischen Manufakturarbeiter führen, dafür ge- nügt ein Beispiel: 5 10 15 „Bei meiner neulichen Inspektion des Nordens von Irland", sagt der eng- lische Fabrikinspektor Robert Baker, „frappirte mich die Bemühung eines geschickten irischen Arbeiters, aus den allerdürftigsten Mitteln seinen Kin- dern Erziehung zu verschaffen. Ich gebe seine Aussage wörtlich, wie ich sie aus seinem Mund erhielt. Daß er eine geschickte Fabrikhand, weiß man, 20 wenn ich sage, daß man ihn zu Artikeln für den Manchester Markt verwen- det. Johnson: Ich bin ein beetler und arbeite von 6 Uhr Morgens bis 11 Uhr in der Nacht, von Montag bis Freitag; Samstag endigen wir um 6 Uhr Abends und haben 3 Stunden für Mahlzeit und Erholung. Ich habe 5 Kin- der. Für diese Arbeit erhalte ich 10 sh. 6 d. wöchentlich; meine Frau arbei- 25 tet auch und verdient 5 sh. die Woche. Das älteste Mädchen, zwölfjährig, wartet das Haus. Sie ist unsre Köchin und einzige Gehülfin. Sie macht die jüngeren zur Schule fertig. Meine Frau steht mit mir auf und geht mit mir fort. Ein Mädchen, welches unser Haus entlang geht, weckt mich um halb 6 Uhr Morgens. Wir essen nichts, bevor wir zur Arbeit gehn. Das zwölfjäh- 30 rige Kind sorgt für ||676| die Kleineren des Tags über. Wir frühstücken um 8 und gehn dazu nach Hause. Wir haben Thee einmal die Woche; sonst haben wir einen Brei (stirabout), manchmal von Hafermehl, manchmal von Maismehl, je nachdem wir fähig sind es zu beschaffen. Im Winter ha- ben wir ein wenig Zucker und Wasser zu unsrem Maismehl. Im Sommer 35 ernten wir einige Kartoffeln, womit wir selbst ein Bodenfetzchen bepflan- zen, und wenn sie zu Ende sind, kehren wir zum Brei zurück. So geht's Tag aus Tag ein, Sonntag und Werkeltag, das ganze Jahr durch. Ich bin stets sehr müde des Abends nach vollbrachtem Tagwerk. Einen Bissen Fleisch sehn wir ausnahmsweis, aber sehr selten. Drei unsrer Kinder besuchen 40 1 8 7 i ) p.21, 13. 638 Dreiundzwanzigstes Kapitel · Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation Schule, wofür wir 1 d. per Kopf wöchentlich zahlen. Unsre Hausmiethe ist 9 d. die Woche, Torf und Feuerung kosten mindestens 1 sh. 6 d. vierzehntä- g i g " 1 8 8 ) . Das sind irische Löhne, das ist irisches Leben! In der That, das Elend Irlands ist wieder Tagesthema in England. Ende 5 1866 und Anfang 1867 machte sich in der Times einer der irischen Land- magnaten, Lord Dufferin, an die Lösung. „Wie menschlich von solch' gro- ßem Herrn!" Aus Tabelle E sah man, daß während 1864 von 4 368 610 Pfd. St. Ge- sammtprofit 3 Plusmacher nur 262 819, dieselben 3 Virtuosen der „Entsa- 10 gung" 1865 von 4 669 979 Pfd. St. Gesammtprofit dagegen 274 528 Pfd. St. einsteckten, 1864: 26 Plusmacher 646 377 Pfd. St., 1865: 28 Plusmacher 736 44.8Pfd. St., 1864: 121 Plusmacher 1 0 7 6 912Pfd. St., 1865: 150 Plusma- cher 1 3 2 0 906 Pfd. St., 1864: 1131 Plusmacher 2 150 818 Pfd. St., beinahe jährlichen Gesammtprofits, 1865: 1194 Plusmacher die Hälfte des 15 2 418 833 Pfd. St., mehr als die Hälfte des jährlichen Gesammtprofits. Der Löwenantheil aber, welchen eine verschwindend kleine Anzahl Landma- gnaten in England, Schottland und Irland vom jährlichen Nationalrental verschlingt, ist so monströs, daß die englische Staatsweisheit es angemes- sen findet, für die Vertheilung der Grundrente nicht dasselbe statistische 20 Material zu liefern wie für die Vertheilung des Profits. Lord Dufferin ist einer dieser Landmagnaten. Daß Rentrollen und Profite jemals „überzäh- lig" sein können, oder daß ihre Plethora mit der Plethora des Volkselends irgendwie zusammenhängt, ist natürlich eine ebenso „irrespektable" als „ungesunde" (unsound) Vorstellung. Er hält sich an Thatsachen. Die That- 25 sache ist, daß wie die irische Volkszahl ||677| abnimmt, die irischen Rent- rollen schwellen, daß die Entvölkerung dem Grundeigenthümer „wohl- thut", also auch dem Grund und Boden, also auch dem Volk, das nur Zubehör des Bodens. Er erklärt also, Irland sei immer noch übervölkert und der Strom der Emigration fließe stets noch zu trag. Um vollständig 30 glücklich zu sein, müsse Irland wenigstens noch % Million Arbeitsmen- schen ablassen. Man wähne nicht, dieser obendrein noch poetische Lord sei ein Arzt aus der Schule Sangrado's, der, so oft er seinen Kranken nicht besser fand, Aderlaß verordnete, neuen Aderlaß, bis der Patient mit seinem Blut auch seine Krankheit verlor. Lord Dufferin verlangt einen neuen 35 Aderlaß von nur % Million, statt von ungefähr 2 Millionen, ohne deren Ab- laß in der That das Millennium in Erin nicht herstellbar ist. Der Beweis ist leicht geliefert. 1 8 8 ) „Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1866", p. 96. 639 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Anzahl und Umfang der Pachten in Irland 1864. 1. Pachten nicht über 1 Acre. Anzahl 48 653 Acres 25 394 5. Pachten über 30, nicht über 50 Acres. Pachten über I5 nicht über 5 Acres. Pachten über 5, nicht über 15 Acres. Pachten über 15, nicht über 30 Acres. Anzahl 82 037 Acres 288 916 Anzahl 176 368 Acres 1836 310 Anzahl Acres 136 578 3 051343 Pachten über 50, nicht über 100 Acres. 7. Pachten über 100 Acres. 8. Anzahl 71961 Acres 2 906274 Anzahl 54247 Acres 3 983 880 Anzahl 31927 Acres 8 227 807 Gesammtareal. 1O1 Die Centralisation hat von 1851 bis 1861 hauptsächlich Pachten der er- 20 319 924 Acr. 1 8 8 a) sten drei Kategorien, unter 1 und nicht über 15 Acres, vernichtet. Sie müs- sen vor allem verschwinden. Dies giebt 307 058 „überzählige" Pächter, und die . Familie zum niedrigen Durchschnitt von 4 Köpfen gerechnet, 1 2 2 8 232 Personen. Unter der extravaganten Unterstellung, daß % davon nach vollbrachter agrikoler Revolution wieder absorbirbar, bleiben auszu- wandern: 9 2 1 1 7 4 Personen. Die Kategorien 4, 5, 6, von über 15 und nicht über 100 Acres, sind, wie man längst in England weiß, für den kapitalisti- schen Kornbau zu klein, für Schafzucht aber fast verschwindende Größen. Unter denselben Unterstellungen wie vorher sind also fernere 788 358 Per- sonen auszuwandern, Summe: 1 7 0 9 532. Und, comme ||678| l'appétit vient en mangeant, werden die Augen der Rentrolle bald entdecken, daß Irland mit 3¾ Millionen immer noch elend, und elend, weil übervölkert ist, also seine Entvölkerung noch viel weiter gehn muß, damit es seinen wahren B e - ruf erfülle, den einer englischen Schaftrift und Viehweide 1 8 8 1 3). i s s a ) D a s Gesammtareal schließt auch „Torfmoor und wüstes Land" ein. i 8 8 b ) die Hungersnoth und die von ihr herbeigeführten Umstände sowohl von den einzel- nen Grundeigenthümern als auch von der englischen Gesetzgebung planmäßig ausgebeutet wurden, um die Agrikulturrevolution gewaltsam durchzusetzen und die Bevölkerung Irlands auf das den Landlords zusagende Maß zu verdünnen, werde ich in Buch III dieser Schrift, im Abschnitt über das Grundeigenthum, ausführlicher nachweisen. Ich komme daselbst auch zu- rück auf die Verhältnisse der kleinen Pächter und Landarbeiter. Hier nur ein Citat. Nassau W. Senior sagt u. a. in seiner nachgelaßnen Schrift: Journals, Conversations and Essays rela- ting to Ireland. 2 vols., London 1868, v.II, p.282: „Treffend bemerkte Dr. G., wir haben unser Armengesetz und es ist ein großes Werkzeug, um den Landlords den Sieg zu geben; ein and- res ist die Emigration. Kein Freund Irlands kann wünschen, daß der Krieg (zwischen den Landlords und den kleinen celtischen Pächtern) sich verlängere, - noch weniger, daß er mit dem Sieg der Pächter ende. ... Je rascher er (dieser Krieg) vorüber, je rascher Irland ein Wei- deland (grazing country) wird mit der verhältnißmäßig geringen Volkszahl, die ein Weideland erheischt, desto besser für alle Klassen." Die englischen Korngesetze von 1815 sicherten Ir- land das Monopol der freien Korneinfuhr nach Großbritannien. Sie begünstigten also künst- lich den Kornbau. Dies Monopol wurde 1846 mit Abschaffung der Korngesetze plötzlich be- seitigt. Von allen andern Umständen abgesehn, reicht dies Ereigniß allein hin, der Verwandlung von irischem Ackerland in Viehweide, der Koncentration der Pachthöfe und der 15 20 25 30 35 40 45 640 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation Diese einbringliche Methode hat wie alles Gute in dieser Welt ihren Mißstand. Mit der Akkumulation der Grundrente in Irland hält Schritt die Akkumulation der Irländer in Amerika. Der durch Schaf und Ochs besei- tigte Ire ersteht auf der andren Seite des Oceans als Fenier. Und gegenüber 5 der alten Seekönigin erhebt sich drohend und drohender die junge Riesen- republik. Acerba fata Romanos agunt. Scelusque fraternae necis. | | 6 7 9 | V I E R U N D Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . 10 Die sog. ursprüngliche Akkumulation. 1. Das Geheimniß der ursprünglichen Akkumulation. Man hat gesehn, wie Geld in Kapital verwandelt, durch Kapital Mehrwerth und aus Mehrwerth mehr Kapital gemacht wird. Indeß setzt die Akkumula- tion des Kapitals den Mehrwerth, der Mehrwerth die kapitalistische Pro- 15 duktion, diese aber das Vorhandensein größerer Massen von Kapital und Arbeitskraft in den Händen von Waarenproducenten voraus. Diese ganze Bewegung scheint sich also in einem fehlerhaften Kreislauf herumzudrehn, aus dem wir nur hinauskommen, indem wir eine der kapitalistischen Ak- kumulation vorausgehende „ursprüngliche" Akkumulation (,,previous ac- ÎO cumulation" bei Adam Smith) unterstellen, eine Akkumulation, welche nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt. Diese ursprüngliche Akkumulation spielt in der politischen Oekonomie ungefähr dieselbe Rolle wie der Sündenfall in der Theologie. Adam biß in !5 den Apfel und damit kam über das Menschengeschlecht die Sünde. Ihr Ur- sprung wird erklärt, indem er als Anekdote der Vergangenheit erzählt wird. In einer längst verfloßnen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleißige, in- telligente und vor Allem sparsame Elite und auf der andren faulenzende, ihr Alles, und mehr, verjubelnde Lumpen. Die Legende vom theologischen ο Sündenfall erzählt uns allerdings, wie der Mensch dazu verdammt worden sei, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu essen; die Historie vom Vertreibung der Kleinbauern einen mächtigen Aufschwung zu geben. Nachdem man von 1815 bis 1846 die Fruchtbarkeit des irischen Bodens gerühmt und laut erklärt, er sei von der Natur selbst zum Weizenbau bestimmt, entdecken von da an plötzlich die englischen Agrono- 5 men, Oekonomen, Politiker, daß er zu nichts passe als Grünfutter zu produciren! Herr Léonce de Lavergne hat sich beeilt dies jenseits des Kanals zu wiederholen. Es gehört ein „ernsthaf- ter" Mann à la Lavergne dazu, sich von solchen Kindereien fangen zu lassen. 641 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ökonomischen Sündenfall aber enthüllt uns, wieso es Leute giebt, die das keineswegs nöthig haben. Einerlei. So kam es, daß die ersten Reichthum akkumulirten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigne Haut. Und von diesem Sündenfall datirt die Armuth der großen Masse, die immer noch, aller Arbeit zum Trotz, nichts zu verkaufen hat als sich selbst, und der Reichthum der Wenigen, der fortwährend wächst, ob- gleich sie längst aufgehört haben zu arbeiten. Solche fade Kinderei kaut Herr Thiers z.B. noch mit staatsfeierlichem Ernst, zur Vertheidigung der propriété, den einst so geistreichen Franzosen vor. Aber sobald die Eigen- thumsfrage ins Spiel kommt, wird es heilige Pflicht, den Standpunkt der 10 Kinderfibel als den allen Altersklassen und Entwicklungsstufen allein ge- rechten 116801 festzuhalten. In der wirklichen Geschichte spielen bekannt- lich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die große Rolle. In der sanften politischen Oekonomie herrschte von jeher die Idylle. Recht und „Arbeit" waren von jeher die einzigen Bereicherungsmittel, natürlich 15 mit jedesmaliger Ausnahme von „diesem Jahr". In der That sind die Me- thoden der ursprünglichen Akkumulation alles andre, nur nicht idyl- lisch. 5 Geld und Waare sind nicht von vornherein Kapital, so wenig wie Pro- duktions- und Lebensmittel. Sie bedürfen der Verwandlung in Kapital. 20 Diese Verwandlung selbst aber kann nur unter bestimmten Umständen vorgehn, die sich dahin zusammenspitzen: Zweierlei sehr verschiedne Sor- ten von Waarenbesitzern müssen sich gegenüber und in Kontakt treten, ei- nerseits Eigner von Geld, Produktions- und Lebensmitteln, denen es gilt die von ihnen geeignete Werthsumme zu verwerthen durch Ankauf frem- 25 der Arbeitskraft; andrerseits freie Arbeiter, Verkäufer der eignen Arbeits- kraft und daher Verkäufer von Arbeit. Freie Arbeiter in dem Doppelsinn, daß weder sie selbst unmittelbar zu den Produktionsmitteln gehören, wie Sklaven, Leibeigne u.s.w., noch auch die Produktionsmittel ihnen gehören, wie beim selbstwirthschaftenden Bauer u.s.w., sie davon vielmehr frei, los 30 und ledig sind. Mit dieser Polarisation des Waarenmarkts sind die Grund- bedingungen der kapitalistischen Produktion gegeben. Das Kapitalverhält- niß setzt die Scheidung zwischen den Arbeitern und dem Eigenthum an den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit voraus. Sobald die kapitalisti- sche Produktion einmal auf eignen Füßen steht, erhält sie nicht nur jene 35 Scheidung, sondern reproducirt sie auf stets wachsender Stufenleiter. Der Proceß, der das Kapitalverhältniß schafft, kann also nichts andres sein als der Scheidungsproceß des Arbeiters vom Eigenthum an seinen Arbeitsbe- dingungen, ein Proceß, der einerseits die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsmittel in Kapital verwandelt, andrerseits die unmittelbaren 40 Producenten in Lohnarbeiter. Die sog. ursprüngliche Akkumulation ist 642 Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation also nichts als der historische Scheidungsproceß von Producent und Pro- duktionsmittel. Er erscheint als „ursprünglich", weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise bildet. Die ökonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft ist hervorge- 5 gangen aus der ökonomischen Struktur der feudalen Gesellschaft. Die Auf- lösung dieser hat die Elemente jener freigesetzt. Der unmittelbare Producent, der Arbeiter, konnte erst dann über | |681| seine Person verfügen, nachdem er aufgehört hatte an die Scholle ge- fesselt und einer andern Person leibeigen oder hörig zu sein. Um freier 10 Verkäufer von Arbeitskraft zu werden, der seine Waare überall hinträgt, wo sie einen Markt findet, mußte er ferner der Herrschaft der Zünfte, ihren Lehrlings- und Gesellenordnungen und hemmenden Arbeitsvorschriften entronnen sein. Somit erscheint die geschichtliche Bewegung, die die Pro- ducenten in Lohnarbeier verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von 15 Dienstbarkeit und Zunftzwang; und diese Seite allein existirt für unsre bürgerlichen Geschichtsschreiber. Andrerseits aber werden die Neubefrei- ten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feudalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist in 20 die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer. Die industriellen Kapitalisten, diese neuen Potentaten, mußten ihrerseits nicht nur die zünftigen Handwerksmeister verdrängen, sondern auch die im Besitz der Reichthumsquellen befindlichen Feudalherren. 25 Von dieser Seite stellt sich ihr Emporkommen dar als Frucht eines siegrei- chen Kampfes gegen die Feudalmacht und ihre empörenden Vorrechte, so- wie gegen die Zünfte und die Fesseln, die diese der freien Entwicklung der Produktion und der freien Ausbeutung des Menschen durch den Men- schen angelegt. Die Ritter von der Industrie brachten es jedoch nur fertig, 30 die Ritter vom Degen zu verdrängen, dadurch daß sie Ereignisse ausbeute- ten, an denen sie ganz unschuldig waren. Sie haben sich emporgeschwun- gen durch Mittel, ebenso gemein wie die, wodurch der römische Freigelas- sene sich einst zum Herrn seines patronus gemacht hat. Der Ausgangspunkt der Entwicklung, die sowohl den Lohnarbeiter wie 35 den Kapitalisten erzeugt, war die Knechtschaft des Arbeiters. Der Fortgang bestand in einem Formwechsel dieser Knechtung, in der Verwandlung der feudalen in kapitalistische Exploitation. Um ihren Gang zu verstehn, brau- chen wir gar nicht so weit zurück zu greifen. Obgleich die ersten Anfänge kapitalistischer Produktion uns schon im 14. und 15. Jahrhundert in eini- 40 gen Städten am Mittelmeer sporadisch entgegentreten, datirt die kapitali- stische Aera erst vom 16. Jahrhundert. Dort wo sie auftritt, ist die Aufhe- 643 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals bung der Leibeigenschaft längst vollbracht und der Glanzpunkt des Mittelalters, der Bestand souverainer Städte, seit geraumer Zeit im Erblei- chen. | Historisch epochemachend in der Geschichte der ursprünglichen |682| Akkumulation sind alle Umwälzungen, die der sich bildenden Kapi- talistenklasse als Hebel dienen; vor Allem aber die Momente, worin große Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Subsistenzmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleu- dert werden. Die Expropriation des ländlichen Producenten, des Bauern, von Grund und Boden bildet die Grundlage des ganzen Processes. Ihre Ge- 10 schichte nimmt in verschiedenen Ländern verschiedene Färbung an und durchläuft die verschiedenen Phasen in verschiedener Reihenfolge und in verschiedenen Geschichtsepochen. Nur in England, das wir daher als Bei- spiel nehmen, besitzt sie klassische F o r m 1 8 9 ) . 5 2. Expropriation des Landvolks von Grund und Boden. 15 In England war die Leibeigenschaft im letzten Theil des 14. Jahrhunderts faktisch verschwunden. Die ungeheure Mehrzahl der Bevölkerung 1 9 0) be- stand damals und noch mehr im 15. Jahrhundert aus freien, selbstwirth- schaftenden Bauern, durch welch feudales Aushängeschild ihr Eigenthum immer versteckt sein mochte. Auf den größeren herrschaftlichen Gütern 20 war der früher selbst leibeigne bailiff (Vogt) durch den freien Pächter ver- drängt. Die Lohnarbeiter der Agrikultur bestanden theils aus Bauern, die 1 8 9 ) In Italien, wo die kapitalistische Produktion sich am frühsten entwickelt, findet auch die Auflösung der Leibeigenschaftsverhältnisse am frühsten statt. Der Leibeigne wird hier eman- cipirt, bevor er irgend ein Recht der Verjährung an Grund und Boden gesichert hat. Seine 25 Emancipation verwandelt ihn also sofort in einen vogelfreien Proletarier, der überdem in den meist schon aus der Römerzeit überlieferten Städten die neuen Herren fertig vorfindet. Als die Revolution des Weltmarkts seit Ende des 15. Jahrhunderts die Handelssuprematie Nord- italiens vernichtete, entstand eine Bewegung in umgekehrter Richtung. Die Arbeiter der Städte wurden massenweise aufs Land getrieben und gaben dort der nach Art des Gartenbaus getriebnen, kleinen Kultur einen niegesehenen Aufschwung. 1 9°) „Die kleinen Grundeigenthümer, die ihre eignen Felder mit eigner Hand bebauten und eines bescheidnen Wohlstands sich erfreuten, ... bildeten damals einen weit wichtigeren Theil der Nation als jetzt ... Nicht weniger als 160 000 Grundeigenthümer, die mit ihren Fa- milien mehr als ι/Ί der Gesammtbevölkerung ausgemacht haben müssen, lebten von der Be- 35 wirthschaftung ihrer kleinen Freehold Hufen (Freehold ist vollfreies Eigenthum). Das Durch- schnittseinkommen dieser kleinen Grundbesitzer wird auf 60 bis 70 Pfd. St. geschätzt. Es wurde berechnet, daß die Zahl derer, die ihren eignen Grundbesitz bebauten, größer war als die der Pächter auf fremdem Boden." „Macaulay, Hist, of England, 10th ed. London 1854", I, 333-34. - Noch im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts waren % der englischen Volksmasse 40 agrikol (I.e. p.413). - Ich citire Macaulay, weil er als systematischer Geschichtsfälscher derar- tige Thatsachen möglichst „beschneidet". 30 644 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation ihre Mußezeit durch Arbeit bei großen Grundeigentümern verwerteten, | |683| theils aus einer selbständigen, relativ und absolut wenig zahlreichen Klasse eigentlicher Lohnarbeiter. Auch letztre waren faktisch zugleich selbstwirthschaftende Bauern, indem sie außer ihrem Lohn Ackerland zum 5 Belauf von 4 und mehr Acres nebst Cottages angewiesen erhielten. Sie ge- nossen zudem mit den eigentlichen Bauern die Nutznießung des Gemein- delandes, worauf ihr Vieh weidete und das ihnen zugleich die Mittel der Feuerung, Holz, Torf u.s.w. b o t 1 9 1 ) . In allen Ländern Europa's ist die feu- dale Produktion durch Theilung des Bodens unter möglichst viele Unter- 10 sassen charakterisirt. Die Macht des Feudalherrn, wie die jedes Souverains, beruhte nicht auf der Länge seiner Rentrolle, sondern auf der Zahl seiner Unterthanen, und letztre hing von der Zahl selbstwirthschaftender Bauern a b 1 9 2 ) . Obgleich der englische Boden daher nach der normannischen Erobe- rung in riesenhafte Baronien vertheilt ward, wovon eine einzige oft 900 alte 15 angelsächsische Lordschaften einschloß, war er besät von kleinen Bauern- wirthschaften, nur hier und da durchbrochen von größeren herrschaftli- chen Gütern. Solche Verhältnisse, bei gleichzeitiger Blüthe des Städte- wesens, wie sie das 15. Jahrhundert auszeichnet, erlaubten jenen Volks- reichthum, den der Kanzler Fortescue so beredt in seinen „Laudibus 20 Legum Angliae" schildert, aber sie schlössen den Kapitalreichthum aus. Das Vorspiel der Umwälzung, welche die Grundlage der kapitalisitschen Produktionsweise schuf, ereignet sich im letzten Drittheil des 15. und den ersten Decennien des 16. Jahrhunderts. Eine Masse vogelfreier Proletarier ward auf den Arbeitsmarkt geschleudert durch die Auflösung der feudalen 25 Gefolgschaften, die, wie Sir James Steuart richtig bemerkt, „überall nutzlos Haus und Hof füllten". Obgleich die königliche Macht, selbst ein Produkt der bürgerlichen Entwicklung, in ihrem Streben nach absoluter Sou-| |684|verainität die Auflösung dieser Gefolgschaften gewaltsam beschleu- nigte, war sie keineswegs deren einzige Ursache. Vielmehr im trotzigsten 30 Gegensatz zu Königthum und Parlament, schuf der große Feudalherr ein ungleich größeres Proletariat durch gewaltsame Verjagung der Bauerschaft von dem Grund und Boden, worauf sie denselben feudalen Rechtstitel be- 1 9 1 ) Man muß nie vergessen, daß selbst der Leibeigne nicht nur Eigenthümer, wenn auch tri- butpflichtiger Eigenthümer, der zu seinem Haus gehörigen Bodenparcellen war, sondern auch 35 Miteigenthümer des Gemeindelandes. «Le paysan y (en Silésie) est serf.» Nichtsdestoweniger besitzen diese serfs Gemeindegüter. «On n'a pas pu encore engager les Silésiens au partage des communes, tandis que dans la nouvelle Marche, il n'y a guère de village où ce partage ne soit exécuté avec le plus grand succès.» (Mirabeau: „De la Monarchie Prussienne. Londres 1788", t.II, p. 125, 126.) 1 9 2 ) Japan, mit seiner rein feudalen Organisation des Grundeigenthums und seiner entwickel- ten Kleinbauernwirthschaft, liefert ein viel treueres Bild des europäischen Mittelalters als unsre sämmtlichen, meist von bürgerlichen Vorurtheilen diktirten Geschichtsbücher. Es ist gar zu bequem, auf Kosten des Mittelalters „liberal" zu sein. 40 645 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals saß wie er selbst, und durch Usurpation ihres Gemeindelandes. Den un- mittelbaren Anstoß dazu gab in England namentlich das Aufblühn der flandrischen Wollmanufaktur und das entsprechende Steigen der Woll- preise. Den alten Feudaladel hatten die großen Feudalkriege verschlungen, der neue war ein Kind seiner Zeit, für welche Geld die Macht aller Mächte. Verwandlung von Ackerland in Schafweide ward also sein Losungswort. Harrison, in seiner ,,Description of England. Prefixed to Holinshed's Chronicles", beschreibt, wie die Expropriation der kleinen Bauern das Land ruinirt. "What care our great incroachers!" (Was fragen unsre großen Usurpatoren danach?) Die Wohnungen der Bauern und die Cottages der Arbeiter wurden gewaltsam niedergerissen oder dem Verfall geweiht. „Wenn man", sagt Harrison, „die älteren Inventarien jedes Ritterguts ver- gleichen will, so wird man finden, daß unzählige Häuser und kleine Bau- ernwirthschaften verschwunden sind, daß das Land viel weniger Leute nährt, daß viele Städte verfallen sind, obgleich einige neue aufblühn .... Von Städten und Dörfern, die man für Schaftriften zerstört hat, und worin nur noch die Herrschaftshäuser stehn, könnte ich etwas erzählen." Die Kla- gen jener alten Chroniken sind immer übertrieben, aber sie zeichnen ge- nau den Eindruck der Revolution in den Produktionsverhältnissen auf die Zeitgenossen selbst. Ein Vergleich zwischen den Schriften der Kanzler Fortescue und Thomas Morus veranschaulicht die Kluft zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert. Aus ihrem goldnen Zeitalter, wie Thornton richtig sagt, stürzte die englische Arbeiterklasse ohne alle Zwischenübergänge in das eiserne. Die Gesetzgebung erschrak vor dieser Umwälzung. Sie stand noch nicht auf der Civilisationshöhe, wo ,,Wealth of the Nation", d. h. Kapitalbildung und rücksichtslose Exploitation und Verarmung der Volksmasse als ultima Thüle aller Staatsweisheit gelten. In seiner Geschichte Heinrich's VII. sagt Baco: „Um diese Zeit (1489) mehrten sich die Klagen über Verwandlung von Ackerland in Weide (zur Schaftrift u.s.w.), leicht zu versehn durch we- nige Hirten; und Pachtungen auf Zeit, auf Lebzeit und auf jährliche Kün- digung (wovon ein großer Theil der Yeomen lebte) wurden||685| in Doma- nialgüter verwandelt. Dies brachte einen Verfall des Volks hervor und, in Folge dessen einen Verfall von Städten, Kirchen, Zehnten . . . I n der Kur dieses Mißstandes war die Weisheit des Königs und des Parlaments zu die- ser Zeit bewundernswerth ... Sie ergriffen Maßregeln wider diese entvöl- kernde Usurpation der Gemeindeländereien (depopulating inclosures) und die ihr auf dem Fuß folgende entvölkernde Weidewirthschaft (depopula- ting pasture)." Ein Akt Heinrich des Siebenten, 1488, c. 19, verbot die Zer- störung aller Bauernhäuser, zu denen wenigstens 20 Acres Land gehörten. In einem Akt 25, Heinrich VIII., wird dasselbe Gesetz erneuert. Es heißt 646 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation u. a., daß „viele Pachtungen und große Viehheerden, besonders Schafe, sich in wenigen Händen aufhäufen, wodurch die Grundrenten sehr ge- wachsen und der Ackerbau (tillage) sehr verfallen, Kirchen und Häuser niedergerissen, wunderbare Volksmassen verunfähigt seien, sich selbst und 5 Familien zu erhalten." Das Gesetz verordnet daher den Wiederbau der ver- f a l l e n Hofstätten, bestimmt das Verhältniß zwischen Kornland und Wei- deland u. s. w. Ein Akt von 1533 klagt, daß manche Eigenthümer 24 000 Schafe besitzen, und beschränkt deren Zahl auf 2 0 0 0 1 9 3 ) . Die Volks- klage und die seit Heinrich dem VII. an 150 Jahre fortdauernde Gesetzge- 10 bung wider die Expropriation der kleinen Pächter und Bauern waren gleich fruchtlos. Das Geheimniß ihrer Erfolglosigkeit verräth uns Baco wider Wis- sen. „Der Akt Heinrich's des Siebenten", sagt er in seinen „Essays, civil and moral" Sect. 20, „war tief und bewunderungswürdig, indem er Land- wirtschaften und Ackerbauhäuser von bestimmtem Normalmaß schuf, 15 d.h. eine Proportion von Land für sie erhielt, die sie befähigte, Untertha- nen von genügendem Reichthum und ohne servile Lage auf die Welt zu setzen und den Pflug in der Hand von Eigenthümern, nicht von Miethlin- gen zu halten" (,,to keep the plough in the hand of the owners and not hire- lings") 1 9 3 a ) . Was ||686| das kapitalistische System erheischte, war umge- 20 kehrt servile Lage der Volksmasse, ihre eigne Verwandlung in Miethlinge, und Verwandlung ihrer Arbeitsmittel in Kapital. Während dieser Ueber- gangsperiode suchte die Gesetzgebung auch die 4 Acres Land bei der Cot- tage des ländlichen Lohnarbeiters zu erhalten, und verbot ihm die Auf- nahme von Miethsleuten in seine Cottage. Noch 1627, unter KarlL, wurde 25 Roger Crocker von Fontmill verurtheilt wegen Bau's einer Cottage im Man- or von Fontmill ohne 4 Acres Land als beständiges Annex an dieselbe; 1 9 3 ) In seiner ,,Utopia" spricht Thomas Morus von dem sonderbaren Land, wo „Schafe die Menschen auffressen". Utopia, transi. Robinson, ed. Arber, London 1869, p.41. 1 9 3 a) Baco setzt den Zusammenhang zwischen einer freien wohlhabenden Bauerschaft und 30 guter Infanterie auseinander. „Es war dies wundervoll wichtig für die Macht und Haltung des Königreichs, Pachtung zu haben von genügendem Maß, um tüchtige Männer außer Noth zu halten, und einen großen Theil des Bodens des Königreichs festzubinden im Besitz der Yeomanry oder von Leuten mittlerer Lage zwischen Edelleuten und Häuslern (cottagers) und Bauernknechten ... Denn es ist die allgemeine Meinung der kompetentesten Kriegskenner ... 35 daß die Hauptstärke einer Armee in der Infanterie oder dem Fußvolk besteht. Aber um eine gute Infanterie zu bilden, braucht man Leute, die nicht in serviler oder dürftiger Weise, son-^ dem frei und in einer gewissen Wohlhabenheit aufgewachsen sind. Wenn ein Staat daher all- zumeist in Edelleute und feine Herren ausschlägt, während Landleute und Pflüger deren bloßes Arbeitsvolk oder Ackerknechte sind, oder auch Häusler, d. h. behauste Bettler, mögt ihr eine gute Reiterei haben, aber niemals gutes standhaftes Fußvolk ... Man sieht dies in Frankreich und Italien und einigen andren auswärtigen Gegenden, wo in der That alles Adel oder elende Bauerschaft .... so sehr, daß sie gezwungen sind Lohnbanden von Schweizern u. dgl. für ihre Infanteriebataillone anzuwenden: woher es auch kommt, daß diese Nationen viel Volk und wenig Soldaten haben." („The Reign of Henry VII etc. Verbatim Reprint from 40 45 Kennet's England, ed. 1719, Lond. 1870", p. 308.) 647 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals noch 1638, unter Karl L, wurde eine königliche Kommission ernannt, um die Durchführung der alten Gesetze, namentlich auch über die 4 Acres Land, zu erzwingen; noch Cromwell verbot Erbauung eines Hauses in 10 Meilen weitem Umkreis von London ohne Ausstattung desselben mit 4 Acres Land. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird geklagt, wenn die Cottage des Landarbeiters kein Zubehör von 1 bis 2 Acres hat. Heutzutag ist er glücklich, wenn sie mit einem Gärtchen ausgestattet ist, oder wenn er weitab von ihr ein Paar Ruthen Land miethen kann. „Grund- herren und Pächter", sagt Dr. Hunter, „handeln hier Hand in Hand. We- nige Acres zur Cottage würden den Arbeiter zu unabhängig m a c h e n " 1 9 4 ) . 5 10 Einen neuen furchtbaren Anstoß erhielt der gewaltsame Expropriations- proceß der Volksmasse im 16. Jahrhundert durch die Reformation und, in ihrem Gefolge, den kolossalen Diebstahl der Kirchengüter. Die katholische Kirche war zur Zeit der Reformation Feudaleigenthümerin eines großen Theils des englischen Grund und Bodens. Die Unterdrückung der Klöster 15 u. s. w. schleuderte deren Einwohner ins Proletariat. Die Kirchengüter selbst wurden ||687| großentheils an raubsüchtige königliche Günstlinge verschenkt oder zu einem Spottpreis an spekulirende Pächter und Stadt- bürger verkauft, welche die alten erblichen Untersassen massenhaft verjag- ten und ihre Wirthschaften zusammenwarfen. Das gesetzlich garantirte Ei- 20 genthum verarmter Landleute an einem Theil der Kirchenzehnten ward stillschweigend konfiscirt 1 9 5). „Pauper ubique jacet", rief Königin Elisabeth nach einer Rundreise durch England. Im 43. Jahre ihrer Regierung war man endlich gezwungen, den Pauperismus officiell anzuerkennen durch Einführung der Armensteuer. „Die Urheber dieses Gesetzes schämten sich, seine Gründe auszusprechen, und schickten es daher, wider alles Herkom- men, ohne irgend ein preamble (Eingangsmotivirung) in die W e l t " 1 9 6 ) . Durch 16. Car. L, 4 wurde es perpetuell erklärt und erhielt in der That erst 1834 eine neue härtere F o r m 1 9 7 ) . Diese unmittelbaren Wir||688|kungen der 25 1 9 4 ) Dr. Hunter 1. c. p. 134. - "The quantity of land assigned (in den alten Gesetzen) would 30 now be judged too great for labourers, and rather äs likely to convert them into small farmers." (George Roberts: ,,The Social History of the People of the Southern Counties of England in past centuries. Lond. 1856", p. 184.) 1 9 5 ) "The right of the poor to share in the tithe, is established by the tenour of ancient stat- utes." (Tuckett 1. c. v. II, p. 804, 805.) 1 9 6 ) William Cobbett: A History of the Protestant Reformation, §. 471. 1 9 7 ) Den protestantischen „Geist" ersieht man u.a. aus folgendem. Im Süden Englands steck- ten verschiedne Grundeigenthümer und wohlhabende Pächter die Köpfe zusammen und setz- ten über die richtige Interpretation des Armengesetzes der Elisabeth 10 Fragen auf, welche sie einem berühmten Juristen jener Zeit, Sergeant Snigge (später Richter unter Jakob I.), zum 40 Gutachten vorlegten. „Neunte Frage: Einige der reichen Pächter der Pfarrei haben einen klu- gen Plan ausgeheckt, wodurch alle Wirre in Ausübung des Akts beseitigt werden kann. Sie schlagen den Bau eines Gefängnisses in der Pfarrei vor. Jedem Armen, der sich nicht in vor- besagtes Gefängniß einsperren lassen will, soll die Unterstützung versagt werden. Es soll dann 35 x 648 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation Reformation waren nicht ihre nachhaltigsten. Das Kircheneigenthum bil- dete das religiöse Bollwerk der altherthümlichen Grundeigenthumsverhält- nisse. Mit seinem Fall waren sie nicht länger haltbar 1 9 8). Noch in den letzten Decennien des 17. Jahrhunderts war die Yeomanry, 5 eine unabhängige Bauerschaft, zahlreicher als die Klasse der Pächter. Sie hatte die Hauptstärke Cromwell's gebildet und stand, selbst nach Macau- lay's Geständniß, in vortheilhaftem Gegensatz zu den versoffnen Mistjun- kern und ihren Bedienten, den Landpfaffen, welche die herrschaftliche „Lieblingsmagd" unter die Haube bringen mußten. Noch waren selbst die 10 ländlichen Lohnarbeiter Mitbesitzer am Gemeindeeigenthum. 1750 unge- fähr war die Yeomanry verschwunden 1 9 9), und in den letzten Decennien des 18. Jahrhunderts die letzte Spur von Gemeindeeigenthum der Acker- der Nachbarschaft Anzeige gemacht werden, daß wenn irgend eine Person geneigt, die Armen dieser Pfarrei zu pachten, sie versiegelte Vorschläge eingeben soll, an einem bestimmten Tag, 15 zum niedrigsten Preis, wozu sie selbe uns abnehmen will. Die Urheber dieses Plans unterstel- len, daß es in den Nachbargrafschaften Personen giebt, die unwillig sind zu arbeiten, und ohne Vermögen oder Kredit, um eine Pacht oder ein Schiff zu erwerben, so daß sie ohne Ar- beit leben könnten („so as to live without labour"). Solche dürften geneigt sein, der Pfarrei sehr vortheilhafte Vorschläge zu machen. Sollten hier und da Arme unter des Kontraktors Ob- 20 hut kaput gehn, so wird die Sünde an seiner Thür liegen, da die Pfarrei ihre Pflichten gegen selbige Arme erfüllt hätte. Wir fürchten jedoch, daß der gegenwärtige Akt keine Klugheits- maßregel (,,prudential measure") dieser Art erlaubt; aber Sie müssen wissen, daß der Rest der freeholders dieser Grafschaft und der anliegenden sich uns anschließen wird, um ihre Un- terhausmitglieder zur Vorlage eines Gesetzes anzutreiben, welches Einsperrung und Zwangs- 25 arbeit der Armen gestattet, so daß jede Person, welche sich der Einsperrung widersetzt, zu kei- ner Unterstützung berechtigt sein soll. Dies, so hoffen wir, wird Personen im Elend abhalten, Unterstützung zu beanspruchen („will prevent persons in distress from wanting relief ) . " (R. Blakey: „The History of Political Literature from the earliest times. Lond. 1855", v. II, p. 84, 85.) - In Schottland fand die Abschaffung der Leibeigenschaft Jahrhunderte später statt 30 als in England. Noch 1698 erklärte Fletcher von Saltoun im schottischen Parlament: „Die Zahl der Bettler ist in Schottland auf nicht weniger als 200 000 geschätzt. Das einzige Hülfs- mittel, welches ich, ein Republikaner von Princip, vorschlagen kann, ist, den alten Zustand der Leibeigenschaft zu restauriren und aus allen denen Sklaven zu machen, die unfähig sind, für ihre eigne Subsistenz zu sorgen." So Eden I.e. b.I, ch.I p.60, 61: „Von der Freiheit der Ak- 35 kerbauer datirt der Pauperismus ... Manufakturen und Handel sind die wahren Aeltern unsrer nationalen Armen." Eden, wie jener schottische Republikaner von Princip, irrt nur darin, daß nicht die Aufhebung der Leibeigenschaft, sondern die Aufhebung des Eigenthums des Acker- bauers an Grund und Boden ihn zum Proletarier, resp. Pauper machte. - Englands Armenge- setzen entspricht in Frankreich, wo sich die Expropriation in andrer Weise vollzog, die Or- 40 donnanz von Moulins, 1566, und das Edikt von 1656. 1 9 8 ) Herr Rogers, obgleich damals Professor der politischen Oekonomie an der Universität zu Oxford, dem Stammsitz protestantischer Orthodoxie, betont in seiner Vorrede zur ,,History of Agriculture" die Pauperisirung der Volksmasse durch die Reformation. 1 9 9 ) „A Letter to Sir T.C.Bunbury, Brt.: On the High Price of Provisions. By a Suffolk Gentle- 45 man. Ipswich 1795", p. 4. Selbst der fanatische Vertheidiger des großen Pachtwesens, der Ver- fasser der ,,Inquiry into the Connection of large farms etc. Lond. 1773", p. 139, sagt: "I most lament the loss of our yeomanry, that set of men, who really kept up the independence of this nation; and sorry I am to see their lands now in the hands of monopolizing lords, tenanted out to small farmers, who hold their leases on such conditions as to be little better than vassals ready to attend a summons on every mischievous occasion." 50 649 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals bauer. Wir sehn hier ab von den rein ökonomischen Triebfedern der Agri- kulturrevolution. Wir fragen nach ihren gewaltsamen Hebeln. Unter der Restauration der Stuarts setzten die Grundeigenthümer eine Usurpation gesetzlich durch, die sich überall auf dem Kontinent auch ohne gesetzliche Weitläufigkeit vollzog. Sie hoben die Feudalverfassung des Bodens auf, d. h. sie schüttelten seine Leistungspflichten an den Staat ab, „entschädigten" den Staat durch Steuern auf die Bauerschaft und übrige Volksmasse, vindi||689|cirten modernes Privateigenthum an Gütern, worauf sie nur Feudaltitel besaßen, und oktroyirten schließlich jene Nie- derlassungsgesetze (laws of settlement), die, mutatis mutandis, auf die eng- 10 lischen Ackerbauer wirkten, wie des Tataren Boris Godunof Edikt auf die russische Bauerschaft. 5 Die ,,glorious Revolution" (glorreiche Revolution) brachte mit dem Ora- nier Wilhelm I I I . 2 0 0 ) die grundherrlichen und kapitalistischen Plusmacher zur Herrschaft. Sie weihten die neue Aera ein, indem sie den bisher nur bescheiden betriebenen Diebstahl an den Staatsdomänen auf kolossaler Stufenleiter ausübten. Diese Ländereien wurden verschenkt, zu Spottprei- sen verkauft, oder auch durch direkte Usurpation an Privatgüter anne- x i r t 2 0 1 ) . Alles das geschah ohne die geringste Beobachtung gesetzlicher Eti- quette. Das so fraudulent angeeignete Staatsgut sammt dem Kirchenraub, so weit er während der republikanischen Revolution nicht abhanden ge- kommen, bildet die Grundlage der heutigen fürstlichen Domänen der eng- lischen Oligarchie 2 0 2). Die bürgerlichen Kapitalisten begünstigten die Ope- ration, u. a. um den Grund und Boden in einen reinen Handelsartikel zu verwandeln, das Gebiet des agrikolen Großbetriebs auszudehnen, ihre Zu- fuhr vogelfreier Proletarier vom Lande zu vermehren u.s.w. Zudem war die neue Grundaristokratie die natürliche Bundesgenossin der neuen Banko- kratie, der eben aus dem Ei gekrochnen hohen Finanz und der damals auf Schutzzölle sich stützenden großen Manufakturisten. Die englische Bour- 15 20 25 2 0 0 ) Ueber die Privatmoral dieses bürgerlichen ,Helden u. a.: „The large grant of lands in Ire- 30 land to Lady Orkney, in 1695, is a public instance of the king's affection, and the lady's influ- ence ... Lady Orkney's endearing offices, are supposed to have been - foeda labiorum mini- steria." (In der Sloane Manuscript Collection, auf dem britischen Museum, Nr. 4224. Das Manuskript ist betitelt: „The character and behaviour of King William, Sunderland etc. as re- presented in Original Letters to the Duke of Shrewsbury from Somers, Halifax, Oxford, Secre- 35 tary Vernon etc." Es ist voller Kuriosa.) 2 0 1 ) „Die illegale Veräußerung der Krongüter, theils durch Verkauf und theils durch Schen- kung, bildet ein skandalöses Kapitel in der englischen Geschichte ... eine gigantische Prelle- rei der Nation (gigantic fraud on the nation)." (F. W. Newman: ,,Lectures on Political Econ. Lond. 1851", p. 129, 130.) - (Wie die heutigen englischen Großgrundbesitzer zu ihrem Besitz 40 kamen, im Einzelnen nachzusehn in „Our old Nobility. By Noblesse Oblige. London 1879". - D.H.) 2 0 2 ) Man lese z. B. E. Burke's Pamphlet über das herzogliche Haus von Bedford, dessen Sprosse Lord John Russell, „the tomtit of liberalism". 650 Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation geoisie handelte für ihr Interesse ganz so richtig wie die schwedischen Stadtbürger, die umgekehrt, Hand in Hand mit ihrem ökonomischen Boll- werk, der Bauerschaft, die ||690| Könige in der gewaltsamen Resumption der Kronländereien von der Oligarchie (seit 1604, später unter KarlX. und 5 Karl X L ) unterstützten. 15 10 Das Gemeindeeigenthum - durchaus verschieden von dem eben be- trachteten Staatseigenthum - war eine altgermanische Einrichtung, die unter der Decke der Feudalität fortlebte. Man hat gesehn, wie die gewaltsa- me Usurpation desselben, meist begleitet von Verwandlung des Ackerlands in Viehweide, Ende des 15. Jahrhunderts beginnt und im 16. Jahrhundert fortdauert. Aber damals vollzog sich der Proceß als individuelle Gewalt- t a t , wogegen die Gesetzgebung 150 Jahre lang vergeblich ankämpft. Der Fortschritt des 18. Jahrhunderts offenbart sich darin, daß das Gesetz selbst jetzt zum Vehikel des Raubs am Volksland wird, obgleich die großen Päch- ter nebenbei auch ihre kleinen unabhängigen Privatmethoden anwen- den 2 0 3). Die parlamentarische Form des Raubs ist die der „Bills for Inclo- sures of Commons" (Gesetze für Einhegung des Gemeindelandes), in andren Worten Dekrete, wodurch die Grundherrn Volksland sich selbst als Privat- eigenthum schenken, Dekrete der Volksexpropriation. Sir F. M. Eden wi- 20 derlegt sein pfiffiges Advokatenplaidoyer, worin er das Gemeindeeigen- thum als Privateigenthum der an die Stelle der Feudalen getretenen großen Grundeigenthümer darzustellen sucht, indem er selbst einen „allgemeinen Parlamentsakt für Einhegung der Gemeindeländereien" verlangt, also zu- giebt, daß ein parlamentarischer Staatsstreich zu ihrer Verwandlung in Pri- 25 vateigenthum nöthig ist, andrerseits aber von der Legislatur „Schadener- satz" für die expropriirten Armen fordert 2 0 4). Während an die Stelle der unabhängigen Yeomen tenants-atwill traten, kleinere Pächter auf einjährige Kündigung, eine servile und von der Will- kühr der Landlords abhängige Rotte, half, neben dem Raub der Staatsdo- 30 mänen, namentlich der systematisch betriebne Diebstahl des Gemeindeei- genthums jene großen Pachten anschwellen, die man im 18. Jahrhundert Kapital-Pachten 2 0 5) oder ||691| Kaufmanns-Pachten 2 0 6) nannte, und das Landvolk als Proletariat für die Industrie „freisetzen". 35 40 2 0 3 ) „Die Pächter verbieten den cottagers (Häuslern) irgend eine lebendige Kreatur außer sich selbst zu erhalten, unter dem Vorwand, daß wenn sie Vieh oder Geflügel hielten, sie von den Scheunen Futter stehlen würden. Sie sagen auch, haltet die Cottagers arm, und ihr haltet sie fleißig. Die wirkliche Thatsache aber ist, daß die Pächter so das ganze Recht an den Gemein- deländereien usurpiren." („A Political Enquiry into the Consequences of enclosing Waste Lands. Lond. 1785", p. 75.) 2 0 4 ) Eden 1. c. Preface. 2 0 5 ) „Capital farms". (,,Two Letters on the Flour Trade and the Dearness of Corn. By a Person in Business. Lond. 1767", p. 19, 20.) 2 0 6 ) ,,Merchant-farms". „An Inquiry into the Present High Prices of Provisions. Lond. 1767", 651 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Das 18. Jahrhundert begriff jedoch noch nicht in demselben Maß wie das 19. die Identität zwischen Nationalreichthum und Volksarmuth. Daher heftigste Polemik in der ökonomischen Literatur jener Zeit über die „inclo- sure of commons". Ich gebe aus dem massenhaften Material, das mir vor- liegt, einige wenige Stellen, weil dadurch lebhaft die Zustände veranschau- licht werden. 5 15 „In vielen Pfarreien von Hertfordshire", schreibt eine entrüstete Feder, „sind 24 im Durchschnitt 5 0 - 1 5 0 Acres zählende Pachten in 3 Pachten zu- sammengeschmolzen" 2 0 7 ) . „In Northamptonshire und Leicestershire hat die Einhegung der Gemeindeländereien sehr vorgeherrscht und die mei- 10 sten aus den Einhegungen entsprungnen neuen Lordschaften sind in Weide verwandelt; in Folge davon haben viele Lordschaften jetzt nicht 50 Acres unter dem Pflug, wo früher 1500 gepflügt wurden ... Ruinen frü- herer Wohnhäuser, Scheunen, Ställe u.s.w." sind die einzigen Spuren der früheren Einwohner. „Hundert Häuser und Familien sind an manchen Plätzen zusammengeschrumpft .... auf 8 oder 10 Der Grundeigenthü- mer in den meisten Pfarreien, wo die Einhegung erst seit 15 oder 20 Jahren vorging, sind sehr wenige in Vergleich zu den Zahlen, von denen das Land im offnen Feldzustand bebaut wurde. Es ist nichts Ungewöhnliches, 4 oder 5 reiche Viehmäster große, jüngst eingehegte Lordschaften usurpiren zu 20 sehn, die sich früher in der Hand von 2 0 - 3 0 Pächtern und von ebenso vie- len kleineren Eigenthümern und Insassen befanden. Alle diese sind mit ihren Familien aus ihrem Besitzthum herausgeworfen, nebst vielen andren Familien, die durch sie beschäftigt und erhalten wurden" 2 0 8). Es war nicht nur brachliegendes, sondern oft, unter bestimmter Zahlung an die Ge- 25 meinde, oder gemeinschaftlich bebautes Land, das unter dem Vorwand der Einhegung vom angrenzenden Landlord annexirt wurde. „Ich spreche hier vom Einschluß offner Felder und Ländereien, die bereits bebaut sind. Selbst die Schriftsteller, welche die Inclosures vertheidigen, geben zu, daß letztre das Monopol großer Pachtungen ||692| vermehren, die Preise der Le- 30 bensmittel erhöhen und Entvölkerung produciren ... und selbst die Einhe- gung wüster Ländereien, wie jetzt betrieben, raubt dem Armen einen Theil seiner Subsistenzmittel und schwellt Pachtungen auf, die bereits zu groß s i n d " 2 0 9 ) . „Wenn", sagt Dr. Price, „das Land in die Hände einiger weniger p. 111, Note. Diese gute Schrift, die anonym erschien, verfaßt von dem Rev. Nathaniel For- 35 ster. 2 0 7 ) Thomas Wright: „A short address to the Public on the Monopoly of small farms. 1795", p.2 5 3. 2 0 8 ) Rev. Addington: ,,Enquiry into the Reasons for or against enclosing open fields. Lond. 1772", p. 37-43 passim. 2 0 9 ) Dr. R.Price I.e. v.II, p. 155, 156. Man lese Forster, Addington, Kent, Price and James An- derson, und vergleiche das elende Sykophantengeschwätz MacCulloch's in seinem Katalog: The Literature of Political Economy. Lond. 1845. 40 652 Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation 10 großen Pächter geräth, werden die kleinen Pächter (früher von ihm be- zeichnet als „eine Menge kleiner Eigenthümer und Pächter, die sich selbst und Familien erhalten durch das Produkt des von ihnen bestellten Landes, durch Schafe, Geflügel, Schweine u. s. w., die sie auf das Gemeindeland 5 schicken, so daß sie wenig Anlaß zum Kauf von Subsistenzmitteln haben") verwandelt in Leute, die ihre Subsistenz durch Arbeit für Andre gewinnen müssen und gezwungen sind, für alles, was sie brauchen, zu Markt zu gehn .... Es wird vielleicht mehr Arbeit verrichtet, weil mehr Zwang dazu herrscht... Städte und Manufakturen werden wachsen, weil mehr Leute zu ihnen verjagt werden, welche Beschäftigung suchen. Dies ist der Weg, wo- rin die Koncentration der Pachtungen naturgemäß wirkt, und worin sie, seit vielen Jahren, in diesem Königreich thatsächlich gewirkt h a t " 2 1 0 ) . Er faßt die Gesammtwirkung der inclosures so zusammen: „Im Ganzen hat sich die Lage der niederen Volksklassen fast in jeder Hinsicht verschlech- tert, die kleineren Grundbesitzer und Pächter sind herabgedrückt auf den Stand von Taglöhnern und Miethlingen; und zur selben Zeit ist der Le- bensgewinn in diesem Zustand schwieriger geworden" 2 1 1). In der That wirkten Usurpation des Gemeindelands ||693| und die sie begleitende R e - volution der Agrikultur so akut auf die Ackerbauarbeiter, daß, nach Eden 20 selbst, zwischen 1765 und 1780 ihr Lohn anfing unter das Minimum zu fal- len und durch officielle Armenunterstützung ergänzt zu werden. Ihr Ar- beitslohn, sagt er, „genügte nur noch eben für die absoluten Lebensbedürf- nisse". 15 Hören wir noch einen Augenblick einen Vertheidiger der enclosures und 25 Gegner des Dr. Price. „Es ist kein richtiger Schluß, daß Entvölkerung vor- handen, weil man Leute nicht länger ihre Arbeit im offnen Feld ver- schwenden sieht. ... Wenn nach Verwandlung kleiner Bauern in Leute, die 2 1 0 ) I.e. p. 147, 148. 2 n ) I.e. p. 159, 160. Man erinnert sich an das alte Rom. „Die Reichen hatten sich des größten Theils der ungetheilten Ländereien bemächtigt. Sie vertrauten den Zeitumständen, daß sie ihnen nicht mehr abgenommen würden, und kauften daher die in ihrer Nähe gelegenen Stücke der Armen, zum Theil mit deren Willen, zum Theil nahmen sie sie ihnen mit Gewalt, so daß sie nur mehr weit ausgedehnte Domänen statt einzelner Felder bebauten. Sie ge- brauchten dabei Sklaven zum Landbau und zur Viehzucht, weil ihnen freie Leute weg von der Arbeit zum Kriegsdienst genommen worden wären. Der Besitz von Sklaven brachte ihnen auch insofern großen Gewinn, als sich diese wegen ihrer Befreiung vom Kriegsdienst unge- fährdet vermehren konnten und eine Menge Kinder bekamen. So zogen die Mächtigen durch- aus allen Reichthum an sich und die ganze Gegend wimmelte von Sklaven. Der Italer dage- gen wurden immer weniger, aufgerieben wie sie waren durch Armuth, Abgaben und Kriegsdienst. Traten aber auch Zeiten des Friedens ein, so waren sie zu vollkommner Unthä- tigkeit verdammt, weil die Reichen im Besitze des Bodens waren, und statt freier Leute Skla- ven zum Ackerbau brauchten." (Appian: Römische Bürgerkriege I, 7.) Diese Stelle bezieht sich auf die Zeit vor dem licinischen Gesetze. Der Kriegsdienst, der den Ruin der römischen Plebejer so sehr beschleunigte, war auch ein Hauptmittel, wodurch Karl der Große die Ver- wandlung freier deutscher Bauern in Hörige und Leibeigne treibhausmäßig förderte. 35 40 653 i Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals für andre arbeiten müssen, mehr Arbeit flüssig gemacht wird, so ist das ja ein Vortheil, den die Nation (wozu die Verwandelten natürlich nicht gehö- ren) wünschen muß ... Das Produkt wird größer sein, wenn ihre kombinirte Arbeit auf einer Pachtung angewandt wird: so wird Surplusprodukt für die Manufakturen gebildet, und dadurch werden Manufakturen, eine der Goldgruben dieser Nation, im Verhältniß zum producirten Kornquantum vermehrt" 2 1 2). 5 10 Die stoische Seelenruhe, womit der politische Oekonom frechste Schän- dung des „heiligen Rechts des Eigenthums" und gröbste Gewaltthat wider Personen betrachtet, sobald sie erheischt sind, um die Grundlage der kapi- talistischen Produktionsweise herzustellen, zeigt uns u. a. der überdem noch torystisch gefärbte und „philanthropische" Sir F . M . Eden. Die ganze Reihe von Raubthaten, Greueln und Volksdrangsalen, welche die gewaltsa- me Volksexpropriation vom letzten Drittel des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts begleiten treibt ihn nur zur „komfortablen" Schlußrefle- 15 xion: „Die richtige (due) Proportion zwischen Acker- und Viehland mußte hergestellt werden. Noch im ganzen 14. und größten Theil des 15. Jahrhun- derts kam 1 Acre Viehweide auf 2, 3 und selbst 4 Acres Ackerland. In Mitte des 16. Jahrhun||694|derts verwandelte sich die Proportion in 3 Acres Viehland auf 2, später von 2 Acres Viehweide auf 1 Acre Ackerland, bis 20 endlich die richtige Proportion von 3 Acres Viehland auf 1 Acre Ackerland herauskam." Im 19. Jahrhundert verlor sich natürlich selbst die Erinnerung des Zu- sammenhangs zwischen Ackerbauer und Gemeindeeigenthum. Von späte- rer Zeit gar nicht zu reden, welchen Farthing Ersatz erhielt das Landvolk 25 jemals für die 3 5 1 1 7 7 0 Acres Gemeindeland, die ihm zwischen 1801 und 1831 geraubt und parlamentarisch den Landlords von den Landlords ge- schenkt wurden? Der letzte große Expropriationsproceß der Ackerbauer von Grund und Boden endlich ist das sog. Clearing of Estates (Lichten der Güter, in der 30 That Wegfegung der Menschen von denselben). Alle bisher betrachteten englischen Methoden kulminirten im „Lichten". Wie man bei der Schilde- rung des modernen Zustands im vorigen Abschnitt sah, geht es jetzt, wo keine unabhängigen Bauern mehr wegzufegen sind, bis zum „Lichten" der Cottages fort, so daß die Ackerbauarbeiter auf dem von ihnen bestellten 35 Boden selbst nicht mehr den nöthigen Raum zur eignen Behausung fin- 2 1 2 ) „An Inquiry into the Connection between the present Price of Provisions etc.", p. 124, 125, 128, 129. Aehnlich, aber mit entgegengesetzter Tendenz: "Working men are driven from their cottages, and forced into the towns to seek for employment; - but then a larger surplus is obtained, and thus Capital is augmented." (,,The Perils of the Nation. 2nd. ed. Lond. 1843", 40 p. XIV.) 654 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation den. Was aber „Clearing of estates" im eigentlichen Sinne bedeutet, das lernen wir nur kennen im gelobten Lande der modernen Romanliteratur, in Hochschottland. Dort zeichnet sich der Vorgang aus durch seinen syste- matischen Charakter, durch die Größe der Stufenleiter, worauf er mit 5 einem Schlag vollzogen wird (in Irland haben Grundherrn es dahin ge- braucht, mehrere Dörfer gleichzeitig wegzufegen; in Hochschottland han- delt es sich um Bodenflächen von der Größe deutscher Herzogthümer) - und endlich durch die besondre Form des unterschlagenen Grundeigen- thums. 10 Die Celten Hochschottlands bestanden aus Clans, deren Jeder Eigenthü- mer des von ihm besiedelten Bodens war. Der Repräsentant des Clans, sein Chef oder „großer Mann", war nur Titulareigenthümer dieses Bodens, ganz wie die Königin von England Titulareigenthümerin des nationalen Ge- sammtbodens ist. Als der englischen Regierung gelungen war, die inneren 15 Kriege dieser „großen Männer" und ihre fortwährenden Einfälle in die nie- derschottischen Ebenen zu unterdrücken, gaben die Clanchefs ihr altes Räuberhandwerk keineswegs auf; sie änderten nur die Form. Aus eigner Autorität verwandelten sie ihr Titular-Eigenthumsrecht in Privateigen- thumsrecht, und da sie bei den Clanleuten auf Widerstand stießen, be- 20 schlössen sie diese mit offner Gewalt zu ||695| vertreiben. „Ein König von England könnte mit demselben Recht sich anmaßen, seine Unterthanen in die See zu jagen", sagt Professor Newman 2 1 3). Diese Revolution, welche in Schottland nach der letzten Schilderhebung des Prätendenten begann, kann man in ihren ersten Phasen verfolgen bei Sir James Steuart 2 1 4) und 25 James Anderson 2 1 5). Im 18. Jahrhundert wurde zugleich den vom Land ver- jagten Gaelen die Auswanderung verboten, um sie gewaltsam nach Glas- gow und andren Fabrikstädten zu treiben 2 1 6). Als Beispiel der im 19. Jahr- hundert herrschenden Methode 2 1 7) genügen hier die „Lichtungen" der 2 1 3 ) "A king of England might as well claim to drive his subjects into the sea." (F.W.Newman 30 L c p. 132.) 2 1 4 ) Steuart sagt: „Die Rente dieser Länder (er überträgt irrthümlich diese ökonomische Kate- gorie auf den Tribut der taksmen an den Clanchef) ist durchaus unbedeutend im Vergleich zu ihrem Umfang, aber, was die Personenzahl betrifft, welche eine Pacht erhält, wird man viel- leicht finden, daß ein Stück Boden in den Hochlanden von Schottland zehnmal mehr Leute 35 ernährt, als Land von demselben Werth in den reichsten Provinzen." (1. c. v.I, ch.XVI, p. 104.) 2 1 5 ) James Anderson: ,,Observations on the means of exciting a spirit of National Industry etc. Edinburgh 1777". 2 1 6 ) 1860 wurden gewaltsam Expropriirte nach Kanada exportirt unter falschen Versprechun- gen. Einige flohen in die Berge und benachbarten Eilande. Sie wurden von Policisten verfolgt, kamen zum Handgemenge mit ihnen und entkamen. 2 1 7 ) „In den Hochlanden", sagt Buchanan, der Kommentator A. Smith's, 1814, „wird der alte Eigenthumszustand täglich gewaltsam umgewälzt ... Der Landlord, ohne Rücksicht auf die Erbpächter (auch dies ist hier irrig angewandte Kategorie), bietet das Land dem höchsten Bie- ter an, und wenn dieser ein Verbesserer (improver) ist, führt er unmittelbar ein neues Kultur- 40 655 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Herzogin von Sutherland. Diese ökonomisch geschulte Person beschloß gleich bei ihrem Regierungsantritt eine ökonomische Radikalkur vorzu- nehmen und die ganze Grafschaft, deren Einwohnerschaft durch frühere, ähnliche Processe bereits auf 15 000 zusammengeschmolzen war, ||696| in Schaftrift zu verwandeln. Von 1811 bis 1820 wurden diese 15 000 Einwoh- ner, ungefähr 3000 Familien, systematisch verjagt und ausgerottet. Alle ihre Dörfer wurden zerstört und niedergebrannt, alle ihre Felder in Weide verwandelt. Britische Soldaten wurden zur Exekution kommandirt und ka- men zu Schlägen mit den Eingebornen. Eine alte Frau verbrannte in den Flammen der Hütte, die sie zu verlassen sich weigerte. So eignete sich 10 diese Madame 794 000 Acres Land an, das seit undenklichen Zeiten dem Clan gehörte. Den vertriebnen Eingebornen wies sie am Seegestad unge- fähr 6000 Acres zu, 2 Acres per Familie. Die 6000 Acres hatten bisher wüst gelegen und den Eigenthümern kein Einkommen abgeworfen. Die Herzo- gin ging in ihrem Nobelgefühl so weit, den Acre im Durchschnitt zu 2 sh. 15 6 d. Rente zu verpachten an die Clanleute, die seit Jahrhunderten ihr Blut für die Familie vergossen hatten. Das ganze geraubte Clanland theilte sie in 29 große Schafpachtungen, jede bewohnt von einer einzigen Familie, meist englische Pächterknechte. Im Jahre 1820 waren die 15 000 Gaelen bereits ersetzt durch 1 3 1 0 0 0 Schafe. Der an das Seegestad geworfne Theil 20 der Aborigines suchte vom Fischfang zu leben. Sie wurden Amphibien und lebten, wie ein englischer Schriftsteller sagt, halb auf dem Land und halb auf dem Wasser und lebten mit alledem nur halb von beiden 2 1 8). Aber die braven Gaelen sollten noch schwerer ihre bergromantische Ido- system ein. Der Boden, früher übersät mit kleinen Bauern, war im Verhältniß zu seinem Pro- 25 dukt bevölkert; unter dem neuen System verbesserter Kultur und vermehrter Renten, wird größtmöglichstes Produkt zu möglichst geringen Kosten erhalten und zu diesem Behufe wer- den die nun nutzlos gewordenen Hände entfernt.... Die Auswürflinge des Heimlands suchen Subsistenz in den Fabrikstädten u.s.w." (David Buchanan: ,,Observations on etc. A. Smith's Wealth of Nations. Edinb. 1814", vol. IV, p. 144.) „Die schottischen Großen haben Familien 30 expropriirt, wie sie Unkraut ausroden würden, sie haben Dorfschaften und ihre Bevölkerung behandelt, wie die Indier in ihrer Rache die Höhlen wilder Bestien ... Der Mensch wird ver- schachert für ein Schafvließ oder eine Hammelkeule, ja für weniger ... Bei dem Einfall in die Nordprovinzen China's schlug man im Mongolenrath vor, die Einwohner auszurotten und ihr Land in Weide zu verwandeln. Diesen Vorschlag haben viele hochschottische Landlords in ihrem eignen Land gegen ihre eignen Landsleute ausgeführt." (George Ensor: „An Inquiry concerning the Population of Nations. Lond. 1818", p. 215, 216.) 2 1 8 ) Als die jetzige Herzogin von Sutherland die Mrs. Beecher-Stowe, Verfasserin von ,,Uncle Tom's Cabin", mit großem Prunk in London empfing, um ihre Sympathie für die Negerskla- ven der amerikanischen Republik auszustellen - was sie, nebst ihren Mitaristokratinnen, wohlweise während des Bürgerkriegs unterließ, wo jedes „noble" englische Herz für die Skla- venhalter schlug - stellte ich in der New-York Tribune die Verhältnisse der Sutherlandschen Sklaven dar. (Stellenweis ausgezogen von Carey in „The Slave Trade. Philadelphia 1853", p. 202, 203.) Mein Artikel ward in einem schottischen Blatt abgedruckt und rief eine artige Polemik zwischen letzterem und den Sykophanten der Sutherlands hervor. 35 40 45 656 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation latrie für die „großen Männer" des Clans abbüßen. Der Fischgeruch stieg den großen Männern in die Nase. Sie witterten etwas Profitliches dahinter und verpachteten das Seegestade den großen Fischhändlern von London. Die Gaelen wurden zum zweitenmal verjagt 2 1 9). 5 Endlich aber wird ein Theil der Schaftriften rückverwandelt ||697| in Jagdrevier. Man weiß, daß es keine eigentlichen Wälder in England giebt. Das Wild in den Parks der Großen ist konstitutionelles Hausvieh, fett wie Londoner Aldermen. Schottland ist daher das letzte Asyl der „noblen Pas- sion". „In den Hochlanden", sagt Somers, 1848, „sind die Waldungen sehr 10 ausgedehnt worden. Hier auf der einen Seite von Gaick habt ihr den neuen Wald von Glenfeshie und dort auf der andren Seite den neuen Wald von Ardverikie. In derselben Linie habt ihr den Black-Mount, eine ungeheure Wüste, neulich errichtet. Von Ost zu West, von der Nachbarschaft von Aberdeen bis zu den Klippen von Oban, habt ihr jetzt eine fortlaufende 15 Waldlinie, während sich in andren Theilen der Hochlande die neuen Wäl- der von Loch Archaig, Glengarry, Glenmoriston etc. befinden ... Die Ver- wandlung ihres Landes in Schafweide .... trieb die Gaelen auf unfruchtba- rem Boden. Jetzt fängt Rothwild an das Schaf zu ersetzen und treibt jene in noch zermalmenderes Elend ... Die Wildwaldungen 2 1 9 a) und das Volk 20 können nicht neben einander existiren. Eins oder das andre muß jedenfalls den Platz räumen. Laßt die Jagden in Zahl und Umfang im nächsten Vier- teljahrhundert wachsen wie im vergangenen, und ihr werdet keinen Gaelen mehr auf seiner heimischen Erde finden. Diese Bewegung unter den Höch- lands-Eigenthümern ist theils der Mode geschuldet, aristokratischem Kit- 25 zel, Jagdliebhaberei u.s.w., theils aber betreiben sie den Wildhandel aus- schließlich mit einem Auge auf den Profit. Denn es ist Thatsache, daß ein Stück Bergland, in Jagdung angelegt, in vielen Fällen ungleich profitabler ist denn als Schaftrift ... Der Liebhaber, der ein Jagdrevier sucht, be- schränkt sein Angebot nur durch die Weite seiner Börse ... Leiden sind 30 über die Hochlande verhängt worden nicht minder grausam, als die Politik normannischer Könige sie über England verhing. Rothwild hat freieren Spielraum erhalten, während die Menschen in engen und engern Zirkel ge- hetzt wurden ... Eine Freiheit des Volks nach der andren ward ihm ge- raubt ... Und die Unterdrückung wächst noch täglich. Lichtung und Ver- treibung des Volks werden von den Eigenthümern als festes Princip 35 2 1 9 ) Interessantes über diesen Fischhandel findet man in Herrn David Urquhart's: Portfolio. New Series. - Nassau W. Senior kennzeichnet in seiner oben citirten nachgelaßnen Schrift „die Procedur in Sutherlandshire als eine der wohlthätigsten Lichtungen (clearings) seit Menschengedenken". (1. c.) 2 1 9 a ) Die „deer forests" (Wildwaldungen) von Schottland enthalten keinen einzigen Baum. Man treibt die Schafe weg und die Hirsche hin auf die nackten Berge und nennt das einen „deer forest". Also nicht einmal Waldkultur! 40 657 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals verfolgt, als eine agrikole Nothwendigkeit, ganz wie Bäume und Gesträuch in den Wildnissen ||698| Amerikas und Australiens weggefegt werden, und die Operation geht ihren ruhigen, geschäftsmäßigen G a n g " 2 2 0 ) . | 5 2 2 0 ) Robert Somers: „Letters from the Highlands; or, the Famine of 1847. Lond. 1848", p. 12-28 passim. Diese Briefe erschienen ursprünglich in der Times. Die englischen Oekono- men erklärten natürlich die Hungersnoth der Gaelen von 1847 aus ihrer - Uebervölkerung. Jedenfalls „drückten" sie auf ihre Nahrungsmittel. - Das „Clearing of Estates", oder, wie es in Deutschland hieß, „Bauernlegen", machte sich hier besonders geltend nach dem dreißigjähri- gen Krieg und rief noch 1790 in Kursachsen Bauernaufstände hervor. Es herrschte nament- lich in Ostdeutschland. In den meisten Provinzen Preußens sicherte erst Friedrich IL den 10 Bauern Eigenthumsrecht. Nach der Eroberung Schlesiens zwang er die Grundherrn zur Wie- derherstellung der Hütten, Scheunen u.s.w., zur Ausstattung der Bauerngüter mit Vieh und Geräth. Er brauchte Soldaten für seine Armee und Steuerpflichtige für seinen Staatsschatz. Welches angenehme Leben übrigens der Bauer unter Friedrich's Finanzunwesen und Regie- rungsmischmasch von Despotismus, Bureaukratie und Feudalismus führte, mag man aus fol- 15 gender Stelle seines Bewunderers Mirabeau ersehn: «Le lin fait donc une des grandes ri- chesses du cultivateur dans le Nord de l'Allemagne. Malheureusement pour l'espèce humaine, ce n'est qu'une ressource contre la misère, et non un moyen de bien-être. Les im- pôts directs, les corvées, les servitudes de tout genre, écrasent le cultivateur allemand, qui paie encore des impôts indirects dans tout ce qu'il achète ... et pour comble de ruine, il n'ose pas 20 vendre ses productions où et comme il le veut; il n'ose pas acheter ce dont il a besoin aux marchands qui pourraient le lui livrer au meilleur prix. Toutes ces causes le ruinent insensi- blement, et il se trouverait hors d'état de payer les impôts directs à l'échéance sans la filerie; elle lui offre une ressource, en occupant utilement sa femme, ses enfants, ses servants, ses va- lets, et lui-même: mais quelle pénible vie, même aidée de ce secours! En été, il travaille 25 comme un forçat au labourage et à la récolte; il se couche à 9 heures et se lève à deux, pour suffire aux travaux; en hiver il devrait réparer ses forces par un plus grand repos; mais il man- quera de grains pour le pain et les semailles, s'il se défait des denrées qu'il faudrait vendre pour payer les impôts. Il faut donc filer pour suppléer à ce vide ... il faut y apporter la plus grande assiduité. Aussi le paysan se couche-t-il en hiver à minuit, une heure, et se lève à cinq 30 ou six; ou bien il se couche à neuf, et se lève à deux, et cela tous les jours de sa vie si ce n'est le dimanche. Cet excès de veille et de travail usent la nature humaine, et de là vient qu'hommes et femmes vieillissent beaucoup plutôt dans les campagnes que dans les villes.» (Mirabeau 1. c. t. Ill, p. 212 sqq.) Zusatz zur 2. Ausg. Im März 1866, 18 Jahre nach der Veröffentlichung der oben citirten 35 Schrift von Robert Somers, hielt Professor Leone Levi einen Vortrag in der Society of Arts über die Verwandlung der Schaftriften in Wildwaldungen, worin er den Fortschritt der Verwü- stung in den schottischen Hochlanden schildert. Er sagt u. a.: „Entvölkerung und Verwand- lung in bloße Schaftrift boten das bequemste Mittel zu einem Einkommen ohne Auslage ... An der Stelle der Schaftrift ein deer forest wurde gewöhnlicher Wechsel in den Hochlanden. 40 Die Schafe werden vertrieben durch wilde Thiere, wie man zuvor die Menschen vertrieb, um den Schafen Platz zu machen ... Man kann marschiren von den Gütern des Grafen von DaI- housie in Forfarshire bis zu John ο'Groats ohne je das Waldland zu verlassen. (cid:5) In vielen (dieser Waldungen) sind der Fuchs, die wilde Katze, der Marder, der Iltis, das Wiesel, und der Alpenhase eingebürgert; während das Kaninchen, das Eichhorn und die Ratte seit kurzem 45 ihren Weg dahin gefunden haben. Ungeheure Landstriche, welche in der Statistik Schottlands als Weiden von ausnahmsweiser Fruchtbarkeit und Ausdehnung figurirten, sind jetzt von aller Kultur und Verbesserung ausgeschlossen und einzig dem Jagdplaisir weniger Personen - und dies dauert nur für eine kurze Periode während des Jahrs - gewidmet." Der Londoner Economist vom 2. Juni 1866 sagt: „Ein schottisches Blatt berichtet letzte Wo- 50 che unter andren Neuigkeiten: ,Eine der besten Schafpachten in Sutherlandshire, wofür jüngst, beim Verfall des laufenden Pachtkontrakts, eine Jahresrente von 1200 Pfd. St. geboten ward, wird in einen deer forest verwandelt!' Die feudalen Instinkte bethätigen sich ... wie zur 658 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation |699| Der Raub der Kirchengüter, die fraudulente Veräußerung der Staatsdomänen, der Diebstahl des Gemeindeeigenthums, die usurpatori- sche und mit rücksichtslosem Terrorismus vollzogne Verwandlung von feu- dalem und Claneigenthum in modernes Privateigenthum, es waren ebenso 5 viele idyllische Methoden der ursprünglichen Akkumulation. Sie eroberten das Feld für die kapitalistische Agrikultur, einverleibten den Grund und Boden dem Kapital und schufen der städtischen Industrie die nöthige Zu- fuhr von vogelfreiem Proletariat. 3. Blutgesetzgebung gegen die Expropriirten seit Ende des 15. Jahrhunderts. Gesetze zur Herabdrückung des Arbeitslohns. 10 Die durch Auflösung der feudalen Gefolgschaften und durch stoßweise, ge- waltsame Expropriation von Grund und Boden Verjagten, dies vogelfreie Proletariat konnte unmöglich eben so rasch von der aufkommenden Ma- nufaktur absorbirt werden, als es auf die Welt gesetzt ward. Andrerseits 15 konnten die plötzlich aus ihrer gewohnten Lebensbahn Herausgeschleuder- ten sich nicht eben so plötzlich in die Disciplin des neuen Zustandes fin- den. Sie ver||700|wandelten sich massenhaft in Bettler, Räuber, Vagabun- den, zum Theil aus Neigung, in den meisten Fällen durch den Zwang der Umstände. Ende des 15. und während des ganzen 16. Jahrhunderts daher in ganz Westeuropa eine Blutgesetzgebung wider Vagabundage. Die Väter der jetzigen Arbeiterklasse wurden zunächst gezüchtigt für die ihnen ange- thane Verwandlung in Vagabunden und Paupers. Die Gesetzgebung be- handelte sie als „freiwillige" Verbrecher und unterstellte, daß es von ihrem guten Willen abhänge, in den nicht mehr existirenden alten Verhältnissen fortzuarbeiten. 20 25 In England begann jene Gesetzgebung unter Heinrich V I I . HeinrichVIII., 1530: Alte und arbeitsunfähige Bettler erhalten eine Bet- Zeit wo der normannische Erobrer ... 36 Dorfschaften zerstörte, um den New Forest zu schaf- fen ... Zwei Millionen Acres, welche einige der fruchtbarsten Ländereien Schottlands einbe- greifen, sind ganz und gar wüst gelegt. Das natürliche Gras von Glen Tilt zählte zu den nahr- haftesten der Grafschaft Perth; der deer forest von Ben Aulder war der beste Grasgrund im weiten Distrikt von Badenoch; ein Theil des Black Mount forest war das vorzüglichste schotti- sche Weideland für schwarzgesichtige Schafe. Von der Ausdehnung des für Jagdliebhaberei wüstgelegten Grund und Bodens mag man sich eine Vorstellung bilden aus der Thatsache, daß er einen viel größeren Flächenraum umfaßt als die ganze Grafschaft Perth. Den Verlust des Landes an Produktionsquellen in Folge dieser gewaltsamen Verödung mag man daraus schätzen, daß der Boden des forest von Ben Aulder 15 000 Schafe nähren konnte und daß er nur Y30 des gesammten Jagdreviers von Schottland beträgt ... All dies Jagdland ist durchaus unproduktiv ... es hätte ebensowohl in die Fluthen der Nordsee versenkt werden können. SoI- chen improvisirten Einöden oder Wüsten sollte die starke Hand der Gesetzgebung den Gar- aus machen." 30 35 40 659 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals tellicenz. Dagegen Auspeitschung und Einsperrung für handfeste Vaga- bunden. Sie sollen an einen Karren hinten angebunden und gegeißelt wer- den, bis das Blut von ihrem Körper strömt, dann einen Eid schwören, zu ihrem Geburtsplatz, oder dorthin, wo sie die letzten drei Jahre gewohnt, zurückzukehren und „sich an die Arbeit zu setzen" (to put himself to la- bour). Welche grausame Ironie! 27 Heinrich VIII. wird das vorige Statut wiederholt, aber durch neue Zusätze verschärft. Bei zweiter Ertappung auf Vagabundage soll die Auspeitschung wiederholt und das halbe Ohr abge- schnitten, bei drittem Rückfall aber der Betroffne als schwerer Verbrecher und Feind des Gemeinwesens hingerichtet werden. Edward VI.: Ein Statut aus seinem ersten Regierungsjahr, 1547, verord- net, daß wenn Jemand zu arbeiten weigert, soll er als Sklave der Person zu- geurtheilt werden, die ihn als Müßiggänger denuncirt hat. Der Meister soll seinen Sklaven mit Brod und Wasser nähren, schwachem Getränk und sol- chen Fleischabfällen, die er passend dünkt. Er hat das Recht, ihn zu jeder auch noch so eklen Arbeit durch Auspeitschung und Ankettung zu treiben. Wenn sich der Sklave für 14 Tage entfernt, ist er zur Sklaverei auf Lebens- zeit verurtheilt und soll auf Stirn oder Backen mit dem Buchstaben S ge- brandmarkt, wenn er zum drittenmal fortläuft, als Staatsverräther hinge- richtet werden. Der Meister kann ihn verkaufen, vermachen, als Sklaven ausdingen, ganz wie andres bewegliches Gut und Vieh. Unternehmen die Sklaven etwas gegen die Herrschaft, so sollen sie ebenfalls hingerichtet werden. Friedensrichter sollen auf Information den Kerls nachspüren. Fin- det sich, daß ein Herumstreicher drei Tage gelungert hat, so soll er nach seinem Geburtsort gebracht, mit rothglühendem Eisen auf die Brust mit dem Zeichen V gebrandmarkt, und dort in Ketten auf der ||701| Straße oder zu sonstigen Diensten verwandt werden. Gibt der Vagabund einen fal- schen Geburtsort an, so soll er zur Strafe der lebenslängliche Sklave dieses Orts, der Einwohner oder Korporation sein und mit S gebrandmarkt wer- den. Alle Personen haben das Recht, den Vagabunden ihre Kinder wegzu- nehmen und als Lehrlinge, Jungen bis zum 24. Jahr, Mädchen bis zum 20. Jahr zu halten. Laufen sie weg, so sollen sie bis zu diesem Alter die Sklaven der Lehrmeister sein, die sie in Ketten legen, geißeln etc. können, wie sie wollen. Jeder Meister darf einen eisernen Ring um Hals, Arme oder Beine seines Sklaven legen, damit er ihn besser kennt und seiner sicherer i s t 2 2 1 ) . Der letzte Theil dieses Statuts sieht vor, daß gewisse Arme von dem 2 2 1 ) Der Verfasser des „Essay on Trade etc. 1770" bemerkt: „Unter der Regierung Ed- ward's VL scheinen sich die Engländer in der That mit vollem Ernst auf Encouragirung der Manufakturen und Beschäftigung der Armen verlegt zu haben. Dies ersehn wir aus einem merkwürdigen Statut, worin es heißt, daß alle Vagabunden gebrandmarkt werden sollen" u.s.w. (1.c. p.5.) 660 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation Ort oder den Individuen beschäftigt werden sollen, die ihnen zu essen und zu trinken geben und Arbeit für sie finden wollen. Diese Sorte Pfarreiskla- ven hat sich bis tief ins 19. Jahrhundert in England erhalten unter dem Na- men roundsmen (Umgeher). 5 Elisabeth, 1572: Bettler ohne Licenz und über 14 Jahre alt sollen hart ge- peitscht und am rechten Ohrlappen gebrandmarkt werden, falls sie keiner für ein Jahr in Dienst nehmen will; im Wiederholungsfall, wenn über 18 Jahre alt, sollen sie - hingerichtet werden, falls sie Niemand für zwei Jahre in Dienst nehmen will, bei dritter Recidive aber ohne Gnade als 10 Staatsverräther hingerichtet werden. Aehnliche Statute: 18 Elisabeth c. 3 und 1 5 9 7 2 2 1 a ) . | |702| Jakob I: Eine herumwandernde und bettelnde Person wird für einen Landstreicher und Vagabunden erklärt. Die Friedensrichter in den Petty Sessions sind bevollmächtigt, sie öffentlich auspeitschen zu lassen 15 und bei erster Ertappung 6 Monate, bei zweiter 2 Jahre ins Gefängniß zu sperren. Während des Gefängnisses soll sie so oft und so viel gepeitscht werden, als die Friedensrichter für gut halten . . . Die unverbesserlichen und gefährlichen Landstreicher sollen auf der linken Schulter mit R ge- brandmarkt und an die Zwangsarbeit gesetzt, und wenn man sie wieder auf 25 20 2 2 1 a) Thomas Morus sagt in seiner Utopia: „So geschieht's, daß ein gieriger und unersättlicher Vielfraß, die wahre Pest seines Geburtslandes, Tausende von Acres Land zusammenpacken und innerhalb einer Umpfählung oder einer Hecke einzäunen, oder durch Gewalt und Unbill ihre Eigner so abhetzen kann, daß sie gezwungen sind alles zu verkaufen. Durch ein Mittel oder das andre, es mag biegen oder brechen, werden sie genöthigt fortzutrollen - arme, einfäl- tige, elende Seelen! Männer, Weiber, Gatten, Frauen, vaterlose Kinder, Wittwen, jammernde Mütter mit ihren Säuglingen, und der ganze Haushalt, gering an Mitteln und zahlreich an Köpfen, da der Ackerbau vieler Hände bedurfte. Weg schleppen sie sich, sage ich, aus der be- kannten und gewohnten Heimstätte, ohne einen Ruheplatz zu finden; der Verkauf von all ihrem Hausgeräth, obgleich von keinem großen Werth, würde unter andren Umständen einen 30 gewissen Erlös geben; aber plötzlich an die Luft gesetzt, müssen sie ihn zu Spottpreisen los- schlagen. Und wenn sie umhergeirrt, bis der letzte Heller verzehrt ist, was anders können sie thun außer stehlen und dann, bei Gott, in aller Form Rechtens gehangen werden, oder auf den Bettel ausgehn? Und auch dann werden sie ins Gefängnis geschmissen, als Vagabunden, weil sie sich herumtreiben und nicht arbeiten; sie, die kein Mensch an die Arbeit setzen will, sie mögen sich noch so eifrig dazu erbieten." Von diesen armen Flüchtlingen, von denen Tho- mas Morus sagt, daß man sie zum Diebstahl zwang, „wurden 72 000 große und kleine Diebe hingerichtet unter der Regierung Heinrich des Achten". (Holinshed, ,,Description of Eng- land", v.I, p. 186.) Zu Elisabeth's Zeiten wurden „Landstreicher reihenweise aufgeknüpft; in- deß verstrich gewöhnlich kein Jahr, worin nicht 300 oder 400 an einem Platz oder dem andren 40 dem Galgen anheimfielen". (Strype's „Annais of the Reformation und Establishment of Reli- gion, and other Various Occurrences in the Church of England during Queen Elisabeth's Happy Reign, 2nd ed. 1725" vol. II.) Nach demselben Strype wurden in Somersetshire, in einem einzigen Jahr, 40 Personen hingerichtet, 35 gebrandmarkt, 37 ausgepeitscht und 183 „verzweifelte Bösewichter" freigegeben. Dennoch, sagt er, „schließt diese große Zahl der An- 45 geklagten nicht l/ s der peinlichen Verbrechen ein, Dank der Fahrlässigkeit der Friedensrichter und dem albernen Mitleid des Volkes". Er fügt hinzu: „Die andren Grafschaften in England waren in keiner beßren Lage als Sommersetshire und viele selbst in einer schlechteren." 35 661 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals dem Bettel ertappt, ohne Gnade hingerichtet werden. Diese Anordnungen, gesetzlich bis in die erste Zeit des 18. Jahrhunderts, wurden erst aufgeho- ben durch 12 Anna c. 23. Aehnliche Gesetze in Frankreich, wo sich Mitte des 17. Jahrhunderts ein Vagabundenkönigreich (royaume des truands) zu Paris etablirt hatte. Noch in der ersten Zeit Ludwigs X V I . (Ordonnanz vom 13. Juli 1777) sollte jeder gesund gebaute Mensch vom 16. bis 60. Jahr, wenn ohne Existenzmittel und Ausübung einer Profession, auf die Galeeren geschickt werden. Aehn- lich das Statut Karl's V. für die Niederlande vom Oktober 1531, das erste Edikt der Staaten und Städte von Holland vom 19. März 1614, das Plakat der Vereinigten Provinzen vom 25. Juni 1649 u.s.w. So wurde das von Grund und Boden gewaltsam expropriirte, verjagte und zum Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk-terroristische Ge- setze in eine dem System der Lohnarbeit nothwendige Disciplin hineinge- peitscht, -gebrandmarkt, -gefoltert. Es ist nicht genug, daß die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als Kapital treten und auf den andren Pol Menschen, welche ||703| nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Es genügt auch nicht sie zu zwingen, sich freiwillig zu verkaufen. Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohn- heit, die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Na- turgesetze anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprocesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Uebervölkerung hält das Gesetz der Zufuhr von und Nach- frage nach Arbeit, und daher den Arbeitslohn, in einem den Verwerthungs- bedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den „Naturgesetzen der Produktion" überlas- sen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entsprin- genden, durch sie garantirten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital. Anders während der historischen Genesis der kapitalistischen Produktion. Die aufkommende Bourgeoisie braucht und verwendet die Staatsgewalt, um den Arbeitslohn zu „reguliren", d.h. innerhalb der Plusmacherei zusa- gender Schranken zu zwängen, um den Arbeitstag zu verlängern und den Arbeiter selbst in normalem Abhängigkeitsgrad zu erhalten. Es ist dies ein wesentliches Moment der sog. ursprünglichen Akkumulation. Die Klasse der Lohnarbeiter, die in der letzten Hälfte des 14. Jahrhun- derts entstand, bildete damals und im folgenden Jahrhundert nur einen sehr geringen Volksbestandtheil, der in seiner Stellung stark beschützt war 662 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation 5 durch die selbständige Bauernwirthschaft auf dem Land und die Zunftor- ganisation der Stadt. In Land und Stadt standen sich Meister und Arbeiter social nahe. Die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital war nur for- mell, d.h. die Produktionsweise selbst besaß noch keinen specifisch kapita- listischen Charakter. Das variable Element des Kapitals wog sehr vor über sein konstantes. Die Nachfrage nach Lohnarbeit wuchs daher rasch mit j e - der Akkumulation des Kapitals, während die Zufuhr von Lohnarbeit nur langsam nachfolgte. Ein großer Theil des nationalen Produkts, später in Akkumulationsfonds des Kapitals verwandelt, ging damals noch ein in den 10 Konsumtionsfonds des Arbeiters. Die Gesetzgebung über die Lohnarbeit, von Haus aus auf Exploitation des Arbeiters gemünzt und ihm in ihrem Fortgang stets ||704| gleich feind- l i c h 2 2 2 ) , wird in England eröffnet durch das Statute of Labourers Ed- ward's III., 1349. Ihm entspricht in Frankreich die Ordonnanz von 1350, 15 erlassen im Namen des Königs Jean. Die englische und französische Ge- setzgebung laufen parallel und sind dem Inhalt nach identisch. Soweit die Arbeiterstatuten Verlängerung des Arbeitstags zu erzwingen suchen, komme ich nicht auf sie zurück, da dieser Punkt früher (8. Kapitel, 5) erör- tert. 25 20 Das Statute of Labourers wurde erlassen auf dringende Klage des Hauses der Gemeinen. „Früher", sagt naiv ein Tory, „verlangten die Armen so ho- hen Arbeitslohn, daß sie Industrie und Reichthum bedrohten. Jetzt ist ihr Lohn so niedrig, daß er ebenfalls Industrie und Reichthum bedroht, aber anders und vielleicht gefährlicher als damals" 2 2 3 ) . Ein gesetzlicher Lohnta- rif ward festgesetzt für Stadt und Land, für Stückwerk und Tagwerk. Die ländlichen Arbeiter sollen sich aufs Jahr, die städtischen „auf offnem Markt" verdingen. Es wird bei Gefängnißstrafe untersagt, höheren als den statutarischen Lohn zu zahlen, aber der Empfang höheren Lohns wird stär- ker bestraft als seine Zahlung. So wird auch noch in Sect. 18 und 19 des 30 Lehrlingsstatuts von Elisabeth zehntägige Gefängnißstrafe über den ver- hängt, der höheren Lohn zahlt, dagegen einundzwangzigtägige Gefängniß- strafe über den, der ihn nimmt. Ein Statut von 1360 verschärfte die Strafen und ermächtigte den Meister sogar, durch körperlichen Zwang Arbeit zum gesetzlichen Lohntarif zu erpressen. Alle Kombinationen, Verträge, Eide 35 u.s.w., wodurch sich Maurer und Zimmerleute wechselseitig banden, wer- den für null und nichtig erklärt. Arbeiterkoalition wird als schweres Ver- 222) "Whenever the legislature attempts to regulate the differences between masters and their workmen, its counsellors are always the masters", sagt A. Smith. «L'esprit des lois, c'est la pro- priété», sagt Linguet. 2 2 3 ) ,,Sophisms of Free Trade. By a Barrister. Lond. 1850", p. 206. Er setzt malitiös hinzu: „Wir waren stets bei der Hand für den Anwender einzuschreiten. Kann nichts geschehn für den Angewandten?" 40 663 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals brechen behandelt vom 14. Jahrhundert bis 1825, dem Jahr der Abschaf- fung der Antikoalitionsgesetze. Der Geist des Arbeiterstatuts von 1349 und seiner Nachgeburten leuchtet hell daraus hervor, daß zwar ein Maximum des Arbeitslohns von Staats wegen diktirt wird, aber bei Leibe kein Mini- mum. Im 16. Jahrhundert hatte sich, wie man weiß, die Lage der Arbeiter sehr verschlechtert. Der Geldlohn stieg, aber nicht im Verhältniß zur Deprecia- tion des Geldes und dem entsprechenden Steigen der Waarenpreise. Der Lohn fiel also in der That. ||705| Dennoch dauerten die Gesetze zum Behuf seiner Herabdrückung fort zugleich mit dem Ohrenabschneiden und Brandmarken derjenigen, „die Niemand in Dienst nehmen wollte". Durch das Lehrlingsstatut 5 Elisabeth c. 4 wurden die Friedensrichter ermächtigt, gewisse Löhne festzusetzen und nach Jahreszeiten und Waarenpreisen zu modificiren. Jakob I. dehnte diese Arbeitsregulation auch auf Weber, Spin- ner und alle möglichen Arbeiterkategorien aus 2 2 4), Georg IL die Gesetze gegen Arbeiterkoalition auf alle Manufakturen. In der eigentlichen Manufakturperiode war die kapitalistische Produk- tionsweise hinreichend erstarkt, um gesetzliche Regulation des Arbeits- lohns eben so unausführbar als überflüssig zu machen, aber man wollte für den Nothfall die Waffen des alten Arsenals nicht entbehren. Noch 7 Ge- orge III. verbot für Schneidergesellen in London und Umgegend mehr als 2 sh. 1% d. Taglohn, außer in Fällen allgemeiner Trauer; noch 13 Ge- orge III. c. 68 überwies die Reglung des Arbeitslohns der Seidenwirker den Friedensrichtern; noch 1796 bedurfte es zweier Urtheile der höheren Ge- richtshöfe zur Entscheidung, ob friedensrichterliche Befehle über Arbeits- lohn auch für Nichtagrikulturarbeiter gültig seien; noch 1799 bestätigte ein Parlamentsakt, daß der Lohn der Grubenarbeiter von Schottland durch ein 2 2 4 ) Aus einer Klausel des Statuts 1, Jakob L, c.6 ersieht man, daß gewisse Tuchmacher sich herausnahmen, den Lohntarif officiell als Friedensrichter in ihren eignen Werkstätten zu dik- tiren. - In Deutschland waren namentlich nach dem dreißigjährigen Krieg Statuten zur Nie- derhaltung des Arbeitslohns häufig. „Sehr lästig war den Gutsherrn in dem menschenleeren Boden der Mangel an Dienstboten und Arbeitern. Allen Dorfsassen wurde verboten, Kam- mern an ledige Männer und Frauen zu vermiethen, alle solche Inlieger sollten der Obrigkeit angezeigt und ins Gefängniß gesteckt werden, falls sie nicht Dienstboten werden wollten, auch wenn sie sich von andrer Thätigkeit erhielten, den Bauern um Taglohn säeten oder gar mit Geld und Getreide handelten. (Kaiserliche Privilegien und Sanctiones für Schlesien I, 125.) Durch ein ganzes Jahrhundert wird in den Verordnungen der Landesherrn immer wie- der bittre Klage geführt über das boshafte und muthwillige Gesindel, das sich in die harten Bedingungen nicht fügen, mit dem gesetzlichen Lohn nicht zufrieden sein will; dem einzel- nen Gutsherrn wird verboten, mehr zu geben, als die Landschaft in einer Taxe festgesetzt hat. Und doch sind die Bedingungen des Dienstes nach dem Krieg zuweilen noch besser, als sie 100 Jahre später waren; noch erhielt das Gesinde 1652 in Schlesien zweimal in der Woche Fleisch, noch in unsrem Jahrhundert hat es eben dort Kreise gegeben, wo sie es nur dreimal im Jahr erhielten. Auch der Taglohn war nach dem Kriege höher als in den folgenden Jahr- hunderten." (G. Freytag.) 664 Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation Statut der Elisabeth und zwei schottische Akte von 1661 und 1617 regulirt sei. Wie sehr sich unterdeß die Verhältnisse umgewälzt, bewies ein im eng- lischen ||706| Unterhaus unerhörter Vorfall. Hier, wo man seit mehr als 400 Jahren Gesetze fabricirt hatte über das Maximum, welches der Ar- 5 beitslohn platterdings nicht übersteigen dürfe, schlug Whitbread 1796 für Ackerbautaglöhner ein gesetzliches Lohnminimum vor. Pitt widersetzte sich, gab aber zu, die „Lage der Armen sei grausam (cruel)". Endlich, 1813, wurden die Gesetze über Lohnregulation abgeschafft. Sie waren eine lä- cherliche Anomalie, seitdem der Kapitalist die Fabrik durch seine Privat- 10 gesetzgebung regulirte und durch die Armensteuer den Lohn des Landar- beiters zum unentbehrlichen Minimum ergänzen ließ. Die Bestimmungen der Arbeitstatute über Kontrakte zwischen Meister und Lohnarbeiter, über Terminkündigungen u. dergl., welche nur eine Civilklage gegen den kon- traktbrüchigen Meister, aber Kriminalklage gegen den kontraktbrüchigen 15 Arbeiter erlauben, stehn bis zur Stunde in voller Blüthe. Die grausamen Gesetze gegen die Koalitionen fielen 1825 vor der dro- henden Haltung des Proletariats. Trotzdem fielen sie nur zum Theil. Ei- nige schöne Ueberbleibsel der alten Statute verschwanden erst 1859. End- lich beanspruchte der Parlamentsakt vom 29. Juni 1871 die letzten Spuren 20 dieser Klassengesetzgebung zu beseitigen durch gesetzliche Anerkennung der Trades' Unions. Aber ein Parlamentsakt vom selben Datum (An act to amend the criminal law relating to violence, threats and molestation) stellte thatsächlich den vorigen Stand in neuer Form wieder her. Durch diese parlamentarische Escamotage wurden die Mittel, deren sich die Ar- 25 beiter bedienen können bei einem Strike oder Lockout (Strike der verbün- deten Fabrikanten durch gleichzeitigen Schluß ihrer Fabriken), dem ge- meinen Recht entzogen und unter eine Ausnahms-Strafgesetzgebung gestellt, deren Interpretation den Fabrikanten selbst, in ihrer Eigenschaft als Friedensrichter, anheimfiel. Zwei Jahre vorher hatten dasselbe Unter- 30 haus und derselbe Herr Gladstone in bekannter ehrlicher Weise einen Ge- setzentwurf eingebracht zur Abschaffung aller Ausnahms-Strafgesetze ge- gen die Arbeiterklasse. Aber weiter als zur zweiten Lesung ließ man es nie kommen, und so schleppte man die Sache in die Länge, bis endlich die „große liberale Partei" durch eine Allianz mit den Tories den Muth ge- 35 wann, sich entschieden gegen dasselbe Proletariat zu wenden, das sie zur Herrschaft gebracht hatte. Nicht zufrieden mit diesem Verrath, erlaubte die „große liberale Partei" den im Dienst der herrschenden Klassen allzeit schweifwedelnden englischen Richtern, die verjährten Gesetze über | 17071 „Konspirationen" wieder auszugraben und sie auf Arbeiterkoalitio- 40 nen anzuwenden. Man sieht, nur widerwillig und unter dem Druck der Massen, verzichtete das englische Parlament auf die Gesetze gegen Strikes 665 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals und Trades' Unions, nachdem es selbst, fünf Jahrhunderte hindurch, mit schamlosem Egoismus die Stellung einer permanenten Trades' Union der Kapitalisten gegen die Arbeiter behauptet hatte. 5 Gleich im Beginn des Revolutionssturms wagte die französische Bour- geoisie das eben erst eroberte Associationsrecht den Arbeitern wieder zu entziehn. Durch Dekret vom 14. Juni 1791 erklärte sie alle Arbeiterkoali- tion für ein „Attentat auf die Freiheit und die Erklärung der Menschen- rechte", strafbar mit 500 Livres nebst einjähriger Entziehung der aktiven Bürgerrechte 2 2 5). Dies Gesetz, welches den Konkurrenzkampf zwischen Ka- pital und Arbeit staatspolizeilich innerhalb dem Kapital bequemer Schran- 10 ken einzwängt, überlebte Revolutionen und Dynastiewechsel. Selbst die Schreckensregierung ließ es unangetastet. Es ward erst ganz neulich aus dem Code Pénal gestrichen. Nichts charakteristischer als der Vorwand die- ses bürgerlichen Staatsstreichs. „Obgleich", sagt Chapelier, der Berichter- statter, „es wünschenswerth, daß der Arbeitslohn höher steige, als er jetzt 15 steht, damit der, der ihn empfängt, außerhalb der durch die Entbehrung der nothwendigen Lebensmittel bedingten absoluten Abhängigkeit sei, wel- che fast die Abhängigkeit der Sklaverei ist", dürfen dennoch die Arbeiter sich nicht über ihre Interessen verständigen, gemeinsam handeln und da- durch ihre „absolute Abhängigkeit, welche fast Sklaverei ist", mäßigen, 20 weil sie eben dadurch „die Freiheit ihrer ci-devant maîtres, der jetzigen Unternehmer", verletzen (die Freiheit, die Arbeiter in der Sklaverei zu er- halten!), und weil eine Koalition gegen die Despotie der ehemaligen Mei- ster der Korporationen - man rathe! - eine Herstellung der durch die fran- zösische Konstitution abgeschafften Korporationen i s t 2 2 6 ) ! | 25 |708| 4. Genesis der kapitalistischen Pächter. Nachdem wir die gewaltsame Schöpfung vogelfreier Proletarier betrachtet, die blutige Disciplin, welche sie in Lohnarbeiter verwandelt, die schmut- zige Haupt- und Staatsaktion, die mit dem Exploitationsgrad der Arbeit die Akkumulation des Kapitals polizeilich steigert, fragt sich, wo kommen 30 2 2 5 ) Artikel I dieses Gesetzes lautet: «L'anéantissement de toutes espèces de corporations du même état et profession étant l'une des bases fondamentales de la constitution française, il est défendu de les rétablir de fait sous quelque prétexte et sous quelque forme que ce soit.» Arti- kel IV erklärt, daß wenn „des citoyens attachés aux mêmes professions, arts et métiers pre- naient des délibérations, faisaient entre eux des conventions tendantes à refuser de concert ou à n'accorder qu'à un prix déterminé le secours de leur industrie ou de leurs travaux, les dites délibérations et conventions ... seront déclarées inconstitutionelles, attentatoires à la liberté et à la déclaration des droits de l'homme etc.", also Staatsverbrechen, ganz wie in den alten Arbeiterstatuten. (,,Révolutions de Paris. Paris 1791", t. III, p. 523.) 2 2 6 ) Bûchez et Roux: ,,Histoire Parlementaire", t. X, p. 195. 35 40 666 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation die Kapitalisten ursprünglich her? Denn die Expropriation des Landvolks schafft unmittelbar nur große Grundeigenthümer. Was die Genesis des Pächters betrifft, so können wir sie so zu sagen mit der Hand betappen, weil sie ein langsamer, über viele Jahrhunderte sich fortwälzender Proceß ist. Die Leibeignen selbst, woneben auch freie kleine Landeigner, befanden sich in sehr verschiednen Besitzverhältnissen und wurden daher auch un- ter sehr verschiednen ökonomischen Bedingungen emancipirt. 5 In England ist die erste Form des Pächters der selbst leibeigne Bailiff. Seine Stellung ist ähnlich der des altrömischen Villicus, nur in engerer 10 Wirkungssphäre. Während der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird er ersetzt durch einen Pächter, den der Landlord mit Samen, Vieh und Acker- werkzeug versieht. Seine Lage ist nicht sehr verschieden von der des Bau- ern. Nur beutet er mehr Lohnarbeit aus. Er wird bald Metayer, Halbpäch- ter. Er stellt einen Theil des Ackerbaukapitals, der Landlord den andren. 15 Beide theilen das Gesammtprodukt in kontraktlich bestimmter Proportion. Diese Form verschwindet in England rasch, um der des eigentlichen Päch- ters Platz zu machen, welcher sein eignes Kapital durch Anwendung von Lohnarbeitern verwerthet und einen Theil des Mehrprodukts, in Geld oder in natura, dem Landlord als Grundrente zahlt. 20 So lange, während des 15. Jahrhunderts, der unabhängige Bauer und der neben dem Lohndienst zugleich selbstwirthschaftende Ackerknecht sich selbst durch ihre Arbeit bereichern, bleiben die Umstände des Pächters und sein Produktionsfeld gleich mittelmäßig. Die Agrikulturrevolution im letzten Drittheil des 15. Jahrhunderts, die fast während des ganzen 16. Jahr- 25 hunderts (jedoch mit Ausnahme seiner letzten Decennien) fortwährt, be- reichert ihn eben so rasch, als sie das Landvolk verarmt 2 2 7). Die Usur- pation ||709| von Gemeindeweiden u. s.w. erlaubt ihm große Vermehrung seines Viehstands fast ohne Kosten, während ihm das Vieh reichlichere Düngungsmittel zur Bestellung des Bodens liefert. 30 Im 16. Jahrhundert kommt ein entscheidend wichtiges Moment hinzu. Damals waren die Pachtkontrakte lang, oft für 99 Jahre laufend. Der fort- dauernde Fall im Werth der edlen Metalle und daher des Geldes trug den Pächtern goldne Früchte. Er senkte, von allen andren, früher erörterten Umständen abgesehn, den Arbeitslohn. Ein Bruchstück desselben wurde 35 zum Pachtprofit geschlagen. Das fortwährende Steigen der Preise von Korn, Wolle, Fleisch, kurz sämmtlicher Agrikulturprodukte, schwellte das Geldkapital des Pächters ohne sein Zuthun, während die Grundrente, die 2 2 7 ) „Pächter", sagt Harrison in seiner Description of England, „denen es früher schwer ward 4 Pfd. St. Rente zu zahlen, zahlen jetzt 40, 50, 100 Pfd. St. und glauben doch ein schlechtes 40 Geschäft gemacht zu haben, wenn sie nach Ablauf ihres Pachtkontrakts nicht 6 - 7 Jahre Rente zurücklegen." 667 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals er zu zahlen hatte, im veralteten Geldwerth kontrahirt war 2 2 8). So berei- cherte er sich gleichzeitig auf Kosten seiner Lohnarbeiter und seines Land- lords. Kein Wunder also, wenn England Ende des 16. Jahrhunderts eine Klasse für die damaligen Verhältnisse reicher „Kapitalpächter" besaß 2 2 9). | 2 2 8 ) Ueber den Einfluß der Depreciation des Geldes im 16. Jahrhundert auf verschiedne Klas- sen der Gesellschaft: „A Compendious or Briefe Examination of Certayne Ordinary Com- plaints of Diverse of our Countrymen in these our Days. By W. S., Gentleman." (London 1581.) Die Dialogform dieser Schrift trug dazu bei, daß man sie lange Shakespeare zuschrieb und noch 1751 unter seinem Namen neu herausgab. Ihr Verfasser ist William Stafford. An einer Stelle raisonnirt der Ritter (Knight) wie folgt: 5 10 Knight: "You, my neighbour, the husbandman, you Maister Mercer, and you Goodman Copper, with other artificers, may save yourselves metely well. For as much as all things are deerer than they were, so much do you arise in the pryce of your wares and occupations that yee sell agayne. But we have nothing to sell where by we might advance ye pryce there of, to countervaile those things that we must buy agayne." An einer andren Stelle fragt der Knight 15 den Doktor: "I pray you, what be those sorts that ye meane. And, first, of those that yee thinke should have no losse hereby?" - Doktor: "I meane all these that live by buying and selling, for, as they buy deare, they sell thereafter." - Knight: "What is the next sorte that yee say would win by it?" - Doktor: "Marry, all such as have takings or fearmes in their owne manur- ance (d.h. cultivation) at the old rent, for where they pay after the olde rate, they sell after the 20 newe - that is, they paye for their lande good cheape, and sell all things growing thereof deare." Knight: "What sorte is that which, ye say de should have greater losse hereby, than these men had profit?" - Doktor: "It is all noblemen, gentlemen, and all other that live either by a stinted rent or stypend, or do not manure (cultivate) the ground, or doe occupy no buying and selling." 2 2 9 ) In Frankreich wird der Régisseur, der Verwalter und Eintreiber der Leistungen an den Feudalherrn während des früheren Mittelalters, bald ein homme d'affaires, der sich durch Er- pressung, Prellerei u.s.w. zum Kapitalisten hinaufschwindelt. Diese Régisseurs waren manch- mal selbst vornehme Herrn. Z.B.: «C'est li compte que messire Jacques de Thoraisse, cheva- lier chastelain sor Besançon rent es seigneur tenant les comptes à Dijon pour monseigneur le 30 duc et comte de Bourgoigne, des rentes appartenant à la dite chastellenie, depuis XXVe jour de décembre MCCCLIX jusqu'au XXVIIIe jour de décembre MCCCLX.» (Alexis Monteil: ,,Histoire des Matériaux manuscrits" etc., p. 234, 235.) Es zeigt sich schon hier, wie in allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens der Löwenantheil dem Vermittler zufällt. Im ökonomi- schen Gebiet z. B. schöpfen Financiers, Börsenmänner, Kaufleute, Kleinkrämer, den Rahm 35 der Geschäfte ab; im bürgerlichen Recht pflückt der Advokat die Parteien; in der Politik be- deutet der Repräsentant mehr als die Wähler, der Minister mehr als der Souverain; in der Re- ligion wird Gott in den Hintergrund gedrängt vom „Mittler" und dieser wiederum zurückge- schoben von den Pfaffen, die wieder unvermeidliche Vermittler sind zwischen dem guten Hirten und seinen Schafen. Wie in England, so waren in Frankreich die großen Feudalterrito- 40 rien in unendlich viele kleine Wirthschaften getheilt, aber unter ungleich ungünstigeren Be- dingungen für das Landvolk. Während des 14. Jahrhunderts kamen die Pachten, fermes oder terriers auf. Ihre Zahl wuchs beständig, weit über 100 000. Sie zahlten eine vom 12. bis zum 5.Theil des Produkts wechselnde Grundrente in Geld oder in natura. Die terriers waren Lehn, Hinterlehn etc. (fiefs, arrière-fiefs), je nach Werth und Umfang der Domänen, wovon manche 45 nur wenige arpents zählten. Alle diese terriers besaßen Gerichtsbarkeit in irgend einem Grad über die Bodeninsassen; es gab vier Grade. Man begreift den Druck des Landvolks unter allen diesen kleinen Tyrannen. Monteil sagt, daß es damals 160 000 Gerichte in Frankreich gab, wo heute 4000 Tribunale (Friedensgerichte eingeschlossen) genügen. 25 668 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation |710| 5. Rückwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie. Herstellung des Innern Markts für das industrielle Kapital. Die stoßweise und stets erneuerte Expropriation und Verjagung des Land- 5 volks lieferte, wie man sah, der städtischen Industrie wieder und wieder Massen ganz außerhalb der Zunftverhältnisse stehender Proletarier, ein weiser Umstand, der den alten A. Anderson (nicht zu verwechseln mit James Anderson) in seiner Handelsgeschichte an direkte Intervention der Vorsehung glauben läßt. Wir müssen noch einen Augenblick bei diesem 10 Element der ursprünglichen Akkumulation verweilen. Der Verdünnung des unabhängigen, selbstwirthschaftenden Landvolks entsprach nicht nur die Verdichtung des industriellen Proletariats, wie Geoffroy Saint-Hilaire die Verdichtung der Weltmaterie hier durch ihre Verdünnung dort er- klärt 2 3 0). Trotz der verminderten Zahl seiner Bebauer trug der Boden nach 15 wie vor gleich viel oder mehr Produkt, weil die Revolution in den Grundei- genthumsverhältnissen von verbesserten Methoden der Kultur, größerer Kooperation, Koncentration der Produktionsmittel u. s. w. begleitet war, und weil die ländlichen Lohnarbeiter nicht nur intensiver ange||711|spannt wurden 2 3 1), sondern auch das Produktionsfeld, worauf sie für sich selbst ar- 20 beiteten, mehr und mehr zusammenschmolz. Mit dem freigesetzten Theil des Landvolks werden also auch seine frühern Nahrungsmittel freigesetzt. Sie verwandeln sich jetzt in stoffliches Element des variablen Kapitals. Der an die Luft gesetzte Bauer muß ihren Werth von seinem neuen Herrn, dem industriellen Kapitalisten, in der Form des Arbeitslohns erkaufen. Wie mit 25 den Lebensmitteln, verhielt es sich mit dem heimischen agrikolen Rohma- terial der Industrie. Es verwandelte sich in ein Element des konstanten Ka- pitals. Man unterstelle z . B . einen Theil der westfälischen Bauern, die zu Fried- rich's II. Zeit alle Flachs, wenn auch keine Seide spannen, gewaltsam ex- 30 propriirt und von Grund und Boden verjagt, den andren zurückbleibenden Theil aber in Taglöhner großer Pächter verwandelt. Gleichzeitig erheben sich große Flachsspinnereien und Webereien, worin die „Freigesetzten" nun lohnarbeiten. Der Flachs sieht grad aus wie vorher. Keine Fiber an ihm ist verändert, aber eine neue sociale Seele ist ihm in den Leib gefah- ren. Er bildet jetzt einen Theil des konstanten Kapitals der Manufaktur- herrn. Früher vertheilt unter eine Unmasse kleiner Producenten, die ihn selbst bauten und in kleinen Portionen mit ihren Familien verspannen, ist 35 2 3°) In seinen „Notions de Philosophie Naturelle. Paris 1838". 2 3 1 ) Ein Punkt, den Sir James Steuart betont. 669 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 10 er jetzt koncentrirt in der Hand eines Kapitalisten, der andre für sich spin- nen und weben läßt. Die in der Flachsspinnerei verausgabte Extraarbeit realisirte sich früher in Extraeinkommen zahlloser Bauernfamilien oder auch, zu Friedrich's II. Zeit, in Steuern pour le roi de Prusse. Sie realisirt sich jetzt im Profit weniger Kapitalisten. Die Spindeln und Webstühle, frü- her vertheilt über das flache Land, sind jetzt in wenig große Arbeitskaser- nen zusammengerückt, wie die Arbeiter, wie das Rohmaterial. Und Spin- deln und Webstühle und Rohmaterial sind aus Mitteln unabhängiger Existenz für Spinner und Weber von nun an verwandelt in Mittel sie zu kommandiren 2 3 2) und ihnen unbezahlte Arbeit auszusaugen. Den großen Manufakturen, wie den großen Pachtungen, sieht man es nicht an, daß sie aus vielen kleinen Produktionsstätten zusammengeschlagen und durch die Expropriation vieler kleinen unabhängigen Pro||712|ducenten gebildet sind. Jedoch läßt sich die unbefangne Anschauung nicht beirren. Zur Zeit Mirabeau's, des Revolutionslöwen, hießen die großen Manufakturen noch 15 manufactures réunies, zusammengeschlagne Werkstätten, wie wir von zu- sammengeschlagnen Aeckern sprechen. „Man sieht nur", sagt Mirabeau, „die großen Manufakturen, wo Hunderte von Menschen unter einem Di- rektor arbeiten, und die man gewöhnlich vereinigte Manufakturen (manu- factures réunies) nennt. Diejenigen dagegen, wo eine sehr große Anzahl 20 Arbeiter zersplittert und jeder für seine eigne Rechnung arbeitet, werden kaum eines Blicks gewürdigt. Man stellt sie ganz in den Hintergrund. Dies ist ein sehr großer Irrthum, denn sie allein bilden einen wirklich wichtigen Bestandtheil des Volksreichthums ... Die vereinigte Fabrik (fabrique réu- nie) wird einen oder zwei Unternehmer wunderbar bereichern, aber die Ar- 25 beiter sind nur besser oder schlechter bezahlte Taglöhner und nehmen in Nichts am Wohlsein des Unternehmers Theil. In der getrennten Fabrik (fa- brique séparée) dagegen wird Niemand reich, aber eine Menge Arbeiter befindet sich im Wohlstand ... Die Zahl der fleißigen und wirthschaftli- chen Arbeiter wird wachsen, weil sie in weiser Lebensart, in Thätigkeit ein 30 Mittel erblicken, ihre Lage wesentlich zu verbessern, statt eine kleine Lohnerhöhung zu gewinnen, die niemals ein wichtiger Gegenstand für die Zukunft sein kann, sondern die Leute höchstens befähigt, etwas besser von der Hand in den Mund zu leben. Die getrennten individuellen Manufaktu- ren, meist mit kleiner Landwirthschaft verbunden, sind die freien" 2 3 3). Die 35 2 3 2 ) «Je permettrai», sagt der Kapitalist, «que vous ayez l'honneur de me servir, à condition que vous me donnez le peu qui vous reste pour la peine que je prends de vous commander.» (J. J. Rousseau: Discours sur l'Économie Politique.) 2 3 3 ) Mirabeau 1. c. t. Ill, p. 20-109 passim. Wenn Mirabeau die zersplitterten Werkstätten auch für ökonomischer und produktiver hält, als die „vereinigten", und in den letztren bloß künstliche Treibhauspflanzen unter der Pflege der Staatsregierungen sieht, erklärt sich das aus dem damaligen Zustand eines großen Theils der kontinentalen Manufakturen. 40 670 Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation Expropriation und Verjagung eines Theils des Landvolks setzt mit den Ar- beitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsmaterial für das indu- strielle Kapital frei, sie schafft den innern Markt. 5 In der That, die Ereignisse, die die Kleinbauern in Lohnarbeiter und ihre Lebens- und Arbeitsmittel in sachliche Elemente des Kapitals verwan- deln, schaffen gleichzeitig diesem letztern seinen inneren Markt. Früher erzeugte und bearbeitete die Bauernfamilie die Lebensmittel und Roh- stoffe, die sie nachher größtentheils selbst verzehrte. Diese Rohstoffe und Lebensmittel sind jetzt Waaren geworden; der Großpächter verkauft sie, in 10 den ||713| Manufakturen findet er seinen Markt. Garn, Leinwand, grobe Wollenzeuge, Dinge deren Rohstoffe sich im Bereich jeder Bauernfamilie vorfanden und von ihr zum Selbstgebrauch versponnen und verwebt wur- den - verwandeln sich jetzt in Manufakturartikel, deren Absatzmarkt grade die Landdistrikte bilden. Die zahlreiche zerstreute Kundschaft, bis- 15 her bedingt durch eine Menge kleiner, für eigne Rechnung arbeitender Producenten, koncentrirt sich jetzt zu Einem großen, vom industriellen Kapital versorgten M a r k t 2 3 4 ) . So geht Hand in Hand mit der Expropriation früher selbstwirthschaftender Bauern und ihrer Losscheidung von ihren Produktionsmitteln die Vernichtung der ländlichen Nebenindustrie, der 20 Scheidungsproceß von Manufaktur und Agrikultur. Und nur die Vernich- tung des ländlichen Hausgewerbes kann dem innern Markt eines Landes die Ausdehnung und den festen Bestand geben, deren die kapitalistische Produktionsweise bedarf. Jedoch bringt es die eigentliche Manufakturperiode zu keiner radikalen 25 Umgestaltung. Man erinnert sich, daß sie sich der nationalen Produktion nur sehr stückweis bemächtigt und immer auf städtischem Handwerk und häuslich-ländlicher Nebenindustrie als breitem Hintergrund ruht. Wenn sie letztre unter einer Form, in besondren Geschäftszweigen, auf gewissen Punkten vernichtet, ruft sie dieselbe auf andren wieder hervor, weil sie der- selben zur Bearbeitung des Rohmaterials bis zu einem bestimmten Grad bedarf. Sie producirt daher eine neue Klasse kleiner Landleute, welche die Bodenbestellung als Nebenzweig und die industrielle Arbeit zum Verkauf des Produkts an die Manufaktur - direkt, oder auf dem Umweg des Kauf- manns - als Hauptgeschäft treiben. Dies ist ein Grund, wenn auch nicht 35 der Hauptgrund, eines Phänomens, welches den Forscher der englischen 30 2 3 4 ) "Twenty pounds of wool converted unobtrusively into the yearly clothing of a labourer's family by its own industry in the intervals of other work - this makes no show; but bring it to market, send it to the factory, thence to the broker, thence to the dealer, and you will have great commercial operations, and nominal capital engaged to the amount of twenty times its value ... The working class is thus amerced to support a wretched factory population, a para- sitical shopkeeping class, and a fictitious commercial, monetary and financial system." (David Urquhart 1. c. p. 120.) 40 671 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Geschichte zunächst verwirrt. Vom letzten Drittheil des 15. Jahrhunderts an findet er fortlaufende nur in gewissen Intervallen unterbrochne Klage über die zunehmende Kapitalwirthschaft auf dem Land und die progres- sive Vernichtung der Bauerschaft. Andrerseits findet er stets diese Bauer- schaft wieder von neuem ||714| vor, wenn auch in verminderter Zahl und 5 unter stets verschlechterter F o r m 2 3 5 ) . Der Hauptgrund ist: England ist vor- zugsweise bald Kornbauer, bald Viehzüchter, in Wechselperioden, und mit ihnen schwankt der Umfang des bäuerlichen Betriebs. Erst die große Indu- strie liefert mit den Maschinen die konstante Grundlage der kapitalisti- schen Agrikultur, expropriirt radikal die ungeheure Mehrzahl des Land- 10 volks und vollendet die Scheidung zwischen Ackerbau und häuslich-länd- lichem Gewerbe, dessen Wurzeln sie ausreißt - Spinnerei und W e b e r e i 2 3 6 ) . Sie erobert daher auch erst dem industriellen Kapital den ganzen innern M a r k t 2 3 7 ) . 6. Genesis des industriellen Kapitalisten. 15 Die Genesis des industriellen 2 3 8) Kapitalisten ging nicht in derselben all- mähligen Weise vor wie die des Pächters. Zweifelsohne verwandelten sich manche kleine Zunftmeister und noch mehr selbständige kleine Handwer- ker oder auch Lohnarbeiter in ||715| kleine Kapitalisten, und durch allmäh- 2 3 5 ) Ausnahme bildet hier Cromwell's Zeit. So lange die Republik währte, erhob sich die eng- 20 lische Volksmasse in allen Schichten aus der Degradation, wozu sie unter den Tudors gesun- ken war. 2 3 6 ) Tuckett weiß, daß aus den eigentlichen Manufakturen und der Zerstörung der ländlichen oder häuslichen Manufaktur, mit Einführung der Maschinerie, die große Wollindustrie her- vorgeht. (Tuckett 1. c. v.I, pi 142, 143.) „Der Pflug, das Joch waren die Erfindung von Göttern 25 und die Beschäftigung von Heroen: sind Webstuhl, Spindel und Spinnrad minder edler Ab- kunft? Ihr trennt das Spinnrad und den Pflug, die Spindel und das Joch, und erhaltet Fabri- ken und Armenhäuser, Kredit und Paniks, zwei feindliche Nationen, agrikole und kommer- cielle." (David Urquhart 1. c. p. 122.) Nun kommt aber Carey und klagt, sicher nicht mit Unrecht, England an, daß es jedes andre Land in ein bloßes Agrikulturvolk zu verwandeln 30 strebt, dessen Fabrikant England. Er behauptet, in dieser Art sei die Türkei ruinirt worden, weil „den Eignern und Bebauern des Bodens niemals gestattet war (von England) sich selbst zu kräftigen durch die natürliche Allianz zwischen dem Pflug und dem Webstuhl, dem Ham- mer und der Egge". (The Slave Trade, p. 125.) Nach ihm ist Urquhart selbst einer der Haupt- agenten des Ruins der Türkei, wo er im englischen Interesse Freihandelspropaganda gemacht 35 habe. Das Beste ist, daß Carey, nebenbei großer Russenknecht, durch das Protektionssystem jenen Scheidungsproceß, den es beschleunigt, verhindern will. 2 3 7 ) Die philanthropischen englischen Oekonomen wie Mill, Rogers, Goldwin Smith, Fawcett u.s.w., und liberale Fabrikanten, wie John Bright und Kons., fragen, wie Gott den Kain nach seinem Bruder Abel, so den englischen Grundaristokraten, wo sind unsre Tausende von Free- 40 holders hingekommen? Aber wo seid ihr denn hergekommen? Aus der Vernichtung jener Freeholders. Warum fragt ihr nicht weiter, wo sind die unabhängigen Weber, Spinner, Hand- werker hingekommen? 2 3 8 ) Industriell hier im Gegensatz zu agrikol. Im „kategorischen" Sinn ist der Pächter ein in- dustrieller Kapitalist so gut wie der Fabrikant. 45 672 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation 10 in Kapitalisten sans phrase. lig ausgedehntere Exploitation von Lohnarbeit und entsprechende Akku- In der Kindheitsperiode der mulation kapitalistischen Produktion ging's vielfach zu wie in der Kindheitsperiode des mittelaltrigen Städtewesens, wo die Frage, wer von den entlaufnen 5 Leibeignen soll Meister sein und wer Diener, großentheils durch das frü- here oder spätere Datum ihrer Flucht entschieden wurde. Indeß entsprach der Schneckengang dieser Methode in keiner Weise den Handelsbedürfnis- sen des neuen Weltmarkts, welchen die großen Entdeckungen Ende des 15. Jahrhunderts geschaffen hatten. Aber das Mittelalter hatte zwei ver- schiedne Formen des Kapitals überliefert, die in den verschiedensten öko- nomischen Gesellschaftsformationen reifen und, vor der Aera der kapitali- stischen Produktionsweise, als Kapital quand même gelten - das Wucherkapital und das Kaufmannskapital. „Gegenwärtig geht aller Reich- thum der Gesellschaft erst in die Hand des Kapitalisten . . . e r zahlt dem 15 Grundeigenthümer die Rente, dem Arbeiter den Lohn, dem Steuer- und Zehntenkollektor ihre Ansprüche, und behält einen großen, in der That den größten und täglich anwachsenden Theil des jährlichen Produkts der Arbeit für sich selbst. Der Kapitalist kann jetzt als der Eigner des ganzen gesellschaftlichen Reichthums in erster Hand betrachtet werden, obgleich 20 kein Gesetz ihm das Recht auf dies Eigenthum übertragen hat ... Dieser Wechsel im Eigenthum wurde durch das Zinsnehmen auf Kapital be- wirkt .... und es ist nicht wenig merkwürdig, daß die Gesetzgeber von ganz Europa dies durch Gesetze wider den Wucher verhindern wollten ... Die Macht des Kapitalisten über allen Reichthum des Landes ist eine vollstän- 25 dige Revolution im Eigenthumsrecht, und durch welches Gesetz, oder welche Reihe von Gesetzen wurde sie bewirkt?" 2 3 9). Der Verfasser hätte sich sagen sollen, daß Revolutionen nicht durch Gesetze gemacht werden. 30 an seiner Verwandlung Das durch Wucher und Handel gebildete Geldkapital wurde durch die Feudalverfassung auf dem Land, durch die Zunftverfassung in den Städten industrielles Kapital behindert 2 4 0). Diese Schranken fielen mit der Auflösung ||716| der feudalen Gefolgschaften, mit der Expropriation und theilweisen Verjagung des Landvolks. Die neue Ma- nufaktur ward in See-Exporthäfen errichtet oder auf Punkten des flachen Landes, außerhalb der Kontrole des alten Städtewesens und seiner Zunft- 35 Verfassung. In England daher erbitterter Kampf der corporate towns gegen in diese neuen industriellen Pflanzschulen. 2 3 9 ) „The Natural and Artifical Rights of Property Contrasted. Lond. 1832", p. 98, 99. Verfas- ser der anonymen Schrift: Th. Hodgskin. 2 4°) Sogar noch 1794 schickten die kleinen Tuchmacher von Leeds eine Deputation an das 40 Parlament, zur Petition um ein Gesetz, das jedem Kaufmann verbieten sollte, Fabrikant zu werden. (Dr. Aikin 1. c.) 673 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Berg- werke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute, bezeichnen die Morgenröthe der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Processe sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumula- tion. Auf dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdrund als Schauplatz. Er wird eröffnet durch den Abfall der Nieder- lande von Spanien, nimmt Riesenumfang an in Englands Antijakobiner- krieg, spielt noch fort in den Opiumkriegen gegen China u.s.w. 5 10 Die verschiednen Momente der ursprünglichen Akkumulation verthei- len sich nun, mehr oder minder in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England. In England werden sie Ende des 17. Jahrhunderts systematisch zusammengefaßt im Kolonial- system, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Protektionssy- 15 stem. Diese Methoden beruhn zum Theil auf brutalster Gewalt, z. B. das Kolonialsystem. Alle aber benutzten die Staatsmacht, die koncentrirte und organisirte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsproceß der feu- dalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Uebergänge abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder al- 20 ten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz. Von dem christlichen Kolonialsystem sagt ein Mann, der aus dem Chri- stenthum eine Specialität macht, W. Howitt: „Die Barbareien und ruchlo- sen Greuelthaten der sog. christlichen Racen, in jeder Region der Welt und 25 gegen jedes Volk, das sie unterjochen konnten, finden keine Parallele in irgend einer Aera der Weltgeschichte, bei irgend einer Race, ob noch so wild und ungebildet, mitleidlos und schamlos" 2 4 1). Die Geschichte der hollän||717|dischen Kolonialwirthschaft - und Holland war die kapitalisti- sche Musternation des 17. Jahrhunderts - „entrollt ein unübertreffbares 30 Gemälde von Verrath, Bestechung, Meuchelmord und Niedertracht" 2 4 2). Nichts charakteristischer als ihr System des Menschendiebstahls in Cele- bes, um Sklaven für Java zu erhalten. Die Menschenstehler wurden zu die- sem Zweck abgerichtet. Der Dieb, der Dolmetscher und der Verkäufer waren die Hauptagenten in diesem Handel, eingeborne Prinzen die 35 2 4 1 ) William Howitt: ,,Colonization and Christianity. A Popular History of the Treatment of the Natives by the Europeans in all their Colonies. Lond. 1838", p. 9. Ueber die Behandlung der Sklaven gute Kompilation bei Charles Comte: ,,Traité de la Législation. 3me éd. Bruxelles 1837". Man muß dieß Zeug im Detail studiren, um zu sehn, wozu der Bourgeois sich selbst und den Arbeiter macht, wo er die Welt ungenirt nach seinem Bilde modeln kann. 2 4 2 ) Thomas Stamford Raffles, late Lieut. Gov. of that island: „Java and its dependencies. Lond. 1817". 40 674 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation Hauptverkäufer. Die weggestohlne Jugend wurde in den Geheimgefängnis- sen von Celebes versteckt, bis reif zur Verschickung auf die Sklavenschiffe. Ein officieller Bericht sagt: „Diese eine Stadt von Makassar ζ. Β. ist voll von geheimen Gefängnissen, eins schauderhafter als das andre, gepfropft 5 mit Elenden, Opfern der Habsucht und Tyrannei, in Ketten gefesselt, ihren Familien gewaltsam entrissen." Um sich Malacca's zu bemächtigen, besta- chen die Holländer den portugiesischen Gouverneur. Er ließ sie 1641 in die Stadt ein. Sie eilten sofort zu seinem Hause und meuchelmordeten ihn, um auf die Zahlung der Bestechungssumme von 21 875 Pfd. St. zu 10 „entsagen". Wo sie die Füße hinsetzten, folgte Verödung und Entvölke- rung. Banjuwangi, eine Provinz von Java, zählte 1750 über 80 000 Einwoh- ner, 1811 nur noch 8000. Das ist der doux commerce! Die englisch-ostindische Kompagnie erhielt bekanntlich, außer der poli- tischen Herrschaft in Ostindien, das ausschließliche Monopol des Thee- 15 handels, wie des chinesischen Handels überhaupt und des Gütertransports von und nach Europa. Aber die Küstenschiffahrt von Indien und zwischen den Inseln, wie der Handel im Innern Indiens wurden Monopol der höhern Beamten der Kompagnie. Die Monopole von Salz, Opium, Betel und and- ren Waaren waren unerschöpfliche Minen des Reichthums. Die Beamten 20 selbst setzten die Preise fest und schänden nach Belieben den unglückli- chen Hindu. Der Generalgouverneur nahm Theil an diesem Privathandel. Seine Günstlinge erhielten Kontrakte unter Bedingungen, wodurch sie, klüger als die Alchimisten, aus Nichts Gold machten. Große Vermögen sprangen wie die Pilze an einem Tage auf, die ursprüngliche Akkumula- tion ging von Statten ohne ||718| Vorschuß eines Schillings. Die gerichtli- che Verfolgung des Warren Hastings wimmelt von solchen Beispielen. Hier ein Fall. Ein Opiumkontrakt wird einem gewissen Sullivan zugetheilt, im Augenblick seiner Abreise - in öffentlichem Auftrage - nach einem von den Opiumdistrikten ganz entlegnen Theil Indiens. Sullivan verkauft sei- 30 nen Kontrakt für 40 000 Pfd. St. an einen gewissen Benn, Benn verkauft ihn denselben Tag für 60 000 Pfd. St. und der schließliche Käufer und Aus- führer des Kontrakts erklärt, daß er hinterher noch einen ungeheuren Ge- winn herausschlug. Nach einer dem Parlament vorgelegten Liste ließen sich die Kompagnie und ihre Beamten von 1 7 5 7 - 1 7 6 6 von den Indiern 35 6 Millionen Pfd. St. schenken! Zwischen 1769 und 1770 fabricirten die Engländer eine Hungersnoth durch den Aufkauf von allem Reis und durch Weigerung des Wiederverkaufs außer zu fabelhaften Preisen 2 4 3). 25 Die Behandlung der Eingebornen war natürlich am tollsten in den nur 2 4 3 ) Im Jahr 1866 starben in der einzigen Provinz Orissa mehr als eine Million Hindus am 40 Hungertod. Nichtsdestoweniger suchte man die indische Staatskasse zu bereichern durch die Preise, wozu man den Verhungernden Lebensmittel abließ. 675 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals zum Exporthandel bestimmten Pflanzungen, wie Westindien, und in den dem Raubmord preisgegebenen reichen und dichtbevölkerten Ländern, wie Mexico und Ostindien. Jedoch auch in den eigentlichen Kolonien ver- läugnete sich der christliche Charakter der ursprünglichen Akkumulation nicht. Jene nüchternen Virtuosen des Protestantismus, die Puritaner Neu- Englands, setzten 1703 durch Beschlüsse ihrer Assembly eine Prämie von 40 Pfd. St. auf jedes indianische Scalp und jede gefangne Rothhaut, 1722 Prämie von 100 Pfd. St. auf jedes Scalp, 1744, nachdem Massachusetts-Bay einen gewissen Stamm zum Rebellen erklärt hatte, folgende Preise: für männliches Scalp, 12 Jahre und darüber, 100 Pfd. St. neuer Währung, für 10 männliche Gefangne 105 Pfd. St., für gefangne Weiber und Kinder 55 Pfd. St., für Scalps von Weibern und Kindern 50 Pfd. St.! Einige Decennien später rächte sich das Kolonialsystem an der unterdeß aufrührerisch ge- wordnen Nachkommenschaft der frommen pilgrim fathers. Unter engli- schem Antrieb und Sold wurden sie tomahawked. Das britische Parlament 15 erklärte Bluthunde und Scalpiren für „Mittel, welche Gott und die Natur in seine Hand gegeben". 5 Das Kolonialsystem reifte treibhausmäßig Handel und Schiffahrt. Die „Gesellschaften Monopolia" (Luther) waren gewaltige ||719| Hebel der Ka- pital-Koncentration. Den aufschießenden Manufakturen sicherte die KoIo- 20 nie Absatzmarkt und eine durch das Marktmonopol potenzirte Akkumula- tion. Der außerhalb Europa direkt durch Plünderung, Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz floß ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in Kapital. Holland, welches das Kolonialsystem zuerst völlig ent- wickelte, stand schon 1648 im Brennpunkt seiner Handelsgröße. Es war „in 25 fast ausschließlichem Besitz des ostindischen Handels und des Verkehrs zwischen dem europäischen Südwesten und Nordosten. Seine Fischereien, Seewesen, Manufakturen übertrafen die eines jeden andren Landes. Die Kapitalien der Republik waren vielleicht bedeutender als die des übrigen Europa insgesammt". Gülich vergißt hinzuzusetzen: Hollands Volksmasse 30 war schon 1648 mehr überarbeitet, verarmter und brutaler unterdrückt als die des übrigen Europas insgesammt. Heutzutage führt industrielle Suprematie die Handelssuprematie mit sich. In der eigentlichen Manufakturperiode dagegen ist es die Handelssu- prematie, die die industrielle Vorherrschaft giebt. Daher die vorwiegende 35 Rolle, die das Kolonialsystem damals spielte. Es war „der fremde Gott", der sich neben die alten Götzen Europas auf den Altar stellte und sie eines schönen Tages mit einem Schub und Bautz sämmtlich über den Haufen warf. Es proklamirte die Plusmacherei als letzten und einzigen Zweck der Menschheit. 40 Das System des öffentlichen Kredits, d.h. der Staatsschulden, dessen Ur- 676 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation Sprünge wir in Genua und Venedig schon im Mittelalter entdecken, nahm Besitz von ganz Europa während der Manufakturperiode. Das Kolonialsy- stem mit seinem Seehandel und seinen Handelskriegen diente ihm als Treibhaus. So setzte es sich zuerst in Holland fest. Die Staatsschuld, d. h. 5 die Veräußerung des Staats - ob despotisch, konstitutionell oder republi- kanisch - drückt der kapitalistischen Aera ihren Stempel auf. Der einzige Theil des sogenannten Nationalreichthums, der wirklich in den Gesammt- besitz der modernen Völker eingeht, ist - ihre Staatsschuld 2 4 3 a ) - Daher ganz konsequent die moderne Doktrin, daß ein Volk um so reicher wird, je tiefer es sich verschuldet. Der öffentliche Kredit wird zum Credo des Kapi- tals. Und mit dem Entstehen der S t aats ver s chuldung tritt an die Stelle der | 17201 Sünde gegen den heiligen Geist, für die keine Verzeihung ist, der Treubruch an der Staatsschuld. 10 15 Die öffentliche Schuld wird einer der energischsten Hebel der ursprüng- liehen Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wünschelruthe begabt sie das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so in Kapital, ohne daß es dazu nöthig hätte sich der von industrieller und selbst wuche- rischer Anlage unzertrennlichen Mühwaltung und Gefahr auszusetzen. Die Staatsgläubiger geben in Wirklichkeit nichts, denn die geliehene 20 Summe wird in öffentliche leicht übertragbare Schuldscheine verwandelt, die in ihren Händen fortfungiren ganz als wären sie eben soviel Baargeld. Aber auch abgesehn von der so geschaffnen Klasse müßiger Rentner und von dem improvisirten Reichthum der zwischen Regierung und Nation die Mittler spielenden Financiers - wie auch von dem der Steuerpächter, 25 Kaufleute, Privatfabrikanten, denen ein gut Stück jeder Staatsanleihe den Dienst eines vom Himmel gefallenen Kapitals leistet - hat die Staats- schuld die Aktiengesellschaften, den Handel mit negociablen Effekten aller Art, die Agiotage emporgebracht, in einem Wort: das Börsenspiel und die moderne Bankokratie. 30 Von ihrer Geburt an waren die mit nationalen Titeln aufgestutzten gro- ßen Banken nur Gesellschaften von Privatspekulanten, die sich den Regie- rungen an die Seite stellten und, Dank den erhaltenen Privilegien, ihnen Geld vorzuschießen im Stande waren. Daher hat die Akkumulation der Staatsschuld keinen unfehlbareren Gradmesser als das successive Steigen 35 der Aktien dieser Banken, deren volle Entfaltung von der Gründung der Bank von England datirt (1694). Die Bank von England begann damit, der Regierung ihr Geld zu 8 % zu verleihen; gleichzeitig war sie vom Parlament ermächtigt, aus demselben Kapital Geld zu münzen, indem sie es dem Pu- blikum nochmals in Form von Banknoten lieh. Sie durfte mit diesen No- 40 2 4 3 a) William Cobbett bemerkt, daß in England alle öffentlichen Anstalten als „königliche" bezeichnet werden, zum Ersatz dafür gab es jedoch die „National"-Schuld (national debt). 677 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ten Wechsel diskontiren, Waaren beleihen und edle Metalle einkaufen. Es dauerte nicht lange, so wurde dies von ihr selbst fabricirte Kreditgeld die Münze, worin die Bank von England dem Staat Anleihen machte und für Rechnung des Staats die Zinsen der öffentlichen Schuld bezahlte. Nicht genug, daß sie mit einer Hand gab, um mit der andern mehr zurückzuemp- fangen; sie blieb auch, während sie empfing, ewige Gläubigerin der Nation bis zum letzten gegebnen Heller. Allmählig wurde sie der unvermeidliche Behälter der Metallschätze des Landes und das Gravitationscentrum des ge||721|sammten Handelskredits. Um dieselbe Zeit, wo man in England aufhörte Hexen zu verbrennen, fing man dort an, Banknotenfälscher zu 10 hängen. Welchen Effekt auf die Zeitgenossen das plötzliche Auftauchen dieser Brut von Bankokraten, Financiers, Rentiers, Maklern, Stockjobbers und Börsenwölfen machte, beweisen die Schriften jener Zeit, z . B . Boling- broke's 2 4 3 b). 5 Mit den Staatsschulden entstand ein internationales Kreditsystem, das 15 häufig eine der Quellen der ursprünglichen Akkumulation bei diesem oder jenem Volk versteckt. So bilden die Gemeinheiten des venetianischen Raub systems eine solche verborgne Grundlage des Kapitalreichthums von Holland, dem das verfallende Venedig große Geldsummen lieh. Ebenso verhält es sich zwischen Holland und England. Schon im Anfang des 20 18. Jahrhunderts sind die Manufakturen Hollands weit überflügelt und hat es aufgehört, herrschende Handels- und Industrienation zu sein. Eins sei- ner Hauptgeschäfte von 1 7 0 1 - 1 7 7 6 wird daher das Ausleihen ungeheurer Kapitalien, speciell an seinen mächtigen Konkurrenten England. Aehnli- ches gilt heute zwischen England und den Vereinigten Staaten. Manch Ka- 25 pital, das heute in den Vereinigten Staaten ohne Geburtsschein auftritt, ist erst gestern in England kapitalisirtes Kinderblut. Da die Staatsschuld ihren Rückhalt in den Staatseinkünften hat, die die jährlichen Zins- u.s.w. Zahlungen decken müssen, so wurde das moderne Steuersystem nothwendige Ergänzung des Systems der Nationalanleihen. 30 Die Anleihen befähigen die Regierung außerordentliche Ausgaben zu be- streiten, ohne daß der Steuerzahler es sofort fühlt, aber sie erfordern doch für die Folge erhöhte Steuern. Andrerseits zwingt die durch Anhäufung nach einander kontrahirter Schulden verursachte Steuererhöhung die Re- gierung, bei neuen außerordentlichen Ausgaben stets neue Anleihen auf- 35 zunehmen. Die moderne Fiskalität, deren Drehungsaxe die Steuern auf die nothwendigsten Lebensmittel (also deren Vertheuerung) bilden, trägt da- her in sich selbst den Keim automatischer Progression. Die Ueberbesteue- 2 4 3 b ) «Si les Tartares inondaient l'Europe aujourd'hui, il faudrait bien des affaires pour leur faire entendre ce que c'est qu'un financier parmi nous.» Montesquieu, „Esprit des lois" t. IV, 40 p. 33, éd. Londres 1769. 678 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation rung ist nicht ein Zwischenfall, sondern vielmehr Princip. In Holland, wo dies System zuerst inaugurirt, hat daher der große Patriot De Witt es in sei- nen Maximen gefeiert als das beste System, um den Lohnarbeiter unter- würfig, frugal, fleißig und ... mit Arbeit überladen zu ||722| machen. Der 5 zerstörende Einfluß, den es auf die Lage der Lohnarbeiter ausübt, geht uns hier jedoch weniger an als die durch es bedingte gewaltsame Expropriation des Bauern, des Handwerkers, kurz aller Bestandtheile der kleinen Mittel- klasse. Darüber bestehn keine zwei Meinungen, selbst nicht bei den bür- gerlichen Oekonomen. Verstärkt wird seine expropriirende Wirksamkeit 10 noch durch das Protektionssystem, das einer seiner integrirenden Theile ist. Der große Antheil an der Kapitalisation des Reichthums und der Expro- priation der Massen, der auf die öffentliche Schuld und das ihr entspre- chende Fiskalitätssystem fällt, hat eine Menge Schriftsteller wie Cobbett, 15 Doubleday und andre, dahin geführt, mit Unrecht hierin die Grundursache des Elends der modernen Völker zu suchen. Das Protektionssystem war ein Kunstmittel, Fabrikanten zu fabriciren, unabhängige Arbeiter zu expropriiren, die nationalen Produktions- und Lebensmittel zu kapitalisiren, den Uebergang aus der alterthümlichen in 20 die moderne Produktionsweise gewaltsam abzukürzen. Die europäischen Staaten rissen sich um das Patent dieser Erfindung, und einmal in den Dienst der Plusmacher eingetreten, brandschatzten sie zu jenem Behuf nicht nur das eigne Volk, indirekt durch Schutzzölle, direkt durch Export- prämien u. s. w. In den abhängigen Nebenlanden wurde alle Industrie ge- 25 waltsam ausgerodet, wie z.B. die irische Wollmanufaktur durch England. Auf dem europäischen Kontinent ward nach Colbert's Vorgang der Proceß noch sehr vereinfacht. Das ursprüngliche Kapital des Industriellen fließt hier zum Theil direkt aus dem Staatsschatz. „Warum", ruft Mirabeau, „so weit die Ursache des Manufakturglanzes Sachsens vor dem siebenjährigen 30 Krieg suchen gehn? 180 Millionen Staatsschulden" 2 4 4)! Kolonialsystem, Staatsschulden, Steuerwucht, Protektion, Handelskriege u. s. w., diese Sprößlinge der eigentlichen Manufakturperiode, schwellen riesenhaft während der Kinderperiode der großen Industrie. Die Geburt der letztren wird gefeiert durch den großen herodischen Kinderraub. Wie 35 die königliche Flotte, rekrutiren sich die Fabriken vermittelst der Presse. So blasirt Sir F. M. Eden ist über die Greuel der Expropriation des Land- volks von Grund und Boden seit dem letzten Drittel des 15. Jahr||723|hun- derts bis zu seiner Zeit, dem Ende des 18. Jahrhunderts; so selbstgefällig er 2 4 4 ) «Pourquoi aller chercher si loin la cause de l'éclat manufacturier de la Saxe avant la 40 guerre? Cent quatre-vingt millions de dettes faites par les souverains!» Mirabeau 1. c. t. VI, p. 101. 679 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 10 15 gratulirt zu diesem Proceß, „nothwendig", um die kapitalistische Agrikul- tur und „das wahre Verhältniß von Ackerland und Viehweide herzustel- len", beweist er dagegen nicht dieselbe ökonomische Einsicht in die Noth- wendigkeit des Kinderraubs und der Kindersklaverei für die Verwandlung des Manufakturbetriebs in den Fabrikbetrieb und die Herstellung des wah- ren Verhältnisses von Kapital und Arbeitskraft. Er sagt: „Es mag vielleicht der Erwägung des Publikums werth sein, ob irgend eine Manufaktur, die zu ihrer erfolgreichen Ausführung Cottages und Workhouses von armen Kin- dern ausplündern muß, damit sie, truppweis sich ablösend, den größten Theil der Nacht durch abgerackert und der Ruhe beraubt werden; eine Ma- nufaktur, die außerdem Haufen beiderlei Geschlechts, von verschiednen Altersstufen und Neigungen, so zusammenhudelt, daß die Ansteckung des Beispiels zu Verworfenheit und Liederlichkeit führen muß, - ob solch eine Manufaktur die Summe des nationalen und individuellen Glücks vermeh- ren kann" 2 4 5)? „In Derbyshire, Nottinghamshire und besonders Lanca- shire", sagt Fielden, „wurde die jüngst erfundne Maschinerie angewandt in großen Fabriken, dicht bei Strömen fähig das Wasserrad zu drehn. Tau- sende von Händen waren plötzlich erheischt an diesen Plätzen, fern von den Städten; und Lancashire namentlich, bis zu jener Zeit vergleichungs- weis dünn bevölkert und unfruchtbar, bedurfte jetzt vor allem einer Popu- lation. Die kleinen und flinken Finger waren vor allem in Requisition. So- fort sprang die Gewohnheit auf, Lehrlinge (!) aus den verschiednen Pfarrei-Workhouses von London, Birmingham und sonstwo zu beziehn. Viele, viele Tausende dieser kleinen hülflosen Kreaturen, vom 7. bis zum 13. oder 14. Jahr, wurden so nach dem Norden spedirt. Es war die Gewohn- 25 heit für den Meister (d. h. den Kinderdieb), seine Lehrlinge zu kleiden, nähren und logiren in einem Lehrlingshaus nah bei der Fabrik. Aufseher wurden bestellt, um ihre Arbeit zu überwachen. Es war das Interesse dieser Sklaventreiber, die Kinder aufs Aeußerste abzuarbeiten, denn ihre Zah- lung stand im Verhältniß zum Produktenquantum, das aus dem Kind er- 30 preßt werden konnte. Grausamkeit war natürliche Folge .... In vielen Fa- brikdistrikten, besonders Lancashire's, wurden die herzzerreißendsten Torturen verübt an diesen harmlosen und freundlosen Kreaturen, die den | |724| Fabrikherrn konsignirt waren. Sie wurden zu Tod gehetzt durch Ar- beitsexcesse ... sie wurden gepeitscht, gekettet und gefoltert mit dem aus- 35 gesuchtesten Raffinement von Grausamkeit; sie wurden in vielen Fällen bis auf die Knochen ausgehungert, während die Peitsche sie an der Arbeit h i e l t . . . . Ja in einigen Fällen wurden sie zum Selbstmord getrieben! ... Die schönen und romantischen Thäler von Derbyshire, Nottinghamshire und 20 2 4 5 ) Eden 1. c. b. II, ch. I, p. 420-422. 40 680 Vierundzwanzigstes Kapitel · Die sog. ursprüngliche Akkumulation Lancashire, abgeschlossen vom öffentlichen Auge, wurden grause Einöden ... Die Profite der Fabrikanten waren von Tortur und - oft von Mord! enorm. Das wetzte nur ihren Wehrwohlfsheißhunger. Sie begannen die Praxis der Nachtarbeit, d. h. nachdem sie eine Gruppe Hände durch das 5 Tagwerk gelähmt, hielten sie eine andre Gruppe für das Nachtwerk bereit; die Tagesgruppe wanderte in die Betten, welche die Nachtgruppe grade ver- lassen hatte und vice versa. Es ist. Volksüberlieferung in Lancashire, daß die Betten nie abkühlten" 2 4 6). Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion während der Ma- io nufakturperiode hatte die öffentliche Meinung von Europa den letzten Rest von Schamgefühl und Gewissen eingebüßt. Die Nationen renommir- ten cynisch mit jeder Infamie, die ein Mittel zu Kapitalakkumulation. Man lese z . B . die naiven Handelsannalen des Biedermanns A.Anderson. Hier wird es als Triumph englischer Staatsweisheit ausposaunt, daß England im 15 Frieden von Utrecht den Spaniern durch den Asientovertrag das Privile- gium abzwang, den Negerhandel, den es bisher nur zwischen Afrika | |725| und dem englischen Westindien betrieb, nun auch zwischen Afrika und dem spanischen Amerika betreiben zu dürfen. England erhielt das Recht, das spanische Amerika bis 1743 jährlich mit 4800 Negern zu versor- 20 gen. Dies gewährte zugleich einen offiziellen Deckmantel für den briti- schen Schmuggel. Liverpool wuchs groß auf der Basis des Sklavenhandels. Er bildet seine Methode der ursprünglichen Akkumulation. Und bis heut- zutag blieb die Liverpooler „Ehrbarkeit" Pindar des Sklavenhandels, wel- cher - vgl. die citirte Schrift des Dr. Aikin von 1795 - „den kommerciellen 25 Unternehmungsgeist bis zur Leidenschaft steigere, famose Seeleute bilde und enormes Geld einbringe". Liverpool beschäftigte 1730 im Sklavenhan- del 15 Schiffe, 1751: 53, 1760: 74, 1770: 96 und 1792: 132. 2 4 6 ) John Fielden I.e. p.5, 6. Ueber die ursprünglichen Infamien des Fabrikwesens vgl. Dr. Ai- kin (1795) I.e. p.219 und Gisborne: ,,Enquiry into the duties of men. 1795", v. II. - Da die 30 Dampfmaschine die Fabriken von den ländlichen Wasserfällen weg in die Mitte von Städten verpflanzte, fand der „entsagungslustige" Plusmacher das Kindermaterial nun zur Hand, ohne gewaltsame Sklavenzufuhr aus den Workhouses. - Als Sir R.Peel (Vater des „Ministers der Plausibilität") seine Bill zum Schutz der Kinder 1815 einbrachte, erklärte F. Horner (lumen des Bullion-Comités und intimer Freund Ricardo's) im Unterhaus: „Es ist notorisch, daß mit 35 den Effekten eines Banqueroutier's eine Bande, wenn er solchen Ausdruck brauchen dürfe, von Fabrikkindern zur Auktion öffentlich, als Theil des Eigenthums, annoncirt und losge- schlagen wurde. Vor zwei Jahren (1813) kam ein abscheulicher Fall vor die King's Bench. Es handelte sich um eine Anzahl Knaben. Eine Pfarrei von London hatte sie einem Fabrikanten Übermacht, der übertrug sie wieder auf einen andren. Sie wurden schließlich von einigen 40 Menschenfreunden in einem Zustand absoluter Verhungerung (absolute famine) entdeckt. Ein andrer Fall, noch abscheulicher, sei zu seiner Kenntniß als Mitglied des parlamentari- schen Untersuchungscomités gebracht worden. Vor nicht vielen Jahren schlössen eine Londo- ner Pfarrei und ein Fabrikant von Lancashire einen Vertrag, wodurch stipulirt wurde, daß er auf je 20 gesunde Kinder einen Idioten mit in den Kauf zu nehmen habe." 681 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals Während sie die Kindersklaverei in England einführte, gab die Baum- wollindustrie zugleich den Anstoß zur Verwandlung der früher mehr oder minder patriarchalischen Sklavenwirthschaft der Vereinigten Staaten in ein kommercielles Exploitationssystem. Ueberhaupt bedurfte die verhüllte Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piédestal die Sklaverei sans 5 phrase in der neuen W e l t 2 4 7 ) . Tantae molis erat, die „ewigen Naturgesetze" der kapitalistischen Pro- duktionsweise zu entbinden, den Scheidungsproceß zwischen Arbeitern und Arbeitsbedingungen zu vollziehn, auf dem einen Pol die gesellschaftli- chen Produktions- und Lebensmittel in Kapital zu verwandeln, auf dem 10 Gegenpol die Volksmasse in Lohnarbeiter, in freie „arbeitende Arme", dies Kunstprodukt der modernen G e s c h i c h t e 2 4 8 ) . Wenn das Geld, nach Augier, „mit natürlichen Blut||726|flecken auf einer Backe zur Welt k o m m t " 2 4 9 ) , so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztrie- f e n d 2 5 0 ) . 15 247) 1790 kamen im englischen Westindien 10 Sklaven auf 1 Freien, im französischen 14 auf 1, im holländischen 23 auf 1. (Henry Brougham: An Inquiry into the Colonial Policy of the European Powers. Edinb. 1803, v. II, p. 74.) 2 4 8 ) Der Ausdruck ,,labouring poor" findet sich in den englischen Gesetzen vom Augenblick, wo die Klasse der Lohnarbeiter bemerkenswerth wird. Die ,,labouring poor" stehn im Gegen- 20 satz, einerseits zu den ,,idle poor", Bettlern u. s. w., andrerseits zu den Arbeitern, die noch keine gepflückten Hühner, sondern Eigenthümer ihrer Arbeitsmittel sind. Aus dem Gesetz ging der Ausdruck ,,labouring poor" in die politische Oekonomie über, von Culpeper, J. Child u. s. w. bis A. Smith und Eden. Danach beurtheile man die bonne foi des ,,execrable political cantmonger" Edmund Burke, wenn er den Ausdruck ,,labouring poor" für ,,execrable political 25 cant" erklärt. Dieser Sykophant, der im Sold der englischen Oligarchie den Romantiker ge- genüber der französischen Revolution spielte, ganz wie er, im Sold der nordamerikanischen Kolonien beim Beginn der amerikanischen Wirren, gegenüber der englischen Oligarchie den Liberalen gespielt hatte, war durch und durch ordinärer Bourgeois: „Die Gesetze des Handels sind die Gesetze der Natur und folglich die Gesetze Gottes." (E. Burke 1. c. p. 32.) Kein Wun- 30 der, daß er, den Gesetzen Gottes und der Natur getreu, stets sich selbst auf dem besten Markt verkauft hat! Man findet in des Rev. Tucker's Schriften - Tucker war Pfaff und Tory, im übri- gen aber anständiger Mann und tüchtiger politischer Oekonom - sehr gute Charakteristik die- ses Edmund Burke während seiner liberalen Zeit. Bei der infamen Charakterlosigkeit, die heutzutag herrscht und devotest an „die Gesetze des Handels" glaubt, ist es Pflicht wieder 35 und wieder die Burkes zu brandmarken, die sich von ihren Nachfolgern nur durch eins unter- scheiden - Talent! 2 4 9 ) Marie Augier: „Du Crédit Public". 2 5°) „Kapital", sagt der Quarterly Reviewer, „flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Na- tur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor 40 Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entspre- chendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Procent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Procent, es wird lebhaft; 50 Procent, positiv waghalsig; für 100 Procent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Procent, und es existirt kein Verbrechen, das es nicht riskirt, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es 45 sie beide enkouragiren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel." (T.J.Dunning I.e. p.35, 36.) 682 Vierundzwanzigstes Kapitel • Die sog. ursprüngliche Akkumulation 7. Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation. Worauf kommt die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, d. h. seine historische Genesis, hinaus? Soweit sie nicht unmittelbare Verwandlung von Sklaven und Leibeignen in Lohnarbeiter, also bloßer Formwechsel ist, 5 bedeutet sie nur die Expropriation der unmittelbaren Producenten, d. h. die Auflösung des auf eigner Arbeit beruhenden Privateigenthums. Privateigenthum, als Gegensatz zum gesellschaftlichen, kollektiven Ei- genthum, besteht nur da, wo die Arbeitsmittel und die äußeren Bedingun- gen der Arbeit Privatleuten gehören. Je nachdem aber diese Privatleute die 10 Arbeiter oder die Nichtarb eiter sind, hat auch das Privateigenthum einen andern Charakter. Die unendlichen Schattirungen, die es auf den ersten Blick darbietet, spiegeln nur die zwischen diesen beiden Extremen liegen- den Zwischenzustände wieder. Das Privateigenthum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die 15 Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine nothwendige Bedin- gung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien Individualität des Arbeiters selbst. Allerdings existirt diese Produktions- weise auch innerhalb der Sklaverei, Leibeigenschaft und andrer Abhängig- keitsverhältnisse. Aber sie blüht nur, schnellt nur ihre ganze Energie, er- 20 obert nur ||727| die adäquate klassische Form, wo der Arbeiter freier Privateigenthümer seiner von ihm selbst gehandhabten Arb eitsb e dingun- gen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der Handwerker des Instru- ments, worauf er als Virtuose spielt. Diese Produktionsweise unterstellt Zersplitterung des Bodens und der 25 übrigen Produktionsmittel. Wie die Koncentration der letztren, so schließt sie auch die Kooperation, Theilung der Arbeit innerhalb derselben Produk- tionsprocesse, gesellschaftliche Beherrschung und Reglung der Natur, freie Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte aus. Sie ist nur verträg- lich mit engen naturwüchsigen Schranken der Produktion und der Gesell- 30 schaft. Sie verewigen wollen, hieße, wie Pecqueur mit Recht sagt, „die all- gemeine Mittelmäßigkeit dekretiren". Auf einem gewissen Höhegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur Welt. Von diesem Augenblick regen sich Kräfte und Leidenschaften im Gesellschafts- schoße, welche sich von ihr gefesselt fühlen. Sie muß vernichtet werden, 35 sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Verwandlung der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich koncentrirte, daher des zwerghaften Eigenthums Vieler in das massenhafte Eigenthum Weni- ger, daher die Expropriation der großen Volksmasse von Grund und Boden und Lebensmitteln und Arbeitsinstrumenten, diese furchtbare und schwie- 683 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulatiönsprozeß des Kapitals rige Expropriation der Volksmasse bildet die Vorgeschichte des Kapitals. Sie umfaßt eine Reihe gewaltsamer Methoden, wovon wir nur die epoche- machenden als Methoden der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals Revue passiren ließen. Die Expropriation der unmittelbaren Producenten wird mit schonungslosestem Vandalismus und unter dem Trieb der infam- sten, schmutzigsten, kleinlichst gehässigsten Leidenschaften vollbracht. Das selbst erarbeitete, sozusagen auf Verwachsung des einzelnen, unab- hängigen Arbeitsindividuums mit seinen Arb eitsb e dingung en beruhende Privateigenthum wird verdrängt durch das kapitalistische Privateigenthum, welches auf Exploitation fremder, aber formell freier Arbeit beruht 2 5 1). 5 10 Sobald dieser Umwandlungsproceß nach Tiefe und Umfang die alte Ge- sellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletarier, ihre Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die kapitalistische Produktionsweise auf eignen Füßen steht, ||728| gewinnt die weitere Verge- sellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde und andrer 15 Produktionsmittel in gesellschaftlich ausgebeutete, also gemeinschaftliche Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der Privateigenthümer, eine neue Form. Was jetzt zu expropriiren, ist nicht länger der selbstwirth- schaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitirende Kapitalist. Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Ge- 20 setze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Centralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele todt. Hand in Hand mit dieser Cen- tralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch Wenige entwik- kelt sich die kooperative Form des Arbeitsprocesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewußte technische Anwendung der Wissenschaft, die 25 planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Oekonomisirung aller Pro- duktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinirter, gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts, und damit der internationale Charakter des kapitalistischen 30 Regimes. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, wel- che alle Vortheile dieses Umwandlungsprocesses usurpiren und monopoli- siren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Ent- artung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprocesses 35 selbst geschulten, vereinten und organisirten Arbeiterklasse. Das Kapital- monopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm auf- geblüht ist. Die Centralisation der Produktionsmittel und die Vergesell- 25 r ) «Nous sommes dans une condition tout-à-fait nouvelle de la société ... nous tendons à séparer toute espèce de propriété d'avec toute espèce de travail.» (Sismondi: ,,Nouveaux Prin- 40 cipes de l'Écon. Polit." t. II, p. 434.) 684 Fünfundzwanzigstes.Kapitel · Die moderne Kolonisationstheorie schaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapi- talistischen Privateigenthums schlägt. Die Expropriateurs werden expro- priirt. 5 Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalisti- sche Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigenthum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigne Arbeit gegründeten Privatei- genthums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Nothwen- digkeit eines Naturprocesses ihre eigne Negation. Es ist Negation der Ne- 10 gation. Diese stellt nicht das Privateigenthum wieder her, wohl aber das individuelle Eigenthum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalisti- schen ||729| Aera: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst producirten Produktionsmittel. Die Verwandlung des auf eigner Arbeit der Individuen beruhenden, zer- 15 splitterten Privateigenthums in kapitalistisches ist natürlich ein Proceß, ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung des that- sächlich bereits auf gesellschaftlichem Pro duktionsb e trieb beruhenden ka- pitalistischen Eigenthums in gesellschaftliches. Dort handelte es sich um die Expropriation der Volksmasse durch wenige Usurpatoren, hier handelt 20 es sich um die Expropriation weniger Usurpatoren durch die Volks- masse 2 5 2). F Ü N F U N D Z W A N Z I G S T E S K A P I T E L . Die moderne Kolonisationstheorie 2 5 3). Die politische Oekonomie verwechselt principiell zwei sehr verschiedne 25 Sorten Privateigenthum, wovon das eine auf eigner Arbeit des Producenten beruht, das andre auf der Ausbeutung fremder Arbeit. Sie vergißt, daß das 2 5 2 ) „Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandloser Träger die Bour- geoisie ist, setzt an die Stelle der Isolirung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutio- näre Vereinigung durch die Association. Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also 30 unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie producirt und die Produkte sich aneignet. Sie producirt also vor allem ihre eignen Todtengräber. Ihr Unter- gang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich ... Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehn, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehn unter mit der großen Industrie, das Prole- tariat ist ihr eigenstes Produkt ... Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kauf- mann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern ... sie sind reaktionär, denn sie suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehn." (Karl Marx und F. Engels: „Manifest der kommunistischen Partei. London 1848", p. 11, 9.) 2 5 3 ) Es handelt sich hier von wirklichen Kolonien, jungfräulichem Boden, der durch freie Ein- wanderer kolonisirt wird. Die Vereinigten Staaten sind, ökonomisch gesprochen, immer noch Kolonialland Europa's. Uebrigens gehören auch solche alten Pflanzungen hierher, wo die Aufhebung der Sklaverei die Verhältnisse gänzlich umgewälzt hat. 35 40 685 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals letztre nicht nur den direkten Gegensatz des erstren bildet, sondern auch bloß auf seinem Grab wächst. Im Westen von Europa, dem Heimathsland der politischen Oekonomie, ist der Proceß der ursprünglichen Akkumulation mehr ||730| oder minder vollbracht. Das kapitalistische Regiment hat hier entweder die ganze natio- naie Produktion sich direkt unterworfen, oder, wo die Verhältnisse noch unentwickelter, kontrolirt es wenigstens indirekt die neben ihm fortexisti- renden, verkommenden, der veralteten Produktionsweise angehörigen Ge- sellschaftsschichten. Auf diese fertige Welt des Kapitals wendet der politi- sche Oekonom mit desto ängstlicherem Eifer und desto größerer Salbung 10 die Rechts- und Eigenthumsvorstellungen der vorkapitalistischen Welt an, je lauter die Thatsachen seiner Ideologie ins Gesicht schreien. 5 Anders in den Kolonien. Das kapitalistische Regiment stößt dort überall auf das Hinderniß des Producenten, welcher als Besitzer seiner eignen Ar- beitsbedingungen sich selbst durch seine Arbeit bereichert statt den Kapi- 15 talisten. Der Widerspruch dieser zwei diametral entgegengesetzten ökono- mischen Systeme bethätigt sich hier praktisch in ihrem Kampf. Wo der Kapitalist die Macht des Mutterlandes im Rücken hat, sucht er die auf eigner Arbeit beruhende Produktions- und Aneignungsweise gewaltsam aus dem Weg zu räumen. Dasselbe Interesse, welches den Sykophanten 20 des Kapitals, den politischen Oekonomen, im Mutterland bestimmt, die kapitalistische Produktionsweise theoretisch für ihr eignes Gegentheil zu erklären, dasselbe Interesse treibt ihn hier ,,to make a clean breast of it" und den Gegensatz beider Produktionsweisen laut zu proklamiren. Zu die- sem Behuf weist er nach, wie die Entwicklung der gesellschaftlichen Pro- 25 duktivkraft der Arbeit, Kooperation, Arbeitstheilung, Anwendung der Ma- schinerie im Großen u. s. w. unmöglich sind ohne die Expropriation der Arbeiter und die entsprechende Verwandlung ihrer Produktionsmittel in Kapital. Im Interesse des sog. Nationalreichthums sucht er nach Kunstmit- teln zur Herstellung der Volksarmuth. Sein apologetischer Panzer zer- 30 bröckelt hier Stück für Stück wie mürber Zunder. Es ist das große Verdienst E. G. Wakefield's, nicht irgend etwas neues über die Kolonien 2 5 4), aber in den Kolonien die Wahrheit über die kapitali- stischen Verhältnisse des Mutterlands entdeckt zu haben. Wie das Protek- tionssystem in seinen Ursprüngen 2 5 5) die Fabrikation von Kapitalisten im 35 Mutterland, so erstrebt Wake||731|fîeld's Kolonisationstheorie, welche Eng- 2 5 4 ) Die wenigen Lichtblicke Wakefield's über das Wesen der Kolonien selbst sind vollständig anticipirt durch Mirabeau père, den Physiokraten, und noch viel früher durch englische Oeko- nomen. 2 5 5 ) Es wird später eine temporäre Nothwendigkeit im internationalen Konkurrenzkampf. Welches aber immer sein Motiv, die Folgen bleiben dieselben. 40 686 Fünfundzwanzigstes Kapitel • Die moderne Kolonisationstheorie land eine Zeit lang gesetzlich ins Werk zu setzen suchte, die Fabrikation von Lohnarbeitern in den Kolonien. Das nennt er ,,systematic coloniza- tion" (systematische Kolonisation). 10 Zunächst entdeckte Wakefield in den Kolonien, daß das Eigenthum an 5 Geld, Lebensmitteln, Maschinen und andren Produktionsmitteln einen Menschen noch nicht zum Kapitalisten stempelt, wenn die Ergänzung fehlt, der Lohnarbeiter, der andre Mensch, der sich selbst freiwillig zu ver- kaufen gezwungen ist. Er entdeckte, daß das Kapital nicht eine Sache ist, sondern ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhältniß zwi- sehen Personen 2 5 6). Herr Peel, jammert er uns vor, nahm Lebensmittel und Produktionsmittel zum Belauf von 50 000 Pfd. St. aus England nach dem Swan River, Neuholland, mit. Herr Peel war so vorsichtig, außerdem 300 Personen der arbeitenden Klasse, Männer, Weiber und Kinder mitzu- bringen. Einmal am Bestimmungsplatz angelangt, „blieb Herr Peel ohne einen Diener sein Bett zu machen oder ihm Wasser aus dem Fluß zu schöpfen" 2 5 7). Unglücklicher Herr Peel, der alles vorsah, nur nicht den Ex- port der englischen Produktionsverhältnisse nach dem Swan River! 15 Zum Verständniß der folgenden Entdeckungen Wakefield's zwei Vorbe- merkungen. Man weiß: Produktions- und Lebensmittel, als Eigenthum des 20 unmittelbaren Producenten, sind kein Kapital. Sie werden Kapital nur un- ter Bedingungen, worin sie zugleich als Exploitations- und Beherrschungs- mittel des Arbeiters dienen. Diese ihre kapitalistische Seele ist aber im Kopfe des politischen Oekonomen so innig mit ihrer stofflichen Substanz vermählt, daß er sie unter allen Umständen Kapital tauft, auch wo sie das 25 grade Gegentheil sind. So bei Wakefield. Ferner: die Zersplitterung der Produktionsmittel als individuelles Eigenthum vieler von einander unab- hängigen, selbstwirthschaftenden Arbeiter nennt er gleiche Theilung des Kapitals. Es geht dem politischen Oekonomen, wie dem feudalen Juristen. Letzterer klebte auch auf reine Geldverhältnisse seine feudalen Rechtseti- 30 quetten. | |732| „Wäre", sagt Wakefield, „das Kapital unter alle Mitglieder der Ge- sellschaft in gleiche Portionen vertheilt, so hätte kein Mensch ein Inter- esse, mehr Kapital zu akkumuliren, als er mit seinen eignen Händen an- wenden kann. Dies ist in gewissem Grad der Fall in neuen amerikanischen 35 Kolonien, wo die Leidenschaft für Grundeigenthum die Existenz einer 2 5 6 ) „Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven. Eine Baumwollmaschine ist eine Maschine zum Baumwollspinnen. Nur in bestimmten Verhältnis- sen wird sie zu Kapital. Aus diesen Verhältnissen herausgerissen, ist sie so wenig Kapital, wie Gold an und für sich Geld oder der Zucker der Zuckerpreis ist ... Das Kapital ist ein gesell- schaftliches Produktionsverhältniß. Es ist ein historisches Produktionsverhältniß." (Karl Marx: „Lohnarbeit und Kapital". N.Rh.Z. Nr. 266 vom 7. April 1849.) 2 5 7 ) E. G. Wakefield: „England and America", v. II, p. 33. 40 687 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals 5 Klasse von Lohnarbeitern verhindert" 2 5 8). So lange also der Arbeiter für sich selbst akkumuliren kann, und das kann er, so lange er Eigenthümer seiner Produktionsmittel bleibt, ist die kapitalistische Akkumulation und die kapitalistische Produktionsweise unmöglich. Die dazu unentbehrliche Klasse der Lohnarbeiter fehlt. Wie wurde nun im alten Europa die Expro- priation des Arbeiters von seinen Arbeitsbedingungen, daher Kapital und Lohnarbeit, hergestellt? Durch einen contrat social ganz origineller Art. „Die Menschheit .... adoptirte eine einfache Methode zur Förderung der Akkumulation des Kapitals", die ihr natürlich seit Adams Zeiten als letzter und einziger Zweck ihres Daseins vorschwebte; „sie theilte sich in Eigner 10 von Kapital und Eigner von Arbeit... diese Theilung war das Resultat frei- williger Verständigung und Kombination" 2 5 9). Mit einem Wort: die Masse der Menschheit expropriate sich selbst zu Ehren der „Akkumulation des Kapitals". Nun sollte man glauben, der Instinkt dieses selbstentsagenden Fanatismus müsse sich namentlich in Kolonien den Zügel frei schießen 15 lassen, wo allein Menschen und Umstände existiren, welche einen contrat social aus dem Traumreich in das der Wirklichkeit übersetzen könnten. Aber wozu dann überhaupt die „systematische Kolonisation" im Gegen- satz zur naturwüchsigen Kolonisation? Aber, aber: „in den nördlichen Staaten der amerikanischen Union ist es zweifelhaft, ob ein Zehntel der 20 Bevölkerung der Kategorie der Lohnarbeiter angehört . . . I n England ... be- steht die große Volksmasse aus Lohnarbeitern" 2 6 0). Ja der Selbstexpropria- tionstrieb der arbeitenden Menschheit zu Ehren des Kapitals existirt so we- nig, daß Sklaverei, selbst nach Wakefield, die einzige naturwüchsige Grundlage des Kolonialreichthums ist. Seine systematische Kolonisation 25 ist ein bloßes pis aller, da er nun einmal mit Freien, statt mit Sklaven zu thun hat. „Die ersten spanischen Ansiedler in Santo Domingo erhielten keine Arbeiter aus Spanien. Aber ohne Arbeiter (d.h. ohne Sklaverei) wäre das Kapital kaput ge||733|gangen oder wenigstens auf die kleinen Massen zusammengeschrumpft, worin jedes Individuum es mit seinen eignen Hän- 30 den anwenden kann. Dies fand wirklich statt in der letzten von den Eng- ländern gegründeten Kolonie, wo ein großes Kapital in Samen, Vieh und Instrumenten unterging am Mangel von Lohnarbeitern und wo kein An- siedler viel mehr Kapital besitzt, als er mit seinen eignen Händen anwen- den k a n n " 2 6 1 ) . 35 Man sah: die Expropriation der Volksmasse von Grund und Boden bil- det die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise. Das Wesen einer 2 5 8 ) L c v.I, p.17. 2 5 9 ) l.c.p.18. 2 6 0 ) I.e. p.42, 43, 44. 2 6 1 ) I.e. v.II, p.5. 688 40 Fünfundzwanzigstes Kapitel · Die moderne Kolonisationstheorie 5 freien Kolonie besteht umgekehrt darin, daß die Masse des Bodens noch Volkseigenthum ist und jeder Ansiedler daher einen Theil davon in sein Privateigenthum und individuelles Produktionsmittel verwandeln kann, ohne den spätren Ansiedler an derselben Operation zu verhindern 2 6 2). Dies ist das Geheimniß, sowohl der Blüthe der Kolonien, als ihres Krebsscha- dens - ihres Widerstands wider die Ansiedlung des Kapitals. „Wo Land sehr wohlfeil ist und alle Menschen frei sind, wo jeder nach Wunsch ein Stück Land für sich selbst erhalten kann, ist Arbeit nicht nur sehr theuer, was den Antheil des Arbeiters an seinem Produkt angeht, sondern die 10 Schwierigkeit ist, kombinirte Arbeit zu irgend einem Preis zu erhalten" 2 6 3). Da in den Kolonien die Scheidung des Arbeiters von den Arbeitsbedin- gungen und ihrer Wurzel, dem Grund und Boden, noch nicht existirt, oder nur sporadisch, oder auf zu beschränktem Spielraum, existirt auch noch nicht die Losscheidung der Agrikultur von der Industrie, noch nicht die 15 Vernichtung der ländlich häuslichen Industrie, und wo soll da der innere Markt für das Kapital herkommen? „Kein Theil der Bevölkerung Amerikas ist ausschließlich agrikol, mit Ausnahme der Sklaven und ihrer Anwender, die Kapital und Arbeit für große Werke kombiniren. Freie Amerikaner, die den Boden selbst bauen, treiben zugleich viele andre Beschäftigungen. Ein 20 Theil der von ihnen gebrauchten Möbel und Werkzeuge wird gewöhnlich von ihnen selbst gemacht. Sie bauen häufig ihre eignen Häuser und brin- gen das Produkt ihrer eignen Industrie zu noch so fernem Markt. Sie sind Spinner und Weber, sie fabriciren Seife und Kerzen, Schuhe und Kleider für ihren ||734| eignen Gebrauch. In Amerika bildet der Landbau oft das 25 Nebengeschäft eines Grobschmieds, Müllers oder Krämers" 2 6 4). Wo bleibt unter solchen Käuzen das „Entsagungsfeld" für den Kapitalisten? Die große Schönheit der kapitalistischen Produktion besteht darin, daß sie nicht nur beständig den Lohnarbeiter als Lohnarbeiter reproducirt, son- dern im Verhältniß zur Akkumulation des Kapitals stets eine relative Ue- 30 bervölkerung von Lohnarbeitern producirt. So wird das Gesetz von Arbeits- nachfrage und Zufuhr in richtigem Gleis gehalten, die Lohnschwankung innerhalb, der kapitalistischen Exploitation zusagender, Schranken ge- bannt, und endlich die so unentbehrliche sociale Abhängigkeit des Arbei- ters vom Kapitalisten verbürgt, ein absolutes Abhängigkeitsverhältniß, das 35 der politische Oekonom zu Haus, im Mutterland, breimäulig umlügen kann in ein freies Kontraktverhältniß von Käufer und Verkäufer, von 2 6 2 ) „Land, um Element der Kolonisation zu werden, muß nicht nur unangebaut sein, son- dern öffentliches Eigenthum, welches in Privateigenthum verwandelt werden kann." (I.e. v.II, p.125.) 2 6 3 ) I.e. v.I, p.247. 2 6 4 ) 1. c. p.21, 22. 40 689 Siebenter Abschnitt • Der Akkumulationsprozeß des Kapitals gleich unabhängigen Waarenbesitzern, Besitzern der Waare Kapital und der Waare Arbeit. Aber in den Kolonien reißt der schöne Wahn entzwei. Die absolute Bevölkerung wächst hier viel rascher als im Mutterland, in- dem viele Arbeiter erwachsen auf die Welt kommen, und dennoch ist der Arbeitsmarkt stets untervoll. Das Gesetz der Arbeitsnachfrage und Zufuhr geräth in die Brüche. Einerseits wirft die alte Welt fortwährend exploita- tionslustiges, entsagungsbedürftiges Kapital ein; andrerseits stößt die regel- mäßige Reproduktion der Lohnarbeiter als Lohnarbeiter auf die unartig- sten und theilweis unüberwindliche Hindernisse. Und nun gar die Produktion von überzähligen Lohnarbeitern im Verhältniß zur Akkumula- tion des Kapitals! Der Lohnarbeiter von heute wird morgen unabhängiger, selbstwirthschaftender Bauer oder Handwerker. Er verschwindet vom Ar- beitsmarkt, aber - nicht ins Workhouse. Diese beständige Verwandlung der Lohnarbeiter in unabhängige Producenten, die statt für das Kapital, für sich selbst arbeiten, und statt den Herrn Kapitalisten sich selbst berei- chern, wirkt ihrerseits durchaus schadhaft auf die Zustände des Arbeits- markts zurück. Nicht nur bleibt der Exploitationsgrad des Lohnarbeiters unanständig niedrig. Der letztre verliert obendrein mit dem Abhängigkeits- verhältniß auch das Abhängigkeitsgefühl vom entsagenden Kapitalisten. Daher alle Mißstände, die unser E. G. Wakefield so brav, so beredt und so rührend schildert. ist weder beständig, noch Die Zufuhr von Lohnarbeit, klagt er, | |735| regelmäßig, noch genügend. Sie „ist stets nicht nur zu klein, sondern unsicher" 2 6 5). „Obgleich das zwischen Arbeiter und Kapitalist zu theilende Produkt groß ist, nimmt der Arbeiter einen so großen Theil, daß er rasch ein Kapitalist wird ... Dagegen können Wenige, selbst wenn sie ungewöhn- lich lang leben, große Reichthumsmassen akkumuliren" 2 6 6). Die Arbeiter erlauben den Kapitalisten platterdings nicht, auf Zahlung des größten Theils ihrer Arbeit zu entsagen. Es hilft ihm nichts, wenn er so schlau ist, mit seinem eignen Kapital auch seine eignen Lohnarbeiter aus Europa zu importiren. „Sie hören bald auf Lohnarbeiter zu sein, sie verwandeln sich bald in unabhängige Bauern oder gar in Konkurrenten ihrer alten Meister auf dem Lohnarbeitsmarkt s e l b s t " 2 6 7 ) . Man begreife den Greuel! Der brave Kapitalist hat seine eignen leibhaftigen Konkurrenten selbst aus Europa für sein eignes gutes Geld importirt! Da hört denn doch alles auf! Kein Wunder, wenn Wakefield klagt über mangelndes Abhängigkeitsverhältniß und Abhängigkeitsgefühl der Lohnarbeiter in den Kolonien. Wegen der hohen Löhne, sagt sein Schüler Merivale, existirt in den Kolonien „der lei- 2 6 5 ) L c v.II, p.116. 2 6 6 ) I.e. v.I, p.131. 2 6 7 ) I.e. v.II, p.5. 690 Fünfundzwanzigstes Kapitel • Die moderne Kolonisationstheorie denschaftliche Drang nach wohlfeilerer und unterwürfigerer Arbeit, nach einer Klasse, welcher der Kapitalist die Bedingungen diktiren kann, statt sie von ihr diktirt zu erhalten . . . I n altcivilisirten Ländern ist der Arbeiter, obgleich frei, naturgesetzlich abhängig vom Kapitalisten, in Kolonien muß 5 diese Abhängigkeit durch künstliche Mittel geschaffen werden" 2 6 8). | |736| Was ist nun, nach Wakefield, die Folge dieses Mißstands in den Kolonien? Ein „barbarisches System der Zerstreuung" der Producenten und des Nationalvermögens 2 6 9). Die Zersplitterung der Produktionsmittel unter unzählige, selbstwirthschaftende Eigenthümer vernichtet mit der 10 Centralisation des Kapitals alle Grundlage kombinirter Arbeit. Jedes lang- athmige Unternehmen, das sich über Jahre erstreckt und Auslage von fi- xem Kapital erheischt, stößt auf Hindernisse der Ausführung. In Europa zögert das Kapital keinen Augenblick, denn die Arbeiterklasse bildet sein lebendiges Zubehör, stets im Ueberfluß da, stets zur Verfügung. Aber in 15 den Kolonialländern! Wakefield erzählt eine äußerst schmerzensreiche An- ekdote. Er unterhielt sich mit einigen Kapitalisten von Kanada und dem Staat New-York, wo zudem die Einwanderungswogen oft stocken und einen Bodensatz „überzähliger" Arbeiter niederschlagen. „Unser Kapital", seufzt eine der Personen des Melodrama's, „unser Kapital lag bereit für 20 viele Operationen, die eine beträchtliche Zeitperiode zu ihrer Vollendung brauchen; aber konnten wir solche Operationen beginnen mit Arbeitern, welche, wir wußten es, uns bald den Rücken wenden würden? Wären wir sicher gewesen die Arbeit solcher Einwandrer festhalten zu können, wir hätten sie mit Freude sofort engagirt und zu hohem Preis. Ja, trotz 25 der Sicherheit ihres Verlustes würden wir sie dennoch engagirt haben, 30 2 6 8 ) Merivale I.e. v.II, p.235-237, 314 passim. Selbst der sanfte, freihändlerische Vulgäröko- nom Molinari sagt: « Dans les colonies où l'esclavage a été aboli sans que le travail forcé se trouvait remplacé par une quantité équivalente de travail libre, on a vu s'opérer la contre-par- tie du fait qui se réalise tous les jours sous nos yeux. On a vu les simples travailleurs exploiter à leur tour les entrepreneurs d'industrie, exiger d'eux des salaires hors de toute proportion avec la part légitime qui leur revenait dans le produit. Les planteurs, ne pouvant obtenir de leurs sucres un prix suffisant pour couvrir la hausse de salaire, ont été obligés de fournir l'ex- cédant, d'abord sur leurs profits, ensuite sur leurs capitaux mêmes. Une foule de planteurs ont été ruinés de la sorte, d'autres ont fermé leurs ateliers pour échapper à une ruine immi- 35 nente ... Sans doute, il vaut mieux voir périr des accumulations de capitaux, que des généra- tions d'hommes (wie generös von dem Herrn Molinari!); mais ne vaudrait-il pas mieux que ni les uns ni les autres périssent?» (Molinari 1. c. p. 51, 52.) Herr Molinari, Herr Molinari! Was wird denn aus den zehn Geboten, aus Moses und den Propheten, aus dem Gesetz der Nach- frage und Zufuhr, wenn in Europa der ,,entrepreneur" dem Arbeiter und in Westindien der 40 Arbeiter dem entrepreneur seine part légitime verkürzen kann? Und was ist gefälligst diese ,,part légitime", die nach Ihrem Geständniß der Kapitalist in Europa täglich nicht zahlt? Den Herrn Molinari juckt es gewaltig, dort drüben, in den Kolonien, wo die Arbeiter so „simpel" sind, den Kapitalisten zu „exploitiren", das sonst automatisch wirkende Gesetz der Nachfrage und Zufuhr polizeilich in den richtigen Gang zu setzen. 2 6 9 ) Wakefield 1. c. v. II, p. 52. 45 691 Siebenter Abschnitt · Der Akkumulationsprozeß des Kapitals wären wir einer frischen Zufuhr je nach unsrem Bedürfniß sicher gewe- s e n " 2 7 0 ) . Nachdem Wakefield die englische kapitalistische Agrikultur und ihre „kombinirte" Arbeit prunkvoll kontrastirt hat mit der zerstreuten amerika- nischen Bauernwirthschaft, entschlüpft ihm auch die Kehrseite der Me- daille. Er schildert die amerikanische Volksmasse als wohlhabend, unab- hängig, unternehmend, und relativ gebildet, während „der englische Agrikulturarbeiter ein elender Lump (a miserable wretch) ist, ein Pau- per . . . I n welchem Land außer Nordamerika und einigen neuen Kolonien übersteigen die Löhne der auf dem Land angewandten freien Arbeit nen- 10 nenswerth die unentbehrlichsten Subsistenzmittel des Arbeiters? .... Zwei- felsohne, Ackerpferde in England, da sie ein werthvolles Eigenthum | |737| sind, werden viel besser genährt als der englische Landbebauer" 2 7 1). Aber never mind, Nationalreichthum ist nun einmal von Natur identisch mit Volkselend. 15 5 Wie nun den antikapitalistischen Krebsschaden der Kolonien heilen? Wollte man allen Grund und Boden mit einem Schlag aus Volkseigenthum in Privateigenthum verwandeln, so zerstörte man zwar die Wurzel des Ue- bels, aber auch - die Kolonie. Die Kunst ist zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Man gebe von Regierungswegen der jungfräulichen Erde 20 einen vom Gesetz der Nachfrage und Zufuhr unabhängigen, einen künstli- chen Preis, welcher den Einwandrer zwingt längere Zeit zu lohnarbeiten, bis er genug Geld verdienen kann, um Grund und Boden zu kaufen 2 7 2) und sich in einen unabhängigen Bauern zu verwandeln. Den Fonds der aus dem Verkauf der Ländereien zu einem für den Lohnarbeiter relativ prohi- bitorischen Preis fließt, also diesen aus dem Arbeitslohn durch Verletzung des heiligen Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr erpreßten Geldfonds, ver- wende die Regierung andrerseits, um im selben Maß, wie er wächst, Habe- nichtse aus Europa in die Kolonien zu importiren und so dem Herrn Kapi- talisten seinen Lohnarbeitsmarkt vollzuhalten. Unter diesen Umständen tout sera pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles. Dies ist das große Geheimniß der „systematischen Kolonisation". „Nach diesem Plan", ruft Wakefield triumphirend aus, „muß die Zufuhr von Arbeit konstant und regelmäßig sein; denn erstens, da kein Arbeiter fähig ist sich Land zu 30 25 2 7 0 ) I.e. p.191, 192. 2 7 1 ) I.e. v.I, p.24, 47, 246. 2 7 2 ) «C'est, ajoutez-vous, grâce à l'appropriation du sol et des capitaux que l'homme, qui n'a que ses bras, trouve de l'occupation, et se fait un revenu. C'est au contraire, grâce à l'appro- priation individuelle du sol qu'il se trouve des hommes n'ayant que leurs bras ... Quand vous mettez un homme dans le vide, vous vous emparez de l'atmosphère. Ainsi faites-vous, quand vous vous emparez du sol. C'est le mettre dans le vide de richesses, pour ne le laisser vivre qu'a votre volonté.» (Colins I.e. t.Ill, p.267-271 passim.) 35 40 692 Fünfundzwanzigstes Kapitel · Die moderne Kolonisationstheorie 5 verschaffen, bevor er für Geld gearbeitet hat, würden alle einwandernden Arbeiter dadurch, daß sie für Lohn kombinirt arbeiten, ihrem Anwender Kapital zur Anwendung von mehr Arbeit produciren; zweitens jeder, der die Lohnarbeit an den Nagel hinge und Grundeigner würde, würde grade durch den Ankauf des Landes einen Fonds zur Herüberbringung frischer Arbeit nach den Kolonien sichern" 2 7 3). Der von Staatswegen oktroyirte B o - denpreis muß natürlich „genügend" (sufficient price) sein, d. h. so hoch, „daß er die Arbeiter verhindert, ||738| unabhängige Bauern zu werden, bis andre da sind, um ihren Platz auf dem Lohnarbeitsmarkt einzuneh- 10 m e n " 2 7 4 ) . Dieser „genügende Bodenpreis" ist nichts als eine euphemisti- sche Umschreibung des Lösegelds, welches der Arbeiter dem Kapitalisten zahlt für die Erlaubniß, sich vom Lohnarbeitsmarkt aufs Land zurückzu- ziehn. Erst muß er dem Herrn Kapitalisten „Kapital" schaffen, damit er mehr Arbeiter ausbeuten könne, und dann auf dem Arbeitsmarkt einen 15 „Ersatzmann" stellen, den die Regierung auf seine Kosten seinem ehemali- gen Herrn Kapitalisten über die See spedirt. Es ist höchst charakteristisch, daß die englische Regierung diese von Herrn Wakefield eigens zum Gebrauch in Kolonialländern verschriebene Methode der „ursprünglichen Akkumulation" Jahre lang ausgeführt hat. 20 Das Fiasko war natürlich ebenso schmählich als das des Peelschen Bank- akts. Der Emigrationsstrom wurde nur von den englischen Kolonien nach den Vereinigten Staaten abgelenkt. Unterdeß hat der Fortschritt der kapita- listischen Produktion in Europa, begleitet von wachsendem Regierungs- druck, Wakefield's Recept überflüssig gemacht. Einerseits läßt der unge- 25 heure und kontinüirliche Menschenstrom, Jahr aus Jahr ein nach Amerika getrieben, stockende Niederschläge im Osten der Vereinigten Staaten zu- rück, indem die Emigrationswelle von Europa die Menschen rascher dort- hin auf den Arbeitsmarkt wirft, als die Emigrationswelle nach dem Westen sie abspülen kann. Andrerseits hat der amerikanische Bürgerkrieg eine ko- lossale Nationalschuld in seinem Gefolge gehabt und mit ihr Steuerdruck, Erzeugung der allergemeinsten Finanzaristokratie, Verschenkung eines un- geheuren Theils der öffentlichen Ländereien an Spekulanten-Gesellschaf- ten zur Ausbeutung von Eisenbahnen, Bergwerken etc. - kurz die rasche- ste Centralisation des Kapitals. Die große Republik hat also aufgehört das 35 gelobte Land für auswandernde Arbeiter zu sein. Die kapitalistische Pro- duktion geht dort mit Riesenschritten voran, wenn auch Lohnsenkung und Abhängigkeit des Lohnarbeiters noch lange nicht auf das europäische Nor- malniveau heruntergebracht sind. Die von Wakefield selbst so laut denun- cirte, schamlose Verschleuderung des unbebauten Kolonialbodens an Ari- 30 40 2 7 3 ) Wakefield 1. c. v. II, p. 192. 2 7 4 ) I.e. p.45. 693 Siebenter Abschnitt · Der Akkumuiationsprozeß des Kapitals stokraten und Kapitalisten Seitens der englischen Regierung hat namentlich in Australien 2 7 5), zusammen mit dem Menschenstrom, den die Gold-|1739!Diggings hinziehn, und der Konkurrenz, welche der Import eng- lischer Waaren selbst dem kleinsten Handwerker macht, eine hinreichende „relative Arbeiterübervölkerung" erzeugt, so daß fast jedes Postdampfschiff die Hiobspost einer Ueberfüllung des australischen Arbeitsmarktes - ,,glut of the Australian labour-market" - bringt, und die Prostitution dort stel- lenweis so üppig gedeiht wie auf dem Haymarket von London. Jedoch beschäftigt uns hier nicht der Zustand der Kolonien. Was uns al- lein interessirt, ist das in der neuen Welt von der politischen Oekonomie der alten Welt entdeckte und laut proklamirte Geheimniß: kapitalistische Produktions- und Akkumulationsweise, also auch kapitalistisches Privatei- genthum, bedingen die Vernichtung des auf eigner Arbeit beruhenden Pri- vateigenthums, d. h. die Expropriation des Arbeiters. | 2 7 5 ) Sobald Australien sein eigner Gesetzgeber wurde, erließ es natürlich den Ansiedlern gün- stige Gesetze, aber die englische einmal vollzogne Bodenverschleuderung steht im Wege. "The first and main object at which the new Land Act of 1862 aims, is to give increased facili- ties for the settlement of the people." (The Land Law of Victoria by the Hon. G. Duffy, Minis- ter of Public Lands. Lond. 1862.) 694